UNIVERSITY
OF FLORIDA
LIBRARIES
DUKE U N IV ERSITY PUBLIC AT IONS
CORONA
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in 2011 with funding from
LYRASIS IVIembers and Sloan Foundation
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CORONA
Studies in Celebration of the Eightieth Birthday of
SAMUEL SINGER
Professor Emeritus, University ofBerne, Switzerland
Edited by ARNO SCHIROKAUER & WOLFGANG PAULSEN
DURHAM, NORTH CAROLINA
DUKE UNIVERSITY PRESS
1941
Copyright, 1941, by the Duke University Press
C 8 Z Z
6 . 2.
Corona is presented to Samuel Singer by his friends
and former students in the United States, edited by
Arno Schirokauer and Wolfgang Paulsen, and spon-
sored by the German Department of Southwestern,
Memphis, Tennessee.
PRINTED IN THE UNITED STATES OF AMERICA BV
THE SEEMAN PRINTERY, INC., DURHAM, N. C.
DEDICATION
E
Lieber, guter Singer!
RBLICKE in diesem Buch unsern freudigsten Dank
dafür, daß Du — mit Thomas Mann zu sprechen — die
•^ organische Geduld gehabt hast, achtzig Lebensjahre zu
vollenden und so zu vollenden, daß die Wahl des Zeitworts in
mehrfachem Sinn gerechtfertigt ist. Wir sind es, die sich dazu
gratulieren, und Du bist es, der uns mit dem Faktum Deines
Daseins beschenkt. Es ist nicht einmal sicher, daß w^ir mit un-
serer Gabe die Rollen für einen Moment vertauschen; so w^eit
das hier Mitgeteilte etwas wert ist, ist es Frucht vom Samen,
den Du in uns gelegt hast, bestenfalls wirst Du Dich wieder-
finden und keinen andern Gewinn haben als den, in matte
Spiegel geblickt zu haben.
Unser Verhältnis zu Dir ist am ehesten mit einer Anekdote
beschrieben: Dem Radio-Bern war ein Vortrag angeboten
worden, zehn Seiten lang, jede zu vierzig Zeilen, betitelt "Was
steht noch vom Alten Europa?" Anstelle der langwierigen
Antwort hatte einer der Redaktoren mit Blei eine knappe ge-
geben: Der Alte Singer! — Das war 1934 und Du warst noch
nicht einmal alt, nur eben ein Stück dieses Alten Europa,
dessen Verwüstung heute uns elend macht und tief versehrt.
Angesichts so apokalyptischer Vorgänge kämen wir uns als
Gratulanten und Festredner peinlich vor, handelte es sich um
jemand anderen als Dich. Aber Du bist uns nachgerade die
Garantie, daß keine Vernichtung vollständig sein kann. In-
mitten so vieler Untergänge und Einstürze Deinen Geburstag
[V]
zelebrieren ist nicht nur Zeitentrotz und ein Tun, quia ab-
surdum est, sondern ist, was jede Zelebration ist, ein Akt der
Beschwörung und der feierlichen Bestätigung, daß wirklich ist,
was wir wünschen, es solle sein.
Mit diesem Buch bestätigen wir Dir und uns Deine Wirk-
lichkeit und Deine Wirkung, die weder an den Grenzen
Deines Kontinents noch Deines engeren Fachgebiets zu Ende
ist. Wir, Deine in Amerika wirkenden Freunde und Schüler,
kennen unsere Aufgabe, hinüberzuretten und weiterzugeben,
was drüben bei Euch von Vernichtung bedroht ist; Du sollst
um Dein Lebenswerk nicht trauern, das fromme Hände hier
weiter pflegen und fördern. Europa und Amerika sind keine
Antithese, es gibt Grenzen, die weit entscheidender sind als
der Atlantische Ozean; keiner von uns war gezwungen irgend
etwas aufzugeben, um Amerikaner zu werden; er hatte nur
zuvor ein guter Europäer zu sein. Als solcher warst Du immer
schon unser geistiger Landsmann, unser Unternehmen ist also
legitim.
Nicht die geographische sondern die spirituelle Reichweite
Deiner Existenz als Germanist, die vielseitige Wirkung, die
grosse Streuung und Strahlung eines Fachmanntums wie des
Deinen wird Dich vielleicht selbst verblüffen: Arabist und
Essayist, Folklorist und Medievalist, Geistesgeschichtler und
Literarhistoriker haben zu diesem Band beigetragen. Wäh-
rend Du lebenslang in meisterlicher Selbstbeschränkung auf
Deinem schmalen Felde ackertest, gab es Zaungäste aus andern
Feldern, denen Dein treues Pflügen Vorbild für ihr eignes For-
schen wurde. Sie alle wünschen Dir zu bestätigen, daß sie ihr
Denkbild eines gelehrten Mannes, eines Humanisten, aus
Deiner Existenz abgezogen haben.
Corona also, das sind wir selbst, eine bunte Reihe, ein
Kränzchen von Freunden und Schülern, die allerlei Laub und
Pflückwerk zusammengetragen haben, Dir etwas zu flechten,
was Du gütigst als Corona ansprechen möchtest. Die Krone,
die wir zu verleihen haben, gebührt Dir vor allem für diese
Leistung aus dem Randgebiet der Germanistik, der Wortge-
schichte: Du hast aus Freund und Lehrer ein Synonym ge-
macht. Niemand lernte bei Dir, ohne Dich lieben zu lernen.
[vi]
Die Herausgeber haben sich für jede Mühe belohnt ge-
macht, wenn sie auf ihre Anfrage Antworten erhielten, wie
die eines Deiner älteren Schüler, der seit vielen Jahren tief im
Süden beamtet ist, er freue sich so, einen Beitrag zu Ehren
seines unvergeßlichen Lehrers beisteuern zu dürfen.
So war in weniger als drei Monaten das Manuskript zusam-
mengebracht. Der seelische Notstand, auf den die Herausgeber
hinwiesen, als sie den Plan dieses Buches faßten, wurde sehr
schnell von allen Mitarbeitern begriffen. Vielleicht wären aber
die Herausgeber im Materiellen gescheitert, hätte sich nicht Dr.
Charles E. Diehl, Präsident des Southwestern College, mit
ganzer Seele für den Plan eingesetzt. Sein energisches Interesse
räumte die finanziellen Schwierigkeiten aus dem Wege. Ihm
gelang es, den Oberlaender Trust an dem entstehenden Werk
zu interessieren, so daß dessen Sekretär Dr. Wilbur K. Thomas
dem German Department von Southwestern eine Summe zur
Verfügung stellte, die den größten Teil der Druckkosten
deckte, wofür ihm auch an dieser Stelle aufs wärmste gedankt
sei. Für das Fehlende sprangen mehrere Mitarbeiter mit klei-
neren Beträgen ein.
Die Zeit hat den Entschluß, den Band zu veröffentlichen,
nicht erleichtert. Wir faßten ihn im Glauben, daß Zeitverbun-
denheit ebenso sehr ein Fluch wie ein Segen ist, und der Vor-
wurf, die Wissenschaft sei zeitfremd, ihr heiligstes Privileg. So
mischen wir unsern Stimmenchor in den der Kanonen in der
Überzeugung, er werde dauern, wenn sie schon schweigen.
ARNO SCHIROKAUER.
Memphis, 31. Mai 1940.
[vü]
CONTENTS
Folklore
Archer Taylor, A Metaphor o£ the Human Body in
Literature and Tradition 3
Alfred Senn, On the Sources of a Lithuanian Tale 8
Richard Jente, A Review o£ Proverb Literature Since 1920 23
Friedrich C. Sell, Ein Lobspruch von eim schiessen zu
Augspurg 1509 45
Linguistics
Anna Granville Hatcher, Son Cors in Old French 63
Robert H. Weidman, The Orthographie Conflation of Nominal
Compounds in MHG Based on a Study of the Manesse Manu-
script 89
Leo Spitzer, Zwei französische Neologismen 100
Middle Ages
Arno Schirokauer, Der zweite Merseburger Zauberspruch 117
Gustave von Grunebaum, On the Development of the Type of
Scholar in Early Islam 142
Lawrence Ecker, Die Blumenbeschreibungen der spanisch-
arabischen Hofdichter 148
Henry W. Nordmeyer, Hohe Minne bei Reinmar von Hagenau:
MF 176, 5 158
Hans Sperber, Kaiser Ottos Ehre (Walther 26, 33) 183
Modern German Literature
Thomas Mann, Goethes Werther 186
Ernst Feise, Clemens Brentanos Geschichte vom braven Kasperl
und schönen Annerl 202
Gustav E. Mueller, Solger's Aesthetics — A Key to Hegel (Irony
and Dialectic) 212
Wolfgang Paulsen, Adalbert Stifter und der Nachsommer 228
Ludwig W. Kahn, Fortschrittsglaube und Kulturkritik im
bürgerlichen Roman 252
Francine B. Bradley, Zwischen Naturalismus und Symbolismus:
Eine Stilanalyse einiger Jugendgedichte Rene Schickeies 268
[ix]
CORONA
A METAPHOR OF THE HUMAN BODY IN
LITERATURE AND TRADITION
ARCHER TAYLOR, Ufitversity of California
SO FAR as I can see, no one has commented on the diverse
uses of a symbolism which compares the human body to a
house. This symbolism appears in the oldest Version of the
fable of the Body and the Members. The pertinent portion of
the text, v^^hich was scrawled by a Student in the New Empire,
is as follows:
Gerichtsverhandlung über einen Streit. Der Rechtsstreit des Bauches
mit dem Kopfe, um zu ermitteln, was als Urteil ausgesprochen werden
muss, wenn man beschuldigt wird vor den Dreissig Richtern. Der
Bauch \lagt den Kopf an. Siehe, ihr (d. h. der Glieder) Kopf, ihn
klagte (?) man der Sünde an, dass sein Auge weine. Die Wahrheit
wurde ermittelt vor dem Gott, dessen Abscheu sündige Eigenschaften
sind. Der Bauch sagte seine Anklage. Der Kopf verteidigt sich. Der
Kopf aber schrie seinen Ausspruch gänzlich nieder (und sagte): "Ich,
ich bin der eigentliche Riegel dieses ganzen Hauses, der die anderen
Riegel vorschiebt, und der die anderen Riegel einspannt. Jedes Glied,
das sich auf mich stützt, ist froh."^
Brief as this allusion is, it suggests clearly enough that the head
compares itself to some part of the house which unites all of
the other members of the structure. Heinrich Gombel, who
writes at length in Die Fabel "Vom Magen und den Gliedern"
in der Weltliteratur (mit besonderer Berücksichtigung der ro-
manischen Fabelliter atur),^ does not comment on the presence
1. I omit the remainder o£ the spcech and of the fable as not pertinent to our
purposes. The text is taken from G. Reeder, Altägyptische Erzählungen und Märchen
("Die Märchen der Weltliteratur"; Jena, 1927), p. 108. See also pp. xiv and 334.
The editing and translating of the text need, according to Roeder, revision.
2. "Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie," LXXX (Halle, 1934).
See also J. Pauli, Schimpf und Ernst, ed. J. Bolte (Berlin, 1924), No. 399.
4 CORONA
of this symbolism in the Egyptian text, and his materials do
not include any other example of the fable in which this sym-
bolism occurs. The early versions, chiefly in Sanskrit, are
chiefly concerned with a dispute over the rank of the various
Organs.
A second example of the house as a symbol for the human
body is perhaps seen in the famous passage, Ecclesiastes 12:1-7:
Remember now the Creator in the days o£ thy youth, while the evil
days come not, nor the years draw nigh, when thou shalt say, I have no
pleasure in them;
While the sun, or the Hght, or the moon, or the stars, be not
darkened, nor the clouds return after the rain;
In the day when the keepers of the house shall tremble, and the
strong men shall bow themselves, and the grinders cease because they
are few, and those that look out of the Windows be darkened,
And the doors shall be shut in the streets, when the sound of the
grinding is low, and he shall rise up at the voice of the bird, and all the
daughters of music shall be brought low;
Also when they shall be afraid of that which is high, and fears shall
be in the way, and the almond tree shall flourish, and the grasshopper
shall be a bürden, and desire shall fail: because man goeth to his long
home, and the mourners go about the streets:
Or ever the silver cord be loosed, or the golden bowl be broken, or
the pitcher be broken at the fountain, or the wheel broken at the cistern.
Then shall the dust return to the earth as it was: and the spirit shall
return unto God who gave it.
The allegorical interpretation of this passage, which obviously
describes man's old age, is disputed,^ and when commentators
on the Biblical text difTer, I shall not venture to insist upon
either a literal or an allegorical interpretation. Let it suffice to
point out that commentators have seen here a symbolism which
compares the human body to a house.
An example of this symbolism is familiär to every reader
of riddles, but its similarity to the metaphor which we are dis-
cussing has not been remarked. A typical example is
3. D. Buzy, C. S. J., "Le portrait de la vieillesse," Revue biblique, XLI (1932),
329-340, defends the literal interpretation. Harry Torczyner, "The Riddle in the
Bible," Hebrew Union College Annual, I (1924), 136-138, defends the allegorical
interpretation. I am indebted to Professor W. Popper for kind assistance at this point.
A METAPHOR OF THE HUMAN BODY 5
There's a house wid two winder upstairs. Is red, an' downstairs is
white. An' two doors. — Face.'*
A variant carries out the metaphor more eflectively by specify-
ing the nature of the Building:
A large theatre has two window upstairs, two window downstairs, a
large door with white people, a red stage.
In various forms, which we need not detail here, this metaphor
is known to riddlers from Europe and North America to
Hawaii and the Philippines.
A comparison of the head to a church occurs as a variety of
the "chin-chopper" rhymes. I take the following example
from a Standard work, which the author graciously declares
owes much to the encouragement and support of Professor
Samuel Singer. This specialized comparison is, I am inclined
to believe, an elaboration and sophistication of the original
theme in much the same way that the riddle which compares
the head to a theater is an elaboration. The text is as follows:
Das isch der Altar (Stirn ) ,
Das sind die beide LiechtH (Augen),
Das isch e Leschhernli (Nase),
Das isch d' Sakristei (Mund),
Und das isch der Bibabater (Kinn),
Und da got domine (Hals).^
Parts of this metaphor are often found as riddles or in other
uses. The eyes, for example, are referred to as Windows,^ and
4. Elsie Clews Parsons, Foll(lore of the Sea Islands, South Carolina ("Memoirs o£
the American Folklore Society," XVI; New York, 1923), p. 167, Nos. 93 and 93 var.
5. G. Züricher, Kinderlieder der deutschen Schweiz ("Schriften der schweizeri-
schen Gesellschaft für Volkskunde," XVII; Basel, 1926), p. 49, No. 794. The
"Leschhernli" is a candle-snuffer. For the Suggestion of these children's rhymes I
am indebted to Professor James R. Caldwell.
6. A. Joos, Raadsels van het Vlaamsche vol\ (Brüssels \ca. 1928]), No. 72;
F. Ström, Svens\a jolk^gator (Stockholm, 1937), p. 78, "Ögat," No. i; Y. Wich-
mann, "Syrjänische Volksdichmng," Memoires de la societe finno-ougrienne,
XXXVIII (1917), Nos. 64, 65; F. Starr, A Little Bool{ of Filipino Riddles (Yonkers,
1909), No. 39.
The metaphor of the eyes compared to Windows occurs in a Flemish riddle (Joos,
No. 547) which enumerates the parts of the body in somewhat the same manner as
we find in the famous cow-riddle: "An oven, four pillars, two men-frighteners, onc
fly-frightener" (F. Boas, Journal of American Fol^-Lore, XXV, 191 2, 230, No. 22).
For discussion of the cow-riddle and its congeners see A. Arne, Vergleichende
Rätselforschungen, II ("FF Communications," XXVII; Helsinki, 1919), 60-172.
6 CORONA
new Clements may be introduced, e.g., "One looks out of the
house, but not into it" or "The whole world looks in, the whole
World looks out." The Syrjanian comparison of the eyes to
pearls in a window frame is perhaps the most poetical of such
metaphors. The Filipino riddle "There are seven Windows:
only thrce shut. — Ears, nostrils, eyes, mouth" probably repre-
sents a contamination with the ancient riddle of the seven holes
in the headJ The Wotyak create a vivid and picturesque rid-
dle for combing hair in "A snowshoe glides down over the
house-roof."^ The ordinary processes of poetic invention may
create these metaphors as in the accusation uttered by the ghost
of Hamlet's father, "And in the porches of mine ears did pour
the leprous distilment" {Hamlet, Act I, scene v, IL 63-64) and
such current phrases for mental derangement as "He is off in
the Upper story" or "He has bats in his belfry."
I have not found parallels to a curious use of this symbolism
in the Scottish bailad "Sweet William's Ghost." Motherwell
reports the pertinent stanza as traditional, but it does not ap-
pear to occur in any other version of the ballad. Margaret
comes to her sweetheart's grave and asks to lie with him. He
replies that there is no room at his head, feet, or side and
describes his Situation thus:
My meikle tae is my gavil-post,
My nose is my roof tree,
My ribs are kebars to my house,
And there is no room for thee.
7. See references in Reinhold Koehler, Kleinere Schriften, III (Berlin, 1900), 368,
n. 1; F. Coelho, Revista lusitana, I (1887-89), 254; Archer Taylor, "Problems in the
Study o£ Riddles," Southern Folklore Quarterly, II (1938), 8, n. 13. A Baloche
riddle "There is a house built by the Creator which has seven doors, while others
have but four. By your wisdom guess and explain this. — A man's body" (M. L.
Dames, "Populär Poetry of the Baloches," Publications of the FolkjLore Society, LIX,
London, 1907, p. 200, No. 17) may be compared to the Filipino riddle cited above.
Mr. William A. Kozumplik of die University of Chicago is investigating the history
of this riddle.
8. Y. Wichmann, "Wotjakische Sprachproben," Journal de la societe ßnno-ou-
grienne, XIX (1901), 34, No. 258. We might perhaps see the allegory of the body in
riddles beginning "Behind the mill" or "Behind the house," e.g. "Behind the mill
there is a two-pronged fork. — Braids of hair" (Wichmann, p. 30, No. 220) and
"Behind the house there is a hop-pole. — Braid of hair" (Wichmann, p. 34, No. 256),
but here "mill" and "house" are probably understood literally, since these intro-
ductory phrases occur again and again in Wotyak and other riddles.
A METAPHOR OF THE HUMAN BODY 7
As a last example, I quote the elaborate development of the
Symbol in Thomas Dekker's Gul's Horn-Booke (1609), Chap-
terVIII:
For the Head is a house built for Reason to dwell in; and thus is the
tenement franied. The two Eyes are the glasse windowes, at which
light disperses itself into every roome, having goodly pent-houses of
haire to overshadow them: As for the nose, tho some (most injuriously
and improperly) make it serve for an Indian chimney, yet surely it is
rightly a bridge with two arches, . . . the cherry lippes open, Hke the
new-painted gates of a Lord Mayor's house, to take in provision. The
tongue is a bell, hanging just under the middle of the roofe; and lest it
be rung out too deepe . . . , there are two even rowes of Ivory pegs (like
pales) set to keep it in. The eares are two Musique roomes into which
as well good sounds as bad, descend downe two narrow paire of staires,
that for all the world have crooked windings like those that lead to the
top of Powles steeple. ... So would this goodly palace, which we have
modeled out unto you, be but a cold and bald habitation, were not the
top of it rarely covered. Nature . . . has thatcht it all over, and that
Thatching is haire.
Additional illustrations of so simple and obvious a metaphor
as the comparison of the body to a house are perhaps unneces-
sary. It is dif&cult to know whether these instances spring from
a Single root or whether they have originated independently.
The interest which attaches to the discussion of these questions
is apparent, and the present brief note may direct attention to
them.
ON THE SOURCES OF A LITHUANIAN TALE
ALFRED SENN, University of Pennsylvania
IN 1921 the Lithuanian writer Vincas Kreve brought out the
first edition of his volume of short stories entitled Dainavos
salies sentf. zmonit^ padavimai ("Stories Told by Old People
of the Dainava Country"). The author whose füll name is
Vincas Kreve-Mickevicius and who, in addition to being the
outstanding living poet of the Lithuanians, is also a philologist
and collector of folklore material was later (1932) presented to
the outside world by the Italian Giuseppe Salvatori in a lifelike
picture printed in the Journal Studi Baltici, Volume II, pages
23-34 (published by the Istituto per l'Europa Orientale, Rome,
Italy). Kreve's tales are all written in rhythmic prose and are
based on folklore material, such as semihistorical legends and
fairy tale motifs. In the introduction we find the author's asser-
tion that he is only relating what he has been told by people
living in that region. All the tales are definitely connected
with actual localities in the Dainava Country (extending to the
south from Alytus). The time of action is projected into pagan
antiquity. The third tale in the collection (pp. 49-73), entitled
"Gilse," has been made available in a German translation by
Horst Engert in his publication Aus litauischer Dichtung.
Deutsche Nachdichtungen (Second Edition; Kaunas and Leip-
zig: Ostverlag der Buchhandlung Pribatsch, 1938), pages 25-54,
where the name is spelled Gilsche. A brief sketch of the plot
f ollows :
The daughter of a rieh nobleman falls in love with a servant of her
father and therefore refuses all other suitors, When her lover asks for
her hand, the old nobleman answers in this way: "I will give you my
A LITHUANIAN TALE 9
daughter when you are as rieh as I. Now, leave my manor." There-
upon the servant becomes a highwayman, robs and murders three mer-
chants, whose bodies he buries under a bridge. With this stolen wealth
he buys himself an estate and builds a magnificent manor house. Now
the old nobleman consents to the marriage. In answer to the question
as to the origin of this wealth the suitor declares that he has gone to
the wars and has brought home rieh booty, To his betrothed, however,
he confesses the truth. But she now fears the revenge of the gods and
refuses to marry before she knows what kind o£ punishment the gods
have in störe for them.
The youth desires to know what he may expect and upon the advice
of an old hermit, who is endowed with supernatural power, he keeps
a three-night vigil under the bridge where the three bodies are buried.
Each night one of the three murdered merchants appears to accuse him
before the gods. Upon the accusation of the first one the voice of the
gods promises punishment after ninety-nine years. At this news the girl
is willing to marry the young man, because in all probability they would
not live that long anyhow. After the accusation of the second merchant
the period of grace is reduced to thirty-three years. Even this does not
deter the girl. In the third night the period is reduced to thirteen years.
But even now the girl is still willing to marry her beloved, for, she says,
"Thirteen years is a long time, during which we both will spend many
happy days and blissful nights. Afterwards, we shall perish together,
sufifer together, and thus share fortune and misfortune." And she
marries him.
Years pass and the young couple prospers. But the inner unrest of
the man grows continually. Especially fearful for him is the thought
that his beloved wife will have to suffer for his crime. A raven, which
he is about to shoot while hunting one day, speaks to him and promises
him a remedy for his tortured soul. He is told to seek an old man in
the land of the Prussians. This he does. This ancient one, who is the
high priest of the heathen Prussians, advises him to take part in the war
against the enemies of his country, the Teutonic Knights. Before his de-
parture he must plant a dry linden twig in the earth at the place where
the murdered merchants lie buried. When this twig brings forth leaves
and blossoms, he will be called back from the battlefield, if at that time
he is still alive.
The young man agrees to this and prepares for the campaign. But
he gives up his plan upon the entreaties of his wife who wants to share
fortune and misfortune with him.
Toward the end of the thirteen years Sarünas, the legendary prince
of the Dainava Country, while on a hunting trip, comes to the manor
house of the couple and is hospitably received. But during the night a
voice awakens him, urging him to leave the place. He does leave only
to CORONA
after he has seen on the horizon a fiery glow indicating that his own
Castle must be in flames. After going quite a distance, he becomes
suddenly aware that he has forgotten his sword. He therefore returns to
the manor house but finds in its place a deep lake and a table floating
near the shore with his sword upon it. The manor house had sunk with
lord and lady into the earth and in the place remains a deep lake named
Gilse. But every year on the night in which the manor house had disap-
peared, a lad and a lass play out in the moonlight in the middle of the
lake, shrouded by mist.
n
This Story has a number of motifs which are known also
to other peoples outside the Lithuanian language-area :
(i) We are reminded of tale No. 28 ("The Singing Bone")
of Grimm's Childrens and Household Tcdes^ where the body
of the murdered brother is buried under a bridge and where
vengeance eventually comes also.
(2) A three-night vigil at the grave is also to be found in
No. 195 ("The Burial-Mound") of the Grimm collection.
(3) A raven speaking to a hunter who is about to shoot it
appears also in tale No. 191 ("The Sea-Rabbit") of the Grimm
collection.
(4) The Tannhäuser motif (the dry twig sprouts anew) is
widely known. Here reference is made only to No. 6 of
Grimm's Kinderlegenden ("The Three Green Twigs").^ The
motif is of Greek origin. In Greek iconography St. Basil is
always pictured with a dry stafl.^
(5) The act of atonement which the man is ready to per-
form (although he does not actually perform it) is a Christian
motif and also appears elsewhere in Kreve's poetic works.
Thus in the mystery play called On the Faths of Fate the Seer
teils little Vincent: "You must take upon your Shoulders the
1. I am rcferring to Paul Neuburger's edition of Kinder- und Hausmärchen,
gesammelt durch die Brüder Grimm. In zwei Teilen herausgegeben, mit Einleitung
und Anmerkungen versehen (Berlin and Leipzig: Deutsches Verlagshaus Bong und
Coo).
2. Cf. Paul Ncuburger, Kinder- und Hausmärchen, II, 320 f.
3. Cf. the legend of St. Basiliskos in the OXd C\x\ixch.S\z\onic Codex Suprasliensis.
See A. Leskien, Handbuch der altbulgarischen {ah\irchenslavischen] Sprache, p. 240.
A LITHUANIAN TALE ii
troubles of all our people. By your sacrifice you will redeem
this unfortunate country."^
(6) Christian in origin is also the motif of the Crusade,
which however here is pointed against the Christians.
(7) The motif of the sunken manor, a variety of the Vineta
motif,^ is well known in Lithuania as well as in other coun-
tries.*^ The Motif Index of Lithuanian Narrative Folk^Lore by
Jonas Balys'^ under No. 3610 gives thirty-nine references to
legends about towns, manors, Castles, churches, and bells swal-
lowed up by the earth: "At certain periods they reappear for a
short time on the surface of the earth; all efforts to save them
turn to no account through some error made by the would-be
rescuer (tales of this kind are generally attached to certain
places)." However, none of the following passages is referred
to in Balys's Index:
a) C. Jurkschat, Litauische Märchen und Erzählungen
(Heidelberg, 1898), pages 1 08-1 10, gives a local legend about
a sunken Castle from Galbrasten (East Prussia). The castle
with everything in it is said to have sunk into the Marshes of
Strasine for the sins of its lord, especially for the tyranny he
exercised over his dependents. The place is now all grown
over with moss and dwarf-pines.
b) Bolte-Polivka, Anmerkungen zu den Kinder- und Haus-
märchen der Brüder Grimm, II, 218, refer to a Lithuanian
variant of the tale of "The Poor and the Rieh" (No. 87 of
Grimm's coUection) in which the barn of the poor man is
filled with grain while the house of the rieh man sinks into a
lake on the surface of which a table is floating with the prayer
book of the priest on it.
4. Kreves Rastai, VII, 122.
5. We find it also in the above-mentioned mystery play of Kreve's, e.g., Kreves
Rastai, VII, 69 and 85. According to Albert Wesselski, Märchen des Mittelalters
(1925), p. 200, the motif of sunken Castles, towns, etc., is discussed by M. Winter-
nitz in his study on Die Flut sagen des Altertums und der Naturvölker (1901), p. 312.
6. The motif is testified to for Estonia by Antti Aarne, Estnische Märchen- und
Sagenvarianten ("FF Communications," XXV; Helsinki, 1918), p. 134, Nos. 86-87,
and for Livonia by Oskar Loorits, Livische Märchen- und Sagenvarianten ("FF Com-
munications," LXVI; Helsinki, 1926), p. 76, No. 252.
7. Foll^lore Studies, II (Kaunas, 1936). Publication of the Lithuanian Folklore
Archives.
12 CORONA
c) In the annual Journal Tauta ir 2.odis, I (Kaunas, 1923),
page 129 and the foUowing, V. Kreve-Mickevicius printed pop-
ulär tales about the destruction of the legendary city of Raigrod
originally situated between Ratnycia and Pervalka. The in-
habitants of the city led a life of wickedness. The prophet Elias
from the Old Testament came to preach penitence but was so
seriously threatened that he feared for his life and gave up his
mission. Only an old priest was saved from destruction by a
voice which he heard several times in his sleep and which
urged him to get out of the city immediately. When he was
already quite far away from the city he noticed that he did not
have his prayer book with him. He then returned but found
in place of the city a large lake. Near the shore a little table
was floating, and on it was the prayer book of the priest.
d) In the bailad "Cicinskas" of the late poet laureate Mai-
ronis^ the Castle of the blasphemer is swallowed up by the
earth: At the place where previously the magnificent palace of
Cicinskas had been standing we find now a glittering pond,
filled to the brim with water, and in its middle an island
framed in by brush.
e) A folktale relates that the Castle of the legendary king
of the Samaits or Samogitians was swallowed up by the earth
together with the king and his faithful followers after the king
had stamped his foot powerfuUy on the ground.^
f) Finally, may I refer to a variant which Kreve-Mickevicius
himself published in the Journal Müsii Tautosakß^^ where we
find a number of folktales about Prince Sarünas ? Sarünas has
8. Cf. Maironis-Maciulis, Pavasario Balsai (Kaunas, 1920), No. 28, pp. 33-35.
Svento Kazimiero Draugijos leidinys. No. 232. This poem is not mentioned in
Balys's Motij Index. A difTerent type is mentioned, however, in No. 3748 of the
Index, where ten records (only one of which is printed, namely, M. Dowojna-
Sylwestrowicz, Podania zmujdzl^ie [Samogitian Tales], II, 52, Warsaw, 1894) of the
Story o£ Squire Cicinsf^is are registered with the following Statement o£ contents:
"The cruel lord of Upyte, an historical personage, to whose account populär tradi-
tion ascribes many a great iniquity. Finally one Easter morning, after riding into
church on horseback and murdering the priest holding mass, he, on his way home,
was Struck dead by lightning, his manor swallowed up by the earth; his body was
persistently being cast up by the earth, and for a long time resisted decay."
9. Cf. the chapter "2emaiciij karalius" in Vikt. Kamantauskas, Kirciuota lietuvit[
literatüros chrestomatija (Kaunas, 1929), p. 79.
IG. Müsq Tautosal{a, I (Kaunas, 1930), 90-112.
A LITHUANIAN TALE 13
there all the familiär traits of Antichrist. When his attacks
against God became too outrageous the Lord sent "St." Elias to
fight him. With a thunderbolt Elias destroyed the Castle of his
adversary. The earth opened and swallowed up the blasphemer
with his foUowers. Where previously there had been a Castle
there was later only a large lake.
There is unquestionable agreement between the variants^and
c (priest and prayer book) on the one band and c and / (Elias)
on the other. The motif of the sunken Castle is ultimately to
be traced back to the Biblical legend of the destruction of
Sodom and Gomorrah and the origin of the Dead Sea (Moses
1:19). This conclusion seems to be indicated by the reference
made in most of the variants to the evil life of the person or
persons involved. Just as in the modern tale only one person is
saved, so in the Biblical story, too, of all the inhabitants only
Lot and his family escaped.
in
The story of Kreve's Gilse in its entirety, the underlying
plot, is not well known in modern literature. It is not to be
found in any of the familiär German, Danish, or French col-
lections of fairy tales and legends. The motif is not registered
either in the international type index.^-^ To be sure, it is listed
in a recent Russian publication/^ and in Balys's Lithuanian
Motif Index, No. 787, we find even twenty-three entries with
the foUowing summary: ^^Late Revenge. A farm lad wishes to
marry, but is poor. He murders a merchant and seizes his
property; confesses to the girl the circumstances of his sudden
prosperity. She demands him to find the nature of the penalty
in Store for him. The vigil at the murdered man's grave. They
marry. At the appointed time the punishment takes place: the
house sinks, leaving only an article, the property of a guest
(priest), floating on a table in the water. The guest spending
11. Antti Aarnc, Verzeichnis der Märchentypen ("FF Communications," III; Hel-
sinki, 1910), and Srith Thompson, The Types of the T6l\-Tale ("FF Communica-
tions," LXXIV; Helsinki, 1927).
12. N. P. Andrejev, 'ü\azatel s\azocnych siuzetov po sisteme Aame (Leningrad,
IQ29), No. 751 I.
14 CORONA
the night at the ill-fated house is forewarned by a mysterious
voice, bidding him flee." However, during my own reading
(extended over two decades) in Lithuanian populär literature
I never came upon this story.
Of the twenty-three entries under No. 787 of Balys's Lith-
uanian Moüf Index, only iive are printed, the other eighteen
being unpubHshed records in manuscript form kept in the
Lithuanian Folklore Archives in Kaunas (fourteen items) and
in the Archives of the Lithuanian Scientific Society in Vilna
(four items). The Lithuanian Scientific Society (Lietuvii^
Mokslo Draugija) was founded in 1907/^ while the Lithuanian
Folklore Archives (Lietuviij Tautosakos Archyvas) are only a
fev4^ years old. Much of the material collected by these tw^o in-
stitutions must of necessity be of doubtful value on account of
lack of experience on the part of the collectors. Furthermore,
in our case the possibility that Kreve's literary tale might have
had something to do with the great number of items should
not be disregarded. Thus, some of the eighteen unpublished
records may w^ell be reflexes of Kreve's tale, while most of the
rest are reflexes of the tale printed in L. Ivinski's Almanac^'^ of
the year 1862. Ivinski's story represents the oldest printed
record, the remaining four dating from the years 1878/^ 1887/*^
and 1894/^ None of the publications mentioned here are avail-
able in this country, nor can they be obtained from Germany
or Poland^^ on account of the present war. Furthermore, re-
13. Cf. Antanas Valaitis, Is Lietuviti MoJ^slo Draugtjos istorijos (Vilnius, 1932).
Perspausdinta is Lietuviti Tautos, IV kn. 3 sas.
14. L. Ivinski, Kalendorius arba mets^a-jtlus u'l{isz\asis (Vilnius and St. Peters-
burg, 1862), p. 25. Our tale was copied and republished by A. Janulaitis under the
title "Lietuviskos pasakos" in Mitteilungen der litauischen literarischen Gesellschajt,
Vol. IV, Heft 24 (Heidelberg), pp. 516-527. Heft 24 of the Mitteilungen is out of
print. About Ivinski and his almanacs cf. M. Birziska, Müsti rastq istorija (id ed.;
Kaunas, 1925), pp. 97-100; J. Tumas, Lietuviti literatüros pas\aitos . . . Latirynas
Ivins/{is (Kaunas, 1924).
15. A. G. Langkusch, "Litauische Sagen" in Altpreussische Monatsschrift XV
(1878), 429, No. 13.
16. J. Karlowicz, "Podania i bajki ludovve zebrane na Litwie staraniem" in Zbior
tviadomosci do antropologji l^rajowej, XI, p. 275, No. 34 and XII, p. 10, No. 52
(Cracow, 1887).
17. M. Dowojna-Sylwestrowicz, Podania ztnujdz\ie (Warsaw, 1894), II, 294.
18. My friend Prof. Jozef Birkenmajer, who was to get me the Polish publications,
died during the siege of Warsaw.
A LITHUANIAN TALE 15
peated inquiries made over a period of several years at the
University of Lithuania in Kaunas were left without any re-
sponse. Therefore, I know nothing about the printed material
beyond the references given here. In spite of these difficulties
we should be able to trace the type farther back and to indicate
its ultimate source.
IV
In contrast to the scarcity of tales of the type "Late Revenge"
in modern folk literature, this motif enjoyed a certain degree
of popularity in medieval times, especialiy in medieval Eng-
land. I am able to bring forward three medieval Latin tales of
our type, two of which were written in England.
(i) No. 112 of a collection of tales (Liber exemplorum)^^
compiled by an English Franciscan monk in the thirteenth
Century, translated into German by Albert Wesselski and pub-
lished under the title "Späte Rache"^'' ("Late Revenge"). The
f ollowing is a brief Statement of its contents :
A rieh widow had many suitors, and among these was one who was
more handsome than the others, but poor. In her heart she favored him,
but she did not Hke his poverty. Finally she said to him: "How could I
marry you, since you are so poor and unimportant? If you had money
and Position, I would be glad to take you."
Thereupon the suitor ambushed a wealthy merchant, slew him and
took all his possessions. Then he went again to the lady and asked for
her band. Astonished at this suddenly acquired wealth, she asked him
how he had obtained it. She gave him no rest until he revealed the
truth. Whereupon she said that if he wanted to have her, he had to go
to the place where the dead man lay buried and spend there the night
watching. This he did. In the middle of the night the dead man arose
and prayed to God that justice be done him. And from above came a
voice saying: "Thirty years from today you will be avenged."
The lady thought that by the end of that time the knight would
have done enough atonement, and thus she married him. Day by day
they became richer and gained worldly honor. As the years went by
one after the other, the lady often urged her husband to do atonement.
19. Published by P. Meyer in Nottees et extraits des manuscrits de la Bibliotheque
nationale et d'autres bibliotheques, XXXIV, Part I, 29 f., and by A. Little in Aberdeen,
1918, pp. 65 f., based on the Durham MS.
20. Albert Wesselski, Märchen des Mittelalters, pp. 27 f., with bibliographical
references on pp. 199 f.
i6 CORONA
He however put it off from day to day until finally the thirtieth year
arrived.
On the day set for his punishment the knight invited all his friends
to a feast. For merriment a minstrel was admitted into the Castle. But
somebody had damaged his fiddle for a joke, and for that reason he left
again. He had already walked some distance, when he noticed that he
had lost one of his gloves, and he returned to the Castle. But when he
arrived there, he found level ground instead of the Castle. In the middle
was a spring, and near the spring lay his glove. The castle had sunk
into the ground with everybody in it.
(2) Another tale with a similar plot, but of more recent
date, is to be found in Chapter LXXVIII of the Anglo-Latin
Gesta Romanorum in Cod. Londin. Bibl. Harl. 2270.^^ The
following is the text of Swan's EngUsh version:^^
A law was made at Rome that no man should marry for beauty, but
for riches only; and that no woman should be united to a poor man, un-
less he should by some means acquire wealth equal to her own. A
certain poor knight solicited the band of a rieh lady, but she reminded
him of the law, and desired him to use the best means of complying
with it, in order to effect their union. He departed in great sorrow, and
after much inquiry was informed of a rieh duke, who had been blind
from the day of his birth. Him he resolved to murder, and obtain his
wealth; but found that he was protected in the daytime by several armed
domestics, and at night by the vigilance of a faithful dog. He contrived,
however, to kill the dog with an arrow and immediately afterwards the
master, with whose money he returned to the lady. He informed her
that he had accomplished her purpose; and being interrogated how this
had been in so short a space of time, he related all that had happened.
The lady desired, before the marriage should take place, that he would
go to the spot where the duke was buried, lay himself on his tomb,
listen to what he might hear, and then report it to her. The knight
armed himself, and went accordingly. In the middle of the night he
heard a voice saying: "O duke, that liest here, what askest thou that I
can do for thee?" The answer was: "O Jesus, thou upright judge, all
that I require is vengeance for my blood unjustly spilt." The voice re-
21. Hermann Oesterley, Gesia Romanorum (Berlin, 1872), pp. 678-680, No. 277,
app. 81, with a description of the MS on pp. 187-192. The same text appears as
No. 76 in Wesselski's book Mönchslatein and in The Early English Versions of the
Gesta Romanorum, by Sidney J. H. Herrtage (London 1879), pp. 208 ff. A German
translation was made and published by J. G. Th. Grässe in Gesta Romanorum üba--
setzt. Zweite Hälfte, pp. 234-236.
22. Gesta Romanorum, trans. Charles Swan, with a Preface by E. A. Baker.
(London, 1824), chap. Ixxviii, pp. 45-47.
A LITHUANIAN TALE 17
joined: "Thirty years from this time thy wish shall be fulfilled." The
knight, extremely terrified, returned with the news to the lady. She
reflected that thirty years were a long period, and resolved on the mar-
riage. During the whole o£ the above time the parties remained in
perfect happiness.
When the thirty years were nearly elapsed, the knight built a strong
Castle, and over one of the gates, in a conspicuous place, caused the fol-
lowing Verses to be written:
In my distress, religious aid I sought:
But my distress relieved, I held it nought.
The wolf was sick, a lamb he seemed to be;
But health restored, a wolf again we see.
Interrogated as to the meaning of these enigmatic lines, the knight at
once explained them, by relating bis own story, and added, that in eight
days time the thirty years would expire. He invited all bis friends to a
feast at that period, and when the day was arrived, the guests placed at
table, and the minstrels attuning their Instruments of music, a beautiful
bird flew in at the window, and began to sing with uncommon sweet-
ness. The knight listened attentively, and said: "I fear this bird prog-
nosticates misfortune." He then took bis bow, and shot an arrow into
it, in presence of all the Company. Instantly the Castle divided into two
parts, and, with the knight, bis wife, and all who were in it, was
precipitated to the lowest depth of the infernal regions. The story adds,
that on the spot where the Castle stood, there is now a spacious lake, on
which no substance whatever floats, but is immediately plunged to the
bottom.
(3) The third medieval record of our type is to be found
in a Latin manuscript of the University Library of Breslau,
Germany/^ dating from the thirteenth Century. The following
is our EngHsh translation of the tale:
One finds in the Tripartite Chronicle that once upon a time a count
loved a countess in sinful love, who responded to it. This count secretly
murdered the husband of that countess and sent to her messengers de-
manding that she marry bim. But she replied to him that she did not
want to marry him until after he had spent one night watching at the
tomb of her husband. This he did. While he was sitting at the tomb all
23. MS Universitätsbibliothek Breslau. I. F. 115, 161 rb — 163 ra. A description
o£ the MS is given by Joseph Klapper, Erzählungen des Mittelalters in deutscher
Übersetzung und lateinischem Urtext (Breslau, 1914), pp. 3-8. The Latin text,
cntitled De amore inordinato ad mulierem, No. 7 of the collection, is printed on pp.
235 £. of Klapper's edition. Cf. the German translation. Von der göttlichen Rache an
einem Mörder und Ehebrecher, pp. 24-26.
i8 CORONA
alone, behold, a voice spoke from the depth: "Lord, avenge my blood,
which was spilled unjusdy." And a voice from heaven answered: "Rest
in peace," and immediately that voice ceased and the grave closed again.
The unhappy murderer returned to the lady, reported that he had ful-
filled her demand, and told her what he had seen and heard. She re-
pUed: "You must watch again at the grave tonight, otherwise you will
not get your wish." Against his will, he watched again, and the same
thing happened to him as before. When he reported this to the lady,
she said: "You have to watch once again." Although he tried very hard
to get out o£ this, compelled by his love for the woman, he spent a third
night watching at the tomb of the murdered man. And behold, a light
shone round the tomb, and out of the tomb ascended the murdered
count, crying in a lamenting voice: "O Lord, avenge my blood, which
was spilled unjustly." The Lord told him to rest in peace, for he had
given the murderer a respite of thirty years, after which he would judge
him, if by that time he had not done atonement. The light then disap-
peared. When the court reported this to the lady, the wretched woman
said: "This is what I wanted to know. This is a long time. In thirty
years we will find enough time to do atonement. Now let us get mar-
ried." After they spent twenty years in worldly delights, the count said:
"Today is twenty years since I had that horrible vision of your husband,
and it seems to me as if it only happened today." The lady answered:
"God is merciful, and there is still much time. Let us first find husbands
for our daughters and wives for our sons; then we can do atonement."
They married off their daughters and their sons, but in the matter of
atonement they behaved just like the raven, which always shouts,
"Cras, crasl" and puts everything off until tomorrow. Thus the thirty
years finally came to an end. At the end of the thirtieth year a blind
man came down from the castle of the guilty count. On his way he met
the murdered count, who asked him: "O man of God, whence do you
come?" He answered: "Sire, I come from the casde." The murdered
man continued: "Where is the lord of the castle at this moment?" The
blind man answered: "Before I left the casüe, he entered the bedroom
to see his wife." The murdered count continued: "Go, I heg you, to
him, and teil him that today the thirty years which God granted him as
a respite and for atonement are over. Now I summon him before the
heavenly judge, and this night he must appear before me, for I am that
count whom he murdered in order to get my wife." To this the blind
man answered: "Even if I teil him this, he will scarcely believe me."
The count then stood before the blind man, enveloped in great radi-
ance, and said: "Behold, I touch your eyes with my finger, and you shall
now have sight, although, as all know, you were born blind." Im-
mediately he received sight and recognized that it was the count, whom
he had previously recognized by his voice, and he said to him: "Sire, I
A LITHUANIAN TALE 19
know that you are a holy man." The count however continued: "Go
now as fast as possible up to the Castle, and summon in my name your
master before the tribunal of God, in order that he answer me this night
in the court. As soon as you have deHvered this message, leave the castle
quickly, and in no case stay there over night." With these words he
vanished. The man who formerly had been bhnd immediately climbed
up to the Castle and reported to his master as he had been told. The
people of the castle who saw that the blind man had received sight were
amazed, and fearing punishment, all of them left the castle with him.
At nightfall fire feil from the sky, as once it had fallen on Sodom and
Gomorrah, and consumed the castle with all the people who had re-
mained in it. Oh how horrible is such a murder and such depravity!
How much more abominable and detestable the fact that not once in
thirty years had he been ready for a thought of penitence for such a
grave crime! How inconceivable the obduracy of that man, that not
even at the miraculous sight of the grave which opened did he feel
compelled to repent! How unpardonable that he did not return to the
Lord, who had given him so much time for repentance, and that he did
not improve his ways even then, when he saw before himself the man
to whom the murdered count had given sight!
V
A comparison of the three medieval versions with Kreve's
tale "Gilse" and Balys's summary in his Lithuanian Motif In-
dex^'^ gives the following picture.
(i) / gives no specific indication as to:
a) the number of nights spent at the grave of the murdered
man,
h) the length of the period of grace,
c) signs of remorse on the part of the murderer and his w^ife.
(2) K agrees with / in the following details: The suitor is
poor, wants to get married, his relations to the girl are first free
of any guilt; the house is swallowed up by the earth and in its
place we find water; an innocent stranger is saved, he returns
to the house in order to get a forgotten article, finds it floating
on a table in the water.
24. The following abbreviations are used here:
K = Kreve's "Gilse."
E = No. 112 of the Anglo-Latin Liber exemplorum.
G '=■ No. 78 of the Anglo-Latin Gesta Romanorum.
B = No. 7 of the Breslau collection.
I := Balys's summary in the Lithuanian Moiif Index, No. 787.
20 CORONA
(3) K disagrees with / in one major point: In K three mer-
chants are killed, in / only one. In this detail K Stands com-
pletely alone, since also in E, G, and B only one person is
murdered, a merchant in £", a blind duke in G, the husband of
the adulterous woman in B.
(4) K, I, E, G, as opposed to B, agree in four points :
a) The suitor is poor.
b) The woman is either unmarried or a widow (in B she is
married).
c) The relations between the two main persons are based on
orderly love (in B on adultery).
d) In B the Castle is destroyed by fire and no water is men-
tioned.
(5) B Stands alone in six details, namely, in addition to the
four points mentioned in paragraph 4:
a) The killed person is the husband of the woman;
b) A stranger acts as a messenger to the culprit before the
catastrophe.
(6) B agrees with E and G in the length of the period of
grace, namely, thirty years, while K Stands alone with its
ninety-nine years which are first reduced to thirty-three and
then to thirteen. I have not been able to find out whether this
is Kreve's own invention or whether he found it already in his
source. Anyway, as a result of this innovation, the medieval
period of limitation ("Verjährungsfrist") after which a claim
was superannuated"^ is given up in favor of the evil-boding
number thirteen.
(7) On the other band, B agrees with K in two important
points:
a) The vigil at the grave is held during three nights {E and G
have a one-night vigil).
b) The wife stifles her husband's Impulse to do atonement (in
E the wife urges her husband to do atonement, while in
G this point is left out).
(8) In the destruction of the house the Lithuanian versions
{K and /) diff er not only from B, but also from E (where the
25. Cf. A. Wesselski, Märchen des Mittelalters, pp. 199 f., where further references
may bc found.
A LITHUANIAN TALE 21
forgotten article is found near the water and not in the water)
and G (where nobody is saved and no substance floats on the
water).
(9) K shows a number of changes, made either by Kreve
or his source. Among Kreve's innovations have to be counted
the projection of the action into pagan antiquity and the intro-
duction of Sarünas. This man, who in populär tradition enjoys
the reputation of a wicked despot, appears here as a congenial
prince. Sarünas is a favorite character in Kreve's Hterary pro-
duction^^ and, therefore, could not be identified with the evil-
doer who is punished at the end. The poet found two versions
of the type called "sunken castle," one with Sarünas as the
oflender (going back to the BibHcal tale of Sodom and Go-
morrah) and the other with the poor farm lad who wants to
marry a rieh girl ("Late Revenge"). Kreve welded both tradi-
tions into one story by assigning Sarünas the role of the inno-
cent stranger who in the Lithuanian tradition is mostly a priest.
By making this change, the poet succeeded in placing the tale
in the Dainava Country.
VI
The conclusion drawn from this comparison is that none of
the three medieval versions could be the direct or indirect
source of the Lithuanian tale. There must have been at least
one more medieval version which was translated into Polish
and through this Polish Channel reached Lithuania and Russia.
To make this study complete, I should give a detailed descrip-
tion of the way which this spread took. For reasons explained
above such a description is not possible at the present time. It
is, however, clear beyond any doubt — since this story is un-
known in Germany — that the Lithuanians received it through
a Polish and not a German intermediary. Until relatively re-
cently the Polish language had been the literary vehicle for the
great majority of the Lithuanians.^^ As a result, most of the
26. Kreve devoted to Sarünas a monograph, a lyric novel o£ two volumes in
Kreves Rästai, Vols. IV-V (Kaunas, 1923 and 1925): Sarünas, Dainavos }{unigaH^tis.
Senqjq dainiif gyvenimo pasa\a ("Sarünas, Prince of Dainava: The Tale of a Life
According to the Ancient Poets").
27. About German influence upon the Lithuanians consult G. Gerullis in Archiv
für slatvische Philologie, XXXIX, 52.
22 CORONA
earlier cultural achicvements of the Lithuanians wcre in one
way or another due to Polish influence. As to folk poetry, it
must be assumed diat in the areas of mixed (Lithuanian- and
Polish-speaking) population the same stories were told in both
languages, for the people were united by the same reUgious
creed, Roman CathoUcism, and the Church was the most pow-
erful cultural Institution. Even Vincas Kreve himself wrote in
the Polish language in his earlier days."^ Most — probably all —
of the Lithuanian folktales originated in Polish chapbooks
which were orally translated into Lithuanian. How these
Polish stories infiltrated into the Lithuanian language is de-
scribed by Kreve-Mickevicius: "There was in our village a
man named Kacinskas Antanas. He was regarded as a highly
educated man, and, indeed, he knew many things and used to
have many Polish books. In the evenings many people, old
and young, would assemble at his place and he would teil them
various beautiful stories.""^ There is no doubt but that the tale
of the type "Late Revenge," which L. Ivinski published in his
Almanac of 1862, had previously found its way into Lithuania
from a Polish chapbook.
Concerning the origin of the Polish folktales may I quote
an unquestionable authority: "With only very few excep-
tions they (the Polish folktales) are closely connected with
those of Central Europe, both as to subject matter and form.
The tales populär in Western Europe, Biblical and apocryphal
legends, collections of stories and anecdotes to be used for ser-
mons such as the Gesta Romanorum, the Seven Wise Masters,
and numerous merry tales, penetrated into Polish literature and
descended into the masses through the intermediary of chap-
books which have been reprinted until very recently. Through
Polish mediation this literature wandered even farther to the
east and penetrated into Russian literature."^^
28. Ci.' Kreves Rastai, I (Kaunas, 1922), 99-136. In Boehm-Specht, Lettisch-
litauische Volksmärchen (Jena, 1924), p. 157 f., Specht makes the following State-
ment: "One can never be sure whether a Lithuanian tale is not just a translation of a
Slavic tale."
29. Müsq Tautosal{a, I, 107.
30. Bolte-Polivka, a. a. O., V (1932), 136.
A REVIEW OF PROVERB LITERATURE SINGE 1920
RICHARD jENTE, Univcrsity of North Carolina
WHEN THE history of folklore studies is written, it
will surely be noted that, for many countries in
Europe and America, the two decades between the
end of the World War and the beginning of the present Euro-
pean conflict represent a deiinite period in the development,
growth, and expansion of various phases of folklore interests.
With the close of the World War several countries in Europe
were created and began a new existence; some of the others
established new forms of government. There developed at once
a conscious emphasizing of the national characteristics, with
particular attention to the native language, literature, customs,
and institutions. In many countries, for example, Finland,
Lithuania, Latvia, Ireland, etc., folklore commissions were
created to assemble and publish the aspects of folklore survivals,
and among them the proverb received its deserved attention.
In other countries not directly aflected by the World War, folk-
lore studies also took on new life. The international aspects of
folklore have led to the interchange of ideas and methods, so
that the folklorists of one country have profited and been
stimulated by those of another. Recent annual folklore con-
gresses have emphasized the international scope of folklore and
are doing much to stimulate the collecting, publishing, and
treatment of folklore materials. The past two decades have
thus Seen the establishment of several large and fundamental
enterprises in the field of folklore. Bibliographies and hand-
books are now available, so that in several fields of folklore,
including the proverb, it is now easier to work than it was a
few years ago.
24 CORONA
Since the proverb has received particular attention in many
countries during the past two decades, it seems both profitable
and fitting to survey the product and call especial attention to
the important books that have appeared, and also to note the
large number of projects known to the writer that are in
progress or about to be published.
The annual V olkjkundliche Bibliographie, begun in 1919
by E. Hoffmann-Krayer and now edited by Paul Geiger, repre-
sents a milestone in the new development of folklore. The most
recent volume published in 1939 treats the literature of 1933
and 1934. We trust that the next volume, which should cover
the years 1935 and 1936, is in press, and that the present war
will not interfere with the further progress of this bibliography.
Section XXI treats Folk^ Speech, particularly the proverb. To
the paroemiologist this bibliography is indispensable, although
in scope it aims to cover only Europe and America, and even
here is not as complete as it might be. Another handy guide
which lists over four thousand items from the earliest coUec-
tions down to 1928 is W. Bonser and T. A. Stephens, Proverb
Literature, A Bibliography of Wor\s Relating to Proverbs, pub-
lished for the Folk-Lore Society, LXXXIX (London, 1930).
Since this volume includes primarily only printed books, a de-
sideratum would be a supplementary bibliography of Journal
literature, especially that up to the appearance of the Volks-
\undliche Bibliographie.
Space limitations make it necessary to exclude from this
survey of the proverb literature of the past two decades the
abundance of Journal articles. Only rarely, therefore, will men-
tion be made of works other than books or distinct parts of
serial publications. Even here limits will have to be drawn, for
frequently coUections of miscellaneous folklore materials in-
clude a limited number of proverbs. Unless, therefore, a work
deals dominantly with proverbs it has not been included. The
writer, who has been following proverb literature during this
period, possesses a large number of the volumes named.
During the past two decades much attention has been given
to the English proverb. Not only have two large and exhaus-
PROVERB LITERATURE 25
tive collections appeared, but we now have several basic books
on the study of proverbs and many monographs of fundamen-
tal importance. Until a decade ago, there existed no collection
of English proverbs in the modern sense. The work of Hazlitt
(Third Edition, 1907) was nothing but the old collection of
Ray with a few additions of his own finding. The order was
still alphabetical by initial letters. Therefore a most welcome
book was that of G. L. Apperson, English Proverbs and Pro-
verhial Phrases; a Historical Dictionary (London and New
York, 1929). This book is based on historical principles and
introduces an arrangement according to the significant word,
which unfortunately is not consistently carried out. In some
respects this book is better than that of W. G. Smith, The Ox-
ford Dictionary of English Proverbs (Oxford, 1935), which
unfortunately indeed follows the antiquated arrangement of
Hazlitt. There is, of course, an extensive index of catch-words,
but with many items it is maddening to use this; e.g., under
cat, money, etc., there are over sixty references.
Several Standard books of quotations, which have been re-
peatedly revised and reissued, contain large collections of prov-
erbs, but add little new material or Information. The best of
these are: J. Bartlett, Familiär Quotations, a Collection of Pas-
sages, Phrases and Proverbs Traced to Their Sources. . . .,
Eleventh Edition, by C. Morley (Boston, 1937); J. K. Hoyt,
Hoyt's New Cyclopedia of Practical Quotations . . ., revised by
K. L. Roberts (New York and London, 1927) ; W. G. Benham,
Benham's Boo\ of Quotations, Proverbs and Household Words
. . . (Revised Edition, London, 1936), The American edition
bears the title: Putnam's Complete Boo\ of Quotations . . .
(New York, 1929). In the "Everyman's Library," edited by
Ernest Rhys, there is : J. K. Moorhead and C. Lee, A Dictionary
of Quotations, an Alphabet of Proverbs (London and New
York, ca. 1935). The most recent and most voluminous
book of this kind is: B. Stevenson, The Home BooJ{ of Quota-
tions, Classical and Modem (New York, 1934). An authorita-
tive work on the study of the problems of the proverb is:
Archer Taylor, The Proverb (Cambridge, Massachusetts, 1931).
26 CORONA
This basic handbcK)k should be known to all who are interested
in this field. An Index to "The Proverb" appeared as No. 113
of the Finnish "Folklore Fellows Communications" (Helsinki,
1934). Archer Taylor has issued numerous monographs and
articles on proverbs, of which the following represent supple-
mentary material to The Proverb: "An Introductory Bib-
liography for the Study of Proverbs," Modern Philology, XXX
(1932), 195-210; "Problems in the Study of Proverbs," Journal
of American Fol\-Lore, XL VII (1934), 1-21.
One of the most active w^orkers in proverbs is Dr. B. J.
Whiting of Harvard University. He has produced besides a
large number of monographs on various phases of the proverb,
two excellent books: Chaucers Use of Proverbs (Cambridge.
1934) and Proverbs in the Earlier English Drama, with lllus-
trations from Contemporary French Plays (Cambridge, 1938).
As chairman of a Committee on Proverbs of the Group "Com-
parative Literature 11" of the Modern Language Association of
America, Dr. Whiting has edited a stimulating report entitled
"The Study of Proverbs," Modern Language Forum, XXIV
(1939), 57-83. The other members of the Committee are F. C.
Bradley, Richard Jente, Archer Taylor and M. P. Tilley. Sev-
eral of them are now engaged upon important projects in the
field of proverbs which will be mentioned at the end of this
survey.
D. M. Marvin has compiled two readable books: The Antiq-
uity of Proverbs; Fifty Familiär Proverbs and Fol\ Sayings . . .
Found in All Parts of the World (New York and London,
1922). This is a better work than his earlier Curiosities in
Proverbs, a Collection of Unusual Adages, Maxims, Aphorisms,
Phrases and Other Populär Dicta from Many Lands (New
York and London, 1916).
The following contain an abundance of proverbial phrases
and some proverbs: A. M. Hyamson, A Dictionary of English
Phrases (London and New York, 1922) ; Eric Partridge, Dic-
tionary of Slang and JJ nconventional English (London, 1937;
Second Enlarged Edition, 1938). A voluminous collection of
PROVERB LITERATURE 27
similes, most of which have been cuUed from known writers, is
that of F. J. Wilstack, A Dictionary of Similes (London, 1917;
Second Revised Edition, Boston, 1924). Of less importance is
Grenville Kleiser, Similes and Their Use (New York, 1925).
Interesting here is the fact that many of these invented similes
have become a part of our populär Speech. W. J. Humphreys,
Weather Proverbs and Paradoxes (Baltimore, 1923), treats only
a few proverbs of this kind, particularly those based upon ac-
curate Observation. Several monographs are available on the
proverbs of definite localities, e.g.: E. L. Snapp, "Proverbial
Lore in Nebraska," University of Nebraskß Studies in Lan-
guage, Literature, and Criticism, XIII (Lincoln, Nebraska,
1933), 51-112; F. W. Bradley, "South Carolina Proverbs,"
Southern Folklore Quarterly, I (1937), 57-101. Donald F. Bond
has treated the legal proverb: "English Legal Proverbs," Publi-
cations of the Modern Language Association, LI (1936), 921-
935; "The Law^ and Lawyers in English Proverbs," American
Bar Association Journal, XXI (1935), 724-727.
The general interest in proverbs is shown by the publication
in both England and the United States of small populär coUec-
tions in English of the proverbs of diflerent peoples. I refer to
the little booklets published in London by Hill and by Palmer,
and in Girard, Kansas, by Haldeman-Julius, of which enor-
mous numbers have been sold. Insignificant though these
booklets are, their widespread popularity may contribute some-
what to the survival of old proverbs and the introduction of
foreign proverbs into English speech.
The only important book of Scottish proverbs that we have
noted is that of Erskine Beveridge, Fergusson's Scottish Prov-
erbs from the Original Print of 1641, Together with a Larger
Manuscript Collection of about the Same Period Hitherto Un-
published (Edinburgh and London: Scottish Text Society,
1924). ,
A good selection of 648 Gaelic proverbs chosen from over
4,000 is that of T. D. Macdonald, Gaelic Proverbs and Pro-
verbial Sayings with English Translations (Stirling, 1926). The
28 CORONA
article of Angus Macgillivray, "Our Gaelic Proverbs: a Mirror
of the Past," Caledonian Medical Journal, XIII (1928), 307-326,
has been commended.
Of Irish proverbs we possess no really satisfactory coUection
and we trust that with the present folklore activity in Eire,
attention will be given to folkspeech. The best we have to date
is: Thomas F. O'Rahilly, A Miscellany of Irish Proverbs (Dub-
lin, 1922), and An Seabhac (i.e., Patrick Shughrue), Seanfhocail
na Muimhneach ("Gaelic Folkspeech from Munster") (Dublin
and Cork, 1926).
The polyglot coUections of proverbs may be treated sep-
arately in two groups, namely those in the original languages,
and those in translation only. An excellent and convenient
volume with variants of 1,483 current proverbs in several lan-
guages is: A. Arthaber, Dizionario comparato dt proverbi e
modi proverbiali italiani, laüni, francesi, spagnoli, tedeschi,
inglesi e greci antichi con relativi indici sistematico-alfabetici
(Milan, ca. 1929). More limited in scope is: A. Boecklen, ^^^^
Sprichwörter, Proverbes, Proverbi, Proverbios (Stuttgart, 1922).
A second enlarged edition including the English proverb ap-
peared in 1924; the third edition, 1939, was prepared by
G. Schmidt. Quite similar is: E. Herg, Deutsche Sprichwörter
im Spiegel fremder Sprachen, unter Berücksichtigung des
Englischen, Französischen, Italienischen, Lateinischen und
Spanischen (Berlin, 1933). The foUowing polyglot volume has
experienced many printings : H. P. Jones, Dictionary of Foreign
Phrases and Classicd Quotations, Comprising 14,000 Idioms,
Proverbs, Maxims, Mottoes, . . . in Latin, Gree\, French, Ger-
man, Portuguese, Italian, Spanish, Alphabeticdly Arranged,
with English Translations and Equivalents (New and Revised
Edition ; Edinburgh, 1929) . Most of the volumes of "the world's
best proverbs" are of little importance and cater to the general
reader. Here we can call attention only to a few, e.g., J. G.
Lawson, The World's Best Proverbs and Maxims, Gleaned
from Many Sources (New York, 1926) ; W. E. Bush, iSoo Se-
lected Proverbs of the World, Ancient, Medieval and Moder?!
(Boston, 1938); S. G. Champion and E. Mavrogordato, Way-
PRO VERB LITERATURE 29
side Sayings (London, 1922), of which a second series appeared
in 1924. To the general reader we can recommend the com-
prehensive collection of S. G. Champion, Racial Proverbs; a
Selection of the World's Proverbs Arranged Linguistically
(London and New York, 1938). This book contains over
26,000 proverbs from nearly 200 languages and dialects. It rep-
resents a labor of enormous industry, but the compiler's premise,
that it is possible to assign all these proverbs to definite lan-
guage groups, is open to serious doubts.
Germany has produced in recent years a number of basic
books which should be in the hands of all those interested in
the proverb, Friedrich Seiler wrote during the decade be-
fore his death in 1928 a long series of fundamental books and
articles on various aspects of the proverb. One of his two
leading works is Deutsche Sprichwörter\unde (München,
1922), a book of over 450 pages dealing with all aspects of
German proverb lore. It should not be confused with: Das
deutsche Sprichwort (Strassburg, 1918), a small monograph
of seventy-seven pages, perhaps the best short introduction to
proverb lore in any language. Seiler's other large proverb study
appeared as part of Die Entwicklung der deutschen Kultur im
Spiegel des deutschen Lehnworts; namely, Part V: Das deutsche
Lehnsprichwort, I (Halle, 1921), II and III (1923), IV (1924).
This work treats a vast number of proverbs that have come into
the German language from foreign sources. In most cases a
brief history of the proverb is given. Since many of these same
proverbs became common medieval or common European
proverbs, much of the material here assembled holds for the
borrowed proverb in other European countries besides Ger-
many. Seiler prepared the groundwork for this valuable book
with a number of monographs, the most important of which is :
"Die kleineren deutschen Sprichwörtersammlungen der vor-
reformatorischen Zeit und ihre Quellen," Zeitschrift für
deutsche Philologie, XL VII (1916), 241-256; (1917), 380-390;
XLVIII (1919), 81-95.
Several fundamental works are: J. Klapper, Die Sprich-
wörter der Freidankjpredigten, Proverbia Fridanci. Ein Beitrag
30 CORONA
zur Geschichte des ostmitteldeutschen Sprichworts und seiner
lateinischen Quellen (Breslau, 1927) ; Karl Rother, Die schlesi-
schen Sprichwörter und Redensarten (Breslau, 1928), a coUec-
tion of over twenty thousand proverbs conveniently arranged
in groups. German legal proverbs have been assembled by
L. Winkler, Deutsches Recht im Spiegel deutscher Sprichwör-
ter (Leipzig, 1927). The well-known collection of Georg Büch-
mann, Geflügelte Worte. Der Zitatenschatz des deutschen
Volkes, has been reissued several times during the past two
decades. The last one to appear in the spirit of Büchmann is
that edited by L. Heinemann (Berlin, 1929). A "purified edi-
tion" was edited by V. Tornius (Leipzig, 1936), in which cur-
rent sayings coined by non-Aryans are omitted from the body
of the book but marked as such in the alphabetical list at the
end with obvious intent. A large number of utterances of the
present-day political leaders are included, not because they are
household words but "ought to become such." Two Standard
works often revised and enlarged are: W, Borchardt and G.
Wustmann, Die sprichwörtlichen Redensarten im deutschen
Volksmunde nach Sinn und Ursprung erläutert (Sixth Edition;
Leipzig, 1925), and A. Richter, Deutsche Redensarten, sprach-
lich und kulturgeschichtlich erläutert (Fourth Edition; Leip-
zig, 1921). A populär book containing much interesting matter
on proverbs is: K. Faustmann, Aus tiefem Brunnen. Das
deutsche Sprichwort. Mit Beitrag: Lebensweisheit der deut-
schen Sprichwörter (Freiburg, 1920). Several smaller coUec-
tions of material are: W. G. Oschilewski, Deutsche Sprich-
wörter. Ausgewählt und eingeleitet (Jena, 1924) ; E. Pastor,
Deutsche Volksweisheit in Wetterregeln und Bauernsprüchen
(Berlin, 1934); W. Mönch, Schwäbische Spruchkunst. In-
schriften an Haus und Gerät (Stuttgart, 1937). A good hand-
book of folkspeech is: Robert Petsch, Spruchdichtung des
Volkes, Vor- und Frühformen der Volksdichtung; Ruf, Zau-
ber- und Weisheitsspruch, Rätsel, Volks- und Kindetreim
(Halle, 1938). In the comprehensive work of Adolf Spamer,
Die deutsche Volkskunde (Leipzig, 1934-35) there is an ex-
cellent chapter "Die Volkssprache" by Friedrich Maurer.
PROVERB LITERATURE 31
Many essays and articles treat the proverbs of definite localities.
One of the best is the pamphlet by Hermann Tardel, Bremen
im Sprichwort (Bremen, 1929). Perhaps we can mention best
here the excellent collection of E. M. Fogel, Proverbs of the
Pennsylvania Germans (Fogelsville, Pennsylvania, 1929).
The Dutch proverb has received excellent treatment in a
book, which is also valuable for knowledge of the European
proverb in generali F. A. Stoett, Nederlandsche Spreekwoor-
den, Spreekwijzen, UitdrukJ{ingen en Gezegden, tvjo volumes
(Fourth Edition; Zutphen, 1923-25). Proverbs based on pop-
ulär beliefs have been treated extensively by A. de Cock, Spree\-
woorden, Zegswijzen en UitdrukJ{ingen op Vol\sgeloof berus-
tend, two volumes (Antwerp, 1920). Several volumes on
populär humor, much of it drawn from proverbs and pro-
verbial expressions, have been written by J. Cornelissen, Neder-
landsche Volkshumor op Stad en Dorp, Land en Vol\ (Ant-
w^erp, 1928-32), A small volume of Dutch maritime proverbs
is that of F. Kerdijk, Alles wel aan boord (The Hague, 1935).
The South African Dutch proverbs have been collected by
D. F. Malherbe, Afrikaanse Spree\woorde en verwante Vorme
(Bloemfontein, 1924).
The books of a fev^^ authors have been investigated for their
proverb content. The Age of Shakespeare is represented by
several good studies : M. T. Tilley, Elizabethan Proverb Lore in
Lyly's "Euphues" and in Pettie's "Petite Palace" (New York,
1926) ; K. Pfeffer, Das Elizabethaijische Sprichwort in seiner
Verwendung bei Ben Jonson, a dissertation (Giessen, 1933);
R. Jente, "The Proverbs of Shakespeare with Early and Con-
temporary Parallels," Washington University Studies, XIII (St.
Louis, Missouri, 1926), 391-444. A model example of the
treatment of the proverbs used by an author is: M. Len-
schau, Grimmeis hausens Sprichwörter ("Deutsche Forschun-
gen," X; Frankfurt am Main, 1924). Several other German
authors have been treated: H. H. Eberth, Die Sprichwörter
in Sebastian Brants Narrenschiß ("Deutsches Werden," 3;
Greifswald, 1933) ; A. Proksch, Theodor Storms Sprache und
Stil nebst Sprichwörtern und Redensarten (Berlin, 1920); J. F.
32 CORONA
SuUivan, Das Sprichwort bei ]ohann Fischart (New York,
1937). The last mentioned is a mere list of materials, being
only part of a dissertation. Comprehensive and well done is
the following dissertation: A. Anstensen, The Proverb in
Ibsen; Proverbial Sayings and Citations as Elements in his
Style (New York, 1936). We have not seen Kurt Hülsemann,
Die niederdeutschen Sprichwörter in den Wer\en von Nicolaus
Gryse, a dissertation (Hamburg, 1930), and David Heft, Pro-
verbs and "Sentences" in Fifteenth Century French Comedy, a
dissertation (New York, 1938). Thomas H. Russell has com-
piled The Sayings of Poor Richard: Wit, Wisdom and Humor
of Benjamin Fran\lin in the Prefaces, Proverbs and Maxims
of Poor Richard' s Almanacks for 7755 to iy^8 (Chicago, 1926).
Wellerisms have been treated by F. Seiler in Volume IV of
Das deutsche Lehnsprichwort, referred to under German prov-
erbs. Additional material is found in the following articles:
P. Bartels, "Das apologetische Sprichwort im Niederdeutschen
und Dänischen," Niederdeutsche Zeitschrift für Vol^s^unde,
VIII (1930), 223-250; B. }. Whiting, "A Handful of Recent
Wellerisms," Archiv für das Studium der neueren Sprachen,
CLXIX (1936), 71-75; F. Sanchez y Escribano, "Dialogismos
paremiologicos castellanos," Revista de fililogia espanola, XXIII
(1936), 275-291.
Of the Scandinavian paroemiologists the Swedes have been
most active. We might expect this, for there does not exist as
yet a reliable book of Swedish proverbs. At the end of this
survey we shall note two large unpublished collections. The
Swedish proverbs of Finland have been assembled in exemplary
manner by V. Solstrand, Finlands svenska folkdi\tning III.
Ordstäv ("Skrifter utgivna av svenska litteratursällskapet i Fin-
land," CLXXII; Helsingfors, 1923). A humorous, amusingly
illustrated book is that by Fredrik Ström, Svensl^arna i sina
ordspräJ{, jämte sju tusen svens\a ordspräJ^ om Gud och djävu-
len, mannen, \vinnan ach kßrleken, livet och dödeii, glädjen
och sorgen, ämbeten och yr\en . . . (Stockholm, 1926). Two
smaller books are: G. Cederschiöld, Om ordstäv och andra
PROVERB LITERATURE 33
ämnen (Lund, 1923), and J. L. Saxon, Närkjngarnas ordspräkj-
bo\ (Stockholm, 1930).
From Norway and Denmark we have only a few smaller
coUections: R. T. Christiansen, Gamle visdomsord (Oslo,
1928); M. Bonnevie, Ord som lever (Oslo, 1928); and the two
books of Emil Thomsen, ^400 Ordsprog, Talemaader og
Skjaemtesprog (Copenhagen, 1919) and Ordsprogens Verdens-
gang (Copenhagen, 1922). A. Hansen and C. Behrend have
issued a new edition of the 1506 print of Peter Laales danske
ordsprog (Copenhagen, 1929) with a translation into modern
Danish. Besides bringing facsimiles of pages of the several
early prints, we have here in facsimile four pages of a man-
uscript fragment upon w^hich Laale drew, dating from about
1450.
A good collection of modern Icelandic proverbs is that of
Finnur Jonsson, tslens\t Mälshättasafn (Copenhagen, 1920).
A reprint of an old collection with commentary has been made
by G. Kallstenius, Jonas Rugmans Sämling av isl'äns\a tcdesätt
("Skrifter utg. av Kongl. Humanistiska Vetenskaps-Sam-
fundet," XXII, No. 8; Uppsala, 1927). Of interest for the older
proverb is the article by G. Kallstenius, "Nordiska ordspräk hos
Saxo," Archiv för nordis/{ filologi XLIV, Tillaegsbind (1927),
16-31, and Gudmund Olauus, Thesaurus adagiorum linguae
septentrionalis antiquae et modernae ("Skrifter utg. av Veten-
skaps-Societeten i Lund," XII; 1930).
The Baltic republics have all developed an active interest in
folklore, and in each there are folklore commissions which are
busily assembling materials for publication. The most am-
bitious project, one not yet completed, is that undertaken by
the Lithuanian V. Kreve-Mickevicius, Patarles ir priezodziai
("Proverbs and Proverbial Expressions"), Volume I (Kaunas,
1934). This volume contains over seven thousand items ar-
ranged according to initial letter A to E. A second volume
was issued in 1935 with four thousand items; a third in 1937.
When completed this will be one of the monumental works in
the field of proverbs. The Latvian proverbs have been assem-
34 CORONA
bled by P. and M. Birkerts, Latviesu Sakämvärdi un Parunas
(Riga, 1927). A second enlarged edition of Estonian proverbs
is that of M. J. Eisen, Eesti vanasönad. Suurest kprjandusest
\oWu pöiminud (Tartu, 1929). It is hoped that further mate-
rials collected by this author will also be published. The Fin-
nish Folklore Commission has assembled a vast number of
proverbs which have not yet appeared. The large coUection of
A. V. Koskimies of 1906 has been published in abbreviated
form under the title: Valikpima suomalaisia sananlas\uja.
A. Ahlqvistin mu\aan (Tampere, 1929).
There has been great activity in the field of proverbs in
Spain and Spanish America, and although many large, valuable
and interesting collections have appeared, we still lack a con-
venient and reliable comprehensive work on the Spanish prov-
erb. In 191 0 Jose Maria Sbarbi, know^n to all paroemiologists
as the editor of the ten-volume El refranero genercd espanol
(1874-88), died at the age of seventy-six, leaving a large man-
uscript collection of proverbs. In 1922 this was published at
Madrid in two volumes by M. J. Garcia under the title: Dic-
cionario de refranes, adagios, proverhios, modismos, locuciones
y frases proverbiales de la lengua espanola. The advantage of
this work is that it is arranged according to key word, and
material sought is easy to locate, but it lacks sources for cach
proverb and earliest date of appearance, so that its value as a
scientific work of reference is limited. Another posthumous
work first published in 1906 is that of the early seventeenth-
century humanist Maestro Gonzalo Correas, Vocabulario de
refranes y frases proverbiales y otras formulas comunes de la
lengua castellana en que van todos los impresos antes y otra
gran copia (Madrid, 1906; Second Edition, 1924). Overtwenty-
six thousand items are brought together here with occasional
notes and explanations, but the order is alphabetical by first
word, and the book is thus difficult to use. A third still larger
collection of materials supplementing Correas and assembled
in the same unsatisfactory order is represented in the three
large volumes of F. Rodriguez Marin, Mas de 21,000 refra?ies
castellanos, no contenidos en la copiosa coleccion del maestro
PROVERB LITERATURE 35
Gonzalo Correas, allegolas de la tradicion orcd y de sus lecturas
durante mäs de medio siglo (Madrid, 1926). Volume II fol-
lowed in 1931 as 12.600 refranes mäs, etc., and Volume III in
1934: Los 6.666 refranes de mi ultima rebusca, que con "Mäs
de 21.000" y "12.600 refranes mäs" suman largamente 40.000
refranes castellanos no contenidos en la copiosa coleccion del
maestro Gonzalo Correas. Another paroemiologist who has
been most active is G. M, Vergara y Martin. In 1923 he issued
his large Diccionario geogräfico populär de cantares, refranes,
adagios, proverbios, locuciones, frases proverbiales y modismos
espanoles. An abbreviated edition of the same came out in
1929. In a series entitled "Estudios folkloricos geogräficos,"
Vergara y Martin has published a large number of monographs
dealing with various aspects o£ the Spanish proverb. A populär
collection intended for the general reader is V, Acocella, Re-
franero cläsico. Dos mil doscientos refranes castellanos (Bar-
celona, 1930). Catalonian proverbs have been treated by J.
Amades, in the "Biblioteca de Tradicions Populars," Serie A,
namely, Calendari de Refranys and Origen i sentit d'alguns
proverbis (Barcelona, 1933). Comprehensive dialect collections
are E. Alberola i M. Peris Fuentes, Refraner Valencia (Valencia,
1928), and A. Sevilla, Sabiduria populär murciana (Murcia,
1926).
Spanish America has produced several works of note. De-
spite its faults in content and arrangement the largest and best
is: Dario Rubio, Refranes, proverbios y dichos y dicharachos
mexicanos (Mexico, 1937). A small but good collection of
Chilean proverbs is: R. A. Laval, Paremiologia Chilena (San-
tiago de Chile, 1923; Second Edition, 1928). Paraguayan prov-
erbs have been collected by N. R. Colman, Mil refranes
guaranies . . . (Asuncion, 1928). We note in conclusion several
works of less value : R. Blanco y Sanchez, Refranero pedagögico
hispanoamericano (Third Edition; Madrid, 1920); A. L.
Campa, "Sayings and Riddles in New Mexico," University of
New Mexico Bulletin, No. 313 (Albuquerque, 1937).
An important collection of Portuguese proverbs and sayings
is: Alfredo da Cunha, Ditames e Diterios . . . , three volumes
36 CORONA
(Lisbon, 1929, 1930, 1931). The Portuguese proverbs of Brazil
have been gathered together in installments by Afränio Peixoto,
"Adagios brasiieiros," Portucale, I (1928), 124-137; II (1929),
214-215.
A miscellaneous collection of 162 Basque proverbs contrib-
uted by various people appeared under the title: "Refranes y
dichos populäres" in the Änuario de la Sociedad de Eus\o-
FolJ{lore, I (Vitoria, 1921), 43-58.
For the French language there is still no adequate collection
to supersede that of Le Roux de Lincy (1859), but during the
past two decades several important works have appeared w^hich
Supplement it. The most significant among these is that by
J. Moravi^ski, Proverbs frangais anterieurs au XV^ siede (Paris,
1925), which brings together in convenient form twenty-five
hundred proverbs recorded in manuscripts before 1500. It is
one of the basic books for proverb study in general. Moraw^ski
has otherwise been quite active in publishing articles on pro-
verbs and making available ancient manuscript material. We
can mention here only Les diz et proverbes des sages (Paris,
1924). W. Gottschalk is the author of several books of high
value: Die sprichwörtlichen Redensarten der französischen
Sprache, Parts I and II (Heidelberg, 1930) ; Die bildhaften
Sprichwörter der Romanen. I Die Natur im romanischen
Sprichwort (Heidelberg, 1935). // Der Mensch im Sprichwort
der romanischen Völ\er (Heidelberg, 1936). A beautiful and
valuable book is that by Grace Frank and Dorothy Miner,
Proverbes en rimes; Text and lllustrations of the Fifteenth Cen-
tury from a French Manuscript in the Walters Art G aller y,
Baltimore (Baltimore, 1937). Grace Frank has published from
a later manuscript in the British Museum further "Proverbes
en rimes" in The Romajiic Review, XXXI (1940), 209-238. A
fourteenth-century manuscript of proverbs has been well edited
by A. C. Thorn, Les proverbes de bon enseignement de Nicole
Bozon (Lund, 1921). A French "Bartlett" containing much
proverbial matter is: O. Guerlac, Les citations frangais. Recueil
de passages celebres, phrases familieres, mots historiques avec
Vindication exacte de la source (Paris, 1931). Several populär
PROVERB LITERATURE 37
collections have been repeatedly reprinted, e.g., L. Martel, Petit
recueil des proverbes frangais (Paris, 1883; Twelfth Edition,
ca. 1925); Eman Martin, Deux cent locutions et proverbes.
Origine et explications (Paris, 1888; nineteenth thousand,
1936). An illustrated coUection published in a limited edition
is A. LePetit, 7/92 Proverbes de France, de partout et d'ailleurs.
Illustre en couleurs (Paris, 1929). A large book which has re-
produced older source materials, but which unfortunately does
not give references, is Henri de Vibraye, Tresor des proverbes
frangais anciens et modernes, reunis et commentes (Paris,
1934). A number of good works on the proverbs of various
parts of France are: L. Morin, Proverbes et dictons recueillis
dans le departement de l'Aube (Troyes, 1932); fi. Ramond,
Histoires marseillaises, galejades et proverbes de Provence
(Paris, 1926) ; £. Dulac, Gasconades, mots, historiettes , contes,
legendes et proverbes de Gascogne (Paris, 1927) ; F. P, Raynal,
Sagesse auvergnate; recueil de proverbes (Rodez, 1935) ; M.
Lateur, Un peu de jolhlore: Quatre cents locutions et dictons
de nos regions minieres de l'Artois (Arras, 1934). A good col-
lection of proverbs of the sea is : A. Hayet, Dictons et tirades des
anciens de la voile (Paris, 1934).
Italy still has no representative comprehensive coUection of
proverbs, and we do not knov;^ that any undertaking of this
kind is in progress. The few works noted are particularly those
that deal with the proverbs of definite areas or particular as-
pects, as for example: G. Nardi, Proverbi, frasi e modi pro-
verbidi del Revennate (Imola, 1922) ; S. La Sorsa, La sapienza
popolare nei proverbi pugliese (Bari, 1923). U. Rossi Ferrini,
Proverbi agricoli (Firenze, 1931). An old work which still
seems to enjoy popularity in Sicily is the coUection of poems
on proverbs by Santo Rapisarda, Raccolta di proverbi siciliani
ridotti in canzoni (Fourth Edition; Catania, 1924).
A large and excellent Latin coUection, highly recommended
as a source book, is that of L. De-Mauri (i.e., Ernesto Sarasino)
Flores sententiarum. Raccolta di ^000 sentenze, proverbi e
motti latini di uso quotidiano in ordine per materie con le fonti
indicate, schiarimenti e la traduzione italiana (Milan, 1926).
38 CORONA
The only other Latin book of importance here is W. C. Korf-
macher, Othloni Libellus proverbiorum (Chicago, 1936). It is
hoped that competent scholars will continue to investigate the
medieval Latin proverb. It represents a field that has been
quite neglected and one which should yield valuable results
toward a knowledge of the history of the vernacular proverbs
of many European countries.
The modern Greek proverb has been treated in a large
number of short articles. The most comprehensive work we
have noted are the many serial coUections of the proverbs of
Cyprus by N. Kvpia^T^s, Kv-rrpiaKal Trapoi/xlai, w^hich liave appeared
throughout four volumes of the KvirpuxKa XpoviKd , V to VIII
(1927-31). Published in book form this collection w^ould
Cover over tv^o hundred and hfty pages.
In some of the Slavic countries there has been activity in the
collecting of proverbs, but no really significant works have yet
been published. The follow^ing "Book of Proverbs" is intended
for populär use: V. Knjazev, Kniga poslovic (Leningrad,
1930). Proverbs on "priests and religion" have been assembled
by M. I. Sachnovic, Poslovicy i pogovorkj 0 popach i religii
(Moscow, 1933). A small book treats "Moscow in Proverbs":
B. Scheydlin, Moskj/a v poslovicach (Moscow, 1929). For the
English reader we mention the foUowing booklets by F. Baucr-
Czarnomski, Proverbs in Russian and English and Proverbs in
Polish and English, both printed by Hill (London, 1920). A
treatise and collection of a large number of Polish proverbs is:
}. St. Bystron, Przylowia polskje (Krakow, 1933). A book treat-
ing the Polish proverbs concerning the days of the year is W.
Strzyzowski, Przyslowia ludowe na poszczegolne dni w rokß
(Bromberg, 1926). Of the Czech proverb we have a small
volume with introduction by K. Chapek: Karel Kraus, CesJ{a
pHslovi. Üvod od K. Capkß (Praha, 1931). A new edition of
the Serbian folklore materials coUected by V. St. Karadzhic
and published in 1853 has been reissued in augmented form
under the title: Srpske narodne poslovitze . . . (Beigrade,
1933). The German translation of this work (Berlin, 1854)
contained over a thousand Serbian proverbs. We have a small
PROVERB LITERATURE 39
book of the "Populär wisdom" of Bulgaria by T. N. Balabanov,
Narodna mudrost (Sofia, 1928). W. M. Petrovitch was work-
ing on a large coUection of Montenegrin proverbs when he
died recently. He published fifty-two proverbs under the title:
"Wit and Wisdom of the South Slavs," 'Notes and Queries,
CLXV (1933), 344.
The Gypsy proverbs have been collected in a large volume
and published in Bulgarian by T. Djordjevic, Ciganske na-
rodne pripovet\e (Belgrads, 1933).
The Hebrew^ proverb has been commonly treated in connec-
tion vi'ith the older literature; for example: G. Boström,
Paronomasi i den äldre hebreiskß maschcdlitteraturen. Med
särs^ild hänsyn tili Vroverbia (Lund, 1928); H. Gressmann,
Israels Spruchweisheit im Zusammenhang der Weltliteratur
(Berlin, 1925) ; Israel Davidson, "Wisdom and FoUy in Medie-
val Hebrew Proverbs," in Essays and Studies in Memory of
Linda R. Miller (New York, 1938). The Talmudic elements in
the Yiddish proverb have been treated by L. Tojbesh, Tal-
mudishe elementn inem jidishn shprichwort (Vienna, 1927).
An improved and enlarged edition came out in 1928. Of espe-
cial interest to American Jews is the splendid article by Leah R.
Yoffie, "Yiddish Proverbs, Sayings, etc. in St. Louis, Mo.,"
Journal of American Folk^-Lore, XXXIII (1920), 134-165.
Those who know Arabic are enthusiastic over the quality
and abundance of proverbial wisdom preserved in the common
sayings of this widespread language. The Turkish language
has taken up thousands of these and has helped to spread them
into Southeastern Europe. The close affinity of the Hebrew and
the Arabic has also led to an interchange of proverbs and a
consequent spread of this wisdom. Several large and important
collections have recently appeared. The well-known work of
C. Snouck Hurgronje, Mexikanische Sprichwörter und Redens-
arten, which first appeared in 1886, was reprinted in 1929 in
Volume V of his "Verspreide geschriften." Sa'id 'Abbüd in
collaboration with M. Thilo and G. Kampfimeyer has compiled
^000 arabische Sprichwörter aus Palästina in a supplementary
volume to the Mitteilungen des Seminars für orientalische
40 CORONA
Sprachen an der Universität Berlin, Volume XXXVI (Berlin,
1933). Enno Littmann has translated a sizable volume of
Kairiner Sprichwörter und Rätsel ("Abhandlungen für Kunde
des Morgenlandes . . .," XXII, 5; Leipzig, 1937). The Yemenic
dialect is excellently represented in the collection of S. D. F.
Goitein, ]emenica Sprichwörter und Redensarten aus Zentral-
jemen (Leipzig, 1934). A large volume of Syro-Lebanese prov-
erbs with Arabic text, translation, and commentary has
been compiled by M. T. Feghali, Proverbes et dictons syro-
libanais (Paris, 1938). Of a more populär nature are the fol-
lowing: A. B. and E. H. Hyman, Poetry, Proverbs, Philosophy
from the Arabian Nights (Los Angeles, 1928) ; £, L. Montet,
Choix de proverbes, dictons, maximes et pensees de l'lslam
(Paris, 1933) ; S. Hillelson, Arabic Proverbs, Sayings, Riddles
and Populär Belief s (Khartoum, 1921), L. Brunot, "Proverbes
et dictons arabes de Rabst," Hesperis, VIII (Paris, 1928). Tw^o
large books treat the proverbs of Morocco. The better by far
is that by E. A. Westermarck, Wit and Wisdom in Morocco; a
Study of Native Proverbs (London, 1930). The long Intro-
ductory Essay deals w^ith form, linguistic peculiarities, content,
and sociological significance of the proverbs, many of which
have been collected from the lips of the native Moors. The
original text w^ith transliteration and translation of these 2,013
items is foUowed by a complex index. This book is a remark-
able example of how the native proverbs may be treated to
demonstrate the many sociological aspects of a people. Similarly
valuable, but in a less degree, are the three hundred Proverbes
inedits des vieilles femmes marocaines, collected by Si Ahmed
Sbihi, with translation and notes by A. Benchehida (Fez, ca.
1931)-
The foUowing tv^o small volumes of Turkish proverbs
are not very significant: Hamid Izzet, Proverbes turcs et
frangais (Constantinople, 1923); Lufti Muzzafer, Turg atalar
sözü ("Turkish Ancestors' Sayings") (Constantinople, 1928).
A small collection from Bulgaria is: G. Karadimitrov, Mädri
turs}{i izrecenija ("Wise Turkish Sayings") (Sofia, 1933).
Russo-Turkish border provinces are represented by the follov^^-
PROVERB LITERATURE 41
ing: M. Geldiew, Sborni\ tur\mens}{ich narodnych pogovoro\,
poslovitsi i zagadoß{ ("CoUection of Turkomen Sayings, Pro-
verbs and Riddles") (Poltorack, Ashabad, 1925) ; Ch. Seinally,
Azerbaidshanske poslovitsi i pogovorkj (Turkish title: Azer-
baidshan atcdar sözü, i.e., "Azerbaidjan Ancestors' Sayings")
(Baku, 1926). The Russian titles of these two rather füll col-
lections are misleading. They are both in Arabic type and are
not translated.
Little that is important seems to have been published during
the past two decades on the proverbs of Central and Southern
Asia. A Selection of Telagu Proverbs appeared at Madras in
1922, oflfering less than half the material found in the larger
work of M. W. Carr (Madras and London, 1868). Otherwise
the publications are of less importance: L. Paul-Marguerite and
L'Emir Kamuran Bedir Kahn, Proverbes Kurdes (Paris, 1937) ;
Rai Bahadur Gang-ar-ama, Punjabi Agricultural Proverbs and
their Scientific Significance (Labore, 1920); }. B. Degeorge,
"Proverbes, maximes et sentences Tays," Anthropos, XXVII
(Vienna, 1927), 911-932, Some ancient proverbs are contained
in Sumerian Texts of Varied Contents, edited by E. Chiera
(Chicago, 1934). Champaklal Chunilal Shah edited in 1923
three small pamphlets in the "Haldeman- Julius Series," namely,
Proverbs of India, Proverbs of Hindustan and Sans\rit Prov-
erbs, w^hich presumably do not bring new materials.
The w^ell-known CoUection of Chinese Proverbs by W. Scar-
borough of 1875 has been Revised and Enlarged by the Addi-
tion of 600 Proverbs by C. W. Allan (Shanghai, 1927). In its
new form this book is a Standard work, the best that we have.
C. H. Plopper, Chinese Religion Seen Through the Proverb
(Shanghai, 1926), is a voluminous treatment of all phases of
the subject by a man well acquainted with it. The same author
has also published two short addresses : Chinese Proverbs: The
Relationship of Friends as Brought out by the Proverbs; Eco-
nomics as Seen through the Proverbs (Peiping, 1932). A very
readable book is that of B. Brown, The Wisdom of the Chinese:
Their Philosophy in Sayings and Proverbs (New York, ca.
1920). A second, apparently stereotyped, edition was published
42 CORONA
at Garden City, New York, about 1938. The following Book I
have not seen: H. H. Hart, "joo Chinese Proverbs (London,
1937). Of less importance seem to be: A. Guiterman, Chips of
Jade: Being Chinese Proverbs . . . (New York, 1920) ; Sun-po
Lin, Words of Wisdom from Chinese Sages (New York, ca.
1933); L. A. Lyall, The Sayings of Confucius (London, 1925).
A voluminous coUection of Japanese proverbs with German
translations is the second enlarged edition of P. Ehmann,
Sprichwörter und bildliche Ausdrücke der japanischen Sprache
(Leipzig, 1927). A good work in English, giving the roman-
ized Japanese, Chinese and Japanese characters, and literal
translation into English with the nearest EngUsh equivalent pro-
verb is: Aisaburo Akiyama, Japanese Proverbs and Proverbial
Phrases (Kyoto, 1935). An interesting but unpretentious
pamphlet sufficiently described by its title is: W. E. Griffis,
Proverbs of Japan: a Little Picture of the Japanese Philosophy
of Life as Mirrored in their Proverbs (New York: Japan So-
ciety, ca. 1924). As with the Chinese, the Japanese proverb
reflects the religious thought of the people. A German disser-
tation treats this subject: G. Sudau, Die religiöse Gedankenwelt
der Japaner im Spiegel ihres Sprichworts (Leipzig, 1932). The
Japanese Board of Tourist Industry has just issued a hand-
somely illustrated volume of Japanese proverbs edited by Otoo
Huzii.
We note two collections of Malay proverbs, namely, that
of E. S. Hose (Singapore, 1933) and A. W. Hamilton (Singa-
pore, 1927). Maori proverbs are represented by A. F. McDon-
nell, Maori Songs and Proverbs (Auckland, 1923), and R. Firth,
"Proverbs in Native Life with Special Reference to Those of
the Maori," Folk-Lore, XXXVII (1926), 134-153, 245-270. The
native proverbs of Hawaii, which are fast disappearing, have
been treated in two works published by the Bernice P. Bishop
Museum: E. E. V. Collocott and J. Havea, Proverbial Sayings
of the Tongans (Honolulu, 1922), and H. P. Judd, Hawaiian
Proverbs and Riddles (Honolulu, 1930). Some proverbs are
included in the following: L. S. Green, Hawaiian Stories and
PROVERB LITERATURE 43
Wise Sayings ("Publications o£ the Folk-Lore Foundation,"
No. 3; Poughkeepsie, 1923).
In the non-Arabic parts of Africa there has been consider-
able activity in the coUecting and preserving of native proverbs.
Several of these works are by missionaries, who, being close to
the common people, know the value of the populär wisdom
contained in the proverb and realize how its use at once opens
between the native and the foreigner a common basis for
mutual understanding. Here only printed books will be men-
tioned. English, German, and French Journals of anthropology
and folklore contain numerous articles on the proverbs of the
various tribes and peoples of Africa and should be consulted by
those interested, since the few books that have appeared do not
give a true picture of what has actually been done. S. G. Cham-
pion in his recent work Racial Proverbs (London and New
York, 1938) has listed many of these articles. Dr. Champion's
bibliography seems to be quite complete, and the following
titles are intended as a Supplement. Congo proverbs and fables
are treated in detail in a large volume by L. de Clercq, De
Bakongo in hun taal. Spreekwoorden en fabeis (Brüssels,
1939). The best book of the proverbs of Madagascar is that by
Hubert Nicol, Proverbes et locutions malgaches (Paris, 1935).
Dr. Champion has listed the following excellent book incor-
rectly: G. Herzog and C. G. Blooah, Jabo Proverbs from Liberia
(London, 1936).
On the Negro proverb of Jamaica two basic works have
been produced, both of them modeis of thoroughness in form
as well as content; namely: L Anderson and F. Cundall, Ja-
maica Negro Proverbs and Sayings (Second Edition; London,
1927), and Martha W. Beckwith, Jamaica Proverbs (Pough-
keepsie, 1925). H. A. Franck has coUected 468 proverbs with-
out much comment in Dialect Notes, V (1921), 98-108.
The writer is acquainted with a number of important enter-
prises in the field of proverbs which are in progress and should
for the most part appear within the next few years. Space will
permit only a very brief report. The following American
scholars may be mentioned first. Dr. B. J. Whiting of Harvard
44 CORONA
University has ready for publication a cross section of the
American proverb as found in several hundred novels pub-
lished between 1928 and 1938. He is also working on a collec-
tion of the early English proverb up to 1550. Dr. M. P. Tilley
of the University of Michigan is editing a volume of English
proverbs from 1550 to 1700 as part of a Dictionary of Early
Modern English now^ being compiled by a group of professors
at the University of Michigan. Dr. R. S. Boggs and Dr. F. C.
Hayes of the University of North Carolina have been vi^orking
for several years on a historical dictionary of Spanish proverbs.
Dr. R. Jente of the University of North Carolina has ready for
publication an edition w^ith extensive commentaxy of the early
Dutch Proverbia Communia.
Dr. Selwyn Gurney Champion in the Introduction to his
Racial Proverbs has noted several projects, which may be re-
ferred to briefly. The Finnish Literature Society and Diction-
ary Endovi^ment has coUected 1,450,000 proverbs, and the Esto-
nian Folk-Lore Archives over 110,000 Estonian proverbs. On
pages xxvii-xxxiii Dr. Champion has recorded several unpub-
lished collections in various languages without giving details.
One of the most important of these seems to be the manuscript
of Carl A. Bäckström comprising 30,000 proverbs in Sv^edish,
German, French, and English, which the collector presented to
the Royal Library in Stockholm in 1928. This together v^^ith a
manuscript coUection also deposited in the same library by
K. Strömbäck over fifty years ago w^ill, w^e hope, attract a
competent editor.
The man in whose honor this testimonial volume is pub-
lished by his pupils, friends, and admirers, Dr. S. Singer, has
for years had a deep interest in proverbs. Among his v^ritings
there are several that treat the early Swiss proverb. We have
also been informed that Dr. Singer now has almost completed a
manuscript of voluminous proportions that brings together the
entire body of medieval and early vernacular proverbs of
Western Europe. We trust that the publication of this work
may be assured at an early date.
EIN LOBSPRUCH VON EIM SCHIESSEN ZU
AUGSPURG 1509
FRIEDRICH c. SELL, Harvard TJniversity
IN DER erlesenen Sammlung von Erstausgaben der deut-
schen Literatur, die Curt von Faber du Faur zusammenge-
bracht und vor kurzem in Harvard aufgestellt hat, befindet
sich ein sehr merkv^^ürdiger Pergamentband aus dem 16. Jahr-
hundert. Er enthält verschiedene Schriften, die sich auf die
Schützen- und Volksfeste jener Zeit beziehen und geeignet
sind, ein neues Licht auf eine Literaturgattung zu v^^erfen, die
meist nur im Zusammenhang mit Fischarts Glückhaftem Schiff
von Zürich gew^ürdigt w^ird: die Pritschmeisterdichtung. Es
sind vier Pritschmeistersprüche und zwei Berichte über "Glücks-
häfen," d. h. Lotterien, die bei Gelegenheit der Schützenfeste
abgehalten wurden. Drei von den Pritschmeistersprüchen sind
seltene Drucke: Lienhart Flechsels Spruch von dem Wiener
Schiessen 1563,^ Kaspar Lerffs Spruch von dem Regensburger
Schiessen 1586" und Heinrich Gerings Spruch von dem Stutt-
garter Schiessen 1560,^ der vierte Spruch jedoch ist eine Hand-
schrift vom Ende des 16. Jahrhunderts, die hinter den Drucken
eingeheftet ist, der "Lobspruch von eim Schiessen Zu Augs-
purg: A° 1509."
1. Noch ein weiteres Exemplar dieses Druckes ist bekannt (Mayer, Wiens Buck-
druc\er geschickte, I, 8i, Nr. 397) ausser der Handschrift, welche A. Camesina 1875-
76 abdruckte {Blätter des Vereins jür 'Landes\unde für Niederösterreich. N. F.,
9.-11. Jahrg.)
2. Von diesem Druck sind drei weitere Exemplare vorhanden, in Berlin, Nürn-
berg und München. Vgl. Goedeke 2. 327.
3. Zwei weitere Exemplare dieses Druckes sind bekannt, eines in Zürich (Weller,
Deutsche Annalen, I, 321) und eines in der Württembergischen Landesbibliothek in
Stuttgart.
46 CORONA
Diese Handschrift ist anscheinend nie gedruckt worden
und bisher unbekannt. Ihre besondere Bedeutung besteht
darin, dass sie den ältesten bis jetzt zu Tage getretenen Pritsch-
meisterspruch wiedergibt.
Wie sie zu Stande gekommen ist, lässt sich nur vermuten.
Die Schrift ist die eines Berufsschreibers, kaUigraphisch und
meist leicht lesbar; von der gleichen Hand sind der in dem
Codex folgende Bericht über den Glückshafen zu Nürnberg
im Jahr 1579 und das Titelblatt des an erster Stelle in den Band
eingehefteten gedruckten Spruchs von Lienhart Flechsel. Der
Schreiber hat also die Zusammenstellung des Bandes über-
wacht, nachdem er den Spruch nach einer geschriebenen, nicht
gedruckten Vorlage kopiert hatte. Das geht aus V. 178 hervor,
in dem er den Namen nicht entziffern konnte und ein Frage-
zeichen setzte. Gesammelt hat die Stücke jemand, der nicht
nur am Literarischen sondern auch am Technischen interes-
siert war, denn der Bericht über den Glückshafen ist lediglich
eine Liste der Gewinner und Gewinste in kaufmännischer
Aufzählung. Ein solches Interesse muss zunächst bei den
Schützengesellschaften gesucht werden; es war um 1600 be-
sonders lebendig, als das Bürgertum sich seines Niederganges
bewusst zu werden anfing. Hans Heinrich Grob, ein Züricher,
berichtet 1602, wie sehr ihn die Schützen drängten, alles, was
er über die vor hundert Jahren üblichen Bräuche und Sprüche
gesammelt habe, zu veröffentlichen.^ Es liegt nahe, einen
Schützenhauptmann oder einen Beauftragten einer Schützen-
gilde in dem Sammler zu vermuten.
Als Verfasser des Lobspruches auf das Schiessen in Augs-
burg nennt sich (V. 281) ein gewisser Hans Werthmann, der
in anderen Quellen Wordtmann heisst. Er war ein Glaser zu
Schwäbisch Hall und übte das Pritschmeisteramt aus.
Pritschmeister waren die Aufseher und Ausrufer bei den
Schützenfesten, die unter vielen Spässen mit Pritschenschlägen
Ordnung zu stiften hatten. Sie verfassten öfter gereimte Be-
schreibungen der grossen Ereignisse, die sie in illustrierten
Handschriften dem Rat der Stadt, in der das Fest stattgefunden
4. Zs.f-d.A., III, 240,
VON EIM SCHIESSEN ZU AUGSPURG 47
hatte, überreichten, um sie dann in einfacherer Ausstattung
drucken zu lassen.
Es besteht in der Wissenschaft Übereinstimmung darüber,
dass der künstlerische Wert dieser Sprüche gering ist, dass sie
aber als Quellenmaterial für die Kulturgeschichte höchst schätz-
bar sind. Aus den unbeholfenen Versen schimmert die saftige
Lebenslust des 16. Jahrhunderts. Was konnten die derben Bür-
ger damals für Feste feiern, an denen alles teilnahm, vom Rats-
herrn herab bis zu den "huren und buben," denen auch ihr
Teil offiziell verstattet w^urde! Was w^urde da an Essen, Trin-
ken und an bunter Prachtentfaltung geleistet! Das Bild der
selbstbewussten Stadtgemeinschaft des späten Mittelalters w^ird
noch einmal lebendig. Gustav Freytag hat seine Schilderung
der bürgerlichen Waffenfeste v^esentlich auf Wolfgang Ferbers
Pritschmeisterbericht über das Coburger Schiessen 1614 ge-
stützt.
Die literarischen Wurzeln der Pritschmeisterdichtung finden
die Fachleute einmal in der Heroldsdichtung,^ dann aber auch
in dem Stadtgedicht, das sich im 15. und 16. Jahrhundert reich
entfaltete.^ Diese Anschauungen beruhen vor allem auf der
Produktion des Königs der Pritschmeister, Lienhart Flechsel,
von dem nicht weniger als 9 Sprüche aus den Jahren 1554-77
erhalten sind, eine stattliche Anzahl, v/enn man bedenkt, dass
Goedeke überhaupt nur 15 eigentliche Pritschmeistersprüche
kennt. Sie sind alle im 19. Jahrhundert veröffentlicht, zum
Teil leider an sehr obskuren Stellen.^ Man kann bei Flechsel
das allmähliche Anwachsen beider Elemente verfolgen. Eine
Schilderung der Feststadt findet sich bereits in dem Spruch auf
das Passauer Schiessen 1555, die Neigung zum Heraldischen in
dem Wappenschmuck, der den Handschriften über die Schie-
5. G. Baesecke, Neudrucke 182, XV.
6. A. Taylor, Studies in German Literary History, p. 122.
7. Heidelberg 1554: K. Wassmannsdorfl 1886; Passau 1555: M. Radlkofer, Verh.
d. Hist. Ver. f. Niederbayern, XXIX, 129 flf. Ulm 1556: G. Vesenmeyer, Württemb.
Vierteljahr shejte f. Landesgesch., 5 H. 4. (Ausz.); Rottweil 1558: J. Ott, Alemannia,
VI, 201 ff.; Stuttgart 1560: L. Uhland, Schrijten, V, 301 ff. (Ausz.); Wien 1563; A.
Carmesina, a. a. O.; Innsbruck 1569; A. Edelmann 1885; Worms 1575: Festgabe zum
ersten deutschen Bundesschiessen in Franl^furt a. M., 1862; München 1577: E. v.
Destouches, Festzeitung für das 7. deutsche Bundesschiessen, 1881 (Ausz.).
48 CORONA
ssen zu Heidelberg, Ulm und Stuttgart beigefügt war. Beide
Elemente sind vereinigt in der auffallenden Einleitung zu dem
Bericht auf das Wiener Schiessen 1563, die erzählt, wie der
Dichter auf einem Spaziergang in einem wunderschönen Wild-
park eingeschlafen sei und von einem herrlichen Rosengarten,
den ein Adler hegte und schützte, geträumt habe. Ein Herold,
"den man nennt ein Parsifandt" habe ihn geweckt und den
Traum gedeutet: der Garten ist Wien, wohin das grosse Büch-
senschiessen ruft. Und nun folgt eine Beschreibung der Stadt.
Eine derartige Einkleidung war in der Dichtung seit dem 14.
Jahrhundert recht beliebt,^ bei Flechsel erscheint sie hier zum
erstenmal; sie ist aber nicht, wie man bisher annahm,
originell,® sondern ein glattes, vielfach wörtliches Plagiat aus
Hans Sachs' Lobspruch auf Nürnberg (1530). Die literar-
historische Frage ist nun die, ob diese Neigung zum Heraldi-
schen und zum Stadtgedicht von Lienhart Flechsel aufgebracht
wurde oder ob sie auch vor ihm der Pritschmeisterdichtung
eigentümlich war. In diesem Falle müsste sie sich in früheren
Sprüchen nachweisen lassen. Dafür kommen nur zwei Berichte
in Frage. Der eine ist der Spruch auf das Joachimstaler Schie-
ssen 1521,^" verfasst von Hans Lutz. Das war — was Baesecke
noch nicht wusste — der Vater von Lienhart Flechsel,^ ^ ein
heruntergekommener Kürschner, der sich als Söldner und ge-
legentlich als Pritschmeister durchbrachte. Im Dienst ver-
schiedener Herren hat er es gelegentlich zum Herold gebracht,
verfasste auch geschichtliche Tatsachenberichte und nannte
sich stolz "Ernholt des Römischen Reiches." Das hat sicher
auf seinen Sohn Eindruck gemacht. Wenn irgendwo, so
müsste bei Hans Lutz die Tendenz zum Heroldmässigen sich
finden. Das ist jedoch nicht der Fall. Anders sieht es mit dem
Stadtgedicht aus. Dreissig Verse der Einleitung des Lutzschen
Spruches beschäftigen sich mit der Geschichte von Joachimstal.
Das hat seinen guten Grund. Die Stadt war nämlich erst vier
Jahre vorher gegründet worden und das Schiessen wurde vom
8. A. Taylor, Literary History of Meistergesang, p. 123.
9. Radlkofer, a. a. O., 136.
10. R. Wolkan, Böhmens Anteil an der deutschen Literatur (1892), II, 57.
11. Fr. Roth, Oberbayr. Archiv für vaterländische Geschichte, LXII, 96 ff.
VON EIM SCHIESSEN ZU AUGSPURG 49
Rat veranstaltet, um Publikum anzulocken, "das sy darmitt in
ein Handel kemen." So ist die Stadtgeschichte mit dem Schie-
ssen logisch und ungezwungen verbunden. Die Stadtbeschrei-
bung bei Flechsel ist wahrscheinlich stärker als von seinem
Vater von Hans Sachs beeinflusst. Dieser hat ausser auf Nürn-
berg auch einen Lobspruch auf Salzburg 1549 verfasst, und das
ist die einzige Stadt in der Nähe von Flechsels Heimat, die laut
William Hammers Liste^^ zwischen 1530 und 1555 auf deutsch
besungen wurde. Der Spruch des Hans Lutz ist reich an an-
schaulichen Einzelheiten, jedoch um die Hälfte kürzer als die
Gedichte seines Sohnes.
Die zweite zeitlich noch frühere Pritschmeisterdichtung
vor Lienhart Flechsel, die existiert, ist Hans Werthmanns
nachstehend abgedruckter Spruch; anderes Vergleichsmaterial
steht nicht zur Verfügung.
Über das Fest zu Augsburg sind wir historisch gut unter-
richtet durch die Augsburger Chroniken von Clemens Sender,
Wilhelm Rem^^ und Achilles Pirmin Gasser^^ sowie durch die
offizielle Einladung, die in einem an den Rat der Stadt Fried-
berg gesandten Exemplar erhalten ist.^^ Dieser Reichtum an
Quellen ist kein Zufall, denn das Augsburger Schiessen war
das grösste und prächtigste seiner Art, das je gehalten wurde:
es kamen 1452 Schützen zusammen und es dauerte vom 5. Juli
bis zum 26. August ! Die Mehrzahl der von Lienhart Flechsel
später verherrlichten Schiessen sah weniger als 200 Schützen
und nur eines wies 500 Besucher auf. Werthmanns Bericht ist
für unsern Zweck sehr aufschlussreich, aber weniger durch
das, was er sagt, als durch das, was er verschweigt. Er erwähnt
nichts von dem Ausschreiben des Rats, in dem so ausführliche
Einzelheiten mitgeteilt werden, dass ein moderner Reporter
schon daraus allein seinen Bericht herstellen könnte. Nichts
wird gesagt über die Wahl der Schiedsrichter und ihre unge-
wöhnlich grosse Zahl, und gerade so etwas war ein beliebter
Gegenstand in den späteren Pritschmeisterdichtungen. Nichts
12. W. Hammer, Latin and German Encomia of Cities (1937).
13. Chroniken der deutschen Städte, XXIII, 122 ff. = DStChr.
14. J. B. Mencken, Scriptores Rerum Gertnanicarum (1728), i, 1747 f.
1^. Alemannia, XVIII, 193-201. = Einladung.
50 CORONA
auch über den bedenklichen Zwischenfall, der sich dabei ereig-
nete und viel böses Blut machte. Dr. Conrad Peutinger näm-
lich, der berühmte Humanist, war der Vertreter des Rats, aber
er "verstuend sich nichtz auff das schiessen und wollt doch vil
ausrichten."^ "^ Er schlug, was ungebräuchlich war, selbst die
Kandidaten für das Schiedsrichteramt vor und überging dabei
die bayerischen Städte, Darüber waren die Bayern so erbost,
dass sie zuerst heimziehen wollten. Aber "es ward niderge-
stillt." Werthmann übergeht die amtliche Inspektion der Bol-
zen, die Hans Lutz z. B. ausführlich beschreibt, ebenso den
feierlichen Aufzug, der schon im Ausschreiben angekündigt
war. Auch dem zahlreichen Adel, der im Gefolge des Herzogs
von Bayern erschienen war und sich alle Preise in den sportli-
chen Wettkämpfen, dem Laufen, Springen und Steinstossen
holte, schenkte er wenig Beachtung, ein Zeichen dafür, wieviel
bürgerliches Selbstgefühl im Anfang des i6. Jahrhunderts noch
vorhanden war. Am Ende des Säkulums hatte es höfischer
Servilität Platz gemacht. Diesen Wandel zeigen die Pritsch-
meisterberichte deutlich: noch 1521 wurden Fürsten und edle
Herren genau so gepritscht und lächerlich gemacht wie ge-
meine Bürgersleute, wenn sie Fehlschüsse getan hatten. Sender
erzählt, dass in Augsburg 1509 sogar der Ehrengast, Herzog
Wilhelm von Bayern, "gepritzot wurde und 4 vor ihm und
wohl 10 nach ihm." Indessen meldet Werthmann hiervon
nichts, ebensowenig von anderen komischen Vorfällen und
Veranstaltungen, dass z. B. unter den vielen Wettkämpfen auch
ein Wettlügen um einen Hahn war, und dass der Hauptgewinn
aus dem Glückshafen ausgerechnet auf einen Kanonikus aus
Mainz fiel. Die Schiebung bei dem Pferderennen, von der
Rem erzählt, wird übergangen. Es fehlen die anschaulichen
Einzelheiten, die Einteilung der Schützen in verschiedene Lose,
die Namenverzeichnisse der Gewinner, alles Dinge, welche die
späteren Pritschmeisterberichte ausführlich behandeln. Nur an
die fünf ersten Siegerfahnen und wohin sie gekommen seien,
weiss sich Werthmann zu erinnern.
Die kulturhistorische Ausbeute des Spruches ist geringer als
16. DStChr, XXIII, 122.
VON EIM SCHIESSEN ZU AUGSPURG 51
die der Chronikberichte und der späteren Pritschmeistersprüche,
wenngleich die Tatsachen, soweit berichtet, stimmen. Lebhaft
wird Werthmann nur bei der Schilderung der Festwiese, der
Prachtbauten — der gelernte Handwerksmeister staunte — und
der Veranstaltungen zum Essen und Trinken. Das Lob, das er
der Stadt Augsburg in dieser Hinsicht spendet, ist sicher ehr-
lich gemeint. Haben wir es nun mit einem dürftig begabten
und etwas langweiligen Spiessbürger zu tun ? Ein solches Bild
stimmt nicht mit dem überein, was wir sonst von ihm wissen.
Der Chronist Wilhelm Rem schreibt :^^ "es kam einer her von
Schwäbischen Hall, hies Hanns Wordtmann, der pritschet die
schützen und ander leut, der kund wol darzu singen; warumb
dann ainer gepritschet ward, wann man im die mainung ain
wenig sagt, so kund er es von stund an dichten, dergleichen
nie gesehen oder gehört was. die statt hie schanckht im ain
klaid und 14 fl. und gab im ainen fanen, und stuend 14 gülden
daran gemalet, und ain pritschen." Eine Persönlichkeit also
von übersprudelndem Humor, der sich ganz im Moment
verausgabte. Und darum vielleicht fehlt der Witz in dem
Bericht! Der Meister hatte ihn schon ausgelassen in den Stau-
nen erregenden Sprüchen, die er beim Pritschen improvisierte.
Hans Sachs hat "etliche Pritschengsang" dieser Art gedichtet,^^
sie waren — am Schreibtisch ersonnen — formal sicher besser
als das, was Hans Werthmann im Augenblick produzierte,
aber mögen einen Anhalt geben, wie etwa Werthmanns
Scherze lauteten.
Dies besondere Talent des Pritschenmeisters gibt aber nun
den Schlüssel zum Verständnis unseres Berichts. Er macht
zweifellos einen ungeordneten und flüchtigen Eindruck.
Nach der Beschreibung des Büchsenschiessens will der Ver-
fasser seine Rede beschliessen, ohne erst die Sieger aufzuzählen,
und nach den letzten Empfehlungen an den Rat, der üblichen
Bitte um einen Zuschuss zu dem versprochenen Lohn, dem
Versprechen, seinen Bericht dem Dr. Peutinger zu geben,
nimmt er Urlaub, denn seine Schützen wollen alle davon und
er will mit ihnen heim nach Schwäbisch Hall ziehen. Er
xT.DStChr, XXIII, 123. 18. Hans Sachs, XXII, 487.
52 CORONA
schliesst feierlich mit der Formel, die doch nur am Ende einer
Dichtung gebraucht wird: "spricht Hanß werthmann glaser
Zu schwebisch Hall." Und dann auf einmal fängt er von
neuem an und zählt im Widerspruch zu dem Vorhergehenden
auf, wohin die Preise im Büchsenschiessen gekommen seien.
Eine solche Pause mit einem Wiederbeginn ist auch V. 247/48
vorhanden und dem Schreiber durchaus bewusst gewesen,
denn er hat sie durch einen langen Strich markiert. Unord-
nung und Widerspruch lassen sich erklären, wenn man den
ganzen Bericht als eine Improvisation auffasst, die noch ehe das
Fest zu Ende war, notiert und vorgetragen wurde. Für diese
Annahme sprechen verschiedene Umstände. Die Anrede an
das Publikum klingt viel weniger formelhaft als z. B. Flechsels
stereotype Wendungen: "Hört ir herren Frawen und man."
Die Sprache ist arm an Variationen, ebenso die Reime. Ein
Viertel aller Verse reimt sich auf -an : han, verstan, than, Fahn,
daran, man, Plan, lan. Die Reime sind besonders eintönig von
V. 180 bis 247, wo über Preise und Gewinner gesprochen wird,
einen Teil, den der Improvisator nicht lange vorher überlegen
konnte. Eine Vorbereitung wäre denkbar bei der Schilderung
der Zurüstungen, und dies ist vielleicht der Grund, warum
diese so umfangreich ausgefallen ist. Freilich hätte Werth-
mann auch den Rest in den langen Wochen, die das Fest
dauerte, etwas eingehender überlegen können, aber wir wissen
ja, er war ein übermütiger Bursch, den der freie Ausschank
von Wein und Bier und seine Pritschergeschäfte zu keiner
literarischen Vorbereitung kommen Hessen.
Alle diese Argumente werden aber erst beweiskräftig durch
die Verse 248/49: "welcher den Pesten Fahn thett gewinnen
das werdet ir o n mich wol innen." Das kann man nicht
einem Leser sagen, der garnicht dabei war, sondern nur einem
Publikum, das am Schiessen teilnahm. Man könnte an die
Ratsherren denken, denen er durch Peutinger später den
Spruch auch schriftlich zukommen lassen will, oder an Zu-
hörer bei einem Bankett, die vielleicht die im Saal aufgestellten
Siegesfahnen vor Augen hatten. Ein solches Publikum kannte
ja auch bereits seine Spässe, so konnte er sie nicht wiederholen.
VON EIM SCHIESSEN ZU AUGSPURG 53
Es ist auch verständlich, dass er nichts über die GeistUchkeit
oder den Rat sagte, dass er so wenig Namen aufzählte und die
wenigen, die er behalten hatte, nur nach dem Klang zitierte
(V. 200, 319). Anscheinend waren die Zuhörer mit diesem
summarischen Verfahren nicht zufrieden, so dass Werthmann,
nachdem er Abschied genommen hatte, noch einmal anfangen
und wenigstens die Städte aufzählen musste, wohin die Preise
im Büchsenschiessen gefallen waren. Oder aber er fügte diese
Liste erst später seinem schriftlich niedergelegten Bericht
hinzu. Sie ist jedenfalls nicht im Augenblick improvisiert, da
sie nicht etwa die Sieger nacheinander aufzählt, wie ein Im-
provisator auf Grund eines Verzeichnisses hätte tun können,
sondern die Gewinste sind nach Städten zusammengefasst;
daher springt die Numerierung der Preise von 8 auf 11, von 12
auf 14, 16, 18, von 20 auf 26. Die dazwischenliegenden Städte
sind schon erwähnt. Das ergibt der Vergleich mit der von
Sender mitgeteilten Siegerliste, von der Werthmann nur an
drei Stellen abweicht. So etwas muss vorher auf dem Papier
ausgerechnet werden. Das nimmt aber dem Vorhergehenden
nicht den Charakter der Improvisation.
Wenn man Werthmanns Spruch als typisch auffassen
dürfte, so wäre damit bewiesen, dass die Pritschmeisterdichtung
sich weder an die Heroldspoesie noch an das Stadtgedicht
anlehnte. Erst mit Lienhart Flechsel wäre dann bewusst die
Wendung ins Heraldische eingetreten. Mit Sicherheit lässt
sich dieser Schluss jedoch nicht ziehen, denn wenn auch Werth-
manns Spruch der älteste uns bekannte ist, so bedeutet das
nicht, dass er der älteste seiner Gattung war. Zum mindesten
aber zeigt er, dass die naive Reimlust der Kleinbürger ohne
literarische Beziehungen wenn nicht die einzige, so doch
eine Quelle der Pritschmeisterdichtung war.
54 CORONA
EIN LOBSPRUCH VON EIM SCHIESSEN ZU
AUGSPURG: A° 1509:
WoUett ihr mirß nit für vbell han,
So will ich ein Klaines Hoffrecht than,
vndt wills mit Kurtzen wortten bschliesßen
ich will euch sagen von dem schiessen
5 welchs man hatt außgeschriben Zwar,
Da man Zehlett 1509 Jar:
Man hatts manchem Schützen Kunth gethan
Da ich dasselbig wardt verstan
macht ich mich auff Zur selben Zeitt
10 nam mitt mir Prittschen vndt trumscheitt
Da will ich yetzt nit vil von Sagen
man hatt mich da wol hören schlagen
Ich kam gen Augspurg in die Stadt
Da man mich erlich empfangen hatt,
15 von Stund an wardt mir ein bescheidt
gab mir die Prittschen, schenckhet mir ein Claidt
vndt auch dartzu den Prittschen Fahn
auch gar ein Erliche gab daran
Alß ich hinauß gieng auff dz feldt,
20 Zelett ich 100 Hütten vndt 20 Zeltt:
Da kam ich auff die Rosenaw
Sähe ich den AUerschönsten Paw:
Ein Hütt waß im Zirrkl außgemesßen
dar mancher schütz ist druntter gsessen
25 die maß ich an dem Anfangkh
war vierthalb hundertt schritt Lang
die mitt dem ArmPrust gschossen han
warn vuerhundert vndt 40: solt ir verstan
Nach dem gieng ich weitter hinein
30 da sähe ich den hupschtesten SchießRäin
der war gemachett allso Schnell
vnde gleichett wol einer schönen Capell
2 Hofrecht = Vergnügen.
10 Trumscheit: "ein musikalisches Instrument, welches aus dünnen Brettern zusam-
mengesetzt, in die Länge zugespitzt, und oben mit Einer oder auch wohl mehre-
ren Saiten bezogen ist, welche mit einem Bogen gestrichen werden, da es denn
den Klang einer oder mehrerer Trompeten nachahmt . . ." Adelung 4,709.
21 Sender: "ain rat hat in der Rosenaw vil zeltten auflgericht, daß es in die ferde
hat gesechen wie ain stat und da keller graben."
24 Es wurde Vorsorge getroffen, dass auch bei schlechtem Wetter geschossen werden
konnte.
VON EIM SCHIESSEN ZU AUGSPURG 55
wie er auff dem feldt da stath
vndt vier schöner errkher hatt
35 auch der Stadt Färb daran
auff yedem errkher steckhet ein fahn
vndt gesetzet nach der Mensur
Zwischen yedem errkher stundt ein vhr,
die warn gemachett also klucg
40 yedhche die drey virtell schlug
Zu letzt fing sie Zu laufiEen an
darmitt warnett sie yederman
So halt sie aber gar liefif ab,
Da fiel ein tarttschen oben herab
45 die bedeckhett die Poltz schier alle sam
da fiengen die schützen Zu Lauflen an
auch sähe ich aufl demselben Plan
den AUerhübschten Prunnen stahn
der Zierett dz schiessen am Pasten
50 vndt lieff frey in ein hülczen Kasten
den sähe ich auß dermasßen gern
er hett sex hübsche messene Rören
Zwo gegen dem himel springen
da lugt ich weitter nach den dingen
55 Sähe ich noch sechs Prunnen stahn
die haben die Hern alle machen lahn
da Kam ich für die hutten auß
Sähe ich daß Schöneste dantz hauß
welches die herrn gebawen haben
60 ein hübschen Keller darunter graben
darinn hatte man wein, keeß vndt Prott
33 Sender zählt 549, Gasser 544, Rem 536 "armbrostschützen und waren dannoch
vil wider wegkgezogen, daß sie besorgten, es gieng zu lang zue."
37 nach dem Maß, d. h. senkrecht.
42 Es mussten 42 Schüsse auf eine Scheibe abgegeben werden (Einladung Z. 26),
offenbar in einer bestimmten Zeit, die durch den Ablauf der Uhren angezeigt
wurde. Am Ende dieser Zeit fiel ein Schild (Tartsche) herab, das die Bolzen
innerhalb der Scheibe bedeckte. Die Vorrichtung wird genauer beschrieben von
Caspar Lerff in dem Bericht über das Schiessen in Regensburg 1586.
58 Rem: "Man hett vil hutten und zellt auffgeschlagen, man het ein grossen ror-
kasten und sonst 6 rorkasten und ain tantzhaus und ain grossen weiten keller
darunder. da hett die statt in welschwein, rott und weis, und Necker und
schwabacher pier. Und wer in keller gieng von erberen leutten oder frembden
leutten, dem gab man zu trincken, wein oder pier, was er wollt, und man
schanckht den schützen alle tag in die hutten welschwein, kes und prot genug,
aber kain pier schanckht man; welcher schütz pier haben wolt, der gieng in der
stat keller, so gab man ihm, was er wolt, ich hab dergleichen schiessen so herlich
nie gesehen oder hören sagen, daß kain solch schicssen nie gewesen sei."
56 CORONA
ein Feine Speiß Camnier darinnen statt
Es kam darein weyb oder man
den hatt man Alln grosse ehr gethan:
65 Mitt Neckhar, Reihn, vndt welschem wein
vndt allen schützen, die da sindt gsein:
denet thett man rath, nach Allen ehrn:
Ich lob Zu Augspurg die weissen Herrn
da thett man Keinen Costen sparn:
70 alle die schiessen, so ich hab erfahren:
die sindt gegen diesem schiesßen nihtt:
er (!) war alles Cöstlich zu gericht:
daß will ich für ein warheit Jehen.
Stadtlichers schiessen hab ich nie gesehen.
75 Ich stundt da bey dem Keller bßunder
der Costliche Paw, der nam mich wunder
So man dasselbsten hatt gethan
sollte dz in ewigkeit bestan:
So war es doch gar wol besonnen
80 da sähe ich ein Radt, dz trieb den Prunnen
daß hett auß dem grundt sein gang:
der welbaum war fumpftzig schue Lang:
die Prunnen daruon ich hab gesprochen
Braucht man Zu trinckhen vndt zu Kochen
85 vndt küellett auch darin den wein
wann sie auß der Massen Kaltt sein.
Auch sähe ich au£E dem selben Plan,
gar ein höflBichen visch Kasten stan
den hatt Sixt Pfefferlein Pawen Lan
90 Welcher da gutte visch wolt Kauffen
dorfft nicht darumb in die Stadt Lauffen
Zway Wasser lauffen vmb den Plan:
wertach vnde Sinckell soltt ir verstan
auch sähe ich an demselben Pach
95 gar vil der haimblichen gemach:
Manß auch solches allen Zu wissen thon
die hatt, den schützen Pawen Lohn
Auch stundt am selben wasser fein
ein Hauß da legt man in Haffen ein
100 da war Funffzig gülden dz Pest
welcher aber gern west
89 der Zunftmeister der Fischer.
99 Der Glückshafen wurde als besondere Belustigung aufgefasst, "ne quid jocosi
deesset" bemerkt Gasser. Es waren 21 Gewinne im Wert von 50 bis i Gulden
ausgesetzt (Einladung Z. 77).
VON EIM SCHIESSEN ZU AUGSPURG 57
waß sonsten dasselbsten gewesen sey,
von golttschmidt vndt von Kramerey
von gülden Hauben vndt seyden Portten
105 da w^ar ein gass Zu Paiden ortten,
mitt hübschen Kramen wol getan:
auch sähe ich ein güldenes w^exel stan:
Alß ich yetzunder hab vermeldt.
dasselbst warn auch ettlich Zeltt
iio da warf? man durch den trichter ein
die Röhrn so weit gewesen sein
daß roß vndt Achs dardurch sein gfallen
bey disen dingen war ich allen:
da brauchett ein yeder seinen fleiß
115 einer war ff schwartz der Ander weiß
mancher verwarf? all sein geldt vndt Petth:
welcher dz schiessen gesehen hett.
auch will ich für ein warheit sagen
Es fiel einem durch, Roß vndt wagen:
120 So warn auch gerüstet hütten vndt Zelt
alß wann ein Fürst gelegen wer Zu feldt
woltt einer Zwagen oder Parbieren lan:
Daß fandt er alles auf? disem Plan:
Essen, trinckhen, oder Leben im Sauß
125 auch fandt man schöne Frawen drauß
wie es die herrn außgeschriben han
daß wurdt voUendett, solt ir verstan:
mit Leggeldt vndt Allen gewinneth frey:
Ich main, dz nie Keinß gewesen sey,
130 da man hab braucht ein solchen ratt,
alle tag mit keeß, wein vndt Prott:
dann da wurdt gsättigt yederman:
man trug mit wannen wider daruon
waß den schützen war vber gebliben:
135 wirtt dz niht in ein CronicKh geschribn:
So gönntt man den von augspurg nit ehr,
dann deßgleichen sähe ich nie mehr
man schenckett in Alle herberg den wein
allen schützen die dar kommen sein
140 den wein hab ich vberschlagen.
Eilff hundertt Kantten hörtt ich sagen
ohn Andere ehr, die man hett thon:
die Zumpft haben sie Alle Laden Lohn:
Ein yedliches Handwerkh besonder,
107 Vorrichtung für ein Glücksspiel, vermutlich das, was Sender "scholder" nennt.
58 CORONA
145 ab solcher ehr thett ich mich verwundern
man Nam von Kaim, Kein Pfenning nitt
es wardt alleß Costfrey außgericht
Disßen allen, sag ich Danckh vndt ehr
Wann ich selbst so vermöglich wer
150 woltt ichs verdienen Zu der Frist
Hörtt waß für schützen da gewesen ist:
daß thue ich euch allen beckhantt.
Hertzog wilhelm auß Payrlandt
auch seine Ritterschafft vndt Hern
155 die thetten Allen vleiß ankheren
mitt schiessen lauffen vndt springen
alß ir werth hören nach disen dingen
die Schützen allsambt in gemain
wie sie dann vorbegriffen sein
160 Kan ich nitt yeden in sonder erklern
da waß vil ritterschafft vndt hern
Hertzog wilhelm hatt da verehren than
vier hirschen, den Schützen allesam,
die schenckhett er in die vier Loß:
165 da huob sich an ein gsellschafft groß
vndt thetten seiner gnaden danckh sagen
die von Augspurg thetten Auffschlagen
Ein Zeltt, alß ich hab gesprochen
da thett man Pratten sieden vndt Kochen
170 vndt Lebt da yederman im Sauß:
auch furrn vil schöner frawen hinauß
Die waren alle geschmuckhet schon:
Deßgleichen ich kaum gesehen han:
da wurdt die Kurtzweil alle gantz
175 vndt fieng sich an ein schöner dantz:
dz hatt man Zum offtermal gethan:
auch Rennett man scharpff auff disen Plan
147 Es war üblich, dass die Schützen selbst für ihr Essen bezahlten. "Der Koch
thett niemants da vergessen, Vmb geld gab er aym yedlichen sein essen," berich-
tet Lienhart Flechsel vom Büchsenschiessen in Passau (V. 343). In Augsburg
wurde eine Ausnahme gemacht. Gasser hebt es besonders hervor, dass der
Rat die Gäste zum Vesperbrot "Cereris et Bachi muneribus" ehrte, und dass
überdies alle zugereisten Handwerksmeister von ihren Zunftgenossen zu statt-
lichen Banketten eingeladen wurden.
162 Sender: "Desselben tags schanckt hertzog Wilhalm den schützen 4 hirß, jedli-
chem viertail seinen besundern hirß. also schanckten die schützen die 4 hirß
den bürgermaistern; die luden die schützen des andern tags alle und ire weiber
und gaben inen ain under (= Zwischenmahlzeit) mit pfeif er und bratten und
wein, keß und brots genug."
VON EIM SCHIESSEN ZU AUGSPURG 59
Hannß thummer von Nürnd? war gerüstet fein.
Zimbrecht Lieber von Augspurg trib geglichen ein
180 daß da lagen beyde Roß vndt Man:
da man dz Schiessen hett halb gethan
da hatt man die Roß laufiFen lan
Vmb 40 fl ,dz war ein Schewer
noch warn da, drey Abenthewr
185 Zwen Pecher vndt ein Schwein
noch Zwey lauffen gewesen sein
vmb Zvv^ey Parchett soltt ir verstan
da ließ man lauffen fraw vndt Man
die helfen alß ich han gemeldt
190 geschehen aufl dem Lechfeldt
alß ich euch für ein warheit sag
Am achten nach St. vlrichs tag:
Hatt man die schützen Lauffen Lan
daß war vier gülden, vndt ein Fahn:
195 am dritten tag in solcher massen
thett man Springen vndt stain stosßen
Es war yedlichs vier gülden frey
welcher der Pest gewesen sey
am lauffen vndt dem Springen
200 dem Hrn von Schmitta thet gelingen
der gewan da die Zwen fahn
da nun dz Schiessen auß wardt gähn:
hab ich mit fleiß in acht genomen
daß Pest ist gen Freysing kommen
205 das ander hatt man gen Schongaw glan
dz dritt ein Haffner Zu Augspurg gwan
dz war ein hübsch vergülter schewer
179 Sender: "Darnach randt Simprecht Lieber mit dem Dumer von Nierenberg
scharpf, und randt der Lieber dem Dumer sein pferdt durch das plindt tuch."
182 Die Einladung (Z. 60) verheisst, dass am Ende jedes Schiessens ein Pferderennen
stattfinden solle, am 11. Juli zuerst "das geranne mit den buben."
183 Schewer :^ Pokal.
184 Abenthewr = Gewinst.
185 Einladung Z. 61: "Item für Sechs guldin. Item drey guldin: vnd eine gemeine
saw."
188 Einladung Z. 72: "Wir haben auch zu yedem Rennen den lauffenden knechten
und gesellen auf fünfhundert schritt und den Lauffenden diernen vnd frawen
auff zweyhundert schritt yeder parthey ein Barchandtuch verordnet." Diese
Belustigung berücksichtigte die nicht "ehrbare" Gesellschaftsklasse, die vom
freien Weinausschank ausgeschlossen war. Sender: "Es sind auch huren und
buben geloffen."
200 Bei Sender heisst er Freiherr von Schmiechen, bei Rem von Schmiechow, "was
ein Behem."
6o CORONA
Er gewan noch ein Abentheur
die golttschmidt legten auff ihn ein
210 Soll neuntzig gülden werth sein
man gab ihm seinen theil daruon
vndt schenckhten den Knechten i fl Zu Ion
dz viertt, dz ist gen Lindaw komen:
dz fünfft hatt einer Zu Augspurg gewonnen
215 Zu Augspurg blieben wol Ailff Fahn
die andern hatt man hinwegkh gelahn
Es warn gar hübsche abentheur:
von Pecher, Köpffen vndt von schewer,
man gab einem yeden sein gewinnett oder geldt
220 wie man im Außschreiben hatt vermeldt:
Daß Armprust schiessen ich beschlossen han
da fing dz Füchsen schiessen An:
alß ich erzelen will vndt sag
Kürtzlich nach St: Jacobus tag
225 da schrieb man die schützen Alle an:
Neun hundertt vndt 40: solt ir verstau:
deß sag ich den von Augspurg ehr,
Sie richteten auf? ein scheuben mehr:
dann sie vor außgeschriben han:
230 darmit wardt befordertt yderman:
Den Achten tag solt ir verstau:
Hatt man Abermalß Rennen vndt Lauflen Lan
die schützen lieffen alß ich sag
vndt geschach an St. Laurentzen tag:
235 Der ist von Augspurg auß der Stadt
der dz Pest im lauffen gwonnen hat:
Er strich weitt für, ihnen Allen ein,
vndt haisset steffan Zwingenstein
Ihm thett hernach aber gelingen:
240 er gewan ein Pecher an dem Springen
Man hatt aber noch ein Springen than
dasselbig einer von Sali gewan
darnach thett man den stain stosßen
daß gewan einer von Aidtgnossen
214 Sender zählt noch weitere 30 Städte auf, Rem fügt die Namen der Gewinner
und die Zahl der Schützen hinzu.
224 26. Juli.
227 Sender zählt 918, Rem 916 Büchsenschützen, ebenso Gasser.
232 Einladung Z. 66: "Rennen mit gesattelten Pferden: vnder dem lascht (= Bela-
stung)." Rem deutet eine Schiebung an, man habe die Last in diesem Handicap
ungewöhnlich gering, nämlich zu iio Pfund, angesetzt, dem offenbar sehr
leichten Hanns Baumgartner zuliebe, der schon das erste Rennen gewonnen
hatte. Schliesslich ritt er aber garnicht mit.
242 Rem S. 126: Hans Jacob vom Sali vom Wintcrthaur.
VON EIM SCHIESSEN ZU AUGSPURG 6i
245 Man hatt auch damals Kugeln Lon:
Daß Pest war Sechs gülden vndt ein fahn:
Darmitt will ichs beschlossen han:
Welcher den Pesten Fahn thett gewinnen
dz werdet ihr on mich woU Innen
250 vndt bitt euch Hrn Allesam
Ir wöUett mein Dienst für guth han
den ich gebrauchett hab biß hirher
wo ich aber vnfleissig gewesen wer
daß were mir von Hertzen Leidt
255 dann ich bin willig vndt beraitt:
yetzt vndt Zu Aller Frist:
den Soltt der mir versprochen ist:
den hab ich verzertt biß hieher
Nun ist mein fleissige Pitt vndt beger
260 ir wollet mir ein Verehrung than
So will ich machen ein Prittschen fahn:
vndt den mitt mir haim tragen
vndt ewerer weißheit grossen danckh sagen:
Ein kleine Übung hab ich than
265 Die will ich euch Zur letzt Lan
vndt sag grosßen danckh meinen herrn
wo sie hinfur mein thetten begern:
Es wer gleich früe oder Spatt
wann man mich dz wissen lath
270 Es sey Zu ernst oder Zu schimpf!:
So thue ich es, mit fug vndt glimpflE
Nun will ich ein freundlichs vrlaub han:
dann mein schützen wollen All daruon
So gehe ich auch mit ihn gen Hall
275 darmitt gnade ich meine Hrn All
Darbey will ichs nun lassen stan:
wan dz schiessen auß wirtt gähn:
Beschleuß ich disen spruch gar eben:
vndt will ihn dem doctor Peuttinger geben
280 So wirdt er meinen Herrn All
Spricht Hanß werthmann glaser Zu schwebisch Hall:
Nun merckhett weitter ohn all verdrießen
wer da gewan am Püchsen schiessen
die von Augspurg haben 8 fahnen frey:
285 dz Pest vndt auch den Krantz dabey
245 Einladung X. 73: "Wir haben auch zum Keglen yedes vermeldten Schiessens
verordnet fünff kleinat vnd gauben." Sie galten 6, 5, 4, 3 und 2 Gulden
(Rem).
62 CORONA
Zwen Fahnen kamen gen Lindaw schon
dz ander vndt sonst noch ein Fahn
dz dritte kam gen Memmingen ein
vrach dz nam Zwey fähnlein heim
290 dz sechste ist gen vlm kommen
mitt vier fahnen hab ich vernomen
Daß Sibentt hatt Fridtberg mit gewaltt
dz Acht, hatt Zu Pfortzheim sein Auffenthalt
dz Ailfift ist kommen gen schwatz
295 mitt andern Zwen fahnen ohne tratz
dz Zwölfft ist kommen gen Hall
Mitt Zweyen Fahnen in dz Inthal:
Ein fan der kam gen düncklspüel
Zwen fahnen gen münchen ohne Zil:
300 Dillingen dz Acht Zehende hatt:
gen Reuttlingen hin mit Allem Rath:
dz neun Zehende ist kommen hin:
Nun merckhett fürbaß meinen Sin:
Schwebischen gmündt hatt auch ein Fahn:
305 Nüremberg, dz bracht Zwen hindan:
Ein fan gen Göppingen kam
dz Sex vndt Zwaintzigst damitt hin Nam:
Lawingen, dz Acht vndt Zwaintzigst gewan
Regenspurg. dz waß auch daran
310 Behueben dz 29: st mitt schall
dz drey vndt dreissigst kam gen St: Gall:
Daß ligt in schweitz in schneller Farth
dz viervndtdreissigste, hatt Studtgartt
die sach, die laß ich bleiben schlecht
315 Junckher Popiliuß von stain Knecht
der hatt ein ritterschuß gewonnen
Noch einß, deß hab ich mich beßunnen
Auch wo der weyttest Fahn hinkam
Einer von Offen ihn da Nam:
320 darbey will ichs verbleiben lahn
Gott wolle vnß allen beystandt than:
En n d e :
316 Sechs "Ritterschüsse" mit Preisen von 6 bis i Gulden waren bestimmt für
diejenigen, die gar nichts gewonnen und auch in kein "Stechen" gekommen
waren. Jeder durfte nur einen Schuss abgeben, wer "zu dem Nagel allernechst-
hin" traf, hatte gewonnen (Einladung Z. 17).
318 Einladung (Z. 13) verspricht "dem/oder denen/ so zu yeden obgemeldten
Schiessen am ferresten her komen zwen guldin."
319 Offen ^ Ofen = Buda-Pest. Gasser: "Qui autem remotissimo loco inter hos
venerat, e Buda Ungariae metropoli erat, Ulrichi Aschawerus vocatus." Von den
Armbrustschützen war am weitesten hergekommen ein Pariser "nomine Johannis
Hebeberi."
SON CORS IN OLD FRENCH
ANNA GRANViLLE HATCHER, T/ie Johns Hopkjns Ufiiversity
THE USE of the word "body" to refer to the person-as-
a-whole seems to be a characteristic of Indo-European.
We find it in Latin with corpus, in Greek with soma,
and in many medieval tongues: Old Italian (persona), MHG
(Up), Old Spanish (cuerpo), Middle English (body)} Accord-
ingly, the development of OF cors in the same direction is, in
itself, hardly worthy of note. What is noteworthy, however, is
a special nuance which seems to have obtained with the ex-
pression son cors in OF.^
Now in Order to determine the particular nuance of cors =^
"person," one must of course be sure that the cors in question
does indeed refer to the person and not primarily to his body.
For example, in Mes or vos veil par amors demander Que tu
me soffres ton cors a adouber (BA 4810-4811) do we have to
do with a periphrasis (ton cors = toi), or should the cors be
accepted at its literal value? With a great many of the ex-
amples of son cors this could be a ticklish question: in the
Chansons de Geste son cors is always acceptable as a "Personen-
1. And, according to Grimm ("Kleine Schriften" in Abhandlungen zur Litt. ti.
Gram., III, 265-266), in Finno-Ugrian languages.
2. Tobler has briefly treated this function of OF cors in his article "Umschreibung
der Personenbezeichnung mittels cors" (in V ermischte Beiträge, I, 30-36) in which
he discusses the different circumlocutions by which a person could be designated in
OF. Though, as his title suggests, he is mainly concerned with the use of cors in this
connection, he also considers such terms as personne, char, chies, membres, jotwente,
nom, afaire, fait, which could also be used in forming a periphrasis for the personal
pronoun. After listing examples of all these forms, he states that the connotation
which they all shared in common was an emphasis on the person-insofar-as-he-is-
distinguished-from-others — that is, a demonstrative emphasis: son cors ^= "this per-
son himself (and no other)."
64 CORONA
bezeichnung" — but, on the other band, whenever a physical
activity is involved, a literal translation is likewise possible.
The difficulty of this problem, however, seems to me to be
definitely reduced if we compare the Hmited reference of the
expression le cors (li cors): whenever the Situation is unequiv-
ocally such that an exclusively carnal, biological, anatomical
emphasis is inevitable, then, practically without exception, it is
le cors, not son cors, that we find. It is le cors that is used in
descriptions of scenes of warfare:
Par mi le cors son reit espie li passe CL 915^
Le cors li trenchet tres Tun costet qu'a l'altre CR 1667
l'espie enz el cors li repont Gl 297
L'une le fiert par mi le cors Yon 315
Et li quarz navrez et maumis
Par mi la cuisse et enz el cors. Chai 122-123
Dedenz le cors l'ont plaie et navre. BA 1087
Parmi le cors li mis le confanon. CN 208.
It is le cors that we find in the treatments of the theme "body
vs. soul," "body vs. heart," that appear so frequently in me-
dieval Uterature (where the meaning of cors is necessarily
restricted to a bodily significance) :^
3. For an Interpretation of the abbreviations used in references to OF texts, see
the list at the end of this essay.
4. These two contrasts are very frequent in the Chansons, the first being filled
with theological implications, the second usually concerned with the psychology of
love. The metaphysical relationship between cors and cuers is amusingly illustrated
by a passage from Yvain:
Mes sire Yvains mout a anvis Tel mervoille nus hon ne vit.
S'est de la dame departiz Ceste mervoille est avenue;
Et si que li cuers ne s'an muet. Qu'il a la vie retenue
Li rois le cors mener an puet, Sanz le euer qui estre i soloit,
Car del euer n'an manra il point, Que plus siure ne le voloit.
Qui si se tient et si sc Joint Li cuers a buene remenance,
Au euer celi qui se remaint, Et li cors est an esperance
Qu'il n'a pooir que il l'an maint. De retorner au euer arriere,
Des que li cors est sanz le euer, Si fet euer d'estrange meneire
Don ne puet il vivre a nul fuer; D'esperance qui mout sovant
Et se li cors sanz le euer vit. Traist et fausse de covant. 2639-2660
For the history of OF euer cf. Moritz Schittenhelm, Zur stilistischen Verwendung des
Wortes "euer" in der altfranzösischen Dichtung (Halle, 1907).
SON CORS IN OLD FRENCH 65
Dex penst de l'ame que li cors est finez! BA 5650
Pensez des ames, et si les recevez!
Des cors sera einsi com vos vorrez! CV 457-458
Et si viaut si avoir le cors
Que nen li cuers n'an soit defors. Yv 1923- 1924
And, finally, it is le cors that is used in reference to a dead
body:
le rei Gormont at trove mort;
treis feiz se pasme sur le cors. Gl 424-425
// cors chiet jus, si s'en vait l'anme. Gl 77
Because of the fact, then, that le cors was regularly used in
situations where the connotation must needs be strictly bodily,
it is surely legitimate to assume that a distinct diÜerence was
feit between the two expressions le cors and son cors; that the
former is concerned only with the body, and the latter is re-
served for the larger reference of "the person." Thus, it be-
comes unnecessary to quibble over individual examples in which
son cors appears, in an attempt to weigh the probable amount
of "physical" emphasis intended; instead, one is justified, I
think, in accepting this expression, in general, as a designation
of the person-as-a-whole at least in the Chansons.^ Accord-
ingly, in the first example cited (ton cors adouber), though the
strong physical nuance cannot be ignored (since a physical
activity is involved), still the proper Interpretation will take
into account the larger reference of cors: "But this I ask, by the
love I bear: sufTer me to gird thyself for battle."
In grammatical terms, this means that we are, regularly, to
accept son cors as a periphrasis for the personal pronoun. Now
we are ready to consider the point raised at the beginning: in
how far does son cors difler from the personal pronoun; what
5. In prose, on the other band, and in the less sophisticated literature in gen-
eral, exceptions to this may be found. However, in the Chansons, the few examples
for which this interpretation would not be possible have been limited, in my texts,
to cases where the presence of son is necessary to show possession; for example, in
Del sanc luat sun cors e sun visage (CR 2276) it would have been impossible, for
syntactical reasons, to Substitute *se luat le cors — as OF did not possess the con-
struction with the reflexive pronoun represented in Modern French by se laver les
mains etc. But such examples amount to less than 2 per cent of all those I have
found.
(^ CORONA
is the special nuance that distinguishes mon cors, ton cors, son
cors from the terms moi, toi, lui? The answer to this might seem
to be self-evident from the etymology of the word itself : surely
this expression of bodily origin was intended to insist on the
actuaUty, the "flesh and blood"-ness of the person: to recreate
him in the flesh, living, breathing, incarnate; to portray the
person in so far as he is perceptible to the senses.
And, indeed, this much we may take for granted: son
cors = "the person in the flesh." Moreover, such an Interpreta-
tion is thoroughly consonant with that love for the concrete,
the actual, the "seen" that is so characteristic of the Chansons.
But this emphasis on embodiment is not the only nuance to be
met with in son cors, nor, as I beUeve, the predominant nuance.
For, if son cors were mainly intended as a more vivid reference,
then we should expect to find it used most frequently of all in
dramatic descriptions where the Jongleur seeks to reproduce
before our eyes the events of bis story and the heroes who took
part therein.
Yet, this is where we are least apt to find son cors! Seidom,
indeed, does the author himself make use of this expression to
designate one of his characters. On the contrary, son cors is
nearly always to be found inside quotation marks — used by one
of the characters himself to designate another to whom, of
whom, he speaks,
Now conversation in the Chansons was not the perfunctory,
trivial chatter that it so often is in real life and that is repro-
duced in contemporary novels. These medieval characters sel-
dom spoke unless they were aroused by the circumstances, unless
they were moved by intense feeling or deep concern to express
themselves: their speech usually represents an emotional out-
burst, revealing a subjective attitude on the part of the Speaker
toward the person he addresses or mentions. And, when his
feelings are most intense, it is son cors that he is apt to use —
as if his emotion would recreate the person, the presence of the
other, as food for his feelings.
These feelings, of course, may vary: son cors is frequently
found in direct expressions of love or lamentation :
SON CORS IN OLD FRENCH 67
C'est mes deduiz, c'est mes deporz.
C'est mes solaz, c'est mes conforz.
C'est mes avoirs, c'est mes tresors.
Je n'aim tant rien come son cors. Erec 543-546
La roine accola, si dist: corps savoreus,
Onkes Tristrans n'ama si bien la belle Yseus
Comme je fai vo corps qui tant est pretieus! B. de Seb. (Godefroy)
Sire cumpainz, mar fut vostre barnage!
Jamals n'iert hume ki tun cors cuntrevaillet. CR 1983- 1984
Sire Guillaume, mar vi vostre barnage,
Vostre gent cors et vostre vasselaige. PO 1459-1460
Bei a le cors, eschevie est et gente,
Blanche la char ...
Dex! mar i fu ses cors et sa jovente. PO 204-208
— but also in demonstrations of hate:
as vis deables soit ses cors commandez! BA 4670
Sun cors seit huniz e destraint! Tr 13 18
Tristran, vostre cors maldeit seit. Tr 1353
Floire et Blanchefleur fönt de par Pepin salus Berte
et de par Forde serve, ses cors soit confondus! (B-W, 234, 134-135)
Nor is it surprising to find the same expressions used for the
two distinct emotions of tenderness and hate: they are the two
poles of the same current. And a curse cloaks itself in the
imagery of a blessing.^
But even when the emotional attitude is not so expressly
stated in the context, often, because of the presence of son cors
it seems to hover in the atmosphere, giving an added warmth
and intensity to the words of the Speaker, indicating a tie that
his emotion creates between himself and the one to whom, of
whom, he speaks. The affective nuance that is thus betrayed
(if not expressed) is almost limitless:
(aversion) Maleoit soient mi parent ...
Qui a cest jalos me donnerent
Et a sun cors me marierent. Yon 85-88
6. Compare af vis deables soit ses cors commandez with Biaus dous amis, vos
en ireis: A Den soit vos cors commandeis (cited below).
68 CORONA
(vengeance) ... Prenez le vif ...
Par tot l'Archant soit son cors trai'nez
Si en sera Guillaumes plus irez." CV 1348-1350
(admiration) • — Veir," dist li Turs, "tu ies de grant fiert^
Quant en bataille ne puis ton cors tenser.
Come as tu nom? Ne le me deis celer. CL 813-815
(reproachful Vus faites mult grant vilanie,
concern) A vostre cors hunisement
Quant il vus aime ...
E vus vers li vus cuntenez
Cum vers home que nient n'amez. Tr 1564-1568
Again there may be a plaintive note, as if the Speaker would
awaken a spark of sympathy in the person addressed, remind
him of the bond between them:
Helvis, biaux tres dous filz, por Diex, car retornez
Tant que j'aie a vo cors ... parle. LesLoh. (Godefroy)
he! Auberons, tes gens cors que fera.^
moult ies malvais, se de moi pite n'as. Huon (B-W, 138, 128-129)
But most common of all, perhaps, is the nuance of unmixed
affection and tenderness:
fiz, chiers amis, que ferions,
se ton cors perdu avibns? Troie (B-W, loi, 257-258)
Biaus dous amis, vos en ireis:
a Deu soit vos cors comandeis. Chansons (B-W, 188, b. 20)
... car mes compains Amis qui moult m'ama,
dou sanc de vos li siens cors garistra,
que gietez est dou siecle. Amis et Amile (B-W, 53, 81-83)
Mes or vos veil par amors demander
Que tu me soffres ton cors a adouber BA 4810-481 1
Ot le Guillelmes, sei corut embracier,
Par Ies dous flanz le lieve senz targier:
"En nom Deu, enfes, eil m'a mal engeignie
Qui te rova a venir a mon pie,
Quar sor toz omes dei ge ton cors aidier." CL 1743-1747
Et dit Guillaumes: "Amis, lessiez ester.
Je me dot moult de vos cors afoler:
Mil Chevaliers ferai o vos aler." BA 7092-7094
SON CORS IN OLD FRENCH 69
It is with this nuance of tenderness and a note o£ special
reverence that the expression ion cors, vostre cors is used with
reference to Christ:
... la vierge ...
Ou vos deignastes vostre cors esconser ...
Sainte Anestase vos feistes lever:
N'ot nules mains por vo cors onorer; CL 719-727
En sainte crois fu vostre cors penez
Et vo chier membre travaillie et lasse, CL 766-767
Tot por le pueple que tu vosis sauver
Lessas ton cors traveillier et pener,
Et en la croiz et ferir et navrer ... PO 785
In such examples (indeed, in most of the references to Christ —
cf. below, p. 77), the physical reference is particularly strong:
one feels the concern of the Speaker for the actual flesh of Christ
{et vo chier membre), as he recounts the events of the Nativity
and the Crucifixion. But we may also find ton cors used in
such an abstract, theological reference as "en troi nom fust tes
cors cumandez"^ (quoted by Leo Spitzer in Neuere Sprachen,
XL, 485).
So far, all of the examples have been of son cors, ton cors.
But quite frequently the Speaker refers to himself with mon
(nos) cors. The degree of emotional intensity may fluctuate,
but always some note of concern for seif is evident : the Speaker
takes himself, treats his "seif" seriously. Sometimes there is a
note of tender concern, solicitude, for seif — as when the Speaker
7. We often find the expression li cors Deu, li cors saint ... used in oaths, im-
precaüons, where it has become a fixed formula:
Les traitor, cui li cors Deu mal face ... CL 1438
Par cele crois ou li cors Deu fu mis ...
Les traitors eüsse si laidiz ... CL 1 474-1 476
Trop en i a, li cors Deu les maudie! BA 2351
Mar me feristes, par le cors Saint Omer! BA3650
This practice was even extended to the pagans:
Li amiralz en juret quanqu'il poet
De Mahumet les vertuz e le cors. CR 3202-3203
For the many Compound expressions referring to the Deity that are to be found in
the formulae of imprecation, supplication, cf. Carl Merk, "Die Lehre und das Leben
der Kirche im altfr. Heldenepos," (Z.R.Ph.), Beihefte, XLI, 224-310. He also gives a
list of the different saints figuring in such invocations (pp. 250-251, 260-265).
70
CORONA
envisages fearfully a Situation in which hc dreads to become
involved:
Car tel hum prendre le purra
Ki noz cors i reconuistra. Tr 2931-2932
Pur nostre cors sui jo em paine Tr 117
Defent mon cors de mort et de prison,
Que ne m'ocie eist Sarrazins felons! CL 1 023-1 024
Garis mon cors de mort et d'afoler. PO 789^
or laments the ill fortune that has already befallen him:
amis, mar £u mes cors nez!
quant pour vous est enserrez,
et autres en a ses volentez,
drois est que m'en plainge: Chansons (B-W, 218, 85-88)
En Aleschans ai fet male gaeigne,
Ja mes h'iert jor que mi cors ne se plaigne. BA 602-603
Again, the subjective nuance of self-interest may show itself in
a spirit of bravado, of resolution, of self-importance i**
Mielz voil morir mi cors ne s'i essait
En Rencevals irai mun cors juer,
Se truis RoUant, de mort serat finet
Je conduirai mun cors en Rencesvals;
Se truis RoUant ne lerrai que nel mat!
— Nu ferai jeo," dist Isembarz,
"tant cum li miens cors durera.
Mes cors meismes en la bataille ira
BA 1219
CR 901-902
CR 892-893
Gl 511-512
Enf. Ogiers (Godefroy)
... je n'ai nul homme cha
qui ne face tout chou que li miens corps vorra:
mult sera fox li hons qui me courechera. B. de Seb. (B-W, 258, 21-23)
(Here we can see the Speaker thumping himself on the ehest:
"Do all that / may wish"!)
And in the foUowing, mes cors meismes seems to reveal a
tendency towards self-dramatization : the Speaker recreates a
8. This is particularly frequent with the words gtiarir and dejendre that are
found so often in prayers for help.
9. In such sentences this expression is comparable to the "editorial we": in both
cases the Speaker adds to his substance.
SON CORS IN OLD FRENCH 71
past event in order to refresh the memory of his listener: mes
cors is a reminder of seif, in an appeal to reinforce a bond of
sympathy between himself and his hearer:
Rois, quar te membre de la grant ost Oton:
O toi estoient Fran^ois et Borgoignon ...
Mes cors meismes tendi ton paveillon.
Puis te servi de riche venoison. . CN 214-220
Finally, in the rather frequent expressions comander, vouer
mon cors the emphasis seems to be: "my selj: all that I am and
have; myself, my life, my all":
Par Mahomet, oü mes cors est voez! BA 1564
... Dex est mes avoez,
Et li miens cors en ses mains commandez BA 6638-6639^**
Demain atandre me porroiz
Appareillie de ma puissance,
De metre an vostre delivrance
Mon cors si con je le doi feire. Yv 3724-3727
10. It is often possible to Interpret this mon cors by "my life" — as i£ the Speaker
secs his life, his career, as an objective reality. This is a fitting translation for the
examples with comander, vouer and garir, defendre (cf. also tant cum li miens cors
durerd). However, this "life" does not seem to be the abstraction of life-as-opposed-
to-death, so much as the "active" life: not the life within us, but the life we lead.
For example, compare the following example where both mon cors and ma vie are
used:
Ma vie et mon cors me sauvastes ...
Morz i eüsse este ou pris
Se ne fust vostre buene a'ie. Yv 3638-3642
Herc, vie is opposed to morz, cors to pns. Life = vie is not necessarily affected by
captivity; only death can put an end to that. But life = cors — the life of activity, the
career — this does indeed come to an cnd with captivity.
Miss Anna Bräder ("Zur Rolle des Körperlichen in der altfranzösischen Literatur
. . ." in Giessener Beiträge zur Rom. Phil., XXIV, Giessen, 1931, p. 321) calls atten-
tion to the meaning cors = "Leben" which she evidently interprets as the abstraction
"life." Of the three examples which she oflers, the Interpretation of two is proble-
matical, but the third does seem, at first glance, to have clearly this significance: Li
bon ceval ont ja perdu lor cors {Aspremont 8862). However, it has this meaning
only when the context is ignored, for in the following line we find Au trot en vienent
auquant et li plusor {ibid. 8863) — rather lively behavior for dead horses! Obviously
here cors = Latin cursus: the horses had lost the track.
However, in suggesting the Interpretation "life" I do not mcan to suggest that
in these examples cors has a "different" meaning from that in other passages; the one
meaning of mon cors is "my own seif." An expression so rieh in significance will of
course vary in connotation according to the context, but it is a mistake, I think, to
attempt to split the word into separate categories, as does Miss Bräder, who dis-
criminates between cors =: person, and cors = attribute of the person, this last
catcgory being again divided into "Kraft," "Mut," etc.
72 CORONA
In all the examples so far considered — even in these just
above in which the Speaker refers to himself — I feel a distinctly
ceremonial flavor in the words son cors, ton cors, mon cors, and
an emotional atmosphere of concern. The Speaker who uses
them seems to feel an emotional tie that binds him to the per-
son-involved ; son cors betrays a recognition of what this person
means to him; it designates a person in so far as he "matters"
to the Speaker.^ ^ Usually this concern is an affectionate one;
II. Thus the infrequency of this expression outside of conversation is under-
standable: son cors, betraying an emotional attitude toward the person designated,
would seldom be appropriate in the mouth of the author himself. However, the fol-
lowing examples of son cors used by the author represent a peculiar Situation: the
poet describes a scene as if witnessed not by himself, but by one of his characters
who, as he looks, feels concern for the person that he sees involved (and in every casc
that person is himself). Thus the author, as if looking through his character's eyes,
uses a term betraying that concern. Consider:
Cil de pasmeisons revint,
Et li lions son cors retint Yv 3521-3522
Here, we are not simply told that when Yvain came to his senses the lion was
holding on to him: we are shown the same picture that the knight saw. In the
following examples we have to do with the two visions of Charlemagne: the Emperor
in his dream sees himself being attacked; he looks upon himself as another might do,
realizing at the same time that it is himself:
... uns grans leons li vient ...
Sun cors me'ismes i asalt e requert CR 2449-2451
... uns leuparz ...
Sun cors demenie mult fierement asalt CR 729-730
(Note the epithet demenie (<Cdominicus: "seigneurial, prive, particulier" — FEW).
Bedier translates this simply by "son corps meme," thereby missing the ceremonial
flavor of this word that refers, reverenüy, to the royal person of the Emperor).
Thus in these examples, just as in the passages of conversation above, son cors
represents the person viewed with concern. Now it is also possible to find this
expression used by the author in cases where it is very difficult to perceive any sub-
jective connotation — but only, or pracücally only, when son cors is the equivalent of
the reflexive pronoun, as:
Si li comande a aporter
Ses armes por son cors armer Erec 2625-2626
Franceis descendent, si adubent lor cors CR 1797
Malpramis siet sur un cheval tut blanc;
Conduit son cors en la presse des Francs ... CR 3369-3370
Tienent oiseaus por lor cors deporter CN 26
Here, for the first time, we see evidence of a tendency toward grammaücalization,
formalization, with son cors. This is perhaps to be explained by a peculiar feature
of reflexive verbs in OF: many of the OF reflexive verbs in common use were based
upon transitive verbs that could also be used intransitively. For example, to express
the ideas "rise, lie, sit" two modes of expression were possible: soi lever — lever; sei
colchier — colchier; soi aseoir — aseoir. The difference in nuance between the two
forms of the same verb was (often) that between announcement of a fact and de-
SON CORS IN OLD FRENCH 73
often the attitude is that of reverence and tenderness, and son
cors constitutes, as it were, a sort of title bestowed upon the
other in acknowledgment of his worth. Occasionally the atti-
tude is hostile; but nearly always there is an attitude, a recogni-
tion of the significance of the other's personaUty, Perhaps son
cors might be defined as "the person in the flesh envisaged with
concern."
But whence comes this especial nuance of concern for the
personahty? Does this follow inevitably (as the emphasis on
"the person in the flesh" would seem to follow inevitably) from
the "bodily" origin of the word ? Theoretically, such a develop-
ment is easily conceivable: love involves a tenderness for the
very flesh of the beloved; when we deeply hate another, we
"hate his guts." And so, the use of a word that insists on the
fleshly reality of the person would seem eminently fitted to
express a subjective reaction to his personality. But, if we turn
back to the Latin ancestor of son cors, we shall see that such a
development was far from inevitable.
It is well known that the development "body" -> "person"
had already taken place in Latin with corpus. The distinction
scription o£ an act: lever, £or instance, would be used to State that a person "got up"
in the morning {El demain lieve tote sainne: Molt fu haitie la semainne — ^Yonec 217-
218), soi lever was not apt to be used unless the subject is right under our eyes, in
the Center of the stage, where we can see him get to his feet {Gui d'Aletnaigne sc
leva sor ses piez: Dist a ses omes: ... — CL 2355-2356).
The need thus to distinguish between Statement of fact and description of act led
to the addition of a reflexive object to other verbs purely intransitive in origin, when-
ever the author desired especially to invite visualization — cf.:
Gesir porrun el burc de seint Denise vs. Lors s'endormi, que toz fu enivrez.
CR 973 Pance levee se gist toz enversez.
BA 4613-4614
Now in the case of verbs like (soi) deporter, (soi) armer, that could not be used
intransitively, this kind of alternance was impossible. But some kind of aliernance
was desired; the reflexive construction could not maintain its emphasis in the absence
of a contrasting intransitive form, and so the desire for an "extra" form, more vivid,
more descriptive, led to a deporter son cors by the side of soi deporter.
Thus we do not have complete grammaticalization in such cases: though the
emotive connotation is not realized, still the vital, dramatic force of son cors is
brought into play. Moreover, this Substitution of son cors for soi seems to have been
kept within the limits already referred to: I have never found this expression used
with a verb that possesses bcth intransitive and reflexive forms — for example, a
Hever son cors, *coucher son cors.
74
CORONA
between the two meanings is not as clearly drawn as in OF
(which possessed the two forms le cors and son cors), and
often corpus alicuius, though acceptable as a periphrasis for the
person, will have an almost exclusively bodily nuance. For
example, in
Primus abit longeque ante omnia corpora Nisus
Emicat et ventis et fulminis ocior alis Aen. V, 318-319
a plastic eflfect is achieved by presenting boldly the naked,
glistening bodies of the runners before our eyes. But there are
scores of other examples to be found where the physical im-
plication is subordinate, where there is no question of the
"body" in a carnal or anatomical sense. The passages below^^
clearly reveal the development "body" -^ "person" :
vilia captivorum corpora trucidabant^^
pecuniam exigere corpus retinendo^*
in servorum corporibus amor laudis cerneretur
hie metu externae corpora gentis [ext. gen. =
ancillae] agat
corpora regi capta trahant
urbs regi, captiva corpora Romanis cessere
Curt. 5.6.6
Ulp. dig. 48. 13. 1 1.6
Pliny paneg. 33
Ovid Epis. 133.4
Val. Fl. 4.108
Livy XXXI. 46.16
Postero die, libera corpora dictator sub corona
vendidit
rapique in vincula egentem jure libertatis, qui
liberum corpus in servitutem addixisset
delecta circum sortiti corpora
Praeterea bis sex genitor lectissima matrum
Corpora captivosque dabit, suaque omnibus arma
Hasta volans, ut forte novem pulcherrima fratrum
Corpora constiterant contra ...
Adspice, sim quantus: non est hoc corpore
major Jupiter in caelo
Livy V, xxii.i
Livy IIL xlvi. 8
Aen. IL 18
Aen. IX. 272-273
Aen. IL 270-271
Ovid Metam. XIII.
842-843
12. From the ThLL.
13. Note the epithel vilia (cf. also tnrpin ... corpora — Ovid Epist. 133-134). I
have never found a pejorative adjective coupled with cors in OF.
14. In this example, and in corporis coercitationetn {ibid. 48.19.6.2) we seem to
have to do with the "corpus" of habeas corpus.
SON CORS IN OLD FRENCH 75
Cimon . . . vicarium se pro corpore patris dedit Sen. contr. thema 9.1
posuero, qualis sit futurus tyrannus: uUius hie
parcet corpori, qui patrem trucidavit Quint. CCCXII
triticum secundum corpus; id est secundum
numerum corporum; per corpus enim numerum
corporum, per numerum corporum numerum
hominum significat. Aug. loc. hept. 1. 196
In these sentences it is evident that we have to do with the
person X, Y, or Z, rather than with his body. And yet, it is
only as X, Y, or Z that the person is presented ; there is nothing
whatsoever of the atmosphere of jamais n'iert hume \i tun cors
cuntrevaillet to be found in any of the examples which I have
found/^ Instead, corpus is a most practical, perfunctory term,
betraying the impersonal attitude of the legaHst or the census
taker toward the persons v^ith w^hom they have to deal, the atti-
tude of a slaveov^^ner toward his chattel.
The most frequent type of expression in which corpus is
found is Corpora serva, corpora libera, corpora capta, where this
word, in the piural/^ merely makes a distinction between bond
and free, cataloguing, classif ying, lumping together all the indi-
viduals in a mass wherein personality is lost/^ It is frequently
used in tabulations {bis sex . . . matrum corpora: in this example
matrons, captives, armor are all on the same level; novem . . .
fratrum corpora . . .), and the usefulness of the term corpus for
statistics, for which persons exist as countable units, is seen in
the example from Augustine, where per corpus has exactly the
significance of "per capita."
Even when the word is found in the singular, there is noth-
15. The two following examples would seem to be exceptions:
nee mare nee tellus nee eaeli lucida templa
nee mortale genus nee divom eorpora saneta Luer. I, 1014-1015
amantes non longe a caro eorpore abesse volunt Cat. 66.32.
However, in the first, the materialistie, the "atomistic," Lueretius is probably think-
ing, without tenderness, of the eflSuvium of corporeality that emanates from gods as
well as humans. In the second, it is true, we do indeed have tenderness — but
probably also strong overtones of earnality.
16. The use of the plural itself is signifieant: in OF the only plural form I have
noticed is nos cors (=: "you and I") — exeept when a reflexive relationship is in-
volved. Conversely, a *nostra corpora did not exist.
17. Note that in English one would hardly say "a crowd of persans".
76 CORONA
ing of the individual, the personal, about it. Usually corpus
figures in an impersonal expression (ullius corpori = "any-
body"; liberum corpus ^=^''2. [any] freedman"), but even when
a particular person is involved the connotation is still per-
functory: note the specifying, the legalistic tone of vicarium se
pro patris corpore dedit = "in the stead of his father" (X in-
stead of A; "the party of the first part . . .").
For corpus could be applied to sticks and stones as easily as
to humans :
diviso corpore mundi in maria ac terras et sidera Aetna 102
atomas . . . id est corpora individua propter soliditatem Cic. fin. 1.17
quaedam continua esse corpora ut hominem; quaedam
esse composita, ut navem, domum. Sen. CIL 6
(C£. also parietis corpus; corpora ßammarum; corpus aquae; raro cum
corpore tellus; coloris et corporis terra.)
Corpus was what all objects possessed and, when designating a
person, this word presents him as a human object; instead of
emphasizing his humanness, that which sets him apart and
entitles him to consideration as an individual, it emphasizes
that which he shares with all the different Orders of creation,
ref erring to him by means of the lowest common denominator :
matter, substance. Corpus simply guarantees that he possesses
substantiality, occupies space, can be touched, seen, pointed to,
labeled as belonging to a certain class, catalogued X in contrast
to A/«
It is obvious, then, that the ceremonial tone of OF son cors,
the Suggestion of concern for the personality of the person-
designated, is lacking with Latin corpus: such a nuance is not,
after all, an inevitable corollary of the bodily etymology of the
Word. But not only is this true of the (one might say) "spir-
itual" connotation, it is also true of the physical — i.e., in the
sense of vital. For, the definition suggested above of son cors
was twofold: ''tht-pcrson-in-ihe-flesh envisaged with concern,"
that is, the living, breathing person. But in these Latin ex-
18. Latin, however, was not lacking a periphrasis that took account of the
Personality: this was often achieved by means of the word persona (cf. Hans Rhein-
felder, Das Wort Persona, Halle, 1928).
SON CORS IN OLD FRENCH 77
amples with corpus, he does not even breathe. He is a lump, an
object. Corpus respects neither the soul nor the flesh/^
And so the apparent parallel which the Latin development
oflers is a specious one: corpus (cdicuius) fails to explain OF
son cors.
Just what the source of this expression may be was sug-
gested by Professor Spitzer in his reply to Elise Richter: "Alt-
französisch td r^ötr = Neufranzösisch ta viandeV {Neuere
Sprachen, XL, 1932, 483-486). In his article he rejects her as-
sumption that OF ta char originated as a vulgarism ; he insists,
rather, that it is the product of a religious milieu (as would
likewise be true of ton cors), and owes its use to Christian
experience and Christian doctrine: "Aber mit dem Kommen
des Erlösers, mit seinem Abstieg in die Fleischlichkeit (Ver-
bum caro factum) ist das Fleisch auch wieder rehabilitiert: es
gibt ein 'heiliges Fleisch'": in Avant que la virginite de la
vierge conneue Ne vostre sainte cars venue ist nicht "die Bedeu-
tung schon schillernd zwischen 'Person' und 'pronominaler
Umschreibung,' sondern die ganze sinnliche Stärke des
ursprünglichen Ausdrucks vorhanden: das heilige Fleisch
Christi, das ans Kreuz geschlagen wurde." And, since God
himself did not scorn to take on the flesh, so it became possible,
as never before, to think of the flesh with tenderness and rev-
erence, as a symbol of the indwelling spirit — and thus, to desig-
nate a person through reference to his body.
Following this Suggestion, I went back to the earlier texts to
examine the treatment of the "fleshly" theme in the religious
19. The use in Greek o£ soma furnishes an interesting parallel to that of corpus.
Soma originally designed a swollen mass, according to Boisacq (the older derivation
from the stem of sozo "I save": literally "the spoils, the corpses that are reclaimed
after a battle" is rejected by modern linguists), and its use in referring to persona
seems to have been first restricted to that of dead human bodies. Hesiod is the first
to use it to refer to a live body; in Homer it is found only twice in that sense, as
compared to six appearances with the meaning "corpse." Then. like corpus, soma
began to be used to designate the person himself. but as an "object": the one example
that Plato offers of this use is in a legali^tic context (Nomci); the two phrases in
which it is most frequently to be found are somata dula (cf. corpora servd) and
somata eleuthera (cf. corpora libera). Evidently it was first applied to slaves, to
labe! them as chattel, and then the complementary expression designating the freed-
men was evolved. (This information was given me by Professor Paul Friedländer.)
78 CORONA
writings. In the Passion^^ chair appears frequently to remind
US of the Incarnation of the Savior, of the mystery and the
tragedy of his crucified flesh:
des que carn pres. interra. fu.
per tot obred que uerus deus
per tot sosteg que hom carnals. ... 6-8
De laz la croz estet mariae
de cui ihs uera carn presdre
cum cela carn uidra murir!
quäl agre dol nol sab. cm uius;
Ela molt ben sab. remembrar
desoa carn cum deus £u naz. ... 329-334
Argent ne aur non i donet
masq; son sang et soa carn
deg cel enfern toz nos liudret
en paradis los arberget. ... 385-388
fort ment sun il espauentet
illi non credent que aia carn. ... 437-438
In this work cors is not used of Christ (except in reference
to his dead body). But in the hagiographical writings cors ap-
pears frequently, used with a connotation hardly less reveren-
tial, to refer to the precious flesh of the saints:"^
20. Wendelin Foerster and Eduard Koschwitz, Altfmnzösisches Übungsinich
(Leipzig: Reisland, 1911), pp. 59-78.
21. In so far as we can judge from these examples, it seems that (ta) char was
rather reserved for reference to Christ, and thus may have retained a connotation
slightly more sacred than {ton) cors. This may be the reason for the comparative
infrequency of ta char = "toi-meme" in the later, nonreligious texts: the type men-
tioned by Tobler and Spitzer (A fin que ma char sott de par luy conseillie) is seldom
found. And, indeed, the few examples that we do find may be largely due to the
influence of ton cor.f= "toi-meme": neither in the early texts nor in later periods
was there any evidence of an important development of char into a periphrasis for
designation of the person-as-a-whole (and the same may be said of chies, personne,
and membres, which Tobler considers as on the same level with cors).
Interestingly enough, in the Chansons char appears in two connections, quite dis-
tinct one from the other: reference to Christ {"sire, pour la sainte char Dien," — B-W,
205.36) and quite carnal reference to humans {il le lad mie en char tiichiet — Gl
133); it could even be used for "meat," since viande did not yet exist in this re-
stricted sense. It is as if the forcefulness of its use in designating Christ is enhanced
by its very fleshly connotations: either the flesh alone, in its crudest sense, or eise the
body of the incarnate Christ. Thus the miracle of the Incarnation is emphasized.
SON CORS IN OLD FRENCH 79
Leger^^
Apres ditrai vos dels aanz
Que li suos corps susting si granz 9-10
Et cum il l'aud toUut lo quev,
Lo corps estera sobre .Is piez. 229-230
Entro.l talia los pez dejus,
Lo corps estera sempre sus.
Del corps asaz l'avez audit,
Et dels flaiels que granz sustint.
L'anima reciut Domine Deus; 233-237
Et si en corps a grand torment,
L'anima.n awra consolament. 173-174
Sainte Foi^^
Lo corps es beiz, e paucs l'estaz;
Lo senz es gencer qe dinz jas. 76-77
Corps avez de genta tenor:
Filla semblaz d'emperador. 241-242
la fornaz ...
0.11 corps d'aquella sancta jaz
Raustiz el ferr et escaraz. 357'358
Remas lo corps truncs e rezis
Aissi con.l gladis l'a aucis. 391-392
Sus la paused sobre.l foger,
Lo corps tot nud, cast et enter. 335-336
Aqell angels qei es venguz,
Aujaz quäl deintad i aduz;
Corona d'aur qe plus reluz,
Non fa.l soleilz q'uand es creguz.
Cuberg li'l corps q'era totz nuz
D'un pali q'es ab aur batuz. 364-369
Feiron i dui monge obertura;
Traissum lo corps per gran
gentura. 433-435
(Cf. alsOj in reference to Christ: Pres fo.l seus corps, lo precios: Judeu
l'aucidrun enveios. 307-308.)
22. Joseph Linskill, Saint Leger (Paris: Droz, 1937).
23. Ernest Hoepffner and Prosper Alfaric, La Chanson de Sainte Foy, Vol. I
(Paris: Societe d'edition, 1926).
8o CORONA
Tantes dolurs ad pur tei anduredes ...
E tantes lermes pur le ton cors pluredes! 397-399(471-472)
Sa fin aproismet, ses cors est agravet; 289
Regut l'almosne, quant Deus la li tramist;
Tant en retint dunt ses cors puet guarir; 98-99
Dis e set anz n'en fut ni'ent a dire:
Penat sun cors el Damne Deu servise. 161-162
De la viande ki del herbere li vint,
Tant an retint dunt sun cors an sustint;
Se lui'n remaint, sil rent as poverins;
N'en fait musgode pur sun cors engraisser, 251-254
Trent'e quatre anz ad si sun cors penet; 276
Trestuz le prenent ki pourent avenir;
Cantant enportent le cors saint Alexis,
E tuit li preient que d'els aiet mercit. 506-508
(332; 544; 598 also refer to the dead body)
Iloec an portent danz Alexis a certes
Ed attement le posent a la terre.
Felix le liu ü sun saint cors herberget! 568-570
(grant ... pur cel saint cors qu'il unt en lur bailie.
ledice) Co lur est vis que tengent Deu medisme. 538-539
In most cases this cors that is mentioned so often can only
be interpreted (even when combined with son), as the body,
the holy, martyred body of the saint. Here we have a Situation
quite diflerent from that of the Chansons; in most o£ these
examples it would be impossible to see in son cors a reference
to personahty : instead, it must be interpreted only as the body,
the holy martyred body of the saint, But it is interesting to
note the frequency with which his body is referred to; such
writings are concerned primarily with the physical suffering
and martyrdom of the saint, and the author follows this, step
by Step, reminding us with cors, that it is the actual body of the
saint that has suffered.
Moreover, these texts are permeated with an attitude of con-
cern, even worship, for the body of the saint. The body of
Leger is accorded mysterious powers. In Sainte Fol it is the
24. christopher Storey, Saint Alexis (Paris: Droz, 1934).
SON CORS IN OLD FRENCH 8i
martyred body of the saint that receives the crown "shining
brighter than the noon-day sun"; the beauty of her body is
twice described;"^ and the cruel sword is said to have "killed"
her body. In Alexis, nine times is his body, though dead,
graced with the epithet "saint" ;^^ it is his body that the people
pray to; it is his body that the city desires so anxiously to guard;
it is the possession of this body that puts them in such joy that
"it did seem to them that God was in their keeping."
In a few cases it would be possible to extend the reference
of son cors to the "person-as-a-whole" (Pres fo.l seus corps, lo
precios; Penat sun cors el Damne Deu servise; Sa fin aproismet,
ses cors est agravet). But I do not believe that in these texts the
development son cors = "lui-meme" has been fully accom-
25. Kurt Tromm, "Altfranzösisch bei in der Bedeutung 'lieb' " (Z.f-R-S., XL VI,
441-449), discusses the treatment o£ the theme "beauty of soul and body" that is to
be found in the writings of the Church fathers. To many o£ them there was an
innate relation between the two; we even find the belief expressed that the relation
was an absolute one, the body inevitably reflecting the nature of the soul (p. 466):
Corporis in gestu radiant insignia mentis (Engelmodus). But even though this
combination may not always be met with in reality, to them it was the ideal condi-
tion. Thus we find so frequendy in the writings dealing with the lives of the saints,
a description of their physical beauty (p. 443): Pulchra jade sed ptdchrior fide
(Marienlegende); bei auret corps, bellezour anima (Etdalie).
But this physical beauty was subordinate to spiritual beauty, prccious only in so
far as it was indeed a mirror of the spiritual beauty even more precious: usually it
was stated that the beauty of their soul surpassed that of their body, and in one casc
where this corrective qualification is missing {Sainte Foi, 241-242) the editor calls
our attention to the fact that this flattering physical description comes from the Ups
of Dacien, who wishes to seduce the saint! Physical beauty in itself, though a gift of
God, is the least of his gifts — and may be a curse, if not illumined by the spirit
within. Even Augustine, the lover of beauty, says (448) : ctiius pulchrum corpus est
et deformis animus, magis dolendus est, quam si deforme haberet et corpus.
This same balance, according to Tromm, is also to be found in the romances of
chivalry: Mout est bele, mas miaus assez Vaut ses savoirs que sa biautez. However,
so far as I have been able to observe, this overshadowing of physical beauty by the
spiritual was not the current tendency in the worldly literature. For the most part
the poet was satisfied to describe the appearance of his characters, to dub them "fair
of form and face," and let us take their spiritual worth for granted: Gent cors ot et
bele jeture (Equitan 33); Gent ad le cors, gaillart e ben seant, Cler le visage . . .
(Rolland 31 15-31 16). Even the beauty of Ganelon is admitted: Cors ad gaillard, el
vis gente color {ibid. 3763), though a trace of the theological idea remains, since it
is suggested that his spiritual deformity prcvents his beauty from being completc:
S'ils fust leials, ben resemblast barun {ibid. 3764).
26. Such epithets are also found in medieval Latin texts; cf. the earlier Latin
metrical version of Sainte Foi (Alfaric, op. cit., II, 189-197): membra beata (256);
Sacra membra (266); sanctissima corpora (269); saa-a corpora (275).
82 CORONA
plished : I think we would lose the real emphasis of these pas-
sages, and would fail to see the reason for the beginning of this
development, if son cors were accepted here as equivalent to
the person."^
Rather, I think, in these passages where a personal pronoun
would not be out of place, we should look upon son cors as a
deliberate Substitution for the pronoun in order to emphasize
the body. "II fut pris" would present a tragic enough fact, but
pres fo.l seus corps reminds us that the wicked enemies of
Christ laid hands upon his precious body; se penat ... would
inform us adequately of Alexis' self-mortification, but penai
sun cors shows a concern for the physical eilects of his self-
imposed martyrdom that finally led to the collapse of his body
(ses cors est agrevet). Unless an emphasis on the body is pos-
sible, son cors is not apt to be found; when this expression is
used, there is regularly a streng physical implication present,
and this should not be discounted.
This insistence on the body, concern for the body, is an
interesting note in texts strictly religious. And it is probably
to be explained by the mystical connection that was feit to exist
between body and soul: cors is substituted for the colorless
pronoun in order to emphasize the body — but the body is em-
phasized because of its spiritual connotations ! Thus the em-
phasis is at the same time carnal and ascetic. For it was
through his body that the saint worked out his soul's salvation.
The account of his physical afflictions amounts to a recital of
his spiritual victories.
Thus the martyrdom of the saint reflected the miracle of the
Incarnation and Crucifixion ; his body was a symbol, a precious
vessel of the soul — precious in itself, too, as a chalice is precious
that has contained a holy wine.
But it was separate from the soul — as a chalice is separate
from the wine. And it did not matter greatly whether the body
27. The one exception in the Alexis is the phrase tantes lermes pur le ton cors
pluredes; here we do have a reference ta the person. But this phrase, used once by
the father (399), once by the wife (412), of Alexis Stands out in sharp contrast to
all the other appearances of son corps: in these lines (and in these lines alone) the
"saint" is not involved. We have here to do with a human being — a son, a husband.
SON CORS IN OLD FRENCH 83
was alive or dead. It was perhaps more precious when dead:
only then was it qualified by "saint" (as if in anticipation of the
post mortem miracles whereby the t/ertu of the saint was estab-
Hshed). Indeed, when a saint died, it was cause for great rejoic-
ing: when Alexis died, "unches en Rome n'en out si grant
ledice." The townsfolk, jubilant, rushed to touch him, rejoicing
over the possession of this body that was mystically impreg-
nated with the hoHness of his soul, confident of the blessings
that would accrue to their city from the presence of his body
in their midst ("It did seem to them that God was in their
keeping"). And when the father wept for the son he had lost,
the "Apostle" rebuked him sharply: "What boots thy noise?
Thy sorrow to us is joy." For they had the precious body of the
saint.^^
Now of course it is not this almost ghoulish note of adora-
tion of the flesh that we find in the Chansons. When son cors
is taken from the ascetic (carnal-ascetic) atmosphere of the
cloisters into that of the more active world of human relation-
ships — a World where a hero has lovers and enemies and com-
panions who look upon him as a person, rather than worshipers
to whom he is near-divinity clothed in flesh — the word grows
in human significance. For, to Roland who cries out in his
28. A modern (and especially a Protestant) reader instinctively recoils from the
brutality, the callousness to human grief, shown by this spokesman of the jubilant
throng. And there is something horrible, faintly sickening, in the picture of the
exultant mob, hysterical in their joy, gloating with a "sacred gluttony" (to borrow
the phrase that Jules Lemaitre applied to Polyettcte) over the "cors saint," the
precious flesh — this holy trophy now in their keeping, in their grasp.
But though repellent to modern instincts, it is just such a greedy attitude that
pervades the whole latter portion of this poem. And so it is surprising to find
Foerster {San\t Alexius, Göttingen, 191 1) refusing to accept the line go lur est
vis qtie tengent Deu fnedisme on the grounds that the desire to "have hold" of God
is incomprehensible: ". . . es ist kaum denkbar, dass dem so verständigen und
klaren Dichter . . . eine solche Geschmacklosigkeit hätte einfallen können." Emil
Winkler ("Von der Kunst des Alexiusdichters," Z.f.R.P., XLVII, 595-596) cites this
criticism of Foerster's, asserting that the line in question, though perhaps rationally
"ganz unmöglich" (as the latter insisted) is, from a poetic point of view, "von
höchster Wirkung."
Moreover, as concerns the concept of "having God," Darmesteter (Formation des
mots composes, Paris, Bouillon, 1894, pp. 166-167), in his list of proper names com-
poundcd with "-God" that were quite frequent among African Christians, includes
among them "Habetdeum."
84 CORONA
grief, "Sire cumpainz ... Jamals n'iert hume ki tun cors cuntxe-
vaillet," the flesh of the dying Oliver is not as precious as was
that of Alexis to his worshipers. He, like the father, wept for
the man who had died. Ton cors to him was not the flesh
(made sacred by a miracle, endowed with magic properties that
might save him); ton cors was his human friend: the hardy
knight, the wise counselor. He was much more concerned
with the Personality of the dead hero than were the fellow
townsmen of Alexis who, singing, bore him to his grave. A
Saint does not have a personality, he has a soul wrapped round
with a body. And this wrapping is "Li cors Alexis." But "li
cors Oliviers" is the man, Oliver.
Here, the synthesis of body and soul is achieved that was
lacking in the saints' lives. But the tone is the same. The fact
that ton cors could be used on such an occasion as the death of
Oliver, fit to express the passionate tenderness that Roland feit,
and the reverence, too, for the man, Oliver; the fact that
throughout the epical and lyrical poetry of the OF period, it
was used to refer to a person in so far as he mattered deeply —
a term recognizant of the worth of the personality of the indi-
vidual, evocative of "the person in the flesh envisaged with
concern": this is not to be explained by etymology alone. It is
perhaps the result of Christian experience and doctrine, of the
religion of Christ, who, through the flesh, accomplished the
greatest revelation of divinity that the world has known. Thus
it was possible in the saints' lives to use cors so frequently, so
tenderly and reverently, to speak of flesh that was more than
flesh; so that, later still, in the Chansons, the most poignant and
the most noble way to address another could be "thy body.""®
29. The combination of possessive adjective + corps has, obviously, continued in
the language, but the expression "son cors" as we have seen it in the Chansons, has
disappeared. The reasons for this disappearance were perhaps twofold:
In the first place, this expression underwent the fate of many another lyrical
creation; it was attacked by formallzation. We have already seen a tendency in this
direction with such verbs as armer son cors etc., in which the emotive connotation of
son cors was lost. Other evidence of this tendency is to be seen in the use of son
cors in certain cliches where the main emphasis is a demonstrative one:
I por son cors Encontre mei Ten covendra combatre
Ou Chevalier qui por son cors le face CL 2371-2372
SON CORS IN OLD FRENCH 85
ABBREVIATIONS
AN Aucassin et Nicolette, ed. Mario Roques (Paris: Champion, 1925)
in "Classiques fran^ais du moyen äge."
BA La bataille d' Aleschans in Guillaume d'Orange, ed. M. W. J. A.
Jonckbloet (La Haye: Nyhoff, 1854).
Bis "Bisclavret" in Les Lais de Marie de France, ed. J. H. Ed. Heitz
(Strasbourg: Bibliotheca Romanica, n.d.).
B-W Bartsch-Wiese, Chrestomathie de l'ancien jranqais (loth ed.:
Leipzig: Vogel, 1910).
2 par son cors (seul) Ne mengere si t'aure chier rendu,
Et par mon cors mate et confondu BA 1254-1255
3 (il) ses cors (metsmes) Ce dit li contes que il ses cors en ocist
les .X. Artus (Godefroy)
4 sans (fors) son cors ... quant il n'a si rice home en cest pais,
sans le cors le conte Garin, s'il
trovoit... A + N XXII, 17
5 // cors d'un tel ... fut tout esbahy comment li corps Lancelot du Lac
d'un seul chevalier povoit ce faire (Godefroy)
— to which might be added the formulae noted above // cors Deu, li cors saint ...
and, in later prose writings particularly, // cors le roi.
In (i) and (2) an emotive nuance is still latent, and may have originally been
feit quite strongly {por mon cors ^=^ "for my own sake"; par mon cors, emphasizing
the idea of self-esteem) — as is also true of the "titles": // cors Deu, li cors le roi.
In the case of (4) likewise the demonstrative emphasis need not exclude a subjective
connotation: in the example above there is a slight titular flavor, and in such a onc
as jurerai ... c'onques nul home fors vostre cors n'amai {^Chanson, B-W, 45, 22) this
connotation is quite evident. It is (3) and (5) that represent, perhaps, the expression
at its most fossilized, but these seem almost entirely limited to prose writings. As
for the Chansons, one may still find in the fourteenth Century son cors used vi^ith
füll value (in the brief selection of 152 lines from Baudouin de Sebourc included in
B-W one may find five examples of this type) ; however, the formalizing tendency
which begins to appear frequendy in the prose works of the thirteenth Century finally
succeeded in sapping the vitality of this expression: it may well be that in Baudouin
de Sebourc we have to do with a mere mechanical continuation of a stylistic poetic
tradition.
But the grammaticalization of an expression does not necessarily entail its dissolu-
tion: ossification often acts as a preservative. Why did son cors cease to exist (with
the exception of a son corps defendant and «72 drole de corps) even in fossilized
phrases? Why do we not srill have a pour son corps, un corps d' komme for demon-
strative or impersonal use, or such "titles" as le corps de Dieu, le corps du roi?
The answer surely lies in a shift of values that has taken place: after the decline of
medieval civilization and of the concepts upon which it was based, the word corps
perhaps appeared too "physical" to suit the tastes of latcr generations who favored
expressions more abstract (cf. "la personne du roi" by which Du Gange translates
corpus regis [fifteenth Century]).
And so son cors, first grammaticalized, and then abandoned as a designation of the
person, is, in the modern language, reduced to its original, unsanctified, elements
(^chair, likewise, has sufifered: ta chair is now an arrant vulgarism: "amene ta
chair!") — le cors Dieu still survives in corbleu.
86 CORONA
CL Le couronnement de Louis, ed. E. Langlois (Paris: Firmin Didot,
1925) in "Societe des anciens textes fran^ais."
CN "Li Charrois de Nymes" in Guillaume d'Orange.
CR Le chanson de Roland, ed. Joseph Bedier (Paris: Piazza, 1921).
CV "Li covenans Vivien" in Guillaume d'Orange.
Eli "Eliduc" in Les Lais de Marie de France.
Erec Erec und Enide, ed. Wendelin Foerster (Halle: Niemeyer, 1890).
Gl Gormont et Isembart, ed. Alphonse Bayot (Paris: Champion,
1914) in "Classiques frangais du moyen äge."
PO "La prise d'Orange" in Guillaume d'Orange.
Tr Le roman de Tristan par Thomas, ed. Joseph Bedier (Paris: Fir-
min Didot, 1902) in "Societe des anciens textes francais."
Yon "Yonec" in Les Lais de Marie de France.
Yv Der Löwenritter (Yvain), ed. Wendelin Foerster (Halle: Nie-
meyer, 1887).
APPENDIX
In regard to the use o£ "Body" in other medieval languages as a
designation of the person, I have found nothing that would indicate that
the development represented by OF son cors was quite duplicated else-
where.
As for German, Grimm {op. cit., pp. 265-266) calls attention to the
tendency in MHD to use the word lip for a person, citing several
examples from the Nibelungenlied (dii hast geschendet dinen schoenen
lip; si jähen, daz gesunder unser deheines lip . . .); he even suggests that
this use of lip influenced the development of son cors. I am not com-
petent to judge whether or not lip ever reached the peculiar significance
that son cors attained in Old French. However, even if this were the
case, the development of lip would still not be quite analogous to that
of cors, for the meaning "body" was only the secondary meaning of the
German word; its original meaning was "life," and before the second
half of the eleventh Century it is to be found only in that meaning and
in the meaning "person" (according to Helene Adolf, Wort geschicht-
liche Studien zum Leib-Seele-Problem, "Mittelhochdeutsch lip 'Leib'
und die Bezeichnungen für ccn-pus," Vienna, 1937, p. 13). Thus with
this word "person" is not a development of "body" but of "life."
As for Italian, Rheinfelder {op. cit., pp. 50-54) discusses the develop-
ment "body" — > "person" as seen in the use of persona. This word, of
long history and involved signification in Latin, was used often in
Romance with the meaning "body," and in Italian, particularly, this
persona = "body" came to designate the person as a whole (. . . la bella
persona che mi fu tolta — Dante), representing, moreover (according to
Rheinfelder), an affective term betraying the same nuance of emotional
SON CORS IN OLD FRENCH 87
concern and emphasis on "the person in the flesh" that we have tound
with son cors. However, the fact that persona could be used of dead
bodies and of the bodies of animals (even though only when a nuance
of tenderness was desired) would suggest that its connotation was not
quite the same as that of son cors, nor is there any indication that the
use of persona could compare in frequency with that of son cors. Again,
as was true of lip, we have here to do with "body" as a secondary mean-
ing. It is corpo, of course, that has this meaning as the primary one, but
this Word, according to Rheinfelder, was completely lacking in an emo-
tive implication and was used only to designate the body, never a person
(however, one finds in Dante, cited by Tommaso-Bellini: Questi e corpo
humano [i.e., not a ghost] che voi vedete . . ., which could well be
translated "this is a human being, person").
Finally, in English, a somewhat similar development of "body" has left
traces in the modern language: cf. the indefinite expressions "anybody,"
"nobody" (and "if a body meet a body coming through the rye, and
a body kiss a body ..."), and "classifying" epithets such as "busybody."
In Middle English, according to E. Einenkel {Geschichte der historischen
englischen Syntax, Strasbourg, 1916, p. 65), the frequent use of "body"
to designate a person was modeled after the use of cors in Old French,
and he calls attention to the expressions with the possessive, "my body,"
"thy body" (^ "myself," "thyself"), which represent the same tendency
of mon cors, ton cors.
However, from the little study that I have attempted of this problem
in Middle English — iimiting myself almost entirely to the use of "body"
in Chaucer (cf. Fred N. Robinson, Chaucer's Wor\s, Cambridge Edi-
tion, New York, Houghton Mifflin, 1933) — I have found no one ex-
ample that would clearly indicate that "thy body" ever reached the stage
of development that is illustrated in jamais n'iert hum \i tun cors cuntre-
vaillet.
In the first place, the distinction between the physical body and the
person, as maintained in OF through the distinction between the con-
structions le cors and son cors, does not have a parallel in ME. Con-
sequently, we often find "thy body," etc. used when the emphasis is
strongly or even exclusively physical; contrary to the Old French pro-
cedure we find this Compound expression used in reference to a dead
body, and in passages contrasting "body" and "soul"; "body" and
"heart": "And of thy light my soule in prison highte, That troubled is
by the contagioun Of my body" {Second Nun's Priest' s Tale, 11. 71-73);
and in situations where the implication is clearly physiological ("That of
the fere bis body sholde quake" — Troilus and Criseyde, Bk. V, 1. 1256;
cf. Voit le Guillaume , tot le cors // fremist — PO, 1. 687), or carnal
("Certes, this is the foulest thefte that may be, whan a womman steleth
hir body from hir housbonde, and yeveth it to hire holour to defoulen
88 CORONA
hire; and steleth hir soule fro Crist . . .," Parson's Tale, 1. 875). Indeed,
the carnal emphasis is present quite frequently; for example, the phrases
"to sin, trespass with her body" seem to be reserved solely to designate
the sexual act {Physicians Tale, 1. 138; Fran1{lin's Tale, 1. 1366). And
that such was definitely not the connotation o£ son cors is seen in the
example quoted above, Vus faites grant vilanie, A vostre cors hunise-
ment, Quant il vus aime ... E vus vers li vus cuntenez Cum vers home
que nient n'amez, where the shame of the subject consists in her lack of
passion — a coldness which is itself a sin that mars her personality.
Not always of course is there an emphasis upon the physical; in
"Oure lige lordes seel on my patente That showe I first, my body to
warente" {Pardoner' s Tale, 11. 337-338) no specifically physical emphasis
was intended; here we have the person himself. But in so many cases
this "person" seems to be very much like the one of the Latin examples —
the human object, X, Y, er Z. Notice the legalistic tone of "I have the
power durynge al my lyf Upon bis propre body, and noght he" {Wife
of Bath's Tale, 11. 158-159) and the Statistical (that has crystallized in
"anybody") of "Men neded not in no cuntree A fairer body for to
seek" {Romance of the Rose, 11. 560-561); cf. also "a better body drank
neyuer wine" (1340; NED). Moreover, the concept ^0(iy = "mass, sub-
stance, matter, form" which was found in mundi corpus is also seen in
"Parfourned hath the sonne his ark divine; No longer may the body of
him sojourne On th'orisonte" {Merchant's Tale, 11. 1795-1797); while
the phrase "caitiff body" {Parson's Tale, 1. 270), like the Latin corpora
vilia, again contrasts with Old French usage.
However, I have been able to find two examples where a subjective
nuance toward the person is undoubtedly present: "My joly body shal a
tale teile" (Prologue, Shipman's Tale, 1. 1185) and "Whoso me seeth, he
seeth sorwe al atonys, Peyne, torment, pleynte, wo, distresse Out of my
woful body härm ther noon is" {Troilus and Criseyde, Bk. IV, 11. 841-
843) — a nuance given by the adjectives woful, joly. But it is also to be
noted that in both cases the individual is referred to emphatically in
contrast to others: in the first, the Speaker declares that apart from
herseif no sorrow exists; she has so much woe that no one eise can have
any. In the second, the Shipman, objecting to the Host's Suggestion that
a "Lollard" be the next Speaker, insists: "my joly body [i.e., not he]
shal a tale teile." And, as long as we find this expression serving the
practical purpose of distinguishing X from A (even a "joly X" or a
"woful X"), the extent of the emotive content seems to me to be ques-
tionable.
It is of course quite possible, however, that a further study of this
ME usage would show much more similarity with OF. And, at least, a
"joly body" would have surely been impossible in Latin (to say nothing
of its use in the first person).
THE ORTHOGRAPHIC CONFLATION OF NOMINAL
COMPOUNDS IN MHG BASED ON A STUDY OF
THE MANESSE MANUSCRIPT
ROBERT H. WEiDMAN, University of Wisconsin
ONE OF the most conspicuous features of the German
vocabulary is its wealth of nominal Compounds. (In
this study a nominal Compound shall be defined as a
Compound containing at least two independent Clements [free
forms], of which at least one is a Substantive or of Substantive
derivation.) A comparison of German v^ith English reveals
not only a diflerence in the number of Compounds in the tw^o
languages, but also some differences in the types of Compounds
and in their Orthographie treatment.
Although Orthographie usage in English is firmly estab-
lished in regard to many Compounds, such as afternoon,church-
yard, railway, on the other band in many cases everyone w^ho
v^rites in the English language has at times been uncertain as to
whether he should w^rite a particular expression as one w^ord,
tv^o w^ords w^ith a hyphen, or two vv^ords w^ithout a hyphen.
For instance, is it wee\ end, wee\-end, or weekßnd? Upon
looking the word up in Webster's Collegiate Dictionary
(Fourth Edition) one will find it is given as wee\-end, notic-
ing, however, that the preceding lemma is wee\ day. The
Shorter Oxford Dictionary (1937) confirms the spelling weck-
end (dated from 1879), but whereas Webster gives wee\ day,
it gives weekßay (dated from 1546 in its usual present-day
sense). Nevertheless, in the two illustrative passages it is
spelled wee\-day both times.
In contrast to the lack of consistency in the treatment of
90 CORONA
Compounds in English is the consistency governing usage in
German. The present regularity of practice in German in this
respect has been established, however, only after a long period
of the uncertainty that still prevails in English. It is by examin-
ing the Orthographie treatment of nominal Compounds in Mid-
dle High German, as represented in the Manesse Manuscript,
that the writer hopes to throw some light on the evolution of
this practice.
The edition of the Manesse Manuscript (Pariser Lieder-
handschrift, or Große Heidelberger Liederhandschrift, often
referred to as C) used in this study was that of Friedrich Pf äff :
Die große Heidelberger Liederhandschrift in getreuem Textab-
druc\ (Heidelberg, 1899-1909). For faithfulness of reproduc-
tion the best possible edition would have been the facsimile
edition of Sillib, Panzer, and Haseloff (Heidelberg, 1925-1929),
but it would have been available to the writer only at great
inconvenience. The facsimile edition naturally has an advan-
tage over Pfaff 's edition in the matter of accuracy, for no man's
eflorts can be as free from error as a Photographie reproduction.
However, in favor of the PfafT edition it must be emphasized
that the task of reading the entire manuscript and selecting the
material used in this study (which is part of a more compre-
hensive study of nominal Compounds in C), would have re-
quired an impossible amount of time and effort if the facsimile
edition had been used. The latter is reproduced on sheets of
folio size, arranged not in the sequence of book pages, but in
the Order in which the original sheets lay when unbound for
Photographie reproduction. Furthermore, Pfaff' s arrangement
of the text, giving each verse on a separate line instead of in a
continuous line interrupted only by a Reimpmi\t, while a
deviation from the strictest conception of a diplomatic repro-
duction, certainly makes the text more readily comprehensible
without affecting its reliability as far as this study is concerned.
As the question of Pfaff's accuracy in general is naturally
an important one for the value of the findings of this study, I
shall try next to determine the degree of his accuracy.
NOMINAL COMPOUNDS IN MHG 91
In his comment on the first fascicle (1899) Roethe, An-
zeiger für deutsches Altertum, XXV, 152-155, points out a few
inaccuracies, commenting especially on Pfaff's tendency to re-
produce Compounds written separately instead of as one word,
admitting, however, "Es ist nicht immer leicht zu entscheiden,
ob in der Hs. zwei Silben zusammengeschrieben sind oder
getrennt." He closes his comments with the Statement, ". . . den
billig Urteilenden werden die kleinen Fehlerlisten oben in der
Anerkennung von PfafTs gewissenhafter Sorgfalt nicht beirren."
Ehrismann praises the accuracy of the edition in his comment
on the lirst fascicle, in Zeitschrift für deutsche Philologie,
XXXII, 96-100; in a second article, in the same Journal, XLV,
309-311, written upon the completion of the edition, he is
slightly more critical of it, but still "dankbar" for it. Baesecke,
in Deutsche Literaturzeitung (1910), pages 1824-26, remarks
principally on the tendency noted by Roethe, citing two instances
of false Separation in the fourteen strophes compared by him
with the Photographie reproduction of the original: somer zit,
für war in Pfaff instead of somerzit, fürwar. Other reviews of
the edition were either without comment on its accuracy, or
unavailable.
Carl V. Kraus, page x of his tenth edition of Die Gedichte
Walthers von der Vogelweide (Berlin and Leipzig, 1936), re-
fers to Pfaff's edition as "ein nicht durchaus verläßlicher Ab-
druck." In an eflort to determine just how unreliable Pfaff is,
according to Kraus's Standard of accuracy, I have compared
his edition of C with Kraus's Mittelhochdeutsches Übungsbuch
(Second Edition; Heidelberg, 1926), where on pages 188-199
are reproduced the lyrics of Otto v. Bottenlaube which are to
be found in C. Kraus used as his source a Photographie copy
of C, and indicates in footnotes discrepancies between Pfaff and
the original. Below I shall give in two columns the text accord-
ing to Kraus and Pfaff respectively, giving the instances of dis-
crepancy noted in Kraus's footnotes; the signature before the
words in the first column refers to the Strophe and verse num-
ber in Kraus's edition.
92
CORONA
V. Kraus
^M
2C7
tut
cvt
3C5
eines
einer
4C7
nv
nv
6C 2
lieber
liber
herre
here
iiC 4
were
mere
16C 34
wirt
wird
98
solde
sold
145
svsse
süsse
But Kraus has süsse in his text,
svsse in the footnote.
169
svlt
hvlt
219
eide.
eide
19C3
e
e
21C I
Wächter
wahter
4
müst \sic\
müst
{sic\
5
owe
0 we
owe
In 423 lines he has indicated 16 errors; two o£ these (16C
145, 21C 4) cannot be used as a control factor because Kraus
errs there himself; hence if we reckon 14 errors in 423 lines
there would seem to be an average of one error in every 30.2
lines. It appears that Kraus has been more accurate than Pfa£f,
but even he has not been completely successful in avoiding
errors, since he is only 88 per cent correct in calling errors on
Pfaff. If on this basis we estimate the number of errors in the
approximately 64,800 lines of Pfaff's text at about 2,144, only
one seventh of these, or roughly 300, would involve errors in
the rendering of syllables as written together or separately. It
must be remembered of course that not all errors of this nature
would involve nominal Compounds.
A further check on Pfaff 's accuracy, however, is oflered by
Clara Rieke in her dissertation. Die V o\alzeichen in der großen
Heidelberger Liederhandschrift (Greifswald, 1917). This
work, based on Pfaff's edition as its source, is devoted to a
study of the diacritical markings used by the various copyists
of the manuscript. On page 2 she writes, "Da Pfafls Abdruck
ziemlich viele Fehler enthält . . . habe ich alle von mir be-
handelten Spalten mit der photographischen Wiedergabe der
NOMINAL COMPOUNDS IN MHG 93
ganzen Handschrift . . . verglichen." In a section (pp. 148-156)
entitled "Berichtigung von Druckfehlern in Pfafls Abdruck"
she lists 769 errors among the material used in her thesis. Most
of the errors involve confusion of the long -s and round -s, v
and u, v and v, -ht and -cht, misplaced or omitted rhyme points,
etc. Of the 769 errors noted by her, only 18, or 2.34 per cent,
involve Orthographie combination. These are:
PM
MS
ze minnen 28,4
zeminnen
en binne 58,26
enbinne
al eine 176,5
aleine
en siht 180,17
ensiht
vn wert 229,44
vnw^ert
darane 230,33
darane
für war 524,4
fürwar
zerichen 59,9
ze riehen
verderben 113,11
ver derben
geliehen 362,34
ge liehen
zefru 645,9
ze fru
zergat 646,4
zer gat
ansach 649,36
an saeh
verswunden 753,21
ver swunden
vertrib 755,22
ver trib
zvtzir 764,1
zvtz ir
meisterschaft 1176,7
meister schaft
zelobe 1436,12
ze lobe
In seven cases PfafI errs in reproducing tw^o elements separately,
and in eleven cases he errs in giving them written together. On
the basis of Miss Rieke's corrections, it w^ould seem that PfafI
erred slightly more often in w^riting w^ords together than in
v^riting them separately, contrary to the observations of Roethe
and Baesecke.
A resume of these various checks on Pfafl's accuracy is as
follows: Based on a relatively minute portion of his w^ork,
Kraus's examination indicates that Pfaff has made an average of
one inaccuracy in every 30.2 lines, and that one seventh of these
inaccuracies involve Orthographie conflation. More reliable
than these estimates, because they are based on a larger portion
94 CORONA
o£ the material in question, are the findings of Miss Rieke.
These indicate that of 769 errors in PfafI, 18 involve Ortho-
graphie conflation, therefore that 2.34 per cent of the errors,
which occur perhaps once in 30.2 Hnes, might a£fect the
accuracy of this present study. The findings of Miss Rieke
contradict the observations of Roethe and Baesecke in regard
to a tendency one way or the other to reproduce incorrectly
elements capable of Orthographie conflation.
When one considers that this study embraces 4,409 occur-
rences of nominal Compounds, it seems safe, therefore, as far
as the source is concerned, to accept as vaUd the relative statis-
tics yielded by it.
In studying the frequency of the conflation of nominal Com-
pounds in C, the material was examined from these points of
view:
(i) What is the nature of the first dement of the Compound — (a) Sub-
stantive, or (b) nonsubstantive (adjective, numeral, etc.)?
(2) If the first element is a Substantive, is the Compound (a) asyntactic
(type himelvart), or (b) syntactic (type ögenweide)?
(3) How often does the word occur?
(4) Is it written together as one word (conflated), or separately?
Among the 1,674 nominal Compounds found in C (occurring
a total of 4,409 times), the distribution was then found to be
as follows:
TABLE I
WoRDs Occurring Only Once
Nature of Substantive
first member: asyntactic syntactic Nonsubstantive Total
Written
separately: 313(68%) 563(97%) 84(58%) 960(81%)
Written
together: 148(32%) 19(3%) 61(42%) 228(19%)
Total 461 582 145 1,188
TABLE 2
WoRDs Occurring More than Once with Equal Distribution
AS TO Conflation
Nature of Substantive
first member: asyntactic syntactic Nonsubstantive Total
26(S2%) 10(20%) 14(28%) 50
NOMINAL COMPOUNDS IN MHG 95
These 50 words occurred a total of 112 times.
TABLE 3
WoRDS OcCURRING MoRE THAN OnCE AND WITH No DiVISION
AS TO CONFLATION
Nature of Substantive
first member: asyntactic syntactic Nonsubstantive Total
Written
separately: 66(59%) 164(95%) 23(47%) 253(76%)
Written
together: 46(41%) 8(5%) 26(53%) 80(24%)
Total 112 172 49 333
The total number of occurrences involved in this group was
1,382, of which 1,031 (75%) were written separately, 351
(25%) as one word.
TABLE 4
Words Occurring with Unequal Distribution as to Conflation
The words here being placed in the category of the majority of occur-
rences, both as to conflation and to asyntactic or syntactic character.
Nature of
Substantive
first member:
asyntactic
syntactic
Nonsubstantive
Total
Written
separately:
18(41%)
II (46%)
16(46%)
45 (44%)
Written
together:
26(59%)
13(54%)
19 (54%)
58(56%)
Total 44 24 35 103
The total number o£ occurrences involved in this group was
1,727, of which 627 (36%) were written separately, and 1,100
(64%) as one word.
We see that the conflation of Compounds increases with the
f requency of occurrence of the words :
TABLE 5
Frequency of Written Written Total
occurrence separately together
a. Words occurring once: 960(81%) 228(19%) 1,188
b.*
* Group b need not be included in such a compilation, since it comprises only
occurrences of equal distxibution as to conflation; hence the total number of words
involved here is 1,624 instead of 1,674.
96
CORONA
c. Words occurring more than
once, with no division as to
conflation:
d. Words occurring more than
once, with unequal distribu-
tion as to conflation:
Total
253 (76%) 80 (24%) 333
45 (44%) 58 (56%) 103
1258(77.5%) 366(22.5%) 1,624*
The 1,674 diflferent nominal Compounds in C occurred a
total number of 4,409 times, with the following frequency of
conflation among all occurrences; arranged in the same order
as the above compilation, the figures show an increase in con-
flation with the increase of the occurrence of the words :
Frequency of
occurrence
Total
TABLE 6
Written
separately
960 (81%)
56(50%)
1,031 (75%)
627(36%)
Written
together
228(19%)
56(50%)
351 (25%)
1,100 (64%)
Total
1,188
112
1,382
1,727
2,674 (61%)
1,735 (39%)
4,409
Further analysis of the data shows that the type of Com-
pound most frequently written as one word is the type with a
nonsubstantive initial element {hcdbteil, hohvart, zvueierhande ,
etc.); next in frequency of conflation is the asyntactic Com-
pound with an initial Substantive element (type himelvart),
and last is the syntactic Compound with an initial Substantive
element (type ögenti/eide). Arranged in the same order as the
preceding compilations (with Omission of group b), the figures
are as f ollows :
TABLE 7
First
'Nonsubstantive
Substantive
element
a.
ib.)
c.
d.
together separately
61 (42%) 84 (58%)
26(53%) 23(47%)
19 (54%) 16 (46%)
asyntactic
together separately
148(32%) 313(68%)
'46(41%) 66(59%)
26(59%) 18(41%)
syntactic
together separately
19(3%) 563(97%)
8(5%) 164(95%)
13 (54%) II (46%)
106 (46.5%) 123 (53.5%)
220 (35-6%) 397 (64.4%)
40(5%) 738(95%)
NOMINAL COMPOUNDS IN MHG 97
In comparison to the types himelvart and hohvart, the syn-
tactic type of Compound ö genweide and \uniges rat is younger,
and, as a matter of fact, as the writer will attempt to demon-
strate in another study, was an Innovation of the Late OHG
period which reached approximately its present degree of im-
portance in the German vocabulary in the MHG and Early
NHG periods. The results of the study just mentioned indicate
that whereas in OHG only about 7 per cent of the nominal
Compounds with an initial Substantive element were syntactic,
in MHG 45 per cent were syntactic. Arising from a shift of
the attributive genitive from a pre-position to a post-position,
beginning in the Late OHG period and completed in the Early
NHG period, this type of syntactic juxtaposition was still im-
perfectly recognized as a Compound in MHG, as is often the
case with a contemporary development. Probably also because
of the inflectional ending of the first element these Compounds
were most of the time written as separate words, in the ordi-
nary manner of words in a sentence, as in: nv hilf mir, edelr
küniges rat 430,36. On the other hand, the types himelvart
and hohvart, not having an inflectional ending on the first
element, and thus more readily recognizable as words not being
used together in a free syntactic construction, were more likely
to be written together than the syntactic type. Hence we find
the type hohvart written together 46.5 per cent of the time, the
type himelvart 35.6 per cent of the time, and the type ögen-
weide only 5 per cent of the time (Table 7).
If we examine Table 7 from a different viewpoint, we see
that the more frequently a particular Compound occurred, the
more often it was conflated, which would suggest that the more
familiär a particular Compound was to the scribes, the more
obviously it would seem a Compound to them, and they ac-
cordingly would write it as such all the more often. Thus in
the case of the Compounds with a nonsubstantive initial ele-
ment (type hohvart) we note an increase in the frequency of
conflation from 42 per cent of the words in group a (words
occurring once) to 53 per cent of the words in c (words occur-
ring more than once, with no division as to conflation), and 54
98 CORONA
per Cent of the words in d (words occurring more than once,,
with unequal distribution as to conflation). Similarly, in the
case of Compounds with an asyntactic Substantive initial ele-
ment (type himelvart), we note an increase from 32 per cent
in group ^ to 41 per cent in group c and 59 per cent in group d.
Finally, even in the case of Compounds with a syntactic Sub-
stantive initial dement (type ö gen weide), conflation increased
from 3 per cent in ä to 5 per cent in c, and to 54 per cent in d.
In Support of the reliability of these higher percentages (54
to 59 per cent), one may refer to Tables 5 and 6, which indicate
that while there was a decrease in the number of lemmas
involved in the categories a, c and d, the total number of oc-
currences in these categories increased. The resulting figures
indicating the highest frequencies of conflation, being based on
a larger number of occurrences, are therefore probably more
reliable than those figures based on a smaller number of occur-
rences and indicating lower frequencies.
From this high incidence of conflation in the case of the
most frequently used nominal Compounds (54 to 59 per cent),
it seems probable that the writing together of Compounds was
already established in principle in the MHG period as the
proper way to write them. In spite of the fairly frequent Sep-
aration even of prefixes and particles from the second element
of Compounds, such as in ver derben, ge liehen, zer gut, to say
nothing of the Separation of other types of elements that less
obviously belong together with a foUowing element, conflation
was evidently not just an occasional or accidental thing. On
the contrary, conflation appears to have taken place as the result
of a natural feeling on the part of the scribes that the com-
plementary elements of a Compound notion belonged together
not only as far as their meaning was concerned, but also in the
"Schriftbild." So, all according to their familiarity with an
expression, their intuition for sensing the bound nature of its
elements, and the amount of care they took in their workman-
ship, scribes of the MHG epoch sometimes wrote Compounds
as one word, and sometimes not.
Usage as to conflation continued to be irregulär even until
NOMINAL COMPOUNDS IN MHG 99
well into the modern period of the language, until the eight-
eenth Century. Before that time, in Early NHG, the usage was
as foUows, as described by V. Moser, Frühneuhochdeutsche
Grammatik^, 1. Bd., i. Hälfte (Heidelberg, 1929), page 10:
"Die Zusammenschreibung und Trennung von Worten und
Wortteilen ist besonders im Äfrnhd. noch sehr willkürlich.
Seit der zweiten Hälfte des 16. Jhs. tritt dann zwar eine
gewisse Reglung des Gebrauchs ein, doch bestehen auch
im 17. Jh. noch keine allgemeinen Gesetze dafür. . . .
Zusammensetzungen von Nominibus sind äfrnhd. noch sehr
häufig getrennt geschrieben (haupt leut, kirch weih, sunnen
schyn . . . usw.), woneben jedoch die gleichen Komposita im
selben Druck auch schon verbunden vorkommen. Im Laufe
des 16. Jhs. wird dann die Zusammenschreibung immer mehr
zur Regel; aber noch bis ins 17. Jh. findet man öfter die
getrennte Schreibung daneben (Meer Rauber, Schutz Engel
usf.). Andrerseits werden die zusammengerückten Bestandteile
im 17. Jh. teilweise durch den großen Anfangsbuchstaben des
letztern kenntlich gemacht (VatterLand, StadtRichter . . .)
und im ausgehenden Frnhd. werden dann hier in weitgehen-
dem Maße Bindestriche angewandt (Schertz-Rede, Abend-
Stunde . . .). ... Bei präpositionalen Verbindungen herrscht
z. T, bis ins 17. Jh. Schwanken in der Schreibung (zu rück . . .
neben zurück usw.)."
ZWEI FRANZÖSISCHE NEOLOGISMEN
LEO SPITZER, The Johns Hopkins University
PARAMILITAIRE^
UEBER ENTSTEHUNG und Bedeutungswandel dieses
Wortes referiert ein Artikel des "Temps" vom 26. XII.
1935:
AUTOUR d'uN NEOLOGISME
Lors de la seance de la Chambre du 6 decembre dernier, l'accord
s'etait fait dans l'enthousiasme pour accepter tout d'abord le desarme-
ment des ligues, puis ensuite leur dissolution "dans la mesure oü il serait
demontre qu'elles sont paramilitaires." Si le fait de desarmer des
groupements ne peut preter a aucune equivoque, il semble bien que ceux
des deputes qui ont insiste sur la suppression des associations "paramili-
taires" n'avaient pas un souvenir precis de la signification du mot qu'ils
mettaient en avant. Pour trouver son sens veritable il £aut, de toute
necessite, remonter aux circonstances dans lesquelles il a pris naissance.
Ce neologisme a fait son apparition au cours des interminables dis-
cussions, engagees ä la Conference des Ambassadeurs et plus tard ä
Geneve, sur les associations allemandes qui, d'apres l'article 177 du traite
de Versailles, "ne devaient s'occuper d'aucune question militaire." Les
delegues frangais, qui creerent le mot paramilitaire, ne l'employerent
Jamals pour designer des ligues dotees ou non d'uniformes, prenant part
ä des defiles lors de manifestations publiques et obeissant ä leurs chefs.
Toutes les associations d'Allemagne avaient toujours agi ainsi et de tels
usages n'etaient pas vises par les interdictions du traite. L'expression
"paramilitaire" fut reservee par nos representants aux ligues qui don-
naient, illicitement, ä leurs membres une Instruction les rendant aptes ä
la guerre et leur permettant eventuellement de grossir tres rapidement les
effectifs de l'armee reguliere.
Dans cet ordre d'idees, l'association paramilitaire-type fut longtemps
celle du Casque d'acier, groupement patriotique sans tendances po-
I. Das Belegmaterial aus französischen Zeitungen macht beim Jahre 1936 halt,
dem Datum meiner Übersiedlung in die Vereinigten Staaten.
ZWEI FRANZÖSISCHE NEOLOGISMEN loi
litiques, dont le marechal Hindenburg etait president d'honneur. Elle
avait pour devise: "Le sacrifice et les armes sont ä la base de la victoire"
et pour but "de conserver l'esprit victorieux de 1914 et de remedier a la
suppression du service obligatoire, en rendant la jeunesse allemande sus-
ceptible de se comporter heroi'quement pour la patrie."
L'instruction militaire donnee aux volontaires de la ligue consistait
en marches de jour et de nuit, accomplies avec le sac progressivement
Charge, marches au cours desquelles plusieurs kilometres devaient etre
parcourus avec le masque, et en exercices de service en campagne oü la
lecture des cartes, l'orientation, la marche ä travers bois, l'utilisation
offensive et defensive du terrain etaient minutieusement etudiees. Des
seances de tir ä la cible, de lancement de grenades et parfois de veritables
manceuvres 011 s'affrontaient deux partis opposes completaient l'ensem-
ble de l'instruction donnee.
Les principales autres ligues, Association hitlerienne et Association
republicaine, dont les intentions politiques etaient nettement declarees,
se livraient ä des exercices analogues, avec cette seule Variante que leurs
groupes de combat s'entrainaient specialement pour les batailles de rues.
Mais, quels que fussent les objectifs futurs poursuivis par ces ligues, elles
violaient le traite au meme titre que le Casque d'acier, puisqu'elles pre-
paraient au metier de soldat des milliers de jeunes gens, auxquels tout
enseignement militaire demeurait interdit. Toutes ces associations se
trouvaient donc classees sous la rubrique "ligues paramilitaires."
Or, ä l'exception des societes de preparation militaire reconnues par
l'Etat, il n'existe pas en France d'associations auxquelles puisse etre
accole, meme approximativement, le qualificatif invente pour les ligues
allemandes, dont nous venons de rappeler les occupations. Si donc l'ac-
cord sur le desarmement avait une reelle valeur, celui qui fut realise sur
la dissolution des associations paramilitaires n'en avait aucune, du fait
qu'il ne pouvait s'appliquer ä personne.
Le projet du gouvernement ne faisait d'ailleurs aucune allusion au
mot "paramilitaire" et les partis d'extreme gauche, sans doute avises de
l'erreur qu'ils avaient commise, ne reprirent pas dans le texte qu'ils firent
adopter ä la Chambre au cours d'une nuit agitee l'expression ä laquelle
ils paraissaient avoir, le matin meme, attache une si grande importance.
Halten wir also an den zwei Etappen im Leben dieses
Wortes fest:
(i) geschaffen im Versailler Friedensvertrag, für jene deut-
schen Vereinigungen, die, ohne reguläres Militär zu sein, ihren
Mitgliedern eine militärisch kriegerische Ausbildung geben,
(2) übertragen von französischen Linkskreisen auf fran-
zösische Vereinigungen, die ihren Mitgliedern zwar nicht eine
102 CORONA
militärische Ausbildung, wohl aber Waffen und Uniformen
geben, um im innerpolitischen Kampf intervenieren zu kön-
nen. Beide Stadien in der Entwicklung sind sprachwissen-
schaftlich interessant. Über die Bildung als solche hat Leon
Berard in einer Kammersitzung (nach dem "Temps" vom 25.
XII. 1935) geistreich geäussert:
... Quid s'il s'agit d'une association qui projette de ruiner les institutions
republicaines et de saccager l'unite nationale et pouvant etre consideree
comme ayant un caractere paramilitaire.? Car on a cree, pour l'appliquer
aux associations, un neologisme ingenieux ä l'aide d'un prefixe hellenique
dejä en honneur dans la terminologie des afifections infectieuses. (Rires.)
En tout cas, cette association est particulierement dangereuse. C'est une
association criminelle. Les chefs sont des factieux. Eh bien, le legis-
lateur de 1901 a-t-il prevu, pour eile, la dissolution par decret.''
Es handelt sich tatsächlich um das griechische Präfix Trapa-
'über hinaus,' das bisher in der pathologischen Medizin einen
abnormalen oder gesundheitswidrigen Zustand bezeichnete,
allerdings meist bei ebenfalls griechischen Stammwörtern:
paralyse, paranöia, paralexie, paralalie, Paraphasie, paraboulie,
paresthesie, wobei diese medizinischen Ausdrücke ihrerseits an
paralogtsme, paradoxe ihren Anhalt haben. Der unmittelbare
Vorgänger von paramilitaire ist aber offenbar nicht dieser Ge-
brauch von Trapa-, sondcm derjenige, welcher sich in fievre
paratyphdide findet, d.h. ein Fieber, das in ähnlichen Erschei-
nungsformen wie der Typhus auftritt und von einem dem
Typhuserreger ähnlichen Bazillus erregt wird (der Ausdruck
stammt von dem Franzosen Achard, 1896, wie mich Kollege
Philipp Schwartz belehrt), daher es auch nach Larousse du
XX^ siede: typhöidette genannt wird, 'kleiner Typhus,' also
'nicht richtiger' Typhus, mit jenem die Ungleichheit und dabei
doch Ähnlichkeit betonendem Diminutiv wie in flanellette
'Art Flanell.' So hat offenbar auch Leon Berard in obigem
Ausspruch empfunden. Es handelt sich also hier um die Be-
deutung 'bei,' 'neben' des griechischen Präfixes, aber nicht
auszuschliessen ist die Bedeutung des Krankhaften und Regel-
widrigen ('kein richtiger Typhus')." Vgl. etwa Celine, "Baga-
2. Etwas andersgeartet ist der Gebrauch von para- in parapsychique: "Terme
propose par Boirac et approuve par Flournoy pour designer les phenomencs de
ZWEI FRANZÖSISCHE NEOLOGISMEN 103
telles pour un massacre," S. iii: "je redigeais, super-malin,
amphigourique comme un sous Proust, quart Giraudoux, para-
Claudel," S. 171 : "nos ecrivains lances ... dans la plus abraca-
dabrante imposture de ce siecle, ... par l'accumulation des frene-
sies creuses, des simulacres para-symboliques."
Die französischen Unterhändler bei der Friedenskonferenz
haben mit paramilitaire eine sprachlich kühne, weil hybride^
Bildung geschaffen: sie wollten die Camouflage, die 'Tarnung'
von Zivilisten als Militärs, wie sie sie bei den Deutschen ver-
muteten, mit dem Ausdruck treffen, gewiss auch etwas Patholo-
gisches, etwas der 'Gesundheit' in französischem Sinn (nämlich
der securite Frankreichs) Zuwiderlaufendes: ligue paramilitaire
ist dann, genau parallel dem Paratyphus, eine deutsche Vereini-
gung, die den Effekt des Militärs hervorruft (Gefährdung
der Sicherheit Frankreichs), ohne wirklich militärischen Ur-
sprungs zu sein — wobei nur dieser Tatbestand, nicht die
Absicht der Tarnung festgestellt wird: pseudo-militaire hätte
indiskreter diese letztere und damit schon eine böse Absicht
unterstellt. Interessant ist dabei zu beobachten, wie die franzö-
prevision, telepathie, etc., ainsi que leur etude ... Parapsychologie a ete employe dans
le meme sens par K. Oesterreich, Der 0\k}dttsmiis (1921). Aug. Lemaitre a designe
par Parapsychisme un etat mental temporaire de nature intime (reve, manie, Ob-
session) qui traduirait une crise psychologique obscure, souvent premonitoire d'unc
grave maladie ... L« vie mentale des adolescents (1910) ..." (Claparede in Lalande,
Dict. phü., III, S. 95) — also para- 'über hinaus' (positiv gewendet). Paramditaire
könnte also streng sachlich genommen auch als 'was über das normale Militär
hinausgeht' analysiert werden, wie parapsychiqtie 'was über die normale Psychologie
hinausgeht.' — Der ältest bezeugte wissenschaftliche Terminus mit para-, den auch
Darmesteter, Mots nouveaux (1877), S. 245, allein anführt, ist paramagnetisme , 'die
Eigenschaft der Körper, parallel dem Pol sich unter dem Einfluss des Magnets einzu-
stellen'), Gegensatz diamagnetisme ('die dem magnetischen Einfluss entgegengesetzte
Eigenschaft'), hier ist para- nach parallele gemodelt. — Phil. Schwartz teilt mir mit,
dass manche dieser para-Bildungen (wobei die von rein lokalem para abzweigenden,
wie parenterische Ernährung 'E. ausserhalb der Eingeweide', paratyphditis 'Entzün-
dung neben dem Blinddarm' ausscheiden) für den richtigen Mediziner auch pejorativ
klingen, so das erwähnte Parapsychologie oder auch Paratuber\ulose ('eine Tuberku-
lose, von der man nichts Richtiges weiss'). In ital. Bnte parastatale ist ein para^=-
'neben,' ohne pejorative Nuance, zu verzeichnen. Migliorini, Lingua contemporanea,
S. 78 datiert es ab 1923 und bezeichnet es als charakteristisch für die Zeit der
staatlichen Überwachung aller früher privaten Initiative, ohne paramilitaire zu
erwähnen.
3. Dieser Mangel des Wortes (der heutigen Tages nicht allzu schwer wiegt, vgl.
automobile, auto-suggestion, pseudo-science etc.) wird auch noch durch die Einreihung
in Nachkriegsbildungen mit Präfix -f- -militaire (pre-, postmilitaire) ausgeglichen.
104 CORONA
sische Wortschöpfung dennoch ein Urteil enthält, anders als
in dem Vorbild paratyphdide, ein Urteil nämlich, das sich
schon allein durch die Wortschöpfung bekundet — was benannt
wird, ist möglich, existiert, bekommt Realität, es wird als
real hypostasiert. Dies Urteil lautet ungefähr: 'es ist möglich,
dass solche Vereinigungen sich in Deutschland bilden.' So
gleitet paramilitaire dennoch faktisch hinüber in pseudo-
militaire (in Fällen, wo kein 'Verdacht' vorliegt, so für das
ferne Ägypten, taucht gelegentlich semi-militaire auf). Dass
es ein Wort der Kritik deutschen Verhältnissen gegenüber ist,
wird durch die Tatsache erhärtet, dass das Wort nie von
deutscher Seite aufgegriffen worden ist — logischerweise, da
Deutschland die Existenz solcher Pseudoformationen militä-
rischen Charakters stets abgeleugnet hat. Es gab in der
Propaganda deutscher Linksparteien Ausdrücke wie schwarze
Reichswehr, getarntes'^ Militär, halbpolitische Wehrverbände,
heimliche Wehrverbände, wovon nur der erste und letzte halb-
wegs häufig vorkommen (so z.B. passim in Konrad Heidens
Hitler-Biographie), der erste übrigens auf die wirklich von
der Reichswehr vorgenommene Einstellung von Zeitfreiwilli-
gen zielt. Aber die Zahl dieser Benennungen und die Be-
schränkung des Gebrauchs (in Linkskreisen) zeigt schon die
Abneigung gegen die Schaffung dieses Begriffs. Begriffsprä-
gung ist Annahme der Existenz: daher, wo die Existenz
geleugnet wird, man den Begriff zurückweist. Es geht hier
4. Der Gegensatz zwischen frz. Camouflage und dtsch. tarnen zeigt auch diese
Macht der Stempelung eines Ausdrucks durch die Sprache: während in der Sprache
der französischen PoHtik Camouflage Heuchelei und uneingestandene Zielverschiebung
andeutet, wurde "193 1 . . .tarnen von den Kämpfern für das Dritte Reich zum vater-
ländischen Schlagwort erhoben" (Kluge-Götze); vielleicht war letzterer Bedeutungs-
wandel {positive Fassung des Wertes) durch den ö//deutschen Klang des neuaus-
gegrabenen Wortes, durch seine militärisch-xtchnKche. Bedeutung ('Decken in der
Stellung im Krieg', vgl. Kluge-Götz;) eher mög'ich als in Frankreich, wo schon
der heuchlerische Klang des Wortes, sein Muffelgeruch gleichsam — für tarnen im
Parteileben ist jetzt noch se maquiller üblich (so R. Millet in "Le Temps" vom 10. I.
1936), was einen mehr kokett-karnevalistischen Beiklang hat — , aber auch die un-
militärische Geistesart des Volkes einen solchen Aufstieg verhindert (vgl. die Wirkung
der fl- Bezeichnungen für Heuchler bei Rabelai,;, wie mitoufle, empantoufle). Ver-
gleichen kann man im Französischen und Deutschen die neuere Wiederausgrabung
der alten Wörter ligue und Bund durch die Gruppen, die den Frontgeist hüben und
drüben pflegen.
ZWEI FRANZÖSISCHE NEOLOGISMEN 105
ähnlich zu wie bei der Erörterung über das potentiel de guerre:
französische Militärkreise haben diesen technischen Ausdruck
für die über die Kampfkraft der Reichswehr hinausgehende
Wehrfähigkeit des deutschen Volkes, sein Reservoir an mili-
tärisch ausnutzbaren Menschen- und Materialwerten ge-
schaffen, das durch den Friedensvertrag nicht richtig erfasst
worden wäre. Deutsche Reichswehrkreise haben diesen Begriff
als ein Mythologem, als eine Ausgeburt einer erhitzten Angst-
psychologie, bekämpft. Gemeinsam ist paramilitaire wie
potentiel de guerre die Ausgangsvorstellung von einem un-
begrenzten Wehrwillen des deutschen Volkes, eine Kritik also,
die der Kritisierte nicht anerkennen will. Die geistige Zurück-
weisung des Begriffs spiegelt sich in der Ablehnung des
Wortes.
In dem Augenblick wo das Wort nun dem Bedeutungs-
wandel unterliegt und nicht mehr deutsche, sondern fran-
zösische Vereinigungen bezeichnet, ist ihm der Zutritt in
Deutschland frei. In einem Bericht über die oben erwähnte
französische Kammersitzung spricht die "Frankfurter Zeitung"
vom französischen Justizminister, "welcher dafür eintrat, dass
die Entscheidung über den paramilitärischen Charakter der
Bünde den ordentlichen Gerichten anheimgestellt werde" — es
ergibt sich also der paradoxe Zustand, dass das Wort, das für
deutsche Verhältnisse geprägt, aber von den Deutschen zurück-
gewiesen wurde, nun, wo es sich zu einem Französisches be-
zeichnenden Worte gewandelt hat, angenommen wird ! Habent
sua fata vocabula.^
Wie kommt nun jener innerfranzösische Bedeutungs-
wandel zustande, wie er in dem Artikel "Autour d'un neolo-
gisme" gekennzeichnet wird.f* Soll man nur Irrtum der
linksgerichteten Abgeordneten annehmen, wie dieser Artikel
nahelegt? Ich glaube doch, dass die Anwendung von para-
militaire auf französische Bünde wie les Croix de feu tatsäch-
lich deren Gleichstellung mit deutschen ähnlichen Formationen
5. Vgl. umgekehrt das Fortleben des Wortes nazi in offiziellem Französisch,
während es aus offiziellem Deutsch seit dem Hitlerregime geschwunden ist (vgl. he
jrang. mod., II, 263).
io6 CORONA
bezwecken sollte. Das, was der Artikelschreiber als den 'Irr-
tum' der erwähnten Kreise bezeichnet, ist wohl ein absichtliches
Hinwegsehen über die (auch im Sinn der Franzosen) bestehen-
den Unterschiede zwischen den Croix de feu einerseits, Stahl-
helm, SA, SS, Republikanischer Schutzbund anderseits. Es
sollte nahegelegt werden, dass diese politischen, bewaffneten
Gruppen in Frankreich (a) ähnlichen fremden Bünden nach-
gebildet, daher landfremd, unfranzösisch, (b) ebenso politisch
und militärisch gefährlich seien wie die deutschen, zumal die
Undurchsichtigkeit der Zusammenhänge zwischen den zivilen
und militärischen Bünden im selbst vorhitlerischen Deutsch-
land für jeden Franzosen eine unumstössliche Überzeugung
war. Der Ausdruck paramilitaire, auf Frankreich angewendet,
wurde ja auch sofort vom Publikum korrigiert, als nicht auf
zusätzliches, getarntes Militär zielend empfunden, — daher als
eine Metapher. Es ist also dasselbe Phänomen wie wenn in
Frankreich friedlich bürgerliche Kreise (etwa die Gruppe, die
lavalisonsl sagte) von der Linkspropaganda als fascistes (oder
wenn französische Rechtskreise als hitleriens frangais) bezeich-
net wurden. Auch dies ist blosse Metapher, die als solche
verstanden wird, und wahrhaftig kein 'Irrtum': niemand fiel es
damals ein zu glauben, dass Laval ein korporatives autoritäres
Staatssystem nach italienischem Muster einrichten wollte,
sondern man gab vor es zu glauben, man ging absichtlich
über die Unterschiede eines französischen Anführungszeichen-
"fascisme" und eines italienisch realen fascismo hinweg. Wenn
E. Fournol ("Le Temps," 19. IV. 1936) meint, es sei neu in
Frankreich, dass die Wahlparolen fremde seien (fascisme,
bolchevisme) und die sprachlich-seelische Unproduktivität
Frankreichs beklagt, so übersieht er diese absichtliche Ver-
gleichung von Einheimischem mit Fremdem: die Vergleichung
ist da eine französische Sprachschöpfung! Auch hier ist also
die Wortschöpfung Hypostase einer Realität, man schafft hier
willentlich, aus Ideologiegründen, eine Gleichung, die ein
Urteil enthält. Die Abgeordneten, die, der Regierung folgend,
paramilitaire in dem Gesetzentwurf gegen die Bünde fallen
gelassen haben (der definitive Text enthielt nur "groupes de
ZWEI FRANZÖSISCHE NEOLOGISMEN 107
combat" und "milices privees") wollten damit nicht so sehr
einen sachlichen Irrtum berichtigen, als einen Gesetzestext,
der ihnen ohnehin sachliche Genugtuung gab, von einem
Propagandamittel freihalten, das genug gedient hatte.
Beide Phasen der bisherigen Geschichte des Wortes zeigen
also die 'Macht des Wortes über den Gedanken.' Nennen ist
ein Denken und ein Tun, ein Beherrschen — wie schon der
Bericht der Genesis andeutet. Gerade bei der politisch beein-
flussten Wortbildung lässt sich dies voluntative Element alles
Nennens schön beobachten.^
MOSCOUTAIRE
H/N restant fideles ä l'Italie eternelle, comme le disait M.
Herriot, nous ne devenons pas davantage fascistes que nous ne
deviendrons moscoutaires en acceptant l'amitie de Moscou,"
schreibt der "Temps" vom 10. XII. 1935 (Artikel von Joseph-
Barthelemy). Man sieht deutlich, dass das Wort moscoutaire,
'Anhänger Moskaus,' 'Anhänger des in Moskau beheimateten
Kommunismus' eine sprachlich glückliche Bildung ist, der
für die Anhänger des italienischen Fascismus keine parallele
Bildung zur Seite steht: denn offenbar müsste es bei genauem
Parallelismus *fascist-iste, *fascist-aire heissen (Jascistisant
wäre zu schwach, da -iser nur die Nuance des deutschen
-ein 'kokettieren mit . . . ,' 'angehaucht sein von . . . ' enthält,
vgl. bolchevisant) . Die Nuance 'Ausländer, der den italieni-
schen Fascismus verehrt' ist bei fasciste nicht so offenbar wie
bei moscoutaire die Bedeutung 'ausländischer Gefolgsmann
Moskaus.' Man versteht, dass Rom mit seiner, vor den Gebildeten
der ganzen Welt daliegenden Geschichte nicht zum Ansatz-
6. Allerdings kann eine Neubildung über die Gruppen, die sie selbst geschaffen
haben, derartige Macht gewinnen, dass selbst vergangene Ereignisse mit den neuen
Namen benannt und so geistig umgeschafifen werden, so wenn L. Blum, Souvenirs
de l'Affaire (über die Dreyfus-Affaire) schreibt (S. 177): "Ils [les antidreyfusards]
s'appliquent ä discipliner les reflexes confus, mais simples, de l'instinct national, ä les
diriger vers une reaction fasciste ... la Ligue de la Patrie Fran^aise s'etait organisee ä
peu pres sur le meme modc que les ligues paramilitaires d'ä present." Die umgekehrte
Erscheinung dazu ist die Verflüchtigung des lokalen und historischen Beigeschmacks
eines Wortes, so wenn etwa Czar in Englischen, Pascha im Deutschen für einen
Gewaltherrscher (wo immer) angewendet werden.
io8 CORONA
punkt einer den Fascismus andeutenden Ableitung werden
konnte: Rom ist für die Welt weniger das Strahlenzentrum
des Fascismus (trotz der Marcia su Roma), der ja auch eher
eine Bewegung der Zusammenfassung aller Kräfte Italiens ist,
als Moskau der Herd des Kommunismus russischer Prägung.
In der Kammer konnte ("Temps" vom 5. XII. 1935) ein Kom-
munist einem Anhänger der 'Ligue des Croix de feu' zurufen:
'Allez a Rome, ascari,' er musste also das italienische Wort
wählen, um einen französischen Fascisten zu bezeichnen, er
konnte keine Ableitung des Stadtnamens bilden; ein Zuruf
Romain! hätte an einen altrömischen Republikaner oder einen
Römer Corneilles denken lassen. Eine normale Ableitung von
Rome würde an la prima, la seconda, la terza und la quarta
Roma, vor allem auch an das päpstliche Rom (mit dem die
Republik sich neuerdings gut stellt; anti-romain heisst anti-
klerikal) denken lassen, wäre also wenig deutlich. Eine
scherzhafte Ableitung wiederum steht im Widerspruch zu der
Erhabenheit der ewigen Stadt, zu dem Glanz historischer
Gebäude {des palais romains le front audacieux. Du Bellay).
Der historische Klang des Namens verbietet sich gleichsam
die Karikatur, der Togawurf das Affenschwänzchen. Das
Deutsche hat durch das Suffix -ling eine Möglichkeit, Römer
TM Römling zu entstellen, und durch den Umlaut ein Mittel,
die Ableitung vom Stadtnamen ein wenig abzutrennen.
Moskau dagegen ist für das heutige europäische Gemein-
bewusstsein entweder der Exponent des Altrussentums und
Zarentums oder der neurussischen Sowjetherrschaft. Die Ad-
jektivableitung moscovite (mit dem feierlichen Klang des -ita,
jesuite, levite, urspr. Bezeichnung einer religiösen Partei, nicht
bloss einer 'Partei') zielt nun, abgesehen von der rein techni-
schen Bedeutung 'Einwohner der Stadt Moskau,' z.B. l'orgatie
moscovite 'das Moskauer Zeitungsblatt,' auch auf die Anhänger
des alten Regimes (davon die familiäre Ausdrucksweise vieux
moscovite 'alter Lump'). Wenn z.B. der rechtsstehende Ab-
geordnete Taittinger ("Temps" vom 7. XII. 1935) les gestes
reclames par les hommes de Moscou tadelt und verlangt qu'on
ZWEI FRANZÖSISCHE NEOLOGISMEN 109
traite les Frangais en citoyens libres et non comme des esclaves
preis pour le hjiout moscovite, so identifiziert er zwar aus
agitatorischen Gründen das alte und das neue Regime, aber er
wagt doch nur das Wort moscovite im Zusammenhang mit
der Knute des Zarismus zu gebrauchen; die neuen Sowjet-
machthaber sind les hommes de Moscou, nicht les Moscovites:
er will zwar den Gedanken nahelegen, dass in Russland sich
in punkto Freiheit nichts geändert habe und die Sowjetherr-
schaft die Fortsetzung des Zarentums sei,*^ aber die Sowjet-
leute sind doch keine 'Moskowiten.' Moscoutaire bedeutet nun
nicht die Einwohner von Moskau, sondern nur mehr die
geistigen Adepten der Lehre Moskaus: Moskau schwebt in
jenem prägnanten Sinn vor, in dem moderne Städte als my-
thische Kraft- und Emanationszentren aufgefasst werden (wie
wenn man etwa schreibt: Sous la loi de Moscou, Titel eines
Artikels gegen den Front populaire im "Temps" vom 10. I.
1936: les communistes frangais regardent vers Moscou; la
demonstration etait faite de la dictature revolutionnaire (in
Frankreich) voulue par Moscou; auch Vamitie de Moscou in
7. Eine ständige Gleichsetzung in den Rechtskreisen, so J. B. in "L'Action frangaise"
vom 7. XII. 1935: "Oui, la Russie, nouvellement appelee U. R. S. S., existe sur la
carte ... Choyes comme des tsars, les maitres de Moscou doivent se dire. ..." Fauxbras,
Viande a briller, S. 153 (ein Kommunistengegner) sagt: 'Mon Internationale n'est pas
numerotee. Je reve des Etats-Unis du Monde, je vomis le tsar Staline et ses larbins
de la Rue La Fayette" {moscoutaire ist eine kurze, einprägsame Zusammenfassung
dieses letzeren, mehrwertigen Ausdrucks). Interessant wie Wörter, die längst für
französisches etymologisches Empfinden ihren Zusammenhang mit Russischem verloren
hatten, vom Hass plötzlich rück-russifiziert werden: Fauxbras, 1. c. 224: 'Jen avais
soupe, de la russomanie. Et Robert voudrait qu'aujourd'hui ... j'aille applaudir les
memes 'roublards' .' Non merci, tres peu pour moi: Quand les roublards me refileront
quelques-uns de leurs roubles, il y aura peut-etre moyen de s'entendre.'' {rcnblard
'Pfiffikus,' nicht sicher zu rouble 'Rubel' gehörig, wird im Wortspiel 'russifiziert').
Maurras,"A. fr. ,"31.1. 1936: "Si l'on s'inscrit pour la France, il devient delicat de s'afficher
pour Londres et Moscou. L'alliance moscovite est une mauvaise aflfaire diplomatique
condamnee par tous les esprits competents. Nous sommes bien ä l'aise, ici, pour
rappeler cet avis motive. Tous les genres d'aliiances russes nous ont ete suspects, et
des les temps forts anciens (vers 1896, si l'on veut un point de repere), les evcnements
qui ont suivi ne nous ont pas donne tort. II ne s'agit pas ici de sovietisme ni de
tzarisme: c'est au tzarisme que nous etions hostiles, quant ä nous, ä la fin du XIX^
siecle." De Kerillis sagt in der Kammer ("Temps," 25. XI. 1936): "Le pacte franco-
sovietique, nous l'accepterons lorsqu'il n'y aura plus 72 deputes russes sur les bancs
de la Chambre," worauf der Kammerpräsident: "De telles paroles sont absolument
inadmissibles."
HO CORONA
dem zitierten Satz von Joseph-Barthelemy). Letztlich beruht
also diese Ableitung auf dem Symbolwert Moskaus, der sich
heute mit dem Sowjetismus und der Dritten Internationale
identifizieren lässt, während, wie gesagt, Rom keinen einheit-
lichen Symbolwert im Sinn des Fascismus hat. Die Ableitungs-
verhältnisse spiegeln also das moderne Geschichtsbewusstein
und die Symbolkraft der geistigen Zentren wieder.
Warum hat nun gerade die Bildung moscoutaire entstehen
können? Sie lässt sich, rein grammatisch gesprochen, in die
Fälle von analogischem -/- bei Ableitungen von Substantiven,
die auf den Vokal -u (= -ou) enden, einorden, Typus bijou -
Bijoutier, caillou-caillouter, dou-douter doutier, caout-
chou{c) - caoutchoute , velou(rs)-velout€, analogisch nach
bout - bouter, tout - toute, egout - egoutier, wobei manche Bei-
spiele auch anders aufgefasst werden könnten: caoutchoute
kann sich nach ouate gerichtet haben; frouf router knüpft an
eine ursprüngliche Onomatopöie frout neben frou-frou an;
joujouter klingt an die -o/cr- Verba an usw. Überhaupt ist zu
sagen, dass solche Ableitungstypen durch Konkurrenz ver-
schiedener Motive Zustandekommen (Nyrop führt dou-et-ier
> doutier an). Man versteht, dass von Moskau kein *moscoutier
gebildet werden konnte: das wäre eine Berufs- oder Zugehö-
rigkeitsbezeichnung gewesen wie bijoutier, doutier. -aire eignet
sich besser weil es als gelehrte Bildung geistiger ist. Man ver-
gleiche sanctions petrolieres mit ideologie societaire. Diese
Nuance verzeichnet keine unserer Grammatiken, obwohl der
Gegensatz von afrz. aversier 'Feind, Teufel' — nfrz. adversaire
'der (geistige) Gegner' doch klar ist; daher die politischen
Bezeichnungen revolutionnaire , reactionnaire, egditaire, hu-
manitaire, autoritäre adjektivischer Funktion, von denen dann
-isme- und manchmal -zV/^-Substantive abgeleitet werden
(parlementaire - parlementariste, -isme, unitaire - unitariste,
-isme), ebenso italienisch -ario neben -iere, vgl. das neuerdings
im Konflikt mit dem Völkerbund aufgekommene ital. socie-
/ÄHO-Adjektiv (eloquejjza "societaria"). Frz. -iste, ital. -ista
haben neuerdings durch grammatikalische Verschiebung zum
Adjektiv die -aire, -ario etwas verdrängt, besonders gestützt
ZWEI FRANZÖSISCHE NEOLOGISMEN iii
durch die Betonung des politischen oder programmatischen
Aktivismus, die in -ist liegt,^ daher ital. stati sanzionisti usw.
Moscoutaire enthält also das geistige -aire, das eine geistige
Anhänglichkeit an eine politische Richtung (nicht die volle
Aktivität des -iste) darstellt. Vielleicht kann man sogar nicht
bloss -t-aire, sondern auch Konkurrenz des Wortausganges
-taire in egalitaire, humanitaire , auch sectaire und vielleicht
militaire annehmen. Moscoutaire w^ird dann im Munde der
Gegner der III. Internationale zur Parodie des humanitaire
und egalitaire, zur Karikatur französischer Humanität und
Demokratie, gleichsam zu einer Abbreviatur von humanitaire
de Moscou, was für feindlich Gesinnte eine contradictio in
adjecto ist. Man beachte, dass humanitaire selber früher als son-
derbar und ideologisch verkrampft empfunden wurde, vgl. die
beiden Belege aus Musset's "Lettres de Dupuis et Cotonnet,"
die Darmesteter, Mots nouveaux, S. 196 zitiert: "Humanitaire,
en style de pref ace, veut dire : homme croyant ä la perfectibilite
du genre humain, et travaillant de son mieux, pour sa quote-
part, au perfectionnement dudit genre humain"; "Pour ce qui
est du mot humanitaire, je le revere, et quand je l'entends, je
ne manque jamais de tirer mon chapeau; puissent les dieux me
le faire comprendre!" Ebenso ging es doctrinaire, von dem J.
Lefranc im "Temps" vom 28. III. 1936 schreibt: "Toute secte,
toute heresie, toute ecole a au moins accouche d'un mot neuf.
'Doctrinaire,' qui nous est aujourd'hui familier, date seulement
8. In Lbl. 1944, Sp. 244 habe ich in Fällen wie ecriture artiste, Propaganda jascista
von einem 'Halb-Adjektiv' gesprochen, wogegen das neuere ital. -istico ( speculazione
borsistica) rein sachlich ist, den Zuschuss von Menschlich-Aktivem eingebüsst hat.
Hier verzeichne ich etwa aus einem Roman von Panzini, Viaggio con una giovane
ebrea (1935), S. 405: "Troppo melanconico e anche troppo realista e brutale (allora
non si diceva realistico)." Ein hübscher Beleg für den Sprachwandel! — In Wörtern
wie copiste weigert sich das Volksempfinden, die blosse Ausübung einer Tätigkeit
(ohne Programm sozusagen) mit -iste tm bezeichnen, daher die Form copieur, die
bei Desgranges (1821) getadelt wird, vgl. Gougenheim, La langtie populaire dans
le Premier quart du XIX^ siecle, S. 138. Nicht umsonst entspricht dem deutschen
Komponist frz. compositeur.
Den politisch-aktiven Charakter von -iste zeigt eine Stelle bei Fauxbras, Viande a
brüler, S. in: "Moi, dit Lalou (ein Arbeitsloser), je suis pacifiste, anarchiste, bol-
cheviste, antimilitariste, socialiste, et tout ce que vous voudrez en "iste," ä condition
que ce soit contre les capitalistes." Vergl. noch über -ismus Huizinga, Im Schatten
von Morgen, S. 165.
112 CORONA
d'un siecle. Royer-Collard et Guizot le re^urent, comme un
don pernicieux, de leurs denigreurs." Und ähnlich spricht
Maurras in der "Action frangaise" vom 6. XII. 1935 von Her-
riots folies de covenantaire sanglant, "der Covenant-, Völker-
bundsgläubige" (vergleichbar dem ital. illusioni societarie), —
in derselben Zeitung, die immer le pays reel dem pays legal
gegenüberstellt, erscheint auch ironisches legditaire (offenbar
dem verabscheuten Reimwort egditaire nachgebildet).^ So
zielt denn auch moscoutaire auf den Glauben, nicht die Aktion
der correligionnaires de Moscou. Die moscoutaires sind bloss
passive Anhänger, daher keine *moscoutistes (w^ozu auch die
lautliche Analogie gefehlt hätte: flütisfel?); es ist auch kein
^sovietiste, nach communiste, entstanden. Vielleicht ist auch
der rein lautliche Anklang an mousquetaire^^ massgebend
9. Dies -aire zur Bezeichnung eines falschen Glaubens ist schon fast an der Grenze
des pejorativ-superlativischen -ard (im selben Artikel spricht Maurras ironisch von
den grands jotirs veritards et justiciards de l'Affaire, also der Haltung der dreyfusards;
seine Zeitung nennt die Parlamentsmitglieder bagnards 'ins Bagno gehörig,' die
Parteiangehörigen des Kommunisten Guernut: les guernusards, die Hintermänner
Staviskys stavis\ards etc.).
Man beachte, dass -(t)aire bei anderen Schriftstellern ganz andere Tönung haben
kann: so betitelt Emmanuel Monnier 1935 ein Buch Revolution personnaliste et
communautaire , dessen Grundgedanke nach Nouv. R. F. 1935 S. 285 ist: "Refaire la
renaissance ... La premiere Renaissance a manque la renaissance personnaliste et
neglige la renaissance communautaire. Contre l'individualisme nous avons ä reprendre
la premiere. Mais nous n'y arriverons qu'avec le concours de la seconde. ... Fascisme
et communisme convergent de ce point de vue. Ils sont les premiers sursauts de
l'immense vague communautaire qui commence ä deferler sur l'Europe." Hier ist
communautaire deutlich Ausdruck eines Glaubens an den Wert der Gemeinschaft:
der Autor hat nicht parallel personnaliste ein *communaiitiste gebildet, weil zum
Abstrakmm -te ein -taire besser passt. Ebenso gebraucht Grunebaum-Ballin in seiner
Übersetzung der 'Utopia' des Thomas Morus, wohlgemerkt nicht im Übersetzungstext
selbst, sondern in der Inhaltsangabe den Ausdruck le regime communautaire, also
aus einem Wunsch nach moderner Parallele. E. Henriot spricht von einer "reaction
individualiste et lihertaire" der symbolistischen Dichterschule.
10. Es ist bezeichnend, dass dieses romanhafte und romantisch altvaterische Wort
von den modernen Diktaturen zu neuem Leben erweckt worden ist: moschettieri
heissen in Italien jetzt "guardie in ispeciale bellissimo abito fascista (guanti alla
mano, pugnale d'argento) addetti alla persona del Duce (Mussolini) (1923)" nach
Panzini, Diz. mod. Auch Hitler pflegt sich ausser als unbe\annten Soldaten als
Musketier des Weltkriegs zu bezeichnen. — Der Film hat sein Übriges getan, um den
Dumasschen Roman volkstümlich zu erhalten. In K. Heidens Hitler-Biographie S. 37
werden die deutschen Weltkriegssoldaten als "diese schimpfenden, ihre Pflicht tuen-
den, gegen ihre Offiziere aufsässigen . . . Musketiere" bezeichnet. Zur Pseudohistorie,
die die neueren Diktatoren um sich weben, gehört noch das Wort condottiere , auf
Mussolini angewendet, das im Grunde einen gedungenen Söldnerführer bezeichnet,
ZWEI FRANZÖSISCHE NEOLOGISMEN 113
gewesen, um die blinde Gefolgschaft zu bezeichnen: wie der
gaskognische Kadett D'Artagnan in dem Volksroman Dumas'
des Älteren 'Les trois mousquetaires' aus den Titelhelden
willentlich 'les Instruments de sa fortune' macht, so soll Moskau
als der Ausbeuter und Nutzniesser seiner abenteuernden An-
hänger erscheinen. Diese moscoutaires führen offenbar dasselbe
"inhaltlose Leben, das nur äusserlich durch Duelle, Raufereien
und Gelage bewegt und ausgeschmückt ist, und dem Dumas
den falschen Schein des Romantischen verleiht" (Klemperer,
Geschichte d. frz. Lit. 5/1 S. 179). Es hätte also der dop-
pelte Zufall eines lautlichen Anklangs und einer literarischen
Anspielung gewirkt. Moscoutaire ist demnach nicht einlinig,
sondern durch Zusammenströmen der verschiedensten Impulse,
rein sprachlicher und kultureller Art, zu verstehen. Das Wort
deutet karikaturale Opposition gegen einen Mythos 'Moskau'
an und stellt die Gefolgsleute dieser 'Irrlehre' als romantisch
verblendetes Herdenvieh dar.
Der französische Ausdruck moscoutaire verzichtet auf die
exotische Karikatur durch fremdsprachliche^^ Suffixe (wie -ki,
-off, -inski, vgl. Heines Waschlappsky und Krapülinski, im
Nachkriegsdeutsch Radikalinski). Moscoutaire gibt eine fran-
zösiche Ansicht der russischen Dinge, eine Beurteilung und
Kritik, die willentlich den französischen Standpunkt festhält
und auf nationalem Boden bleibt. Bolcheviste (statt russi-
schem bolscheviJO zeigt die Einordnung in französische
Bezeichnungen der politischen Richtung, ebnet damit das
'Russische' ein in Französisches, verzichtet aber auf Kritik.^"
nicht einen Duce oder Führer, wie Lancelot in einer Plauderei des "Temps" vom i6.
V. 1938 richtig hervorhebt.
ii.Winston Churchill in seinem Buch Bekannte Zeitgenossen (Amsterdam,
1938) erzählt, dass Clemenceau, als er in die Panama-Affaire verwickelt und
englischer Bestechung zugänglich schien, in der französischen Kammer mit den
ironischen Zurufen "Ah — oh yes!" und "Spiek [sie] english!" empfangen wurde. Der
Vorwurf der Opferung nationaler Interessen wird manchmal linguistisch verstärkt:
man fingiert übertreibend, dass der und der Einheimische so ausländisch denkt, dass
er sich nur in einer Fremdsprache äussern kann. Ähnlich genügt es, einen Abgeord-
neten in Amerika als einen 'Roten' (red) zu bezeichnen, um ihm den ironischen
Rat zu geben: ''Zurüc\ nach Moskau."
12. Merkwürdig dass im Deutschen kein * Moskßuling (wde etwa das an die Los-
von-Rom-Bewegung anknüpfende Römling im Munde der Völkischen) entstand,
114 CORONA
Über das Datum der Entstehung jenes Wortes schreibt mir
gütigerweise A. Dauzat: ^'moscoutaire a du etre cree vers 1920,
au moment oü se preparait la scission entre les communistes
(iideles a Moscou) et les sociaHstes, mais je n'ai ni fiche, ni
Souvenir precis a ce sujet." Es scheint sich bald der pole-
mische Gehalt etwas abzuschwächen, da eine Juni 1936 gegrün-
dete Partei sich offiziell "parti antimoscoutaire" nannte, der
"Temps" vom 18. IL 1936 in einer objektiven Aufzählung der
spanischen Abgeordneten einem derselben, Joaquin Maurin,
die Bezeichnung mitgab: "communiste non-moscoutaire."
Mit dem Fall moscoutaire, bei dem der Anklang an mous-
quetaire zusammenarbeitet mit der -ßr/r^-Bildung, vergleicht
sich das von Leon Daudet nach der Stavisky-AÜaire lancierte
stavisqueux, mit dem die Minister und Staatsbeamten getroffen
wurden, die in die Sache verwickelt waren oder die in sie
Verwickelten deckten (wofür auch dedouaner gesagt wird).
Zweifellos liegt Anklang an visqueux 'klebrig, zähe' (Celine
Bagatelles pour un massacre, S. 273: "le petit ]uif...milli-
ardaire, visqueux Messie") vor, aber auch ohne diesen Anklang
könnte stavisqueux an Fälle wie violoneux (für violoniste)
'schlechter Geiger,' gdteux 'Kranker, der Stuhl lässt' anknüpfen,
die auf -eur zurückgehen: zweifellos ist durch das Verstum-
men des -r im 17. Jhdt., das solche Beispiele hervorbrachte,
der Unterschied zwischen Substantiven agentis und Adjektiven
eingeebnet: un gäteux ist weniger ein 'Tätiger' als ein mit
einer Eigenschaft behafteter, ebenso un stavisqueux weniger
aktiv als un fusilleur, der ebenfalls in Action-frangaise-Krei-
sen häufigen Bezeichnung der Minister wie Daladier und
wo doch gerade die nationalsozialistische Propaganda gern von Jüngern, Anhängern,
Söldlingen, Boten Moskaus sprach. Das mag daran liegen, dass Römling nie sehr
populär war (die völkischen Kreise verloren ihren Einfluss, die Sozialdemokratie
musste wegen ihrer Koalition mit dem Zentrum sich Reserve auferlegen); daran dass
rotes Untermenschenttim stärkere Zugkraft hatte; endlich dass das Fremdländische
und Angelernte, das in Römling (vgl. Lehrling) betont werden sollte, schon genügend
durch das fremdländisch klingende Bolschewist und (gar) Bolscheti'il{ ausgedrückt
ist, endlich an der geringen Handlichkeit des Stammes MosI{aii für eine Ableitung
(dagegen Römling mit Umlaut). So bleibt denn als kümmerliches Äquivalent für
frz. moscoutaire höchstens ein vereinzeltes die Mos\owiter, das gelegendich auftaucht.
{Römling wurde von der Gegnern der Nationalsozialisten aufgegriffen — in der
Umdeumng auf Röhm und die ihm zugeschriebene sexuelle Verirrung.)
ZWEI FRANZÖSISCHE NEOLOGISMEN 115
Prot, die am 6. Februar 1935 auf das Pariser Volk schiessen
Hessen.
Konkurrenz einer Ableitung mit einem Wortspiel erklärt
auch das Schlagwort locarnotard , das von Locarno abgeleitet ist
wie piano-t-er von piano, aber doch auch die Langsamkeit und
Flauheit des politischen Handelns im Sinne des Vertrages von
Locarno durch den Anklang an tard verspotten will, vgl. z.B.
Gl. Vautel in "Le Journal," 15. III. 1936: "Nous boycottons les
Jeux Olympiques de Berlin. Voilä la derniere idee de nos
locarnotards les plus excites, et ils s'imaginent que pareil
Ultimatum reduira le Führer ä la capitulation." Solche
'Anspielungsableitung,' die der Sprache ganz ungewohnte
Verbindungen zumutet (oder sie vorspiegelt), ist durchaus im
Stil des sprachlichen Blockbaus der "Action frangaise" (vgl.
Leon Daudet's Wortkonstruktion, Spiegelbild einer Ideenkon-
struktion: l'espionnenvahissement juif-allemand) .
Wenn die vorstehenden Zeilen bei unserem Jubilar Interesse
finden könnten, so vielleicht wegen der Bemühung, alle in
Betracht kommenden Faktoren bei einer Neubildung in statu
nascendi aufzuzeigen. Politische Ausdrücke sind gerade durch
die Leidenschaftlichkeit, die ihnen gewöhnlich anhaftet, be-
sonders lebhafte Zeugen des Sprachwerdens.
ANHANG
In stavisqueux, stavisquard hat wohl der Nexus -s\- im Sinn einer
expressiven Lautmalerei gewirkt, abgesehen von der "russischen" oder
"östlich-asiatischen" Wirkung der "noms en ski," über die der 12. Band
(von 1936) des J. Romains'schen Romans Les hommes de bonne
volonte öfters spottet — ein Professor Babinski wird da zur Vergemüt-
lichung und Ent-fremdung Babinsse genannt) — , abgesehen auch von
dem Anklang an visqueux, das selbst durch das -s\- 'pittoresk' wirkt.
Dieser Nexus hat wohl keine bestimmte onomatopoetische 'Bedeutung,'
aber er gibt den Wörtern, die ihn enthalten, einfach Farbe (vgl. mous-
caille 'Dreck,' bousculer, basculer, resquiller, s'esquinter, cf. boustifaille ,
mastoc mit s). Hier seien einige Neubildungen mit Infigierung eines
-s- vor -^- erwähnt, die Celine in Bagatelles pour un massacre ge-
schaffen hat: S. 45 "... i'adhere jamais rien ... ni aux radiscots ... ni aux
colonels [der Partei des colonel La Roque] ... ni aux doriotants": radis-
cots ^= radicaux [socialistes]. Ferner wird zweimal (S. 248 and 269)
die Pariser Weltausstellung von 1937 als jüdische Unternehmung hin-
ii6 CORONA
gestellt mit dem Ausdruck les grandes yousticades (la gr. yousticade),
offenbar zu youtre 'Jude' gehörig (das selbst deutsch ]ude, Jud, mit
Einwirkung von foutre, sein wird) und nach joutriquet und barricades
umgebildet. Wie erklärt sich das -s-} Wir müssen wohl von der Be-
zeichnung der Deutschen im Siebzigerkrieg Prusco 'prussien' = Prussicot
(wie Arbicot 'Araber' mit -/co^Suffix) ausgehen, wobei -s- und -\-
durch Zufall nebeneinander zu stehen kamen. So entwickelt sich, durch
den pejorativen Klang, der der Bildung als Benennung des gehassten
Feindes anhaftet, ein pejorativer Klang des Nexus -s\-, der auf
radicaux im Sinn der -s- Erweiterung einwirkt und nun auch andere
-s- Einschaltungen mit sich bringt wie in youstricade. Erwähnt sei, dass
mouscaüle 'Dreck' ein -i-^ö/'-Suffix abzulösen oder an Substantiva mit
-s- ein -cailleSuSix zu fügen gestattet: S. 291 Toute la Franscaille,
gleichsam = 'die ganze Franzosen-Dreck-Canaille,' S. 90 les jrancecailles
nunmehr schon = les Fran^ais (Einfluss von belgisch-französischem
frans quillon 'belgischer Französling' ist wohl kaum wahrscheinlich).
Zum Suffix -aille im frz. Argot vgl. Sainean, Le parier parisien, S. 104
(copaille für copain etc.). Ebenso wird von [franc-]ma^on ein zuerst
kollektives mascaille gebildet: S. 301: "Ohe! Oyez la Juiverie! la Mas-
caille," dann Synonym für 'Freimaurer': "Ils sont un million de Juifs en
France repartis ... deux millions peut-etre, si l'on compte les enjuives ...
les "mascailles," S. 98 [die Völkerbunds- Administration] "C'est la plus
grande Synagogue dans le plus grand Temple Magon de l'univers ...
Tout ce qu'est pas youpin [= Jude, cf. Sainean, S. 108] ou "mascaille,"
est assez vite elimine." Der Eindringling -s- findet sich auch im argot-
frz. coin0o 'coin' (vgl. noch soldatenfrz. ctiistot = cuisinier) und be-
sonders im Auslaut: clebs neben cleb 'Hund'; über diesen gesprochenen
Schnörkel im Argot der Ecole des Beaux Arts ("gadzarique") vgl.
meinen Artikel in Le Fran^ais moderne, 5, 120 ff. (profs=^prof 'pro-
fesseur,' froms ^= fromage usw.): es ist dies eine Gegenbewegung gegen
das Verstummenlassen des Schluss -s in anroch = Auerochs, our(s) (ein
affektierter Franzose, Sprachlehrer in Deutschland, behauptete our wäre
die normale Aussprache des Wortes für 'Bär). — Als Selbstverständlich-
keit sei erwähnt, dass in U. S. A. die Namen auf -ski, besonders im
Musik- und Theaterleben, meliorativen Charakter haben (cf. Sio/^owsl^i,
etc.).
DER ZWEITE MERSEBURGER ZAUBERSPRUCH
ARNO scHiROKAUER, Southwestem
1. V^ol ende Uuodan
DER UNGEAHNTE Blick in die germanische Götter-
welt des zweiten Merseburger Zauberspruchs, von J.
Grimm noch unbefangen getan, ist im Lauf eines Jahr-
hunderts zugleich tiefer und trüber geworden; wo Grimm eine
ganze Göttergesellschaft leibhaftig auf den Plan treten sah,
sind wir heute weder sicher, wen wir vor uns haben, noch wie
viele es denn eigentlich sind. Mit fortschreitender Forschung
wurde der Spruch nur immer mehr "eines der ältesten und
umstrittensten, unklarsten Stücke der deutschen Literatur,"^
dem noch dazu mit philologischen Mitteln allein nicht bei-
zukommen ist.
Die Schwierigkeiten beginnen gleich beim ersten Wort, ja
bei dessen erstem Buchstaben. Wer ist Phol, der mit Wodan
zusammen zi holza fährt? Man hat etymologische Spuren
verfolgt, um ihn zu identifizieren. Gering hat ihn zu Apollo,
Bugge zu Paulus in lautliche Beziehung gesetzt. Slavische
Ortsnamen, von Schottin beigebracht, sollten für den "Götter-
namen mit dem ungermanischen Anlaut" ein Alibi ergeben.
Meringer zog lat. pcdus == Pflock heran und dachte an eine
kultische Säule. Th. Grienberger untersuchte den Lautbestand
besonders gründlich, ohne zu andern Ergebnissen zu kommen,
als daß Fhol ein Name sei; was ja bedeutet, daß von der Ety-
mologie kaum Resultate zu erwarten sind.^ Die meisten zogen
1. G. Neckel, Die Überlieferungen vom Gotte Balder (Dortmund, 1920), S. 242.
2. Die Vorgänge bei der Bildung sakraler Namen entziehen sich der etymolo-
gischen Deutung; Geheimzeichen und Abkürzungen begünstigen falsche Auflösun-
gen, und oft genug ist das Aussprechen des Gottesnamen mit einem Tabu belegt;
die Wahl der Chifler dafür hat sekrete Gründe. Vgl. K. Helm, Altgermanische
Religionsgeschichte (Heidelberg, 1913), S. 38 und 226.
ii8 CORONA
vor, Vol zu lesen — der Lautwert des Anlauts ist durch Allitera-
tion gesichert — , ohne daß dadurch eine einheitliche Auffas-
sung erzielt worden wäre. Die dabei verharrten, Vol als
Namen zu erklären, sahen in ihm entweder einen Bruder der
Volla oder ein Synonym für Balder oder eine weibliche Gott-
heit Vol, während andere Vol als Eigennamen ablehnten und
vol(o) = d2LS Fohlen lasen.^ Die Kritik dagegen konnte mit
dem guten Argument arbeiten, das schon R. M. Meyer in
Anz.fJ.A., XIX, 210 gegen die Annahme der Göttin Vol ge-
braucht hatte, "daß für einen altgermanischen Dichter die
Nennung einer Göttin t^or einem Gott einfach eine stilistische
Ungeheuerlichkeit wäre." Der Verstoß gegen die Rangord-
nung wäre noch viel böser, wäre Vol nur ein Tier. Mithin sah
sich jeder Versuch einer Deutung in dieser Richtung vor die
Aufgabe gestellt, die kultische Stellung des "Fohlens" in Über-
einstimmung zu bringen mit seiner Stellung am Versanfang
unter dem schweren Hauptton des ersten Stabes.^ Wer freilich
nach dem Vorangang Bugges den nordischen Parallelen so
großes Gewicht beilegte, daß er auch hier in Wodan nur ein
Substitut für Jesus, in Bcdderes volo "das Roß des Herrn," im
Ganzen eine christliche Legende sah, war damit der Mühe
enthoben, die Stellung des Fohlens vor dem Götternamen zu
rechtfertigen; innerhalb eines christlichen Motivkreises kam
ihr keine erhebliche Wichtigkeit mehr zu. Aber selbst Preus-
1er, für den Fo/ = Wodans Fohlen ist und Wodan nur der
3. So Steinmeyer, Scherer, Kauffmann, Mannhardt, Philippson, auch Heyck, der
ohne Not in unserm Text eine Umschrift aus dem Nd sieht, wobei die Götter-
namen geändert wurden {Wächter, XII, 118 ff.)- Mit Mannhardt, Q.F., LI (1884),
27, stellen Brate und Philippson, Vol zu Volla, "die beiden gehören zusammen
wie Vreyr und Freya" (Brate, Ar}{w f. nord. ßl., XXXV, 287 ff. — Über einen weiblichen
Nominativ Vol, zu dem der Genitiv Volla lautete, vgl. Kauffmann, Beitr., XV, 207.
Fo/ = Das Fohlen, vor allem bei Preusler, Siebs-Festschrift (1922), S. 39 ff. und
Steller, Zs. f. Vol\s\unde, NF II (1930), S. 61 ff.
4. Durch seine eigene Beweisführung wurde R. M. Meyer dazu gebracht, für
Balderes volo der zweiten Spruchzeile eine kultische Stellung in Vorschlag zu
bringen. Ohne daß er in Phol selbst etwas anderes gesehen hätte als "einen dem
Wodan an Bedeutung nahestehenden Gott," notierte er als erster die merkwürdige
Undichte der Grenzen zwischen Balder und seinem Reittier, "das Schicksale erfährt,
die ursprünglich dem Lichtgott eigen waren" und wagte den Satz: "An dem
Reittier des Gottes haftet der mythische Charakter fester als an ihm selbst" (a.a.O.
212). Nur daß ihm auf Grund der nordischen Quellen wahrscheinlich ist, daß
des Lichtgottes eigentliches Tier kein Pferd war sondern ein Hirsch.
DER ZWEITE MERSEBURGER ZAUBERSPRUCH 119
alte Name für den neuen HERRN,'^ stellte sich die Frage, ob
nicht hinter der Voranstellung des Fohlens das alte Märchen-
motiv vom dreibeinigen Reittier spuke. Was doch nur heißen
konnte, daß er die auffallende Stellung von Vol auf germa-
nische Pferde-Kult- Vorstellungen zurückzuführen vi^ünschte.
Und das eben ist die Frage. In aller Schärfe erkannte dann
Steller als seine Aufgabe, die Stellung des Fohlens vor Wodan
aus einer mythologischen Rangordnung abzuleiten. Für ihn
w^ie schon für Preusler war ausgemacht, daß nicht nur Balderes
volo sondern auch Vol{o) selbst auf Wodan zu beziehen sei.^
Nur als Wodans Roß hatte es legitime kultische Ansprüche. So
daß es sich darum handelte, den Vorrang des Gottes, der als
Pferd erschien, vor seinem anthropomorphen Double zu er-
klären. Muchs Balder-Aufsatz^ leistete nicht genug mit dem
Hinweis auf Zusammenhänge zwischen dem Aufstieg eines be-
rittenen Kriegeradels, dessen höchster Gott Wodan war, und
der steigenden Wertung des Pferdes; er erklärte, warum beide
zugleich im kultischen Rang stiegen, Wodan und das
Pferd, konnte aber für die Präponderanz des Pferdes nichts
Stichhaltiges beibringen. Steller rechtfertigte sie "mit der
mythischen Priorität des dämonischen Rosses gegenüber der
anthropomorphen Erscheinungsform des Totengottes Wodan.
. . . Wodan ist erst eine spätere (menschlich gesehene)
Umgestaltung eines alten tierischen Dämons in Pferdegestalt;
das Roß bleibt sein Attribut." Das war nicht neu. Schon Helm
hatte in Wodan die menschliche Hypostase eines pferdegestal-
tigen Dämon erkannt und die mythische Priorität des Rosses
in dem Satz festgestellt: "Die Ablösung einer pferdegestaltigen
Gottheit durch Wodan ist sicher."^ So war es nicht einmal
5. a.a.O. §15 und §i6, wo er auf die norwegische Parallele verweist: ]esus rei
sin fole.
6. "Die Rückbeziehung von Balderes auf Wodan halte ich mit Bugge und Kauff-
mann für sicher. Es wäre ja auch mehr als seltsam, wenn in der die Situation
schildernden ersten Zeile erzählt wird, daß zwei in den Wald reiten, und in der
nächsten Zeile, daß das Pferd eines dritten, bisher noch Ungenannten sich den
Fuß verrenkte" (Preusler, §15). Dagegen schon Niedner, Zs.f.d.A., XLIII, loi £E.:
"Der volo ist Haiders und nicht Wodans! Das ist seit Grienbergers Ausführungen
sicher." Und heute wohl allgemein zugegeben.
7. Zs.fJ.A., LXI, 123. 8. a.a.O. 208, 263.
120 CORONA
nötig, zur Festigung dieser Anschauung auf die griechische
Mythologie zu verweisen, wo Poseidon in Pferdegestalt empor-
fährt, die Toten in sein Reich zu holen, und wo "in der Ver-
bindung von Gott und Pferd der Akzent auf dem Pferd
gelegen habe."^ Der Tierdämon, auf dem die Toten zum
Hades reiten, mag in dieser Funktion vor Poseidon den Vor-
tritt haben, für die Verbindung Vol und Wodan kann das
kaum etwas entscheiden.
Nach Steller tritt der Tierdämon Wodan in Gesellschaft
des anthropomorphen Wodan auf. Neben Wodan als Pferd
steht Wodan als Wodan, neben dem mythischen Fohlen der
Gott mit seinem Namen. Soll aber das Anonym seinen Platz
haben dürfen vor dem Namhaften und ausdrücklich Benann-
ten .f' Der göttliche Name soll dem niederen Partner bewilligt
sein, während der stark artikulierte Tierdämon überhaupt
keinen hat? Denn darauf baut die ganze Konstruktion, daß
Vol kein Name ist. — Noch schwerer wiegt die andere Tatsache,
daß der Tierdämon mit dem Privileg der Zauberkraft jeden-
falls nicht begabt ist. Die Gottheit, die durch Vorantritt und
Stabreim ihre mythische Priorität zweifach betont, bemüht
sinn- und nutzlos ein weitläufiges Helferpersonal, bevor sie
sich in die Behandlung ihres anthropomorphen zweiten Ich
begibt, womit sie allerdings ihrer Abhängigkeit entscheidenden
Ausdruck gibt. Mag immerhin eine mythische Priorität be-
stehen, hier handelt es sich um die magische Autorität, und die
liegt nicht beim schwer akzentuierten sondern beim minder
gewerteten Teil. Der von Steller zum Vergleich herangezo-
gene Pferdefuß, der den Teufel in seiner sonst meist anthropo-
morphen Form kennzeichnet, vertritt wohl einmal den Teufel,
hat aber nur die Bedeutungsschwäche eines Attributs, sobald
der Teufel selbst erscheint. Steller ist nahe daran, das rechte
Verhältnis zu sehen, wenn er feststellt, daß in Sagen und
Märchen das hinkende oder dreibeinige Reittier als Begleiter
des Teufels auftritt, der auch selbst diese Gestalt annehmen
kann. Das heißt, daß die Verkörperung des Teufels sowohl
im Menschen- als im Tierbild stattfinden kann, daß aber im
9. Bei Steller, a.a.O. 65, als Zitat aus L. Malten, Griechische Mythologie.
DER ZWEITE MERSEBURGER ZAUBERSPRUCH 121
Fall anthropomorphen Auftretens das Tier den menschlich
Gebildeten nur illustriert. Eben das ist im Merseburger Spruch
anders. Hier steht Wodan im rhythmischen Schatten hinter
seinem Attribut; er ist stablos und nebentonig, er rangiert in
der hierarchischen Ordnung hinter dem Tierdämon, dem er
gleichwohl mit seiner Zauberkraft magisch überlegen ist. Das
ist unmöglich. So verdienstlich es war, wieder darauf ver-
wiesen zu haben, daß im Gestaltenwandel auch der germa-
nischen Götter die menschliche Figuration die jüngste ist,^^
deren Umrisse noch dazu ganz unsauber gegen die totemi-
stischen Ahnen abgesetzt sind, so fehlerhaft war es, in Vol und
Wodan ein und dieselbe Figur zu sehen. Schon Niedner hat
mit der simplen Frage, warum Wodan denn nicht gleich sein
Fohlen heilt, Spekulationen dieser Art ein Ende gemacht;
jede Beziehung zwischen Vol und Wodan gibt mehr Fragen
auf, als sie löst. So scheint denn auch diese Auffassung allge-
mein aufgegeben zu sein, Vol ist wieder Phol, ein dem Wodan
an Bedeutung nahestehender Gott, über den man nichts
Genaues weiß. J. de Vries fixiert den heutigen Stand des
Problems so: "Phols Stellung am Anfang scheint ihm eine
größere Rolle als die eines Statisten zu geben, aber wenn er
der Besitzer des Pferdes ist, so müßte er mit Balder gleich-
gesetzt werden, was auch wenig glaubhaft ist." Und resigniert
schließlich völlig, "man müsse die Stellung von Phol als
unerklärt beiseite lassen."^^
Bevor alle Möglichkeiten einer Erklärung erschöpft sind,
ist ein solcher Verzicht voreilig. Ist keine volle Sicherheit zu
gewinnen, wird man sich mit dem Wahrscheinlichen be-
gnügen, wobei freilich zu bedenken ist, daß das Wahrschein-
liche nicht immer auch das Wahre sein muß.
Möglicherweise war Steller auf der rechten Fährte. Es hat
manches für sich, in Phol den Gott als Tier zu sehen. Nur hat
er natürlich nichts mit Wodan zu tun sondern mit Balder.
Nicht daß zwischen Phol und Balder eine Identität bestünde,
10. Diese dem mythologischen Denken so geläufige Deszendenz ist dem moder-
nen Menschen auf naturwissenschaftlichem Wege wieder ins Bewußtsein zurück-
gerufen worden.
11. Altgermanische Religionsgeschichte (Leipzig, 1935), I, 231.
122 CORONA
die in der Tat wenig glaubhaft ist. Identisch sind nicht Phol
und Balder sondern Phol und Balderes volo. Phol ist das tier-
dämonische Attribut einer Gottheit, deren anthropomorpher
Teil uns unter dem Namen Balder bekannt ist. Gibt es über-
haupt einen Tierdämon in diesem kultischen Komplex des
Lichts, so ist seine mythische Funktion selbstverständlich
bedeutend genug, ihm einen eigenen Namen zu geben. Dieser
Name ist Phol.
Daß noch lange nach der Menschwerdung einer Gottheit
ihr Totem ein unabtrennbarer Teil von ihr ist, ist uns geläufig.
Vielleicht gibt es einen Balder ohne sein Totem-Tier überhaupt
nicht. Doch gibt es seinen Namen, d.h. die Bezeichnung der
menschlichen Bildung der Lichtgottheit. Für den tierdämo-
nischen Part, den wir nicht namenlos denken dürfen, bietet sich
Phol als Name an, für den im 2. Vers synonym Balderes volo
gebraucht wird.^^
12. Demnach hängt die Gestalt Fhols von der Bedeutung ab, die wir volo
geben. Die Wortbedeutung "Streitroß" und allgemeiner "Reittier" ist im Mhd
gut belegt, am reichsten im Heldenepos, aber auch bei Wolfram und von da beim
Pleier. Jenseits der bayrisch-österr. Einflußzone findet sie sich nicht, das Mnd
bevorzugt das Wort in der vageren Bedeutung eines jungen Tiers, (vgl. engl, /oä/.)
In der von M. Beheim, einem in Oesterreich niedergelassenen Schwaben, gebrauch-
ten Phrase "auf seiner Mutter Fohlen reiten" ist Fohlen genau so viel und so wenig
ein Pferd wie Schusters Rappen ein Rappen. Es muß unentschieden bleiben, welche
Bedeutung für volo hier zutrifft. Natürlich sollte ein ahd Wort aus dem ahd
Sprachgebrauch erklärt werden. Gerings Einspruch dagegen, daß ein Wort, weil
es im mhd Volksepos "Streitroß" bedeutet, schon im Ahd lediglich diese Bedeu-
tung gehabt haben müsse, war sicherlich berechtigt. Ist daher durchaus nicht
sicher, daß dem Baidertier die Gestalt eines Pferdes zugeschrieben werden muß, so
spricht doch auch nichts für die Auffassung, es sei ein Hirsch. Es ist recht uner-
heblich, ob wir unter volo ein junges Tier verstehen oder speziell ein Pferd, weil
aus der letzteren Bedeutung noch nicht folgern würde, daß die Tiergestalt Balders
kein Hirsch sondern eben ein Roß gewesen ist. Die Zeichen und Bildungen der
Götter sind flüchtig und auswechselbar, mit ungeheurer Leichtigkeit schießen sie
in- und durcheinander. So heißt auf ägyptischen Denkmälern der Hauptgott von
Theben oft Amon-Re, Kontamination des Widdergottes von Theben mit dem Sper-
bergott von On.
Der Streit, ob Balderes als Eigenname oder als Appellativum zu fassen sei,
dauert seit MüUenhoff. "Das Roß des Herrn" zu übersetzen, auf Wodan zu blicken,
der es reitet, aber zugleich auf Christus anzuspielen, den Heilands-Mythos einzu-
schmuggeln, dafür besteht nicht die leiseste Notwendigkeit. Man hat ja nach Bugges
Vorangehen den ganzen Spruch in die christlicht; Einflußsphäre gerückt und ihn
nur Schritt für Schritt dem heidnischen Götterkult wiedergewonnen. Wer mit
chiistlichen Parallelen aus dem Nordischen aufwartet, in denen aber Jesus ohne
Begleitung ist, wenn sein Reitpferd sich vertiitt, wer also Balderes volo zum Christus-
DER ZWEITE MERSEBURGER ZAUBERSPRUCH 123
Die naheliegende Frage, ob denn eine Zwillings-Lichtgott-
heit, deren einer Teil ein Pferd sei, belegt sei, irgendwie
gesichert oder wenigstens erschließbar, setzt mich in Verlegen-
heit. Das Lamm Gottes und Gott als Lamm, das Erscheinen
der Evangelisten in Gemeinschaft mit ihren Tieren bietet sich
für die Tatsache an, daß die Ablösung des Totems von der
menschlichen Gestalt noch in sehr späten Zeiten nicht voll-
zogen ist; nur sagt sie über den Balderkult ebenso wenig aus
wie die bekannte Tacitus-Stelle Kap. 10 Abs. 3, wie die Motiv-
Hufeisen in niederdeutschen Kirchen, wie die Aversion gegen
Pferdefleisch, in der ein altes Tabu nachklingen mag. Das
alles kann dem "Totenroß" gegolten haben und gelten. Auch
der Judiculus supersüüonum et paganiarum {Monum. Germ.
Hist. Leg., II, I, 223) ist in seinem Bericht über das Wahrsagen
aus dem Rosseschnauben ein Beleg für den kultischen Rang
des Pferdes überhaupt, redet aber kräftiger einem Wodankult
das Wort als dem des Sonnenpferdes. Anders ist es aber mit
dem Sonnenwagen von Trundholm, den bisher niemand für
unser Problem ausgewertet zu haben scheint. DeVries be-
schreibt ihn als ein sechsräderiges Untergestell, auf dem eine
Scheibe steht, die von einem Pferd gezogen wird. In einem
Punkt ist seine Beschreibung ungenau: das Pferd zieht die
Scheibe nicht. Bing sieht genauer, daß das Pferd mit der
Scheibe so verbunden ist, daß es die Scheibe überhaupt nicht
ziehen \ann}^ Pferd und Scheibe sind durch eine Achse
verbunden, beide werden, auf dem Wagen stehend, bei Prozes-
sionen umgefahren. Scheibe und Pferd zusammen symbo-
lisieren den Kult des Lichts. Das Pferd ist weder dem Wagen
vorgespannt noch der Scheibe, es hat im Komplex der Sonnen-
Verehrung den tierdämonischen Part übernommen. DeVries
ist von dem Phänomen beeindruckt genug, um nach anfäng-
lichem Widerstreben ("Das Pferd braucht nicht mythologisch
Mythos in Beziehung bringt, übernähme damit die Verpflichtung, für fünf weitere
Namen die christlichen Modelle namhaft zu machen. Wodan, Friia, Volla sind als
germanische Gottheiten belegt, so werden Sinthgtint und Sunna es wohl auch sein.
Wen sie aus dem Personal der Christuslegende vertreten sollen, ist jedenfalls nicht
zu ersehen.
12,. Der Sonnenwagen von Trundholm (Halle, 1934), S. 7 ff.
124 CORONA
gedeutet zu werden. Die Sonnenpferde der späteren altnor-
dischen Mythologie können an sich nicht das Gegenteil be-
weisen, weil sie aus derartigen Kultbildern entstanden sein
könnten") fortzufahren: "Immerhin ist zu beachten, daß auch
in andern Teilen Europas das Pferd mit dem Sonnenkult
verbunden erscheint, und daß dieses Tier bei den indoger-
manischen Völkern besonders verehrt wurde."
Es scheint mir erlaubt, in Phol dieses Sonnenpferd wieder-
zuerkennen, obwohl zwischen dem Alter der Bronze und dem
des Spruches eine Lücke von Jahrhunderten klafft und ein
Fund in Südschweden für die Verhältnisse in Mitteldeutschland
wenig beweist/^ Eine Wissenschaft, die den Zusammenklang
germanischer Wortstämme mit altindischen als die natürlichste
Sache von der Welt behandelt, für deutsche Märchen altper-
sische Motive sucht, über einige Dutzend Meridiane und Jahr-
hunderte hinweg Abhängigkeiten erwägt und Einflüssen
nachgeht, wird die Möglichkeit in Erwägung ziehen dürfen,
daß hier eine indogermanisch bekannte Tiergott-Gestalt in
ihrer germanischen Figuration vorliege. — Der Eigenname
dieses Balderes volo ist PhoL
Aber wahrscheinlich ist Phol noch etwas anderes. Es er-
schöpft sein Wesen nicht ganz, Synonym für Balderes volo zu
sein. Es kann nicht befriedigen, in ihm nichts weiter zu sehen
als das mythische Roß. Es könnte sein, der Begriff Phol deckte
nicht ganz das tierdämonische Attribut, das sich mit seinem
Namen bezeichnet; er könnte umfassender sein; er könnte
Bdder und Balderes volo in sich enthalten, das eine und das
andere, die ganze komplexe Lichtgottheit, beides in einem,
d.h. das Dritte, in dem Tier und Mensch summarisch enthalten
ist; für ein kentaurisches Gottesbild dieser Art, in dem die
Grenzen zwischen Tier und Mensch offen sind, bietet jede
14. Nur für die Formel, nicht für die Einleitungsgeschichte haben wir die 2000
Jahre ältere Parallele des Atharvaveda. Doch läßt die epische Einleitung sich bis
um die Wende zum 5. Jh. zurückverfolgen und konser\'iert sicherlich Kultgestalten
aus ebenfalls weit zurückliegender Zeit. Außerden hat ja wohl niemand dagegen
Einspruch erhoben, wenn die Inschrift " gtitaniowiliailag" im Goldring von Pietroassa,
Überbleibsel der Gotenwanderung von der Weichsel nach Süden, zu tausend Jahre
späteren Zauberinschriften "Thebal gut gutani" in Verbindung gesetzt wurde.
DER ZWEITE MERSEBURGER ZAUBERSPRUCH 125
Mythologie Beispiele genug. Es ist mit den Gesetzen der
mythologischen Logik vereinbar, in Phol den Gott als Tier zu
sehen und zugleich den Gott als schizophrene Einheit von
Tier und Mensch. Phol als anthropomorphen Balder in unge-
löster Vereinigung mit seinem Tier zu deuten, gewährt nicht
nur den Vorteil, in einem Begriff vereinigt zu haben, was jene
trüben Zeiten gewiß nicht als säuberlich geschiedene Zweiheit
zu denken gelernt hatten, es erklärt auch die Stellung Phols.
So nämlich ist es möglich, daß er den Spruch eröffnet und dem
Namen Wodans so schwertonig vorangeht. Er ist ja nicht
Wodan als Pferd und nicht einmal Balder als Pferd, er ist die
Zwei-Einheit der Licht-Gottheit: der Tierdämon, vertieft und
verbreitert um seinen anthropomorphen Teil. Und so, in seiner
umfassenden Ganzheit, ist er dem Menschenbild Wodan hie-
rarchisch überlegen.
Freilich ist es seine Geschichte, die da erzählt wird. Um
seinen Unfall handelt es sich und um seine Heilung. Dem
Träger der Handlung gebührt vielleicht auch dann der erste
Platz, wenn sein kultischer Rang ihn eigentlich nicht recht-
fertigt. Es ist vielleicht nicht so sehr eine Rang- wie eine
Akzentfrage, daß Phol zuerst auftritt, auch dann die Haupt-
person, wenn er nichts anderes wäre als nur der Tierpart des
Mythos. In diesem Fall hätte man das Recht, nach dem
Namen der Gesamtgottheit zu fragen, von der nur die beiden
Teil-Namen bekannt sind. Wir haben dafür zur Auswahl nur
Balder und Phol. Da wir Balder mit der anthropomorphen
Rolle besetzt wissen, wäre die vernünftigere Antwort: Phol.
In ihm den dreieinigen Gott sehen — Tierdämon, Menschenbild
und den kentaurischen Summanden — , das hieße, ein erstes
Mal auf jene magische Drei stoßen, die in dem Spruch ver-
schiedentlich waltet.
Doch besteht keine Nötigung, in diesem Augenblick
davon zu reden, noch überhaupt Phols Figur oder Charakter
genau zu bestimmen. Wir dürfen damit zufrieden sein, die
Bedeutung von Balderes volo einigermaßen sicherzustellen: es
ist das Sonnenpferd, wie es uns die Bronze von Trundholm
126 CORONA
zeigt, und sein Name ist Phol. Ob auch seine Natur, ist
unerwiesen.
Für das Bewußtsein der Menschen, die den Spruch
brauchten, mag Phol und Bald eres volo etwa das Gleiche ge-
wesen sein, eine Parallelform, wie sie dem germanischen Vers
so gewohnt ist, eine zweite, variierende Bezeichnung für ein
und dieselbe Figur, wie es die Mythologie liebt. Aber nur für
die Figur. Denn für jedes mythologische Synonym gilt, daß es
keine Synonyme gibt. Zwei Worte für einen Gott besagen,
daß dieser eine Gott allenfalls eine Gestalt hat aber zwei ver-
schiedene Funktionen, und daß er in der einen oder in der
andern zu denken ist.
Balderes volo (das ich am liebsten als Kompositum fasse:
das Baidertier) ist natürlich kein Reittier, so wenig es auf dem
Sonnenwagen ein Zugtier ist. Indem es sich verletzt, ist die
Lichtgottheit selbst verletzt. Zauber muß walten, den Ver-
sehrten Gott in seiner Gesamtheit wiederherzustellen.^^
2. zi holza varan
Kaum einem der Vielen, die uns die Eingangsgeschichte
nacherzählten, war es zweifelhaft erschienen, daß Vhol und
Wodan in den Wald ritten. Stünde fest, daß sie zu Pferde
waren, so wäre die Gestalt, die wir Phol gegeben haben, un-
möglich und unsere Deutung hinfällig. Mit seltener Einstim-
migkeit entschieden sich die Kommentatoren dafür, beide
Götter auf Pferde zu setzen, ja auf Schlachtrosse; sie ließen
das Reitpferd des einen verunglücken, blieben uns aber die
Erklärung schuldig, warum denn nicht einfach an die Stelle
des verletzten ein anderes Pferd trat, oder beide Reiter zusam-
15. In letzter Stunde werde ich eines in Uppsala erschienenen Aufsatzes von Elis
Wadstein: Zum zweiten Merseb. Zauberspr., Sttidia Neophilologica, XII (1930/40),
S. 205 ff. habhaft. Heycks Meinung (vgl. oben S. 118, Anm. 3) von der nd. Vorlage
unseres Spruchs wird aufgewärmt, Phol wird radikal beseitigt. Unter Hinweis auf
bekannte Parallelen, die den mythischen Reiter beim Unfall allein sein lassen, wird
Vol ende zusammengezogen, imortin zi holza (nd: vtior iinte holta) auseinander-
gerissen: Zu Roß Wodan fuhr bis zum Walde. — Unwahrscheinlich, daß die Kon-
jekturen jemanden überzeugen werden. Der "Instrumentalis" ist als Stabträger
unmöglich; bis zum gibt einen gezwungenen Sinn; und mit Balderes statt Wodanes
volo im 2. Vers werden alle die alten Einwände wieder laut.
DER ZWEITE MERSEBURGER ZAUBERSPRUCH 127
men das heile Roß bestiegen, was uns sonst oft genug berichtet
wird. Vielleicht weil es sich um ein besonderes Pferd handelte ?
War aber dieses Pferd ungewöhnlich, nämlich unauswechsel-
bar und unersetzlich, so brauchte man es vielleicht gar nicht
zum Reiten? Tatsächlich ist nirgends gesagt, daß Phol und
Wodan beritten waren. Bei Wodan soll es "mit seiner Er-
scheinung als wilder Jäger zusammenstimmen,"^^ aber es
stimmt zu seiner Erscheinung als Wanderer, daß er zu Fuß
geht, und "der ritterliche Gott" Balder bedarf keines Reitpferdes,
um es zu sein. Unerfindlich endlich, woher Neckel wissen will,
daß "die ganze Götterschar beritten ist; nicht bloß Phol,
Wodan und Balder sondern offenbar auch Sinthgunt — Haiders
Gattin ? — und die andern Göttinnen." Im Spruch selbst steht
davon keine Silbe. Varan wird zur Bezeichnung jeder Art von
Fortbewegung verwendet; so ist es in der Bedeutung von
"reiten" — wofür es aber an eigenem Wort natürlich nicht
fehlte — denkbar ; doch wäre sie ganz einmalig und recht ent-
legen. Wem gar die Wendung zi holza varan ein altgermani-
sches Jagdstück vor Augen zaubert, die kläffende Meute, des
Hifthorns frohen Ruf, die Sau-Hatz mit dem dummen Jagd-
unfall zuguterletzt, der hat seine Nibelungen nicht umsonst
gelesen, läßt aber seiner Einbildung — um auch meinerseits
dem Kavalierismus zu huldigen — die Zügel schiessen, denn
gesagt ist nichts weiter, als daß Phol und Wodan sich in das
Holz begaben. Und so haben wir zu lesen. Auch ist das Buch-
stäbliche grade genug.
Auffallend ist die Wendung wegen der Wahl des Wortes
holz. Der Lautbestand des Verses bot sicherlich zunächst zi
walde an. Wurde die phonetisch legitimere Wendung ver-
worfen, so geschah es nicht ohne Absicht. Es könnte sein, die
Wahl des ferner liegenden holz deute auf eine Bedeutungs-
differenz zwischen den beiden Worten, groß genug, die Ver-
wendung von wald zu verbieten. Gab es wirklich eine, so
nahm sie aller Wahrscheinlichkeit nach wald für das wilde
Dickicht, den dunklen Forst in Anspruch und bezeichnete mit
16. R. M. Meyer, Zs.j.d.A., LH, 392.
128 CORONA
holz die lichtere Art von Gehölz, die zugänglichere, dünn
bestandene, vielleicht gar kultivierte, etv^a im Sinne von
Hain.''
Wer in einem Hain zu Fall kommt, darf nicht aufstehen.
Er muß sich hinausw^älzen. Denn der Gott dieses Haines selbst
hat ihn gew^orfen. Der Unfall des Gottes in einem Bezirk, der
einem andern Gotte gev^eiht ist, wäre verständlich. Nach
germanischem Glauben ist jedes Fußausgleiten das Werk des
Feindes, der sein Opfer tot sehen v^^ill. — Damit w^ürde manches
klar, besonders das Eingreifen Wodans, der allein den Zauber
des Hain-Gottes lösen kann.
Doch lege ich dieser Erklärung schon deshalb kein Gewicht
bei, weil die Stelle keiner bedarf. Die mythologische Szenerie,
die Krohn'^ vermißte, weshalb er den einleitenden Versen
Alter und Ursprünglichkeit absprach, haben wir in jedem Fall.
Die Dämonen des Waldes hassen die Gottheit des Lichts.'^ Wir
verstärken nur die mythenhaften Elemente der Szenerie, wenn
wir unter Hinweis auf den Unterschied zwischen Wald und
Hain vorschlagen, unter holz ein mit Magie besetztes Wald-
stück zu verstehen, seine Bedeutung so der von Hain zu
nähern.
^. Das Mittelstüc\
Mit den ersten beiden Zeilen ist die Eingangsgeschichte
beschlossen: Phol und Wodan begaben sich ins Gehölz; da
wurde dem Baidertier (Phol) der Fuß verletzt. — Das ist das
Faktum und nichts weiter. Mit hirenhjt schließt der epische
Teil. Die Fabel ist erzählt. Was mit dem dritten Vers einsetzt,
ist nicht mehr Erzählung, auch wenn es noch an der erzählen-
den Verbalform festhält. Es steht unter anderem Zeichen,
gehört schon selbst zu dem Bezirk der Beschwörung. Dreimal
erscheint das Wort bigalan, das man nicht nennen und wieder-
17. Vgl. H. Wesches Diss. über Das Heidentum i. d. ahd. Sprache (Göttingen,
1932): harug steht sowohl für latein. /«cwi- = Lichtung als für nemus-='Vr\h, Baum-
gruppe; meint also im Gegensatz zum wilden Wald ein gehegtes Waldstück. — Das
ist hier "holz." Wesches neues Buch über den Gegenstand, mir von W. Kurrelmeyer
gütigst nachgewiesen, Der ahd Wortschatz im Gebiete d. Zaubers u. d. Weissagung
(Halle, 1940) war mir nicht zugänglich.
18. K. Kohn, Gott. Gelehrt. A. (1912), 217 ff.
19. Vgl. Ehrismann, Ut. Gesch., I*, 106 u. Anm.
DER ZWEITE MERSEBURGER ZAUBERSPRUCH 129
holen kann, ohne suggestive Kräfte heraufzubeschwören. Die
Göttinnen stehen unvermittelt (telepathisch gerufen) auf der
Bühne, ein Zauberchor, ein magisches Personal, deren Namen,
nach einem glücklichen Wort deBoors, "von solcher Kraft
strotzen, daß sie das Werk der magischen Technik treiben
helfen."^*' Es ist nicht erzählt, w^ie sie kommen, noch w^oher.
Sie sind da und v^^irken ihren Zauber. Unerfindlich, wie man
sie in die Einleitungsgeschichte hat einbeziehen können. Denn
was mit dem dreimal wiederholten, jedesmal dringlicher und
mächtiger artikulierten thu biguol einsetzt, steht in klarem
Gegensatz zu der Reportage des Unfalls. Auch ist die Nen-
nung der Götternamen zugleich Anruf; von ihnen sagen, sie
singen den Zaubergesang, ist schon, ihn selber singen, anhand
der magischen Modelle den Schritt aus der realen in die my-
thische Welt machen, in drei Stufen die epische Szene in eine
magische transponieren.
Es heißt den Charakter des ganzen Stücks verkennen, wenn
man erzählt: "Wodan war mit Frija und deren drott aufge-
brochen, um bei Holden und Unholden im Walde irgend ein
Anliegen zu erledigen. Vol und Wodan hatten sich von den
übrigen getrennt und unterwegs stieß dem Schlachtroß des
Gottes ein Unglück zu, wie bei anderer Gelegenheit den
Böcken des Thorr oder dem Streitroß des Hartmuot."^^ Von
alledem findet sich auch nicht ein Wort im Text. Auch zu
Neckeis farbenfroher Schäferidylle, deren Mittelstück der Un-
fall ist, "der dem Balder zustieß, als er in Gesellschaft anderer
Götter und Göttinnen zu Holze ritt" bietet der Text nicht die
geringsten Handhaben. Die Fußverletzung des Himmels-
fohlens bewirkt automatisch den Eingriff der göttlichen Helfer.
Sie sind nicht in Wodans Gefolge, sie werden nicht herbei-
zitiert. Sondern: In der Fermate hinter birenkit beginnt das
magische Triebwerk zu laufen. In der Fermate hinter birenkit
wird umgeschaltet. Mit Vers 3 treten wir in die Welt des
galdar ein. Die Behandlung von Wunden, Brüchen, Verren-
20. De Boor, Reallexi\on d. dt. Ltt., III (1928/29), 512.
21. So Kauffmann, Zs.f.d.Ph., XXVI, 456.
130 CORONA
kungen ist Frauenwerk ;"^ paarweise wie die Engel treten sie
heran, doppelt arbeiten sie wie die Formeln der Urkunden und
Rechtssprüche, wie Stabreim und Parallelismus, so daß die
Frage nicht müßig ist, ob nicht vielleicht Sinthgunt auch
Sunna ist und Vriia auch Volla, in ihre Alliteration zerlegt, in
dem gleichen Sinn wie "Kind und Kegel," was eben nur
meint: Kind in jedem Sinn, oder "Null und nichtig," was nur
bedeutet: nichtig in jedem Sinn, oder "Bausch und Bogen,"
was so viel ist wie Bogen nach innen und nach außen, oder
"Wun und Weid," das Weiderecht im weitesten Sinn. Es ist
nicht ausgemacht, daß die Göttinnenpaare wirklich immer je
zwei verschiedene Personifizierungen ähnlicher Kultbezirke
bezeichnen, was auch darum unwahrscheinlich ist, als die
Tätigkeit an Fhol eine Ein-stimmigkeit und Über-ein-stim-
mung voraussetzt, die es nicht gestattet, in den Göttinnen vier
Individualitäten zu sehen. Ehrismann ist sicher im Recht,
wenn er von Sinthgunt als einer Teilbezeichnung für das
Wesen der Sunna spricht, oder von Volla sagt, sie bezeichne
noch prägnanter die Fülle der Fruchtbarkeit, also das Wesen
der Fnia, sie sei, was Friia sei, nur spezifiziert auf einen Teil
der komplexen Fruchtbarkeits-Gottheit. Man könnte noch
weiter gehen, so daß man Volla anspricht als eine Akzentua-
tion der Frija, als eine Frija im Sperrdruck, betont und unter-
strichen und feierlich berufen, wofür ja nur der alliterierende
Zuname zur Verfügung stand. Man könnte sagen, Sinthgunt
verhalte sich zu Sunna und Volla im Friia, wie Balderes volo
zu Phol. Ich gehe nicht so weit wie Preusler, der radikal ent-
scheidet: "In den andern Göttinnen [ausser Friia, die er aus
Maria ableitet] sehe ich mit Kauffmann die drott der Freya,""^
stimme aber dem Gedanken zu, das zweimalige Bezeichnen
ein und desselben, die alliterierende Variation verstärke, ver-
mehre und verdringliche die Beschwörung in einer dem Zauber
22. Wenn auch gewöhnlich nicht an Pferden!
23. Kauffmann, der wegen der nicht vorhandenen Konjunktion lesen will: "Da
besprach ihn Sinthgunt, der Sun ihre Schwester; da besprpch ihn Frija, der Vol
ihre Schwester"; ist von Erdmann schon mit grammatischen Argumenten abgewiesen
worden. Hinzukommt, daß Friia gerade in Kaufimanns Deutung weit mehr ist als
nur "der Vol ihre Schwester." Das Umgekehrte wäre möglich.
DER ZWEITE MERSEBURGER ZAUBERSPRUCH 131
höchst nützlichen Weise. Nennen heißt schon zitieren und
herbeizitieren, doppelt nennen ist zwingen, in den magischen
Dienst pressen.
Ich glaube nicht, daß die allgemeine Auflassung richtig ist,
daß nach den unwirksamen Beschwörungen der Göttinnen
erst Wodan, der Zauberkundige, erfolgreich ist. "Du mußt es
dreimal sagen" lautet die bekannte Vorschrift, die da bannt
und löst.^^ Wodan, der dritte Galdr, wirkt nicht nur, weil er
der kräftigste ist, sondern er ist auch deshalb der kräftigste,
weil er der dritte ist. Die Göttinnen sind innerhalb dessen,
was ihnen aufgegeben ist zu tun, ebenso erfolgreich; sie berei-
ten den dritten, den letzten, den gewichtigen Zauberspruch
vor, den nun Wodan spricht, so he uuola conda.
Der gleiche, formelhafte Vers steht bei Otfrid I, 27, 31.
Ehrismann übersetzt ihn: "Der es aufs beste verstand," Fraen-
kel korrigiert: "So wie er es (als Galdr) verstand."
Diese Schlußiigur, ein Schnörkel, der den Namen des
Magiers der Rune begleitet, darf so und so übersetzt werden.
Immerhin trägt wola den schwächeren Stab, stützt den
Hauptton, der auf Wodan liegt, ist eine bejahende, Vertrauen
und Zuversicht weckende Form, die Fraenkel doch nicht ganz
unterdrücken sollte. Natürlich ist die Halbzeile nur dazu da,
nach der Hochspannung der Namensanrufung, nach der
anwachsenden Wucht und Wichtigkeit des dreimaligen Zau-
bersingens die notwendige Entspannung zu bringen, die tief-
tonige Senkung, das artikulatorische Halbdunkel, in dem sich
das Entscheidende vorbereitet: die Beschwörung selbst. Die
Beobachtung Fraenkels über das Vokalspiel in den beiden
Halbzeilen des fünften Verses ist sicherlich richtig und hat
24. Der Segen Pro Nessia befiehlt Ter pater noster; das Rezept des Straßburger
Wundsegens lautet: Singtila ter dicat: von Abschwörungsformeln und Taufgelöb-
nissen wissen wir, daß sie dreimal gesprochen werden mussten; dreimal täglich
einen Eßlöffel verschreibt der Arzt noch heute; und der Startschuß zum Beginn
des Rennens wird erst nach zwei vorbereitenden Signalen gelöst. Nach dreimaligem
Anruf schießt die Wache. In Th. Mann's Josephsroman wird über Joseph der Segen
dreimal gesprochen: "Denn zweimal sagte ich's schon, und was man dreimal sagt,
ist kräftig" {Joseph in Ägypten, S. 195). Ernst Philippson: Germanisches Heidentum
b. d. Angelsachsen (Leipzig, 1929) stellt S. 221 das Gleiche fürs Altenglische fest
( Neun\räuter Segen ) , bringt mit dem "Segen aus Lincolnshire" S. 153 auch ein
schlagendes modernes Beispiel. Hierher gehört auch: Vater, Sohn und Heiliger Geist.
132 CORONA
ihren musikalischen Sinn. Es gibt dem Zauber Wodans nicht
nur den zusätzlichen Akzent, indem es zum Stabreim noch
die Assonanz hinzufügt, es addiert nicht nur zu dem schon
vorhanden Gewicht ein weiteres vokalisches; zugleich leitet es
unter bedeutender Beibehaltung des Lautmaterials, aus dem
Wodan gebildet ist, den zweiten Teil musikalisch zu Ende.
Denn nach Vers fünf ist eine Fermate von der gleichen
Tiefe wie hinter der epischen Einleitung. Der zweite Satz und
Absatz des Spruchs ist zu Ende, und Stille herrscht, bevor der
dritte einsetzt. Es ist einige Male bemerkt worden, daß die
ersten beiden Verse die epische Einleitung geben, aber es ist
nicht bemerkt worden, daß die nächsten drei Verse eine selb-
ständige Funktion haben. Sie sind nicht mehr Einleitung und
noch nicht die Zauberformel. In der Form der anfänglichen
Erzählung teilen sie den Zauber selbst als Faktum mit. In
ihnen wird erzählt, daß gezaubert wird, zugleich wird gezau-
bert, indirekt, mit Götternamen, mit dreimaligem biguol, mit
anwachsend dringlichem Anruf; vor dem Wortlaut des Zaubers
selbst gibt es im Gemurmel dumpfer Vokale ein letztes Atem-
holen, ein Ausholen vor der schwersten Arbeit.
4. Die Zauberformel
Die eigentliche Zauberformel gilt als indogermanisches
Gemeingut, seit Kuhn 1864 im Atharvaveda eine verblüffende
Entsprechung gefunden hatte und von Ungarn bis Schottland,
in slavischen wie in germanischen Bezirken, Sprüche zu Tage
kamen, die über Alter und Verbreitung des Zaubers reichen
Aufschluß gaben. Was aber den Merseburger Spruch vom
altindischen trennt und ebenso vom schottischen, das ist, daß
er statt der vier Partien der Heilung nur drei kennt.
Atharvaveda, IV, 12:
Zusammen werde dir Mark mit und auch zusammen Glied an
Mark, Glied;
Was dir an Fleisch vergangen ist, und auch der Knochen wachse dir;
Mark mit Marke sei vereinigt, Haut mit Haut erhebe sich;
Blut erheb sich dir am Knochen, Fleisch erhebe sich am Fleisch;
Haar mit Haar füg es zusammen
DER ZWEITE MERSEBURGER ZAUBERSPRUCH 133
Schottischer Spruch (Koegel, 63) :
Unser Herr ritt, seines Fohlens Fuß glitt;
ab stieg er, seines Fohlens Fuß renkt er ein:
Bein zu Beine, Sehne zu Sehne
Blut zu Blute, Fleisch zu Fleische.
Das Gesetz, nach dem diese Formeln gebildet sind, ist das des
parallelistischen bzw antithetischen Verdoppeins; Mark und
Glied, Fleisch und Knochen, Bein und Sehne sind ebenso
variierend wie kontrastierend. Immer handelt es sich um
Begriflspaare, um das Prinzip der Zwei.
De Boor, der außerordentlich deutlich sieht, daß jeder
Zauber auf eine sehr feste und unzerstörbare Wortform
dringen muß, erkennt als oberste magische Regel aller ger-
manischen Zauberformeln "die Dreigliederung mit Achter-
gewicht." Für sie gibt er nordische Beispiele, deren Analyse
seine Terminologie sehr gut illustriert.^'' Die Nachdrucks-
steigerung im dritten Glied, so wichtig für den germanischen
gddrar, vermißt er im zweiten Merseburger Spruch. Statt
der Stufung der drei Zeilen in der Form, daß die letzte nicht
nur metrisch ausgeweitet ist sondern zugleich inhaltlich die
nachdrücklichste, findet er in den drei mit sose beginnenden
Sätzen einen vollen Parallelismus mit klarem Gleichgewicht
von Anfang bis Ende.
Das verlangte Achtergewicht, durch das in der Tat die
Dreigliederung erst ihren vollen Sinn erhält, scheint mir über-
all, auch in der Zauberformel selbst, deutlich vorhanden: Zuerst
wird der Knochen besprochen, ben zi bena, dann das Blut,
bluot zi bluoda, drittens und letztens das "Glied." Aber das
ist kein drittes neben den beiden andern, das ist das Ganze
und Gesamte. Was vorher nur Teil war, Knochen und Blut,
heißt als Summe: Glied! Birlinger zitiert Germania, XVII,
75 den alten Vers: "Ich hab verrenckt und brocken mein
25. Die Findung der Rune "Sie schuf er; sie schnitt er; sie ersann Siegvater. "
Der dritte Teil ist nicht nur schwerer durch das substantivische Subjekt anstelle
des nur pronominalen, "ersinnen" ist auch der eigentlich erfinderische Prozeß, der
schaffen und schneiden zusammenfasst. "Sie wirkt' er; sie webt' er; sie alle setzt'
zusammen er," ^eigt das Gleiche noch besser.
134 CORONA
ßeisch, mein blüt, mein bain," wobei bain nicht etwa nur Mark
ist sondern fleisch + blüt + kßochen: das Bein als Ganzes.
Das ist die Bedeutung von ahd lid. Im ersten und zweiten
Schub fügt der Zauber nur Teile zusammen, erst im dritten,
nachdrücklichsten Teil leistet er ganze, entscheidende Arbeit:
Das Glied ist heil. Dreimal wird der Beinbruch besprochen,
von einer Götterdreiheit, deren Achtergewicht durch Wodan
verbürgt ist. Dreimal erscheint das Wort biguol, und das
dritte Mal in einem Vers, der durch seine Assonanzen schwerer
und ornamental verziert ist. Und endlich trägt die Beschwö-
rung selbst Achtergewicht, wenn sie zuerst nur Knochen und
Blut heilt, endlich aber das ganze, gesamte, in allen seinen
Teilen geeinte Glied.
Dazu erscheint der Halbvers sose gelimida sin in der gleichen
(beschwerenden und zugleich dämpfenden) Funktion wie der
Halbvers, der den mittleren Teil abschließt. Er hat nur neben-
bei den Sinn, von dem Resultat der Besprechung zu berich-
ten, er ist ein Schnörkel und eine Schlußkoda wie seine
Entsprechung in Vers fünf. Auf den Höhepunkt geliden, den
dritten magischen Schritt, das stärkste und umfassendste Wort
kann nicht einfach nichts folgen.
Schroeders Einspruch gegen das "Leimen" des Beins
(Zs.f.d.A., LXIII, 175: nur mit "geleimt" soll mir niemand
mehr kommen) dürfte seit Naumanns Antwort erledigt sein,
wobei ich wieder wie beim zweiten Halbvers fünf hinzufüge,
daß Gehalt und Wortgestalt recht unwichtig und somit stär-
kerer Verderbnis ausgesetzt war. Der Halbvers steht in der Ton-
senke, die beschwörende Stimme klingt ab, sinkt ins Murmeln,
wenn irgendwo dann hier haben wir eine Art von Abraka-
dabra, in der nur lautliche Assonanzen noch wichtig sind, ein
Nach- und Abklingen der Lautfolge l-i-d in gelimida sinr^
Dem Einspruch Vogts, dessen rhythmisches Gefühl durch
den nachschleppenden Halbvers verletzt ist, kann ich nicht
beipflichten.^^ Der höchsten und hellsten Artikulation die
26. Vokal- und Konsonanten-Verschränkung geliden — gelimida ist hier so wenig
unabsichtlich wie im fünften Vers, wo gtiol Wodan in wola conda höchst kunstvoll
wieder aufklingen. Fraenkel hat jedes Recht, von Schlagrcimen zu sprechen.
27. Zs.f-d.A., LXV, 97-130, besonders 112 f. Aber mit dem primitiven "Haitis-
DER ZWEITE MERSEBURGER ZAUBERSPRUCH 135
Koda folgen zu lassen, das suggestive Werk mit einem halb-
lauten Singsang zum Schluß zu bringen, ist gute alte Zauber-
technik. Der Zauber lebt davon, daß er nicht dauert, er ist
die Magie des Augenblicks und der Augenblick der Magie,
die gewohnte Ebene muß wieder gewonnen werden; sose
gelimida sin ist in der Zauberwelt das quod erat demonstran-
dum der Mathematik; es entspricht der formelhaften Geste,
mit der der Parterre-Akrobat nach dem sensationellen Kunst-
stück dem applaudierenden Publikum zu danken hat und
anzudeuten, es sei so schwer nicht gewesen; indem er dankt,
beruhigt er. Der letzte Halbvers ist das magische Amen.
5. Die Dreigliederung
De Boor verwendet viel Mühe auf den Nachweis, daß die
"magische Dreigliederung" sich sogar in den viergliedrigen
metrischen Gebilden, die aus je zwei Langzeilen bestehen,
deutlich erhält. Unsere Zauberformel ist ihm gradezu ein
Beispiel für die "Einstilisierung der Dreigliederung in ein
viergliedriges metrisches Schema, wobei 3 + 4 zusammenge-
faßt das dritte Glied aufnimmt und Raum für dessen breitere
Entfaltung gewährt." Das wäre ein höchst ungewöhnlicher
Vorgang. In unserm altindischen wie im schottischen Beispiel
bietet sich die metrische Viergliedrigkeit von selber an, sie ist
der metrische Ausdruck dessen, was syntaktisch Parallelismus
heißt. Aber hier, im altdeutschen Spruch, bestünde eine
gewaltige Diskrepanz zwischen dem Prinzip der magischen
Drei und dem Vierer-Metrum. — Sie besteht nicht.
Nicht einmal im metrischen Sinn kann man von Vierglie-
drigkeit der in Frage stehenden beiden Langzeilen:
ben zi bena bluot zi bluoda
lid zi geliden, sose gelimida sin
sprechen. Sie ist ja auch in den korrespondierenden Zeilen
nicht vorhanden:
Po\us" ist der ganze Hokuspokus nie zu Ende, das ist nur erst die vorbereitende
Doppelformel. Der eigentliche Zauber wird in meiner Heimat begleitet mit der
Schlußkoda: Fidibus! , deren Achtergewicht nicht nur in der Dreisilbigkeit liegt!
Aber Vogt a.a.O. 115 geht ja so weit, den ersten beiden Versen jede Originalität
abzusprechen, sie seien "Verfallsschöpfung." Darüber später.
136 CORONA
sose benren\i sose bluotren\i
sose lidiren\i
WO das "vierte Glied" doch nicht zufällig fehlt. Und so wird
sie auch nicht in den ^/^«o/-Zeilen zu finden sein, und nicht
im Zauber selbst. Sievers hat die Heilungsformel ganz richtig
gelesen :^^
ben ZI bena bluot zi bluode lid zi geliden
sose gelimida sin
Der magischen Dreigliederung entspricht die metrische, statt
der zwei Langzeilen ist es richtiger, von einer Dreierzeile mit
Achtergewicht zu sprechen, deren letztes Glied durch eine
Koda assonantisch verstärkt und zu Ende geführt wird. Nur
so wird verständlich, warum die Koda hinter lidirenkj fehlen
muß! Weil nämlich die Dreierzeile hier nicht gegen die
nächste abgesetzt ist.
Es ist außerordentlich interessant, daß de Boor, der das
Prinzip der magischen Drei bis in das eingebildete Vierer-
metrum hinein verfolgt, keinen Moment versucht, die Drei-
gliederung im Aufbau des ganzen Spruchs wiederzufinden. Er
bleibt in der allgemeinen Meinung befangen, der Spruch lasse
sich in zwei Teile zerlegen. In der gesamten Literatur findet
sich in unermüdlicher Wiederholung die Feststellung, die
zuletzt Baesecke so formulierte : "Hier ist der klare zweiteilige
Aufbau beispielhaft erhalten: erst die Erzählung des Falls,
dann der Spruch. . . ."^® Auch de Boor spricht von dem hier
vorliegenden Typ der "zweigliedrigen Sprüche," für deren
beide Teile er die Quellen namhaft macht. An einer einzigen
Stelle entfährt ihm die Bezeichnung "das Mittelstück," von
dem er sagt, daß es die Dreigliederung besonders schön zeige.
Die Auffassung, daß der ganze Spruch in zwei Teile zer-
falle, deren Alter, Herkunft und Ursprünglichkeit verschieden
sei, daß nur die Zauberformel selbst, durch uralte Parallele
gedeckt, ins Gemeingermanische zurückreiche, nicht aber die
28. Sievers, Metrische Studien, IV, Abh. d. s'dchs. Gesellsch d. Wiss., XXXV
(1918), 73-
29. Baesecke, Reallexi\on d. dt. Lit., I (1925/26), 30.
DER ZWEITE MERSEBURGER ZAUBERSPRUCH 137
epische Einleitung, daß die zweigliedrige Form des Spruchs
seinen Charakter bestimme, halte ich für irrig. Die Scheidung
des Ganzen in die indogermanisch belegte Mahnformel und
in die Rahmenerzählung, für die einige Gelehrte "das große
Sammelbecken spätantiker Magie," andere den orientalischen
Einfluß frühchristlicher Jahrhunderte heranziehen, ist nicht
länger wahrscheinlich.
Die Eingangsgeschichte ist klar gegen die Mahnformel
abgesetzt; das ist richtig. Aber was dazwischen erscheint,
gehört weder zum einen noch zum andern. Der Auftritt der
Götter, ihre Nennung, ihr bigdan, wieder mit dem klaren
Achtergewicht auf der dritten Phase, das alles ist Zeugnis
sowohl für das Faktum, daß das "Mittelstück" als eignes Stück
betrachtet werden muß, als auch dafür, daß es keine Interpola-
tion ist. Wäre nun in dem Aufbau des Spruchs auch wieder
die gleiche Dreigliederung (mit dem Achtergewicht der Mahn-
formel) nachweisbar, so folgte zu oberst daraus, daß der
Spruch in allen Teilen gleich alt und gleich ursprünglich ist.
Die meisten Zweifel richteten sich von je gegen die beiden
Eingangszeilen. Schon Niedner hat sie für einen späteren
Zusatz gehalten und neuerdings hat Vogt recht autoritativ
verfügt, ihr "Prosacharakter" d.h. ihre "wirklich erzählte Ex-
position" dokumentiere sie als "Verfallsschöpfung." Da wäre
denn doch zu fragen, wo eigentlich erzählt wird. Was Erzäh-
lung ist, kann man ja an den entsprechenden ags Produkten
sehen. Der Charakterisierung als Prosa stimme ich zu. Daß
die "Exposition" sich prosaischer gibt als die Formel, liegt in
der magischen Technik, die sich von der realen Welt abstößt
und in drei Schwüngen ins Zauberreich hinübersetzt. Zwei
Glieder bereiten den entscheidenden magischen Akt vor, einer
noch in dieser, der andere schon in jener Sphäre. Der Spruch,
der selbst in Dreiergliederung erscheint, wird dreimal und von
einer Götterdreiheit gesungen. Nicht unwahrscheinlich, daß
Sievers recht hat, auch die Einleitungsverse in drei Absätzen
zu lesen, so daß jeder der drei Teile, aus denen der ganze
Spruch besteht, metrische Dreigliedrigkeit aufweist. —
Die Frage, die sich dem Kritiker stellt, ist also nicht, was
138 CORONA
ist alt und was weniger, sondern: woher kommt die Magie
der Drei? Sie gibt dem Spruch so stark das Gepräge, daß es
kaum mehr korrekt ist, auf den Atharvaveda als Muster hinzu-
weisen. Die Technik, mit der ein ähnlicher Unfall hier und
dort beschworen wird, ist eine grundsätzlich andere. Woher
also die Magie der Drei, wie sie in der Hinzufügung einer
Einleitung und eines Mittelstücks, wie sie in der Formel selbst
durch die Umformung der Parallelismen in die achterbeschwer-
ten Dreier-Glieder deutlich wird? Es ist ein anderer Ritus,
der Paare gegenüberstellt, ein anderer, der drei Glieder addiert;
weshalb entwertet ist, was man als Vorbild unseres Spruchtyps
im Rezeptbuch De medicamentis empiricis des Marcellus von
Bordeaux gefunden zu haben glaubte.
Die Magie der Drei ist sowohl Eigentum des Orients als
der germanischen Urzeit. Sie ist im Stabreim lebendig, aber
auch in der pythagoreischen Weltdeutung. Sie kam mit
dem drei-einigen Gott der christlichen Lehre noch einmal,
aber nicht zum erstenmal, aus dem Orient in das Abendland.
Germanischer Zusatz scheint, daß Drei nicht nur ein Drittes
ist neben eins und zwei, sondern die Summe aus eins und
zwei.^^ Die Überordnung des Heiligen Geistes (mit klarem
Achtergewicht!) über den Vater und den Sohn ist auf antikem
30. Das Häufen, Sammeln und Summieren von Ton und Schwere zum dyna-
mischen Höhepunkt des Achterglieds sollte jene bedenklich stimmen, die im Orient
die Heimat dieser Magie der Drei suchen. Es ist richtig, daß die Zahlenmagie, die
wahre Mathematik des Novalis, im Morgenland zu Hause ist. Es ist unmöglich;
Formen wie die spanische Glosse mit ihrer Dreizahl von Reimen, oder gar das
Ghazel zu betrachten und das nicht zu erkennen. Das Ghazel, eine Dreierform,
die dadurch entsteht, daß zwischen ein Reimpaar ein neuer, fremder Klang tritt, wäre
von Schlegel etwa so gedeutet worden, daß die Einheit, in sich selbst entzweit, als
Zwei zu neuer Lautgeburt fähig werde. Grade das Dazwischentreten des Dritten
zwdschen eins und zwei verhindert die Summierung von Tönen und Akzenten und
hält so das Ganze unendlich in der Schwebe.
Auch Dantes Terzinen, von Schelling und A. W. Schlegel als die Form de?
prophetischen Geistes gefeiert, gehören in die Nachbarschaft arabischer Formen-
spiele und entscheiden nichts für die at{J{Hmtdaüve Dreierform. Eine solche, sogar
mit dem Achtergewicht des doppelten Dreizeilers am Ende, scheint im Sonett vorzu-
liegen, das aber in seiner reinen Form den Lautstand des Schlußsatzes ohne jede
Beziehung zu den beiden Vorstrophen läßt, eine koordinierende, keine multiplikative
Drei-Einheit. Diese kann ich im außergermanischen Bereich nicht finden, so daß
die orientalische Magie kaum für die Form des Spruches heranzuziehen ist.
DER ZWEITE MERSEBURGER ZAUBERSPRUCH 139
Kulturboden nicht eindeutig belegt. Das führt aber schon
zur nächsten Frage weiter, der nach dem christlichen Einfluß
auf die magische Welt, wie sie hier gestaltet ist.
Es ist bekannt, daß das Verhältnis von Heiden- und Chri-
stentum kein einander ausschliessendes gewesen ist; es muß
nicht eines verschwinden, damit das andere erscheine; oft
genug scheint eines durch das andere durch. Ein sehr schöner
Beweis dafür ist neuerdings die Katzenreiterin im Dom zu
Schleswig, Freya mit dem Hörn (ein Fresco aus dem 14.
Jahrhundert, das erst 1935/36 freigelegt wurde), die den Namen
einer hohen christlichen Heiligen, vielleicht den der Mutter
Gottes trägt. In dieser Kirche ist Petrus zu sehen, dessen
Doppelbart noch die Abstammung von dem Hammer erken-
nen läßt, den der Heilige trug, als man ihn noch als Donar
verehrte. Man hat ja nicht nur die Heiden getauft sondern
dazu gleich noch ihre Götter. Auf den Grundmauern alter
Tempel baute man die neuen Kirchen auf; Boethius, dessen
Trostwerk keine Spur christlicher Lehre enthielt, wurde doch
maßgebend für das Denken des christlichen Mittelalters, und
die antike Götterwelt des Marcianus Capeila hat keinen Scho-
lasten gehindert. De nuptiis zu studieren. Es ist nichts dabei,
daß eine Mönchshand des 10. Jh. den heidnischen Zauber-
spruch in die Predigtenhandschrift einträgt; mit Recht weist
Vogt darauf hin, daß sich bis in die Reformationszeit hinein
kirchlich verpönte Beschwörungsformeln zwischen kirchlichen
Texten finden. So brauchen wir zwischen heidnischem und
christlichem Gut die Scheidung und Entscheidung nicht zu
treffen.
In letzter Zeit nimmt aber die Volkskunde unsern Spruch
für eine dritte Religion in Anspruch, für eine unter den je-
weils regierenden Hochreligionen stagnierende dunkle Kult-
stimmung, die ihren Ausdruck gerade im Zauberwesen finde.
Überdeckt von Christentum und Heidentum vegetiere die
Primitiv-Religion, für deren Fortexistenz der Volksaberglaube
Beweise genug biete.^^ In recht bestechenden Formulierungen
31. R. Kriss, "Grundsätzliche Betrachtungen z. 2. Merseb. Zauberspr.," Oberdt. Zs.
f. V{., VI, II 4-1 19.
140 CORONA
nimmt Kriss den zweiten Merseburger Spruch für eine reli-
giöse Untergrund-Bewegung in Anspruch. Aber der Volks-
glaube, den er hier dichten sieht, erinnert uns heftig an die
Volkskehle, aus der das Volkslied zu dringen pflegt. Die hohe
Kunst der Dreierfügung mit der Verteilung der Gewichte an
den rechten Platz, die genau plazierten Steigerungen und
Decrescendi, die Pausen und die multiplikativen Momente, das
doppelte Assonanzenspiel an zwei deutlich korrespondierenden
Punkten, das alles als Kunst erkennen, heißt zugleich ablehnen,
hier seien anonyme Gefühlsströme beteiligt.
Hoch-Kulte sind zur Religion sublimierte mythische Stim-
mungen; da ist kein Gegensatz, sondern Identität, nur auf
verschiedenen Stufen der Entwicklung.^^ Der Zauberspruch
ist ein Endprodukt wie die Hochreligion und gehört mit zu
ihr. Er repräsentiert keine dritte Religion des niederen Mannes,
der seinem Fühlen keinen andern Ausdruck findet als den
dumpfen der Magie ; er ist selbst ein Stück Religion, das keiner
Religion fehlt. Daß man Gott zwingen kann, binden und in
den eignen Dienst stellen, daß man zu den überirdischen
Mächten in ein vertrauteres Verhältnis treten kann, weiß man
nur die geheime Spur, die von dieser Welt in die magische
führt, das ist die Überzeugung des Zauberspruchs. Es gibt
keinen Glauben an eine göttliche Allmacht ohne den zusätz-
lichen Glauben an ihre Beeinflussung.
Der Zauber ist so alt wie der Gottesglaube, von dem er
eine Form ist; für diese Form eine Geburtsstätte annehmen,
wäre so, als wollte man alle Götter aller Zeiten auf einen Ur-
Gott zurückführen.
Im bestrittenen Gebiet zwischen Religionsgeschichte, Phi-
lologie und Volkskunde, von keiner der drei Wissenschaften
ganz ihr zugerechnet, standen die Zaubersprüche, und zumal
32. So sieht G. Menschning in seinem Buch Volf^sreligion und Weltreligion
(1938) religiöse Bildungen unter einem historischen Aspekt. Für ihn sind Volks-
reügionen Frühzustände religiöser Empfänglichkeit und Erregtheit, die Weltreligionen
späte Abstraktionen. Demgegenüber hat die Auffassung von Kriss einen soziolo-
gischen Beigeschmack: Primitiv-Religion ist die Kultstimmung der geschichtslosen
Unterschichten. Früher nannte man es: Niedere Mythologie.
DER ZWEITE MERSEBURGER ZAUBERSPRUCH 141
unser, unter einer Art von Ausnahmegesetz; sie galten nur als
Zeugnisse zersungener und gesunkener Bader-Dämonologie —
wissenschaftliches Niemandsland, innerhalb dessen eine andere
Verantwortung galt als sonstwo. Männer, deren Beruf es ist,
buchstäblich zu verfahren und den Boden der Tatsachen nie
zu verlassen, erlaubten ihrer Einbildungskraft die erstaunlich-
sten Ausschweifungen, um die Dunkelheiten des Textes zu
erhellen. So ist die Beinverrenkung des Fohlens und seine
Heilung durch Wodan für Th. Grienberger das Zeichen dafür,
"daß allein der Kriegsgott dem Unfall des Friedensgottes
Remedur schaffen kann; der Krieg weiß die Schäden des
Friedens zu heilen." Für Niedner ist es ein alter Tagesmythos,
der sich hier niedergeschlagen hat. "Der Gott des Zwielichts
und sein Vater, der Tagesgott, reiten auf lichten Rossen am
Morgenhimmel empor. . . . Dem Dioskuren als Vorläufer
gebührt die erste Stelle. Sinthgunt, Sunna, Volla, Friia ent-
sprechen der Morgenröte, der aufsteigenden, der sinkenden
Sonne, der Abendröte." Losch fabelt vom "täglichen Ritt des
Lichtgotts zur Unterwelt, seinem Fall und neuen Aufgang,"
wozu R. M. Meyer zustimmend bemerkt: "Die Göttinnen sind
begreiflich. So umgeben ja noch bei Guido Reni Aurora
und ihre Schwestern das Gespann Apollos." Es liegt nicht in
der Linie dieser Arbeit, die Liste merkwürdiger Deutungen
zu vervollständigen, für die G. Roethe entschuldigend anführt:
"Der zweite Merseburger Zauberspruch, einzige westgerma-
nische Quelle eines Göttinnenkreises, fordert den mythologi-
schen Spürsinn geradezu heraus. Sein Reichtum an Götter-
namen verführt, mehr hinter ihm zu suchen."
Diese Entschuldigung nehme ich auch für mich in Anspruch.
ON THE DEVELOPMENT OF THE TYPE OF
SCHOLAR IN EARLY ISLAM
GUSTAVE VON GRUNEBAUM, The Iraniun Institute, New Yor\
THE DEVELOPMENT of scientific activities in the
Islamic world during the eighth and ninth centuries
A.D. necessarily brought about a change in the basic
conception of the scholar. Independent of, but parallel to, the
formation of critical methods and the slight decrease in cre-
dulity among the educated classes, the expectations focused on
a learned authority came to be transformed, at least to a certain
extent. The omniscient scholar tended to be superseded by the
conscientious one. In those days and even later Muslim writers
paid little attention to the psychological aspect of the events
which they recorded, so the process, although perhaps the de-
cisive Step towards the establishment of the "modern" type of
scholarship, hardly shows in the few scraps of contemporary
information. The real Import of these scattered materials would
remain unnoted had not as-Suyüti (+ 1505 A.D.) incorporated
a small coUection of them into his admirable encyclopaedia of
philological sciences, al-Muzhir fi 'Ulüm al-Lugha (ed. Cairo,
1282, II, 162 ff.).
The scholar of what may be called the old school is well
typified by the traditionist Wahb b. Munabbih (+ 728). Like
similar self-constituted authorities, he had to cater to an un-
questioning audience which was never concerned about either
the source or the probability of the answer that they solicited
to fill any uncomfortable vacuum of knowledge. The faster
the reply came forth and the closer it kept within the ränge of
common experience and expectation, the more readily was it
accepted. The scholar was supposed to know everything. So,
THE SCHOLAR IN EARLY ISLAM 143
naturally, he knew everything. To shelve temporarily a ques-
tion would have entailed the same loss o£ prestige as would
the acknowledgment o£ one's incapacity to solve a problem
altogether.
There is no explicit discussion of this attitude extant, and
probably never was. Its general trend, however, can easily be
deduced from the numerous reports on scientific procedure
which have been included in various books. A classic in this
respect is the description inserted by al-Mas'üdi (+ 956 A.D.)
in his Murüj ad-Dahab (ed. Paris, 1861-77, ^5 S^^ f-) concern-
ing a stone tablet found when the Mosque of Damascus was
rebuilt in 87/706, under the reign of al-Walid I. The tablet was
declared to bear a Greek inscription. Several Christians and
Jews tried their hand at deciphering it and failed. So it was
sent to Wahb b. Munabbih, who previously had made a great
reputation for himself by elucidating the stories of the early
Prophets and adding interesting details to the biographies of
Adam and his Spiritual successors.^ Here he had sometimes
paused to indicate his sources in laconical declarations such as :
"I have read all the books revealed to all the Prophets" (Huart
334), or with more exactitude: "I have read more than seventy-
two books revealed to Prophets" (Huart 336). A more modest
computation is given in Yäqüt's Irshäd (ed. Margoliouth, VII,
232) when Wahb states: "I have read twenty-seven from
amongst the Books of Allah." On the strength of his firmly
established authority Wahb announced that the Greek inscrip-
tion dated from the days of Solomon, son of David, and gave
a pleasant translation of its contents, beginning with the for-
mula: In the name of Allah, the Merciful, the Compassionate,
and ending with the date.^
Unfortunately, we have no means of Controlling the his-
torical authenticity of this account. However, it does not really
1. On his literary work see Huart, JAs, ser. lo, IV, 331-350; moreover, the ar-
ticle by Horovitz in the EI, s.v., where a bibliography is given. Additions, Brockel-
mann, GAL, I, 64 f. and SuppL, I, loi.
2. The Story has been retold several timcs. Ibn 'Asäkir, ed. Badrün, I, 197,
has it, the text o£ the inscription being slightly lengthened. His text has been
copied by Ibn Katir, al-Bidäya, MS Vienna 813, Vol. V, £ol. 52rv.
144 CORONA
matter whether Wahb actually tried to solve the enigma of
the tablet. The point is that his method was practiced in all
such cases and that it worked to the satisfaction of the lay
public. And this is proven by the considerable number of simi-
lar reports, such as Yäqüt's narrative of the reading of another
Greek inscription (Mu'jam 2, 592), or the immediate recogni-
tion by one of the bystanders of a corpse as the body of the
King Tälüt (Saul), when a tomb on the area of the old Da-
mascus Cathedral was demolished (al-Maqrizi, Histoire des
Sultans Mamlouks, trans. Quatremere, II, 268).
It Stands to reason that the newly developing sciences, in
the first place the 'ilm al-hadit (Tradition) and with it philol-
ogy,^ had to be based on diflferent Standards of respectability.
The importance of their findings, both religious and practical,
fundamentally depended on the reliability of their sources. So
conscientious caution, promoted, too, by the religious back-
ground of part of the studies, gradually became the advisable
attitude. The material illustrating that change has been
grouped by as-Suyüti under several headings that can be
roughly summarized as follows:
I. Scholars who answered a question with "I don't know
(lä adri)" (in the enumeration I have left as-Suyüti's order in
favor of a chronological arrangement, this being more instruc-
tive).
a. ash-Sha'bi, + between 720 and 728 A.D., famous traditionist
b. al-Asma'i, 739-831*
c. al-Akhfash, + about 830
d. Ibn al-A*räbi, 767-844
e. Abu 'Utmän (al-Mäzini), + 850 or 863
f. Abu Hätim as-Sijistäni, + about 864
g. Ta'lab, 815-904
h. Ibn Duraid, 837-934 (b.-h. are grammarians)
In addition, as-Suyuti has the name of the poet Nusaib.
3. Cf. as-Suyüti's opinion, Muzhir, II, 162: "The sciences of tradition and gram-
mar are brothers, flowing from one vallcy."
4. Al-Asma'i gives the same reply in al-Bäqilläni, I'jäz al-Qur'än, ed. Cairo
1349, p. 170. Here, however, he pretends ignorance of the meaning of three words
in Imru'ulqais (ed. Ahlwardt) 35, 22 in order to criticize the poet's alleged predi-
Icction for rare words.
THE SCHOLAR IN EARLY ISLAM 145
Here, however, some doubt remains whether the reference
concerns the more famous poet of this name who flourished
at about 720 A.D., or a less known namesake, Nusaib al-Asghar,
living some fifty years later (Brockelmann, GAL SuppL, I, 99).
Finally, as-Suyüti mentions one Abu 'd-Duqaish who confesses
to ignorance as to the meaning of his kunya.^
It cannot be denied that in a sense this first outburst of in-
tellectual honesty marks the beginning of "modern" science.
It is equally piain, though, that it took some time before
the new attitude became appreciated by the public. Ta'lab
(Muzhir 2, 162) had to ward oif the reproach that people were
Coming to him from everywhere, and he allowed himself to
answer: "I don't know." Ash-Sha'bi was told by one of his
students that they feit ashamed at their master's repeatedly
saying: "I don't know." But ash-Sha'bi silenced him by quot-
ing the verse of the Koran (II, 30) where the angels, asked by
the Lord about the names of the things created, confess to their
incompetence and explain: "We have no knowledge but what
Thou hast taught us" (trans. Bell, I, 61). Here also belongs
the saying of 'Abdallah b. 'Abbäs (+ between 68-73/687-692/3;
quoted Naqd an-Natr, ed. Cairo, 1933, p. 53) when he failed
to know the meaning of the so-called mystical letters at the
beginning of some of the Süras: "In every book God has sent
down there is a secret. And this — the mystical letters — is the
secret of the Koran."®
2. A question that cannot be solved is referred to another
Scholar {ibid., II, 164 f.). The only example here given com-
memorates Ta'lab asking his teacher Ibn al-A'räbi about a
problem he is unable to answer.
5. This Abu 'd-Duqaish, mentioned by Freytag, Arabum Proverbia, vol. 3 /IL p.
200, as a Bedouin, reappears in the LA 8, 191 when he is given the nisba al-A'räbi
and is shown a contemporary to both Yünus b. Habib (+ 798 A.D.) and Abu Zaid
al-Ansäri (+ 830). TA 2, 370^^ he is mentioned as quoting two verses o£ Abu
Du'äd al-Iyädi. Freytag I.e. 3/II. p. 227 introduces him as an authority on word
explanation.
6. Another pertinent saying o£ his: Ibn Qutaiba (+ 889), 'Uyün, ed. Cairo, 11,
125. Ibid. 130 Ibn 'Umar (609-693) is quoted for a similar viewpoint. Ibid. 126
Khalil b. Ahmad (717-791), the creator of the Arabic metrical System, is credited
with a lengthy paraphrase of Socrates' famous acknowledgment of his ignorance.
146 CORONA
3. A Scholar changes his opinion after prolonged investiga-
tion {ibid., II, 166). The authorities recorded are in chrono-
logical sequence:
a. Abu 'Amr b, al-Ala', about 689-770
b. Abu 'Ubaida, about 728-825
c. Abu Zaid al-Ansari, + 829-30
d. al-Asma'i, 739-831
Under the same heading as-Suyüti, not quite appositely, lists
the answers of Abu 'Amr when he declined to explain verses
on the ground that those who knew had died J Somewhat later
al-Mubarrad (+ 898) gives a general justiiication of scholarly
self-correction, declaring that going back on one's mistakes
erases the sin involved in making them, and thus estabUshes
the honesty of scientific fallibility {ibid., II, 165).
It need hardly be said that long before the epoch under
consideration expressions of skepticism towards scholarly State-
ments have been recorded. It may sufEce to recall the verses
of 'Ali b. Muhammad b. Ja'far (Mas'üdi, ibid., IV, 421) prob-
ably dating from 37/657/8, in which he opposes to mendacious
genealogical claims the word of (the caliph) 'Ali (metre
mutaqärib):
When you are asked and do not knovv what to say, say: Our Lord knows
best (rabbu-nä a'lamu).
The point is, however, that the attitude of reserve is not advo-
cated for the scholar but for the layman who has been con-
fronted with politically motivated forgeries.
Naturally, the time-honored System of scholarly Interpreta-
tion as represented by Wahb did not die out when some illus-
trious grammarians set forth another approach to truth. Nor
did the new principles to any considerable extent encroach
upon the general credulity,^ nor, in consequence thereof, im-
prove the inadequate criteria of verification.
This is well illustrated by the influence of the Qäss, the
populär traditionist, and the fight against him of the spiritual
7. One o£ the two examples given is Imru'ulqais (ed. Ahlwardt) 51,6.
8. Cf. the account of the superstition of the Baghdadians given by Miskawaihi,
Eclipse I, 39 (trans. 4, 44). The report refers to the year 307/916/7.
THE SCHOLAR IN EARLY ISLAM 147
authorities (as it has been told by Goldziher, Muh. Stud., II,
161 iT.). And as long as there was a demand for omniscient
authorities it was readily met. As late as 344/955 the Secretary
(kätib) 'Ali b. as-Sari al-Karkhi read (and translated, we may
assume) the cuneiform inscriptions o£ Persepolis to his prince,
the Büyid 'Adud ad-Daula (949-983), as has been recorded by
the two oldest Arabic inscriptions so far recovered on Persian
soil.«
The curious passage in as-Suyüti's encyclopaedia gives the
impression of being one more attempt to win the age-old battle
for the scientific spirit rather than the enumeration of the ac-
cepted rules of scholarly work. Be that as it may, as-Suyüti's
Statements enable us to date the beginning of the process, the
end of which is marked by the establishment of the modern
Scholar. The rationalization of the scientist can be said to have
Started among the traditionists at about 700 A.D. The philolo-
gists followed suit in a rather odd development (as demon-
strated by the chronological discrepancy between the different
categories treated by as-Suyüti) until during the ninth Century
the new Standard was generally accepted among the leading
scholars.
9. Wiet, Repertoire chronologique d'epigraphie Arabe (Cairo, 1931), Vol. IV,
Nos. 1 475-1 476. — ^The very existence of thesc inscriptions is a noteworthy docu-
mentation of the interest archaeological remains commanded in 'Adud ad-Daula's
days. It is well known that the clue to the Persian cuneiform aiphabet was not
discovered until the nineteenth Century.
DIE BLUMENBESCHREIBUNGEN DER
SPANISCH-ARABISCHEN
HOFDICHTER
LAWRENCE ECKER, Los Angeles
MIT der Herrschaft des Ihn Abi 'Ämir Al-Mansür (978-
1002) und seines Sohnes 'Abd-al-Malik Al-MuzaflEar
(1002-1008) erreichte das Cordobaer Chalifat, wie
hinsichtlich der poHtischen, wirtschaftUchen und miUtärischen
Macht, so auch mit Bezug auf die amtliche Unterstützung der
Dichter, seinen Höhepunkt. Diese beiden grossen Gestalten
der maurischen Geschichte versahen dem Namen nach nur das
Amt eines hägib, dass heisst, eines Kammerherrn oder —
gemäß der im Arabischen wie in den europäischen Sprachen
stattgefundenen Bedeutungsentwicklung dieser Bezeichnung
— eines Reichskanzlers oder ersten Ministers des Chalifen. In
Wirklichkeit aber hatte sich Al-Mansür unter diesem Decktitel
zum wahren Oberhaupt des Reiches erhoben und den recht-
mässigen Chalifen völlig in den Hintergrund geschoben. Das
Auftreten seines Sohnes Al-Muzaffar war ebenfalls in jeder
Hinsicht das eines Chalifen de facto.
Beide "Regenten" waren nicht weniger wegen ihrer gross-
zügigen Unterstützung der Dichtkunst als wegen ihrer Kriegs-
erfolge berühmt. Die Ehrennamen Al-Mansür, "Der (von
Gott) Unterstützte," und Al-Muzaffar "Der (von Gott) Sieg-
reich Gemachte," die sie sich vom sogenannten Chalifen
verleihen Hessen, hätten zahlreiche Dichter unter stillschwei-
gender Ersetzung von "Gott" durch den Namen ihres Gönners
auf sich selbst beziehen können, und zwar ohne jene schwul-
stige Übertreibung, die so viele ihrer Lobgedichte kennzeichnet.
Unter Al-Mansür wurde ein besonderes Amt der öflent-
SPANISCH-ARABISCHE HOFDICHTER 149
liehen Verwaltung geschaffen, das damit beauftragt war, die
Dichter zu klassifizieren und sie je nach dem Verdienste ihrer
Erzeugnisse zu bezahlen. Dieses Büro stand unter der Lei-
tung eines grossen Literarkritikers. Auf einigen Kriegszügen
wurde Al-Mansür von vierzig Dichtern jeder Art begleitet,
welche die Aufgabe hatten, seine Heldentaten zu besingen/
Wegen der merkwürdigen Dürftigkeit der auf die Regie-
rungszeit Al-Muzaffars bezüglichen Quellen musste Dozy in
seiner Geschichte der Mauren in Spanien, wie er in einer
Anmerkung auf Seite 160 des 2. Bandes hervorhebt, seine
Ausführungen darüber auf ein paar Sätze beschränken, welche
mit den Worten schliessen: "Al-Muzaflar regierte den Staat
wie sein Vater; er gewann viele Siege über die Christen und
während seiner Regierung wuchs der Wohlstand des Landes
beständig an. Es war, wie man später sagte, ein goldenes
Zeitalter."
Dieser Zustand ist ganz wesentlich verändert worden durch
die erst vor einem Jahrzehnt geschehene Entdeckung eines
dritten Teiles der sehr wichtigen Chronik des Ibn 'Idäri, deren
zwei erste Teile 1848 von Dozy herausgegeben und für seine
Darstellung der vorangehenden Periode weitgehend benützt
wurden. Dank diesem glücklichen Funde, dessen arabischer
Text 1930 von Levi-Provengal in Paris herausgegeben wurde,
weiss man nun unter vielem anderen, dass Al-Muzaflfar auch
hinsichtlich seiner Einstellung zur höfischen Dichtung ganz in
den Fusstapfen seines Vaters folgte. Nach allgemeiner Sitte
der arabischen Geschichtsschreiber schaltet auch Ibn 'Idäri hie
und da Verse zwischen seine historischen Angaben ein.
Ein guter Teil der Verse, die in den Abschnitten über Al-
Muzaflar mitgeteilt sind, besteht aus Blumenbeschreibungen.
Die mehr oder weniger schwärmerische Schilderung irgend-
eines lobenswerten Gegenstandes war von jeher eine ausgeprägte
Gedichtsgattung, die kurz als al-wasf, "die Beschreibung,"
bezeichnet wurde. Besonders beliebt waren die Blumenbe-
schreibungen: man findet solche an zahlreichen Stellen der
I. Gonzalez Palencia, Historia de la Literatura Ardbigo-Espanola (Barcelona,
1928), S. 49, nach Ribera.
150 CORONA
"Diwane" der Hofdichter von Damaskus und Aleppo, und
selbst in den Gedichtsammlungen, die heutzutage im Osten
herausgegeben werden, sind sie als besondere Gattung vertre-
ten — was ein weiteres Zeugnis für die Unveränderlichkeit
des arabischen Geschmacks ablegt.
Aber um die Wende des zehnten Jahrhunderts scheinen
diese "Blumengedichte" ganz besonders Mode gewesen zu
sein.^ Prachtvolle Gartenanlagen wie der einzigartige Gene-
ralife zu Granada und die "Jardines del Alcazar" zu Sevilla
waren damals nach Aussage vieler zeitgenössischen Schrift-
steller in Andalusien keine Seltenheit, Sie spielen in der
maurischen Literatur eine entschieden hervorragende Rolle. Die
Stelle aus den Seiten 18-21 des oben erwähnten dritten Teils
des Geschichtswerks Al-Bajän Al-Mugrib, welche ich — meines
Wissens als erster — in Übersetzung hier wiedergebe, enthält
acht durchaus typische Blumengedichtchen, die daselbst mit
dem terminus technicus quta' nüwärija, "Blumenstücke," belegt
sind und die dem allgemeinen Gebrauch gemäss mit höchstens
zwei Ausnahmen in einen panegyrischen Vers auf den Gönner
ausklingen:
"Haijän Ibn Halaf^ erzählt (folgendes) : Al-Muzaflar 'Abd-
al-Malik Ibn 'Abi 'Ämir forderte seine Dichter in einigen
Frühlingszeiten seiner Herrschaft auf, 'Blumenstücke' [quta'
nüwän]d\ über den Goldlack \al-mantür^\ das ist, die Levkoje
2. So meint, z. B., Levi-Provengal, L'Espagne Musulmane au Xeme Siede (Paris,
1932), S. 174.
3. Ibn Haijän Ibn IJalaf (987-1070), einer der grössten arabischen Historiker
aller Zeiten. Die Teile seiner Werke, die sich auf die betreffende Periode beziehen,
sind nur in solchen mehr oder weniger umfangreichen Auszügen bei späteren
Chronisten erhalten. Der häufigen direkten Zitierung derselben verdankt die Chronik
des Ibn 'Idari einen grossen Teil ihres Wertes.
4. Weiter unten, wo al-matitnr in einem Gedicht vorkommt, übersetze ich es
auch durch "Levkoje," um ein Durcheinander der grammatischen Geschlechter zu
vermeiden. Die Blumennamen in der Übersetzung nach Möglichkeit im Femininum
zu halten, ist auch deswegen wünschenswert, weil sie in einigen Fällen vermutlich,
in anderen offenbar mit einer wirklichen oder fiktiven Geliebten des Dichters
identifiziert werden. Alle hier vorkommenden arabischen Blumennamen, wie über-
haupt die meisten, gehören dem männlichen Geschlechte an. Dies verursacht jedoch
im Arabischen keine Verwirrung oder Inkonsequenz, weil die Dichter schon lange
vor dieser Zeit den allgemeinen Gebrauch eingeführt hatten, ihre weiblichen Gelieb-
ten mit männlichen Formen der Substantive, Adjektive und Fürwörter zu bezeich-
nen, wie das auch hier einige Male geschieht.
SPANISCH-ARABISCHE HOFDICHTER 151
[al-hirf'^], und über die Orangenblüte [az-zahr^^] und andere
Blumenarten zu improvisieren. Er hatte grosse Bewunderung
dafür^ und forschte häufig nach ihren Arten in ihren Kenn-
zeichen.^ Und er liebte es, dass seine Sängerinnen sie''^ in ihre
Lieder einschlössen. Auch liess er die Leute zu seiner Zeit
vieles davon aufschreiben v^egen seiner Schönheit und der
Originalität seines Inhalts. Unter dem, was er als schön
betrachtete, waren die Worte des 'Abü-1- 'Alä Sa id Ibn Husain
von Bagdad, des Trinkbruders (An-Nadim) — Gott erbarme
sich seiner! — über die Myrte [al-'äs^^] :
Wer auch in seiner Liebe zur Myrte verdächtig ist, bei mir ist eine
Liebe ohne Verdacht!
Welch eine wunderbar treue Freundin!^ Man befürchtet nicht ihre
Wankelmütigkeit bei der Abwechslung der Morgen und der Schat-
ten [c= Nächte].
Ihre Blätter sind gleich den Ohren der edlen Rosse, wenn sie die
Mutigen auf der Rennbahn des Spiessens [= Kampfplatz]
erblicken.
Als 'Abu Marwän^ sie [=die Myrte] sah, erinnerte sie ihn an das
Übereinanderstürzen der Reiterschar auf den Ebenen und den
Hügeln.
5. Hiermit versuche ich, die typische Zweideutigkeit des arabischen Textes wieder-
zugeben, der nicht klar zu erkennen gibt, ob der Gegenstand seiner Bewunderung
die Improvisation oder die Blumen waren. Wahrscheinlich ist beides gemeint.
6. ^a« . . . ^atir at-talab li-anwä'i-h jt mazänni-h kann bedeuten: "er gab
sich viel mit der Botanik ab," eventuell aber auch: "er beschäftigte sich häufig mit
der Analyse solcher Blumengedichte." Wie sonst oft, lässt sich nicht mit absoluter
Sicherheit ausmachen, ob das mask. Possessivpronomen -h sich auf nüwär (Sing,
mask.) "Blumen" oder auf das weiter oben stehende bi-däli\a bezieht, welches ich
mit "dafür" übersetzt habe. Siehe Anm. 5.
7. Obwohl das Pronomen -ha "sie" (Sing, fem., das sich auf gebrochene
Plurale bezieht) dem gebrochenen Plural mazanni-h "Kennzeichen, Merkmale"
am nächsten steht, verlangt der Sinn vielmehr, dass es auf den viel weiter oben
stehenden gebrochenen Plural qutä nüwärija Bezug nehme. Hier aber könnte
vielleicht auch eine Art Wortspiel vorliegen, da mazänn auch "Gedanken, Ideen,
Vorstellungen" bedeuten kann.
8. as-sadiq "der treue Freund," eine männliche Form, die sich auf das männ-
liche Wort al-'äs "die Myrte" und gleichzeitig wohl auf die Geliebte bezieht.
S. Anm. 4.
9. Der Zuname (al-f{unja ^ span. cdcurnia) des Al-Muzaffar, wie Ibn 'Idäri
weiter oben, S. 16, Z. 2, mitteilt.
IG. Anmerkung des Textherausgebers: "Wegen der Lücke am Anfang und
Ende ist dieser Vers im Ms. nahezu unleserlich."
152 CORONA
"Über die Melisse [turungän^*] dichtete er:
Ich wusste nicht, ehe ich eine Melisse (sah), aber ich erfuhr durch
sie,^^ dass der Smaragd (aus) Ruten und Blättern (besteht)!
Von ihrem Wohlgeruch hat die Zitrone (al-'utrugg^^) ihre Schmäch-
tigkeit gestohlen: Oh Ihr Leute! Selbst unter den Gewächsen
(gibt es) Diebe!
Sie gesellt sich zum Wein im Vertreiben der Sorgen, wenn sie von
einem (durch die Ermordung seiner Verwandten) Vereinsam-
ten,-^^ der sich in der Entfernung sehnt, gerochen wird.
Es ist, als hätte sie der beglückte Kammerherr [al-hägib, d. h. Al-
Muzafifar] die huldvolle Handlung gelehrt, und daher ist (ihr)
Wesen (so) angenehm.
"Über die Narzisse [an-nargis^'^] dichtete er:
Der ganze Vorzug des Pf efler( husche )s (liegt) darin, dass er (alles
andere an Glanz) überholt, und es ist (schon) lange (her), dass
die Narzisse den Pfeffer (in meiner Liebe) ersetzt hat:^^
11. Anmerkung des Textherausgebers: "Diese (erste) im Ms. fast völlig ver-
wischte Vershälfte wurde vermittelst Konjektur wiederhergestellt."
12. Ich lese mütarun, Partizip Passivi von autara "durch Ermordung der Ver-
wandten verwaisen, vereinsamen," da ich mit dem mütarun der Ausgabe nichts
anzufangen weiss. Durch diese geringe Veränderung (zwei Punkte statt drei!)
ergibt sich ein ganz geläufiges Bild. Levi-Proven^al hat im Vorwort zur Textausgabc
ein zweites Heft mit Berichtigungen in Aussicht gestellt, aber dieses ist mir leider
noch nicht in die Hände gekommen.
13. Dieser Vers enthält zwei merkwürdig miteinander verschränkte Wortspiele.
Die erste Vershälfte, gumalu-l-jadilati li-l-bahari bi-sabgi-hi, heisst wörtlich: "die
Gesamtheiten des Vorzugs vom Pfeffer/ VortrefBichkeit (sind) in seinem/ihrem
Überholen": bahär, der Name des Pfeffers, ist gleichlautend mit bahär "Glanz,
hervorragende Schönheit," zu bahara "an Glanz, Verdienst, Tapferkeit, usw.
übertreffen." Die zweite Vershälfte, wa täla-mä l}alaja l-bahära n-nargisu kann
mit Hinblick auf das sabqi "Überholen" des ersten Halbverses auch die Bedeutung
haben: "und es ist weit, dass die Narzisse an Glanz (oder Schönheit) zurückbleibt
(:= halafa)," "die Narzisse bleibt an Glanz weit (hinter dem Pfeffer) zurück."
ydafa mit Objekt bedeutet "Nachfolger (Chalife!) sein von," "ersetzen"; ohne
Objekt bedeutet es "zurückbleiben," wobei der Akkusativ (der Beziehung) bahara
die Hinsicht, worin man zurückbleibt, bezeichnen kann. Auf jeden Fall handelt
es sich höchstwahrscheinlich um Decknamen für Geliebte, deren eine als durch die
andere ersetzt dargestellt wird.
Folgender Vers, der möglicherweise zum Vorbild des oben zitierten diente, zeigt
ebenfalls die Narzisse und die Pfefferpflanze als Nebenbuhlerinnen. Er stammt aus
dem Diwan des 'Abü-1-Farag Al-Wa'wä' von Damaskus (vor 1000 gestorben),
herausgegeben von I. Yu. Krackovski, Petrograd, 191 4:
bahdrun bahirun: bi-hi gairatiin 'alä nargisin; wa saqiqun saqiqtt (No. 210,
V. 8),
wördich: "(Der) Pfeffer(busch) (ist) erstickt [sc. vor Eifersucht]: in ihm ist
Eifersucht auf (die) Narzisse; und (die) Anemone (ist) zerspalten." Ausser den
beiden Wortspielen bahäruni bahirun und saqiqun/saqiqu liegt höchstwahrscheinlich
in bahirun und saqiqu ein Doppelsinn (double entendre) vor: der Pfefferbusch
SPANISCH-ARABISCHE HOFDICHTER 153
Ihr Wohlgeruch übertrifft ihn [d.h. den Pfeffer bzw. seinen Glanz],
aber dieser (kommt) vom Duft, den sie ausatmet:
Wie der beglückte Kammerherr [d.h. Al-Muzaflar], der mit seinem
Vater an Erhabenheit verglichen v^^ird, aber dessen Handlung(en)
(noch) schätzbarer-^^ (sind).
"Über das Veilchen [al-banafsag] dichtete er:
Bewässerung [Segen] (sei) den Tagen des Veilchens!
Fürwahr, wenn sie nach Billigkeit verführen, so würden sie sich
mit keinem gleichen verbinden!
Lange dauere seine Herrschaft und angenehm sei sein Duft; und
möge es wachsen im schwierigen und im leichten (Boden, oder
Verhältnissen)!
Wenn die Nasen^^ seinen Geruch einschlürfen, verschmähen sie den
Duft der gälija^^ und das 'abir-Parfüm.-*^^
Seine Hautfarbe ähnelt dem Gewande^^ der Morgendämmerung und
der (Verzierungs) Scheibe an der Wange der schwarzäugigen^^
Schönen.
Fürwahr, ich danke ihm [d.h. dem Veilchen] für seine Standhaftig-
keit und seine Treue, wie ich dem Saif-ad-Daula Al-Mansür^^
danke.
"Über die Levkoje [al-htri^'^] dichtete er:
Wir sind unter der Herrschaft der Levkoje [al-mantur] gediehen und
wir haben unser Kleines mit dem Grossen verbunden.^o
Wir fragten sie: 'Warum schüttest du nachts (deinen) Duft aus?'
Sie sagte: 'Die Unbesonnenheit der Tapferen im Staube (des
Gefechtes bewegt mich dazu).'^^
erstickt sich mit seinem eigenen Erzeugnis und die Anemone spaltet sich beim
Aufblühen.
14. Die Reimwörter jatanaffasu "atmet aus" und 'anfasu "wertvoller" bilden
ein Wortspiel.
15. d-mdätisu, wörtlich "die Nieser," Plural zu d-mdtasu, Nomen Loci
(oder Instrumcnti) zu 'atasa "niesen."
16. Ein aus Moschus, Ambra und anderen aromatischen Stoffen zusammen-
gestelltes, schwarzfarbiges Haarparfüm.
17. Auch ein gemischtes Parfüm.
18. al-hur(i), PI. mask. und fem., daher "Huri."
19. Nach Ibn 'Idäri III, i8, zeichnete sich Al-Muzaffar mit dem vollen Titel
(= 'ttnwän) Al-Hägib Al-Muzaffar Saif-ad-Daula 'Abu Marwän 'Abd-al-Malik
Ibn-al-Mansür, d.h. "Der Kammerherr, der Siegreiche, das Schwert des Reiches,
der Vater Marwäns, der Diener des Königs (sc. Gottes), der Sohn des Al-Mansür."
20. d.h. wie wenigstens ich es auffasse: "wir haben in bescheidenem Masse am
grossen Glück des Herrschers teilgenommen," oder "wir haben unser Schärflein
dazu beigetragen," oder beides. Vermutlich ist al-mantür eine Anspielung auf
Al-Mansür.
21. d.h.: "Ich zeige darin dieselbe Unbesonnenheit wie die Tapferen beim
Kämpfen. Der arabische Satz bedarf keines Zeitworts, da jatJ^u "Unbesonnenheit"
154 CORONA
Wir stellten ihre Röte mit (der) Gelbe zusammen und wunderten
uns über die Zierlichkeit des Werks des (All)mächtigen.
Wir hatten den Rubin nie durch das Riechen gemerkt, bis die Ge-
rüche der Levkoje [al-mantur] uns anwehten.
Kammerherr des Reiches! Keiner, der frohe Nachrichten von Siegen
meldet-" oder (sonst) eine Freude bringt, geht an dir vorüber!
"Über die Rose [al-ward^'^] dichtete er:
Der Führer der Levkojen [al-mantür] wird sein Heer gewiss abwen-
den und sich flüchten, denn die Armee der Rose ist herangerückt-^
In einem Prunkkleid,^^ das der liebliche Garten fussfällig anbetet;
und wenn der gemahlene Moschus zu ihm [d.h. dem Garten]
käme, so würde er (diesen) nicht fussfällig anbeten.
Ich verglich sie [d.h. die Rose], als die Winde die gefallene Nässe
[= Regen oder Tau] von ihr herabtropfen Hessen — denn sie hat-
ten eine Hand nach ihr ausgestreckt — ,
Mit der Wange eines schamhaft Errötenden, den seine Scham weinen
macht, bis sich seine Tränen darauf zerstreuen.
Ausser seinen Tagen-^ sei der Morgentrunk (mir) verhasst, und
(auch) in seinen Tagen; die Irrfahrt der Liebe aber möge der
gerade Weg^^ sein!
"Über die Rose [al-ward^'^] dichtete auch Ihn Darrag:
Das Wetter lächelt uns zu: nimm denn und gib (sie) her! Oder hast
du nicht die Rose an ihrem Strauch gesehen.'^
auf m(cl) "was?" von li-m(ä) "warum," wörtl. "für-was?" antwortet, so dass
man einfach "wegen der . . ." zu ergänzen braucht.
22. bcäirun "Überbringer guter Nachrichten," zu basara "durch Überbringung einer
guten Nachricht erfreuen." Al-bisära "die frohe Nachricht," dann "das Geschenk,
womit man den Melder einer frohen Nachricht belohnt," hat im Spanischen albricias,
im Portugiesischen alvi^aras "Geschenk für eine gute Nachricht" ergeben. Als Ausruf
bewahrt es im Spanischen immer noch die ursprüngliche Bedeumng.
23. waradä "ist herangerückt" bildet ein Wortspiel mit ward(un) "Rose."
24. mi'radin "Kleid, in dem ein junges Mädchen (etwa als Debütantin) vor-
geführt oder eine Sklavin zum Verkauf ausgestellt wird," Nomen Instrumenti zu
'arada "ausstellen."
25. d.h. der Zeit, in der dem Mohammedaner das Trinken erlaubt ist. Im Fast-
monat Ramadan darf nämlich der Muslim zwischen Sonnenauf- und Untergang
keinerlei Speise oder Getränk zu sich nehmen.
26. rasadä (häufiger rusd(ati)), Verbalsubstantivum zu rcisada "den geraden oder
richtigen Weg verfolgen, eine gute Leitung haben, so dass man nicht auf Abv^'ege
gerät," ist vornehmlich ein Religionsausdruck: "der religiös richtige Weg, Recht-
gläubigkeit, Orthodoxie," dann auch "Vernunft, gesunder Menschenverstand." Das
hier enthaltene Oxymoron ist ein bei den arabischen Dichtern äusserst häufiger
Gedanke, wie denn üb)erhaupt alles, was die Liebe betrifft, gern den Religionsbegriflcn
gleichgestellt wird.
SPANISCH-ARABISCHE HOFDICHTER 155
Sie bringt die Apfelsinen(farbe) (an-närang^^) von ihren Zweigen^'^
und die Schamröte des Liebhabers von ihren Wangen.
Unser Schutzherr^^ hat sie mit Gewändern aus feinem Seidenbrokat
bekleidet an einem Tage, da er sie (gleichsam) mit dem Blute
seiner Feinde bemäntelte.
"Über die Lilie [as-süsan^'^] dichtete Ibn Darräg:
Wenn das Gesicht des Frühlings lächelt dann entschleiert die Lilie
ihre Wunder.^®
Wie schön sind die Zähne einer duftenden Lacherin [mask.]!^^ j^r
Geruch parfümiert den Geruch der Busentasche.^*'
Ihr Liebhaber befürchtet ihretwegen den Neidling, . . .^^
Wenn der leidenschaftlich Verliebte sie beriecht, dann lässt sie ihr
Zeichen an seiner Nase,
Wie die Geliebte [mask.!]^- gälija-Va.riüva^^ an den beiden Wangen
ihres [mask.lj^- Gesellschafters zum Andenken an sie [mask.!]^^
lässt.
Oh Kammerherr! Seitdem ihr Schöpfer sie erschuf, hat er sie (im-
mer) mit Erhabenheit gekrönt und versüsst!"
Gleich anschliessend an diese Zitate bringt Ibn 'Idäri das
folgende anonyme Lobgedicht auf Al-MuzaiTar, das die oben
aus Dozy angeführte Zusammenfassung seiner Regierungszeit
vollauf bestätigt:
"Eine neue Zeit, ein neues Werk, eine Welt, die ungetrübt ist, und
ein Wohlstand, der (beständig) anwächst!
Ein reichlicher Regenfali und ein angenehmes Leben, ein Ruhm, der
dauert, und ein Fest, das wiederkehrt!
Und ein Zeitalter, das durch 'Abd-al-Malik glänzt wie die Mittags-
sonne, die das Glück begünstigt!"
27. Da auch die Taille der Geliebten oft mit einem Zweige (gusn, PI. agsdn)
verglichen wird, vermute ich hier irgendeine Anspielung auf ein Mädchen.
28. maulä "Schutzherr, Patron," der zum freigelassenen Klienten (auch maulä
genannt) im selben Verhältnis stand wie im alten Rom. Gemeint is natürlich Al-
Muzaffar.
29. tanäjä, PI. zu tanija "Lob," dann "lobenswerte Tat oder Eigenschaft."
30. d-gcdb, zu gdba "spalten," ist zunächst die Öffnung an der Vorderseite eines
gegürteten Hemdes oder Rockes, durch die man Gegenstände zur Aufbewahrung in
die durch den Gürtel gebildete Busentasche steckt, dann diese Tasche selbst, und
schliesslich auch "Sinus" (lat. "Busen") als trigonometrischer Terminus. Davon
abgeleitet ist das portugiesische Wort dgibeira "Tasche."
31. Der zweite Halbvers scheint eine jener bei den Arabern sehr beliebten volks-
etymologischen Spekulaüonen über die Ableitung des Namens der Lilie zu enthalten,
aber ich vermag ihn vermittels der mir hier (in Los Angeles) zu Gebote stehenden
Nachschlagewerke nicht mit Sicherheit auszudeuten.
32. Vgl. den Schluss der Anmerkung 4.
156 CORONA
Als Verfasser der ersten sechs oben zitierten "Blumenge-
dichte" wird Sä'id Ihn Husain von Bagdad angegeben. Dieser
kam um 990 aus dem Orient nach Cordoba und wurde zu
einem der gefeiertesten Dichter am Hofe Al-Mansürs. Wie
wir hier sehen, blieb er auch bei dessen Sohn und Nachfolger
als Hofpanegyriker angestellt.
Die beiden übrigen Gedichte werden dem Ibn Darrag zuge-
schrieben, welcher auf Seite 9 des dritten Teils derselben
Chronik "der Kastilier" (Al-Qastilli) genannt wird. Dieser
einheimische Dichter, der jedoch nach Ibn-Hazm berberischer
Abstammung war, galt neben dem soeben erwähnten Sä'id
als einer der führenden poetischen Geister im Dienste des
Chalifenhofs und überhaupt als einer der typischsten Vertreter
der Cordobaer literarischen Kreise jener Zeit. Nach Palencia^^
"entfernt er sich etwas von den klassischen Vorbildern." In
den beiden zitierten Gedichtchen bleibt er jedoch ganz in den
Bahnen der morgenländischen Blumendichtung.
Es dürfte nicht schwer fallen, für fast jeden Vers beider
Dichter eine mehr oder weniger treffende Parallele bei verschie-
denen Dichtern des arabischen Orients zu finden, wie ich das
33. Historia de la Literatura Ardbigo-Espanola, S. 50.
Für die Beurteilung des Umfangs der kulturellen Beziehungen zwischen
mohammedanischen und chrisdichen Spaniern dürfte es von beträchtlichem Interesse
sein, hervorzuheben, wie viele der Blumen-, Pflanzen- und Fruchtnamen, die in
diesem kurzen Abschnitte der Chronik von Ibn 'Idari vorkommen, ins Spanische
(und grösstenteils auch ins Portugiesische) übergegangen sind. Ich stelle sie also
hier zusammen:
al-lfiri "Levkoje" > alheli
an-närang "Orange" > naranja
as-süsan (auch as-süsäti) "Lilie" > azucena "weisse Lilie"
at-turungän "Melisse" > toronjina, toronjil
al-'utrugg (auch 'utru(n)g(a), iuru(n)g(a)) "Zitrone" > toronja "Zitrone,
Pampelmuse." Das Wortspiel turungänl'utrugg geht wohl auf den gewisser-
massen faden ("schmächtigen") Geschmack der Pampelmuse und den delikaten
Duft ihrer Schale und ihrer Blüten.
al-ward "Rose" > altportugiesisch guedre.
az-zahr "Orangenblüte(n)" > azahar
Statt al-'äs "Myrte" hat das Spanische ar-rcähan als airayän, ursprünglich "jede
duftende Pflanze," dann, in Spanien, "Myrte," übernommen. Bei an-nargis "Nar-
zisse" hat die spanisch-lateinische Form narciso gesiegt. Aus anderen Gebieten sei
noch hinzugefügt: qamU "langes wollenes oder baumwollenes Kleid ohne Gürtel,"
"Hemd" > sp. camüa, und die in den Anmerkungen 9, 22 und 30 angeführten
Wörter.
SPANISCH-ARABISCHE HOFDICHTER 157
nur beiläufig in der Anmerkung 13 für eine Stelle getan habe.
Der hohe Grad von Konventionalität und Stereotypie im
Gedankenkreise, in den poetischen Redewendungen, in der
Regelung der streng quantitätsmessenden Versmasse und Reime
und in der Festhaltung an der Aussprache der kurzen End-
vokale trotz des schon längst erfolgten Verlustes derselben in
der gewöhnlichen Sprache ist wohl das auffallendste Merkmal
der überwältigenden Masse aller arabischen Dichtung, gleich-
viel ob sie in Spanien oder im Osten verfasst wurde, abgesehen,
natürlich, von den ältesten oder klassischen Vorbildern, die
anscheinend ein für allemal die Grenzen für die ganze Nach-
welt festlegten.
HOHE MINNE BEI REINMAR VON HAGENAU:
MINNESANGS FRÜHLING 176, 5
HENRY w. NORDMEYER, Utiiversity of Michigan
Den ez niht nä ze herzen gat
noch in diu Minne nie gebot.
— Reinmar, 188, 9 £.
ES HANDELT sich um Echtheit oder Unechtheit, Wert
oder Unwert eines an sich nicht schlecht beglaubigten,
gut überlieferten, gleichwohl neuerdings Reinmar ent-
schieden abgesprochenen Liedes, MF, 176, 5, zugleich aber um
Grundsätzliches zur Methodenfrage und zu unsrer Auffassung
von Reinmars l^misl und dem Wesen seiner Dichtung über-
haupt/ Meine Stellung zu dem Liede danke ich im wesent-
lichen Samuel Singer. Seine Bemerkung S. 451 über die
Strophenordnung öffnete mir vor Jahr und Tag Augen, Ohren
und Sinn wie für die äussere, so für die innere Form des
I. Abkürzungen, besonders für häufiger angeführte Arbeiten:
Bulst: Walther Bulst, Wörterbuch zu den Liedern Reimars des Alten (Göttingen,
1934)-
Burdach: Konrad Burdach, Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide
(2. Aufl.; Halle, 1928).
Halbach: Kurt Halbach, Walther vdV. und die Dichter von Minnesangs Frühling
(Stuttgart, 1927).
Haupt: Marlene Haupt, Reimar dei- Alte und Walther vdV. (Giessen, 1938).
Hornig: August Hornig, Glossarium zu den Gedichten Walthers vdV. (Quedlin-
burg, 1844).
Kluckhohn (1910): Paul Kluckhohn, "Ministerialität und Ritterdichtung,"
Zeitschr. für deutsches Altertum, LII (1910), 135 ff.
Kluckhohn (1914): Derselbe, "Minnesang als Standesdichtung," Archiv für
Kulturgeschichte, XI (1913-14), 389 ff.
Korn: Karl Korn, Studien über 'Freude und Trüren' bei mhd. Dichtern (Leipzig,
1932).
Kotzenberg: Walther Kotzenberg, man, frotiwe, juncfrouwe: Drei Kapitel aus
der mhd. Wortgeschichte, Kap. I (Berlin, 1906; vollständig Berlin, 1907).
HOHE MINNE BEI REINMAR 159
Gedichts, die sich im Aufbau spiegelt. Abweichend von Carl
von Kraus und Marlene Haupt halte ich es aus dieser Erkennt-
nis nicht nur für echt, sondern für einen der Gipfelpunkte
Reinmarschen Schaffens. Dass vor 1919 kein einziger Kritiker
ernstlich daran Anstoss genommen, ist immerhin erwähnens-
wert. Es scheint an der Zeit, gegen Kraus' Verwerfung erneut
Einspruch zu erheben, damit diese nicht kanonisch werde,
nunmehr jedoch mit den nötigen Belegen, denn inzwischen hat
mein kurzer Vermerk N 31, 368^^ zur Präzisierung der gegen-
teiligen Meinung geführt. Wenn ich dabei dem hochverdien-
ten Münchner Gelehrten im ganzen und in vielen Einzelheiten
widersprechen muss, so will ich nur gleich betonen, dass meine
Arbeit ohne die seine nicht möglich wäre, und das dürften
viele andre von sich sagen müssen.
A
I. Das Lied steht in bC unter Reinmar, ausserdem Str. i in A
unter Reinmar dem Fiedler. Über die Singersche Strophenord-
nung, also 176, 5. 38. 27. 16 wird nach Zustimmung von Mar-
lene Haupt S. 20 und Kraus, MFU, S. 375, kein Streit bestehen.
Auch die Textgestalt ist durch Moriz Haupt und Karl Vogt
Lüderitz: Anna Lüderitz, Die Liebestheorie der Provengalen bei den Minnesingern
der Stauferzeit (Berlin, 1904).
MF: Des Minnesangs Frühling. Neu bearbeitet von Friedrich Vogt. (3. Aufl.;
Leipzig, 1920).
MFU: Carl von Kraus, Des Minnesangs Frühling: Untersuchungen (Leipzig,
1939)-
N. 28, 29, 31: H. W. Nordmeyer, Journal of English and Germanic Philologv,
XXVIII (1929), 203 £f.; XXIX (1930), 18 ff.; XXXI (1932), 360 ff.
N. 45: Derselbe, Publications of the Modern Language Association of America,
XLV (1930), 629 ff.
RU: Carl von Kraus, Die Lieder Reimars des Alten, Teil I, II und III (München,
1919).
Scharmann: Th. Scharmann, Studien über die Saelde in der ritterlichen Dichtung
des 12. und 13. Jahrhunderts (Würzburg, 1935).
Schmidt: Erich Schmidt, Reinmar von Hagenau und Heinrich von Rugge (Strass-
burg, 1874).
Schneider: Hermann Schneider, "Die Lieder Reimars des Alten," Deutsche Viertel-
jahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, XVII (1939), 312 ff.
Singer: S. Singer, "Studien zu den Minnesängern," Beiträge zur Geschichte der
deutschen Sprache und Literatur, XLIV (1920), 426 ff.
Strümpell: Regine Strümpell, Über Gebrauch und Bedeutung von saelde, saelic
und Verwandtem bei mhd. Dichtern (Leipzig, 191 1).
WU: Carl von Kraus, Walther vdV: Untersuchungen (Berlin u. Leipzig, 1935).
i6o CORONA
so ziemlich gesichert. Jedoch ist mit Kraus, RU, l, 73 f., MFU,
S. 373, gegen Singer in 176, 27 gewiss niht zu lesen statt noch
(bC). Ein weiterer Vorschlag von Kraus betrifft 176, 12, wo
er mit Jellineks Beistand Beiir. XLIII, 14 f. frouwe statt fröide
lesen will. Auch mir scheint dies eine wesentliche Besserung.
Seine Interpunktion verlangt Punkt statt Komma nach 177, 4
und Kolon nach 177, 8. Das Komma wäre wohl besser durch
ein Kolon zu ersetzen, auf das zweite Kolon zu verzichten.
Begründung für dies alles an geeigneter Stelle später.
2. Zuerst die philologischen Einzeleinwände, die gegen
Reinmars Verfasserschaft gemacht worden sind. Diese finden
sich jetzt bequem bei Kraus, MFU, S. 373 f., doch sind seine
Bemerkungen RU, I u. II, stets nachzublättern. Kraus beleuch-
tet, dass der Sprachgebrauch des Dichters mit dem Reinmars
und gelegentlich Walthers enge Verwandtschaft zeigt, findet
anderseits "so manches, was bei Reimar fehlt." Grundsätzlich
habe ich mich zu diesem argumentum ex silentio N 45, 660 u.
670 geäussert. Sehen wir zu, ob es hier annehmbare Ergebnisse
fördert.
3. Kraus beanstandet im ganzen acht Ausdrücke. Dass diese
sonst im Kraus'schen Reinmartext nicht vorkommen, lässt sich
jetzt in Bulsts Konkordanz mit Leichtigkeit feststellen, doch
sei bemerkt, dass keiner dabei ist, der niht des hoves st, und
auch keiner, der prima facie unreinmarisch anmutete. Es sind
die folgenden: (i) dienest (von der Person gesagt), (2) ge-
schehen läzen, (3) nern, (4) wem, (5) sich bewarn, (6) verlän
('unterlassen'), (7) merkaere und (8) gän stän mit Ortsbe-
stimmung der Richtung. Bei weniger als 1400 echten Rein-
marversen (nach Kraus gerechnet) ist es kaum billig, für jedes
dieser Wörter einen zweiten Beleg zu verlangen. Dutzende von
Wörtern gleichen Schlages und gleicher Seltenheit lassen sich
in kürzester Frist aus Bulst zusammenstellen. Der Einwand,
auf die Häufung komme es an, verfängt nicht. Die neunzeilige
Falkenstrophe 180, 10, mit das Echteste, was wir von dem
Dichter haben, liefert fünf: erzogen, wilde (zweimal),
muotenf \üme, ungewin, und dazu schuldic, das nur in un-
2. Ton 201, 33 scheidet aus, s. die Nachweise bei Kraus, MFU, S. 408.
HOHE MINNE BEI REINMAR i6i
serm Liede noch einmal erscheint. Man vergleiche ferner Ton
171, 32, wo sich in Str. 11 (sechs Zeilen) allein vier solcher
Unika finden: hüs, beroubet, berede, lougen, oder Str. 165, i
mit mindestens vier. Ähnlich ist es in der Witwenklage 167,
31, und so auch bei dem Liedchen 156, 10, das Kraus jetzt
wenigstens aus dem "Zyklus" entfernt. Gewiss liegen hier
überall besondere Bilder oder Situationen vor, doch warum
sollte das nicht von unserm Tone gelten.? Wieso ist jeder
Einzelfall nach dem Durchschnitt zu beurteilen ? Schauen wir
die acht "fehlenden" Wörter und Wendungen einzeln an, in-
dem wir mit den einfachsten Fällen beginnen.
4. Bei (2) finden wir Kraus im Irrtum. Der Ausdruck
begegnet zwar nach Hornigs Glossarium bei Walther unter 47
Verwendungen von geschehen nicht ein einziges Mal, wohl
aber ein zweites Mal bei Reinmar, 187, 24: got läze im wol
geschehen, also in dem Frauenliede, was vielleicht kein Zufall
ist (s.u. §20). Was dem an dir Ungewöhnliches anhaften soll,
vermag ich nicht zu erkennen, vgl. ?arz. 506, 2: lät iuwern
trost an mir geschehen. (Über Kraus' stilistische Bedenken s.u.
§8.) — (3) und (4) : Dass Reinmar nern und wem bewusst oder
unbewusst gemieden hätte, ist doch kaum glaubhaft, denn um
etwa das Frauenlied 199, 25 als unecht zu erkennen {erwert
201, 3), haben wir noch andere Kriterien. Jedenfalls findet
sich das Nomen wer 172, 9, was Kraus seinerseits hätte anmer-
ken dürfen, nern {er-, ge-) erscheint, von den Epikern zu
schweigen, z.B. im Rugge-Corpus, bei Morungen, in Hart-
manns Lyrik, bei Walther, im 11. Büchlein, und zwar im Sinne
von 'retten,' 'schützen,' 'am Leben halten.' Wenn freilich
gerade dies Vorkommen bei andern Dichtern als Beweis gegen
Reinmar gebucht werden soll, so steht die sonst ehrenwerte
Methode Kopf. Übrigens verwendet dieser genesen 164, 33;
186, 22. — Ähnliches gilt für (5), bewarn, wofür Hornig 14
Walther-Stellen verzeichnet, darunter drei reflexive Konstruk-
tionen. — (6) findet sich nach Sinn und Konstruktion ebenso
bei Hiltpolt XVIII, 2 f . : i'd enkßn st niemer verlän, sin läze mich
des geniezen gein ir, daz ich usw. Hiltpolt war bekanntlich
i62 CORONA
sehr stark von Reinmar beeinflusst.^ Auch Hartmann braucht
die Wendung, Iwein, 1700 if., 4510 f., und die Wörterbücher
liefern noch mehr. Überhaupt erscheint verlän nach Bulst nur
zweimal im Reinmartext, und zwar in zweierlei Sinn: 154,
10 f. 'hingeben,' 174, 30 'verlassen'; dazu kommt noch unverlän
'nicht verlassen' 155, 20. Bei solchen Zahlenverhältnissen
brechen die Gesetze der Statistik zusammen.
5. Zu besprechen sind noch (i), (7) und (8). Die metho-
dische Frage ist hier nur die: Wovon haben wir auszugehen,
von dem belegten Wortschatz eines Dichters wie Reinmar,
oder von der motivlichen Situation, die offenbar im Liede
gestaltet ist und demgemäss die Wortwahl bestimmen musste ?
Also zu (i). Jellineks oben genannter Vorschlag zu 176, 12
war in der Tat zu begrüssen, denn er klärt den Sinn nicht nur
der Strophe, sondern des ganzen Liedes. Worauf es dem
Dichter hier ankommt, ist offenbar die Herausarbeitung des
Dienstverhältnisses zwischen der frouwe und dem, der ir
dienen sol, wie es in der schlagenden Morungen-Parallele 140,
30 heisst. Einerlei, ob man mit Kraus, MFU, S. 322, alle drei
Morungen-Strophen für echt hält, so dürfte in der eben zitier-
ten Zeile Reinmar genau so Pate gestanden haben wie 140, 16
bei österlicher tac, andrer Parallelen wie 140, 21 : 179, 21 ; 140,
27 f.: 168, 22 f. nicht zu gedenken. Und warum hätte er statt
dienest lieber eine Auflösung wählen sollen wie sein Nach-
ahmer oder einen anderen Terminus, der gleichfalls nicht
wieder bei ihm auftreten würde? In Gegenüberstellung mit
frouwe war zu seiner Zeit dieiiest ein durchaus geeignetes
Wort, das wir aus dem 'Ere\, dem Tristan und andern Texten
kennen.^ Dasselbe charakteristische Begriffspaar begegnet bei
3. Sonstige Parallelen bei Erich Juethe, Der Minnesänga* Hiltbolt von Schu/angau
(Breslau, 1913), S. 40 f., 43-45.
4. S. Lexer und Mhd Wb. Kluckhohn (1910) meint S. 145 Anm. i, der dienest
für Diener sei in Deutschland selten und verweist auf Kotzenberg S. 16, der keine
Belege bringt. Ich finde diese Stellen: Vorauer Alexander 1121 (Strassb. 1549), wozu
Kinzel bemerkt "im 12. Jahrhundert nur hier"; ferner Kreuzfahrt des Landgrafen
Ludwig, Mon. Germ. Hist. IV, 2, "Deutsche Chroniken," 22 und 2551; Berthold
von Holle, Crane, 4627. Bei den Lyrikern noch MF S. 435, Str. 362 e; Reinmar
von Zweter, Str. 26 (s.u. Anm. 8 u. 14); Marner (Strauch) vii, 32; HMS I, 327 b.
[ ^=MS I, 178b] (7). Ausser bei Ulrich v. L. F.D. 105, 10; 143, 4, der aber 176, 11
HOHE MINNE BEI REINMAR 163
einem kaum viel jüngeren Anonymus in Str. 362 e, MF^ S. 435,
^S. 421, zu Eingang und Ende, und noch ausgeprägter bei
Reinmar von Zweter, Str. 26. Bei Reinmar taucht dabei hier
schon die Idee des lones auf, die die letzten Strophenzeilen er-
füllt (s. Bulst, s.v.). — Zu (7) merkßere sei jetzt nur dies gesagt:
Reinmar braucht das Wort sonst nicht, v^eil er sonst die Situa-
tion nicht w^ieder braucht. Immerhin treffen v^ir es im Minne-
liede noch bei Walther 98, 16 ff., und anderseits arbeitet
Reinmar bekanntlich mit dem engverwandten Motiv der huote,
164, 23 und zumal im Ton 179, 3. Zum Fehlen der Senkung
vgl. 159, 22; 172, 2 (Vogt und Kraus), auch 166, 32 (Vogt). —
Auf (8), also gän mit finalem stän als Bev^^egungsverbum,
finden die Beobachtungen zu (3), (4), (5), (6) sovi^ie die zu
(7) Anwendung. Kraus' Einwand kann nur bedeuten, dass
Reinmar eine bekannte epische Formel^ stets meide, ähnlich
wie Hartmann, aus dessen Sprachgebrauch sie nach dem EreJ^^
verschwindet. Aber das wäre bei einem Lyriker eine ganz
willkürliche Annahme. Die Strophe, fast ganz im Präteritum
gehalten, verweilt bei Erinnerungen, der Stil muss also ins
Epische gehen, und da war die alte Formel — aber nur hier —
gerade recht. Doch wird das eigentlich Formelhafte gebrochen
dadurch, dass sowohl gie wie stän in den Reim tritt. (Über
Stilistisches zu diesem Thema s.u. §9.)
6. So bleibt von Kraus' Beanstandungen des Wortschatzes
schlechterdings nichts übrig. Aber er hat auch sprachlich-
stilistische Bedenken, wozu noch solche der Interpretation kom-
men, und Marlene Haupt ist ihm darin auf Grund seiner
früheren Studien in einigen Punkten voraufgegangen. Er geht
von der Anschauung aus,^ für den Verfasser sei die Form das
kopiert, handelt es sich jedesmal um je eine Stelle. Man kann bei Reinmar nicht
mehr erwarten.
5. Vgl. z.B. Vorauer Alexander 394 (Strassb. 461), Eneit 4151, 'Nibelungenlied
(Bartsch) 845, 1; 1705, 2; 1832, 3 (alle mit /«>). Im übrigen s. Mhd. Wörterb.
I, 464a und II, 570a, und ausführlich E. Wiessner, "Über Ruhe- und Richtungskon-
struktionen mhd. Verba," Beitr. z. Gesch. d. dt. Spr. u. Lit., XXVI (1901), besonders
447 ff.
6. V. 6832, 7625, 8967 (hier mit für st und im Reim auf Verlan 'unterlassen'!),
8987. Vgl. S. von Monsterberg-Münckenau, Der Infinitiv in den Epen Hartmanns
von Aue (Breslau, 1885), S. 26 f.
7. RU. I, 73 f., 84; II, 65 f.; MFU, S. 374 Anm. 2, 404 f.
i64 CORONA
Wesentliche, Inhalt sei ihm, anders als Reinmar, weniger
wichtig. Und so glaubt er in ihm wegen der grammatischen
Bindung 176, 16. 18 in der Tat den Urheber der gram-
matischen Reimspielerei 198, 4 wiederfinden zu sollen. Aber
"grammatische Bindung," "Bindung mit grammatischer Ab-
wandelung" (Vogt, ZfdA, LVIII, 210), die gerade Kraus als
Reinmarisches Kunstprinzip wiederholt herausstellt (so RU , I,
18, 33, 39, 48 f.), ist etwas ganz andres, als was dort geschieht,
wo alles Raffinement dieser Reimkunst rein zu Formzwecken
geübt wird. Aber wenn man zur Datierung schon Gottfried
von Neifen heranziehen muss — und das gibt Kraus zu — , so
kommt man mindestens in die Zeit um 1235. Anderseits setzt
er RU, II, 60, unter Hinblick auf Ulrich von Liechtensteins
wörtliche Zitate im Frauendienst 105, 10 (143, 4) ; 383, 15 unser
Lied 176, 5 als "keinesfalls viel jünger" als Reinmars Lyrik an.
Das lässt sich schwer vereinigen. Man muss sich wohl von
dem Formeindruck losmachen und den Inhalt ernstnehmen,
nur so kann man zu einer Würdigung des Ethos vorstossen.
Jedoch Kraus glaubt, dem Reimzwang an "allerlei wenig
geschickten Wendungen" schuld geben zu müssen, und mo-
niert in diesem Sinne Vers um Vers. Nicht vermerkt hat er
die Lockerung, die gerade durch diese scheinbaren Füllsel in
den Aufbau kommt: wie gerade dadurch, dass man hie und
da dem Sinne nach ein wenig verweilen kann, dem Liede
etwas Schwebendes, Schwingendes verliehen wird, was seine
innere Form wesentlich mitbestimmt. Nicht vermerkt hat er
ferner die Spannung, die dieses wiederholte Umbiegen und
Abbiegen auslöst, und auch nicht die stete Steigerung der
Anteilnahme der Zuhörer, die durch diese Mittel erzielt wird.
So wird klar, wie aufschliessend, ja entscheidend die Neuord-
nung der Strophen ist, die wir Singer verdanken, deren
Richtigkeit Kraus zwar anerkennt, aber bei seiner Auswertung
des Gedichts im einzelnen und im ganzen nicht berücksichtigt.
Ich werde nun versuchen, seiner Kritik Punkt für Punkt
gerecht zu werden, indem ich, so misslich das vielfach auch
ist, meine eigene Analyse zugleich vorlege.
7. Es überrascht, MFU, S. 374, zu lesen, "kein einziger
HOHE MINNE BEI REINMAR 165
frappanter, selbstgewachsener" Ausdruck fände sich in dem
Liede. Mir war stets die Eingangszeile aufgefallen, deren
eigentümliche Verbindung von saelde und saelic im Minnesang
vor Reinmar nicht auftritt, wohl aber, wie erwähnt, später bei
Ulrich von Liechtenstein.^ Es handelt sich dabei um mehr,
als dem geläufigen saelic wip "stärkeren Nachdruck" zu ver-
leihen,'' und der Ausdruck wird uns noch mehr beschäftigen.
Im einzelnen folgendes. Zu 176, 6 f.: Der Dichter meint, "Gib
mir Grund zu hohem muote," mit alledem, was das bekanntlich
in der Minne einschliesst. Aber er spricht es nicht aus, er
zögert, deutet an: tuo mir so ... , vgl. etwa 165, 35 f.; 175,
13 f.; 180, I f. Vers 8 f. hält Kraus für "zu unbestimmt-
allgemein," man könnte darunter "sehr verschiedenes ... bis
zur erfolgten Hingabe" verstehen, und Marlene Haupt S. 22
meint sogar, nach diesen Zeilen habe die vorausgesetzte Dame
"Liebesgunst gewährt," sie passten also nicht zu diesem Rein-
mar. Sie scheint lip mit 'Körper' übersetzt zu haben. Normal und
höfisch heisst dur dinen lip einfach 'durch dich,' und so auch
bei Reinmar, vgl. die schlecht gruppierten Stellen bei Bulst
s.v. lip. Dem Hörer hier eine andere Auffassung zumuten,
heisst Vers 6 f. ignorieren, heisst überdies alle Minne-Etikette
vergessen, die das sich rüemen streng verpönte — denn darauf
liefe "Liebesgunst" hinaus — und dies noch dazu in direkter
Anrede an die gefeierte Dame. Und so hat man auch bei fro
an nichts Beglückenderes zu denken als etwa den österlichen
tac von damals 170, 19 und die sonstigen Hyperbeln, die
dann den Waltherschen Gegenschlag brachten. Um aber ja
nicht zu keck zu erscheinen, setzt der Dichter das Ganze in
einen o^e'-Satz. Gesamteindruck: "Die Liebe zu dir hat mich
lange beseligt, nun lass meine Hoffnungen nicht zu schänden
werden," zusammengefasst in Vers 11 f. in knappster Form
unter quasi rechtlicher Begründung des Anspruchs. Und dann,
nachdem er mindestens doppelt unterbaut ist: der Wunsch, zu
dessen Formulierung {lieben tac) 158, 38; 165, 27; 187, 38 und
8. Reinmar von Zweier schreibt unsern Vers zu mindestens drei Zeilen um in
Str. 26.
9. Strümpell, S. 76, vgl. 8. 74 ff.; sonst jetzt Scharmann, S. 76 ff.
i66 CORONA
i88, 38 zu vergleichen sind. Doch wohl zu beachten: das Letzte
wird hier, in der persönlichen Anrede, nur mit einer Silbe
ausgesprochen — naht — in einer Zeile, die in ihrer Kürze
parenthetisch, d.h. mit Stimmumlegung gesprochen wirkt und
dadurch den Reiz des Intimen gewinnt. (Ähnliches gilt zumal
von 177, 8 und 176, 25, doch auch von den meisten Zweitak-
tern.) Der Schlussvers dann im Imperativ, in direktem Anruf
der frouwe, der 'Herrin,' so dramatisch wie die Strophe einge-
setzt hat.
8. Gerade gegen diese Zeile bringt Kraus ernste syntak-
tische und stilistische Bedenken vor. Nach oben (§4) Gesagtem
kann nur noch die Verwendung von lä statt muoz zur Diskus-
sion stehen. Wie Vogt erwähnt, hat sich "das an sich näher
liegende muoz'' schon dem C-Kopisten aufgedrängt, der seine
Vorlage unter Streichung von la korrigierte; b hat la, A laz.
Dass der Dichter, einerlei welcher (und auch Kraus hält ihn
für keinen Stümper), lä gewollt hat, ist also nicht zu bezwei-
feln. Man sollte lieber seinen Absichten nachspüren. Freilich
ist die Verbindung von Vorder- und Nachsatz "unlogisch,"
aber sie hat die psychologische Wahrheit für sich, die schon
seit Schmidt als Reinmars Eigenstes gilt,^° Kraus selber erwägt
wohl müeze, denn er findet (wie vielleicht der Dichter selbst
getan) auch muoz "wenig passend." Aber die Logik der
Situation verlangt, wenn keine Aussage, so auch keinen blossen
Wunsch, sondern ein Begehren, Verlangen, das, so gebändigt
es ist, unzweideutig ausspricht, um was es sich im Sang von
hoher Minne immer dreht und gemäss seinem innersten Wesen,
d.h. bei der bekannten Polarität, drehen muss. Gewiss, auch
geschehen ist "unlogisch," aber nicht "unbehilflich" oder
"wenig passend," eher das Gegenteil. Es ist passivisch, und
gerade dies Abbiegen an entscheidender Stelle vom Männlichen
ins Weibliche ist Reinmarisch. Man braucht noch lange nicht
so weit zu gehen wie Karl Korn, der dem "zwiespältigen,
widerspruchsvollen, seelisch gebrochenen" Dichter "Unfähig-
keit zu echter männlich begehrender Leidenschaft," "perverse
10. S. 54. Vgl. zuletzt H. Schneider zu diesem Thema, a.a.O.
HOHE MINNE BEI REINMAR 167
Wollust" u.a. nachsagt/^ um das Hingebende, Empfangende
seiner Dichtung zu empfinden, solange man sie rein als Minne-
dichtung nimmt. Aber nur durch dieses Abbiegen in gesche-
hen war der Übergang zu finden zu Str. n, 176, 38, wo die
Entwicklung des Motivs durchaus zarte Töne erheischt.
9. Aus dem Gebändigt-Pathetischen geht jetzt der Dichter
ins Elegisch-Erinnerungsvolle über, aus dramatischem Stil in
einen mehr epischen, was durch die Verknüpfung dienest:
verdiente beleuchtet wird. Zugleich wird das Grundmotiv des
ganzen Liedes angeschlagen, das "unverdiente Leid," das so
oder so abgewandelt, seit Walthers Angriff Reinmars hohes
Dichten charakterisiert. Dass, wie in den drei anderen Strophen,
Aufgesang und Abgesang syntaktisch zu trennen sind, dürfte
einleuchten. Doch sollte ihr inneres Verhältnis durch Kolon
bezeichnet werden, denn das Leben der Strophe ist ja die Span-
nung, mit der man den Unschuldsbeweis erwartet, erst recht
nach der Einräumung 177, i wan so vil . . . , und der erfolgt
erst im Abgesang. Das Erinnerungsbild, das motivlich ihn
auch jetzt noch beherrscht, wie er dort scheinbar unbefangen
stand und sich doch nicht losreissen konnte vom Anblick der
Geliebten: das stellt die Schuld dar, die er eingesteht — und
eigentlich ist es ihre Schuld, die Schuld ihrer höfischen Voll-
kommenheit. Aber das sagt er nicht. Er biegt ab: jrouwe,
nam des iemen war? , setzt also ein ganz neues Motiv ein, dem
ein Punkt voraufgehen sollte. Durch die unvermutete Frage,
die so oder so eine Rückäusserung auslösen muss, bringt er die
Dame quasi auf seine Seite, lässt sie teilnehmen an seiner un-
schuldigen Schuld — denn böse kann sie ihm nun nicht sein.^^
Aber er sagt auch das nicht. Es gibt manches, was man
11. S. 70 ff . Der Grundfehler bei ihm scheint mir, dass er Reinmar zu modern
sieht, indem er das aus Motiven gebaute Gedichtwerk, gar zu eng mit dem
Menschen identifiziert, etwa als hätte der Dichter 700 Jahre später gelebt. Das
könnte man "psychologische Realinterpretation" nennen, vgl. N 31, 391 fl. Auch
Korns Deutung Reinmars als "Aufklärer und Rationalist" (S. 69 ff.) ist bei manchen
feinen und treffenden Beobachtungen sehr mit Vorsicht aufzunehmen. Als Didaktik
war der ganze Minnesang "aufklärerisch," was sein eigentliches Ethos doch kaum
erschöpfend bezeichnet.
12. Vgl. etwa MF. 148, 17 f. Um zu sehen, wie Reinmar mit dem wechselnden
Schuldbegriff spielt, vgl. Kraus, EU , II, 28, und einschlägige Stellen bei Bulst.
i68 CORONA
verswigen sol. Scheinbar wird nur das mer}{ciere-y[.oxiv von
Str. HI vorbereitet. Auf diesen ganzen beseelten Komplex des
Erinnerten, Suggerierten, heimlich Gehofiten, angeblich Be-
fürchteten steuert die Strophe vom ersten Verse ab los, erst
etwas zögernd, dann immer beschwingter und wärmer, sodass
das 'Schuldbekenntnis,' man weiss nicht wie, zu einer Schel-
merei wird, wie wir sie etwa in der Strophe vom Kussdiebstahl
haben (159, 37). Alle Ausdrücke und deren Verwendung, die
Kraus moniert, dienen diesem Zweck der Spannungssteigerung,
die sogleich eine anmutige Lösung bringt: geschach > gie >
stän > such, und dann erst der eigentliche gesellschaftliche
Verstoss. Ein ähnlicher syntaktischer Aufbau zu ähnlichem
Zweck findet sich 178, 19-21: drei Nebensätze hintereinander,
dann endlich zwei knappe Silben, ein Imperativ. Und wenn
dort eine Dame spricht, deren Unsicherheit der Dichter köstlich
zu malen weiss, so hier er selbst, der — immer motivlich
gesprochen — das bangende Verlangen des eignen Herzens zu
schildern hat.
10. Str. III, also 176, 27, nimmt das drängende, werbende
frouwe sofort wieder auf, die Stellung der Responsion wird
aus inneren Gründen geändert. Dies begründet auch Kraus'
Emendierung von noch zu niht. Reinmar will doch, wie im
Vor auf gehenden (wan so vil), nicht so sehr seinen Fehler als
geringfügig bezeichnen, als der Dame die wahre Schuld daran
geben: ihre Vollkommenheit wird dargestellt durch ihre Wir-
kung auf den Dichter. Der psychische Nachdruck liegt auf
liebe, 'Herzensfreude,' nicht auf irgend einem Verdienst seines
ich, das ein noch rechtfertigen würde. Aber gerade darum ist
Kraus' Einwand gegen ich hän getan, wonach man "ein be-
wusstes Handeln und nicht ein unwillkürliches Erröten" er-
warte, abzulehnen. Es ist wieder das Abbiegen ins Weibliche.
Der Dichter sucht bei sich, motivlich gesprochen, nach irgend
einer Tat, wonach er den \umber verdienet haben könnte. Ihm
fällt nichts ein, als was ihm selber geschehen ist, sein unzeitiges
Erröten, welches, wie er später wörtlich zugibt (180, 4), die
Dame dem Gerede der Leute ausgesetzt hat. Das Gelöbnis
von 173, 25: daz ichz gerne hil (vgl. 159, 40!) hatte er dadurch
HOHE MINNE BEI REINMAR 169
gebrochen, doch (wie weiblich, d.h. auf weibliches Empfinden
eingestellt) — sol ich da von schuldic sin? Zugleich ist interes-
sant, wie kühn er hier das Motiv des Verbots der Namensnen-
nung einsetzt,^^ und wie er es abwandelt, denn dies und nicht
einfach das des Rotwerdens liegt hier vor, von dem noch zu
sprechen sein wird (§18). Für die Bewegung der Strophe im
ganzen gilt ähnliches wie bei Strophe 11: sie setzt ein, indem
sie des Dichters Unschuld bekundet, und doch wieder mit
einer Einräumung, durch die erneut die Erwartung erregt wird.
Die Steigerung besteht darin, dass diesmal der Anlass geringer,
die verräterische Wirkung noch stärker ist : blosse Namensnen-
nung kontrastiert mit dem vollen Anblick der Geliebten; die
bestimmte Aussage der sach herzeliebe wol mit der scheinbar
schüchternen Frage nam des iemen war? Die Zusammen-
gehörigkeit der beiden Strophen in dieser Reihung wird unter-
strichen durch die summierende Schlussfrage in beiden, wie
sie auch 165, 27. 36; 187, 30 vorkommt.
II. Nun aber zu der Verwendung der mer\aere. Kraus'
Bemängelung von 176, 33 f. verstehe ich nicht. Der Satz so
die mer\aere tuont bedeutet allerdings "wie z.B. die Aufpasser,
die mir auf Schritt und Tritt folgen," also eine gut Reinmarsche
Übertreibung, zu der der Minner vollauf berechtigt ist. Warum
nicht? Was sich mit 177, 5 in Frageform ankündigte, das
entfaltet sich hier positiv und unzweideutig, nämlich die Ab-
sicht, um die Dame zu schonen, den eigentlichen Grund seines
Unglücks diesen Bösewichtern, Zwischenträgern und Wortver-
drehern zuzuweisen, deren unanständiges Benehmen ihm in Str.
175, 36 den Wunsch nahelegt zu wissen, wer bi mir st, "wer
anwesend sei" {RU, I, 39), dem unsre Stelle swer do nähe bi
mir stuont usw. nach Sinn und Situation wohl beweiskräftig
ähnelt, unabhängig von der Zeitfolge. Umgekehrt kennzeich-
net der Dichter die friunt als solche die mir do sanfte wären
bi, 164, 30. Ich wil immer gerner umbe sehen: ich was miner
fröide ein teil ze fri, 175, 36 f., so konnte auch der Dichter
sprechen, dem motivlich die herzeliebe das verräterische Rot
in die Wange treibt. Reinmar denkt natürlich nicht an wirk-
13- Vgl. Lawrence Ecker, Arabischer, provenzalischer und deutscher Minnesang
(Bern u. Leipzig, 1934), S. 99 ff.
170 CORONA
liehe mer\aere, aber die spielten nun mal in den überkom-
menen Motiven die Rolle der Widersacher des Liebenden, und
so war es für ihn vollkommen naturgemäss, sie hier einzu-
führen.
12. Und so Vi^ar die Brücke zur letzten Strophe geschlagen,
176, 16. Wer in dem Ton "ein ganz allerliebstes Gedicht"
erblickt (Kraus), ein "Tändeln, dem eine heiter-liebenswürdige
Oberflächlichkeit genügt" (Marlene Haupt), kann das nur aus
Str. II u. III begründen. Hier dagegen haben wir einen ver-
hüllten Ernst, auf den schon zu Eingang vorbereitet wurde:
. . . daz des iht an mir zerge. Die erste Zeile entspricht der
von Str. III, ist aber rein passivisch gewandt: Frouwe, ich hän
niht me getan klingt kontrastierend an, wenn man nun hört:
Frouwe, ich hän durch dich erliten (nicht nur frouwe respon-
diert). Wiederum Steigerung, aus einer Entschuldigung wird
eine Klage, die fast einer Anklage auch gegen die Herrin
gleichkommt. Die grammatische Bindung erliten — erleit ist
nicht Formspielerei, sondern dient der Verstärkung des leit-
Motivs, das samt der Gegenüberstellung mit liep aus Reinmars
Werk sattsam bekannt ist (s. Bulst an einschlägigen Orten).
Kraus findet 176, 19 f. ohne Angabe des erbetenen Objekts
"wieder recht nebelhaft, da viele [sic'\ Möglichkeiten oflFen
bleiben." Dass aber gerade dessen Stil "sich gern in leisen
Andeutungen bewegt," hat Marlene Haupt S. 21 zu Trotz
schon Erich Schmidt empfunden (S. 46), und viele nach ihm,
und dass es eine bewusste Stilgebärde war, erhellt aus 160, 22 ff. :
dazs erste fraget des waz genäden si der ich da ger. Doch
davon abgesehen sind Kraus natürlich Stellen geläufig wie 171,
10 f.: in ist liep daz man si staeteclichen hite, oder die beiden
in dem Frauenliede 186, 19, wo sogar das persönliche Objekt
weggefallen ist, 186, 36: done bat er niht mere, und 187, 9 f.:
mir ist lieber daz er bite . . . Um was es bei diesem biten letzten
Endes geht, ist hier genau so klar wie dort: im Gegenteil,
durch diesen Gebrauch des Verbums wird die ganze Frage auf
die breiteste Grundlage gestellt, die der Werbung überhaupt.
Eine siebenfache Abwandlung des Begriffs des werbens, mit
biten an zweiter Stelle, findet sich in Ton 179, 3 (s. N 31,
HOHE MINNE BEI REINMAR 171
378^^). Die hete 176, 24 ist freilich ganz andrer Art, wie wir
bald sehen werden. Damit erklärt sich auch das folgende tuoz,
das den Eingang wieder aufnimmt: tuo mir so daz min herze
hohe ste, worauf auch saele\eit zurückdeutet, ebenso wie dur
dinen lip sich spiegelt in durch dich und nochmals in durch sin
liep. Der Dichter hatte eben neuerdings jeden Grund, über
Mangel an hohem muote zu klagen, und das Verhalten seiner
Herrin war im Sinne des Minneliedes daran schuld. Er muss
schon an ihre saeleh^it appellieren, mit deren Preis er fein-
fühlig anhub.
13. Diese mannigfachen Rückbeziehungen auf Str. i geben
uns den Schlüssel zum Verständnis des Liedschlusses. Wie oben
gezeigt (§5), ist Str. i beherrscht von dem Begriffspaar frouwe
(nicht fröideV) — dienest. D.h. wir sollten in diesem Liede
frouwe stets mit 'Herrin' übersetzen, einem Begriff, der durch
die vierfache Responsion immer wieder hervorgewölbt wird
und dadurch auch Str. n und ni einbezieht. Es wird also nach
bekannter Fiktion in der Sphäre der Minnewerbung die der
mittelalterlichen Ständeordnung vorausgesetzt. So wird nun
auch an dienest wieder angeknüpft, denn das prägnante ich
bin din soll nicht 'schlicht' oder volksliedhaft anmuten: sondern
wie das ausladende ich was ie der dienest din, das es aus Str. i
wiederholt, bezeichnet es hier, allerdings mit Beimischung
eines starken Gefühlstons, das 'ministeriale' Verhältnis des
Minnenden zu der Dame, in deren 'Schutz' er sich begeben
hat.^^ In diese Beleuchtung tritt der ganze Abgesang. Es
handelt sich um ein Bild, das Reinmar aus dem Landläufigen
übernommen hatte, aber in dieser Ausgestaltung nicht ein
zweites Mal verwerten konnte. Daher hier die Häufung von
Ausdrücken, die Kraus und auch Marlene Haupt beanstandet
haben, und die nun zur Kontrolle unsres Ergebnisses überprüft
werden müssen.
14. S. Anm. 4 und vgl. für Reinmar die Stellen bei Bulst unter dienen, dienest,
genäde, gewalt, holt, hidde, und zumal 159, 30; so gar bin ich ir undertän. Weiteres
bei Kluckhohn (1910), S. 135 ff., bes. 143-148, mit ausgebreitetem Material, auch
bei demselben (191 4), S. 397 ff. und Kotzenberg, bes. S. 45. Parallelen gibt es für
eine solche potenzierende Zusammenziehung natürlich nicht, denn auf Tannhäuser,
III. Leich, 56 f. (Singer), 54 f. (Siebert) verzichtet man lieber, obwohl frouwe dabei
steht. Die Reinmarsche Gestaltung ist einmalig.
172 CORONA
14. Der wichtigste davon ist gewaltes allen wem, dessen
Beziehung Kraus nicht klar ist. Er zieht zweifelnd die huote
in Betracht, womit er die merJ{aere meint, und erwägt, ver-
mutlich in Hinblick auf Walter 98, 15-18, ob diese "der Ge-
liebten Zwang antun." Dass an die mer\aere gedacht ist, geht
aus dem hier dargelegten Zusammenhang von Str. in u. iv
ohne weiteres hervor, aber wer kann von denen gewdt erfahren
haben {erliten 176, 16), wenn nicht der Minner? Wörtlich
übersetzt heisst 176, 22 f.: "du bist verpflichtet, mich zu
schützen und von niemand Zwang ausüben zu lassen." Gegen
wen, die Frage kann wer will offen lassen, solange die Bezie-
hung auf die gewalttätigen Widersacher des Dichters klar ist.
Ein beabsichtigter Doppelsinn wäre möglich, um motivlich ein
gemeinsames Interesse der beiden anzudeuten. Trotzalledem :
Man lese Str. iii u. iv in ihrem innern Zusammenhange, was
bisher kaum geschehen. — Sich von allen verfolgt zu glauben,
ist eine Hyperbel des notorischen Überbieters Reinmar (Wal-
ther, III, 22). Mit andern Worten, er erinnert die 'Herrin'
an ihre Pflichten ihrem dienest(man) gegenüber, dem sie von
Rechts wegen holt zu sein hat. Somit hat sie ihn zu schützen
vor gewalt von jeder Seite, auch von Seiten der Aufpasser, denn
die sind verantwortlich für sein leit, das im Rahmen des Minne-
liedes als ebenso wirklich gelten muss wie sie selber. (Und
freilich war es nicht das einzige Leid, das er hatte, sonst wäre
das Ganze fast ein kasuistischer Scherz.) — Marlene Haupt hält
die Schlusszeile des Ganzen, 176, 26 für unpassend, denn in baz
liege "ein Vorwurf, zu dem Reimars Herrin keinen Anlass
gegeben." Allerdings liegt darin ein Vorwurf, und wenn die
Herrin ihre Lehnspflicht vernachlässigte, so war er vollkom-
men verdient. Genau das will Reinmar sagen. Wie sich ihm,
dem Minner, die Lage darstellt, erhellt z.B. aus 161, 3 f. (mehr
bei Bulst s.v. leit). — Bleibt Kraus' Einwand gegen die
zwiefache Bitte, nachdem nur eine bete angekündigt war, die
freilich mit ich getar dich niht gebiten nichts zu tun hat. Es
sei nochmals an das "Parenthetische" der vorletzten Zeile jeder
Strophe erinnert (s.o. §7). Die Beobachtung bewährt sich hier,
insofern daz du wol gevarst als geläufiger frommer Wunsch
HOHE MINNE BEI REINMAR 173
nicht denselben psychischen Nachdruck haben kann wie die
kulminierende Schlusszeile, denn sich hewarn an einem über-
setzen die Wörterbücher mit "seine Pflicht gegen ihn erfüllen"
(Lexer, I, 253; Mhd. Wb., III, 509a). Diese Mahnung ver-
quickt er mit einem höflichen Wunsch für ihr Wohlergehen.
Ähnlich ist es 178, 12, wo ist er fro in Hinblick auf 177, 14 f.
u.a. gewiss sinnerfüllter ist als das vorgeschobene vert er wol.
Die starke Ausprägung des dienest-yioXiys mag zunächst etwas
befremden, aber nicht mehr als das Bild aus der Rechtspflege
171, 38 ff. oder ein Bild wie 161, 31-37.
15. Weitere Bemerkungen beschäftigen sich mit dem Lied
als künstlerischer und historischer Einheit. Man mache sich
klar : Reinmar tritt von der ersten Zeile ab vor seine Herrin, um
Klage zu erheben, aber er brüskiert sie natürlich nicht, sondern
appelliert zunächst an sie als das Urbild weiblich-höfischer
Vollkommenheit, noch ganz im Sinne von Ton 159, i und
ähnlichem, wodurch die Walther-Fehde ursprünglich entfacht
worden. Schon mit dienest und vrouwe gleitet er unmerklich
in die Rechtssphäre hinüber, unmerklich, weil diese Termini
durch ständigen Gebrauch im Minnesang längst ambivalent
geworden waren. Die Anklage gegen seine Feinde, die ihm
seine Liebe verleiden wollen, erfolgt in rascher Steigerung in
Str. II, III, u. IV, bis er endlich in klaren, heissen Worten den
Schutz fordert, zu dem er als ihr dienest berechtigt ist — den
sie ihm freilich wirkungsvoll nur gewähren kann durch Ge-
währung ihrer Huld im Sinne von Str. i. Man denke an das
sehr ähnliche aber negativ gewandte Motiv 195, 16-18: . . . ich
geschante an ir die mich da jagent uz liebe in leit usw. Das
Ganze ist eine vollendet durchgeführte Umkleidung des wer-
bens, beseelt von allem geistigen Wertgehalt der hohen Minne,
denn Nicht-Erhörung ist zwangsläufig. Korn S. 55 charak-
terisiert die "dialektische Methode" des Minnesangs, "mit deren
Hilfe Klarheit in die verworrene, widerspruchsvolle Eingangs-
situation gebracht wird, sodass an jedem anfangs hoffnungslos
erscheinenden Einzelfall das ewige Gesetz der Harmonie und
174 CORONA
die gradualistische Struktur des Minnephänomens sich aufs
neue bewähren." Von einer solchen Situation geht Reinmar
hier aus, von einer andern in Ton 179, 3; die dialektische
Methode ist die gleiche.
16. Von dem so gewonnenen Standpunkt treten wir der
nächsten Frage näher, die wir jedoch zugleich aus dem Text
zu beantworten versuchen müssen. Das Lied gibt sich als eine
direkte Anrede an die Geliebte, und Kraus hat recht, so etwas
findet sich im echten Text nicht wieder, denn Ton 190, 27 ist
unecht, wie er MFU, S. 395, unter Summierung früherer For-
schung dargetan hat. Auch Ton 194, 18 halte ich mit Schmidt
und Kraus, gegen Burdach und Anna Lüderitz (S. 133^^^) für
unreinmarisch. Doch glauben wir zu wissen, was es mit sol-
chem "Fehlen" gelegentlich auf sich hat. Die Apostrophe an
'das mp an sich' in Str. 165, 28 spitzt sich gegen Ende ziemlich
deutlich auf die eine Dame zu, von der er dann 166, 7 fT. den
Lohn vergeblich zu fordern bedauert. Hermann Schneiders
sonst ziemlich unergiebiger Aufsatz von 1939 hat, auf Anton
Schönbach zurückgreifend,^^ wenigstens mit dem hundert-
jährigen Vorurteil von Reinmars Monotonie aufgeräumt: "Er
muss immer wieder wahrhaft gefallen, stets von neuem und
mit Neuem gefesselt haben" (S. 313), oder: ". . . dieser Sänger
verfügt über erstaunlich viele Register, und es ist Bescheidung,
dass er meist so wenig weit greift" (S. 334 f.), ". . . eine Kunst
der Gipfelung, der ausdrucksvollen Prägung" (S. 341) u.a.m.
Ich sehe nichts, was uns hindern sollte, diesem Reinmar, dem
Meister der Rollenpoesie, auch ein Lied zuzutrauen, das sich
monodramatisch unmittelbar an die Herrin wendet, — und sei
es das einzige der Art, das wir haben.
17. Um das zu beleuchten, lässt sich zunächst an Stellen
erinnern wie 157, 6 ff. : ... daz ich si niht verhelen \unde swaz
mir war, des hän ich ir geseit so vil usw., und ähnlich 161,
7, i.: da seit ich ir ze gar swaz mir leides ie von ir geschach.
Wir stehen mitten in dem Zyklus der redeAJitAtr^ den seiner-
zeit Erich Schmidt zuerst aufgedeckt (S. 47) und der die
15. Walther vdV . (2. Aufl.; 1895), S. 42 f. (4. Aufl.; 1923), S. 19 ff.; die
Stellen von Schönbach in der 3. Aufl. gestrichen.
HOHE MINNE BEI REINMAR 175
Grundlage gibt für den Kraus'schen 'Liebesroman.' Da ist es
eine Anschauung, von der auch z.B. Halbach bei Ermittlung
der \leinen rede ausging wie Kraus selber bei der der besten
(s. N 29, 26 f.; RU, II, 8 f.), dass ein hier entscheidendes Wort
wie seit für die Zuhörerschaft nicht ein supponiertes Privat-
gespräch meinen kann, sondern nur ein Lied, das man kennt:
da seit ich ir setzt also eine direkte Anrede, und zwar im Liede
(wenn auch nicht unserm) voraus. Dies wird bestätigt durch
den Auftrag an den Boten, 178, 11: daz er mich der rede
begebe, und ganz greifbar dort 24 f.: so bit in daz er verber
rede dier jungest sprach ze mir, wonach zwei Zeilen später die
Kennzeile fällt: . . . des doch nimmer mac geschehen, die ich
allerdings auf seine Bitte beziehe: daz lä, frouwe, an dir ge-
schehen.
18. Wir können nun den Kreis weiter ziehen und gleich
nach sonstigen Beziehungen zum Reinmartext suchen, die aus-
gewertet dem Liede eine bestimmte Stelle im 'Zyklus' verbürgen
müssen, denn Kraus setzt Ton 178, i gewiss zu spät an.^^ Das
Lied ist oft analysiert worden, zuletzt von Schneider (S. 331).
Es finden sich darin noch einige Anknüpfungspunkte an Ton
176, 5, auf die z.T. hier schon aufmerksam gemacht wurde.
Da ist zu Eingang 178, 3 pert er wol usw., entsprechend seiner
Schlussbitte daz du wol gevarst (denn die Dame darf ja nicht
weniger höflich sein als ihr Ritter), wozu noch das fatale baz
tritt, jetzt im Reim. Sodann die Entgegnung auf seine Mah-
nung, sich als seine Herrin baz an ihm zu bewarn: sie lässt
ihm mit dem Terminus technicus des Lehnswesens versichern,
dass sie ihm holt sei, sogar zweimal, 178, 12. 16, natürlich ohne
ihrerseits das dienest^ a:\{2Sx.m% zu unterstreichen, das sie ja —
und das ist das Liebliche — als eine Verkleidung durchschaut.
Überhaupt spielt hier eine Schelmerei mit, die wir wie in Str.
159, 37 so auch in Str. 11 u. in unsres Liedes wiederfinden. Es
folgen die Stellen, von denen eben gehandelt wurde: sie weiss
besser als Kraus, was ihr Sänger mit dem biten gemeint hat,
16. Es handelt sich bei den Verfädelungen hin und her vor allem um den Platz,
den man Ton 179, 3 anweist. Für die Voraussetzungen meiner Ansichten vgl.
N 31, 368, Anm. 19. Kraus' Analyse von 178, i (Nr. 22) RU , II, 12 f.
176 CORONA
und nimmt seine Worte rot und varwe wieder auf mit rot und
verwet, indem sie aber die wip an Stelle der man setzt und das
erotische Motiv in ein sittliches verwandelt. Mit dem Widerruf
des ganzen Auftrags, wodurch der Minner von all den Gefüh-
len der Dame gar nichts erfährt, wird der Grund gelegt für
Ton 179, 3, und der führt ihn, aus ihren Augen verbannt
("Zutritts verbot"), zur nächsten Station seines Leidensweges
(163, 14 f.).
19. Ich habe früher gegen Kraus darauf hingewiesen (31,
368^^), dass die Einführung des huote^o\As% 179, 3 ff. ganz
überraschend komme und kommen müsse. Und so ist es auch,
denn auf diese dramatische Entwicklung ist die Zuhörerschaft
auch nach 178, 22-26 nicht gefasst. Im Gegenteil, eine neue
Spannung war erzeugt worden: Was nun? Würde die Dame
sich anders besinnen (wie später etwa in Ton 186, 19) oder der
Dichter einen anderen Ausweg finden, um sie sehen zu dür-
fen.? Und wirklich: Reinmar lenkt zunächst ab. Was wir
Arglosen ja erfahren wollen, das ist die erste Reaktion des
Dichters auf das rd-^c*- Verbot, das der verständige Bote natür-
lich übermittelt hatte, und die haben wir mit Kraus {ßJJ , II,
7 ff., 13 f.) in Ton 160, 6, bzw. in dem, was davon echt ist.^'^
Ein Rückweis wie von 161, 12 f. auf 178, 24 f. ist eindeutig.
Um so wuchtiger wirkt danach Ton 179, 3. Somit ist jetzt
klar, dass sich das huote-^Aox^s nach der Logik der Situation an
das der mer\aere ohne langen Verzug anschliessen muss:
Wenn der Dichter derartig kühn wird, seine Wünsche direkt
vorzubringen wagt und dies noch dazu in der Form einer
Anklage, so darf er der Geliebten nicht wieder in die Augen
kommen, und das war ihm ja schon 178, 26 (aber gedeckt von
178, 21!) in Aussicht gestellt.
20. Kraus hat MFU, S. 374, in dankenswerter Weise Paral-
lelen zu Ton 176, 5 zusammengestellt; fünf davon, mit zwei
mehrdeutigen, treffen auf Ton 179, 3. Ich gruppiere diese und
andre nach dessen Strophenreihung, wie N 31, 360 ff. fest-
gestellt, also 179, 3. 12. 21. 30; 180, 10; 195, ga-d;^^ 180, 19. i. —
17. Germanic Review, XII (1937), 281; dazu Kraus, MFU, S. 350.
18. Kraus' Ablehnung meines Nachweises der Echtheit dieser Zeilen hat mich
HOHE MINNE BEI REINMAR 177
Str. I. 179, 3: 176, 7, s. N 31, 368.^^ 179, 4: 176, 15, das muoz
mir an fröiden noch geschehen — daz lä frouwe an dir gesche-
hen. Mit 179, 3 eindeutig. 179, 11: 177, 9, we wes nement si
war — ... nam des iemen war? Eindeutig. Die huote und
die mer\aere werden hierdurch identifiziert.^^ Str. 11. 179, 12-
13: 176, 8-10, er widerruft. 179, 15: 177, i wan so vil. 179, 16:
176, 19, daz ichs ie getorste biten — ich getar dich niht gebiten.
Eindeutig. Str. ni-vi sind beiseite zu lassen, denn die ent-
wickeln nun das Thema des neuen Liedes. Str. vii. 180, 21-23:
177, 4-8, wobei 180, 23 auf das ganze Lied 176, 5 geht, wenn
auch nicht dies allein. Str. vni. 180, 1-3: 176, 14, nochmaliger
Widerruf, nunmehr unter Betonung des Traumglücks, um das
es sich ja tatsächlich nur handeln konnte. (180, 4: s.o. §10.)
180, 18: 176, 37, . . . des ich gar schuldic bin — sol ich da von
schuldic sin? — Um zu alledem noch die Verwandtschaft des
Strophenbaus festzustellen, werfe man einen Blick auf die
Schemata KLJ , II, 46 u. 63. Es finden sich noch Anklänge an
176, 5 in spätem Tönen, zumal in dem Frauenliede 186, 19
(s.o. §§4, 12 und u. §23), die aber den Echtheitsbeweis nicht
wesentlich beeinflussen. Sie sind relativ selten und öfters
mehrdeutig.
21. Es sieht fast aus, als sei Ton 179, 3 als Revocatio zu 176,
5 aufzufassen, wodurch des ersteren peripetale Stellung in Rein-
mars Schaffen von neuem beleuchtet wird. In Str. 175, 29
nimmt er geradezu Abschied davon, denn ich stehe nicht an,
nunmehr in diesem Liede 176, 5 die besten rede festzustellen,
von der 175, 32 gesprochen wird. Damit nehme ich zurück,
was ich anderwärts ausgeführt, wo ich sie mit Kraus in Ton
165, 10 wiederzufinden meinte.^" Uns beiden, wie manchem
nicht überzeugt, s. MFU „ S. 377 u. 402 mit den nötigen Verweisen. Er presst den
Ausdruck sunder minen danc, denn trüren bedeutet hier "Lieder des Trürens singen"
wie etwa 197, i, vgl. 187, 31 ff.; 165, 10 f.; 175, 9:11 (:i4); dazu N 45, 637 Anm.
17. Im puren, unzweifelhaften Wortsinn braucht Reinmar getrüren zweimal, 155, 8;
168, 2 (158, 9 liegt anders durch liep).
19. Vgl. MFU, S. 380, zu verjagen. Auch die motivliche Klage in Ton 179, 3
geht also höflicherweise gegen die huote, nicht die Dame.
20. Vgl. N. 29, 25 und 28, auch 31, 384; 391 f. Wodurch aber Ton 165, 10
keineswegs wieder an 196, 35 heranrückt, s. noch N 28, 204 Anm. 6 und die
weiteren Verweise bei Kraus, MFU , S. 355.
178 CORONA
andern, schien es, als müsste Walthers Bewunderung 82, 34 ff.
unbedingt Rechnung getragen werden, noch dazu wie Rein-
mar sich 166, 7 ff. selber äussert. Doch steht dem entgegen,
dass Walther hier kaum eins der Lieder lobend nennen konnte,
um die es sich in dem grossen Streit gedreht. Ton 165, 10 war,
wie schon Kraus dargelegt {RU, III, 11, vgl. N 31, 382), ein
Zugeständnis an die Waltherpartei, vielleicht auf Drängen der
vriunde 165, 12 geschaffen, wodurch sich 166, 7 ff. auch er-
klären würde. Nur dieser Ton ermöglichte es Walther, auf
seinen schönen, versöhnenden Vers 82, 36 einzumünden, und
dass er andererseits die Witwenklage verwertete, worauf Kraus,
WJJ , S. 325, aufmerksam macht, bestätigt diese Auffassung.
Für den ideelichen Hintergrund dafür bei Walther lese man
Korn, S. 68: "In geradezu raffinierter Weise hat Walther den
Satz [165, 37] aus Reinmars Dichtung in seinen Nachruf . . .
aufgenommen, der, von Reinmar unbeabsichtigt [kursiv von
mir], in Walthers neuen Idealismus hineinpasst." Es wäre
letzten Endes doch merkwürdig, wenn sich die beiden Neben-
buhler gerade hier in ihrem Werturteil zusammengefunden
hätten. Jedenfalls ist Reinmar auf dieser Linie recht zögernd
fortgeschritten, wie ein Blick auf 163, 23 ff.; 171, 3, 8 ff.; 189,
30 f. lehrt. Mit alledem ist natürlich nicht Ton 176, 5 als die
beste rede erwiesen — der beste Beweis kann hier nur in der
thematischen und strukturellen Analyse liegen — aber das
wichtigste Gegenargument ist beseitigt.
22. Wir haben bisher das Lied als reines Minnelied zu
werten versucht, und dass es ein solches ist und sich als ein
solches gibt, wird niemand bezweifeln. Trotzdem sind wir
dabei wie von ungefähr in die Walther-Fehde geraten, die von
Reinmars späterer Dichtung nicht zu trennen ist. Ob auch
unser Ton "doppelbödig" ist, d.h. eine Stellung in der Fehde
behaupten kann und welche, ist wesentlich in mehr als einer
Hinsicht. Wir können uns kurz fassen, denn das Wichtigste
ist oben (§§ii u. 14) bereits gesagt. Es kommt nur auf die
Ermittlung der merkßere an, und dass diese die Waltherpartei
darstellen, liegt nun auf der Hand. Dieser Dichter, der seinen
Minneroman wie planmässig entwickelte, hatte sich über keine
HOHE MINNE BEI REINMAR 179
wirklichen 'Aufpasser' zu beschweren, es sei denn dass schon
er einen Doppelsinn in andrer Richtung beabsichtigt hätte,
'Prüfer, Beurteiler von Gedichten,'^ ^ was ein neues Schlaglicht
auf die damaligen Verhältnisse in Wien werfen würde. In
jedem Falle sind dieselben ungefüegen Hute gemeint, die 176,
2 genannt werden, die ungetriuwen von 167, 27, die valschen
von 187, 37,^^ die hochgemuoten von 165, 19; 189, 9. Wer das
war, wusste die Hofgesellschaft genau wie etwa bei Treit mir
iemen tougenlichen haz, 175, 22, oder der tuot übel und sündet
sich, 180, 5 (s, N 29, 21 ff. u. 31, 375). Gegen diese erfleht er
in Str. IV den Schutz seiner Herrin, auf deren physische Exi-
stenz es dabei nach dem innersten, gradualistischen Wesen der
hohen Minne nicht einmal ankommt (s.u. §24).^^
23. Wenn Walter darin angegriffen wurde, so wird er sich
verteidigt haben, aber wo? Ich denke an sein Lied 52, 23, in
dessen Wertung als Reinmar-Parodie mir Marlene Haupt S.
47 if. gegen Kraus, WU, S. 191 ff., jetzt beigetreten ist. Ein
wörtlicher Anklang findet sich nur 52, 38, so ich iemer mol
gevar, doch hatte der Parodist ein gar zu reiches Material. Die
Hauptsache scheint mir die in den ersten zwei Zeilen und
besonders 53, 9 ff. gemalte Verzweiflung seines Rivalen dar-
über, dass seine (Reinmars) Herrin es mit seinem Feinde halte.
Ein entsprechender Doppelsinn ist aus 176, 22 bis Schluss und
dich baz an mir bewarst herauszulesen. Die "harten" Enjambe-
ments 53, 12. 20, die die Herausgeber nun lange genug geplagt
21. S. die Wörterbücher s.v. mer\aere. In der Kolmarer Handschrift, Bibl. d.
Lit. Ver., LXVIII (1862), finde ich den natürlich viel späteren Vers: ir wisen merker,
nement war, ob ich die \unst iht spede, Colm. M. L., XVIII, 25; vgl. 10 ff., 31.
Eine hierher passende Ausdeutung von Walther 82, 24 gibt B. Nagel, Zs. f. dt.
Philol., LIX (1934), 353 f-
22. In Hinblick auf 195, 17 f.; vgl. RU, III, 17, und die Nachweise N 31, 389.
23. Nach alledem halte ich diese Reihenfolge der Lieder für gesichert, indem
ich Ergebnisse meiner früheren Arbeiten miteinbeziehe: Ton 173, 6 (Kr. Nr. 5); 183,
9 ("unecht"); 170, i (Nr. 13); 159, i (Nr. 14); 196, 35 (Nr. 15); 176, 5
("unecht"); 160, 6 (Nr. 23); 178, i (Nr. 22); 179, 3 (Nr. 19); 175, i (Nr. 21);
165, 10 (Nr. 16). Wenigstens wären dies die Etappen. Von verbleibenden Tönen ist
z.T. leicht zu ermessen, ob sie vor Ton 176, 5, bzw. 179, 3; fallen, ob danach, und
ob vor oder nach 165, 10. Im einzelnen bleiben noch Unklarheiten, die wohl nur
bei Erfassung des gesamten Materials zu beheben sind, vor allem in Hinblick auf
die "technische Vollkommenheit" der Witwenklage, mit der auch Elise Walter,
Verluste auf dem Gebiet der mhd. Lyri\ (Stuttgart, 1933), S. 21, nicht viel anzufan-
gen weiss.
i8o CORONA
haben, scheinen mir komische Wirkung zu beabsichtigen, und
rünen halte ich dafür in unserm Zusammenhang für besonders
wirksam. Der so zerbrochene Vers malt durch Rhythmik und
Melodik einen gefoppten Pedanten. Jedenfalls lässt Reinmar
seine Herrin i86, 27 versichern, sie verweigere sich ihrem
Minner nicht durch ungefüegen haz, so dass er sie mittels des
Scheltwortes, das er Walther schon 197, 9 angehängt hatte und
176, 2 wiederholte (Halbach, S. 72), energisch von diesem
abrücken lässt. Wie Ton 176, 5 sonst in den Gang der Fehde
einzuordnen sei, das des näheren zu untersuchen, würde den
Rahmen dieser Arbeit sprengen. Wenn sich auch mancher
Knoten schon zu lösen scheint, im ganzen gehen die Fäden
vielfach noch verwirrend hin und her. Hier sei nur dargetan,
dass der zurückgewonnene Ton nicht verwaist steht in Rein-
mars Werk, wie denn auch Ulrich von Liechtenstein, der um
1225 noch einen sehr säubern Text hatte {ßJJ , II, 58-61), ihn
in dieser seiner Reinmar-Sammlung vorgefunden haben dürfte.
24. Nur ein Thema bleibt noch zur Erhellung unseres
Liedes, und es ist eigentlich das bedeutsamste. Es betrifft die
Wörter saelde, saelic und saeleJ^eit, die zu Eingang und Ende
auftreten. Nicht umsonst braucht der Dichter — und zwar
eingangs in charakteristischer Übersteigerung — diesen schil-
lernden, gradualistischen Terminus : Aller saelde ein saelic wip.
Es ist, als ob die vrouwe, die Lehnsherrin, bei aller Höhe ihres
gesellschaftlichen Ranges ihm noch zu irdisch nahegestanden,
um die letzte Inbrunst seiner Gefühle aufzunehmen. Denn
die "metaphysische Entrücktheit" der Geliebten, wie man es
genannt hat, bedeutet nicht etwa einen Leerlauf des Minne-
Erlebnisses, sondern die letzte Verklärung. Hier treten wir
aus der Motivdichtung des "Liebesromans," ja selbst aus der
Fehde samt aller \mist heraus und in den Bereich des Weihe-
voll-Geistigen. Seit Eduard Wechssler hat man sich immer
gründlicher, weitsichtiger und tiefer bemüht, den ethisch-
religiösen Ur- oder wenigstens Untergrund des Frauenkultus
blosszulegen. Für unser Lied sind wir daher in der Lage, mit
Scharmann das Fazit dieser Forschungen jetzt etwa so zu
ziehen : "Das saelic wip, wie die prägnante Formel für die höfi-
HOHE MINNE BEI REINMAR i8i
sehe Anrede lautet, heischt immer Abstand und Dienst; denn
nun ist die Dame der Ort, in welchem die Kräfte des Heils aus
dem Reiche der höheren Ordnungen in den Kreis des Höfi-
schen übergehen, so wie einst Gottes Gnade in Maria den Ort
ihres Eintritts in die Welt fand.""^ Diese beseelten Vorstellun-
gen schwingen mit, wenn der Dichter seine Dame feiert, nur
sie erklären seine Ergriffenheit, die uns irrational erscheint,
zumal die Erotik, aus der die meisten Motive gespeist werden,
in der Tatsachen weit ja doch keine Erfüllung ihres werbens,
bitens usw. verlangt. Gerade weil die Tatsachenwelt, selbst wo
sie nur gedacht war, eine unüberbrückbare Kluft bot, musste
Reinmar, um mit Korn (S. 64) zu reden, die "Ideeperson" —
ein wip — "aus nächster Nähe in scharfen Konturen zu zeich-
nen" versuchen, "ohne dabei an dem Prinzip der Idealisierung
zu rütteln." Miteinbegriffen ist bei dieser nächsten Nähe das
Triebleben des Dichters, mit dessen Ausdruck Korn — er
nennt ihn "peinlich," "lüstern," "geschmacklos" usw. (S. 71,
132) — ganz unlogischer- und unbegreiflicherweise nicht fertig
zu werden vermag, wo es sich doch einfach um den absolut
notwendigen Gegenpol handelt. Was Reinmar zur fröide des
Hofes gestalten wollte und musste, war immer wieder sein
Erlebnis von der erzieherischen, sittigenden Macht der hohen
Minne, deren Ethos" ^ von den Jüngeren nicht mehr ganz ge-
würdigt wurde. So entsteht in diesem Lied, da es sich direkt
an die Herrin wendet, eine Spannung zwischen anbetender
Hingabe an das weibliche Ideal höfischer Vollkommenheit
einerseits und schlicht-irdischem Liebeverlangen anderseits,
wie sie in dieser Potenz selbst Reinmar kaum wieder erreicht
hat.
25. Wir haben eine Dichtung, in der sich wie in wenigen
die Idee der hohen Minne vollendet: nieman könde si von
lüge gesprochen hän, 175, 34. Dabei ein Lied von erstaunlicher
Virtuosität der Technik, ein Minnelied und Scheltlied in ei-
24. S. 80; sonst besonders S. 35 ff., 76 fl. Regine Strümpell (S. 74 ff.) rechnete
noch mit strengem Dualismus, s. Scharmann, S. 40. Zu weiterer Beleuchtung vgl. auch
Hedwig Gross, Hartmanns Büchlein (Würzburg, 1936), S. 53 ff., 57 ff., 62 u.a.
25. Ich kann hier nur nachdrücklich auf Korns Ausführungen, S. 54 f. u. 57,
hinweisen, die direkt auf Ton 176, 5 oder 179, 3 geschrieben sein könnten.
i82 CORONA
nem, deren Ausdrucksformen durch Wahl des Bildes vom
Kläger einander völlig angeglichen, und so verschmolzen sind.
Zugleich hat es den Reiz des natürlichen Parallelablaufs der
metrischen und der syntaktischen Bildungen in einer Strophen-
form von ungemein feiner doch schw^ieriger Gliederung. Mir
scheint in jeder Strophe die voraufgehende noch anzuklingen,
sodass in der letzten mehrere Themen in harmonischem Kon-
trast auf einmal gehört w^erden, eine Wirkung vermittelt durch
die mehr als nur schmückenden Responsionen (vgl. RU, II,
53 f.). Und so ist es auch ganz in Reinmars Art in seinem
"weitgeschwungenen, hochgewölbten und dabei doch stets
übersichtlichen Portamento" {RU, II, 51).
Vor Carl von Kraus hat nur Burdach an der Echtheit des
Liedes gezweifelt, wegen der Überlieferung und der Ähnlichkeit
mit dem nachgeäfften Ton 190, 27, hat sich dann aber doch zu-
gunsten Reinmars entschieden (S. 218). Erich Schmidt fand
hier des Dichters "Liebesklage frei von aller Monotonie und
das Flehen . . . wirklich ergreifend" (S. 53). Friedrich Wolters
hat es "übersetzt,"^ ^ Hans Arens es noch 1935 in seine knappe
Auswahl des Besten aufgenommen,^^ wenn auch mit der alten
Strophenfolge. Ein Kunstwerk hat einen erhöhten Sinn, wenn
wir es als Ausdruck eines bestimmt erfassbaren Erlebens deuten
können, und so mag uns auch dieses noch andre Einsichten
geben.
26. Friedrich Wolters, Minnelieder und Sprüche: Übertragungen aus den deutschen
Minnesängern des 12. bis 14. Jahrhunderts (Berlin, 1909). (61 Strophen unter
"Rcinmar der Alte," sehr viel Unechtes; S. 75 f.: "Allen Glücks ein seliges
Weib. . . .")
27. Hans Arens, Frühe deutsche Lyri\, mit Einleitung von Arthur Hübner
(Berlin, 1935). (32 Reinmarstrophen, sehr wenig unechte.)
KAISER OTTOS EHRE (WALTHER 26, 33)
HANS SPERBER, Ohio State University
SEHR mit Recht betont C. v. Kraus (Walther v. d. Vogel-
weide, Untersuchungen, S. 83), dass es unmöglich ist, mit
älteren Erklärern zwischen milte (26, 33) und ere (26,
36) ein Gleichheitszeichen zu setzen. Wenn der Leib des
hochgewachsenen Kaisers für seine Freigebigkeit zu gross, aber
für seine Ehre zu klein ist, so muss mit letzterem Wort etwas
gemeint sein, woran Otto Überfluss hat und keinesfalls die
Freigebigkeit, an der es ihm fehlt. Ich glaube aber nicht, dass
"alles ins Gleichgewicht rückt," wenn man mit Kraus für
ere die Bedeutung "äusserliche ehrenvolle Stellung" annimmt.
Denn dann ist nicht zu sehen, wie der Vergleich zugunsten
des jungen Friedrich ausfallen könnte, Do ich dem kßnege
brähte dez mez, wie er üj schoz könnte doch dann nur heissen
"für das geringere Maß an äusserer Ehre, das Friedrich besitzt,
ist auch sein kleinerer Wuchs mehr als hoch genug." Und
es ist nicht zu sehen, wie in dieser Feststellung, die übrigens zu
der Zeit, als der Spruch entstand, sachlich kaum berechtigt
gewesen wäre, ein Lob für Friedrich stecken könnte. Als ein
solches ist aber das Ganze doch offenbar gemeint.
Ich stimme also mit Schneider überein, der (A.fJ.A., LV,
125) in Kraus' Auflassung zwar einen Fortschritt, aber keine
Lösung der Schwierigkeiten anerkennt. Eine solche kann sich,
glaube ich, nur dann ergeben, wenn man den von Kraus be-
schrittenen Weg konsequent zu Ende geht: was durch ere be-
zeichnet wird, muss nicht nur etwas Grosses sein, sondern
etwas, dessen Übermaß dem Kaiser Schande macht.
Wenn Thomasin (10606 ff.) in seiner mitleidlosen Schil-
derung der Unglücksschicksale griechischer Kaiser fortwäh-
i84 CORONA
rend das Wot "heilig" gebraucht: nu ist der heiligen tot in
zehen jären siben; sit der heilige Andronjus Ut schentlichen ,
swä er si; do wart der heilige ein diep, so ist es klar, dass das
Wort nicht in seiner gewöhnlichen Bedeutung steht, sondern
seinen Sinn aus der vorhergehenden Feststellung bezieht, dass
der kßiser von Kriechen wolde daz man in heilic heizen solde.
Mit anderen Worten, die heiligen bedeutet hier so viel wie
"sie, die sich heilig nennen," "die Heiligen 'in Anführungs-
zeichen'." Und ich denke, die Waltherstelle wird sofort ver-
ständlich, wenn man schreibt: Vil schiere maz ich abe den
lip nach siner "ere": "ich mass seinen Leib an den grossen
Worten, die er von seiner Ehre macht, und da erwies sich der
lange Mann zu kurz, seine Freigebigkeit gar zwergenhaft
klein."
Wir haben nun freilich keinen direkten Beweis dafür, dass
Otto seine gern gegebenen und ebenso gern gebrochenen
Versprechungen mit Versicherungen von der Art unseres "auf
Ehre" oder des Mhd. darumbe sol min ere wesen pfant (Nib.B.,
109, 4) zu begleiten liebte. Dass aber der Kaiser — magnificus
promessor et parcissimus exhibitor heisst er bei Matthäus von
Paris (Winckelmann, Philipp von Schwaben und Otto der
Vierte von Braunschweig, II, 154) — mit dem Wort Ehre
wirklich Missbrauch getrieben hat, ist mehr als eine leere
Vermutung, wenigstens wenn einige seiner Briefe, in denen
von dem Worte honor und seinen Ableitungen bis zum Über-
druss Gebrauch gemacht wird, seine persönliche Ausdrucks-
weise widerspiegeln. In dem Schriftstück, das seinen Gesandten
Wolfger von Passau bei den Mailändern beglaubigt, finden wir
auf einer Seite der Quart-Monumenta: honori nostro regie
maiestatis multum videremur derogare — universosque vos et
singulos diligimus et semper intendimus honorare — super
omnes civitates totius imperii in honore et in rebus vos semper
volumus exaltare — benigne vos accipiemus et honorabimus —
discretos et honestos nuntios — quicquid ipse de honore nostro
et imperii tractaverit — legatum nostrum honorifice suscipiatis
et eum tamquam legatum nostrum et imperii honoretis — sicut
honori nostro et imperii videatur expedire — et quicquid
KAISER OTTOS EHRE 185
honoris sibi exhibueritis, nobis totum j actum reputabimus
(Mon. Germ. Leg., IV/2, 34).
Der Spruch stellt sich somit zu den sonstigen Zeugnissen
dafür, dass Ottos Redegewohnheiten bei den Zeitgenossen
Aufmerksamkeit und abfällige Kritik erregten (Singer, Sd-i-
/rÄ^d", XLIV, 456).
Ob sich auch der Spruch 140, i, ein offenbar von einem
Nachahmer herrührendes Gegenstück zu dem hier behandelten
(vgl. Kraus, Untersuchungen, S. 473), auf Otto bezieht? Dann
würde man wenigstens das her hjinec von Kriechen in der
letzten Zeile verstehen: der Dichter gibt dem Kaiser höhnisch
einen Titel, den er zwar nicht besass, von dessen möglicher
Erwerbung aber er selbst oder wenigstens seine Umgebung
träumte (Winckelmann, II, 208 f.).
GOETHES WERTHER
THOMAS MANN, Prificeton University
DAS BÜCHLEIN "Werther" oder, mit seinem ganzen
Titel "Die Leiden des jungen Werthers, ein Roman in
Briefen" war der grösste, ausgedehnteste, sensatio-
nellste Erfolg, den Goethe, der Schriftsteller, je erlebt hat. Der
Frankfurter Jurist war ganze vierundzwanzig Jahre alt, als er
dies äusserlich wenig umfangreiche, auch als Welt- und Le-
bensbild jugendlich eingeschränkte, aber mit explosivem Gefühl
unglaublich geladene Werkchen schrieb. Es war erst seine
zweite grössere Arbeit. Nur ein shakespearisierendes Drama
aus der deutsch-ritterlichen Vergangenheit, der "Götz von
Berlichingen," war vorangegangen und hatte dank seiner Kraft
und Wärme, durch die Art, wie es die Historie mit Intimität
und Leben erfüllte, schon die Augen der literarischen Welt auf
den jungen Verfasser gelenkt. Der Werther aber zeigte diesen
von einer ganz anderen Seite und war nach Charakter und
Wirkung ein von dem früheren völlig verschiedenes Werk.
Sein Erfolg hatte zum Teil sogar einen skandalösen Charakter.
Die entnervende und zerrüttende Empfindsamkeit des kleinen
Buches rief die Sittenwächter auf den Plan, war der Schrecken
und Abscheu der Moralisten, die eine Verherrlichung des
Selbstmordes und die Verführung dazu in diesen Blättern sahen;
aber eben diese Eigenschaften erregten auch einen Erfolgssturm,
der alle Grenzen überschritt, und machten buchstäblich die
Welt verrückt vor Sterbenswonne: der Roman rief einen
Rausch, ein Fieber, eine über die bewohnte Erde hinlaufende
Ekstase hervor und wirkte wie der Funke, der ins Pulverfass
fällt, wobei in plötzlicher Ausdehnung eine gefährliche Menge
von Kräften frei wird.
GOETHES WERTHER 187
Es wäre nicht leicht, den Seelenzustand zu analysieren, der
zu jener Zeit den Untergrund der europäischen Zivilisation
bildete. Es war, historisch gesehen, der Zustand vor der Kata-
strophe und ungeheueren Lufterneuerung der französischen
Revolution; geistesgeschichtlich gesehen die Epoche, der Rous-
seau den Stempel seines empfindsam empörerischen Geistes
aufgedrückt hatte. Überdruss an der Zivilisation, Emanzipa-
tion des Gefühls, wühlende Sehnsucht nach Heimkehr ins
Natürlich-Elementare, Rütteln an den Fesseln einer erstarrten
Kultur, Revolte gegen Konvention und bürgerliche Enge, alles
trat zusammen, um den Geist gegen die Beschränkung der
Individuation selbst anrennen und ein schwärmerisch grenzen-
loses Lebensverlangen die Gestalt der Todessehnsucht anneh-
men zu lassen. Melancholie, Überdruss am rhythmischen
Einerlei des Lebens war gang und gäbe. In Deutschland wurde
die Bewegung, die man "Weltschmerz" nennt, verstärkt durch
die Vertiefung in eine gewisse Grabespoesie, die die englische
Literatur damals hervorbrachte. Selbst Shakespeare trug dazu
bei. Hamlet und seine Monologe spukten in allen jungen
Gemütern. Ossian und die schauerlich-urtümlich-düster-heroi-
schen Stimmungen, die er vermittelte, bildeten die Passion der
jungen Leute.
Es war, als ob das Publikum aller Länder, insgeheim und
ohne es zu wissen, genau auf das Werk eines noch ganz beliebi-
gen jungen deutschen Reichsstädters gewartet hätte, das der
gebundenen Sehnsucht einer Welt auf revolutionär entbin-
dende Weise gerecht würde, — ein Treffer ins Schwarze, das
erlösende Wort. Es gibt die Geschichte, dass ein junger Eng-
länder, der in späteren Jahren nach Weimar kam und Goethe
vorübergehen sah, auf offener Strasse ohnmächtig wurde, da er
sich zuviel zugemutet hatte und es über seine Kräfte ging, den
Verfasser des Werther in Person zu erblicken. Goethe erinnert
später in einem venezianischen Epigramm an den Welterfolg
des Werther:
Deutschland ahmte mich nach und Frankreich mochte mich lesen,
England! freundlich empfingst du den zerrütteten Gast,
i88 CORONA
Doch was fördert es mich, dass auch sogar der Chinese
Malet mit ängstHcher Hand Werthern und Lotte auf Glas?
Das Paar trat von Anfang an in die Reihe der klassischen
Liebespaare der Dichtung und der Legende ein: Laura und
Petrarca, Romeo und JuUa, Abälard und Heloise, Paolo und
Francesca, zu ihnen gesellte es sich. Jeder Jüngling wünschte
sich, so zu lieben, jedes Mädchen, so geliebt zu sein. Eine ganze
Generation junger Menschen erkannte ihre Seelenverfassung
in der Werthers w^ieder. Man ging schwärmerisch-demonstra-
tiv in der Tracht umher, die dem jungen Todeskandidaten im
Roman zugeschrieben wird: dem blauen Frack mit gelber
Weste und Hose. Die Nachahmung, die melancholische Ge-
folgschaft ging bis zum äussersten: Selbstmorde ereigneten
sich, die offenkundig und erklärtermassen Befolgungen von
Werthers Beispiel waren, und die also, so sagten die Moralisten,
der Autor des zerrüttenden Romans auf dem Gewissen hatte.
Diese betörten Jünglinge vergassen nur, dass zwar der Dichter
des Werther die Entwicklung des Entschlusses zum Selbstmord
in einer jungen Brust mit grosser Kunst geschildert hatte, dass
er selbst aber sich keineswegs getötet, sondern auf schöpferi-
schem Wege über die tödlichen Stimmungen hinweggekom-
men war, sich im Gedichte davon befreit hatte. Goethe spricht
in seinen Lebenserinnerungen von diesem fast grotesken
Unterschied zwischen der heilsamen Funktion, die dem Wer-
ther-Roman für sein eignes Leben zukam, und der äusseren
Wirkung, die er übte. Er war persönlich durch das alles
hindurchgegangen, was seine Generation quälte und entnervte.
Der Gedanke des Selbstmordes war ihm keineswegs fremd, er
war auch in ihm zeitweise beinahe Vorsatz gewesen. Er erzählt
in "Dichtung und Wahrheit," wie er in der Zeit vor dem
"Werther" jeden Abend, ehe er das Licht auslöschte, versucht
habe, ob es ihm nicht gelingen möchte, sich die scharfe Spitze
eines Dolches, den er besass, ein paar Zoll tief in die Brust zu
senken. Da es nicht gelang, lachte er sich selber aus und
beschloss zu leben. Doch fühlte er, dass er das nicht könne,
ohne eine dichterische Aufgabe zur Ausführung zu bringen,
GOETHES WERTHER 189
worin alles, was er über diesen Punkt gedacht und empfunden,
zur Sprache kommen sollte. Dies Bekenntnis, diese "General-
beichte," wie Goethe es nennt, war der "Werther." Als das
Werk getan war, fühlte er sich frei und zu neuem Leben
berechtigt. Während nun aber er sich erleichtert und aufge-
klärt hatte, indem er die Wirklichkeit in Poesie verwandelte,
wurden andere junge Leute dadurch verwirrt und glaubten,
man müsse die Poesie in Wirklichkeit verwandeln, den Roman
nachspielen und sich allenfalls selbst erschiessen. Und so
wurde, was ihm so sehr genützt hatte, als höchst schädlich
verschrieen.
Goethe war bis an sein Lebensende stolz auf dieses sein
Jugendwerk, auf das er sich, neben dem Faust, am meisten zu
gute tat. "Wer mit vierundzwanzig den Werther schrieb," sagt
er als alter Mann, "ist eben doch keine Katze." Einer der
bedeutendsten Augenblicke seines Lebens, die Begegnung mit
Napoleon in Erfurt, ist mit diesem Gegenstand verbunden.
Der Kaiser hatte den kleinen Roman nicht weniger als sieben-
mal gelesen, ja er hatte ihn auf dem ägyptischen Feldzug
begleitet, und bei jener berühmten Audienz nahm er den
Dichter darüber in ein kritisches Verhör. Der grosse Lebens-
vollender hat die problematische Jugendgestalt niemals ver-
leugnet, ihr Schatten hat ihn immer brüderlich begleitet, und
der Fünf undsiebzigjähr ige, der um der jungen Ulrike willen
noch einmal die süssen und schrecklichen Verstörungen der
Liebe dulden musste, spricht in einem Gedicht "An Werther"
seine Wiederkehr geisterhaft aus. —
Das dem Werther zugrunde liegende Erlebnis, die idyllisch-
schmerzliche Geschichte von Goethes Liebe zu Lotte Buff, der
lieblichen Amtmannstochter zu Wetzlar an der Lahn, ist
ebenso berühmt geworden wie der Roman selbst, und das mit
Recht, denn grosse Teile des Buches decken sich vollständig
mit der Realität, sind eine getreue und unveränderte Abschrift
von ihr. Goethe kam 1772, dreiundzwanzigj ährig, in das
reizend gelegene rheinische Landstädtchen nach Weisung
seines Vaters, der wollte, dass der junge Dr. iuris am dortigen
Reichskammergericht praktiziere. Seine eigene Absicht war
190 CORONA
vielmehr, die schönen Wissenschaften zu treiben, zu dichten
und zu leben, und das tat er; das Kammergericht hat ihn kaum
zu sehen bekommen. Die Gassen von Wetzlar 'wa.ren eng und
schmutzig, aber die natürliche Umgebung war reizend; es war
Maienzeit, alles stand in Blüte, und der poetische Müssiggänger
hatte bald an Brunnen, Bächen und romantischen Aussichts-
punkten über dem Lahntal seine Lieblingsplätze, wo er seinen
Homer, seinen Pindar las, mit Freunden disputierte, zeichnete
und sann. Ein ländliches Ballfest junger Leute führt ihn mit
der neunzehnjährigen Lotte zusammen, die mit ihrem verwit-
weten Vater und ihren zahlreichen Geschwistern das soge-
nannte Deutschordenshaus bewohnt. Sie ist zierlich, blond,
blauäugig, von heiterem, tüchtigen Charakter, ohne höhere
Bildung, aber auf gesunde Art feinfühlig, kindlich und ernst
zugleich, denn seit dem Tode der Amtmännin vertritt sie
Mutterstelle bei einer ganzen Schar jüngerer Geschwister und
führt ihrem Vater den Hausstand. Goethe sieht sie zuerst, als
er sie von ihrem Gehöft abholt, wo sie, schon zum Balle
angekleidet, in einem weissen, mit rosa Schleifen garnierten
Kleide dasteht und den sie umringenden Kleinen das Vesper-
brot schneidet — eine im Werther genau verewigte und von der
bildenden Kunst oft wiedergegebene Szene. Er verbringt den
Abend mit ihr, er legt Besuch bei ihr ab am nächsten Tage, und
er ist verliebt über beide Ohren, bevor er weiss, dass Lotte
verlobt ist. Er erfährt es bald. Der Bräutigam ist ein Legations-
sekretär Kestner aus Hannover, ein Mann von vortrefflichem
Durchschnitt, der Lotte aufrichtig liebt und den sie auf eine
vertrauensvolle Weise wiederliebt. Wohlgemerkt, hier ist
keine Leidenschaft, hier ist eine ruhige, wenn auch nicht un-
zärtliche wechselseitige Zuneigung, auf gemeinsame Zukunft,
rationelle Ziele, Familiengründung gerichtet. Man wartet nur
darauf, dass die Lebensumstände des Bräutigams ihn zu einer
Heirart instandsetzen.
In dieses Verhältnis tritt Goethe als Dritter, als von beiden
Brautleuten bewunderter und herzlich wohlgelittener Freund
und Gefährte ein — der Dichter, das Genie, der treuherzige
und aufrichtige, aber auch wieder treulose und in irdischem
GOETHES WERTHER 191
Sinne unzuverlässige Vagabund des Gefühls, der eben Friederike
Brion verraten und verlassen hatte, weil er vor der bindenden
Heirat zurückgeschreckt ist. Es ist der junge Dämon, der im
"Faust" von sich sagt: "Bin ich nicht der Flüchtling, der Unbe-
hauste, der Unmensch ohne Zweck und Ruh?" — Ein liebens-
würdiger Unmensch: schön, hochbegabt, geladen mit Geist
und Leben, feurig, gefühlvoll, ausgelassen und schwermütig,
kurz närrisch in einem lieben Sinn; die Brautleute, Kestner
sowohl wie Lotte, haben ihn sehr gern, auch die Kinder des
Hauses zumal haben ihn liebend gern, und man verbringt
einen seltsamen, glückseligen und gefährlichen Sommer zu
dritt — zu zweit recht oft nur, denn Kestner, pflichttreu und
vielbeschäftigt wie er ist, kann nicht immer, ja nur selten dabei
sein, und während er bei seinem Gesandten rackert, steckt
Goethe, der nichts zu tun hat, bei Lotte, der Braut,
Er hilft ihr in der Wirtschaft, auf dem Krautland und im
Garten, nimmt Obst mit ihr ab, schneidet Bohnen mit ihr. Vor
dem absorbierten Bräutigam hat er alle Vorteile einer freien
und unbeschwerten Gegenwart, abgesehen von den Vorteilen
seiner genialischen Jünglingspersönlichkeit, mit der diejenige
des redlichen Kestner überhaupt den Vergleich nicht aushält.
Lotte hat ihn zweifellos geliebt, aber als gescheites, vernünftiges
Mädchen, das wusste, was es wollte, ihr Gefühl für ihn ebenso
im Zaum zu halten gewusst wie sie seine irrlichternde Leiden-
schaft, die sich nicht immer verbarg, im Zaume und bei Ver-
stände zu halten wusste. Wenigstens meistens. Einmal, in
den Himbeeren, Hess er sich hinreissen sie zu küssen — sie war
sehr ungnädig darüber und stand nicht an, es ihrem Verlobten
— soll man sagen anzugeben oder zu beichten.^ Genug, man
beschloss, ihn kürzer zu halten, ihn kühler zu behandeln, wo-
für auch sprach, dass wirklich schon ein gewisses Gerede über
•das sonderbare Verhältnis umging. Kestner war ein wenig
verstimmt; sehr zornig konnte er nicht seim. Lotte las dem
Sünder die Leviten, erklärte ihm ein für allemal, dass er nie
etwas anderes von ihr zu hoffen habe als gute Kameradschaft.
Hatte er das nicht gewusst — da er so traurig dastand ? Hatte
er je gedacht, das Mädchen ihrem guten Hans Christian
192 CORONA
auszuspannen und sie sich selber zu nehmen, wie manche
Leute schon zu sehen glaubten ? Gewiss nicht, schon aus Treue
und Anstand nicht — und nicht nur von wegen Treue und
Anstand, sondern weil sein Lieben ganz der Kestnerschen
Lebenssolidität und Zweckmässigkeit entbehrte, vagierendes
Gefühl, ziellose Leidenschaft, im Grunde werdende Dichtung
war.
Die Brautleute hatten Mitleid mit der Verwirrung, dem
unvernünftigen Leiden des lieben Menschen. Sie machten ihm
sonderbare Trostgeschenke: eine Silhouette Lottens, eine der
rosa Schleifen, die sie an dem Tage, da er sie zuerst gesehn, an
ihrem Kleide getragen. Wohlgemerkt, diese Gaben kamen
nicht nur von Lotte, sie kamen auch von Kestner, dem Bräuti-
gam, und sie erregen uns ein ähnliches Gefühl, wie wenn wir
einen Prinzen von sehr einfachen, guten Leuten Almosen em-
pfangen sehen.
Als der Herbst kam, reiste Goethe heimlich ab. Plötzlich
war er weg. Vier Monate hatte das Idyll zu dritt gedauert.
Die Eindrücke, die es dem Dichter gebracht hatte, und in
denen vollste, schmerzlich-hingegebene Aufrichtigkeit des Ge-
fühls sich gewiss allezeit mit dem Zweckgedanken der Dich-
tung vermischt hatte, wurden in Frankfurt, wohin er sich
wandte, ergänzt durch Erfahrungen mit einer anderen Frau,
für die sein Leben, gleich nachdem er sich von Lotte losgeris-
sen, merkwürdigerweise Platz hatte. Es war dies Maximili-
ane La Roche aus Ehrenbreitstein, ein ungewöhnlich schönes,
schwarzäugiges Mädchen, das gerade eben einen reichen Wit-
wer in Frankfurt, den Kaufmann Peter Brentano, geheiratet
hatte und sich an seiner Seite, in einem düsteren Hause mit
Öl- und Käsegeruch recht unglücklich fühlte. Goethe sass viel
bei ihr, machte Unsinn mit ihren fünf Stiefkindern, wie er es
mit Lottes Geschwistern getan (denn er war ein rechter Kin-
dernarr, und alle Kinder hingen sofort an ihm), begleitete
Maxies Klavierspiel auf dem Cello, und — damit ist wohl nicht
alles gesagt. Denn der Kaufmann Brentano schritt eines Tages
zornig ein, es gab einen Eklat, es kam zu, wie Goethe selber
sagt, "schrecklichen Augenblicken," und die Freundschaft flog
GOETHES WERTHER 193
auf. Die schwarzen Augen aber, die Lotte im Wertherbuch hat,
während sie doch in WirkUchkeit blaue hatte, stammen von
Frau Brentano.
Der Umgang mit ihr hat sehr dazu beigetragen, die Fabel
des Romans zu kompletieren. Besonders aber tat das ein To-
desfall, der sich gerade um diese Zeit in dem Bekanntenkreise
des Dichters ereignete. Der Legationssekretär Jerusalem aus
Braunschweig, eine begabte, melancholische, am Leben lei-
dende Natur, hatte sich, verstrickt in hoffnungslose Liebe zu
der Frau eines anderen, ausserdem durch gesellschaftliche Zu-
rücksetzungen tief verbittert, eine Kugel in den Kopf geschos-
sen. Der Fall erregte verbreitetes Aufsehen, und dass er auch
Goethe menschlich sehr nahe ging, hinderte nicht, dass er ihm
zugleich wie gerufen kam: er gab der noch im Vagen schwe-
benden Wetzlarer Dichtung die objektive Handlung; ein Prozess
der Selbst-Identifizierung mit Jerusalem, der eine den Gedan-
ken des Dichters längst wohlvertraute Tat begangen hatte,
setzte ein; die Figur war geeignet, allen Weltschmerz und
genialischen Gram, allen Edelmut und Jammer, alle Schwäche,
Sehnsucht, Leidenschaft der Zeit und des eigenen Herzens
aufzunehmen, und unsicher an dem lockenden Plan blieb jetzt
eigentlich nur noch die Form.
Es sollte ursprünglich die dramatische sein, aber es wollte
mit ihr nicht gehen. Für sie stellte sich eine andere ein, die
Elemente des Dramatischen, Lyrischen und Erzählerischen
vereinigt: die des Briefromans, für die Richardson und Rous-
seau die Tradition geschaffen. Der junge Autor schloss sich
von aller Gesellschaft ab und warf "Werthers Leiden" in
knappen vier Wochen aufs Papier, — die Leistung wäre noch
erstaunlicher, wenn ihm nicht dabei eine Menge Briefe und
Tagebuch-Aufzeichnungen vorgelegen hätten, die er selbst in
den Wetzlarer Tagen geschrieben, und die er, fast wie sie da
waren, sogar unter Beibehaltung der Daten, für den Roman
benutzte.
Es ist ein Meisterwerk, worin hinreissendes Gefühl und
frühreifer Kunstverstand eine fast einmalige Mischung ein-
gehen. Jugend und Genie sind sein Gegenstand, und aus Jugend
194 CORONA
und Genie ist es selbst geboren. Ich spreche zu Leuten, die das
ausserordentliche Büchlein gelesen haben und die ich mit dem
zuverlässigsten gelehrten Kommentar dazu versehen weiss.
Was mir allenfalls übrig bleibt, ist auf ein paar Schönheiten
und Feinheiten der Komposition hinzuv^eisen oder daran zu
erinnern, die ich mir selbst beim Wiederlesen angemerkt.
Ein Wort über den Helden und Briefschreiber selbst, die
Figur des jungen Werther. Er ist der junge Goethe selbst,
minus der schöpferischen Gabe, die diesem die Natur verliehen.
Um ein todverfallenes, für das Leben zu gutes oder zu
schv^aches Menschenwesen zu schildern, braucht ein Dichter
nur sich selbst zu geben — unter Weglassung der schöpferischen
Gabe, die ihm selber Stütze und Stab ist, ihn selbst auf dem
Pfade des Lebens weiterlockt und ihn — um das Wort zu wie-
derholen, das wir auf Goethe anwandten — zu einem Lebens-
vollender macht. Goethe tötete sich nicht, weil er den Werther
zu schreiben hatte — und einiges mehr. Werther hat keinerlei
Sendung auf Erden ausser seinem Leiden am Leben, dem
traurigen Scharfblick für seine Unvollkommenheiten, dem
hamletischen Erkenntnisekel, der ihn würgt; und so muss er
zugrunde gehen. Sein "Roman," diese unmögliche und un-
erlaubte Liebe zu dem Mädchen, das einem anderen gehört, ist
nur die Verkleidung, die sein Todessehnen annimmt, die mehr
oder weniger zufällige Form seines Unterganges. Lotte, so
sehr die Leidenschaft des ausserordentlichen und in all seiner
Schwäche höchst liebenswürdigen Menschen ihr schmeichelt,
eine so grosse Versuchung sie in Wahrheit für ihre Vernunft,
ihre Tugend bedeutet, hat ein sehr feines und richtiges Gefühl
für diese Sachlage. "Fühlen Sie nicht," fragt sie ihn, "dass Sie
sich betrügen, sich mit Willen zugrunde richten? Warum
denn mich, Werther! Just mich! Das Eigentum eines anderen.
Just das ! Ich fürchte, ich fürchte, es ist nur die Unmöglichkeit,
mich zu besitzen, die Ihnen diesen Wunsch so reizend macht."
— Der bittere Hohn, womit er auf diese Bemerkung reagiert,
verrät, wie sehr er sich im Grunde dadurch getroffen fühlt.
Und diese Empfindlichkeit ist sehr lebensecht. Denn der pessi-
mistische Psycholog, schwelgend in finster-verzweifelten Ein-
GOETHES WERTHER 195
blicken in das törichte Menschenherz, verträgt es meistens sehr
schlecht, wenn die Psychologie sich einmal gegen ihn selbst
wendet.
Damit soll nicht gesagt werden, dass Werther sich selber
schonte. Er ist ein schmerzensreicher Meister unbarmherziger
Introspektion, Selbstbeobachtung, Selbstzergliederung, — das
überfeinerte Endproduckt christlich-pietistischer Seelenkultur
und Gemütsvertiefung, Einem Geist wie Lessing missfiel die
Figur; er war geneigt, eine Widerlegung der ganzen modern-
christlichen Kultur darin zu sehen, weil sie solche Individuen
hervorbrachte. Denn, fragte er, hat je ein römischer oder
griechischer Jüngling sich so und darum — nämlich aus un-
glücklicher Liebe — das Leben genommen? Das lässt sich
hören. Aber man kann wohl nicht zugeben, dass die christliche
Kultur ad absurdum geführt ist durch die Verzärtelung und
subtile Entartung, die sie in der Überspitzung zeitigt, und der
ungeheure Fortschritt, den das Christentum für die Entwick-
lung des menschlichen Gewissens bedeutet, ist nicht zu hoch
bezahlt durch ein Leiden und Sterben, wie Goethe es in seinem
Jugendwerk aus intimster Kenntnis, mit feinster Konsequenz
gezeichnet.
Der kleine Roman ist ein Meisterstück der Notwendigkeit,
ein lückenloses, klug, zart und wissend gefügtes Mosaik see-
lischer Einzelheiten, psychologischer Momente und Kenn-
zeichen, die zusammen das Bild der Liebenswürdigkeit und
des Todes geben. Und dabei ist es dem Dichter gelungen, die
tödliche Schwäche des Helden zugleich als überschwängliche
Kraft empfinden zu lassen. Wirklich erinnert Werther an
jene Art edler Pferde, von denen in dem Buch einmal die Rede
ist, und die, wenn sie schrecklich erhitzt und aufgejagt sind,
sich selbst aus Instinkt eine Ader aufbeissen, um sich zu Atem
zu helfen. "So ist mir's oft," sagt er; "ich möchte mir eine
Ader öffnen, die mir die ewige Freiheit schaffte."
Die ewige Freiheit. Das Verlangen aus dem Eingeschränk-
ten und Bedingten ins Unendliche, Schrankenlose ist der
Grundzug von Werthers Wesen, wie er derjenige Faustens
ist. Lesen Sie, was er über räumliche Ferne und Zukunft
196 CORONA
schreibt, über die unstillbare Sehnsucht in Raum und Zukunft
hinaus, und Sie haben ihn ganz. Die dritte Form der Ex-
pansion ist das Gefühl; auch hier stösst er sich mit Verzweif-
lung und Selbstverachtung an der Bedingtheit und Unzuläng-
lichkeit des Menschlichen. "Was ist der Mensch? der ge-
priesene Halbgott! Ermangeln ihm nicht da eben die Kräfte,
wo er sie am nötigsten braucht? Und wenn er in Freude sich
aufschwingt, oder im Leiden versinkt, wird er nicht in beiden
eben da aufgehalten, eben da wieder zu dem stumpfen Be-
wusstsein zurückgebracht, da er sich in der Fülle des Unend-
lichen zu verlieren sehnte." — Das Leben, die Person, die Indi-
vidualität ist ihm ein Kerker, — er selbst gebraucht das Wort
angesichts wild erregter Natur, in der aufzugehen er sich
wünscht. "Wie gern," ruft er aus, "hätt ich all mein Mensch-
tum darum gegeben, mit jenem Sturmwinde die Wolken zu
zerreissen, die Fluten zu fassen. Ha ! Und wird nicht vielleicht
dem Eingekerkerten einmal diese Wonne zu Teil ! — " Man
findet diesen emotionalen Pantheismus in Schopenhauers Wil-
lensphilosophie wieder.
Die höchste und stärkste Form seelischer Expansion ist die
Liebe — Werther sucht sie, ist in Bereitschaft für sie von An-
fang an, und es ist sein Todesinstinkt, der ihn auf eine aussichts-
lose, verderbliche Liebe verfallen lässt. Da in seiner Natur
etwas liegt, wozu alle Menschen, besonders aber das Volk und
die Kinder Vertrauen haben, empfängt er die Geständnisse
eines Bauernburschen, der eine inbrünstige Leidenschaft für
seine Herrin, eine Witwe, hegt, die in ihrer Ehe schlechte
Erfahrungen gemacht hat und nicht mehr heiraten will.
Werther ist tief erschüttert von dem Gefühlsrausch, dessen er
da ansichtig wird. Sein unbeschäftigtes Herz ist vom ersten
Augenblick neidisch darauf. Er schreibt seinem Freunde: "Ich
habe in meinem Leben die dringende Begierde und das heisse,
sehnliche Verlangen nicht in dieser Reinheit gesehen, ja wohl
kann ich sagen, in dieser Reinheit nicht gedacht und geträumt.
Schelte mich nicht, wenn ich dir sage, dass bei der Erinnerung
dieser Unschuld und Wahrheit mir die innerste Seele glüht,
und dass mich das Bild dieser Treue und Zärtlichkeit überall
GOETHES WERTHER 197
verfolgt, und dass ich, wie selbst davon entzündet, lechze und
schmachte." — Er ist in Liebe, bevor diese Liebe einen Gegen-
stand hat. Der nächste Brief berichtet von seiner ersten Begeg-
nung mit Lotte.
Was nun einsetzt, ist ein Liebesroman, dessen psychologi-
scher Reichtum sich vom Idyllischen, Humoristischen, Reizen-
den bis zu dem finstersten Abgrund seelischer Verführung
erstreckt, und über dem, auch in seinen glücklichsten Augen-
blicken, von Anfang an die Schatten des Todes liegen. Erin-
nern Sie sich an die Stelle, wo Werther von seinem Verhältnis
zu Albert, dem Bräutigam, spricht und meint, das Wohlwollen,
dass dieser ihm entgegenbringe, sei gewiss mehr Lottens Werk
als seine eigne Empfindung? Denn darin seien die Weiber
fein: wenn sie zwei Kerls in gutem Vernehmen mit einander
halten könen, ist der Vorteil immer auf ihrer Seite, so selten
es auch angeht. An dergleichen denke ich, wenn ich von
humoristischen Pointen spreche. Werthers Gemüt ist damals
noch frei genug, um in aller Umfangenheit durch die Leiden-
schaft solcher heiteren Einblicke in die Diplomatie "der Wei-
ber" im allgemeinen fähig zu sein. Aber gegen diesen selben
Albert, den er Lottes nicht für würdig halten kann, wird er
eines Tages Todeswünsche hegen, die anfangs nur in dem
hypothetischen Gedanken bestehen: "Wie, wenn er stürbe,"
um ihn schliesslich an "Abgründe" zu führen, vor denen er
zurückbebt, und die er nicht nennt, doch deren Name Mord ist.
Nicht nur der Hass, auch die Liebe führt ihn an Abgründe.
Das Schicksal des unglückselig liebenden Bauernburschen, das
unheimlich neben dem seinen herläuft, drängt seinem doch so
reinen, so vornehm gewissenhaften Gemüt den Gedanken der
Vergewaltigung auf. Der Knecht ist vom Hofe gejagt worden,
weil er in einem Augenblick verzweifelter Leidenschaft ver-
sucht hat, sich des Weibes mit Gewalt zu bemächtigen, — eine
Tollheit, an der sie nicht ganz unschuldig ist, da sie, bewusst
oder unbewusst, seine Leidenschaft durch ein halbes Gewähren,
durch kleine Vertraulichkeiten genährt hat. Und Lotte.? Ist
es bei ihr nicht dasselbe ? Es ist in dem Buch eine Szene, deren
gefährliche Lieblichkeit etwas Himmelschreiendes hat, und die
198 CORONA
in Unschuld gehüllte Koketterie charakterisiert, mit der das
gute Mädchen Werthers Leidenschaft reizt : die Szene mit dem
Kanarienvogel, von dessen Schnäbelchen sie sich vor seinen
Augen küssen lässt, den sie von ihren Lippen zu seinen schickt
und dem sie mit dem lächelnden Munde Brosamen reicht.
Werther kehrt sein Gesicht weg. Sie sollte es nicht tun !, denkt
er; und das denken allerdings auch w^ir, da sie ja klug genug
ist, um sich auf Werthers gefährdete Natur zu verstehen und
gütig genug, um besorgt um sie zu sein. Wenn sie ihn liebt,
sollte das ein Grund mehr für sie sein, ihn zu schonen. Aber
gerade die Liebe v^^ieder, die sie trotz ihrer Treuebindung an
Albert für ihn hegt, verführt sie zu den "kleinen Vertraulich-
keiten," durch die jene Bauernwitwe den Knecht zum äusser-
sten treibt.
Dass Lotte Werthern liebt, gibt der Roman auf die psycho-
logisch-pointierende und decouvrierende Weise zu verstehen,
in der seine Technik besteht, und die mit ihren Tiefblicken ins
Unterbewusste etwas fast humoristisch Verräterisches hat. Lotte
fühlt, dass es ihr furchtbar schwer fallen würde, Werthern zu
verlieren. Sie wünscht, er möchte ihr Bruder sein, oder aber,
sie könnte ihn mit einer ihrer Freundinnen verheiraten,
wodurch dann auch sein Verhältnis zum guten Albert ganz
rein wiederhergestellt werden könnte. Aber indem sie die
Freundinnen der Reihe nach durchgeht, findet sie bei jeder
von ihnen etwas auszusetzen, — sie findet keine, die sie dem
Freund gegönnt hätte. Der junge Dichter fügt hinzu: unter
solchen Betrachtungen habe Lotte "tief" gefühlt, "ohne es sich
deutlich zu machen," dass ihr heimliches Verlangen sei,
Werther für sich zu behalten. Das hätte er in den "Wahlver-
wandtschaften" nicht mehr ausgesprochen, — an deren psycho-
logische Kunst solche Wertherstellen schon so sehr erinnern.
Ich darf mich nicht verlocken lassen, aus dem Gedränge
von Feinheiten alles herauszuheben, was eines besonderen
Hinweises wert wäre. Zu dem Kühnsten gehört die Episode
mit dem im Winter Blumen suchenden Irren, der von einer
schönen, einer glücklichen und leichten Zeit spricht, in der
ihm so wohl gewesen sei wie dem Fisch im Wasser — womit
GOETHES WERTHER 199
er die Zeit meint, die er als Rasender im Tollhause verbracht
hat. Hier bricht ein Neid auf die Vorteile des Wahnsinnes
durch, der zu den extremsten seelischen Äusserungen des
Buches gehört.
Die Erörterung des Selbstmordgedankens, der den Dichter
selbst zur Wertherzeit fast wie eine fixe Idee beschäftigte,
nimmt einen breiten Raum ein. Werther verteidigt die Tat
theoretisch von Anfang an, lange bevor der Entschluss, sie
auszuführen, sich in ihm festsetzt. Er v^^ehrt sich dagegen,
dass sie als eine Tat der Schwäche hingestellt werde, denn er
will wahr haben, dass darin gerade Menschenstolz und freier
Wille über die Entnervung, die das Leiden zufügt, triumphie-
ren. "Raubt das Übel," fragt er, "das uns die Kräfte wegzehrt,
uns nicht auch zugleich den Mut, uns davon zu befreien ? Der
Ehrgeiz, diesem Dilemma nicht zu unterliegen, sich selber zu
beweisen, dass seine Leiden nicht fähig waren, ihm den Mut
zur Befreiung zu rauben, wird als eine der stärksten Trieb-
federn zur Selbstvernichtung aufgezeigt, und man sieht hier
deutlich, wie die zweckmässig-künstlerische Objektivierung
von Gedanken, die dem jungen Dichter selbst hätten tödlich
werden können, ihre freie Verwendung als psychologisches
Hilfs- und Verständigungsmittel, ihm dienen muss, für seine
Person darüber hinwegzukommen.
Man darf das soziale Motiv nicht vergessen, das Goethe mit
aufgenommen hat, um das Bild von Werthers Lebensekel voll-
ständig zu machen, den Klassenkonflikt, in den er seinen sen-
sitiven Helden zu der Zeit geraten lässt, als er die Nähe Lottens
geflohen hat und Attache einer Gesandtschaft geworden ist.
Sein Zusammenstoss mit der hochnäsigen Adelsgesellschaft, in
der er übrigens eine Freundin hat, ein rousseauisch ange-
hauchtes Fräulein von B., welcher ihr Stand zur Last ist, weil
er "keinen der Wünsche ihres Herzens befriedigt," — dieser
demütigende und aufreizende Zusammenstoss mit der verhass-
ten Klasse ist zu charakteristisch für die historische Stellung
des Buches und seine revolutionäre Grundtendenz, als dass
auch die flüchtigste Analyse ihn übergehen dürfte. Napoleon
hat den Zug beanstandet. "Warum habt Ihr das getan.?" fragte
200 CORONA
er Goethe während des Gespräches in Erfurt, und Goethe
scheint den Einschlag sozialer Revolte in die rein menschliche
Liebestragödie nur schwach verteidigt zu haben. Seiner tu-
multuösen Jugend war dergleichen nicht fremd. Man denke
an die wühlende Prosa-Szene im. Faust, wo der unselige Ver-
führer Gretchens gegen die gesellschaftliche Grausamkeit
wütet, deren Opfer das gefallene Mädchen ist. Für die
Aufführung in Weimar hat der Minister Goethe diese Szene
gestrichen, und er mag als konservativer Olympier auch ge-
niert gewesen sein durch jene Werther-Episode, in welcher der
latente, nur geistig-seelische Revolutionarismus der Liebes-
geschichte sozial manifest wird. Es ist aber festzustellen, dass
auch ohne diese Zuspitzung "Werthers Leiden" zu den Bü-
chern zu zählen wäre, die die französische Revolution ange-
kündigt und vorbereitet haben.
Goethe hat dies zweifellos auch gewusst und jederzeit einen
gewissen Stolz darein gesetzt. Als alter Mann spricht er mit
einer Art von liebevollem Schrecken über das Buch. "Ich
habe es," sagt er 1824," seit seinem Erscheinen nur einmal
wieder gelesen und mich gehütet, es abermals zu tun. Es sind
lauter Brandraketen! Es wird mir unheimlich dabei, und ich
fürchte den pathologischen Zustand wieder durchzuempfinden,
aus dem es hervorging."
Diese Wieder-Lektüre hatte sich schon acht Jahre früher,
im Jahr 18 16 ereignet. Dasselbe Jahr brachte dem Siebenund-
sechzigj ährigen in seltsamem Zusammentreffen damit ein
denkv^öirdiges — wenigstens für uns denkwürdiges — Wieder-
sehen persönlicher Art. Eine alte Dame, nur vier Jahre jünger
als er, kam zu Besuch nach Weimar, wo eine ihrer Schwestern
verheiratet war, und meldete sich bei ihm an. Es war Charlotte
Kestner, geborene Bufl, die Lotte von Wetzlar, Werthers Lotte.
Sie hatten einander vierundvierzig Jahre nicht gesehen. Sie
und ihr Mann hatten damals unter der rücksichtslosen Bloss-
stellung, die ihre Verhältnisse durch die Werther-Dichtung
erfahren, recht sehr gelitten. Jetzt aber, wie die Dinge sich
entwickelt hatten, war die gute Frau eher stolz auf ihre Eigen-
schaft als Modell der Heldin des Jugendwerks eines so gross
GOETHES WERTHER 201
gewordenen Mannes. Ihr Erscheinen in Weimar erregte ein
Aufsehen, das dem alten Herrn keineswegs lieb war. Seine
Excellenz lud die Frau Hofrat zum Mittagessen ein und be-
handelte sie mit einer steifen Courtoisie, die sich in dem Briefe
spiegelt, den sie über dies Wiedersehen an einen ihrer Söhne
schrieb. Es ist ein tragikomisches, menschliches und literar-
historisches Dokument. "Ich habe," schrieb sie, "die Bekannt-
schaft eines alten Mannes gemacht, welcher, wenn ich nicht
wüsste, dass er Goethe wäre, und auch dennoch, keinen ange-
nehmen Eindruck auf mich gemacht hat."
Ich meine, dass sich auf diese Anekdote eine nachdenkliche
Erzählung, ja ein Roman gründen Hesse, der über Gefühl und
Dichtung, über Würde und Verfall des Alters manches ab-
handeln und Anlass geben könnte zu einem eindringlichen
Charakterbilde Goethes, ja des Genies überhaupt. Vielleicht
findet sich der Dichter, der es unternimmt.
CLEMENS BRENTANOS GESCHICHTE VOM BRAVEN
KASPERL UND SCHÖNEN ANNERL:
EINE FORMANALYSE
m. ju
ERNST FEisE, The Johfis Hopkjns University
INE Untersuchung der Erzählungskunst Brentanos in
seiner Geschichte vom braven Kasperl und schönen
-" Annerl mit genauer Analyse ihrer Formelementc ist
noch nicht unternommen worden und wird gerechtfertigt, wie
wir zu zeigen hoffen, durch die außergewöhnliche künstleri-
sche Höhe des Werkes wie durch seinen vermutlichen Einfluß
auf die Entwicklung der deutschen Novelle des 19. Jahrhun-
derts. Sie sollte beginnen mit einer ausführlichen Entfaltung
des Inhalts in chronologischer Folge, den wir indessen zur
Raumersparnis nur in großen Umrissen geben können.
Der früheste Punkt der Erzählung ist die Jugend der Groß-
mutter Anna Margaret, zur Zeit, wo sie als achtzehnjährige
Magd an einem Maiabend auf den Treppenstufen des Hauses
sitzt, das Lied vom Jüngsten Gericht singt und von ihrem
späteren Mann eine Rose erhält. Die Familiengeschichte folgt
mit allen Einzelheiten, dann Kaspers und Annerls Jugend,
Liebschaft und verhängnisvolle Erlebnisse und der Tod des
jungen Soldaten. Anna Margaret erscheint in der Stadt, trifft
zusammen mit dem Fähnrich Grossinger und dem Erzähler
Brentano, der durch die Gnade des Herzogs das Mädchen zu
retten sucht, aber nur den beiden Unglücklichen ein gemein-
sames Grab zu erwirken vermag.
Die Fülle des Details, die Brentano durch seinen Aufbau
bewältigt und in Perspektive gebracht hat, kommt bei dieser
mageren Inhaltsangabe nicht zur Geltung. Was er davon
seinen Quellen verdankt und wie der Konzeptionsvorgang es
VOM BRAVEN KASPERL 203
verwertet hat, können wir nur erschließen aus dem Vergleich
mit der fertigen Form; die Forschung hat soweit nur Einzel-
tatsachen peripherischer Art, wie das Totenlied, die Scharf-
richteranregung, das Räubermotiv zu Tage gefördert neben
vagen Angaben, daß Luise Hensels Mutter von einem Kindes-
mord in Schlesien und dem Selbstmord eines Unteroffiziers
aus Ehrgefühl berichtet haben soll/ Am weitesten bringt uns
noch immer die im W underhorn abgedruckte Volksballade
"Weltlich Recht,"^ in dem die "schöne Nanerl" den Joseph
anklagt, daß er sie ins Unglück gebracht, da sie ihr Kind
gemordet, und daß sie bald zum Schandtor auf einen grünen
Platz geführt werde.
Der Fähndrich kam geritten und schwenket seine Fahn,
Halt still mit der schönen Nanerl, ich bringe Pardon,
Fähndrich, lieber Fähndrich, sie ist ja schon tot:
Gut Nacht, meine schöne Nanerl, deine Seel ist bei Gott.
Statt des Joseph im Liede tritt zunächst bei Brentano der
Fähnrich in die Rolle des Verführers und wird auf diese Weise
tragisch mit Annerls Tode verbunden. Der Zug ihrer Verzei-
hung ist erhalten geblieben, ebenfalls der Todeswunsch des
Mädchens, der nun mit Rechts- und Ehrgefühl neu erklärt
wird. Daraus ergibt sich indessen die Notwendigkeit einer
stärkeren Motivierung ihrer Hingabe, die zur Übermotivierung
führt: Erstens, Graf Grossinger hat sich ihrer Seele durch
Magie bemächtigt, da sie ein "unbeschreiblich edles Geschöpf
war" (54),^ zweitens, er hat ihr ein schriftliches Eheversprechen
gegeben, das sie verbrannt hat (42, 54). Diese beiden Gründe
deuten auf ihr überstarkes Ehrgefühl, negativ wie positiv, d.h.
sie fühlt sich durch die Werbung eines Grafen geehrt, aber
ihre Rechtlichkeit muß durch außerordentliche Mittel über-
wunden werden. Dazu kommt drittens, daß sie oft an Melan-
1. Siehe die Übersicht in: "Deutsche Literatur," Sammlung Hterarischer Kunst-
und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Romanti\, B. 19 (bearbeitet
von Andreas Müller). Leipzig, Reclam 1937. — Auch: Max Preitz in der Einleitung
seiner Ausgabe von Brentanos Wer\en (Bibliographisches Institut), B. I, S. 339-344.
2. In der Ausgabe der Reclamschen Universalbibliothe\, S. 433.
3. Ich zitiere die Seitenzahl nach der allgemein zugänglichen Ausgabe der
Reclamschen Universalbibliothek.
204 CORONA
cholie gelitten hat, die wahrscheinlich auf ihr Kindheitserlebnis
mit dem Gerichteten und dem Scharfrichterschwert zurückzu-
führen ist, und viertens, Grossinger hat ihr den Tod Kaspers
vorgelogen.
Mit diesem Tode Kaspers kristallisiert sich nun ein neuer
Zug an die Annerl-Fähndrichhandlung, Der Joseph des Liedes,
durch den vornehmen Verführer ersetzt, ist freigeworden und
an seine Stelle tritt Kasper als der treue Liebhaber, der wie sie
— darauf hat schon Preitz hingewiesen — in gesteigertem weil
unverschuldetem Gefühl verletzter Ehre in den Tod gezwun-
gen wird. Möglich, daß Kasper ursprünglich in der Rolle des
französischen Soldaten der Anekdote, der sich der von ihm
verabreichten Prügelstrafe schämt, den Tod erleiden sollte, bis
aus der Ballade der Räuberverwandten ein stärkerer Zug sich
ergab, die unverschuldete Familienschande; möglich, daß erst
dadurch die Geschichte des französischen Soldaten zur Episode
werden konnte, über die der Erzähler sich die Frage vorlegt,
"ob ein Christ den Tod des Unteroffiziers schön finden
dürfe" (17).
Mit dieser Betrachtung des Erzählers innerhalb der Novelle
(der übrigens als Träger der Gnadenbotschaft sich vom Fähn-
drich der Ballade abspaltet) kommen wir auf den Blickpunkt
des Ganzen, der sich vielleicht ganz einfach aus dem Titel
"Weltlich Gericht" und seinen letzten Worten, "deine Seele ist
bei Gott," ergeben hat. Dem weltlichen Gericht, der äußeren
Ehre vor den Menschen, wird das Jüngste Gericht gegenüber-
gestellt, und hier liegt das innere Erlebnis des Dichters, das
sich am klarsten in der ergreifenden und fast mythischen
Gestalt der alten Anne Margaret spiegelt. Sie ist eine Wunsch-
gestalt Brentanos in ihrem sichern Gottvertrauen, die das Leben,
ein Leben voll schlichter Arbeit, Pflicht, Liebe, Aufopferung,
aber voll tiefster Erfüllung, hinter sich sieht, beinahe zeitlos,
da es sich immer wiederholt, sodaß ihr Zeit wie Raum wird, in
dem sie die Dinge ausgebreitet sieht und ihre Folge vertauschen
kann. So wird sie fast zu ihrem eignen Patenkinde, dem der
Grossinger die Rose in den Schoß wirft wie ihr Gardegrenadier
es vor siebenzig Jahren getan hat. So verwechselt sie Hochzeit-
VOM BRAVEN KASPERL 205
und Sterbetage, verwechselt die Verwendung der immer wieder
auftauchenden Schürze, die zweimal ein totes Haupt bedeckt
(41, 50, 54), zum Symbol der Schande (42), der Ehre (22, 54)
und des Schicksals (26) wird und zugleich der Alten selbst
angehört (7, 10.14, 41). So lebt sie halb entrückt in einer andern
Welt und überschaut, allein wissend, die Geschehnisse, die
andern noch verborgen sind, Annerls Schande vor Kaspers
Tode, Kaspers Tod vor Annerls Ende, sieht im Tod die
Bewahrung vor größerem Leide — einen Eisbrecher der Schmer-
zen, "die wie Grundeis gegen sie stürzen" (37) — und erscheint
den Menschen in ihrer Traumhaftigkeit nicht entrückt sondern
verrückt.
Unter dem Nachthimmel mit seinen Sternen ist sie so
sicher wie daheim. Der Taler ist ihr nicht Geldeswert sondern
Münze für Hochzeit oder Begräbnis der Patenkinder. Sechs
Meilen ist sie gelaufen trotz ihrer achtundachzig Jahre wie die
Strecke ihrer Lebenswanderung von der Stadt z u der Stadt ;
und wie sie einst am Abend vor der Schwelle dieses Hauses
(7, 8, 10, 12) und dieses Lebens saß, so sitzt sie bereits auf der
Schwelle jenes Lebens, "der Morgen wird bald anbrechen, da
geh' ich zu meinen Befreundeten. Wenn ein Mensch fromm
ist und hat Schicksale und kann beten, so kann er die paar
armen Stunden auch wohl noch hinbringen" (9). Wie stark
dieses Gefühl ihrer Gottesnähe ist, bezeugt die stete Wiederkehr
der Worte Gott und beten (zwischen Seite 7 und 14 allein 10
und 5 mal) und das später immer wiederkehrende Leitmotiv
des Liedes vom "Jüngsten Gericht" und des Leitspruches "Gib
Gott allein die Ehre!" (17, 22, 29, 51). Sie verlangt nicht
irdische Gnade sondern Gerechtigkeit und ein ehrlich Grab
für die Toten, damit sie nicht auf die Anatomie kommen, son-
dern mit heilen Gliedern vor Gott treten können am Jüngsten
Gericht (43):
Da sollen die Seelen vor Gott bestehn,
Wann wir werden zum Himmel eingehn.
Von dieser Überhandlung her wird nun die ganze Novelle
komponiert als eine Enthüllung von subjektiven Zusammen-
2o6 CORONA
hängen in der Alten, die schließlich aus der Traumwelt in die
Wirklichkeit übergeht, ein Werk des Dichters aus seiner Zeit
schwerster Erschütterung zwischen dem Sommer 1815 (Datum
post quem: "Uhlan wieder in Frankreich") und 1817 (Veröf-
fentlichung). Worte und Motive aus gleichzeitigen Gedichten
Brentanos "An den Engel in der Wüste" (1816) und "Einsam
will ich untergehn" (1817) (Wüste, Gnade, Engel, Auferstehen,
Pilger in der Wüste), klingen an, wenn er sich im Vergleich
mit der Alten fragt, ob er die Stadt garnicht erreichen, weg-
müde schon im Sande vor dem Tore umsinken und vielleicht
gar in die Hände der Räuber fallen werde (11). So erschafft
er, weil er sie ersehnt, die tiefstimmige und schlichte Ergeben-
heit und Gotteskindschaft der alten Großmutter. In seiner
Doppelrolle des Erzählers außerhalb, des Zuhörers und Helfers
innerhalb der Geschichte schämt er sich des Eckenstehertums
seiner Dichterschaft und legt sich das ehrlichere weil hand-
griffliche Schreiberhandwerk bei, da ihn sein Erlauschen dieser
Gottseligkeit wie Spionendienst anmutet (19). Mit tiefer Ironie
vergleicht er sein Schriftstellertum mit der überwachsenen
Gänseleber, eine romantische Ironie lebensfrömmster Gestal-
tung, wie sie erst im späteren Jahrhundert bei Hofmannsthal,
Thomas Mann und Schnitzler wiederkehrt. Aus diesen Ge-
fühlen seiner eignen Fragwürdigkeit erträumt er sich denn
eine gute, einfach menschliche Tat, die Rettung des armen
Mädchens, die zwar fehlschlägt, aber doch wenigstens eine
andre moralische Wirkung nach sich zieht, auf den Herzog
und seine Geliebte.
Diese Rahmenhandlung entfaltet sich auf den ersten sieben
Seiten (7-14) und schließt dann am Ende der Erzählung. Es
ist sogar ein Doppelrahmen mit Doppelfunktion beider Ge-
stalten: Die Alte erzählt Erlebtes und greift wirkend ein,
Brentano ist Zuhörer, Helfer in der Handlung und endlich
Erzähler für uns. Wir werden gestimmt auf schlichte Volks-
tümlichkeit und Gottvertrauen dadurch, daß der Erzähler
selbst von dem Zauber der alten Frau erschüttert wird, wenn
er sieht, wie ihr das Leben, "das sie achtundachzigmal mit
VOM BRAVEN KASPERL 207
seinen Jahreszeiten hatte zurückkehren sehen," nur "wie ein
Vorsaal im Bethause erschien." Die oben erwähnten Leitmo-
tive werden eingeführt, das Räubermotiv wird angeschlagen,
das für Kasper von Bedeutung wird, und Grossinger wird mit
der Handlung verknüpft dadurch, daß er der Alten Taler und
Rose schenkt und das Lied gern hätte von den Toten, das er,
wie wir später sehen, von Annerl teilweise gehört hat (13).
Auch fallen in dem Halbunsinn der Alten Todesandeutungen
wie "Oben stund er, Nun bergunter, 's ist kein Wunder!"
sowie verworrene Worte vom Abschied des Enkels und einer
andern guten Seele (14).
Der zweite Teil (von 17-21, wiederum 7 Seiten umfas-
send) führt mit dem Leitworte der Ehre (iimal) Kasperl ein
in seiner Jugend und in seinem Verhältnis zu Vater und Stief-
bruder mit der Anekdote vom französischen Unteroffizier. Die
Schriftsteller-Schreiberbetrachtung des Erzählers leitet zur
Bittschrift über, und das Totenlied klingt am Ende von neuem
an (21).
Im dritten Teil wird Annerl von Kaspers Ehrbegriff
erfaßt, sodaß sie sich etwas Besonderes dünkt. Die Leitworte
von Schürze und Zähne, Menschenehre und Gottes wille (22)
deuten vor auf ihr Scharfrichtererlebnis (38-41) und trauriges
Ende. Kasper, heimkehrend mit Totenkranz für die Mutter
und Ehrenkranz für die Liebste, muß wegen der Unehre des
wundgerittenen Pferdes in der Mühle halten, hat den Traum
von Tod und Grab und fällt den Räubern in die Hände. Hier
steigert sich die Häufigkeit des Leitwortes Ehre zur Zahl 15
und das Wort Grab, das soweit nur einmal erwähnt (8) und
einmal angedeutet ist (21), tritt i2mal auf, Kranz 5mal.
Der vierte Teil [29-36, mit den Leit Worten Ehre (2omal),
Kranz (pmal). Grab (8mal)] bringt die Entdeckung der
Verwandten als Räuber und den Selbstmord Kaspers, von
dem die Alte zuerst annimmt, er sei um Annerls willen ge-
schehen, deren Los Kasper ja zum Trost der Großmutter nicht
ahnt (36-37). Nun erst erfährt die Großmutter, ihrer Erzäh-
lung nach, von der Familienschande und dem Briefe Kaspers,
2o8 CORONA
der, weil er ein Selbstmörder aus Verzweiflung und nicht aus
Melancholie ist, sich wohl um ein ehrliches Grab gebracht
hat. Während der Erzählung brechen Großmutter und
"Schreiber" auf, um die Bittschrift zu verfassen; letzterer be-
sorgt, wie Annerl die Nachricht aufnehmen werde, ohne vor
Schrecken zu sterben.
Damit kommen wir im fünften Teil (36-43) zur Ge-
schichte von der Hinrichtung des Jägers, des früheren Gelieb-
ten von Annerls Mutter, und dem schrecklichen Erlebnis des
Kindes mit Scharfrichterschwert und Kopf des Gerichteten, an
das sich der Bericht von Verführung und Kindesmord an-
schließt. Die Leitworte sind Schürze (imal), Zähne (3mal),
Ehre (5mal), Kranz (imal), Grab (3mal). Das Totenlied
klingt an, die Alte verlangt Gerechtigkeit statt Pardon und
hofft auf ein ehrliches Grab für die beiden, das der Schreiber
mit Grossingers Hilfe ahnungslos beim Herzog zu erwirken
hofft.
Für den sechsten und siebenten Teil, die kaum zu
trennen sind und sieben und fünf Seiten umfassen (43-Ende)
bleiben nur noch die Enthüllungen, daß Grossinger der Ver-
führer war und seine Schwester die Geliebte des Herzogs ist.
Das Totenlied wird zweimal erwähnt (46, 54) und sein Schluß
gegeben. Grab klingt ab mit 6, Ehre mit 14 Fällen, dagegen
finden wir mit Rose (5mal), Schleier (i6mal) und Gnade
(22mal) das Schlußmotiv unterstrichen. Sie werden in jenem
völlig irrationalen Liede eingeführt, das mit Worten ohne
gedanklich deutbaren Sinn Musik macht.
Dies Ende ist zweifellos der schwächste Teil der Geschichte.
Man hat das Gefühl, daß hier, gerade bei dem Liede und der
Fürstung der Grossingerin als Voil de Grace die Wortkunst
Brentanos sich überschlägt und ins Spielerische übergeht wie
oft in seinen Märchen; andrerseits wirkt die Moralität der
Bekehrung des Herzogs und seiner Maitresse kalenderhaft
handgreiflich. Die Aufbewahrung der Schürze in der Kunst-
kammer und das allegorische Denkmal der falschen und
wahren Ehre wirken wie Ironie, zumal der sanze letzte Absatz
VOM BRAVEN KASPERL 209
im Zeitungsreporterton berichtet, ja selbst der Brief Grossingers
nach Hintertreppe klingt. (Ähnlich, aber bewußt, der Schluß
der ersten Fassung von Kellers Romeo und Julia auf dem
Dorfe.) Es wäre besser, wenn die Geschichte mit dem Tode
der Alten und dem Amen des Liedes abgeschlossen hätte. Was
hat ihre kindlichfromme Gotteswelt mit dieser Moritatenmoral
zu tun, da sie nicht einmal Pardon wollte, sondern gerechte
Menschlichkeit und göttliches Vergeben. Man ist fast versucht,
an gewollte Ironie des Schlusses zu glauben und möchte es
dennoch dem Dichter Brentano nicht zumuten.
Das Erstaunliche dieser Komposition ist die Mischung
rationaler und irrationaler Elemente, wie wir sie, z.B. in "Der
Spinnerin Lied," auch sonst bei Brentano finden, wo eine wahre
Rechenkunst mit Strophenbau, Wortwiederholung and Vokal-
klang getrieben wird.'* Unsere Sonderung der Teile, sieben an
der Zahl von fast durchweg gleicher Länge, ist nicht willkür-
lich, sondern wird von der Anordnung der Erzählung, der
Unterstreichung der Motive durch Totenlied, Leitsatz (Gib
Gott allein die Ehre!) und Leitworte gestüzt. In i herrschen
Lied, Taler und Rose vor, in 2 wird das Wort Ehre eingeführt,
häuft sich in 3 und 4, wo Kranz und Grab hinzukommen, in
6 und 7 überwiegen Ehre, Schleier und besonders Gnade. Die
Folge der Handlung spiegelt sich anders in der Alten als im
Erzähler. Numerieren wir ihre Teile von 1-8 (absehend von
der Vorgeschichte Anne Margarets, die in i, und der Grossinger-
handlung, die in i und 7-8 eingeführt werden), so ergibt sich
die folgende Anordnung:
Zeitfolge der Handlung gespiegelt in der Alten im Schreiber
1 . Kaspers Jugend i 6
2. Annerls Jugend 2 i
3. Annerls Schande 3 4
4. Kaspers Schande 5 5
5. Kaspers Tod 4 2
6. Alte und Schreiber am Anfang 6 3
7. Gnade 8 7
8. Annerls Tod 7 8
4. Siehe "Problems of Lyric Form," Modern Language Notes, XLIX (1934), S.
397-399-
210 CORONA
Dabei aber spinnt sich über diese Dreigliederung ein fast un-
entwirrbares Netz des Ineinanderwebens von Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft durch Vordeutungen, Träume,
RückbUcke, das an NovaUs' Ofterdingen erinnert. Bei diesem
ist es philosophisch bedingt und stellt hauptsächlich eine An-
forderung an das denkende Erfassen des Lesers, bei Brentano
dagegen wird es zu einer stimmungshaften Erzählertechnik,
verwurzelt in der Gestalt der Alten und des Schreibers und
wirkt zugleich durch die musikalische Thematik der Leit-
motive, die wiederum teils Stimmungshaft irrational (Rose,
Kranz, Grab), teils begrifflich rational (Ehre, Gnade), teils
beides sind (Lied, Zähne, Schürze). Die irrationalen Züge
legen mit dem Aberglauben des Richtschwerts, der Funktion
der Schürze, dem Auflauern des "Feindes" einen Schicksals-
glauben nahe, welcher indessen nur Stimmungshaft aufgefaßt
werden darf, denn die Verschuldung der jungen Leute durch
die Lockung veräußerlichter Ehre wird von der alten Anne
Margaret wieder und wieder klar ausgesprochen. Daher ist
auch das Ende der Geschichte ein unorganischer Zusatz.
Die Frage nach Herkunft und Wirkung dieser meister-
haften und von Brentano so überraschend virtuos ausgebildeten
Erzählertechnik kann hier nur als vorläufig aufgeworfen
werden und bedarf einer Reihe von Einzelstudien, wie ich sie
in meinen Aufsätzen über Eichendorff, Meyer und Storm
bereits begonnen habe.^ Ansätze der Technik sind in E, T. A.
Hoflmann gegeben, sowohl mit Rahmenerzähler wie Leit-
motiven. Die nächste Frucht nach Brentanos Geschichte
(freilich ohne Rahmenerzähler) ist dann Der Tolle Invalide
von Arnim (1818). Das Netz der Beziehungen von Vergangen-
heit, Gegenwart und Zukunft, alle gesehn vom Erzähler des
Rahmens, erscheint bei Raabe, besonders in Else vo7i der Tanne
und Des Reiches Krone, aber auch bei Meyer und Storm.
Während außerdem bei Meyer die Leitmotive begrifflich gefaßt
5. "Eichendorffs Marmorbild," Germania Ref., XI (1936), S. 76-86; "Eichen-
dorffs Aus dem Leben eines Taugenichts," Monatshefte f. dt. Untenicht, XXVIII
(1936), S. 8-16; "Die Hochzeit des Mönchs von C. F. Meyer," ibid., XXX (1938),
S. 144-152; "Theodor Storms Aquis Submersus," ibid., XXX (1938), S. 246-256.
VOM BRAVEN KASPERL 211
werden oder mehr dinghaft als Symbole (wie: Amulett, oder
Hörn und Becher in der Richterin), so gehen sie bei Storm
viel stärker noch als bei Brentano ins rein Stimmungshaft-
Musikalische über (z.B. Nachtigallen, Mondschein, Bellen der
Bluthunde, Staub und Rauch und die Elemente in Aquis Sub-
mersus). Im Anfang dieser Entwicklung steht fraglos Bren-
tanos Kasperl und Annerl.
SOLGER'S AESTHETICS— A KEY TO HEGEL
(IRONY AND DIALECTIC)
GUSTAV E. MUELLER, Univcrsity of Oklahoma
H
EGEL WRITES at the end of his long introduction to
the Philosophy of Art that Solger's work on aesthetics
and his own are in essential agreement, and regrets that
more attention is not paid to Solger. Hotho, the editor of
Hegel's Lectures on Aesthetics, also points to Solger as being,
besides Schelling, the most important source for the under-
standing of Hegel's work. Hegel's desire for a more complete
appreciation of Solger was fulfiUed by himself, after Solger's
death, in an essay which appeared in the Jahrbücher für
wissenschaftliche Kritik^ (1828) in the form of a review of
Solger's nachgelassene Schriften und Briefwechsel, edited by
Ludwig Tieck and Friedrich von Raumer. And in the monu-
mental Aestheti\ by the Hegelian Fr. Vischer there are
twenty-nine important references to Solger as an indispensable
predecessor of Hegel: "To Solger we owe the first System of
aesthetics from the point of view of objective idealism."^
Yet Carl Wilhelm Ferdinand Solger is now all but un-
known. His principal work, Erwin, Vier Gespräche über das
Schöne und die Kunst (1815), is a rare book, though there was
a reprint of it in 1907, from which the following quotations are
taken.^ He died, as Hegel writes, too early, before his en-
thusiastic Impulse had matured. Hegel mentions other reasons
why Erwin has not achieved greater popularity. One of them
is, paradoxically, that the author was too eager to be populär:
1. Fr. Vischer, AesthetiJ{ (Leipzig, 1846), I, 39.
2. C. W. F. Solger, Erwin (Berlin, 1907), p. 395.
SOLGER'S AESTHETICS— A KEY TO HEGEL 213
he did not trust the vitality of the idea as such, he thought it
necessary to make it vital by "talking down," by dressing it up
in a dialogue form which unfortunately lacks plasticity; Hegel
also criticizes the style as too wordy, too repetitious; the difler-
ence between beautiful writing and clear writing on the beau-
tiful is never observed. But its essential content is weighty, and
Hegel recommends its presentation in a brief and sober sum-
mary. The following pages attempt such a report. The writer
believes it to be not only useful as a key to Hegel, but also
valuable in itself.
Before we turn to Solger 's Erwin let us get acquainted with
the man in relation to his time : He was born the twenty-eighth
of November, 1780. His father was director or chief official of
a small State ("markgräfliche Kammer"). After passing the
humanistic Gymnasium in Berlin he studied law, Greek, and
Latin at the University of Halle; he especially enjoyed Wolf,
the famous authority on Homer. In 1801 he went to Jena in
Order to hear Schelling. He also studied modern languages.
In 1802 he traveled through Switzerland and France, keeping
an observant and reflective diary. In 1803 he found a position
in the Prussian war ministry; during the four years he re-
mained there he published a translation of Sophocles' Oedipus
and heard Fichte's lectures on the Wissenschaftslehre. He was
strongly impressed with this "logical discipline" and was stirred
to make comparisons with Schelling. His own philosophy then
began to bud. In 1806, after the rout of the Prussian army at
Jena, he resigned from his position in order to pursue his
scholarly interests. For three years he was buried in his studies,
Publishing some essays on the relations of Greek literature to
philosophy. In 1808 he took his Ph.D. and in 1809 he became
Privatdozent at the University of Frankfurt. The city of
Frankfurt was so well impressed with the young philosopher
that it oifered him the position of mayor in 18 10. He declined
the honor as interfering too much with his philosophical voca-
tion. In 181 1 he was called to the newly founded University of
Berlin, where he remained as professor of philosophy (for a
few years as coUeague of Hegel) until his death in 18 19.
214 CORONA
n
Vischer observes^ that Solger was the first to develop the
aesthetic ideas of Schelling into an articulated System. He
grasps the Standpoint of "objective idealism." Its principle is
to think absolute unity in the dialectical synthesis of one and
other, of ideal form and real content and so forth. This con-
crete unity of necessarily conflicting moments is present in
different modifications, in different kinds of reality. And Sol-
ger follows Schelling also in thinking that aesthetic reality
reveals this unity of opposites most perfectly. Art renders this
unity apparent to sensuous intuition and enjoyment. A definite
and finite appearance presents a blessed and immaculate total-
ity; it is the symbol of a universe.
But Solger deviates from Schelling in the direction of
Hegel. He feels that in Schelling's "identity as indifference of
all opposites" the individual and contingent appearances van-
ish as a mere shadow. His whole thinking wrestles with this
difficulty which threatens the objectivity, the ontological valid-
ity of art. God, the absolute, must not become a separate or
"abstract" being apart from the contingent and appearing life
of the moment. This moment itself must be an essential ex-
pression of the absolute idea. This leads to Solger's central
principle of "irony."
Hegel's essay on Solger puts the principles as follows: "In
Solger's philosophy lives the instinct of reason : to be aware and
to be interested in the highest kinds of opposites — and the
courage of reason: not tp shun them or to complain about
them, but to face them unflinchingly in all their hardness and
concreteness — and the satisfaction of reason: to rest in nothing
less than their reconciliation.""^ "Solger's philosophy analyzes
the absolute unity in thought, but it is through this dialectical
analysis that the unanalyzable unity preserves itself in thought
as one and the same."^
What Hegel misses is "merely" that Solger was not con-
3. Vischer, op. eh., I, 129.
4. Hegel, Wei-\e (Stuttgart, 1927), XX, 163 f.
5. Ibid., XX, 172.
SOLGER'S AESTHETICS— A KEY TO HEGEL 215
scious enough of the difference between religious or artistic
forms, in which the dialectical structure of reality manifests
itself, and the logical-philosophical form in which these differ-
ent modifications of reaHty are thought. From this lack of
logical clarity confusions between art, reUgion, and philosophy
are unavoidable.
We have already noticed that Solger was strongly attracted
by Fichte. His influence is seen in the way in which Solger uses
the Fichtean "activity" for his aesthetics and also in the Separa-
tion and evaluation of ethics as contrasted with aesthetics : "Art
must produce something which did not exist as object prior to
its artistic presentation; it consciously produces what it plants
in the object, but (what is so produced and transplanted) is
never given by the objects as such, but is generated by con-
sciousness. In presenting our thoughts in external objects we
act.
But Solger knows that this action is not moral action which
always remains in the tension between what is and what ought
to be. Moral action perpetuates this tension in which the moral
subject has its life and being, while aesthetic "action" merely
presents this very tension in the quiet and blessed mirror of
appearance. The struggle with the material which is to be
transformed into such an image of the idea, is not to be con-
fused with "real action."
Solger acknowledges, therefore, a genuine conflict between
the ethical and the aesthetic interest: "Goodness lies in the
activity of will. What is produced, what becomes appearance,
is worth nothing to it. Its pure, divine notion lies in the
actuality, not in the presentation of action."
The brilliant Romantic group in Berlin also drew Solger
into its circle. He shared their cult of friendship: "There is no
firm ground of reality outside of friendship." This aesthetic
and literary group was dominated by the idea of "Romantic
irony," made current by Friedrich Schlegel and Solger's inti-
mate friend, the poet Tieck. Schlegel's Romantic irony was
derived from a grotesque misinterpretation of Fichte. The
World was conceived as the subjective reflection or projection of
2i6 CORONA
an arbitrary and sovereign "I," which would play with its
mood. To put yourself in any desired mood ("sich selber
stimmen") was the sign that you were beyond all objective
Contents and values. This self-mirroring, "aesthetic" play and
nihilism found its most powerful expression later in the early
writings of Kierkegaard. Solger is at times not untainted, when
he writes on its "excellent nonsense and wonderful foolishness."
But in his Erwin he clearly draws the line. What he calls irony
is not to be confounded "with that vile disregard of everything
which is of essential and serious concern to man, this vain
attempt to escape the complete duality of his nature."
III
The following pages review and endorse the main phil-
osophical contents of Erwin.
At the opening two friends are enjoying a stroll through
an idyllic vale. The view "invites a feeling of comfort and
sufficiency inexplicably one with a feeling of melancholy and
longing." This second moment is always present in aesthetic
experience, while the first varies: instead of the calm serenity
here, we might be incited instead to violent activity amidst
ruins of wild and rugged mountains. Nature always touches
strings in our souls, yet our sympathy with nature, our longing
for identity with her, is never quite satisfied.
On this discrepancy in all aesthetic experience let us philoso-
phize together. Philosophical conversation enlightens a com-
mon experience and transforms appearance into thought.
On the one band beauty is experienced as whoUy present,
immanent, as one with what appears; as such it evokes our
responsive chords in us, absorbs our interests and our feelings.
In distinction from practical-moral satisfaction, aesthetic love
is identical with its joy in colors and shapes, proportions and
rhythms. Longing with its satisfaction is not separate and par-
tial, as in practical affairs, but a unity: a fusion. We strive to
identify ourselves with what appears outside of us, and this
striving seems fulfiUed by its sheer presence. Aesthetic love
completely embraces its embodiment; it is the soul entering its
SOLGER'S AESTHETICS— A KEY TO HEGEL 217
own embodied appearance. The soul is the completed idea of
its body, and the body appears as completed soul. Both are one
in one act. There is no Separation o£ object and idea, no logical
judgment. Sense-appearance and self-identification with an-
other are strangely, paradoxically one; possible because appear-
ance is only appearance, pure image, shared in our Imagination,
losing its earthly opaqueness.
But against this immanent beauty Stands the transcendent
experience of a unity beyond this transient appearance. Ap-
pearance does not suffice ; it appears — which also means it van-
ishes. At its bebest, therefore, not in it, is the bliss of beauty
kindled. Appearances of this world of several senses are
ciphers, hieroglyphic signs, signals, revealing an unity persever-
ing serenely beyond the passing show: the ideal survives its
death, divine, unconditional, simple. That is why it touches us
with a shudder, as if Coming from another, a better world. Its
existence reminds us, is reminiscence, "Ahnung," of what it
never quite realizes. Therefore the painful and sweet obsession
to create, that insatiable stir, drives us from creation to new
creation, horrible chasms of emptiness and despair in between.
Such experience deprives us of our common, our ordinary cer-
tainties, challenges the importance of the ordinary stufT of our
existence. "Das Schöne ist nichts als des Schrecklichen An-
fang," as Rilke puts it.
Where should we resolve this conflict unless in ourselves?
The World of appearances, surely, does not in its own tongue
proclaim itself to be what it means to us. We must find the
grounds for what it means to us in ourselves.
Passion espouses and Imagination engenders images. Erotic
sensuality furnishes an ever renewed change, invites empathy.
Without this sense-material the physical world would be deaf
and mute aesthetically. On the other band, there is "Geist,"
spirit: it demands logical clarity and order, posits unity and
stability; it means, it demands, eternity in its images; such a
demand can never be granted, can never be given in what
chaotic urges ("Triebe") present us with, but neither can such
a demand be met by the abstract classifications of particular
2i8 CORONA
Sciences. Their general rules, while they depend on the present,
given stuflf of sense-experience, at the same time leave indi-
vidual events and situations outside of themselves; scientific
laws are nets through whose wide meshes individual appear-
ances slip unnoticed,
But the demand of "Geist" f>ersists. We postulate unity in
the image itself, its own unity, unity in and of appearance;
unity, eternal meaning of life living out of itself, is feit by the
individual (in whom life alone is actual) as its own self-
affirmation, operative in and through all its functions, animat-
ing its w^hole existence: Solger calls it the concrete universal
("konkreter Begriff").
This, Solger explains, is nothing but the classical formula
of Greek aesthetics of unity in the manifold. The sense-
appetites are the many to which nature appears as relative,
provisional, in momentary and empirical configurations and
constellations called "things," arbitrary units, pleasing to a
sensuous taste only. But these things can also be taken as if
they had their own unity, as if they were founded in an abso-
lute reality, expressing its nature, its eternal and living mean-
ing. As such each thing becomes a complete individual having
a unity and identity whereby "it is what it is and whereto its
different aspects in Space and time must agree, harmonize . . .
this unity is merely the completed manifold, the manifold is
merely the developed unity." The concrete universal is unity
inseparable from its manifold self-manifestation in time. And
such a thing is beautiful. Aesthetic experience, therefore, is in
contrast not only with a merely sensuous experience, with which
the vulgär confuse it, but also with the general abstractions
or mere possibilities of scientific rules. Every beautiful appear-
ance is a steady continuity of contrasting sides, such as lines
and curves, tensions and relaxations. The whole of a beautiful
appearance, most transparent as a work of art, is a universal
connection and movement returning upon itself; every moment
in it has its own life and is at the same time completely deter-
mined by the unity which is the soul of the whole.
The conflicting views on beauty, from which we started.
SOLGER'S AESTHETICS— A KEY TO HEGEL 219
can now be seen as necessary aspects of the dual life, revealing
itself as one and the same in beauty: the sublime aspect is
founded in the spiritual meaning, universal unity, appearing
to sense ; the beautifid is this same appearance of meaning seen
as complete in itself. Aesthetic reality always has both sides;
there can be no sublime which is not also beautiful appearance,
no work of beauty which is not also sublime. Negatively,
beauty can be neither apprehended by the senses nor by reason,
but must affect both our heart and our will and reason. It is a
matter of emphasis: in the sublime the idea is seen in move-
ment, breaking into this world of sense, a fanfare announcing
its insufficiency, the lightning stroke of eternity; in the beauti-
ful the idea has gained a dignified presence, touching in its
fragility and tenderness.
But the complete harmony of these two sides is never to
replace the ethical energy of life itself. Life remains torn,
oppositional. Particular situations are the condition for a life
of action; what is and what ought to be or what may be,
possibility and actuality are one and the same life only in their
tension as tension. This ethical effort and care remains the
supreme real value of existence. Beauty does not replace it; it
emerges, remains discontinuous, a ray of paradise. It must not,
because of its own blessedness, be misunderstood or misinter-
preted as symbol of, or preparation for, the good. Aesthetic peace
and harmony is radically other than a moral life, which pre-
serves its existence in caring for the future and remembering,
not without remorse and penitence, its past. Aesthetic reality
is ungrateful for its preparatory labors; it disdains evolution;
beauty leaps into existence like Athene from the head of Zeus.
Aesthetic reality and ethical reality are both real, because
they both represent a unity of opposites. As such a dialectical
synthesis they both point out, reveal what reality is. Art creates
a mythical cycle of Images and a temporal succession of sym-
bolic lif e-stories ; in so doing it reveals itself, it becomes one
great symbol of the absolute and one reality of life; ethical life
has its orientation in a moral law of unity and self-consistency,
with which it is never one, but which also points beyond to
2:20 CORONA
that absolute and unbroken unity of life which lives through
and in that moral struggle, Philosophy is neither, but must
think both impartially, must have its life of participation in all
sides of existence.
rv
The second conversation deals with "the lot of the beautiful
on this earth." Beauty is defined as the "unity of essence and
appearance in appearance." It is "living idea": individual
things and events mean more than they seem. They do not
remain fleeting, singular transitions, but they reveal concrete
unity, while at the same time they remain just those transitory
and humble things that they were before the magic torch of
beauty made them luminous. "And it is just this that makes
their beholding so pathetic, that they are so transitive and yet
vessels of the eternal." We are not sad because we see passing
things pass, but it is infinitely sad to see that this mortality is
an ingredient function of the idea itself; because beauty in-
cludes appearance, it therefore subjects itself to the lot of all
earthly creatures, to the brutal march of fate. This is the
ground of that melancholy which we noticed in all aesthetic
experience. It is incomprehensible why the idea of an eternal
universe should needs reveal itself in the fragile vase in my
hand. Works of art are born to live apart from life; they are
made to live in their dead existence, We are touched by this
miracle of art and have no access to the comprehension of this
paradox. Beauty reveals itself, and no ordinary way of sense-
experience or of moral effect leads to it. Aesthetic intuition,
Wesenschau, receives this living death or dead life, lives in it,
knows itself opposed to all other kinds of knowledge.
Since the aesthetic idea comprehends both the idea of a
universe and the existence of the fragmentary and contingent,
it also must include all the ordinary laws governing the knowl-
edge and the existence of fragmentary and contingent expe-
riences. From the artist's point of view, this duality is feit as
the miraculous and lucky instant, when the idea lights upon
an ordinary experience and transforms it into a fitting or ex-
pressive material. To him also this sudden meeting of idea and
SOLGER'S AESTHETICS— A KEY TO HEGEL 221
contingent material or experience comes as a stroke. He does
what philosophy comprehends as incomprehensible.
How does he do it? How does he marry his living idea
with a dead externality? For his imagination, creative phan-
tasy or intuition, the dead stuf! begins to grow with this same
imagination that is in him. Appearance is transfigured; it
becomes appearance of this essential unity. Imagination at once
recognizes itself as one in the thing and in itself, and imagina-
tion sees itself unfolding as process, as objective process.
Imagination is heard in tones, seen in colors, but at the same
time it also keeps remembering that the thing is only a thing,
that appearance qua appearance is also not one with the imag-
ination which is, on the other band, inseparable from just this
piece of stone or clay. Imagination is dialectical.
And from this double-faced aesthetic reality-process can be
understood the two great aesthetic forces: humor and tragedy.
All things aesthetic balance between tears and smiles.
Laughter is like a refreshing dew from heaven. It emanci-
pates US from the meanness of our miserable existence but also
from the tiring battle for higher ends. Even the most miserable
existence is seen by humor to have a power over the ideal ; for
malicious souls this fact is ground for satirical leering, but for
better souls it is at the same time the opposite, namely, that even
the most miserable existence is not devoid of a reconciling part
in beauty. This is the laughter of the blessed gods when they
behold the earthly spectacle, their divine comedy. "Since we
know the temporal and fugitive to be one with the essential,
we can laugh over our temporal nothingness."
Tragic, serious art is one with the humorous. The low,
Comic contradictions of existence are at the same time tragic,
because they show man in his degradation. And the tragic
hero is close to the ridiculous because of the importance he
ascribes to himself. The idea is drawn into the contradictions
and oppositions of life, but in our annihilation we find the
absolute meaning and affirmation of tragedy. Natural necessity
and Spiritual freedom are balanced. The idea of unity and har-
mony is estranged, is broken by contingencies, but these con-
222 CORONA
tingencies are at the same time affirmed to be essential to the
idea itself.
Tragic and comic are, like the beautiful and the subhme in
our first conversation, matters of emphasis, opposites belonging
to the same essential aesthetic unity of transcendence and im-
manence, ideality and existentiaHty.
"Beauty is the reconciHation of this contradiction. But with
all other appearance also its appearance must sink into nothing.
This bitterness, oh friends, overwhelms everyone with intense
and mighty sorrow, not to be healed or dissipated by other
goods. Because it is not stirred up by the destruction of par-
ticular things, nay not even through the destruction of this
earth itself, but through the impotence of the idea, which be-
comes by its very realization subject to the common fate of all
mortal things. But each time a whole god-inspired world per-
ishes. This is the true lot of the beautiful on earth . . . through
which destruction, however, it is made clearer than ever how
this death is one and the same with the eternal."
The third conversation several times hints at the relation of
art and philosophy. Art must be truthful, true to that life
which philosophy thinks. Philosophy cannot think its uni-
verse if it does not contain the aesthetic vision of things. The
aesthetic vision of a completed unity, present in the symbol of
art, is constitutive of that universe which philosophy means.
Philosophy could not be true to its own goal if it did not con-
tain the aesthetic world-view; the philosopher must also be
artist in order to be himself. The concrete universal of art
must be thought dialectically.
"The essential notion of philosophy must correspond to a
total and actual being. The existence of things must express
this identity as creative life." The identity of thought and
being is existential in art. Art presents things as a divine lan-
guage, where becoming and result, creative activity of the
Imagination and the finished work, are one and inseparable.
The work has the same extension and the same content as its
SOLGER'S AESTHETICS— A KEY TO HEGEL 223
own producing activity. Unlike the abstract concepts of scien-
tific classifications the more comprehensive work of aesthetic
intuition also requires more details which it does not only
subsume, but by which it grows. Imaginative apprehension or
intuition is identical with living this life of the work. This is
the "inner form," the self-assurance (Selbstbeglaubigung) of the
work, which cannot be learned or taught, in distinction from
the external, technical form which can be learned and taught.
We cannot compare the work with a world or with some
experiences outside of itself, in order to find it convincing or
legitimate; neither can we find the criterion for its reality in
some private reactions, emotions, responses aroused in ourselves
by it. Private feelings may accompany it, may be associated
with it, but they are only by-products; to make them essential
is the sure sign of amateurishness. Finally, we cannot compare
the work with the idea of beauty, because the aesthetic idea is
not, like an abstract class of logical Classification, outside of its
singular, unique crystallization. "This is the truthfulness of
art, that the true idea appears to the artist always in the present
gestalt; he cannot choose it, it cannot exist outside and inde-
pendent from himself, it is at once outside of him and inside
of him." The real work of art is a universe of its own creation.
The prototype of such a creation is language as poetic language.
It expresses nothing but the universe as becoming event in this
hour; it expresses its own creativity in creating a world-symbol
to behold. ^ '
The poetic language is the mother of all art. It is the
"logos" become flesh. It testifies to the truth of philosophy,
which thinks precisely this paradox of a logical unity which
is also existential. Seen as such a testimony, art serves as token
of philosophical truth.
But truth is disliked. Many people would prefer to separate
truth and beauty, philosophy and art. They would prefer to
treat art as a psychological curiosity, as amusement classifiable
like other objects. Why this resentment?
"The more they feel that there is something in them which
belongs to this divine reality, the more disquieted they get : they
224 CORONA
try to exorcize it, because their ugly nature is ashamed and
filled with the most bitter envy. This conflict is possible, be-
cause humankind is attached to existence, which is both profane
and holy. True art would not live in the holy world, if the
profane world did not oflfer resistance. . . . It is through this
limitation that Imagination is made fertile and so can become
the mother of all art. No art could reach reality, if the stream
of imagination were not obstructed by the particularities of the
common world.
"This is the great and infinite and insurmountable secret,
that two natures dwell in us, the eternal and the temporal,
which cannot be without each other and yet must be entirely
antagonistic. This drives man to desperation or to insolent con-
tention on his own merits. In this confusion and ruination art
Steps in, not however to cancel the enigma as an illusion, but to
reinforce it by showing the inner truth of this relationship, in
which showing the enigma is dissolved in itself. Not where
contradiction is done away with, and not where harmony is
utterly disrupted, but where harmony and disruption are one
and the same, there this wonderful art dwells."^
The meaning of art is to reveal life in symbolic and external
forms; thereby life does not lose all its essential conflicts and
contradictions, but mirrors them. And in the mirrors of ap-
pearance the conflict of life loses its immediacy. It is saved
from itself by being revealed to itself.
VI
The fourth conversation deals with the arts systematically
and historically. The arts are different because the one aesthetic
idea is worked into different materials or media. The arts are
like the colors produced by a prism breaking a ray of light.
The history of arts is the history of styles. Solger enters the
discussion of Schelling and the Romantic movement concern-
ing the difference of classic and romantic, typical and charac-
teristic, ancient and modern. These historical differences of
6. Erwin, p. 255.
SOLGER'S AESTHETICS— A KEY TO HEGEL 225
style are dependent on the depth o£ truth man has achieved
in his world-view. But since the aesthetic idea, being in becom-
ing, is always present, the style-diflferences are relative; they are
moments of the living totality, matters of emphasis. It would
neither be possible to have merely the general type, without
individual-sensuous features, and it would equally be impos-
sible to have a w^ork that is nothing but characteristic and
vi^hich w^ould not be essential or typical for all life.
Solger is the classical philosopher of irony. We have already
noticed that romantic irony is based on an absolute individual-
ism, psychological subjectivism, and that Solger defends his
own concept of irony against this mere play w^ith moods. Such
fireworks leave substantial interests unsatisfied and lead to an
empty yearning resulting from being bored. The conversation
turns frequently to this problem and tries to preserve irony as
a central and final aesthetic principle.
Irony destroys empty and formal ideals, w^hich have no
pow^er to master realities. This comic irony lends a seeming
life to unserious pretensions and explodes them. It becomes
false w^hen it overshoots its mark, when it destroys real values
by pointing to the ordinary v^orld-course as a proof that none
of them can maintain themselves. In the comic annihilation of
empty pretensions lies not only the temptation to generalize this
experience, but also the beginning of the tragic irony: The
tragic movement is a self-annihilating, self-contradictory move-
ment unknown to the tragic agent himself. He believes that he
furthers his ends v^hich in reality lead to his destruction.
The Comic and the tragic irony, even the false, exaggerated
irony, point to irony as a universal principle of art. It is the
courage to face ideals in their worldly fate: to exist at their
peril. "Whoever cannot summon that courage is lost to all art."
"The idea grov^s through the mediation of the artistic
genius. It does not only appear in temporal and transitory
things, but it becomes them. It is nothing apart from these
embodiments. And since apart from the idea nothing truly is,
annihilation has become one M^ith the idea itself, and so vs^e
suffer rightly when we see the most elevating and noble ideals
226 CORONA
dissipated through their necessary earthly existence. We can
find the fault for this in nothing eise — it is the perfection of
art itself which also demands its finitude. The merely tem-
poral and earthly never dies; it is kept in existence through a
continuous change and renewal of its parts. On the contrary
the moment of transition, in which the idea posits its own
destruction, is the seat of art. Here the spirit of the artist must
collect all contradictions in one point, and this all-comprehend-
ing, all-destroying glance we call irony."^
This irony is the most fundamental term of Solger's aesthet-
ics. It corresponds to Hegel's distinction between mere natural,
cyclical change and the dramatic-ethical struggle of the spirit
with itself and with his world. What Solger sees as principle
of irony in aesthetics, Hegel calls dicdectic, the logic of phil-
osophy, comprising the aesthetic irony as an aspect of its truth.
In Solger's irony the aesthetic consciousness is described as
mediating seriousness and humor, creation and enjoyment, ex-
ternality and inwardness. It expresses the hovering, floating,
soaring of aesthetic experience.
It is a rebirth of the Piatonic Eros, the daemon of philosophy
and art, spanning heaven and earth, powerful and impotent,
replenished and longing at the same time.
VII
Irony expresses the opposite of what it means. This obvious
fact is developed in the several ironical forms of art. The
ironical style, in turn, is the occasion for developing irony as a
fundamental aesthetic principle, basic to all art, because all art
is a unity of opposites, all art uses a sensuous surface to express
more than a sensuous surface can legitimately stand for. In
this sense of an aesthetic principle Solger's irony corresponds to
what Hegel calls dialectic. As principle of ironic style it cor-
responds to what Hegel calls modern or romantic art as op-
posed to the classical: the latter treats the sensuous appearance
as sufficient to embrace and to express the whole vision of life,
while the former feels appearance as inadequate and neverthe-
7. Erwtn, p. 387.
SOLGER'S AESTHETICS— A KEY TO HEGEL 227
less unavoidable; the classical or serious, non-ironical art
thereby is seen as embodying irony in the first sense as universal
aesthetic principle, but not explicitly in the second sense as a
consciousness of the appearance as insufficient.
Solger 's irony is a key to dialectical idealism and to its
terminology: the "concrete universal" is the immanence of an
intellectual unity in an appearing individual, which exhibits
the type to w^hich it belongs and v^^hich unfolds its nature in a
manifold of qualities and situations. The "identity of process
and reality" is seen in the identity of imagination with the
structure of gestalt of the perfected work of art.
Hegel sums up his relation to Solger's system as foUov^s:
"Solger w^as not . . . satisfied w^ith a superficial philosophical
culture, but his genuine speculative mind feit compelled to dig
down to the depth of philosophy. There he found the dialec-
tical structure of the idea, the point w^hich I call absolute neg-
ativity, i.e., the activity of the idea to negate itself as infinite
and universal, to posit itself through its negation as finite and
Singular, but likevi^ise to cancel again this self-negation and
thereby restore the universal and infinite meaning in the par-
ticular and finite, . . . This dialectical unrest . . . however, is
only one moment of the idea, not the idea as a whole."^
8. Wer\e, XII, 105.
ADALBERT STIFTER UND DER NACHSOMMER
WOLFGANG PAULSEN, SoUthtVeStCm
I. Das sublimierte Erlebnis
DAS WERK STIFTERS ist von einer einzigartigen Ge-
schlossenheit. Als ein in sich Fertiges steht es da, voller
Entwicklung und doch scheinbar ohne Anfänge. Als
Stifter zur Feder griff, war er ein gereifter Mann, und die
entscheidenden Jugenderlebnisse lagen hinter ihm. In der
Geschichte seiner Dichtung gibt es daher keine Frühwerke im
üblichen Sinne des Wortes, und obgleich wir in den ersten
Erzählungen schon hier und da Spuren finden, die in die
vordichterische Erlebnisweit zurückführen, so müssen wir uns
doch für deren dichterische Bewältigung allein an den 'Nach-
sommer halten. Abgesehen von den wenigen Jugendbriefen
Stifters, die auf uns gekommen sind, und die uns unmittelbar
jenen Stifter zeigen, den er selbst im jungen Risach geschildert
hat, sind alle Selbstzeugnisse über die Periode seiner Entwick-
lung Risachsche "Rückblicke."
In diesen "Rückblicken" aber geschieht nun das Sonder-
bare, dass der alte Stifter sich vom jungen nicht nur in jeder
Hinsicht distanziert, sondern mehr noch: dass er auf eine
geradezu unbarmherzige Weise über ihn zu Gericht sitzt. Wie
Risach erkennt er seine Jugend als eine einzige, grosse Ver-
fehlung. Und wenn irgendwo dem in religiösen Dingen so
wortkargen Stifter der Nachsommer-Zeit doch religiöse Äu-
sserungen unterlaufen, so ist es hier, wo die eigene Jugend als
sündhaft und schuldvoll hingestellt wird. Auf dieser Haltung
den entscheidenden Jugenderlebnissen gegenüber beruht der
ganze Nachsommer, der nichts anderes ist als ein Zustand
STIFTER UND DER NACHSOMMER 229
der Busse für die Verirrungen der Jugend. Er ist eine Busse
und zugleich schon eine Belohnung, eine Belohnung nämlich
für die willig hingenommene Bestrafung der am Anfang
stehenden Sünde. Diese Sünde aber ist Leidenschaftlichkeit,
ungöttliche Formlosigkeit.
Dass die Liebesgeschichte Risach-Mathilde, die im Mittel-
punkt des Romanes steht, im höchsten Masse autobiographisch
ist,^ dafür zeugen schon äusserlich die Redewendungen in der
Ablehnung Risachs durch Mathildes Mutter: beinahe wörtlich
finden sie sich in dem Bericht der Stifterschen Jugendbriefe
über die entsprechende Szene Stifters mit Fannys Mutter
wieder. Wenn daher Risach erkennt, dass er sich schuldig
gemacht hat, so ist diese Erkenntnis Stifters eigene Erkenntnis.
Wir aber müssen uns fragen, wo in dieser ersten, stürmischen
Liebeserfahrung die Schuld liegen kann, denn dass Liebe an
sich nicht Schuld ist in Stifters Augen, das geht aus den
Anschauungen auf jeder Seite seines Werkes hervor. Aber
selbst wenn man diese allgemeine Tendenz in Stifters Dich-
tung nicht in Betracht ziehen will, so müsste schon das dem
Risach-Mathilde-Erlebnis motivisch entgegengesetzte Hein-
rich-Natalie-Erlebnis auf den wesentlichen Punkt hinweisen:
nicht die Liebe ist Schuld, sondern die Art ihrer Hinnahme,
die moralische Unsicherheit, mit der Stifter-Risach ihre Liebe
zur Leidenschaft erniedrigten. Und Stifters Jugendbriefe
sprechen denn auch von nichts eindringlicher als von dieser
erschütternden Unsicherheit.
Aus Unsicherheit verstiess er gegen das oberste Gesetz der
Offenheit und Ehrlichkeit, und zerstörte damit das reine, von
Gott gesetzte Verhältnis von Mensch zu Mensch. Dass dieses
I. Das Urteil der Stifterforschung über den autobiographischen Charakter des
Nachsommer ist noch immer sonderbar geteilt. Obgleich A. Hein {Adalbert Stifter,
sein Leben und sein Werl{, Prag, 1904) und Franz Hüller (in der Einleitung zu B. 6
der Sämtlichen Wer\e, Prag, 1921) bereits hinreichendes Material zusammengetragen
haben, lehnt noch D. Sieber {Stifters Nachsommer, Jena, 1927, bes. S. 77) solche
Parallelen ab, wie ähnlich schon R. M. Meyer, "Adalbert Stifters Nachsommer," in
Die Zeit, Wien, 1903, Nrs. 435 und 436. — Ebenso unbegreiflich ist es, warum (nach
A. von Grolman, Adalbert Stifters Romane, Halle, 1926, S. 49) die Ästhetik des
Nachsommer nicht mit Stifters privaten ästhetischen Anschauungen identisch sein soll.
230 CORONA
Problem des Kindesgehorsams nie aus Stifters Gedanken-
bereich geschwunden ist, beweist, wie tief diese Störung von
Stifter selbst empfunden wurde. In beinahe jeder seiner
Erzählungen und Romane nimmt er Gelegenheit, dieses
Thema ausdrücklich wieder aufzunehmen; es ist für die
geistige Struktur Stifters ebenso bedeutsam wie das Problem
der Kinderlosigkeit.
Ein Verstoss gegen die Ehrlichkeit ist daher ein Verstoss
gegen die göttliche Weltordnung, er ist nicht nur ein Fehler
sondern eine Sünde. Damit, dass Stifter-Risach sich nicht
blindlings dazu verstehen, ihre Liebe zu bekennen, deuteln sie
an der Sinnhaftigkeit göttlicher Ordnung, und dieses Deuteln
ist Schuld. Die Formlosigkeit der Schwäche ist in ihnen
stärker als die Form des religiös-ethischen Gesetzes, sie ist der
Ausdruck ihrer menschlichen Unsicherheit dem Gesetz des
Lebens gegenüber.
Stifter scheiterte also in seinem Fanny-Erlebnis nicht an
den Umständen, sondern vor allem an seiner eigenen Natur.
Er hat "wegen seiner Widersetzlichkeit gegen die Forderungen
der bürgerlichen Welt"" Fanny verloren, nur dass das Wort
"bürgerlich" nicht in seinen irdischen Bezügen allein verstan-
den werden darf. Sein Verhältnis zur Welt, zur diesseitigen
und daher auch zur jenseitigen Welt, war von allem Anfang
an gestört. Das, was späterhin seinen Kritikern als "Resigna-
tion" erscheinen mochte, das "Biedermeierliche" seines Wesens,
liegt also schon vor dem die angebliche Resignation verursa-
chenden "Schock."^ Die tiefe und nachhaltende Bedeutung des
2. Otto Pouzar, in seinem vorzüglichen Buche Ideen und Probleme in Ad albert
Stifters Dichtungen, Reichenberg i.B., 1928, S. 12.
3. Mit der Biedermeier-Forschung kann sich diese Arbeit nur indirekt ausein-
andersetzen. Dass der Begriff "Biedermeier" nicht auf Stifter angewandt werden kann,
geht aus den folgenden Ausführungen hervor. — Ich nenne hier nur die wichtigsten
Beiträge zur Biedermeierliteratur: Wilhelm Bietak, "Vom Wesen des österreichischen
Biedermeier und seiner Dichtung," D. V. S., 1931. — Derselbe: Das Lebensgefühl
des Biedermeier in der österreichischen Dichtung, Wien-Leipzig, 1931. — Derselbe:
"Zwischen Romantik, Jungem Deutschland und Realismus, eine Literatur- und Pro-
blemschau vom Standpunkt der Biedermeierforschung," D. V. S., 1935, Heft i. —
Paul Kluckhohn, "Biedermeier als literarische Epochenbezeichnung," D. V. S., 1935,
Heft I. — Günther Weidt, "Literarisches Biedermeier," D. V. S., 1931. — Derselbe:
"Literarisches Biedermeier II, Die überindividuellen Ordnungen," D. V. S., 1935,
Heft I. — R. Majut, "Das deutsche Biedermeier," Germ. Rom. Mon.-Schr., XX, 1932.
STIFTER UND DER NACHSOMMER 231
Fanny-Erlebnisses beruhte für Stifter vor allem darin, diese
Lebensunsicherheit einmalig und tragisch hervorgekehrt zu
haben. Als Erlebnis hat es ihn in den Wurzeln seiner Existenz
getroffen. Man könnte sogar sagen, dass er sich selbst in seiner
Liebe mehr erlebt hat als den geliebten Gegenstand, Fanny.
Als Stifter seine ersten Erzählungen konzipierte, v^^ar er
schon auf dem Wege der Selbstkorrektion. Rein formal
gesehen äussert sich das darin, dass er tatsächlich schon in
seinen ersten Schriften im Begriff ist, das formlos Romantische
zu überwinden und nach der festen Form zu streben, w^ie er sie
religiös in der Kirche und literarisch in der deutschen Klassik
vorfand. Von Stufe zu Stufe w^ird dieser Vorgang sichtbarer.*
Es ist eine im wahren Sinne des Wortes klassische Selbstüber-
windung und Entsagung, die er zu üben hatte, da jeder Schritt
zur Formgewinnung gegen den eigentlichen Stifter zu gesche-
hen hatte. Das Gesetz, das im nachsommerlichen Rosenhaus
gelebt wird, ist die sichtbar gewordene Überwindung der Will-
kür, die Korrektur der Leidenschaft, an der Stifter-Risach
gescheitert waren.
An dieser Stelle liegt der Ausgangspunkt für jede Deutung
Stifters. Denn dass der Begriff "klassische Entsagung" an sich
nicht ausreicht, wird bei genauerem Zusehen deutlich. Entsa-
gung hat für Stifter nicht nur einen ästhetischen, sondern vor
allem einen religiösen Wert, da der Formlosigkeit im Äusseren
die Sündhaftigkeit im Inneren entspricht. Aus diesem Grunde
konnte er die Formlosigkeit auch nicht von aussen her korri-
gieren, konnte er seine Form nicht in Griechenland oder in
der Philosophie suchen. In ganz christlichem Sinne bestand
seine Wandlung vielmehr in einer Umwertung der ursprüng-
lichen Sünde selbst, in der Sublimierung der Leidenschaft in
Liebe.
Liebe ist daher die Grundlage der Stifterschen Klassik.
Alles in Stifters Werk ist von dieser Liebe getragen, einer
grenzenlosen, sich in jeden Bereich des Lebens ergiessenden
Liebe, und selbst die pedantische Sammelwut, das Züchten und
Kultivieren des Kleinsten und Unscheinbarsten ist ja nichts
4. Vergl. dazu vor allem Sieber, a.a.O., S. 26 ff. und Pouzar, a.a.O.
232 CORONA
anderes als im wahren Sinne des Wortes "Liebhaberei," Liebe
wird im Nachsommer wie im Witiko tm der allein mög-
lichen humanen Haltung, gerade weil es eine völlig unsinnliche
Liebe ist, eine unleidenschaftliche Liebe. Der Weg aus der
Leidenschaft zur Liebe ist der Weg aus der Sünde in die Erlö-
sung, aus der Schuld in die Reinigung, aus dem Un-mensch-
lichen in das Menschliche — und daher in das Göttliche. Stif-
ter selbst hat diese Beziehungen im "Nachsommer" aufgedeckt
und analysiert: "Wenn wir hier alle Dinge ausschliessen, die
nur den Körper oder das Tierische des Menschen betreffen und
befriedigen, und deren andauerndes Begehren mit Hinwegset-
zung alles andern wir mit dem Namen Leidenschaft bezeichnen,
weshalb es denn nichts Falscheres geben kann, als wenn man
von edlen Leidenschaften spricht, und wenn wir als Gegen-
stände höchsten Strebens nur das Edelste des Menschen
nennen: so dürfte alles Drängen nach solchen Gegenständen
vielleicht nicht mit Unrecht nur mit einem Namen zu be-
nennen sein, mit Liebe. Lieben als unbedingte Werthaltung
mit unbedingter Hinneigung kann man nur das Göttliche
oder eigentlich nur Gott; aber da uns Gott für irdisches Fühlen
zu unerreichbar ist, kann Liebe zu ihm nur Anbetung sein,
und er gab uns für die Liebe auf Erden Teile des Göttlichen
in verschiedenen Gestalten, denen wir uns zuneigen können."
Die Gleichsetzung von "körperlich" und "tierisch" deutet
dabei an, woher Stifter die sittliche Kraft zu dieser Korrek-
tion nahm: aus der uralten mönchisch-mittelalterlichen Ge-
ringschätzung des Körpers.
II. Lebensgesetz und episches Gesetz
Die Welt des "Nachsommer" ist von einer rätselhaften
Klarheit, von einer überweltlichen Sonnenhaf tigkeit. Ihre Wirk-
lichkeit scheint nicht unsere Wirklichkeit zu sein. Wie eine
Kuppel ist sie über den Alltag gespannt: denn die Architektur
einer Kuppel ist erst dadurch möglich, dass die Wölbung in
einem bestimmten Verhältnis zu dem Untergrund steht, der sie
trägt. Für das Verständnis der Kuppelstruktur ist der Grund-
riss ebenso wichtig wie die Wölbung.
STIFTER UND DER NACHSOMMER 233
Ebenso verhält sich die Wirklichkeit des Nachsommer
zum alltäglichen Dasein; sie ist kein unrealer, weltfremder
Traum, und nirgendwo wird sie zum Märchen.^ Der grund-
sätzliche Unterschied zwischen dem Märchen und der Nach-
sommer-Dichtung liegt in ihrem Verhältnis zum absoluten
Gesetz, in welcher Form auch immer es auftritt. Denn wäh-
rend der Nachsommer das Gesetz der Humanität sucht und
als Fiktion antizipiert, will das Märchen gerade vom Zwang
des Gesetzes, das in seinem Fall das Naturgesetz ist, erlösen
und eine nur in der Phantasie mögliche, absolute Gesetzlosig-
keit aufbauen. Während der Nachsommer einen Welttraum
schafft, begnügt sich das Märchen mit einer Traumwelt.
Es ist aber der Sinn eines jeden Bildungsromans, aus der
Realität fort in eine höhere, vorbildliche Sphäre des Mensch-
lichen zu führen, eine Welt zu erträumen, in der der zu bil-
dende Mensch seine wahre und ideale Bestimmung wirklich
erfüllt. Der Weg des Bildungsromans ist deswegen immer ein
Weg von unten nach oben, aus dem Ungeist in den Geist, er
ist notwendig ein Entwicklungsroman, in dem der Held sich
harmonisch entfaltet. Seine Entwicklung ist planvoll und ge-
setzmässig, sei es nun, dass das Gesetz in das Innere des Helden
selbst oder in eine oder mehrere vorbildliche Gestalten nach
aussen verlegt wird. Die Gesellschaft vom Turm im Wilhelm
Meister und das Rosenhaus im Nachsommer sind nichts als
solche Verkörperungen des Gesetzes, nach denen der Held
sich immerfort auszurichten vermag.
Es ist daher nicht richtig, dass das Leben im Nachsom-
mer dem Werden der Zeit nicht unterworfen sei, dass seine
Menschen von allem Anfang an fertig dastünden. Risach, die
Zentralfigur des Buches, hat eine höchst bewegte Geschichte
hinter sich, und diese Geschichte hat ihn geformt und aus dem
Menschen der Leidenschaft zu dem der Liebe gemacht. Dass
sein Werden nur rückschauend in die Handlung des Buches
eingeflochten ist, hat rein technische Gründe. Aber auch Hein-
5. So sieht es noch D. Sieber (a.a.O., S. 47): "Der Asperhof ist eine beste Welt,
ein Paradies auf Erden, ein Schlaraffenland für einen Ästheten, ein Märchenreich."
— Ähnlich von Grolman (a.a.O.), S. 31.
234 CORONA
rieh Drendorf ist am Ende des Romans nicht mehr der, der er
am Anfang war; seine Geschichte ist die Geschichte eines
unreifen Menschen, den ein sicherer Instinkt und eine einge-
borene Ahnung für die wesentlichen Werte von Stufe zu Stufe
führen, bis er am Ende jene Weltoflenheit erreicht hat, die die
Vorbedingung ist für jede schöpferische Tätigkeit. Er wird
hingeführt bis zu dem Punkt, an dem er aus einem Lernenden
zu einem Handelnden wird, wenn auch sein Werk selbst nicht
mehr in den Rahmen der Handlung gehört. Gradweise wird
ein Bereich nach dem andern in seinen Gesichtskreis gezogen,
zuerst die Natur, dann der Mensch und als Letztes die Kunst
in all ihren Formen. Die Harmonie, der er zustrebt, ist die
wechselseitige Durchdringung dieser drei irdischen Sphären
auf der Grundlage des göttlich-humanen Gesetzes.
Die Welt des Nachsommer steht deswegen nicht ausser-
halb der Natur, sondern ist die Natur in ihrem Idealzustand,
sie ist ihre Abstraktion, ebenso wie die Urpflanze die Abstrak-
tion der natürlichen Pflanze ist, die Zurückführung auf den
Kern des geistigen und natürlichen Gesetzes. Vollendete Form
und Ordnung sind die Merkmale dieses Gesetzes, das aber
nicht das ehern ausser-menschliche Gesetz Hebbelschen Schick-
sals ist, sondern das frei gewollte Gesetz der Humanität, das
gute Gesetz, das "sanfte Gesetz."^ Alles Zerstörende, das
Prinzip des Bösen, wird durch dieses Gesetz in Schach ge-
halten, und so wie die Vögel im Rosenhaus gepflegt und ange-
lockt werden, um die Raupenplage von den Gewächsen
fortzuhalten, so ist das Gesetz in allem und jedem auf die
aufbauende, positive Tat und nicht auf Verbot gestützt.
Reinlichkeit im Inneren und Äusseren verleiht der Natur
auf diese Weise einen parkartigen und ihren Menschen einen
statuenhaften Glanz. Aber es ist zu bedenken, dass dieser Park
keine Grenzen kennt, dass er nicht utopisches Bereich bleibt,
sondern unmerklich in die Felder und Wiesen der Umgebung
sich ausdehnt, dass er als Möglichkeit überall vorhanden ist.
Nur dem Uneingeweihten, wie dem jungen Heinrich, der zum
6. Stifter hat die Natur des "sanften Gesetzes" programmatisch im Vorwort zu
den Bunten Steinen aufgezeigt.
STIFTER UND DER NACHSOMMER 235
ersten Mal vor das Rosenhaus tritt, erscheint dessen Vorder-
front wirklich als Front, die gegen die Aussenwelt gerichtet
ist und das dahinter Verborgene schützt; dem aber, der wirk-
lich verlangt, in die Innenwelt des Rosenhauses eingelassen
zu werden, öffnet sich das elaborierte Torsystem beinahe
automatisch.
Das Rosenhaus ist als dichterische Erfindung — trotz aller
scheinbaren Vorbilder — ausserordentlich stifterisch. Schon vor
dem Nachsommer finden sich ähnlich abgeschiedene Be-
zirke in den Erzählungen Stifters, obgleich ihre Symbolhaftig-
keit erst hier voll ausgeschöpft worden ist. Die Waldinsel im
"Hochwald," die Klosterinsel im "Hagestolz," ja selbst die
Szenerie in "Brigitta" und im "Abdias" sind ganz ähnlich von
der umliegenden Welt abgeschlossen. Das aber unterscheidet
alle diese Plätze vom Rosenhaus, dass sie lediglich Zuflucht-
stätten sind, auf die sich die müde gehetzten Gestalten zurück-
gezogen haben, nachdem sie auf ihre Weise nicht mit der
Realität fertig geworden sind. Es sind, wenn man will, bieder-
meierliche Schutzanlagen, Verstecke, in denen der Mensch nur
noch auf den Ausgang des Lebens wartet, Plätze der Hoff-
nungslosigkeit und der Resignation. Nur in der "Brigitta"
liegen die Dinge schon andeutungsweise ähnlich wie im Rosen-
haus, da hier die Zuflucht zur aktiven, insgeheim schöp-
ferischen, verborgen faustischen Tat verwendet wird. Brigitta
ist eine jugendliche und temperamentvolle Schwester Risachs.
Im Rosenhaus dann hat Stifter die Vorzeichen gänzlich
umgekehrt, hier hat er eine Stätte geschaffen, zu der der gute
Mensch sich nicht resignierend zurückzieht, sondern sich in
ununterbrochener Schulung auf die Tat vorbereitet, mit der er
die Wirklichkeit umgestalten wird. Hier gewinnt er zwar
nicht direkt neues Land für eine im Räume bedrängte Mensch-
heit, wie der Faust des 2. Teils es tut, aber doch indirekt, indem
er altes Kulturgut systematisch bewahrt und dem Feldbau, als
der vornehmsten menschlichen Betätigung, neue Wege in die
Zukunft weist. In der Welt des "sanften Gesetzes" hat alles
seinen Zweck und seinen Sinn, sodass im planmässigen,
harmonischen Zusammenwirken der Individuen das höchste
236 CORONA
geleistet werden kann. Was als biedermeierliche Resignation
erscheinen könnte, ist in Wirklichkeit die Konzentration aller
Energien auf das eine grosse Ziel: die alles umspannende, gött-
lich-menschliche Kultur.
Das Gesetz des Rosenhauses ist daher nicht blosse ästhe-
tische Spielerei, es ist in keiner Weise un-real, sondern besten-
falls über-real. Obgleich die Verteilung von Licht und Schatten
einseitig zugunsten des Lichtes vorgenommen zu sein scheint,
liegt doch das Licht über einem Untergrund von Schatten,
dem Grunderlebnis tragischer Gesetzlosigkeit. Und gerade
dieses Grunderlebnis deckt sich vollkommen mit dem auto-
biographischen Charakter des Buches, w^ährend der lichtvolle
Überbau nur dessen dichterische Lösung, seine Sublimierung
darstellt.
Die Natur des zentralen Gesetzes w^ird völlig deutlich, wenn
wir den Nachsommer, dieses Werk der Mitte im Schaffen
Stifters, auf das Wirken des Formprinzips hin untersuchen.
Als Ganzes betrachtet setzt sich seine künstlerische Einheit
aus zwei übereinander lagernden Schichten zusammen, den
Lebensbereichen Heinrichs und Risachs. In beiden Schichten
herrscht — wie ähnlich in den Schichten des Witi]{0 — ein
eigentümliches Miteinander von Entwicklung und Stillstand.
Denn wenn es auch scheinen möchte, als ob im Nachsommer
die Luft stillstehe,''' als ob die Charaktere von allem Anfang an
die gleichen und der Zeit nicht unterworfen wären,^ so ist doch
gerade dieser Schein nichts als der stimmungshafte, atmo-
sphärische Ausdruck des absolut herrschenden Gesetzes. Die
Breite der Schilderungen, die für diesen Stillstand verantwort-
lich gemacht wird, sucht mit dem unbegreiflich langsamen
Werden in der Natur Schritt zu halten; es ist die Breite des
Werdens in der Zeit, nicht aber eines zeitlosen Stillstehens.
Heinrich ist, mit diesen Natur-Massen gemessen, ebenso ein
Werdender wie Risach ein Gewordener ist, dessen aufsteigende
7. Emil Kuh spricht einmal von der "psychologischen Klosterstille," die im
"Nachsommer" herrsche {Zwei Dichter Oesterreichs: Franz Grillparzer — Addbert
Stifter, Pest, 1872, S. 396).
8. Vergl. Ernst Bertram, Studien zu Addbert Stifters 'Novellentechni\, Dortmund,
1907, S. 70 f.
STIFTER UND DER NACHSOMMER 237
Lebenslinie in all ihren Phasen im Buch gegenwärtig bleibt.
Aber auch hier ist das Naturgesetz des Werdens das "sanfte
Gesetz," dem das Grosse sich hinter dem Kleinen perspek-
tivisch verbirgt. Man könnte hier tatsächlich von einem klas-
sischen Realismus sprechen, der gerade mit dem Kunstmittel
des Stilisierens der Wirklichkeit nahekommen w^ill. Mit
irgendwelchem Naturalismus oder ähnlichen Bewegungen
unserer Zeit hat das freilich nicht das geringste zu tun.^
Das Formgesetz des Buches fällt mit dem Lebensgesetz
seiner Menschen durchaus zusammen, indem die Lebens-
geschichte Risachs kontrapunktartig über die Heinrich-Ge-
schichte gesetzt ist. Beide Geschichten gehen parallel, aber sie
haben die Schwerpunkte ihrer Erlebnisse, die Liebeserfahrung,
an den entgegengesetzten Enden: die Risach-Geschichte geht,
obgleich sie erst auf den letzten Seiten des Buches rückschauend
als Ganzes berichtet wird, von ihm aus, während die Heinrich-
Geschichte zu ihm hinführt. Auf diese Weise ist die Geschichte
Heinrichs die Korrektion der Geschichte Risachs. Der Schnitt-
punkt der beiden Handlungen ist die Verknüpfung der Ro-
manhandlung, die unmittelbare Gegenwart des Buches.
Diese strenge Linienführung ist bisher kaum beachtet
worden, und doch offenbart sich in ihr der klassische Stifter
vollkommen. Was Emil Kuh einmal vom Witikp bemerkte,
dass "die Linie ... in dieser Dichtung Alleinherrscherin, der
plastische Ausdruck als solcher, ohne Mithilfe psychologischer
Darstellung, ihr ausschliessliches Ziel"^" sei, trifft in weitaus
grösserem Masse, wenn auch keineswegs "ausschliesslich," auf
den Nachsommer zu. So bev^^sst geformt ist diese Linie,
dass sie an die Konstruktionen Hebbels erinnern könnte, wenn
nicht die dahinter stehenden Schicksalsauffassungen gänzlich
unvereinbar wären, wenn — um es kurz zu fassen — diese Linie
bei Hebbel und Stifter nicht in völlig verschiedene Welten
9. Wenn Paul Kluckhohn (a.a.O., S. 43) schreibt: "Man mag diese Linie bis zur
Neuen Sachlichkeit weiterziehen, so jene andere vom Biedermeier über den poetischen
Realismus zur Heimatkunst um 1900 und zu dem völkischen Realismus oder der
Volk- und bodenverhafteten Dichtung unserer Tage," kann dieses Potpourri kaum
etwras anderes als ein Kompromiss mit nicht-literarhistorischen Gedanken sein.
10. Emil Kuh, a.a.O., S. 400.
238 CORONA
wiese. Trotzdem sind beide Dichter im Grunde Konstruk-
teure, aber während Hebbel die Konstruktion als das Schicksal
an sich hinstellt, dient sie Stifter nur als Gerüst, welches der
künstlerischen Anschauung den Halt des Gesetzes verleiht.
Wenn wir nicht ohnehin wüssten, mit welch minutiöser Sorg-
falt Stifter alle seine Werke aufgebaut und ausgearbeitet hat,-^^
aus der strengen Komposition allein des Nachsommer müsste
sein klassischer Formwille abgelesen werden können.
Die Zweiteiligkeit im Aufbau des Buches setzt sich bis in
alle seine Teile fort. Es ist sonderbar zu sehen, wie weitgehend
Figuren und Räumlichkeiten paarweise zusammenstehen. Jede
menschliche und räumliche Einheit scheint ihrer Ergänzung
zu bedürfen, in der sie aufgeht und durch die sie sich gleich-
zeitig auch wieder abhebt. So steht das Land als Kontrast
gegen die Stadt, das Rosenhaus gegen den Sternenhof, das
bürgerliche Haus des Vaters gegen das Haus der Fürstin —
Heinrich gegen Gustav, Heinrichs Vater gegen Risach, Hein-
richs Mutter gegen Mathilde; aber auf der anderen Seite
treten alle diese Figuren auch wieder paarweise zusammen,
wie Risach und Mathilde, Heinrichs Vater und Mutter, Hein-
rich und Natalie als Liebende und Heinrich und Klothilde wie
Gustav und Natalie oder Roland und Eustache als Geschwister,
und selbst der Gärtner ist nicht ohne seine Frau zu denken.
Die Entwicklung des Buches strebt zu einer neuen und hö-
heren Verschlingung dieser Paare, die, ohne auseinander zu
treten, doch wieder neue Einheiten bilden, in denen das
Zweier-Prinzip gewahrt bleibt. In der Schlusszene des Romans
stellen sie sich in dieser idealen Gruppierung dar, die Väter
und die Mütter, Natalie und Klothilde als Schwester und
Geliebte finden sich in Freundschaft, und die beiden Familien
verschmelzen zu einem harmonischen Ganzen. Alle diese
Dinge können hier freilich nur angedeutet werden, aber sie
sind doch so zwingend, dass sich der Vergleich mit Stifters
kinderloser Ehe aufdrängt, in der Mann und Frau allein stehen
II. So konnte Stifter z.B. über seine Arbeit am Witikfi schreiben: "Was ich vom
Witiko weggeworfen habe, würde, wenn es gedruckt wäre, sieben bis acht Bände
füllen." (Brief an G. Heckenast vom 17. Dezember 1864.)
STIFTER UND DER NACHSOMMER 239
und sich in ähnlicher Weise stützen, aber der Auflösung in
höherer Harmonie durch ihre Kinder entbehren. Doch ebenso
spiegelt sich darin der tiefe Dualismus der Stifterschen Welt-
haltung, in dem die reale Wirklichkeit des Alltags und die
gewünschte Wirklichkeit der Dichtung, als die äusserste
Paarung, auseinanderfallen und wieder zusammentreten.
Der grösste Gegensatz zwischen dieser dichterischen Kon-
struktion Stifters und der Hebbels aber besteht vor allem in
der Art der Lösung des tragischen Grundkonfliktes. Hebbels
Schlüsse sind deswegen im dramatischen Sinne tragisch, weil
sie unmittelbar aus dem Konflikt abgeleitet sind. Konflikt und
tragische Lösung stehen gleichsam auf derselben Lebensebene,
dem Dramatiker bedingt eines folgerichtig das andere. Für
den Epiker Stifter aber spielen sich Konflikt und Lösung auf
verschiedenen Ebenen ab, sie werden nie zu einer Einheit, son-
dern beharren in ihrer dualistischen Spaltung, da die Lösung
als Überwindung des Konfliktes in eine neue, ideale, gereinigte
Wirklichkeit führt. Nicht immer findet diese geistige Ver-
schiebung so offensichtlich ihren Ausdruck in einem wirk-
lichen Szenenwechsel, einer Auswanderung geradezu aus der
tragischen in die ideale Landschaft, wie im "Abdias." Aber
ob nun die Szene wirklich gewechselt, oder ob die tragische
Landschaft in eine harmonische hinaufgeläutert wird — die
Tendenz ist doch immer die gleiche. Dieser Doppelschichtig-
keit von Konflikt und Lösung entspricht daher die Doppel-
schichtigkeit der Nachsofnmer-VLdinAXxxng und ihre gleichsam
dualistische Szenerie.
Das Rosenhaus, der Hauptschauplatz des Nachsommer,
ist eine solche erhöhte Lebensschicht. In ihm ist die Über-
windung des tragischen Konfliktes, dessen Realität nur noch
im Bericht Risachs in den unmittelbaren Umkreis des Rosen-
hauses hineinreicht, sichtbar geworden. Es ist eine ideale
Landschaft, aber es ist sicher keine "resignierte" Landschaft, da
sie immer von der tragischen Wirklichkeit abhängig bleibt.
Die Vergangenheit Risachs ist zwar überwunden und als Verir-
rung erkannt, aber untergründig ist sie doch auf jeder Seite
des Buches gegenwärtig, und die Bedrohung, die von ihr
240 CORONA
ausgeht, wird niemals endgültig ausgeschaltet. Überall be-
gegnen dem jungen Besucher Heinrich diese Bedrohungen als
das treibende Motiv der Handlung: in der peinlichen, ja
beinahe pedantischen Ordnung, in der landwirtschaftlichen
Ökonomie, in der Formelhaftigkeit der menschlichen Bezie-
hungen oder in dem Kampf gegen den Verfall der Kunstwerke.
Und eben das ist die Bedeutung all dieser Überkompensierun-
gen, dass sie gerade durch die Geste des Zudeckens auf das
Zugedeckte selbst aufmerksam machen. Ins Religiöse übersetzt
Hesse sich eine solche Überwindung tragischer Erlebnisse nur
als mönchisch bezeichnen, und das Rosenhaus ist denn auch,
unter diesem Gesichtswinkel gesehen, ein ins Geistig-Kulturelle
gewendetes Kloster, ein Laienkloster, in dem die mönchischen
Ideale wie Keuschheit, Güte, Ehrfurcht und Frömmigkeit mit
dem klassischen Gedankengut eine ganz neue Verbindung
eingehen. Den nachsommerlichen Klostergeist mag Stifter
allerdings schon während seiner Schulzeit in Kremsmünster in
sich aufgenommen haben.
Von hier aus lassen sich nun bestimmte Einsichten in die
Kunst Stifters, in seine dichterische Technik gewinnen. Das
Entscheidende nämlich ist, dass Stifter den Alltag, den Bereich
des tragischen Konfliktes, niemals unmittelbar, sondern nur
von der Wunschwirklichkeit aus ins Auge fasst. Die alltägliche
Welt ist für ihn als unmittelbarer Dichtungsgegenstand un-
brauchbar, da das Walten des Gesetzes in seiner unverfälschten,
idealen Reinheit nicht darin aufgezeigt werden könnte, ohne
gegen jede Wahrscheinlichkeit und Natürlichkeit zu Verstössen.
Ein solcher Verstoss wäre die Sünde wider die Kunst schlechthin.
Nur dann kann das Gesetz vorbildlichen Einfluss auf das wirk-
liche Leben gewinnen, wenn es vor-bildlich, d.h. von aussen
her das Leben konfrontiert, anstatt es idealistisch von innen
heraus zu veredeln. Dass aber das Gesetz doch wieder als
Vorbild den Alltag beeinflussen könnte, verrät Stifters päda-
gogische Neigungen, Neigungen, die freilich aus den An-
schauungen keines der grossen Dichter fortzudenken wären.
Es ist das Vorrecht des Dichters, das Ziel zu idealisieren und
als eine zweite, höhere Wirklichkeit so zu gestalten, als wäre
STIFTER UND DER NACHSOMMER 241
es tatsächlich schon erreicht. Nur aus dem Glauben an die
schliessliche Möglichkeit und Realisierbarkeit der Humanität
kann er diese provisorische Zweiteilung der Welt vornehmen.
Nur dann konnte Stifter dichten, v^^enn er die ideale Wirk-
lichkeit hinter der realen sah. Die Realität als solche entzog
sich seiner Kunst. Aus diesem Grunde misslang ihm jede
Schilderung, die nicht die Wunschwirklichkeit betraf, wie die
blassen und farblosen — ja beinahe gequälten Darstellungen
winterlichen Stadtlebens im Nachsommer. Und wenn man
den Begriff Realismus immer noch auf Stifters Kunst anwen-
den möchte, so muss man sich darüber im klaren sein, dass es
gerade die idealistische Welt ist, die er realistisch schildert, ein
Phänomen, das uns in der Geschichte der Literatur auch sonst
nicht unbekannt ist.^^
Sicher aber geht es nicht an, Stifters Dichtung — und be-
sonders den Nachsommer — als Flucht-Dichtung zu bezeich-
nen.^^ Gerade die Flucht Stifters aus der Wirklichkeit soll als
typisch biedermeierlich gelten, da mit ihr auf eine Lösung der
Zeitprobleme verzichtet und ein Ideal für die Trostlosigkeit
der Zustände substituiert wird. Dass Stifter ein bürgerlicher
Dichter war, wie ihn nur das auf dem Erbe der Aufklärung
und den ihr folgenden Geistesbewegungen stehende 19. Jahr-
hundert hat hervorbringen können, ist unverkennbar. Wie
tief Stifter im Bürgertum tatsächlich verwurzelt war, kann an
dieser Stelle nur angedeutet werden. Bürgerlich ist die Natur
der Arbeit, die seine Helden verrichten, eine Arbeit, die einzig
und allein in einem idealen Sinne um ihrer selbst willen ge-
schieht, ohne jemals zu einem notwendigen Mittel des Broter-
werbs zu werden. Bürgerlich, im typisch deutschen Sinne des
Wortes, ist sein Vorübergehen an dem politischen Geschehen
der Zeit, das niemals in die Sphäre seiner dichterischen Kon-
zeption eindrang — und es heisst Stifter völlig verkennen, wenn
man den Ereignissen der 48er Jahre einen mehr als oberfläch-
lichen Einfluss auf seine Entwicklung zuschreiben will; selbst
12. Ich denke zum Beispiel an den religiös-symbolischen Realismus Franz Kafkas,
der allerdings aus ganz anderem religiösem Erbe stammt.
13, So Emil Kuh, a.a.O., S. 354, und Ernst Bertram, a.a.O., S. 31.
242 CORONA
in seinen Briefen aus jener Zeit ist die Beeindruckung durch die
Zeitvorgänge höchst vorübergehend. Typisch bürgerUch ist
sein Verhaken dem Adel gegenüber, dem immer die Rolle
einer Erfüllung und Überordnung des Bürgertums zuerkannt
wird. Es ist nicht zufällig, dass Risach ein in den Adelsstand
erhobener Bürger ist, und dass für Heinrich Drendorf die
Aufnahme in die Adelskreise (Fürstin) gleichbedeutend ist mit
Anerkennung und gesellschaftlicher Stellung. Das nachsom-
merliche Leben als solches ist versteckt adelig, es bewegt sich
genau an der Scheidelinie zweier Gesellschaftsklassen. Es ist
aber wohl kaum zu bestreiten, dass diese adelige Zersetzung
des Bürgertums vor allem österreichisch ist, und die Parallele
mit der Haltung Rilkes in neuerer Zeit bietet sich unmittelbar
an; doch auch die Geschichte der deutschen Klassik kennt
entsprechende Vorgänge. — Bürgerlich aber ist vor allem Stifters
völliges Übersehen der materiellen Bedingtheiten. Ein Leben
ohne die primitivsten materiellen Sicherungen gibt es für seine
Menschen nicht, da die blosse Lebenssorge sie von der Bemü-
hung um das Höhere ablenken würde. Der Besitz ist ein
integraler Teil des Besitzers, wie sein Charakter; auf ihn ist
man stolz, denn ihn kann man jeden Augenblick vorzeigen,
und im Anschauen des Besitzes sieht man in Wirklichkeit den
Besitzer selbst. Es mag sein, dass Stifter auch mit dieser
Unbekümmertheit schon in Kremsmünster vertraut wurde, sie
ist aber um so seltsamer, als Stifer selbst sein ganzes Leben
hindurch nicht von den drückendsten Geldsorgen frei wurde.
Flucht aber ist seine Dichtung trotz alledem nur insoweit,
wie auch der mittelalterliche Künstler von den äusserlichen
Notwendigkeiten des Lebens absah, wie seit je der religiöse
Dichter die Materie dem Geiste unterordnete. Diese bereit-
willige Unterordnung entspricht der Selbstverständlichkeit, mit
der der katholische Mensch die Lösung seiner religiösen Pro-
bleme der Kirche überlässt. Nicht nur der "Hochwald," Stifters
ganzes dichterisches Werk ist nicht eine Flucht aus der Welt,
sondern im Gegenteil: "eine Weltschöpfung," ^^ ein "In-Eins-
14. Pouzar, a.a.O., S. 29.
STIFTER UND DER NACHSOMMER 243
Schauen der individualistischen und der geoffenbarten Wirk-
lichkeit."^^
HI. Der katholische Klassiker
Das Gesetz des Stifterschen Werkes ruht sicher in der
katholischen wie in der klassischen Tradition. Das Gemein-
same des Katholischen und des Klassischen ist für Stifter das
Gesetz, welches durch Entsagung erreicht wird, durch die
ständige Überwindung des zerstörerischen Prinzips der Form-
losigkeit. Wieder ist es der benediktinische Geist Krems-
münsters, der "sein bis zur Brutalität leidenschaftliches Tempe-
rament . . . bändigte," und "auf dessen tragendem Grund" die
Bildungselemente des klassischen Erlebnisses aufgebaut werden
konnten.^^
Der Wirkungsbereich dieses Gesetzes konnte deswegen
ungleich grösser sein als der der Weimarer Klassik, da es die
Persönlichkeit gleichermassen im Diesseits wie im Jenseits
verankerte. Beide Welten konnte der Blick in eins schauen
und in ein Gleichgewicht bringen, das in Weimar unmöglich
schien. Christentum und Antike bildeten zum ersten Mal
keine Gegensätze mehr, und in der Kunstanschauung des
Nachsommer kommt diese Verschmelzung nachdrücklich
zum Ausdruck, indem antike und gotische Kunst in ein- und
demselben Raum zusammenstehen.^'^ Die schöne Form der
Antike und die sittliche Formschönheit des Mittelalters verhal-
ten sich, unter diesem Blickwinkel gesehen, wie das Innere
und das Äussere eines Gebildes. Was in der deutschen
Klassik Goethes identisch war und sich aus sich heraus wech-
selseitig bedingte, die ethische und die ästhetische Form, fiel
in der österreichischen Klassik in seine beiden Teile auseinan-
der, um in einer höheren Verbindung, dem göttlichen Gesetz,
wieder harmonisch zusammenzutreten.
15. Günther Müller, "Stifter, der Dichter der Spätromantik" in: Jahrbuch d.
Verb. d. Vereine ^ath. A\ademi\er z. Pflege d. \ath. Weltanschauung (Augsburg,
1924), S. 31.
16. Günther Müller, a.a.O., S. 35. — Konrad Steffen {Adalbert Stifter und der
Aufbau seiner Weltanschauung, Horgen-Zürich/ Leipzig, 193 1) weist auf das "hie-
rarchische Weltbild" hin, das Stifter in der Kirche erlebte, und in dem sich ihm
"Ordnung," "Ehrfurcht," "Dauer" und "Sein" offenbarten. (S. 72 ff.)
17. Pouzar, a.a.O., S. 102.
244 CORONA
Die Weltfreudigkeit der Klassik Goethes wird in der öster-
reichischen Klassik Stifters auf diese Weise in eine göttliche
Weltfreudigkeit erweitert und umgedeutet. Oder um es anders
zu sagen: während der deutsche Klassiker die Formlosigkeit
durch sein planmässiges Selbstabriegeln nach aussen über-
wand, überwindet der katholische Klassiker sie durch ein
gleichmässiges Ausgiessen der "amor dei." Der Name Jean
Pauls drängt sich dabei als Erklärung auf, und doch hat dessen
All-Liebe wenig zu tun mit dieser Stifterschen Durchdringung
des Alls mit Liebe. Trotzdem aber kann man hier von einem
Münden der romantischen Tradition in die klassische sprechen,
denn dass Stifter durch die katholischen Romantiker in das
katholische Mittelalter fand, ist nicht zu verkennen.
Beinahe seit dem Beginn seiner dichterischen Laufbahn
hatte Stifter in Goethe das absolute künstlerische und mensch-
liche Vorbild gesehen. Hinzu kam, dass beide Dichter viele
gemeinsame Neigungen und Interessen hatten: beide hatten
sie lange zwischen Malerei und Dichtung geschwankt und
sich erst verhältnismässig spät endgültig zur Dichtung ent-
schieden; beide hatten weitgehende wissenschaftliche Aspiratio-
nen und — um nur auf einiges hinzuweisen — beide liebten das
Sammeln um des Sammeins willen.^^ Hinter all diesem aber
stand die Form klassischen Menschentums, die Stifter in
Goethe suchte und fand, und erst auf diesm Boden lassen sich
ihre Neigungen und Interessen vergleichen. Von Stufe zu
Stufe und von Werk zu Werk drangen die Anschauungen
Goethes tiefer und wesentlicher in das Dichtertum Stifters ein
und drängten das zügellos Romantische in Haltung und
Gestalt zurück.^^ Die Beziehungen vor allem zwischen dem
Wilhelm Meister und dem Nachsommer sind sehr eng;
bis in den Stil hinein ist der Roman Stifters von seinem grossen
Vorbild abhängig.^"
So weit geht die unmittelbare und indirekte Bezugnahme
Stifters auf Goethe, dass man sich bis heute nicht hat einigen
18. Auch das Sammeln soll ein typisch biedermeierlicher Zug sein; dass Goethe
selbst diese Eigenschaft als väterliches Erbe betrachtet hat, sollte zu denken geben.
19. Vergl. S. 4, Anm. 2.
30. Siehe Hüller, a.a.O. und Sieber, a.a.O.
STIFTER UND DER ISI ACHSOMMER 245
können, ob und wie weit Stifter nicht einfach als ein Goethe-
Epigone bezeichnet werden könnte.^^ Stifter ist so weit und
so wenig Epigone wie Grillparzer es ist. Wenn man diese
beiden vielleicht grössten Österreicher des vorigen Jahrhunderts
Epigonen nennen will, wird man die ganze österreichische
Literatur bis zu Robert Musil epigonal nennen müssen und
damit ihre wesentliche Eigenart völlig verkennen. Dass eine
solche Fragestellung müssig ist und zur Klärung des Problems
nicht beiträgt, kann deswegen nicht genug betont werden. Es
ist ja nicht die unbesehene Übernahme der Werte, die zur
Frage steht, sondern die Art, wie diese in das Stiftersche Werk
assimiliert werden konnten. Dass Stifter tatsächlich den
geistigen Besitz der deutschen Klassik mit dem der katho-
lischen Tradition zu verschmelzen vermochte, zeigt, dass es
sich in keiner Weise um eine bedenkenlose Herübernahme
handelt.
Schon Franz Grillparzer hatte den Prozess der Assimilie-
rung klassischen Gedankengutes in Österreich begonnen;
Stifter hat das gesehen und Grillparzer immer als den reprä-
sentativen Dichter Österreichs anerkannt. Eine solche Assimi-
lierung aber war nur möglich in einer Verschmelzung mit
dem katholischen Erbe, und so war es auch die Kirche, die
diese Vorgänge mit besonderem Misstrauen verfolgte. Zum
sichtbaren Konflikt kam es, als die kirchlichen Kreise das
Schullesebuch, das Stifter mit seinem Freunde Johann Aprent
herausbringen wollte, als nicht katholisch genug ablehnten,
ein Konflikt, der aber in keiner Weise Stifters religiöse Sicher-
heit berührte.
Man hat Stifters Klassik einmal eine "romantisch-sentimen-
talische Klassik" (Sieber) und ein andermal eine "Klassik
nach der Romantik" genannt.^^ So unzureichend und wenig
befriedigend diese Umschreibungen sind, so gehen sie doch von
einem Gefühl für den richtigen Sachverhalt aus. Was sich in
ihnen hinter dem Begriff "Romantisch" verbirgt, ist in Wirk-
21. Einen Epigonen nennen Stifter z.B. Hüller, a.a.O., S. LXIX, Pouzar, a.a.O.,
S. 135, Sieber, a.a.O., S. iii.
22. Margarete Gump, Stifters Kunstanschauung, München, 1927.
246 CORONA
lichkeit das Katholische, das ReHgiöse in seiner österreichisch-
kathoHschen Prägung, die benediktinische Tradition, die in
ihrer Haltung zum Mittelalter mit der Romantik zusammen-
trifft.^'
Es ist nun freilich zuzugeben, dass das religiöse Element,
das so tief zu dem eigensten Wesen Stifters gehört, in seinen
Dichtungen niemals an die Oberfläche der Diskussion tritt.
Der Grund hierfür ist darin zu suchen, dass der Glaube für
den Gläubigen das schlechthin Geglaubte ist, und dass er schon
zerstört ist, wo er diskutierbar wird. Die religiöse Ausrichtung
ist bei Stifter von allem Anfang an da und wird im Verlaufe
seiner dichterischen Entwicklung nur immer offenkundiger,
bis sie im Witikp auch dem Schwerhörigsten kaum mehr
verborgen bleiben kann. Schon von den Studien zu den
Bunten Steinen ist ein entschiedenes Zunehmen des religiö-
sen Kolorits festzustellen, und eine Erzählung wie "Berg-
kristall" ist in den Studien noch nicht möglich. Es ist daher
keineswegs so, als ob erst der alternde Dichter die Welt der
religiösen Wahrheit entdeckt oder wiederentdeckt hätte. Eben
darin liegt der Unterschied zwischen ihm und all den kirch-
lichen Trommlern, wie Friedrich Schlegel und Clemens Bren-
tano, dass er weder ein Konvertit noch ein in die Kirche
Heimkehrender war. In ständigem, organischem Wachstum
gewann er sich die Tiefe religiöser Erkenntnis, konnte er das
kindlich Unbewusste in das Bewusstsein der Dichtung führen."^
Das Katholische ist in Stifter also nicht als Frage sondern
23. In Stifter einfach einen Romantiker zu sehen, geht seit den in dieser Hinsicht
abschliessenden Arbeiten von D. Sieber und O. Pouzar nicht mehr an. Günther
Müllers Deutung Stifters als eines Dichters der katholischen Spätromantik muss
korrigiert werden: Müllers Unterscheidung von suchender und im Katholischen
ruhender Romantik lässt sich nicht halten, ohne dass der ganze an sich schon wenig
greifbare Romantik-Begriff gänzlich in sich zerfiele. Ich möchte aber betonen, dass
trotzdem Müllers Essay eine der aufschlussreichsten Arbeiten der Stifterforschung ist.
24. Exnst Bertram geht einmal noch einen Schritt weiter, wenn er schreibt: "Er
ist in der Tat durchaus ein geistlicher Typus. Man kann ihn sich vorstellen als einen
Domherren des 18. Jahrhunderts, oder als einen Pfarrherrn, wie Annette von Droste
ihn malt. Er hat sein Leben lang etwas von dem Benediktinergeist bewahrt, der den
jungen ländlichen Wildling im oberösterreichischen Kremsmünster bildete. . . . Seine
Dichtungen haben bei all ihrer lieben Weltlichkeit zuletzt etwas von Klosterkunst,
im mittelalterlich auszeichnenden Sinne." Georg Christoph Uchtenberg — Adalbert
Stifter; zwei Vorträge, Bonn, 1919, S. 58.)
STIFTER UND DER NACHSOMMER 247
als Antwort gegenwärtig. Alle Requisiten seiner Erzählungen
haben diese katholische Färbung, selbst — wenn auch weniger
greifbar — im Nachsommer. Seine Menschen leben in ka-
tholischer Atmosphäre und wären in einer protestantischen
Welt in solcher Selbstverständlichkeit nicht denkbar. Ohne
dass sie sich darüber Rechenschaft ablegen, zentriert ihr Leben
im katholischen Gottesdienst, der ein natürlicher Teil ihres
irdischen Daseins ist, wie Essen und Trinken. So sicher sind
sie in diesen Glauben gebettet, dass das Schicksal ihnen niemals
etwas anderes ist als das "Geschickte" — wenn wir im Augen-
blick von dem der tief tragisch erlebten Kinderlosigkeit
absehen. Das Schicksal an sich ist für sie völlig untragisch,
weil sie es in ihren Lebensbereich einbezogen haben und auf
ihm stehen. Der Grund ihrer Haltung ist auch hier nicht
Resignation, sondern Glaube, Glaube in einem allumfassenden
Sinne, der auch das Irdische durchdringt und vergöttlicht.
Hierin ist der so unproblematische und undramatische
Charakter aller Stifterschen Dichtungen begründet. Und das
unterscheidet wieder den österreichisch-katholischen Klassiker
Stifter von dem deutschen Klassiker Goethe, dem das Schicksal
niemals schlackenlos in das Gesetz aufging, der nur für den
Augenblick die Überwindung der schuldhaften Formlosigkeit
vollziehen konnte.
Ebensowenig begriff der protestantische Tragiker Hebbel
die Gesetzhaftigkeit der Stifterschen Klassik, wenn er meinte,
dass das "ausartende Genre" des Nachsommer sich "mehr
und mehr vom alles bedingenden, aber auch alles zusammen-
haltenden Zentrum" losrisse.^'' In diesem einen Urteil bricht
die fundamentale Verschiedenheit der beiden Gesichter deut-
schen Geistes auf, denn genau das Gegenteil dieser Feststellung
ist richtig, nur dass das Zentrum Stifters in keiner Weise das
Zentrum Hebbels war.
IV, Typus und Mythos
Es ist einmal darauf hingewiesen worden, dass es in Stifters
Kunst nur einzelne Menschen gebe.^^ Eine solche Aussage
25. So in Friedrich Hebbels Aufsatz, "Das Komma im Frack," von 1858.
26. Ernst Bertram, Novellentechnif^, S. 65.
248 CORONA
trifft durchaus zu, solange man nur die Studien und die
Erzählungen der Bunten Steine im Auge hat. Man kann
aber dem Werke Stifters nicht gerecht werden, wenn man es
nur von seinen Anfängen her beurteilt, da das gewaltige
Wachstum seiner späteren Dichtung in dieser Perspektive ver-
loren geht. Die Notwendigkeit, den Witi^o statt dessen zum
Ausgang der Betrachtung zu wählen, ist schon hervorgehoben
worden.^^
Wenn wir nun von diesem Buch aus an das Gesamtwerk
Stifters herantreten, erkennen wir in der Tat einen ganz ande-
ren Rhythmus seines Dichtertums, das von Stufe zu Stufe
nicht nur in die Breite sondern vor allem in die Tiefe schwillt.
Mit fortschreitendem Gewinn klassisch-katholischer Form tritt
das Individuum in Stifters Werk zurück, ohne jedoch jemals
völlig aus den Augen verloren zu werden. Es gewinnt an
Raum, indem es sich mit anderen Individuen zusammen-
schliesst, zu immer neuen, wesentlicheren Obereinheiten. Von
den Einzelpersönlichkeiten der ersten Erzählungen, mit ihren
ganz privaten Schicksalen, schreitet der Dichter im Nach-
sommer zur Einheit der Familie fort, um schliesslich im
Witiko die letzte Ausweitung zur organisch gewordenen und
werdenden Nationalgemeinschaft zu finden.
Trotz dieser Entfaltung aber waren alle Möglichkeiten
schon in den Erzählungen keimhaft enthalten. So gehört die
Frage nach der Familie engstens in den Problemkreis der
Kinderlosigkeit, von dem der frühe Stifter nicht loskam. Gerade
diese Abhängigkeit aber Hess die Familie noch nicht zu dem
höheren, harmonischen Zusammenschluss, dem organischen
Miteinander werden, sie erschien lediglich als die Trägerin
des Generationsproblems, als ein Nacheinander und eine Ab-
folge. Andererseits aber war es gerade dieser Einblick Stifters
in das Kommen und Gehen der Generationen, der Geschlech-
terreihen von "Nachkommenschaften," der ihn hinführen
musste auf die dem Werden der Geschichte zugrunde liegen-
den Kräfte. Die Aneinanderreihung von Augenblicksbildern
27. Günther Müller, a.a.O., S. 28.
STIFTER UND DER NACHSOMMER 249
musste ihm notwendig — in geradezu filmischem Sinne — die
grossen Zusammenhänge der Menschheitshandiung offenbaren.
Die Ausweitung des Lebensstromes von den Studien
über den Nachsommer zum Witikp steht einzigartig da
in der deutschen Literatur. Sie bedeutet wahrhaftig alles
andere als ein Nachlassen von Stifters "poetischer Kraft . . .
an seinem Lebensabend."^^ Es ist der Weg eines bürgerlich-
katholischen Dichters in den Mythos."''
In dieser Entwicklungslinie bedeutet der Nachsommer
tatsächlich das Mittelstück der Stifterschen Kunst. Es ist jener
Punkt der geistigen Entfaltung Stifters, in dem er sich von der
rein individualistischen Anschauung freigemacht hat, ohne
aber die historisch-universelle Schau seines letzten Werkes
erreicht zu haben. Das Mittelglied zwischen Individuum und
Geschichte ist die Familie, in der der Einzelmensch sich in die
Kette der Geschlechter und Generationen einordnet. Das
Problem der Kinderlosigkeit ist im Nachsommer zum ersten-
mal durch eine Art Wahlverwandtschaft ausgeglichen wor-
den,^*' um dann im Witiko wirklich überwunden zu werden.
Dass die Nachsommer-Lösung dieses bedeutungsvollen Pro-
blems nicht genügte, vmrde Stifter zu eben derselben Zeit durch
den Selbstmord seiner Pflegetochter tragisch in der Wirklich-
keit bewiesen. Die Überwindung der Kinderlosigkeit durch
den Kind-Ersatz konnte nur eine vorübergehende sein und
verlangte nach tieferer Schau. Erst dort, wo das Individuum,
unabhängig vom Kind und von allen Nachkommenschaften,
in der Geschichte, im Fluss des Lebens selbst, untertauchen
kann, wo es letztlich aufhört, Begrenzung zu sein, ist das Pro-
blem wirklich gelöst.
Die mythologische Ausweitung der Dichtung Stifters lässt
sich aber nicht nur am Inhalt, sondern auch in der Form der
Werke selbst aufzeigen. Schon früh haben Stifters Menschen
28. Dieses unbegreifliche Urteil findet sich in Hüllers Einleitung zum Nach-
sommer (Prag, 1921), S. XVI.
29. Schon D. Sieber sieht im Nachsommer eine Gestaltung von "Goethes Leben
als Mythos," a.a.O., S. 38.
30. Pouzar (a.a.O., S. 104) sieht den Anbau der ganzen Heinrich-Geschichte
an die Risachs "durch das Problem der Kinderlosigkeit bedingt."
250 CORONA
begonnen, sich zu Typen zu entwickeln.^ ^ Daher mag ein gut
Teil der unpersönlichen Blässe kommen, jener "Familienähn-
lichkeit aller dieser Gestalten," die angeblich so vollkommen
sein soll.^" Die Menschen Stifters gewinnen in immer stei-
gendem Masse die Funktion, Schalen zu sein. Schalen für über-
persönliche— nicht aber un-persöniiche — Inhalte. Das Aus-
gehen Stifters vom dichterischen Moment anstatt von der
menschlichen Figur, von der Lösung anstatt von der Tragik,
hat von allem Anfang an die Schilderung seiner Gestalten
beeinträchtigt, aber eben diese Schwäche der Charakterzeich-
nung ist vom späteren Stifter bewusst ins Typisch-Mythologische
umgebogen und ausgeweitet worden.
Die Typen des Nachsommer und des Wiükp sind
daher keineswegs mehr die Typen der frühen Erzählungen.
Hier stehen sie auf einem geistigen Hintergrund, der sie mit
Bedeutung füllt und zu wirklichen Trägern macht. Was im
frühen Werk Stifters ein Fehlen ist, ein Fehlen an persönlichen
Zügen, ist in den späteren Dichtungen ein Überschuss, ein
Überfliessen von überpersönlicher Sinnhaftigkeit. Die Typen
der klassischen Dichtungen Stifters sind wirkliche Träger der
Idee, Teile des Ganzen, menschliche Einheiten, Mikrokosmen,
die sich frei zusammenschliessen zur menschlichen Gesell-
schaft, zur Familien- und Geschichtstradition.
Die Existenz dieser Mikrokosmen beruht in einer sinnvollen
Freiheit. Die Haltung Risachs zur Welt ist nicht anders als die
Witikos, beide wirken sie aus eigenem Antrieb das Gute und
Vollkommene, beide sind sie aber auch gebunden durch den
Gehorsam, die freie Unterwerfung unter die göttliche Ord-
nung; auch der Kindesgehorsam hat seine tiefgehende Wand-
lung erfahren. So wie der Herzog Wladislav im Wiüko die
Königskrone nur als Geschenk von aussen und oben, durch
den irdischen Stellvertreter Gottes, den Kaiser, annehmen
kann, so nehmen auch die Menschen des 'Nachsommer das
Gesetz nur als göttliches Gesetz hin. Das Verhältnis der Men-
31. Pouzar zeigte dies schon an der Erzählung "Der beschriebene Tännling" auf.
(a.a.O., S. 55.)
32. Bertram, a.a.O., S. 70.
STIFTER UND DER NACHSOMMER 251
sehen zueinander ist, auf Grund dieses Gesetzes, ein durch und
durch positives Verhältnis, und die Äusserungen von Indivi-
duum zu Individuum sind feierlich und formvoll. Der Dank
und seine materielle Form, das Geschenk, sind Riten, in denen
Individuen — Mikrokosmen — sich ehren,^^ sie sind der sicht-
bare Ausdruck einer mythologischen Handlung. In den langen
Debatten im Witiko — aber auch schon in den Unterhaltun-
gen im Nachsommer — hat jeder Mensch ausdrücklich das
gleiche Recht, und jeder muss gehört werden und zu Worte
kommen. Ohne dass das Wort jemals fiele, ist doch der
Grundton der politischen Haltung im besten Sinne des Wortes
demokratisch. Eine politische Beratung ist nicht nur eine
Beratung über den jeweilig zur Diskussion stehenden Gegen-
stand, sondern eine feierliche Handlung, ein Ritus, in dem
das freiwillige Zusammenspiel der Individuen und ihre Un-
terordnung unter das Gesetz versinnbildlicht wird. Es ist eine
heilige Handlung, eine profane Messe, die gewöhnlich sogar
der Bischof oder der Priester zelebriert, das politische Seiten-
spiel zum katholischen Gottesdienst. Und wenn es auch frag-
lich ist, ob man in der Steifheit der Dialogführung (mit ihrer
monotonen Häufung von "sagte er," "erwiderte er" etc.) wirk-
lich einen Einfluss der Litanei sehen kann,^"* darüber kann
keine Frage bestehen, dass die Vorgänge an sich aus dem
Gottesdienst emanieren und in ihn zurückfliessen. Sie sind
durchaus stellvertretend gemeint und weisen in ihrer Gleich-
förmigkeit auf die ewige Wiederkehr der Dinge hin, sie sind
Glieder in der unendlichen Kette des historisch-kulturellen
Werdens.
33. Vergl. hierzu auch Steffen (a.a.O., S. 88.)
34. Wie Günther Müller es sieht (a.a.O., S. 73). Ich glaube hier vielmehr den
alten Chronikenstil zu erkennen, hat doch Stifter schon während seiner Arbeit am
Nachsommer sich intensiv mit den Vorstudien zum WitiJ^o beschäftigt.
FORTSCHRITTSGLAUBE UND KULTURKRITIK IM
BÜRGERLICHEN ROMAN: GUSTAV FREYTAG
UND WILHELM RAABE
LUDWIG w. KAHN, Bryn Mawr College
EM POLITISCHEN Aufstieg der Mittelklassen im
achtzehnten Jahrhundert entspricht auf geistigem Ge-
biet das Erstarken einer bürgerlich-demokratischen und
individualistisch-liberalen Ideologie. In dieser Ideologie sind
nun bereits die Keime zu gewissen Gegensätzen enthalten;
denn einerseits kann die Idee von der Volkssouveränität zu
einer Verherrlichung des Volksmässigen, Einfachen und Na-
türlichen führen, für die sich heute (dank der Arbeiten Pro-
fessor Lovejoys und seiner Schule) der Name "Primitivismus"
einzubürgern beginnt. (Als ideengeschichtliche Bezeichnung
soll der Begriff "Primitivismus" grundsätzliche historische
Richtungen benennen, nicht aber sie bewerten, und man muss
ihm jeden Anklang von Herabsetzung oder Zustimmung
fernhalten.) Andrerseits führte die Überzeugung von der
Würde, Mündigkeit und Verantwortung des Individuum zu
dem klassisch-humanistischen Ideal des hohen und reinen
Menschen (im Gegensatz etwa zu dem ungesitteten und
primitiven Barbaren) und zum Glauben an die Menschheits-
rechte; und von hier führt der Weg dann weiter zu der auf-
klärerisch-optimistischen Anschauung von einer fortschrei-
tenden "Perfektibilität" des Menschen und einer progressiven
Geschichtsentwicklung, gleichsam als Antwort des emanzipier-
ten weltlichen Bürgers auf die kirchliche Lehre von Sündenfall
und Verschuldung. So zeigt sich schon im achtzehnten Jahr-
FORTSCHRITTSGLAUBE UND KULTURKRITIK 253
hundert der Gegensatz zwischen rousseauischem Zivilisations-
pessimismus und Primitivismus einerseits und der Idee des
Menschheitsfortschrittes andrerseits.
War dieser Gegensatz auch systematisch und logisch bereits
in, der demokratischen Ideologie angelegt, so bedurfte es wohl
doch historischer und soziologischer Gründe, um ihn zur Ent-
faltung zu bringen. Das stolze Selbstbewusstsein des Indivi-
duum und der hoffnungsvolle Fortschrittsglaube entstammen
dem Machtgefühl einer siegenden, aufsteigenden, sich be-
freienden bürgerlichen Schicht. Doch wo die aufstrebenden
Kreise gehemmt und unterdrückt werden, da führen Ressenti-
ment und politische Ohnmacht zu bitterster Kritik an den
bestehenden Zuständen und damit zu Pessimismus und Primi-
tivismus, zu Weltschmerz und Weltflucht.
Im neunzehnten Jahrhundert findet sich noch derselbe
Zwiespalt: auf der einen Seite steht etwa Gustav Freytag mit
seiner frohen Zuversicht, dass der Erfolg des Bürgertums auch
den Sieg des Fortschrittes bedeuten muss; auf der anderen
Seite steht Wilhelm Raabe in der Nähe der enttäuschten Kul-
turkritiker, deren Hoffnungen besonders nach 1848 zerfallen
sind und denen nur noch die Flucht in eine stille und schlichte
Welt des Einfachen und Volksmässigen möglich scheint. Es
ist wohl kein Zufall, dass Freytag aus wohlsituiertem bürger-
lichen Hause stammt und schon früh unabhängig, erfolgreich
und geehrt ist, während Raabe — kleinstädtisch, lange wenig
beachtet und wenig geschätzt und oft von Geldsorgen bedrückt
— einen Ausfluss für seinen Individualismus in fast pietistischer
Innerlichkeit sucht.
Natürlich hat der Wandel der Weltanschauungen vom
achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert auch hier nicht
ohne Einfluss bleiben können: wo das achtzehnte Jahrhundert
von Natur sprach, meinte es damit den Gegensatz zum Ent-
arteten und Verdorbenen, und wenn es beispielsweise von
"natürlichem" Recht sprach, meinte es damit nicht das unent-
wickelte, primitive, rohe Recht, sondern das reine, vernünftige,
ewige Recht, das "mit uns geboren ist," das göttliche Recht im
Gegensatz zum menschlichen, das sich "wie eine ewige Krank-
254 CORONA
heit" forterbt. Dem realistischen neunzehnten Jahrhundert
bedeutet dagegen Natur bald nur noch das Ländliche, Bäuer-
liche, Dörfliche, das Blutverbundene und Erdhafte.
II
Gustav Freytag sieht im Bürgertum nicht nur den vorläufi-
gen Höhepunkt der Geschichtsentwicklung und das Ender-
gebnis eines progressiven Aufstieges, sondern er sieht in ihm
auch die Ursache und den Träger des Fortschrittes. In Soll
und Haben stehen dem Bürger auf der einen Seite die reaktio-
nären Adligen gegenüber, auf der anderen die rohen polni-
schen Barbaren : die einen v^ie die andern halten den Fortschritt
auf. Der Adel, oder jedenfalls diejenigen Vertreter des Adels,
die in Dünkel und Standesvorurteilen beharren, müssen hinter
der Zeit zurückbleiben. Der Kaufmann hat für sie kein Mit-
gefühl und keine Entschuldigung:
Und die Familie, welche im Genüsse erschlafft, soll wieder herunter-
sinken auf den Grund des Volkslebens, um frisch aufsteigender Kraft
Raum zu machen. Jeden, der auf Kosten der freien Bewegung anderer
für sich und seine Nachkommen ein ewiges Privilegium sucht, betrachte
ich als einen Gegner der gesunden Entwicklung unseres Staates.
Die Polen andrerseits sind einer fortschrittlichen Gesellschafts-
ordnung überhaupt nicht fähig:
Sie haben keinen Bürgerstand . . ., das heisst, sie haben keine Cultur;
es ist merkwürdig, wie unfähig sie sind, den Stand, welcher Civilisation
und Fortschritt darstellt und welcher einen Haufen zerstreuter Acker-
bauern zu einem Staate erhebt, aus sich heraus zu schaffen.
Ihnen müssen die Güter der Kultur erst durch die deutschen
Eroberer und Kolonisten gebracht v^erden.
Wie in Soll und Haben vertritt das Bürgertum auch in der
Verlorenen Handschrift den Fortschritt. Die Suche nach dem
Tacitus-Kodex führt den Gelehrten zuerst in das Haus des
Landmannes und dann an den Hof des Fürsten. Wiederum
steht hier also der Bürger zv^^ei andern Ständen gegenüber.
Wohlgemerkt, der Landmann ist hier nicht der romantisierte,
erdverbundene Bauer des Primitivismus, sondern — v^^ie übri-
gens auch schon im ersten Roman — ein kluger und umsich-
FORTSCHRITTSGLAUBE UND KULTURKRITIK 255
tiger Geschäftsmann, der verständig sein Gut verwaltet. Mit
bürgerlichen Augen wird die Landwirtschaft gewissermassen
als ein Geschäftsunternehmen angesehen. Dem anfänglichen
Misstrauen des Landmannes erwidert der Gelehrte, dass die
Wissenschaft, wenn sie zunächst auch nur einem kleinen Kreis
zugänglich sei, unsichtbar und in der Stille doch Seele und
Leben des gesamten Volkes beherrsche. Nicht nur technische
Neuerungen und Maschinen liefert der Bürger dem Bauern,
sondern auch die neuen und fortschrittlichen Ideen, durch die
Millionen freier und besser werden. Ganz ähnlich äussert
Freytag sich einmal in einem Aufsatz in den Grenzboten:
Das Bestreben an dem eigenen Leben zu bessern, demselben nach allen
Richtungen höheren Inhalt, grössere Energie zu geben, ist gerade das
charakteristische Zeichen der Gegenwart im Gegensatz zur nächsten
Vergangenheit geworden. Dabei hat sich auch das Verhältnis der Ge-
bildeten zu den kleineren Kreisen des deutschen Lebens, dem Land-
mann, dem Arbeiter, dem kleinen Bürger umgeformt. Während man
sich vor zwanzig Jahren noch über die naturwüchsige Kraft dieser
Berufsklassen wie staunend freute, so oft unsere Novellisten dieselbe
anmutig vorzuführen wussten, ist man jetzt mitten in der männlicheren
Arbeit, die Schranken, welche den kleinen Mann immer noch von der
Bildung der Begünstigten trennen, niederzureissen, unsere Bedürfnisse,
unser Wissen, unsern Idealismus auch in sein Leben hineinzutragen.
Die Absage an den historischen Primitivismus, der sein
Ideal in der geschichtlichen Vergangenheit sucht, wie auch an
den kulturellen Primitivismus, der sein Ideal bei den ein-
fachen, bodenständigen, urwüchsigen Menschen sucht, kann
kaum schroffer ausgedrückt werden. So wird in dem Roman
der Gelehrte auch durchaus von dem Landmann und seiner
Tochter als Vertreter des Fortschrittes und der Aufklärung
anerkannt. Welche Gelegenheit wäre hier für einen Primitivi-
sten gewesen, das Landleben zu verherrlichen; doch keine
Spur davon findet sich bei Gustav Freytag.
Aber auch die Vertreter des Adels, die nicht verblendet und
befangen sind, die Tochter des Fürsten etwa und der Oberhof-
meister, spüren, dass sie einer untergehenden Klasse angehören,
dass sie Überbleibsel einer versinkenden Welt sind und dass
256 CORONA
Fortschritt, Führerschaft und Zukunft dem Bürger gehören,
der denn auch voller Stolz verkündet:
Der wärmste Herzschlag unserer Nation war von je in der Mitte
zwischen oben und unten, von da aus verbreiteten sich Bildung und
neue Ideen allmählich zu den Fürsten und in das Volk. Sogar Eigen-
tümlichkeiten und Schwächen einer Zeitbildung steigen in der Regel
ein halbes Menschenalter, nachdem die Gebildeten in der Mitte des
Volkes darunter gelitten haben, auf die Throne, sie erlangen dort erst
Geltung, wenn sie im Volke durch neue Zeitrichtung bereits überwun-
den sind.
So Spricht der Bürger zur Prinzessin, und zu seiner Frau
sagt er:
Denn das ist doch das höchste und unzerstörbare Glück der Menschen,
wenn er vertrauend auf das Werdende, mit Hoffnung auf das Zukünf-
tige blicken kann. Und so leben wir.
Derselbe optimistische Fortschrittsglaube beherrscht Frey-
tags historische Novellistik. Seine Ahnen sind das hohe Lied
auf den Aufstieg des Bürgertums. Diese Folge von Romanen
ist kein romantisch-sehnsüchtiges Lob der Vergangenheit, kein
Zurückblicken nach dem verlorenen Paradies; sondern die Ge-
schichte, wie wir sie hier finden, ist eine fortschreitende Auf-
wärtsentwicklung, ein kumulativer Prozess, bei dem jede
spätere Stufe alle früheren enthält, auf ihnen aufbaut und über
sie hinausführt. Diese Auffassung von der Geschichte als einer
Art Pyramide, deren breite Grundlage die Vergangenheit und
deren Höhepunkt die Gegenwart ist, hatte schon Professor
Werner, der gelehrte Historiker und Antiquar, in der Ver-
lorenen Handschrift vertreten; Tacitus, so meinte er, erkenne
an seinem Volke nur Verfall, aber der moderne Historiker
"blicke von der gesunden Luft der Höhe hinab in die dunkle
Tiefe." Und an einer anderen Stelle erklärt er, dass unser
heutiger hoher Stand nur möglich sei, weil die Menschen ver-
gangener Zeiten und ferner Völker für uns gelebt, geschaffen
und gekämpft hätten, wie wir wieder für die kommenden
Generationen kämpfen, schaffen und leben müssten. Diese
ausgesprochen progressivistische Geschichtsauffassung bildet
auch die Grundlage der Ahnen, deren Thema somit nicht
FORTSCHRITTSGLAUBE UND KULTURKRITIK 257
eigentlich die Vergangenheit ist, sondern die Gegenwart, in
der die Vergangenheit gipfelt. Bezeichnend ist wohl die Stelle,
mit der der erste Band schliesst:
Länger wurde die Kette der Ahnen, welche jeden einzelnen an die
Vergangenheit band, grösser sein Erbe. . . . Aber wundervoll wuchs
dem Enkel zugleich mit dem Zwange, den die alte Zeit auf ihn legte,
auch die eigne Kraft und schöpferische Freiheit.
Mit dieser Fortschrittsidee stimmt auch die unverkennbare
nationale Tendenz der Romane überein: auch hier liegt der
Höhepunkt in der Gegenwart oder gar erst in der Zukunft;
denn nicht nur der Aufstieg des Bürgertums wird geschildert,
sondern auch das Werden eines geeinten, freien, bürgerlichen
deutschen Reiches. Gewiss, nach Freytags Ansicht und Dar-
stellung sind schon in germanischer Zeit die Deutschen ihren
Nachbarn moralisch überlegen: Bonifatius kann ihnen ver-
trauen, da sie zwar Heiden, aber keine Schacher seien; Mut
und Stolz, Treue und Zuverlässigkeit unterscheiden sie von der
Schurkerei und Tücke der Wenden in den ersten der Romane,
von der Feigheit und Falschheit der Polen, von der Verant-
wortungslosigkeit und Verschlagenheit der Franzosen in den
späteren. Doch die guten Eigenschaften der Germanen sind
weder verloren gegangen noch entartet, so dass sie nur durch
eine geschichtlichte Umkehr wieder erreicht werden könnten;
vielmehr meint Freytag, entsprechend seiner progressivistischen
Anschauung, dass sie ein ewiger Besitz der Deutschen durch
die Jahrhunderte bleiben und sich noch verfeinern und vervoll-
kommnen; die alten germanischen Fehler und Schwächen —
denn auch von diesen ist viel die Rede in den Romanen —
verschwinden dagegen allmählich: Bruderzwist, Kampf des
Deutschen gegen den Deutschen, nationale Uneinigkeit und
Streitsucht, Verräterei und Hinterlist des Volksgenossen gegen
den Volksgenossen, kurz all die alten deuschen Erbübel wer-
den in der Gegenwart oder vielleicht erst in der Zukunft über-
wunden werden, — also auch hier ein Aufstieg. Am klarsten
spricht Freytags Haltung vielleicht aus einigen Schlusssätzen
der Bilder aus der deutschen Vergangenheit:
258 CORONA
Denn in dem deutschen Bürgertum liegt die edelste Kraft, die Führer-
schaft auf dem Gebiet idealer und praktischer Angelegenheiten. Die
Entwicklung der Deutschen aber ist zugleich die Zeit des Wachstums
und der Befreiung des deutschen Bürgers. Es ist eine grosse Freude in
solcher Zeit zu leben. Eine herzliche Wärme, das Gefühl junger Kraft
erfüllt Hunderttausende.
Darum liebt ein Volk, welches sich seiner Gegenwart freut, auch der
vergangenen Zeit zu gedenken, weil es in ihr die geworfene Saat seines
blühenden Halmfeldes erkennt. Wir meinen, für den Deutschen ist
die Zeit gekommen, wo seine Seele über die Vergangenheit des eignen
Volkes dahinfliegen darf wie die Lerche am Morgen über den däm-
merigen Grund.
Kein Zweifel, diese Worte stehen im schärfsten Gegensatz zu
dem Väter- und Sippengeist des geschichtUchen Primitivismus,
der beklagt und bedauert, dass die Germanen der Römerzeit
und die Deutschen des mittelalterUchen Kaiserreiches sich je
zu den Bürgern der Gegenwart entwickelt haben.
III
Wilhelm Raabe ist der Gegenspieler Freytags in demselben
Sinne etwa, in dem Schopenhauer der Gegenspieler Hegels ist.
Wenn man mit einer etwas einseitigen Formulierung Freytags
Ansicht dahin zusammenfassen könnte, dass wir es zuletzt so
herrlich weit gebracht, dann mag man in Raabe den Antipoden
sehen, für den die wahren und echten Werte zwar gleichfalls
nicht in der Vergangenheit liegen, aber doch auch nicht in der
Gegenwart, sondern in einem Reich innerlicher Zurückgezogen-
heit bei jenen stillen und einfachen und ursprünglichen Men-
schen, die abseits von der Welt bürgerlichen Glanzes und
bürgerlichen Erfolges stehen.
Ist auch Raabes Gesamtwerk recht eigentlich nur eine Folge
von Variationen über dieses Thema, so sind vielleicht die
grossen Romane der sechziger Jahre der stärkste Ausdruck
seines Zivilisationspessimismus. Gewiss, Die Leute aus dem
Walde haben ein glückliches Ende: das Wahre und Echte tri-
umphiert; die Sterne, auf die die Menschen vertrauen, bringen
Frieden und Erfüllung. Dennoch ist diese Lebensbejahung
weit entfernt von jedem Optimismus; dass der Mensch zu
FORTSCHRITTSGLAUBE UND KULTURKRITIK 259
seinen Sternen aufblicken soll, was heisst das denn anderes, als
dass er von den Kleinigkeiten und Unzulänglichkeiten des
Lebens sich nicht anfechten und sich nicht unterkriegen lassen
darf? Was heisst es anderes, als dass man nicht murren und
anklagen soll, sondern tapfer erdulden, ertragen und entsagen ?
Der Held des Romans, Robert Wolf, fasst, was er gelernt hat.
in den Worten zusammen:
Ich habe gelernt, dass allen Mühen ein Ende bereitet ist. Arbeiten und
schaffen soll jeder nach seiner Art, denn darin liegt sein Heil; bauen
soll er in sich und ausser sich, und was ihm in der Seele, was ihm im
Umkreis seines Seins von gegenwirkenden Kräften zerstört wurde, das
soll er immer von neuem geduldig aufrichten, denn darin liegt sein
Glück. Wer die Arme sinken lässt, der ist überall verloren, "er zürnt
ins Grab sich rettungslos." Wer aber jeden Schritt zum Grabe verteidigt
und würdig — ohne feiges Klagen, doch auch ohne ohnmächtigen Trotz
— auch die lichtesten Höhen verlassen kann, um in die dunkle Tiefe
hinabzusteigen, der hat gewonnen. Als Sieger schreitet er in die Gruft,
nicht wird er überwunden hineingestürzt.
Diese Lebensbejahung beruht also im Grunde auf Resignation,
auf einem Hinauswachsen und Sich-Erheben über die alltäg-
liche Welt, auf einem "Besiegen" des Lebens. Hierin liegt das
Geheimnis: der Weise erkennt das Schicksal an, weil er inner-
lich über die gegenwirkenden Kräfte erhaben ist. Und wer
kann sich zu solcher Höhe aufschwingen .f* Der Titel des Ro-
mans gibt darüber Auskunft: die Leute aus dem Walde, die
Enterbten und Ausgestossenen, die Originale und Sonderlinge,
die nicht auf gepflasterter Strasse — "alle Viertelmeile ein
Meilenzeiger" — wandeln, denen nicht das Los der goldenen
Mittelmässigkeit zufiel, die behaftet sind mit Schmerz, Ge-
brechen, Krankheit und jeglichem Elend. Diese Flucht aus der
bürgerlichen Welt in eine innere, zeitlose Welt der schlichten
und einfachen Menschen ist die letzte Rettung des zivilisations-
müden Primitivisten.
Ähnlich wie die Entwicklung Robert Wolfs ist auch die
des Schustersohnes Hans Unwirsch im Hungerpastor: von der
Kröppelstrasse in Neustadt, von der Armenstrasse einer Klein-
stadt also, führt der Lebens- und Bildungsweg Hans Unwirschs
vorbei an den Häusern der Reichen und Adligen, der Stolzen
26o CORONA
und innerlich Gebrochenen, vorbei an Elend und Gemeinheit,
vorbei an Eigennutz und Selbstsucht, durch die Wirrnis der
Grosstadt zu der Hungerpfarre des entlegenen Dorfes Grunze-
now^, dieser äusserlich armen und innerlich reichen Zuflucht-
stätte weiser und lauterer Menschen, wohin die Schiffbrüchigen
aus der lärmenden Welt des Bürgertums und der Erfolgs] agd
zu letzter Ruhe kommen.
Bitterer und beissender ist die Gesellschaftskritik in Abu
Telfan, der Geschichte von der Heimkehr Leonhard Hagen-
buchers aus dem Mondgebirge, wo er über zehn Jahre als
Sklave einer Negerfürstin zugebracht hat. Doch bald sieht er,
dass das freie Leben in Deutschland der Sklaverei unter den
wilden Negern nicht so unbedingt vorzuziehen ist; auch ihm
bleibt nur übrig, duldend in der Welt "auszuhalten" und sich
nicht besiegen zu lassen. In einem kleinen Kreis Gleichgesinn-
ter findet er ein Asyl, ein "refugium," dessen Mittelpunkt Frau
Claudine in der Katzenmühle ist. Trotz Raabes Berufung auf
Goethes Altersweisheit ist dies aber sehr verschieden von
Goethes tätigem "Entsagen," das ja nicht pessimistisch ist,
sondern ein Hinnehmen der Welt, wie immer sie sei. Goethes
Menschen entsagen ihren eignen Wünschen und Ansprüchen
um sich der Welt einzuordnen, während Raabes Menschen der
Welt entsagen oder sich entsagend mit der Welt abfinden, es
in ihr weise und leidend und duldend "aushalten," um tiefere
und wahrere, innere und individuelle Werte hinüberzuretten.
Im Schüdderump ist der Weg gleichsam umgekehrt; denn
aus der Geborgenheit sicheren Schutzes, den sie im Siechen-
haus und auf dem Lauenhof geniesst, wird Tonie Haussier von
ihrem heimtückischen und gerissenen, brutalen und rohen
Vater, dem früheren Dorf barbier und jetzigen Kriegsliefe-
rungsspekulanten, hinausgerissen. Aber auch sie überwindet
innerlich die Welt der rücksichtslosen Geschäftigkeit und
Unehrlichkeit, in der sie äusserlich zugrunde gehen muss ; auch
sie "schreitet als Siegerin in die Gruft."
Der Tod Tonie Haussiers ist tragischer und vielleicht auch
pessimistischer als die Schlüsse der anderen Romane; im
Grunde ist aber die Anschauung eigentlich dieselbe: der lautere
FORTSCHRITTSGLAUBE UND KULTURKRITIK 261
Mensch kann sich aus der Welt der Bürger und Philister nur
auf eine Insel retten, die abseits von dem Strome des Getriebes
liegt, wobei es gleich ist, ob diese Zufluchtstätte nun die Hun-
gerpfarre von Grunzenov^^ oder der Tod ist; das eine wie das
andere ist ein siegendes Sich-Erheben über die Welt der Bour-
geoisie. Trotz aller äussern Heiterkeit und Behaglichkeit ist
das auch der tiefere Sinn des Stopf kuche7i. Stopf kuchen ist der
Spitzname, den Heinrich Schaumann auf der Schule wegen
seiner Gefrässigkeit und Behäbigkeit, wegen seiner Dicke,
Faulheit und Dummheit erhalten hat. Immer schon hat Hein-
rich sich zu der "roten Schanze" gezogen gefühlt. Die Welt
der roten Schanze steht im feindlichen Gegensatz zu der Au-
ssenwelt des Dorfes, des Alltags und der Durchschnittsmen-
schen; jene ist von dieser nicht nur durch Wälle und Gräben
und bissige Hunde geschieden, sondern auch durch Blut- und
Mordgeruch. Heinrich, der die Schanze gewissermassen für
sich erobert, gewinnt damit eine Zuflucht vor der Welt, ein
"refugium." Es wird jetzt klar, dass nicht seine Mitschüler ihn
in der Hecke haben liegen lassen, sondern er sie, "Was blieb
mir anders übrig," fragt er, "als mich an meinen Appetit zu
halten und mich auf mich selber zu beschränken und euch
mit meinen herzlichsten Segenswünschen die Rückseite zu-
zudrehen?" Sein Phlegma ist also ein weises, abgeklärtes Über-
der-Welt-Stehen.
"Vogelsang" nennt Raabe einen jener stillen entlegenen
Winkel, eine jener seltenen Zufluchtstätten, in die unsere in-
dustrielle Gegenwart mit Fabriken und Maschinen hinein-
bricht. Hier wachsen zwei Menschen auf, Helene Trotzendorf
und Veiten Andres, deren Geschicke in den Akten des Vogel-
sangs berichtet werden. Ihre Lebenswege führen zeitweise
weit auseinander, durch mancherlei Erfahrungen und Ent-
täuschungen und Versuchungen. Die selbstgefälligen Bürger
verstehen nicht, dass Veiten, so reich an Gaben und Anlagen,
dennoch im Leben scheinbar versagt und arm und besitzlos
stirbt. Aber was den Bürgern ein Misserfolg scheint, ist in
Wirklichkeit Resignation und lUusionslosigkeit. Auch Veiten
erhebt sich über das Leben und — um diese Worte zum letzten-
202 CORONA
mal zu zitieren — "schreitet als Sieger in die Gruft, nicht wird
er überwunden hineingestürzt."
Man kann Raabes Menschen in drei Hauptgruppen ein-
teilen. Die erste Gruppe ist die der Erfolgreichen, die auf
unlautere Weise es in dieser Welt zu etwas bringen. Der Jude
Moses Freudenstein oder adlige Schurken wie Leon von Poppe
und Friedrich von Glimmern oder gewissenlose Heraufkömm-
linge wie Herr Dietrich Haussier Edler von Haussenbleib
gehören zu ihnen, skrupellose und griffbereite Menschen, die
leicht zu den höchsten Höhen der menschlichen Gesellschaft
aufsteigen und durchaus nicht immer von der gerechten Strafe
ereilt werden. Die zweite Gruppe ist die der mittelmässigen
Durchschnittsmenschen, die sich meistens recht wohl fühlen
und ein glückliches Leben führen. Zu ihnen gehören die
behaglichen Realisten, die die Sachen gelten lassen, wie sie
sich geben, Serena Reihenschlager etwa oder Junker Hennig
von Lauen; zu ihnen gehören auch die engherzigen und
selbstgefälligen Philister, denen jegliches Verständnis für
höheres Leben fehlt, die Bürger und Honoratioren von
Nippenburg und Krodebeck, die Bankiers, Pfarrer, Polizei-
direktoren, Bürgermeister und Kommerzienräte. Und da ist
schliesslich die dritte Gruppe der Einfachen und Echten, der
Stillen und Schlichten, der Ursprünglichen und Innerlichen,
der Sonderlinge, Originale und Individualisten. Sie haben
weder Erfolg im bürgerlichen Sinne noch Reichtum und
Macht; sie leben in entlegenen stillen Orten, gleichviel ob dies
nun der Turm des Klosters von St. Nikolaus ist, die Hunger-
pfarre in Grunzenow, die Katzenmühle, der Lauenhof, oder
ein Zimmer in der Dorotheenstrasse in Berlin, oder gar das
Siechenhaus zu Krodebeck. Wohl gehören zu ihnen auch
Adlige wie Nikola von Einstein, Juliane von Poppe und vor
allem der Ritter von Gläubigern, aber sie haben sich losgelöst
von ihrem Stande, sie gehören nicht mehr zu dem Adel des
Besitzes und der Titel, sondern zu dem Adel des Herzens.
Auch sie sind einfache und ursprüngliche Menschen.
Raabes Primitivismus ist weder dumpfe Schollenromantik
noch Sehnsucht nach vergangenen Fernen, weder eine Verherr-
FORTSCHRITTSGLAUBE UND KULTURKRITIK 263
lichung des Bauern noch des primitiven Germanen, sondern
ein Niedersteigen zu Letztem und Endgültigem, zum Urgrund
der Welt, ein Sich-Zurückziehen in eine innerliche Welt, in
der der Mensch frei sein darf von allen Stürmen und Fährnis-
sen, von allen Anfechtungen, Widrigkeiten und Unbilden.
Es ist ein Sich-Besinnen auf die wahren Werte, die nicht an
der gleissenden Oberfläche liegen, sondern in dunklen und
abgründigen Schächten. Es ist ein Suchen nach den Tiefen
des Seins, das viel mehr ist als erdennahes Leben. Diese Wen-
dung zum Urweltlichen, zum Grund der Dinge — Raabe ent-
lehnt im Abu Telfan dafür das Symbol der "Mütter" aus
Goethes Faust — ist gleichsam ein vertiefter, ein metaphysischer
oder transzendentaler Primitivismus.
War es nun charakteristisch für Freytag, dass der Gelehrte
und Wissenschaftler eine bevorzugte Stellung in seinen
Werken einnahm, so verbindet sich mit dem Primitivismus
leicht eine Geisteshaltung, die man wohl am besten als Anti-
Intellektualismus bezeichnen könnte: dieser Ansicht nach
wäre der Verlust des Paradieses die Strafe dafür, dass der
Mensch von der verbotenen Frucht der Erkenntnis gegessen
hat. Der Intellektualismus, gegen den diese Auffassung sich
wendet, ist die Weisheit der Schlange. Diese Verbindung von
Primitivismus und Anti-Intellektualismus findet sich sowohl
bei Rousseau und der Vorromantik als auch bei Raabe und —
wahrscheinlich am programmatischsten — bei Tolstoi, um nur
einige Vertreter zu nennen.
Raabes Misstrauen gegenüber erlerntem Wissen und ver-
standesmässiger Erziehung zeigt sich in seiner Vorliebe für
Menschen, deren Schulbildung Lücken aufweisen mag, durch
deren Herzens- und Gemütsbildung jedoch alle Magister und
Doktoren weit in den Schatten gestellt werden. Stopfkuchen
ist alles andere als ein Musterschüler, und Veiten Andres — wie
übrigens Raabe selber — fällt beim Maturitätsexamen durch.
Die autodidaktische Gelehrsamkeit des Vetter Just (in den
Alten Nestern) kann selbst einem Durchschnittsgymnasiasten
nur ein leises Lächeln entlocken, und doch trifft er mit der
instinktiven Sicherheit des ursprünglichen und echten Men-
264 CORONA
sehen immer das Richtige, während der gelehrte Privatdozent
sich nicht zu helfen und zu raten weiss. Leonhard Hagen-
bucher studiert zwar ein Konversationslexikon, um sich die
nötigsten Kenntnisse anzueignen, aber seine wahre Bildung
erhält er in der Negersklaverei und von Frau Claudine auf
der Katzenmühle. Im Hungerpastor steht diese Frage sogar
im Mittelpunkt; denn es handelt sich ja nicht nur um den
Hunger, der nach Essen und Trinken und einem guten Leben
verlangt, sondern um jenen faustischen Wissenshunger, der in
uns nagt, weil es soviele Dinge gibt, die wir nicht verstehen.
Die wissenschaftliche, intellektualistische Verstandesschärfe des
Juden Moses Freudenstein steht hier der ahnenden An-
schauung und dem intuitiven Erfassen Hans Unwirschs ge-
genüber ; Träumen und Spintisieren werden der von volkhaften
Bindungen losgetrennten Verstandeshelle entgegengesetzt: bei
Moses Freudenstein haben wir die scharfen Begriffe und die
Zungenfertigkeit der Sophisten, bei Hans Unwirsch das Inne-
Werden der Mystiker. Dem Deutschen liegt das Grübeln in
einem höchst wörtlichen Sinne "im Blute" und ist ein Teil
seiner Seele, wohingegen Moses der typische Gehirnmensch
und Intellektualist ist. Raabes Ansicht, dass der Geist der
Widersacher der Seele sei (um die Klagessche Terminologie zu
benutzen), ist nun allerdings weit entfernt von Hinterwäldler-
tum, Finsternis und Analphabetentum, wozu die Übertreibung
einiger seiner Nachfolger führte.
Das Ziel, zu dem Kulturmüdigkeit und Primitivismus
schliesslich führen mussten, ist der begrenzte Kreis der Hei-
mat. Die Heimatdichtung im engeren Sinne ist, wie übrigens
auch ihr Gegenstück, die "proletarische" Dichtung, ein Ab-
leger des Naturalismus und Impressionismus und keineswegs
auf Deutschland beschränkt; man braucht nur etwa an Zolas
La Terre zu denken, oder an den Norweger Knut Hamsun,
den Franzosen Jean Giono, den Schweizer Ramuz. Auch
schon vor der eigentlichen Heimatdichtung hatten manche
Dichter das Eigentümliche und Absonderliche, die Bräuche,
Sitten und Zustände der Landschaft benutzt, um ihren Erzäh-
lungen Farbe und Stimmung zu geben, die Droste etwa in
FORTSCHRITTSGLAUBE UND KULTURKRITIK 265
der Judenbuche, oder Keller in seinen Züricher Novellen und
seiner Geschichte von Romeo und ]ulia auf dem Dorfe, oder
Otto Ludwig in der Heiterethei. Doch in dem Bestreben, diese
Dichter als Vorläufer des Regionalismus in Anspruch zu
nehmen, hat man oft übersehen, wie negativ bei ihnen das
Nur-Heimatliche und Bodenständige gesehen wird: das Land-
schaftliche bei der Droste ist ja gerade der Grund, aus dem
Verbrechen und Gesetzlosigkeit, Gewalt, Frevel und Brutalität
wachsen; und auch bei Keller wird man keine Spur entdecken
von biedermeierlicher Liebe für das stille Wirken im engsten
Kreise; sein Spott gilt ja gerade den befangenen und klein-
städtischen Spiessbürgern von Seldwyla; und das erdenschwere
Dasein der Bauern Manz und Marti ist keine Quelle von
Menschlichkeit und Lebenskraft, sondern von Starrköpfigkeit,
Trotz, Rechthaberei, Hartnäckigkeit und Leidenschaft. Bei
Otto Ludwig wird das Lokale und Provinzielle ebenfalls be-
lächelt; auch sein Spott gilt den Kleinbürgern und Klein-
bürgerinnen mit ihrem Geschwätz und Geklatsch, mit ihrer
Anmassung, Wichtigtuerei und Hochnäsigkeit.
Auch Raabe verketzert nun durchaus nicht etwa nur die
geschäftstüchtigen Bürger von Berlin und Wien, und nicht nur
die Streber und Emporkömmlinge der Residenzstädte, sondern
auch die selbstgerechten und engherzigen Philister der Dörfer
und Kleinstädte, und dennoch gehen bei ihm aus dem Kreise
der Kleinbürger ohne Herzensbildung und aus dem Kreise der
Philister die stillen und innerlich grossen Menschen hervor,
jene schrulligen, verschrobenen, widerborstigen Sonderlinge
mit dem tapferen Herzen und lauteren Sinn, die über alle
Niedrigkeit hinauswachsen und die durch alle Anmassung und
Vorspiegelung hindurchschauen ohne Hass und ohne Verach-
tung. Die Katzenmühle liegt bei Nippenburg, und das Siechen-
haus mitten in Krodebeck, oder mit andern Worten: die
Zufluchtstätten der schlichten und einfachen Menschen liegen
mitten in dieser kleinlichen und verständnislosen Welt.
"Wohin wir blicken," heist es in Abu Telfan, "zieht stets und
überall der germanische Genius ein Drittel seiner Kraft aus
dem Philistertum, und wird von dem alten Riesen, dem Ge-
266 CORONA
danken, mit welchem er ringt, in den Lüften schwebend er-
drückt, wenn es ihm nicht geUngt, zur rechten Zeit wieder
den Boden, aus dem er erwuchs, zu berühren. ... Es lebe
Nippenburg und Bumsdorf, der Bierkrug und die KafEekanne,
der Strickstrumpf und das Dintenfass!" So führt in seinen
letzten Folgerungen und Ausgestaltungen der Primitivismus
allerdings zur Heimatdichtung.
IV
Wie Primitivismus und Progressivismus hat auch der
deutsche Nationalismus durch die bürgerlich-demokratische
Ideologie im achtzehnten Jahrhundert einen neuen Auftrieb
erhalten. Der Nationalismus wird nicht allein gespeist von der
Idee der Volkssouveränität, sondern in Deutschland war der
Kampf für nationale Einigung ja zugleich der Kampf gegen
feudalen Absolutismus und Partikularismus. Ferner kommt
wohl auch noch das rein wirtschaftliche Interesse der kom-
merziellen Mittelklassen an einem geeinten Reich hinzu. Doch
darf man wohl sagen, dass dieses Reich ihrer Sehnsucht ein
bürgerliches, demokratisches Reich sein sollte, und dass ihr
Nationalismus ein liberaler und fortschrittlicher Nationalismus
war.
Sowohl Freytag wie Raabe sind von starken nationalen
Tendenzen beseelt, doch Hesse sich vielleicht auch hier so etwas
wie eine primitivistische und eine progressivistische Richtung
unterscheiden. Der Progressivist ist stolz auf die Leistungen
seiner Nation und auf die erreichte Kulturhöhe; oft wird
dieser Kulturstolz zu einem Glauben an eine Kulturmission,
d.h. zu dem Glauben, dass das höhere, fortgeschrittenere Volk
dem niederen gegenüber eine Sendung zu erfüllen habe. Der
Primitivist hingegen wird weniger dazu neigen, die Taten und
Errungenschaften der "Nation" zu betonen, als vielmehr die
Charaktereigenschaften des "Volkes" und der "Rasse": Kühn-
heit und Treue und Innerlichkeit zum Beispiel. Diese Eigen-
schaften (die im ethischen Sinne natürlich auch Leistungen
sind) werden häufig bei den einfachen Vertretern des Volkes,
bei den seschichtlich oder kulturell "Primitiven " bei den
FORTSCHRITTSGLAUBE UND KULTURKRITIK 267
echten und urwüchsigen Menschen gesucht; daher das na-
tionalistische Moment im deutschen Regionalismus. Der pro-
gressivistische Nationahsmus ist also mehr national und
politisch, während der primitivistische Nationalismus mehr
ethnisch oder volksmässig ist.
Aus dem Gang der deutschen Geschichte voller Uneinig-
keit und Kleinstaaterei lässt sich leicht verstehen, warum die
Deutschen — Herder etwa — zunächst ihren Volkscharakter,
ihre Eigenschaften, ihre kulturellen und geistigen Fähigkeiten
betonen, warum von jeher der deutsche Nationalismus mehr
ethnisch und kulturell als politisch und national ist. Der
primitivistische Nationalismus ist ja die einzige Möglichkeit
für jemanden, der seiner ganzen geistigen Einstellung nach
die politische Aktualität ablehnen muss. Und so ist es denn
auch kein Wunder, dass Raabes Nationalismus gewissermassen
kulturell und a-politisch ist; seine Liebe gehört der deutschen
Seele. Auch dies, so spüren wir ganz deutlich, ist Resignation
wie sein Primitivismus.
Dagegen ist Freytag der ausgesprochene Politiker. Gewiss,
er wäre kein Deutscher, wenn er nicht auch die Charakter-
eigenschaften seines Volkes verherrlichen würde. Die Ahnen
singen ja auch das hohe Lied des deutschen Charakters : leuch-
tend und herrlich stehen die Deutschen neben den Slaven,
Juden, Franzosen. Doch daneben sind sie auch immer wieder
die Fortschrittsträger und Kulturbringer, die Pioniere und
Kolonisten auf fremdem Boden. So haben wir in Frey tag den
deutlichen Übergang von dem ethnischen und kulturellen
Nationalismus des achtzehnten zum progressivistischen und
politischen Nationalismus des neunzehnten Jahrhunderts,
ZWISCHEN NATURALISMUS UND SYMBOLISMUS:
EINE STILANALYSE EINIGER JUGENDGEDICHTE
RENfi SCHICKELES
FRANCINE B. BRADLEY, Ncw Yor\
DIE GÄRUNG und die heftigen Widersprüche unserer
Epoche manifestieren sich literarisch durch die Fülle
verschiedener und oft scheinbar ganz entgegengesetz-
ter Stilströmungen, die in den letzten fünfzig Jahren nicht nur
in raschem Tempo einander ablösten, sondern auch zur glei-
chen Zeit nebeneinander vorkamen.
Wir haben, seit 1890, um nur die wichtigsten literarischen
Manifestationen zu nennen, kurz nacheinander und durch-
einander Naturalismus, Symbolismus, Neuklassizismus, Neu-
romantismus, Aktivismus, Impressionismus, Expressionismus,
Realismus, Surrealismus, Neue Sachlichkeit u.a. erlebt.
Wie entgegengesetzt diese Stile auch sein mögen, so sind
sie doch alle Ausdrucksformen der Gesellschaft einer bestimm-
ten Epoche und sind in dieser Weise untereinander verwandt.
Je intensiver daher ein Dichter diese widerspruchsvolle Zeit als
Ganzes zu erleben versucht, desto mannigfaltiger werden auch
seine Stilmanifestationen sein.
Schickeies Gedichte zeigen ein besonders merkwürdiges
Zusammenspiel einander scheinbar ganz entgegengesetzter
Stilformen. Er ist in keiner ganz aufgegangen, er stand viel-
mehr, während seiner Entwicklung, gleichsam zwischen den
Stilen. In seinen ersten Gedichten zwischen Naturalismus und
Symbolismus, später zwischen Impressionismus und Expres-
sionismus, bis er sich nach dem Weltkrieg von der zeitlich
bedingten Wirklichkeit abwandte, um im rein persönlichen
JUGENDGEDICHTE RENfi SCHICKELES 269
Erlebnis nach universaler Wahrheit und universalen Werten
zu streben. Es handelt sich hier nicht um eine w^illkürliche
Vermischung verschiedener Stilformen, sondern um das Form
gewordene Erlebnis einer widerspruchsvollen Wirklichkeit.
Für diese Stiluntersuchung wurden vier Gedichte aus der
frühen dichterischen Periode Schickeies gewählt. Diese Erst-
lingsgedichte können natürlich nicht typisch sein für den reifen
Schickele; sie sind aber typisch für das Ringen eines in seiner
Zeit befangenen Dichters um einen persönlichen Stil.
Der Hauptunterschied zwischen der naturalistischen und
der symbolistischen Lebensauffassung kann darin gesehen
werden, dass der Naturalismus die Wahrheit in der konkreten
Erscheinung der objektiven Welt sieht, während der Symbolis-
mus die Wahrheit nur in der Seele des Dichters zu finden
glaubt und daher das Konkrete nur benutzt, um ihre Schwin-
gungen auszudrücken. Als Stil gibt der Naturalismus daher
ein Nacheinander der erlebten Wirklichkeit, er erzählt eine
Episode in all ihren Einzelheiten, während der Symbolismus
die Essenz der Wahrheit in einer Stimmung aufzufangen
sucht.
Stefan George und sein Kreis, die, mit den Symbolisten
nah verwandt, ganz bewusst bei ihnen in die Schule gingen,
haben sich über diesen Unterschied theoretisch geäussert: Die
Symbolisten wollten "keine erfindungen von geschichten, son-
dern wiedergäbe von Stimmungen, keine betrachtung sondern
eindruck."^ Oder: "fern liegt es ihnen (den Dichtern der
Blätter für die Kunst) dinge und ereignisse zu beschreiben —
ihnen heisst es hervorrufen und einflüstern mit hilfe wesent-
licher worte."^
Man erkennt in diesen Worten Mallarme, den Meister des
Symbolismus, der mit ähnlichen Worten erklärt: "nommer un
objet, c'est supprimer les trois quarts de la jouissance du
poeme qui est fait du bonheur de deviner peu ä peu; le sug-
gerer, voila le revc. C'est le parfait usage de ce mystere qui
constitue le symbole: evoquer petit ä petit un objet pour mon-
1. Blätter für die Kunst (Auslese, i8g2-g8), S. 13.
2. Ibid., S. 113.
270 CORONA
trer un etat d ame, ou, inversement, choisir un objet et en
degager un etat d ame, par une serie de dechififrements."^
Schickeies Jugendgedichte geben ein Bild von dem Zusam-
menprall dieser so verschiedenen Lebensformen. Anstatt sich
gegenseitig zu vernichten, vereinigen sie sich bei ihm all-
mählich zu einer neuen Form, in der sich Realität (Impres-
sionismus) und Traum (Expressionismus) besonders reizvoll
ergänzen. Diese Synthese charakterisiert vielleicht am besten
die Zeit nach dem Naturalismus und dem Symbolismus.
Es sind keine technischen Versuche, Schickele versucht sich
nicht bald in diesem, bald in jenem Stile, er geht nicht wie
George nach Frankreich und lernt bewusst von den Symbo-
listen. Die naturalistischen und symbolistischen Elemente in
seinen Gedichten repräsentieren keine direkten literarischen
Einflüsse; diese machen sich anders bemerkbar.^ Der Natura-
lismus und der Symbolismus in seinen Gedichten sind Aus-
drucksformen seiner komplexen Persönlichkeit, beeinflusst
durch die Stilströmungen seiner Zeit, die letzten Endes nichts
anderes sind, als der Ausfluss der herrschenden Lebensprin-
zipien. So manifestieren sich beide Stilformen in Schickeies
Jugendgedichten als etwas überaus Organisches. Allgemein
können wir von ihnen sagen: sie bringen Geschichten und
beschreiben Ereignisse, aber sie geben auch Stimmungen wieder,
sie rufen hervor und flüstern "mit hilfe wesentlicher worte"
ein. Die Gegenüberstellung von einzelnen Ausdrucksformen,
die aus verschiedenen Gedichten gewählt v/urden, kann das
am besten illustrieren.
Einerseits erzählt er sehr eingehend eine Episode:
Komm und folg mir in die Schatten,
Besser liebt es sich dort im Jasmin,^ oder:
3. Stephan Mallarme in der Enquete J. Hurets, S. 60.
4. Die direkten Einflüsse in einzelnen Erstlingsgedichten Schickeies sind Goethe,
Heine, Nietzsche und das Volkslied. Man erkennt den fremden Einfluss nur in
Gedichten, die nicht aus einem persönlichen Erlebnis des jugendlichen Dichters ent-
standen sind. In den Abschiedsgedichten z.B., in denen der Dichter eine noch nicht
erlebte Tragödie behandelt, findet man Reminiszenzen aus Heine und dem Volkslied.
5. Rene Schickele, Sommernächte, "Nocturnes I," S. 11.
JUGENDGEDICHTE RENfi SCHICKELES 271
Auf dem Sofa sassen wir: mein Haupt lag still
Auf all dem weichen Haar,^
Du sitzest neben mir in dieser weichen Sommernacht
Ich weiss: du liebst mich . . . und ich lieb dich nicht/
Aus dem Fenster meines Zimmers
Sprang ich in den Hof und schwang von einem Baum
Mich über jene Mauer in den Garten, wo du harrtest. . . ß
Da sah ich dich am Steintisch sitzen, in den Shawl gehüllt,
Weisst du? den mit den weissen Streifen durch das Schwarz. . . .^
Bis wir in eine der Faschinenhütten schlüpften, die
Ganz dicht ringsum, nur gen die Fluten offen stehen.^*'
Es ist weniger die Episode an sich — eine Liebesszene — als
die eingehende Beschreibung der Situation, die naturaUstisch
ist: der syntaktische Bau des Satzes, die Verbindung prosaischer
Wendungen, der erläuternde Nebensatz, der jede Einzelheit
festhalten muss, manchmal sogar eine höchst banale Situation
("auf dem Sofa sassen wir"). Der Drang nach objektiver
Wahrheit, der Hass gegen alle Hypokrisie (ein Erbgut, das
wir noch heute dem Naturalismus verdanken), zwingt den
jungen Dichter zu dieser eingehenden Beschreibung seiner
Erlebnisse, da seine gesunde Sinnlichkeit nicht nur im Traum
sondern auch im Realen das Glück sucht und findet. Aber
hinter der gegenständlichen Welt sucht er nach einem über-
sinnlichen Sinn des Daseins und er ahnt daher, dass auch die
eingehendste Beschreibung die Wahrheit nicht einfangen und
wiedergeben kann, ja, dass sogar ein Gegenstand oder ein
sinnliches Erlebnis, nicht durch die Beschreibung des Gegen-
standes oder des Erlebnisses adäquat wiedergegeben werden
kann, sondern durch eine neue Vorstellung, die das Erlebnis
als Sensation wiedergibt.
So greift der junge Dichter zunächst nur nach schönen
Worten, Worten mit zauberhaftem Klang und magischer
Bedeutung und flicht sie — nicht sinnlos, sondern ihrer sinn-
6. Ibid.j "Nocturnes II," S. 12.
7. Ibid., "Nocturnes III," S. 13. 8. Ibid., "Weisst du noch?" S. 48.
9. Ibid., später. 10. Ibid., "Es müsste sein . . .," S. 64.
272 CORONA
liehen und transzendenten Bedeutung bewusst, in seine all-
täglichen, beschreibenden Redewendungen ein. Worte wie
"silberbeperlt," "nächtige Haare," "nachtschwül," "Gletscher-
meerlicht"; Worte, die nicht nur durch ihren Klang, die Fär-
bung ihrer Vokale und ihren Rhythmus (Akazienwald,
geisterhafte Vogelflüge, Purpurranken) magisch wirken, son-
dern auch durch die Vision, die sie hervorzaubern. Mit diesen
seltenen Wörtern, die in der realistischen Umgebung ganz
besonders funkeln und gleissen, scheint der Dichter sich aus
der Nüchternheit des Konkreten in eine übersinnliche Sphäre
retten zu wollen.
Durch die Purpurrosenranken vor dem Fenster
Drang der Juliwind ins Zimmer,
Streifte von dem schweren Gold der Abendsonne,
Das auf den erglühten Rosen lag,
Den Flitterstaub und wirbelte ins Zimmer ihn —
Um uns. . . .
Auf dem Sofa sassen wir: mein Haupt lag still
Auf all dem weichen Haar,
Das wie erstarrte Flut
Schwer über ihre Schulter hing —
Und unser Sinn, so übervoll vom Blütenrausch,
Der immerfort dem Juliwind entquoll,
So schwer von so viel Liebe —
Zog im tiefsten Traume mit der "Lorelei,"
In der die satte Sommernacht austönte. . . .^^
Es ist ein Sehnsuchtsgedicht, obgleich die Liebenden bei-
einander sind. Der Hauptgehalt des Gedichtes ist nicht die
Liebessituation, sondern die mit sinnlicher Schwere erfüllte
Sehnsuchtsstimmung zweier junger Menschen, die noch vor
der Liebe stehen. Die Purpurrosenranken vor dem Fenster, der
Juliwind, das schwere Gold der Abendsonne auf den erglühten
Rosen, die erstarrte Flut des Haares und der Blütenrausch, alles
das sind Vorstellungen, die die Schwere der Liebessehnsucht
nicht nur suggerieren, sondern auch schaffen. Diese intensive
Liebesstimmung wird aber nicht als Ganzes erlebt, sondern
II. Ibid., "Nocturnes II," S. 12,
JUGENDGEDICHTE RENfi SCHICKELES 273
nur in einzelnen Eindrücken, die durch die eindringende
erlebte Situation immer wieder unterbrochen werden. "Durch
die Purpurranken vor dem Fenster drang der Juliwind ins
Zimmer, streifte von dem schweren Gold der Abendsonne"
den "Flitterstaub" und "wirbelte ins Zimmer ihn." Die Stim-
mung wird nicht nur durch die Vorstellung, sondern auch
durch die Musik der Worte, und durch das Malen mit den
Vokalen geschaffen. Der Dichter muss aber wahrheitsgetreu
berichten, dass das schwere Gold der Sonne auf den "erglühten
Rosen" lag, als er diese Stimmung erlebte; obschon die "er-
glühten Rosen" dichterisch schwere Süsse suggerieren, stört die
Konstruktion des erklärenden und beschreibenden Nebensatzes
die Stimmung. Dann kommt die allzu wahrheitsgetreue Situa-
tion: "Auf dem Sofa sassen wir"; die erstarrte Flut des weichen
Haares dagegen gibt wieder, zugleich mit der sinnlichen Reali-
tät, den verzauberten Zustand der Liebenden. Der Zauber
wird aber durch die übertriebene Ehrlichkeit der detaillieren-
den Beschreibung beinahe wieder aufgehoben. Warum "all" das
Haar, wenn "die erstarrte Flut" so viel mehr suggeriert, oder
warum muss er noch eigens bemerken, dass das Haar über die
Schulter hing? oder dass der Blütenrausch "immerfort" dem
roten Juliwind entquoll, und dass er so schwer von so viel Liebe
ist, wenn doch das Wort "Blütenrausch" allein diese Atmo-
sphäre schafft? Noch hat hier der Dichter den Konflikt, der
zwischen symbolisch-dichterischer Vorstellung und naturali-
stischem Wirklichkeitssinn in ihm selbst existiert, nicht zu
lösen vermocht.
Dieser Konflikt zeigt sich nicht in allen Gedichten; natur-
gemäss ist er hauptsächlich in denen enthalten, die auf ein
eigentliches Erlebnis, eine Episode im Leben des Dichters
zurückgehen. So geschieht es hauptsächlich nur in Gedichten,
die die Erfüllung der Liebe darstellen, dass die symbolische
Stimmungswelt durch eine naturalistische Beschreibung und
Erklärung durchbrochen wird.
In Gedichten dagegen, die einen fremden Stoff oder nur
Seelisches zum Gehalt haben, in Gedichten, die literarisch über-
nommen sind, wie z.B. die meisten seiner Abschiedsgedichte,
274 CORONA
und sogar in einzelnen Sehnsuchtsgedichten, dominiert der
Symbolismus nicht nur als Gehalt, sondern auch als Form.
Ein Abschiedslied:
"Du gelbe Maske! geh mit mir nach Haus!"
Sie folgte mir stumm auf mein Zimmer —
Die Rosen vor'm Fenster, die glommen grad auf
Im ersten Morgenschimmer.
Und als von der Stirn ich die Maske ihr nahm —
Wie waren so bleich ihre Wangen!
Die Feuer im Auge so grundlos und schwarz
Mit bleichem Ersterben rangen.
Die nächtigen Haare sprachen vom End,
Von all dem freventlich Lieben . . .
Sie sah mir ins Auge und warf sich an mich —
So sind wir geblieben — geblieben. ...
— "Hast du mich lieb, du mein sterbendes Kind ?
Umschling mich mit all deinem Leben,
Welk an meinem Munde so langsam hin —
Im Winde die Rosen beben.
Die Rosen, die Rosen, die Rosen rot-weiss,
Die streu ich dir dann auf die Wangen . . .
Die Rosen, die Rosen, die Rosen so heiss,
Die in unserem Morgenrot hangen.
Mein ganzes Leben, das bet ich für dich,
Dass ich deine Seele fand wieder.
So tief und so weiss wie das GletschermeerÜcht,
Im purpurnen Kranz meiner Lieder."^-
Die naturalistische Tendenz kann in diesem Gedicht nur
im Hang zur balladesken Erzählung gefunden werden, und
in der eigentlichen Situation: ein junger Mann lädt nach dem
Ball eine Maske in sein Zimmer ein, und sie lieben sich. Was
macht aber der Dichter aus dieser Situation.^ Sie ist, wie bei
den Symbolisten, nur ein Vorwand, um die Tragik einer
verbotenen Liebe und einer unabwendbaren Trennung darzu-
stellen. Die Tragik wird nicht direkt gegeben, sondern wie es
Mallarme verlangt, nur suggeriert; allmählich nur errät man
12. Ibid., S. 27.
JUGENDGEDICHTE RENfi SCHICKELES 275
die Bedeutung des Gedichtes, nämlich, dass die Geliebte in
Wirklichkeit schon tot ist. Aus dem naturalistischen, frivolen
Liebesabenteuer wird eine symbolisch dargestellte Tragödie.
Das Naturalistische liegt nicht in der Frivolität der Situation,
sondern in der Direktheit der Erzählung. Die erklärenden
Nebensätze und die störenden Details bleiben hier weg. Die
Liebessituation wird nur benutzt, um das Gedicht zusammen-
zuhalten. Wir haben hier ein schönes Beispiel für das Zusam-
menarbeiten romanischen Formgefühls und naturalistischen
Wirklichkeitssinnes.
Der Zauber des Gedichtes liegt im Kontrast, ein Mittel, das
sowohl für den Symbolismus, als auch für Schickele typisch ist :
ihre Wangen sind "bleich," während "die Feuer im Auge" "mit
dem Ersterben" ringen, die verbotene Liebe wird durch
die ''nächtigen Haare" ausgedrückt, das ''sterbende Kind"
umschlingt den Geliebten "mit all" ihrem "Leben," während
sie an seinem Mund hin wellet, hangen die roten Rosen im
Winde, und der Geliebte streut die heissen Rosen auf die kßlten
Wangen der Geliebten. Wo hangen diese Rosen ? Im "Morgen-
rot" ihrer Liebe, d.h. weit in der Vergangenheit. Gegen den
Schluss erst wird eine grosse Liebe angedeutet, die schon
lange tot ist. Das zufällige und oberflächliche Abenteuer ent-
puppt sich als eine tiefe und tragische Liebe; denn sonst
würde der Dichter nicht sein Leben lang beten, dass er die
Seele der Geliebten wiederfände. Und wo will er ihre Seele
finden, die "tief" und "weiss" ist wie "das Gletschermeerlicht"?
Im "purpurnen Kranz" seiner "Lieder."
Was in Goethes Braut von Korinth nur angedeutet wird:
Gierig schlürfte sie mit blassem Munde
Nun den du?j\cl blutgefärbten Wein;
.Vi
wird hier, durch den Einfluss des Symbolismus, entschiedene
Technik.
Diese Liebe für den Kontrast darf aber nicht als etwas rein
Äusserliches, Mechanisches aufgefasst werden; sie entspricht
13. Die Braut von Korinth, Gross/ierzog Wilhelm Ernst Ausgabe, Inselveiiag
(Leipzig, 1920), B. 14, S. 432.
276 CORONA
einer ganz entschiedenen Eigenart des Dichters, die eine Eigen-
art auch des SymboHsmus ist.
Die Verwandtschaft mit dem SymboHsmus zeigt sich auch
in der MusikaHtät der Klangmalerei und der Behandlung des
Reimes. Interessant ist es, dass diese im Grunde französische
Musikalität sehr eng mit dem rhythmischen Gefühl, das ist,
mit der germanischen Seite Schickeies, zusammenhängt.
Die Vokale in diesem Gedicht sind alle schwer und bedeu-
tungsvoll und bereiten schon von Anfang an die Tragödie vor:
Mflske noch Haus; gelbe Maske geh
Die Rosen vor'm Fenster, die glommen grad aui
Im ersten Morgenschimmer.
Die nächtigen Haaic sprachen vom End
Sie sah mir ins ^uge und warf sich an mich.
Auch die Reime und Assonanzen sind schwer und bedeu-
tungsvoll: "Haus" "auf"; "nahm" "schwarz"; "Wangen"
"rangen"; usw. Alles das sind Mittel, um rein klanglich
Stimmung und Bedeutung des Gedichtes wiederzugeben. Sie
sind dem Naturalismus fremd, dagegen typisch für den Sym-
bolismus, und finden sich nicht nur in diesem besonders stark
symbolistischen Gedicht, sondern fast in allen, sogar in denen,
wo der naturalistische Einschlag am deutlichsten ist.
Der Dichter bleibt aber schon in den Gedichten der Früh-
zeit nicht durchweg zwischen Naturalismus und Symbolismus
befangen. Die folgenden Beispiele werden zeigen, wie einzelne
Gedichte unbedingt schon darüber hinausweisen: Das Nachein-
ander der beschreibenden Erzählung wird durch momentane
Eindrücke ersetzt. Die konkrete Welt steht nicht mehr im
Widerspruch zu den inneren Regungen des Dichters; sie wird
vielmehr der Spiegel aus dem uns sein Ich entgegentritt: der
Kampf gegen das Chaos im Innern wird durch Fetzen von
äusseren Eindrücken explosionsartig vermittelt:
Gott 5
Schwarz lastet auf den Brau'n der Trotz,
und drunter wie geballte Faust — die Wut.
JUGENDGEDICHTE RENfi SCHICKELES 277
Hände sehnen in die Sonne,
durch die Nacht ein Lied, das schwillt.
Knospen leuchten weisser Wasserrosen, legen
breiter ihren Glanz
hin über eine dunkle Flut, erblühen . . . wachsen
in einander über;
und ein Lied jauchzt auf und hebt auf weicher Krone
sich zur Sonne, küsst die Stirne ihr —
Die Schauer unerhörter Taten beten in den Menschen,
Schauer einer Freiheit, die den Schmerz, die
Lüste löste —
ohne einen Gott der Kampf, ein Ringen nur
des Tigers mit dem Tiger, Duftakkorde,
die zusammenschlagen, brennen,
wogend Spiel von Farben . . . Glut,
die sich verzehrt und neu gebärt,
die sinkt und steigt . . .
Und Tod und Leben in der Glut!
Und aus der blutgen Heide weit ein Sprung,
weit über Leichen — der letzte Todesschrei
verglüht —
Die Nacht — In die die Freiheit eingeht . . .
gross und einzig in die Nacht
und wartet, dass mit einer neuen Sonne
jener käme mit dem Blick von schwerem Gold,
des Licht ein sengend Blühen ist,
in seinen Augen Morgensonnen!
Hinter tausend Panthern jagt sein Wagen
vor die Füsse ihm! und drüber fliegt das Rot,
in seine Blitze loh'n die Leben,
die Flammensäulen mit ihm gehn,
den heissen Tod saugt sich ins Mark die Kraft,
wie eine Faust ist's,
die an glühnde Brust all alles Leben rafft,
das überreif auf Julifeldern niederlag —
Gott schuf den achten Tag.^^
Sinnliche Bilder mit starken Farben werden gegeben, um
rein seelische Kämpfe darzustellen. Nicht nur visuelle und
akustische Mittel werden angewandt, der Tast- und der Ge-
ruchssinn wird gereizt, um die Einsamkeit, Grausamkeit und
bittere Schönheit des übermenschlichen Kampfes um die
14. Pan, S. 29-31.
278 CORONA
Wahrheit in einer Welt ohne Gott darzustellen. Die ausser-
ordentlich bewegliche, laute und farbenfrohe Sinnlichkeit
dieses Gedichtes repräsentiert schon den ersten Schritt in der
Richtung des neuen Stiles zwischen Impressionismus und
Expressionismus. Nur dass in dieser neuen Verbindung die
zwei Lebensformen sich nicht mehr als Parallele oder sogar als
Gegensatz manifestieren. Die expressionistische Gesinnung des
Dichters, das heisst sein Drang sich selbst auszudrücken, gibt
sich durch impressionistische Stilmittel, das heisst durch Ein-
drücke aus der objektiven Welt, kund.
Dem ersten Teile des Gedichtes fehlt aber noch die straffe
Dynamik, die Ökonomie des Ausdrucks, die charakteristisch
wird für die sogenannte impressionistische Periode des Dichters,
wo er mit wenigen im Stakkato hingeworfenen Worten eine
ganze Welt von Empfindungen und Vorstellungen zu eröffnen
vermag. Noch lässt sich der Dichter gelegentlich in der Sen-
timentalität eines verschwommenen Bildes gehen: "ein Lied
jauchzt auf und hebt auf weicher Krone sich zur Sonne, küsst
die Stirne ihr." Vorläufer der späteren Dynamik sieht man
dagegen in den Sprengstücken von Impressionen:
ohne einen Gott der Kampf, ein Ringen nur
des Tigers mit dem Tiger, Duftakkorde,
die zusammenschlagen, brennen,
Einen packenden, einmaligen Eindruck dagegen gibt der
zweite Teil des Gedichtes als Ganzes. Kampf, Niederlage und
Apotheose des schaffenden Menschen wird hier in ein einheit-
liches, mit Elektrizität geladenes Bild zusammengefasst. Hier
hat sich das zerstreuende Nacheinander der naturalistischen
Erzählung zur konzentrierenden Simultanität des Impressio-
nismus verschärft und verfeinert.
In der Umarbeitung, die der Dichter ungefähr ein Jahr-
zehnt später vornimmt, braucht er nur zwei unwesentliche
Verszeilen auszustreichen und das schwache "jener . . . mit
dem Blick von schwerem Gold" durch das viel packendere
"jener . . . mit dem mörderischen Blick" zu ersetzen, um eine
typische impressionistische Vorstellung zu schaffen.
JUGENDGEDICHTE REN£ SCHICKELES 279
Dieses Bild setzt er an den Anfang des Gedichtes und
dichtet davor zwei neue Verse, die in knapper Weise das
Thema angeben; die vielen und daher zerstreuenden Bilder
des ursprünglichen ersten Teiles fasst er in ein einziges, immer
deutlicher werdendes Bild zusammen, und schliesst damit das
neue Gedicht, das er wie eine Apotheose ausklingen lässt. Die
Symbolik, obschon sie strafter, konzentrierter und prägnanter
ist, gibt eine viel weitere Vorstellung: das neue Bild schliesst
nicht nur die Kämpfe eines einzelnen Menschen, sondern der
ganzen Menschheit ein:
Ihr Kämpfe zwischen Tag und Nacht!
Die Niederlage am Abend,
aus der blutigen Heide weit ein Sprung
über Leichen, der letzte Todesschrei verglüht,
die Nacht und die Träume der Nacht,
dass jener käme mit dem mörderischen Blick,
des Licht ein sengend Blühen ist,
in seinen Augen Morgensonnen.
Hinter tausend Panthern jagt sein Wagen,
vor die Füsse ihm! und drüber fliegt das Rot,
in seine Blitze lohn die Leben,
die in Flammensäulen mit ihm gehn,
den heissen Tod saugt sich ins Mark die Kraft,
wie eine Faust ists,
die an glühnde Brust all alles Leben rafft,
das reif auf Julifeldern lag . . .
Die unbändigen Träume der Besiegten
in der ersten Nacht!
Am Morgen der Empfang des Herrn
der Rache geübt und die Schlacht gewonnen hat.
Erwartung erst auf dunkeln Plätzen . . .
Hände im Zwielicht über der Menge
schwanken wie kleine Laternen
und verschwinden in den Gassen,
Raunen eines Herzens, das dumpf anschwillt . . .
Tausend Hände leuchten, werfen ihren Glanz
wie Saat und blühn
und wachsen ineinander über,
ein einziger Schrei, ein einziger Mund,
reckt sich, reckt sich
und küsst wie toll in die Sonne
28o CORONA
und vergeht strotzend
mit dem einen grossen, versagenden Herzen
im Blick des Herrn,
der unberührt
über die taumelnde Stadt
zu reglosen Bergen
hinübersieht.^^
An Stelle der zwei Parallelen : naturalistische Wirklichkeits-
beschreibung und Gefühlssymbolik, erkennen wir in der neuen
Form einen einheitlichen Stil, der Sinnliches und Seelisches in
ein konkretes Bild zusammenfasst, in dem man den Puls des
Lebens zu fühlen vermag.
In eine noch spätere Entwicklungsphase des Dichters weisen
die zwei Liebesgedichte "Es sind so bleiche Nächte" und
"Nacht," die schon einen Vorgeschmack geben von der Vollen-
dung, die der Dichter in seiner reifen Periode erreichte, wo er
nicht mehr Impressionen gibt, sondern die innersten Regungen
der menschlichen Seele durch die Magie einer fast überirdischen
Stimmung zum Klingen bringt.
Heimlichkeiten VI
Es sind so bleiche Nächte,
wie Welken weisser Rosen bleich,
da wollt ich vor dir auf den Knieen liegen —
der Trauerweide gleich,
die in den Schoss der Sommernacht
ihr Schmerzenshaupt begräbt,
möcht ich dann vor dir liegen,
leis und weich
sollt deine Hand auf meiner Stirne ruhn,
und deine Stimme wäre wie der Nachtwind
nur e i n Ton, der singt . . .
ganz aus der tiefen, schweren Weite . . .
Deiner Augen Licht stand' über mir
so heimlich süss
wie Mondschein, der durch Rosenlauben
bricht —
und meine Arme würd' ich auseinander-
breiten
vor deiner Jugend, deinen Seligkeiten,
15. Mein Herz mein Land, S. 8-9.
JUGENDGEDICHTE RENfi SCHICKELES 281
und wenn ich weinte, wär's wie Schauern
jener Weiden . . .
stilles . . . stilles Klagen, ein Gebet.^®
Noch fehlt hier der Widerhall und der Reichtum der
seelischen Schwingungen, die für die letzte Periode des Dich-
ters so charakteristisch sind; die Anfänge dazu sind aber
schon da; denn der Dichter braucht in seiner Umarbeitung
nur wenige Änderungen vorzunehmen, um das blasse Stim-
mungsbild in ein von sinnlicher Wirklichkeit durchdrungenes
und zugleich unendlich zartes Liebesgedicht von magischem
Zauber zu verwandeln:
Nahende Vision
Es sind so blasse Nächte
und krank wie Welken weisser Rosen,
da wollt ich vor dir auf den Knieen liegen,
der Trauerweide gleich,
die in den Schoss der Sommernacht
ihr Schmerzenshaupt begräbt,
es sind so kranke Nächte . . .
Herweht ein Ton.
Leis und weich
sollt deine Hand auf meiner Stirne ruhn,
und deine Stille wäre wie der Nachtwind
eine Stimme, die noch nicht klingt . . .
Anschwillt ein Ton.
Deine Augen ständen über mir
so fern und nah
wie dieses Licht auf meinen Händen,
dein Blut berührte mich
wie dieser Wind an meinem Haar . . .
Aufspringt ein Ton!
Suchende Lippen möchten sich meiden
aus Furcht, zu grosse Lust zu leiden,
und singen schon:
"Warst du nicht ich? Bin ich nicht du?"
und drängen schwellend einander zu:
"Bist du mein Kind? Bin ich dein Sohn?"
als ob das eine dem andern durch kranke Nächte
16. Pan, S. 78.
282 CORONA
von weitem sein eigen Herz nach Hause brächte
in einer grossen Prozession. ^^
Obschon das Gedicht den Leser als einmaliges Erlebnis
seelisch und sinnlich unmittelbar ergreift, hat es Perspektive
und Resonanz; auch ohne die letzte Strophe, die entschieden
einer späteren, viel bewussteren Periode angehört. Durch ein
höchst persönliches und individuelles Erlebnis des Dichters
erfährt man die ew^ig neue Erschütterung einer ersten Liebe.
Wir erkennen nicht mehr einzelne Kräfte, die durcheinan-
der wirken: Form und Rhythmus, Sinnliches und Seelisches
sind eine unauflösbare Einheit geworden, die als Stil wieder die
Einheit der Persönlichkeit Rene Schickele zurückstrahlt. Der
Dichter ist nicht mehr Ichbefangen, hinter seinem individuellen
Erlebnis sieht man die Kämpfe der ganzen Menschheit.
17. Mein Hei-z mein Land, S. 18-19.
Date Due
Due
Returned
Due
Returned
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-- AFR 0 5 m
Corona: studies in celebration mein
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