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Full text of "Corona: studies in celebration of the eightieth birthday of Samuel Singer, professor emeritus, University of Berne, Switzerland"

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UNIVERSITY 
OF  FLORIDA 
LIBRARIES 


DUKE    U  N  IV  ERSITY   PUBLIC  AT  IONS 


CORONA 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2011  with  funding  from 

LYRASIS  IVIembers  and  Sloan  Foundation 


littp://www.arcliive.org/details/coronastudiesincOOunse 


CORONA 


Studies  in  Celebration  of  the  Eightieth  Birthday  of 

SAMUEL  SINGER 

Professor  Emeritus,  University  ofBerne,  Switzerland 

Edited  by  ARNO  SCHIROKAUER  &  WOLFGANG  PAULSEN 


DURHAM,  NORTH   CAROLINA 

DUKE  UNIVERSITY  PRESS 

1941 


Copyright,  1941,  by  the  Duke  University  Press 

C  8  Z  Z 

6  .  2. 


Corona  is  presented  to  Samuel  Singer  by  his  friends 
and  former  students  in  the  United  States,  edited  by 
Arno  Schirokauer  and  Wolfgang  Paulsen,  and  spon- 
sored  by  the  German  Department  of  Southwestern, 
Memphis,  Tennessee. 


PRINTED  IN  THE  UNITED  STATES  OF  AMERICA  BV 
THE    SEEMAN    PRINTERY,    INC.,    DURHAM,    N.    C. 


DEDICATION 


E 


Lieber,  guter  Singer! 


RBLICKE  in  diesem  Buch  unsern  freudigsten  Dank 
dafür,  daß  Du  —  mit  Thomas  Mann  zu  sprechen  —  die 
•^  organische  Geduld  gehabt  hast,  achtzig  Lebensjahre  zu 
vollenden  und  so  zu  vollenden,  daß  die  Wahl  des  Zeitworts  in 
mehrfachem  Sinn  gerechtfertigt  ist.  Wir  sind  es,  die  sich  dazu 
gratulieren,  und  Du  bist  es,  der  uns  mit  dem  Faktum  Deines 
Daseins  beschenkt.  Es  ist  nicht  einmal  sicher,  daß  w^ir  mit  un- 
serer Gabe  die  Rollen  für  einen  Moment  vertauschen;  so  w^eit 
das  hier  Mitgeteilte  etwas  wert  ist,  ist  es  Frucht  vom  Samen, 
den  Du  in  uns  gelegt  hast,  bestenfalls  wirst  Du  Dich  wieder- 
finden und  keinen  andern  Gewinn  haben  als  den,  in  matte 
Spiegel  geblickt  zu  haben. 

Unser  Verhältnis  zu  Dir  ist  am  ehesten  mit  einer  Anekdote 
beschrieben:  Dem  Radio-Bern  war  ein  Vortrag  angeboten 
worden,  zehn  Seiten  lang,  jede  zu  vierzig  Zeilen,  betitelt  "Was 
steht  noch  vom  Alten  Europa?"  Anstelle  der  langwierigen 
Antwort  hatte  einer  der  Redaktoren  mit  Blei  eine  knappe  ge- 
geben: Der  Alte  Singer!  —  Das  war  1934  und  Du  warst  noch 
nicht  einmal  alt,  nur  eben  ein  Stück  dieses  Alten  Europa, 
dessen  Verwüstung  heute  uns  elend  macht  und  tief  versehrt. 
Angesichts  so  apokalyptischer  Vorgänge  kämen  wir  uns  als 
Gratulanten  und  Festredner  peinlich  vor,  handelte  es  sich  um 
jemand  anderen  als  Dich.  Aber  Du  bist  uns  nachgerade  die 
Garantie,  daß  keine  Vernichtung  vollständig  sein  kann.  In- 
mitten so  vieler  Untergänge  und  Einstürze  Deinen  Geburstag 

[V] 


zelebrieren  ist  nicht  nur  Zeitentrotz  und  ein  Tun,  quia  ab- 
surdum est,  sondern  ist,  was  jede  Zelebration  ist,  ein  Akt  der 
Beschwörung  und  der  feierlichen  Bestätigung,  daß  wirklich  ist, 
was  wir  wünschen,  es  solle  sein. 

Mit  diesem  Buch  bestätigen  wir  Dir  und  uns  Deine  Wirk- 
lichkeit und  Deine  Wirkung,  die  weder  an  den  Grenzen 
Deines  Kontinents  noch  Deines  engeren  Fachgebiets  zu  Ende 
ist.  Wir,  Deine  in  Amerika  wirkenden  Freunde  und  Schüler, 
kennen  unsere  Aufgabe,  hinüberzuretten  und  weiterzugeben, 
was  drüben  bei  Euch  von  Vernichtung  bedroht  ist;  Du  sollst 
um  Dein  Lebenswerk  nicht  trauern,  das  fromme  Hände  hier 
weiter  pflegen  und  fördern.  Europa  und  Amerika  sind  keine 
Antithese,  es  gibt  Grenzen,  die  weit  entscheidender  sind  als 
der  Atlantische  Ozean;  keiner  von  uns  war  gezwungen  irgend 
etwas  aufzugeben,  um  Amerikaner  zu  werden;  er  hatte  nur 
zuvor  ein  guter  Europäer  zu  sein.  Als  solcher  warst  Du  immer 
schon  unser  geistiger  Landsmann,  unser  Unternehmen  ist  also 
legitim. 

Nicht  die  geographische  sondern  die  spirituelle  Reichweite 
Deiner  Existenz  als  Germanist,  die  vielseitige  Wirkung,  die 
grosse  Streuung  und  Strahlung  eines  Fachmanntums  wie  des 
Deinen  wird  Dich  vielleicht  selbst  verblüffen:  Arabist  und 
Essayist,  Folklorist  und  Medievalist,  Geistesgeschichtler  und 
Literarhistoriker  haben  zu  diesem  Band  beigetragen.  Wäh- 
rend Du  lebenslang  in  meisterlicher  Selbstbeschränkung  auf 
Deinem  schmalen  Felde  ackertest,  gab  es  Zaungäste  aus  andern 
Feldern,  denen  Dein  treues  Pflügen  Vorbild  für  ihr  eignes  For- 
schen wurde.  Sie  alle  wünschen  Dir  zu  bestätigen,  daß  sie  ihr 
Denkbild  eines  gelehrten  Mannes,  eines  Humanisten,  aus 
Deiner  Existenz  abgezogen  haben. 

Corona  also,  das  sind  wir  selbst,  eine  bunte  Reihe,  ein 
Kränzchen  von  Freunden  und  Schülern,  die  allerlei  Laub  und 
Pflückwerk  zusammengetragen  haben,  Dir  etwas  zu  flechten, 
was  Du  gütigst  als  Corona  ansprechen  möchtest.  Die  Krone, 
die  wir  zu  verleihen  haben,  gebührt  Dir  vor  allem  für  diese 
Leistung  aus  dem  Randgebiet  der  Germanistik,  der  Wortge- 
schichte: Du  hast  aus  Freund  und  Lehrer  ein  Synonym  ge- 
macht.  Niemand  lernte  bei  Dir,  ohne  Dich  lieben  zu  lernen. 

[vi] 


Die  Herausgeber  haben  sich  für  jede  Mühe  belohnt  ge- 
macht, wenn  sie  auf  ihre  Anfrage  Antworten  erhielten,  wie 
die  eines  Deiner  älteren  Schüler,  der  seit  vielen  Jahren  tief  im 
Süden  beamtet  ist,  er  freue  sich  so,  einen  Beitrag  zu  Ehren 
seines  unvergeßlichen  Lehrers  beisteuern  zu  dürfen. 

So  war  in  weniger  als  drei  Monaten  das  Manuskript  zusam- 
mengebracht. Der  seelische  Notstand,  auf  den  die  Herausgeber 
hinwiesen,  als  sie  den  Plan  dieses  Buches  faßten,  wurde  sehr 
schnell  von  allen  Mitarbeitern  begriffen.  Vielleicht  wären  aber 
die  Herausgeber  im  Materiellen  gescheitert,  hätte  sich  nicht  Dr. 
Charles  E.  Diehl,  Präsident  des  Southwestern  College,  mit 
ganzer  Seele  für  den  Plan  eingesetzt.  Sein  energisches  Interesse 
räumte  die  finanziellen  Schwierigkeiten  aus  dem  Wege.  Ihm 
gelang  es,  den  Oberlaender  Trust  an  dem  entstehenden  Werk 
zu  interessieren,  so  daß  dessen  Sekretär  Dr.  Wilbur  K.  Thomas 
dem  German  Department  von  Southwestern  eine  Summe  zur 
Verfügung  stellte,  die  den  größten  Teil  der  Druckkosten 
deckte,  wofür  ihm  auch  an  dieser  Stelle  aufs  wärmste  gedankt 
sei.  Für  das  Fehlende  sprangen  mehrere  Mitarbeiter  mit  klei- 
neren Beträgen  ein. 

Die  Zeit  hat  den  Entschluß,  den  Band  zu  veröffentlichen, 
nicht  erleichtert.  Wir  faßten  ihn  im  Glauben,  daß  Zeitverbun- 
denheit ebenso  sehr  ein  Fluch  wie  ein  Segen  ist,  und  der  Vor- 
wurf, die  Wissenschaft  sei  zeitfremd,  ihr  heiligstes  Privileg.  So 
mischen  wir  unsern  Stimmenchor  in  den  der  Kanonen  in  der 
Überzeugung,  er  werde  dauern,  wenn  sie  schon  schweigen. 

ARNO  SCHIROKAUER. 

Memphis,  31.  Mai  1940. 


[vü] 


CONTENTS 

Folklore 

Archer  Taylor,  A  Metaphor  o£  the  Human  Body  in 

Literature  and  Tradition 3 

Alfred  Senn,  On  the  Sources  of  a  Lithuanian  Tale 8 

Richard  Jente,  A  Review  o£  Proverb  Literature  Since  1920 23 

Friedrich  C.  Sell,  Ein  Lobspruch  von  eim  schiessen  zu 

Augspurg  1509 45 

Linguistics 

Anna  Granville  Hatcher,  Son  Cors  in  Old  French 63 

Robert  H.   Weidman,  The   Orthographie   Conflation   of  Nominal 
Compounds  in  MHG  Based  on  a  Study  of  the  Manesse  Manu- 

script   89 

Leo  Spitzer,  Zwei  französische  Neologismen 100 

Middle  Ages 

Arno  Schirokauer,  Der  zweite  Merseburger  Zauberspruch 117 

Gustave  von  Grunebaum,  On  the  Development  of  the  Type  of 

Scholar  in  Early  Islam 142 

Lawrence  Ecker,  Die  Blumenbeschreibungen  der  spanisch- 
arabischen Hofdichter  148 

Henry  W.  Nordmeyer,  Hohe  Minne  bei  Reinmar  von  Hagenau: 

MF  176,  5 158 

Hans  Sperber,  Kaiser  Ottos  Ehre  (Walther  26,  33) 183 

Modern  German  Literature 

Thomas  Mann,  Goethes  Werther 186 

Ernst  Feise,  Clemens  Brentanos  Geschichte  vom  braven  Kasperl 

und  schönen  Annerl 202 

Gustav  E.  Mueller,  Solger's  Aesthetics — A  Key  to  Hegel  (Irony 

and  Dialectic)   212 

Wolfgang  Paulsen,  Adalbert  Stifter  und  der  Nachsommer 228 

Ludwig  W.  Kahn,  Fortschrittsglaube  und  Kulturkritik  im 

bürgerlichen  Roman    252 

Francine  B.  Bradley,  Zwischen  Naturalismus  und  Symbolismus: 

Eine  Stilanalyse  einiger  Jugendgedichte  Rene  Schickeies 268 

[ix] 


CORONA 


A  METAPHOR  OF  THE  HUMAN  BODY  IN 
LITERATURE  AND  TRADITION 

ARCHER  TAYLOR,  Ufitversity  of  California 

SO  FAR  as  I  can  see, no  one  has  commented on the diverse 
uses  of  a  symbolism  which  compares  the  human  body  to  a 
house.  This  symbolism  appears  in  the  oldest  Version  of  the 
fable  of  the  Body  and  the  Members.  The  pertinent  portion  of 
the  text,  v^^hich  was  scrawled  by  a  Student  in  the  New  Empire, 
is  as  follows: 

Gerichtsverhandlung  über  einen  Streit.  Der  Rechtsstreit  des  Bauches 
mit  dem  Kopfe,  um  zu  ermitteln,  was  als  Urteil  ausgesprochen  werden 
muss,  wenn  man  beschuldigt  wird  vor  den  Dreissig  Richtern.  Der 
Bauch  \lagt  den  Kopf  an.  Siehe,  ihr  (d.  h.  der  Glieder)  Kopf,  ihn 
klagte  (?)  man  der  Sünde  an,  dass  sein  Auge  weine.  Die  Wahrheit 
wurde  ermittelt  vor  dem  Gott,  dessen  Abscheu  sündige  Eigenschaften 
sind.  Der  Bauch  sagte  seine  Anklage.  Der  Kopf  verteidigt  sich.  Der 
Kopf  aber  schrie  seinen  Ausspruch  gänzlich  nieder  (und  sagte):  "Ich, 
ich  bin  der  eigentliche  Riegel  dieses  ganzen  Hauses,  der  die  anderen 
Riegel  vorschiebt,  und  der  die  anderen  Riegel  einspannt.  Jedes  Glied, 
das  sich  auf  mich  stützt,  ist  froh."^ 

Brief  as  this  allusion  is,  it  suggests  clearly  enough  that  the  head 
compares  itself  to  some  part  of  the  house  which  unites  all  of 
the  other  members  of  the  structure.  Heinrich  Gombel,  who 
writes  at  length  in  Die  Fabel  "Vom  Magen  und  den  Gliedern" 
in  der  Weltliteratur  (mit  besonderer  Berücksichtigung  der  ro- 
manischen Fabelliter atur),^  does  not  comment  on  the  presence 

1.  I  omit  the  remainder  o£  the  spcech  and  of  the  fable  as  not  pertinent  to  our 
purposes.  The  text  is  taken  from  G.  Reeder,  Altägyptische  Erzählungen  und  Märchen 
("Die  Märchen  der  Weltliteratur";  Jena,  1927),  p.  108.  See  also  pp.  xiv  and  334. 
The  editing  and  translating  of  the  text  need,  according  to  Roeder,  revision. 

2.  "Beihefte  zur  Zeitschrift  für  romanische  Philologie,"  LXXX  (Halle,  1934). 
See  also  J.  Pauli,  Schimpf  und  Ernst,  ed.  J.  Bolte  (Berlin,  1924),  No.  399. 


4  CORONA 

of  this  symbolism  in  the  Egyptian  text,  and  his  materials  do 
not  include  any  other  example  of  the  fable  in  which  this  sym- 
bolism occurs.  The  early  versions,  chiefly  in  Sanskrit,  are 
chiefly  concerned  with  a  dispute  over  the  rank  of  the  various 
Organs. 

A  second  example  of  the  house  as  a  symbol  for  the  human 
body  is  perhaps  seen  in  the  famous  passage,  Ecclesiastes  12:1-7: 

Remember  now  the  Creator  in  the  days  o£  thy  youth,  while  the  evil 
days  come  not,  nor  the  years  draw  nigh,  when  thou  shalt  say,  I  have  no 
pleasure  in  them; 

While  the  sun,  or  the  Hght,  or  the  moon,  or  the  stars,  be  not 
darkened,  nor  the  clouds  return  after  the  rain; 

In  the  day  when  the  keepers  of  the  house  shall  tremble,  and  the 
strong  men  shall  bow  themselves,  and  the  grinders  cease  because  they 
are  few,  and  those  that  look  out  of  the  Windows  be  darkened, 

And  the  doors  shall  be  shut  in  the  streets,  when  the  sound  of  the 
grinding  is  low,  and  he  shall  rise  up  at  the  voice  of  the  bird,  and  all  the 
daughters  of  music  shall  be  brought  low; 

Also  when  they  shall  be  afraid  of  that  which  is  high,  and  fears  shall 
be  in  the  way,  and  the  almond  tree  shall  flourish,  and  the  grasshopper 
shall  be  a  bürden,  and  desire  shall  fail:  because  man  goeth  to  his  long 
home,  and  the  mourners  go  about  the  streets: 

Or  ever  the  silver  cord  be  loosed,  or  the  golden  bowl  be  broken,  or 
the  pitcher  be  broken  at  the  fountain,  or  the  wheel  broken  at  the  cistern. 

Then  shall  the  dust  return  to  the  earth  as  it  was:  and  the  spirit  shall 
return  unto  God  who  gave  it. 

The  allegorical  interpretation  of  this  passage,  which  obviously 
describes  man's  old  age,  is  disputed,^  and  when  commentators 
on  the  Biblical  text  difTer,  I  shall  not  venture  to  insist  upon 
either  a  literal  or  an  allegorical  interpretation.  Let  it  suffice  to 
point  out  that  commentators  have  seen  here  a  symbolism  which 
compares  the  human  body  to  a  house. 

An  example  of  this  symbolism  is  familiär  to  every  reader 
of  riddles,  but  its  similarity  to  the  metaphor  which  we  are  dis- 
cussing  has  not  been  remarked.  A  typical  example  is 

3.  D.  Buzy,  C.  S.  J.,  "Le  portrait  de  la  vieillesse,"  Revue  biblique,  XLI  (1932), 
329-340,  defends  the  literal  interpretation.  Harry  Torczyner,  "The  Riddle  in  the 
Bible,"  Hebrew  Union  College  Annual,  I  (1924),  136-138,  defends  the  allegorical 
interpretation.   I  am  indebted  to  Professor  W.  Popper  for  kind  assistance  at  this  point. 


A  METAPHOR  OF  THE  HUMAN  BODY  5 

There's  a  house  wid  two  winder  upstairs.  Is  red,  an'  downstairs  is 
white.   An'  two  doors. — Face.'* 

A  variant  carries  out  the  metaphor  more  eflectively  by  specify- 
ing  the  nature  of  the  Building: 

A  large  theatre  has  two  window  upstairs,  two  window  downstairs,  a 
large  door  with  white  people,  a  red  stage. 

In  various  forms,  which  we  need  not  detail  here,  this  metaphor 
is  known  to  riddlers  from  Europe  and  North  America  to 
Hawaii  and  the  Philippines. 

A  comparison  of  the  head  to  a  church  occurs  as  a  variety  of 
the  "chin-chopper"  rhymes.  I  take  the  following  example 
from  a  Standard  work,  which  the  author  graciously  declares 
owes  much  to  the  encouragement  and  support  of  Professor 
Samuel  Singer.  This  specialized  comparison  is,  I  am  inclined 
to  believe,  an  elaboration  and  sophistication  of  the  original 
theme  in  much  the  same  way  that  the  riddle  which  compares 
the  head  to  a  theater  is  an  elaboration.  The  text  is  as  follows: 

Das  isch  der  Altar  (Stirn ) , 
Das  sind  die  beide  LiechtH  (Augen), 
Das  isch  e  Leschhernli  (Nase), 
Das  isch  d'  Sakristei  (Mund), 
Und  das  isch  der  Bibabater  (Kinn), 
Und  da  got  domine  (Hals).^ 

Parts  of  this  metaphor  are  often  found  as  riddles  or  in  other 
uses.  The  eyes,  for  example,  are  referred  to  as  Windows,^  and 

4.  Elsie  Clews  Parsons,  Foll(lore  of  the  Sea  Islands,  South  Carolina  ("Memoirs  o£ 
the  American  Folklore  Society,"  XVI;  New  York,  1923),  p.  167,  Nos.  93  and  93  var. 

5.  G.  Züricher,  Kinderlieder  der  deutschen  Schweiz  ("Schriften  der  schweizeri- 
schen Gesellschaft  für  Volkskunde,"  XVII;  Basel,  1926),  p.  49,  No.  794.  The 
"Leschhernli"  is  a  candle-snuffer.  For  the  Suggestion  of  these  children's  rhymes  I 
am  indebted  to  Professor  James  R.  Caldwell. 

6.  A.  Joos,  Raadsels  van  het  Vlaamsche  vol\  (Brüssels  \ca.  1928]),  No.  72; 
F.  Ström,  Svens\a  jolk^gator  (Stockholm,  1937),  p.  78,  "Ögat,"  No.  i;  Y.  Wich- 
mann, "Syrjänische  Volksdichmng,"  Memoires  de  la  societe  finno-ougrienne, 
XXXVIII  (1917),  Nos.  64,  65;  F.  Starr,  A  Little  Bool{  of  Filipino  Riddles  (Yonkers, 
1909),  No.  39. 

The  metaphor  of  the  eyes  compared  to  Windows  occurs  in  a  Flemish  riddle  (Joos, 
No.  547)  which  enumerates  the  parts  of  the  body  in  somewhat  the  same  manner  as 
we  find  in  the  famous  cow-riddle:  "An  oven,  four  pillars,  two  men-frighteners,  onc 
fly-frightener"  (F.  Boas,  Journal  of  American  Fol^-Lore,  XXV,  191 2,  230,  No.  22). 
For  discussion  of  the  cow-riddle  and  its  congeners  see  A.  Arne,  Vergleichende 
Rätselforschungen,  II  ("FF  Communications,"  XXVII;  Helsinki,  1919),  60-172. 


6  CORONA 

new  Clements  may  be  introduced,  e.g.,  "One  looks  out  of  the 
house,  but  not  into  it"  or  "The  whole  world  looks  in,  the  whole 
World  looks  out."  The  Syrjanian  comparison  of  the  eyes  to 
pearls  in  a  window  frame  is  perhaps  the  most  poetical  of  such 
metaphors.  The  Filipino  riddle  "There  are  seven  Windows: 
only  thrce  shut. — Ears,  nostrils,  eyes,  mouth"  probably  repre- 
sents  a  contamination  with  the  ancient  riddle  of  the  seven  holes 
in  the  headJ  The  Wotyak  create  a  vivid  and  picturesque  rid- 
dle for  combing  hair  in  "A  snowshoe  glides  down  over  the 
house-roof."^  The  ordinary  processes  of  poetic  invention  may 
create  these  metaphors  as  in  the  accusation  uttered  by  the  ghost 
of  Hamlet's  father,  "And  in  the  porches  of  mine  ears  did  pour 
the  leprous  distilment"  {Hamlet,  Act  I,  scene  v,  IL  63-64)  and 
such  current  phrases  for  mental  derangement  as  "He  is  off  in 
the  Upper  story"  or  "He  has  bats  in  his  belfry." 

I  have  not  found  parallels  to  a  curious  use  of  this  symbolism 
in  the  Scottish  bailad  "Sweet  William's  Ghost."  Motherwell 
reports  the  pertinent  stanza  as  traditional,  but  it  does  not  ap- 
pear  to  occur  in  any  other  version  of  the  ballad.  Margaret 
comes  to  her  sweetheart's  grave  and  asks  to  lie  with  him.  He 
replies  that  there  is  no  room  at  his  head,  feet,  or  side  and 
describes  his  Situation  thus: 

My  meikle  tae  is  my  gavil-post, 
My  nose  is  my  roof  tree, 

My  ribs  are  kebars  to  my  house, 
And  there  is  no  room  for  thee. 

7.  See  references  in  Reinhold  Koehler,  Kleinere  Schriften,  III  (Berlin,  1900),  368, 
n.  1;  F.  Coelho,  Revista  lusitana,  I  (1887-89),  254;  Archer  Taylor,  "Problems  in  the 
Study  o£  Riddles,"  Southern  Folklore  Quarterly,  II  (1938),  8,  n.  13.  A  Baloche 
riddle  "There  is  a  house  built  by  the  Creator  which  has  seven  doors,  while  others 
have  but  four.  By  your  wisdom  guess  and  explain  this. — A  man's  body"  (M.  L. 
Dames,  "Populär  Poetry  of  the  Baloches,"  Publications  of  the  FolkjLore  Society,  LIX, 
London,  1907,  p.  200,  No.  17)  may  be  compared  to  the  Filipino  riddle  cited  above. 
Mr.  William  A.  Kozumplik  of  die  University  of  Chicago  is  investigating  the  history 
of  this  riddle. 

8.  Y.  Wichmann,  "Wotjakische  Sprachproben,"  Journal  de  la  societe  ßnno-ou- 
grienne,  XIX  (1901),  34,  No.  258.  We  might  perhaps  see  the  allegory  of  the  body  in 
riddles  beginning  "Behind  the  mill"  or  "Behind  the  house,"  e.g.  "Behind  the  mill 
there  is  a  two-pronged  fork. — Braids  of  hair"  (Wichmann,  p.  30,  No.  220)  and 
"Behind  the  house  there  is  a  hop-pole. — Braid  of  hair"  (Wichmann,  p.  34,  No.  256), 
but  here  "mill"  and  "house"  are  probably  understood  literally,  since  these  intro- 
ductory  phrases  occur  again  and  again  in  Wotyak  and  other  riddles. 


A  METAPHOR  OF  THE  HUMAN  BODY  7 

As  a  last  example,  I  quote  the  elaborate  development  of  the 
Symbol  in  Thomas  Dekker's  Gul's  Horn-Booke  (1609),  Chap- 
terVIII: 

For  the  Head  is  a  house  built  for  Reason  to  dwell  in;  and  thus  is  the 
tenement  franied.  The  two  Eyes  are  the  glasse  windowes,  at  which 
light  disperses  itself  into  every  roome,  having  goodly  pent-houses  of 
haire  to  overshadow  them:  As  for  the  nose,  tho  some  (most  injuriously 
and  improperly)  make  it  serve  for  an  Indian  chimney,  yet  surely  it  is 
rightly  a  bridge  with  two  arches,  .  .  .  the  cherry  lippes  open,  Hke  the 
new-painted  gates  of  a  Lord  Mayor's  house,  to  take  in  provision.  The 
tongue  is  a  bell,  hanging  just  under  the  middle  of  the  roofe;  and  lest  it 
be  rung  out  too  deepe  .  .  .  ,  there  are  two  even  rowes  of  Ivory  pegs  (like 
pales)  set  to  keep  it  in.  The  eares  are  two  Musique  roomes  into  which 
as  well  good  sounds  as  bad,  descend  downe  two  narrow  paire  of  staires, 
that  for  all  the  world  have  crooked  windings  like  those  that  lead  to  the 
top  of  Powles  steeple.  ...  So  would  this  goodly  palace,  which  we  have 
modeled  out  unto  you,  be  but  a  cold  and  bald  habitation,  were  not  the 
top  of  it  rarely  covered.  Nature  .  .  .  has  thatcht  it  all  over,  and  that 
Thatching  is  haire. 

Additional  illustrations  of  so  simple  and  obvious  a  metaphor 
as  the  comparison  of  the  body  to  a  house  are  perhaps  unneces- 
sary.  It  is  dif&cult  to  know  whether  these  instances  spring  from 
a  Single  root  or  whether  they  have  originated  independently. 
The  interest  which  attaches  to  the  discussion  of  these  questions 
is  apparent,  and  the  present  brief  note  may  direct  attention  to 
them. 


ON  THE  SOURCES  OF  A  LITHUANIAN  TALE 

ALFRED  SENN,  University  of  Pennsylvania 


IN  1921  the  Lithuanian  writer  Vincas  Kreve  brought  out  the 
first  edition  of  his  volume  of  short  stories  entitled  Dainavos 
salies  sentf.  zmonit^  padavimai  ("Stories  Told  by  Old  People 
of  the  Dainava  Country").  The  author  whose  füll  name  is 
Vincas  Kreve-Mickevicius  and  who,  in  addition  to  being  the 
outstanding  living  poet  of  the  Lithuanians,  is  also  a  philologist 
and  collector  of  folklore  material  was  later  (1932)  presented  to 
the  outside  world  by  the  Italian  Giuseppe  Salvatori  in  a  lifelike 
picture  printed  in  the  Journal  Studi  Baltici,  Volume  II,  pages 
23-34  (published  by  the  Istituto  per  l'Europa  Orientale,  Rome, 
Italy).  Kreve's  tales  are  all  written  in  rhythmic  prose  and  are 
based  on  folklore  material,  such  as  semihistorical  legends  and 
fairy  tale  motifs.  In  the  introduction  we  find  the  author's  asser- 
tion  that  he  is  only  relating  what  he  has  been  told  by  people 
living  in  that  region.  All  the  tales  are  definitely  connected 
with  actual  localities  in  the  Dainava  Country  (extending  to  the 
south  from  Alytus).  The  time  of  action  is  projected  into  pagan 
antiquity.  The  third  tale  in  the  collection  (pp.  49-73),  entitled 
"Gilse,"  has  been  made  available  in  a  German  translation  by 
Horst  Engert  in  his  publication  Aus  litauischer  Dichtung. 
Deutsche  Nachdichtungen  (Second  Edition;  Kaunas  and  Leip- 
zig: Ostverlag  der  Buchhandlung  Pribatsch,  1938),  pages  25-54, 
where  the  name  is  spelled  Gilsche.  A  brief  sketch  of  the  plot 
f ollows : 

The  daughter  of  a  rieh  nobleman  falls  in  love  with  a  servant  of  her 
father  and  therefore  refuses  all  other  suitors,  When  her  lover  asks  for 
her  hand,  the  old  nobleman  answers  in  this  way:  "I  will  give  you  my 


A  LITHUANIAN  TALE  9 

daughter  when  you  are  as  rieh  as  I.  Now,  leave  my  manor."  There- 
upon  the  servant  becomes  a  highwayman,  robs  and  murders  three  mer- 
chants,  whose  bodies  he  buries  under  a  bridge.  With  this  stolen  wealth 
he  buys  himself  an  estate  and  builds  a  magnificent  manor  house.  Now 
the  old  nobleman  consents  to  the  marriage.  In  answer  to  the  question 
as  to  the  origin  of  this  wealth  the  suitor  declares  that  he  has  gone  to 
the  wars  and  has  brought  home  rieh  booty,  To  his  betrothed,  however, 
he  confesses  the  truth.  But  she  now  fears  the  revenge  of  the  gods  and 
refuses  to  marry  before  she  knows  what  kind  o£  punishment  the  gods 
have  in  störe  for  them. 

The  youth  desires  to  know  what  he  may  expect  and  upon  the  advice 
of  an  old  hermit,  who  is  endowed  with  supernatural  power,  he  keeps 
a  three-night  vigil  under  the  bridge  where  the  three  bodies  are  buried. 
Each  night  one  of  the  three  murdered  merchants  appears  to  accuse  him 
before  the  gods.  Upon  the  accusation  of  the  first  one  the  voice  of  the 
gods  promises  punishment  after  ninety-nine  years.  At  this  news  the  girl 
is  willing  to  marry  the  young  man,  because  in  all  probability  they  would 
not  live  that  long  anyhow.  After  the  accusation  of  the  second  merchant 
the  period  of  grace  is  reduced  to  thirty-three  years.  Even  this  does  not 
deter  the  girl.  In  the  third  night  the  period  is  reduced  to  thirteen  years. 
But  even  now  the  girl  is  still  willing  to  marry  her  beloved,  for,  she  says, 
"Thirteen  years  is  a  long  time,  during  which  we  both  will  spend  many 
happy  days  and  blissful  nights.  Afterwards,  we  shall  perish  together, 
sufifer  together,  and  thus  share  fortune  and  misfortune."  And  she 
marries  him. 

Years  pass  and  the  young  couple  prospers.  But  the  inner  unrest  of 
the  man  grows  continually.  Especially  fearful  for  him  is  the  thought 
that  his  beloved  wife  will  have  to  suffer  for  his  crime.  A  raven,  which 
he  is  about  to  shoot  while  hunting  one  day,  speaks  to  him  and  promises 
him  a  remedy  for  his  tortured  soul.  He  is  told  to  seek  an  old  man  in 
the  land  of  the  Prussians.  This  he  does.  This  ancient  one,  who  is  the 
high  priest  of  the  heathen  Prussians,  advises  him  to  take  part  in  the  war 
against  the  enemies  of  his  country,  the  Teutonic  Knights.  Before  his  de- 
parture  he  must  plant  a  dry  linden  twig  in  the  earth  at  the  place  where 
the  murdered  merchants  lie  buried.  When  this  twig  brings  forth  leaves 
and  blossoms,  he  will  be  called  back  from  the  battlefield,  if  at  that  time 
he  is  still  alive. 

The  young  man  agrees  to  this  and  prepares  for  the  campaign.  But 
he  gives  up  his  plan  upon  the  entreaties  of  his  wife  who  wants  to  share 
fortune  and  misfortune  with  him. 

Toward  the  end  of  the  thirteen  years  Sarünas,  the  legendary  prince 
of  the  Dainava  Country,  while  on  a  hunting  trip,  comes  to  the  manor 
house  of  the  couple  and  is  hospitably  received.  But  during  the  night  a 
voice  awakens  him,  urging  him  to  leave  the  place.   He  does  leave  only 


to  CORONA 

after  he  has  seen  on  the  horizon  a  fiery  glow  indicating  that  his  own 
Castle  must  be  in  flames.  After  going  quite  a  distance,  he  becomes 
suddenly  aware  that  he  has  forgotten  his  sword.  He  therefore  returns  to 
the  manor  house  but  finds  in  its  place  a  deep  lake  and  a  table  floating 
near  the  shore  with  his  sword  upon  it.  The  manor  house  had  sunk  with 
lord  and  lady  into  the  earth  and  in  the  place  remains  a  deep  lake  named 
Gilse.  But  every  year  on  the  night  in  which  the  manor  house  had  disap- 
peared,  a  lad  and  a  lass  play  out  in  the  moonlight  in  the  middle  of  the 
lake,  shrouded  by  mist. 

n 

This  Story  has  a  number  of  motifs  which  are  known  also 
to  other  peoples  outside  the  Lithuanian  language-area : 

(i)  We  are  reminded  of  tale  No.  28  ("The  Singing  Bone") 
of  Grimm's  Childrens  and  Household  Tcdes^  where  the  body 
of  the  murdered  brother  is  buried  under  a  bridge  and  where 
vengeance  eventually  comes  also. 

(2)  A  three-night  vigil  at  the  grave  is  also  to  be  found  in 
No.  195  ("The  Burial-Mound")  of  the  Grimm  collection. 

(3)  A  raven  speaking  to  a  hunter  who  is  about  to  shoot  it 
appears  also  in  tale  No.  191  ("The  Sea-Rabbit")  of  the  Grimm 
collection. 

(4)  The  Tannhäuser  motif  (the  dry  twig  sprouts  anew)  is 
widely  known.  Here  reference  is  made  only  to  No.  6  of 
Grimm's  Kinderlegenden  ("The  Three  Green  Twigs").^  The 
motif  is  of  Greek  origin.  In  Greek  iconography  St.  Basil  is 
always  pictured  with  a  dry  stafl.^ 

(5)  The  act  of  atonement  which  the  man  is  ready  to  per- 
form (although  he  does  not  actually  perform  it)  is  a  Christian 
motif  and  also  appears  elsewhere  in  Kreve's  poetic  works. 
Thus  in  the  mystery  play  called  On  the  Faths  of  Fate  the  Seer 
teils  little  Vincent:  "You  must  take  upon  your  Shoulders  the 

1.  I  am  rcferring  to  Paul  Neuburger's  edition  of  Kinder-  und  Hausmärchen, 
gesammelt  durch  die  Brüder  Grimm.  In  zwei  Teilen  herausgegeben,  mit  Einleitung 
und  Anmerkungen  versehen  (Berlin  and  Leipzig:  Deutsches  Verlagshaus  Bong  und 
Coo). 

2.  Cf.  Paul  Ncuburger,  Kinder-  und  Hausmärchen,  II,  320  f. 

3.  Cf.  the  legend  of  St.  Basiliskos  in  the  OXd  C\x\ixch.S\z\onic  Codex  Suprasliensis. 
See  A.  Leskien,  Handbuch  der  altbulgarischen  {ah\irchenslavischen]  Sprache,  p.  240. 


A  LITHUANIAN  TALE  ii 

troubles  of  all  our  people.   By  your  sacrifice  you  will  redeem 
this  unfortunate  country."^ 

(6)  Christian  in  origin  is  also  the  motif  of  the  Crusade, 
which  however  here  is  pointed  against  the  Christians. 

(7)  The  motif  of  the  sunken  manor,  a  variety  of  the  Vineta 
motif,^  is  well  known  in  Lithuania  as  well  as  in  other  coun- 
tries.*^  The  Motif  Index  of  Lithuanian  Narrative  Folk^Lore  by 
Jonas  Balys'^  under  No.  3610  gives  thirty-nine  references  to 
legends  about  towns,  manors,  Castles,  churches,  and  bells  swal- 
lowed  up  by  the  earth:  "At  certain  periods  they  reappear  for  a 
short  time  on  the  surface  of  the  earth;  all  efforts  to  save  them 
turn  to  no  account  through  some  error  made  by  the  would-be 
rescuer  (tales  of  this  kind  are  generally  attached  to  certain 
places)."  However,  none  of  the  following  passages  is  referred 
to  in  Balys's  Index: 

a)  C.  Jurkschat,  Litauische  Märchen  und  Erzählungen 
(Heidelberg,  1898),  pages  1 08-1 10,  gives  a  local  legend  about 
a  sunken  Castle  from  Galbrasten  (East  Prussia).  The  castle 
with  everything  in  it  is  said  to  have  sunk  into  the  Marshes  of 
Strasine  for  the  sins  of  its  lord,  especially  for  the  tyranny  he 
exercised  over  his  dependents.  The  place  is  now  all  grown 
over  with  moss  and  dwarf-pines. 

b)  Bolte-Polivka,  Anmerkungen  zu  den  Kinder-  und  Haus- 
märchen der  Brüder  Grimm,  II,  218,  refer  to  a  Lithuanian 
variant  of  the  tale  of  "The  Poor  and  the  Rieh"  (No.  87  of 
Grimm's  coUection)  in  which  the  barn  of  the  poor  man  is 
filled  with  grain  while  the  house  of  the  rieh  man  sinks  into  a 
lake  on  the  surface  of  which  a  table  is  floating  with  the  prayer 
book  of  the  priest  on  it. 

4.  Kreves  Rastai,  VII,  122. 

5.  We  find  it  also  in  the  above-mentioned  mystery  play  of  Kreve's,  e.g.,  Kreves 
Rastai,  VII,  69  and  85.  According  to  Albert  Wesselski,  Märchen  des  Mittelalters 
(1925),  p.  200,  the  motif  of  sunken  Castles,  towns,  etc.,  is  discussed  by  M.  Winter- 
nitz  in  his  study  on  Die  Flut  sagen  des  Altertums  und  der  Naturvölker  (1901),  p.  312. 

6.  The  motif  is  testified  to  for  Estonia  by  Antti  Aarne,  Estnische  Märchen-  und 
Sagenvarianten  ("FF  Communications,"  XXV;  Helsinki,  1918),  p.  134,  Nos.  86-87, 
and  for  Livonia  by  Oskar  Loorits,  Livische  Märchen-  und  Sagenvarianten  ("FF  Com- 
munications," LXVI;  Helsinki,   1926),  p.  76,  No.  252. 

7.  Foll^lore  Studies,  II  (Kaunas,  1936).  Publication  of  the  Lithuanian  Folklore 
Archives. 


12  CORONA 

c)  In  the  annual  Journal  Tauta  ir  2.odis,  I  (Kaunas,  1923), 
page  129  and  the  foUowing,  V.  Kreve-Mickevicius  printed  pop- 
ulär tales  about  the  destruction  of  the  legendary  city  of  Raigrod 
originally  situated  between  Ratnycia  and  Pervalka.  The  in- 
habitants  of  the  city  led  a  life  of  wickedness.  The  prophet  Elias 
from  the  Old  Testament  came  to  preach  penitence  but  was  so 
seriously  threatened  that  he  feared  for  his  life  and  gave  up  his 
mission.  Only  an  old  priest  was  saved  from  destruction  by  a 
voice  which  he  heard  several  times  in  his  sleep  and  which 
urged  him  to  get  out  of  the  city  immediately.  When  he  was 
already  quite  far  away  from  the  city  he  noticed  that  he  did  not 
have  his  prayer  book  with  him.  He  then  returned  but  found 
in  place  of  the  city  a  large  lake.  Near  the  shore  a  little  table 
was  floating,  and  on  it  was  the  prayer  book  of  the  priest. 

d)  In  the  bailad  "Cicinskas"  of  the  late  poet  laureate  Mai- 
ronis^  the  Castle  of  the  blasphemer  is  swallowed  up  by  the 
earth:  At  the  place  where  previously  the  magnificent  palace  of 
Cicinskas  had  been  standing  we  find  now  a  glittering  pond, 
filled  to  the  brim  with  water,  and  in  its  middle  an  island 
framed  in  by  brush. 

e)  A  folktale  relates  that  the  Castle  of  the  legendary  king 
of  the  Samaits  or  Samogitians  was  swallowed  up  by  the  earth 
together  with  the  king  and  his  faithful  followers  after  the  king 
had  stamped  his  foot  powerfuUy  on  the  ground.^ 

f)  Finally,  may  I  refer  to  a  variant  which  Kreve-Mickevicius 
himself  published  in  the  Journal  Müsii  Tautosakß^^  where  we 
find  a  number  of  folktales  about  Prince  Sarünas  ?   Sarünas  has 

8.  Cf.  Maironis-Maciulis,  Pavasario  Balsai  (Kaunas,  1920),  No.  28,  pp.  33-35. 
Svento  Kazimiero  Draugijos  leidinys.  No.  232.  This  poem  is  not  mentioned  in 
Balys's  Motij  Index.  A  difTerent  type  is  mentioned,  however,  in  No.  3748  of  the 
Index,  where  ten  records  (only  one  of  which  is  printed,  namely,  M.  Dowojna- 
Sylwestrowicz,  Podania  zmujdzl^ie  [Samogitian  Tales],  II,  52,  Warsaw,  1894)  of  the 
Story  o£  Squire  Cicinsf^is  are  registered  with  the  following  Statement  o£  contents: 
"The  cruel  lord  of  Upyte,  an  historical  personage,  to  whose  account  populär  tradi- 
tion  ascribes  many  a  great  iniquity.  Finally  one  Easter  morning,  after  riding  into 
church  on  horseback  and  murdering  the  priest  holding  mass,  he,  on  his  way  home, 
was  Struck  dead  by  lightning,  his  manor  swallowed  up  by  the  earth;  his  body  was 
persistently  being  cast  up  by  the  earth,  and  for  a  long  time  resisted  decay." 

9.  Cf.  the  chapter  "2emaiciij  karalius"  in  Vikt.  Kamantauskas,  Kirciuota  lietuvit[ 
literatüros  chrestomatija  (Kaunas,  1929),  p.  79. 

IG.  Müsq  Tautosal{a,  I  (Kaunas,  1930),  90-112. 


A  LITHUANIAN  TALE  13 

there  all  the  familiär  traits  of  Antichrist.  When  his  attacks 
against  God  became  too  outrageous  the  Lord  sent  "St."  Elias  to 
fight  him.  With  a  thunderbolt  Elias  destroyed  the  Castle  of  his 
adversary.  The  earth  opened  and  swallowed  up  the  blasphemer 
with  his  foUowers.  Where  previously  there  had  been  a  Castle 
there  was  later  only  a  large  lake. 

There  is  unquestionable  agreement  between  the  variants^and 
c  (priest  and  prayer  book)  on  the  one  band  and  c  and  /  (Elias) 
on  the  other.  The  motif  of  the  sunken  Castle  is  ultimately  to 
be  traced  back  to  the  Biblical  legend  of  the  destruction  of 
Sodom  and  Gomorrah  and  the  origin  of  the  Dead  Sea  (Moses 
1:19).  This  conclusion  seems  to  be  indicated  by  the  reference 
made  in  most  of  the  variants  to  the  evil  life  of  the  person  or 
persons  involved.  Just  as  in  the  modern  tale  only  one  person  is 
saved,  so  in  the  Biblical  story,  too,  of  all  the  inhabitants  only 
Lot  and  his  family  escaped. 

in 

The  story  of  Kreve's  Gilse  in  its  entirety,  the  underlying 
plot,  is  not  well  known  in  modern  literature.  It  is  not  to  be 
found  in  any  of  the  familiär  German,  Danish,  or  French  col- 
lections  of  fairy  tales  and  legends.  The  motif  is  not  registered 
either  in  the  international  type  index.^-^  To  be  sure,  it  is  listed 
in  a  recent  Russian  publication/^  and  in  Balys's  Lithuanian 
Motif  Index,  No.  787,  we  find  even  twenty-three  entries  with 
the  foUowing  summary:  ^^Late  Revenge.  A  farm  lad  wishes  to 
marry,  but  is  poor.  He  murders  a  merchant  and  seizes  his 
property;  confesses  to  the  girl  the  circumstances  of  his  sudden 
prosperity.  She  demands  him  to  find  the  nature  of  the  penalty 
in  Store  for  him.  The  vigil  at  the  murdered  man's  grave.  They 
marry.  At  the  appointed  time  the  punishment  takes  place:  the 
house  sinks,  leaving  only  an  article,  the  property  of  a  guest 
(priest),  floating  on  a  table  in  the  water.  The  guest  spending 

11.  Antti  Aarnc,  Verzeichnis  der  Märchentypen  ("FF  Communications,"  III;  Hel- 
sinki, 1910),  and  Srith  Thompson,  The  Types  of  the  T6l\-Tale  ("FF  Communica- 
tions," LXXIV;  Helsinki,  1927). 

12.  N.  P.  Andrejev,  'ü\azatel  s\azocnych  siuzetov  po  sisteme  Aame  (Leningrad, 
IQ29),  No.  751  I. 


14  CORONA 

the  night  at  the  ill-fated  house  is  forewarned  by  a  mysterious 
voice,  bidding  him  flee."  However,  during  my  own  reading 
(extended  over  two  decades)  in  Lithuanian  populär  literature 
I  never  came  upon  this  story. 

Of  the  twenty-three  entries  under  No.  787  of  Balys's  Lith- 
uanian Moüf  Index,  only  iive  are  printed,  the  other  eighteen 
being  unpubHshed  records  in  manuscript  form  kept  in  the 
Lithuanian  Folklore  Archives  in  Kaunas  (fourteen  items)  and 
in  the  Archives  of  the  Lithuanian  Scientific  Society  in  Vilna 
(four  items).  The  Lithuanian  Scientific  Society  (Lietuvii^ 
Mokslo  Draugija)  was  founded  in  1907/^  while  the  Lithuanian 
Folklore  Archives  (Lietuviij  Tautosakos  Archyvas)  are  only  a 
fev4^  years  old.  Much  of  the  material  collected  by  these  tw^o  in- 
stitutions  must  of  necessity  be  of  doubtful  value  on  account  of 
lack  of  experience  on  the  part  of  the  collectors.  Furthermore, 
in  our  case  the  possibility  that  Kreve's  literary  tale  might  have 
had  something  to  do  with  the  great  number  of  items  should 
not  be  disregarded.  Thus,  some  of  the  eighteen  unpublished 
records  may  w^ell  be  reflexes  of  Kreve's  tale,  while  most  of  the 
rest  are  reflexes  of  the  tale  printed  in  L.  Ivinski's  Almanac^'^  of 
the  year  1862.  Ivinski's  story  represents  the  oldest  printed 
record,  the  remaining  four  dating  from  the  years  1878/^  1887/*^ 
and  1894/^  None  of  the  publications  mentioned  here  are  avail- 
able  in  this  country,  nor  can  they  be  obtained  from  Germany 
or  Poland^^  on  account  of  the  present  war.   Furthermore,  re- 

13.  Cf.  Antanas  Valaitis,  Is  Lietuviti  MoJ^slo  Draugtjos  istorijos  (Vilnius,  1932). 
Perspausdinta  is  Lietuviti  Tautos,  IV  kn.  3  sas. 

14.  L.  Ivinski,  Kalendorius  arba  mets^a-jtlus  u'l{isz\asis  (Vilnius  and  St.  Peters- 
burg, 1862),  p.  25.  Our  tale  was  copied  and  republished  by  A.  Janulaitis  under  the 
title  "Lietuviskos  pasakos"  in  Mitteilungen  der  litauischen  literarischen  Gesellschajt, 
Vol.  IV,  Heft  24  (Heidelberg),  pp.  516-527.  Heft  24  of  the  Mitteilungen  is  out  of 
print.  About  Ivinski  and  his  almanacs  cf.  M.  Birziska,  Müsti  rastq  istorija  (id  ed.; 
Kaunas,  1925),  pp.  97-100;  J.  Tumas,  Lietuviti  literatüros  pas\aitos  .  .  .  Latirynas 
Ivins/{is  (Kaunas,  1924). 

15.  A.  G.  Langkusch,  "Litauische  Sagen"  in  Altpreussische  Monatsschrift  XV 
(1878),  429,  No.  13. 

16.  J.  Karlowicz,  "Podania  i  bajki  ludovve  zebrane  na  Litwie  staraniem"  in  Zbior 
tviadomosci  do  antropologji  l^rajowej,  XI,  p.  275,  No.  34  and  XII,  p.  10,  No.  52 
(Cracow,  1887). 

17.  M.  Dowojna-Sylwestrowicz,  Podania  ztnujdz\ie  (Warsaw,  1894),  II,  294. 

18.  My  friend  Prof.  Jozef  Birkenmajer,  who  was  to  get  me  the  Polish  publications, 
died  during  the  siege  of  Warsaw. 


A  LITHUANIAN  TALE  15 

peated  inquiries  made  over  a  period  of  several  years  at  the 
University  of  Lithuania  in  Kaunas  were  left  without  any  re- 
sponse. Therefore,  I  know  nothing  about  the  printed  material 
beyond  the  references  given  here.  In  spite  of  these  difficulties 
we  should  be  able  to  trace  the  type  farther  back  and  to  indicate 
its  ultimate  source. 

IV 

In  contrast  to  the  scarcity  of  tales  of  the  type  "Late  Revenge" 
in  modern  folk  literature,  this  motif  enjoyed  a  certain  degree 
of  popularity  in  medieval  times,  especialiy  in  medieval  Eng- 
land. I  am  able  to  bring  forward  three  medieval  Latin  tales  of 
our  type,  two  of  which  were  written  in  England. 

(i)  No.  112  of  a  collection  of  tales  (Liber  exemplorum)^^ 
compiled  by  an  English  Franciscan  monk  in  the  thirteenth 
Century,  translated  into  German  by  Albert  Wesselski  and  pub- 
lished  under  the  title  "Späte  Rache"^''  ("Late  Revenge").  The 
f ollowing  is  a  brief  Statement  of  its  contents : 

A  rieh  widow  had  many  suitors,  and  among  these  was  one  who  was 
more  handsome  than  the  others,  but  poor.  In  her  heart  she  favored  him, 
but  she  did  not  Hke  his  poverty.  Finally  she  said  to  him:  "How  could  I 
marry  you,  since  you  are  so  poor  and  unimportant?  If  you  had  money 
and  Position,  I  would  be  glad  to  take  you." 

Thereupon  the  suitor  ambushed  a  wealthy  merchant,  slew  him  and 
took  all  his  possessions.  Then  he  went  again  to  the  lady  and  asked  for 
her  band.  Astonished  at  this  suddenly  acquired  wealth,  she  asked  him 
how  he  had  obtained  it.  She  gave  him  no  rest  until  he  revealed  the 
truth.  Whereupon  she  said  that  if  he  wanted  to  have  her,  he  had  to  go 
to  the  place  where  the  dead  man  lay  buried  and  spend  there  the  night 
watching.  This  he  did.  In  the  middle  of  the  night  the  dead  man  arose 
and  prayed  to  God  that  justice  be  done  him.  And  from  above  came  a 
voice  saying:  "Thirty  years  from  today  you  will  be  avenged." 

The  lady  thought  that  by  the  end  of  that  time  the  knight  would 
have  done  enough  atonement,  and  thus  she  married  him.  Day  by  day 
they  became  richer  and  gained  worldly  honor.  As  the  years  went  by 
one  after  the  other,  the  lady  often  urged  her  husband  to  do  atonement. 

19.  Published  by  P.  Meyer  in  Nottees  et  extraits  des  manuscrits  de  la  Bibliotheque 
nationale  et  d'autres  bibliotheques,  XXXIV,  Part  I,  29  f.,  and  by  A.  Little  in  Aberdeen, 
1918,  pp.  65  f.,  based  on  the  Durham  MS. 

20.  Albert  Wesselski,  Märchen  des  Mittelalters,  pp.  27  f.,  with  bibliographical 
references  on  pp.  199  f. 


i6  CORONA 

He  however  put  it  off  from  day  to  day  until  finally  the  thirtieth  year 
arrived. 

On  the  day  set  for  his  punishment  the  knight  invited  all  his  friends 
to  a  feast.  For  merriment  a  minstrel  was  admitted  into  the  Castle.  But 
somebody  had  damaged  his  fiddle  for  a  joke,  and  for  that  reason  he  left 
again.  He  had  already  walked  some  distance,  when  he  noticed  that  he 
had  lost  one  of  his  gloves,  and  he  returned  to  the  Castle.  But  when  he 
arrived  there,  he  found  level  ground  instead  of  the  Castle.  In  the  middle 
was  a  spring,  and  near  the  spring  lay  his  glove.  The  castle  had  sunk 
into  the  ground  with  everybody  in  it. 

(2)  Another  tale  with  a  similar  plot,  but  of  more  recent 
date,  is  to  be  found  in  Chapter  LXXVIII  of  the  Anglo-Latin 
Gesta  Romanorum  in  Cod.  Londin.  Bibl.  Harl.  2270.^^  The 
following  is  the  text  of  Swan's  EngUsh  version:^^ 

A  law  was  made  at  Rome  that  no  man  should  marry  for  beauty,  but 
for  riches  only;  and  that  no  woman  should  be  united  to  a  poor  man,  un- 
less  he  should  by  some  means  acquire  wealth  equal  to  her  own.  A 
certain  poor  knight  solicited  the  band  of  a  rieh  lady,  but  she  reminded 
him  of  the  law,  and  desired  him  to  use  the  best  means  of  complying 
with  it,  in  order  to  effect  their  union.  He  departed  in  great  sorrow,  and 
after  much  inquiry  was  informed  of  a  rieh  duke,  who  had  been  blind 
from  the  day  of  his  birth.  Him  he  resolved  to  murder,  and  obtain  his 
wealth;  but  found  that  he  was  protected  in  the  daytime  by  several  armed 
domestics,  and  at  night  by  the  vigilance  of  a  faithful  dog.  He  contrived, 
however,  to  kill  the  dog  with  an  arrow  and  immediately  afterwards  the 
master,  with  whose  money  he  returned  to  the  lady.  He  informed  her 
that  he  had  accomplished  her  purpose;  and  being  interrogated  how  this 
had  been  in  so  short  a  space  of  time,  he  related  all  that  had  happened. 
The  lady  desired,  before  the  marriage  should  take  place,  that  he  would 
go  to  the  spot  where  the  duke  was  buried,  lay  himself  on  his  tomb, 
listen  to  what  he  might  hear,  and  then  report  it  to  her.  The  knight 
armed  himself,  and  went  accordingly.  In  the  middle  of  the  night  he 
heard  a  voice  saying:  "O  duke,  that  liest  here,  what  askest  thou  that  I 
can  do  for  thee?"  The  answer  was:  "O  Jesus,  thou  upright  judge,  all 
that  I  require  is  vengeance  for  my  blood  unjustly  spilt."    The  voice  re- 

21.  Hermann  Oesterley,  Gesia  Romanorum  (Berlin,  1872),  pp.  678-680,  No.  277, 
app.  81,  with  a  description  of  the  MS  on  pp.  187-192.  The  same  text  appears  as 
No.  76  in  Wesselski's  book  Mönchslatein  and  in  The  Early  English  Versions  of  the 
Gesta  Romanorum,  by  Sidney  J.  H.  Herrtage  (London  1879),  pp.  208  ff.  A  German 
translation  was  made  and  published  by  J.  G.  Th.  Grässe  in  Gesta  Romanorum  üba-- 
setzt.  Zweite  Hälfte,  pp.  234-236. 

22.  Gesta  Romanorum,  trans.  Charles  Swan,  with  a  Preface  by  E.  A.  Baker. 
(London,  1824),  chap.  Ixxviii,  pp.  45-47. 


A  LITHUANIAN  TALE  17 

joined:  "Thirty  years  from  this  time  thy  wish  shall  be  fulfilled."  The 
knight,  extremely  terrified,  returned  with  the  news  to  the  lady.  She 
reflected  that  thirty  years  were  a  long  period,  and  resolved  on  the  mar- 
riage.  During  the  whole  o£  the  above  time  the  parties  remained  in 
perfect  happiness. 

When  the  thirty  years  were  nearly  elapsed,  the  knight  built  a  strong 
Castle,  and  over  one  of  the  gates,  in  a  conspicuous  place,  caused  the  fol- 
lowing  Verses  to  be  written: 

In  my  distress,  religious  aid  I  sought: 
But  my  distress  relieved,  I  held  it  nought. 
The  wolf  was  sick,  a  lamb  he  seemed  to  be; 
But  health  restored,  a  wolf  again  we  see. 

Interrogated  as  to  the  meaning  of  these  enigmatic  lines,  the  knight  at 
once  explained  them,  by  relating  bis  own  story,  and  added,  that  in  eight 
days  time  the  thirty  years  would  expire.  He  invited  all  bis  friends  to  a 
feast  at  that  period,  and  when  the  day  was  arrived,  the  guests  placed  at 
table,  and  the  minstrels  attuning  their  Instruments  of  music,  a  beautiful 
bird  flew  in  at  the  window,  and  began  to  sing  with  uncommon  sweet- 
ness.  The  knight  listened  attentively,  and  said:  "I  fear  this  bird  prog- 
nosticates  misfortune."  He  then  took  bis  bow,  and  shot  an  arrow  into 
it,  in  presence  of  all  the  Company.  Instantly  the  Castle  divided  into  two 
parts,  and,  with  the  knight,  bis  wife,  and  all  who  were  in  it,  was 
precipitated  to  the  lowest  depth  of  the  infernal  regions.  The  story  adds, 
that  on  the  spot  where  the  Castle  stood,  there  is  now  a  spacious  lake,  on 
which  no  substance  whatever  floats,  but  is  immediately  plunged  to  the 
bottom. 

(3)  The  third  medieval  record  of  our  type  is  to  be  found 
in  a  Latin  manuscript  of  the  University  Library  of  Breslau, 
Germany/^  dating  from  the  thirteenth  Century.  The  following 
is  our  EngHsh  translation  of  the  tale: 

One  finds  in  the  Tripartite  Chronicle  that  once  upon  a  time  a  count 
loved  a  countess  in  sinful  love,  who  responded  to  it.  This  count  secretly 
murdered  the  husband  of  that  countess  and  sent  to  her  messengers  de- 
manding  that  she  marry  bim.  But  she  replied  to  him  that  she  did  not 
want  to  marry  him  until  after  he  had  spent  one  night  watching  at  the 
tomb  of  her  husband.  This  he  did.  While  he  was  sitting  at  the  tomb  all 

23.  MS  Universitätsbibliothek  Breslau.  I.  F.  115,  161  rb — 163  ra.  A  description 
o£  the  MS  is  given  by  Joseph  Klapper,  Erzählungen  des  Mittelalters  in  deutscher 
Übersetzung  und  lateinischem  Urtext  (Breslau,  1914),  pp.  3-8.  The  Latin  text, 
cntitled  De  amore  inordinato  ad  mulierem,  No.  7  of  the  collection,  is  printed  on  pp. 
235  £.  of  Klapper's  edition.  Cf.  the  German  translation.  Von  der  göttlichen  Rache  an 
einem  Mörder  und  Ehebrecher,  pp.  24-26. 


i8  CORONA 

alone,  behold,  a  voice  spoke  from  the  depth:  "Lord,  avenge  my  blood, 
which  was  spilled  unjusdy."  And  a  voice  from  heaven  answered:  "Rest 
in  peace,"  and  immediately  that  voice  ceased  and  the  grave  closed  again. 
The  unhappy  murderer  returned  to  the  lady,  reported  that  he  had  ful- 
filled  her  demand,  and  told  her  what  he  had  seen  and  heard.  She  re- 
pUed:  "You  must  watch  again  at  the  grave  tonight,  otherwise  you  will 
not  get  your  wish."  Against  his  will,  he  watched  again,  and  the  same 
thing  happened  to  him  as  before.  When  he  reported  this  to  the  lady, 
she  said:  "You  have  to  watch  once  again."  Although  he  tried  very  hard 
to  get  out  o£  this,  compelled  by  his  love  for  the  woman,  he  spent  a  third 
night  watching  at  the  tomb  of  the  murdered  man.  And  behold,  a  light 
shone  round  the  tomb,  and  out  of  the  tomb  ascended  the  murdered 
count,  crying  in  a  lamenting  voice:  "O  Lord,  avenge  my  blood,  which 
was  spilled  unjustly."  The  Lord  told  him  to  rest  in  peace,  for  he  had 
given  the  murderer  a  respite  of  thirty  years,  after  which  he  would  judge 
him,  if  by  that  time  he  had  not  done  atonement.  The  light  then  disap- 
peared.  When  the  court  reported  this  to  the  lady,  the  wretched  woman 
said:  "This  is  what  I  wanted  to  know.  This  is  a  long  time.  In  thirty 
years  we  will  find  enough  time  to  do  atonement.  Now  let  us  get  mar- 
ried."  After  they  spent  twenty  years  in  worldly  delights,  the  count  said: 
"Today  is  twenty  years  since  I  had  that  horrible  vision  of  your  husband, 
and  it  seems  to  me  as  if  it  only  happened  today."  The  lady  answered: 
"God  is  merciful,  and  there  is  still  much  time.  Let  us  first  find  husbands 
for  our  daughters  and  wives  for  our  sons;  then  we  can  do  atonement." 
They  married  off  their  daughters  and  their  sons,  but  in  the  matter  of 
atonement  they  behaved  just  like  the  raven,  which  always  shouts, 
"Cras,  crasl"  and  puts  everything  off  until  tomorrow.  Thus  the  thirty 
years  finally  came  to  an  end.  At  the  end  of  the  thirtieth  year  a  blind 
man  came  down  from  the  castle  of  the  guilty  count.  On  his  way  he  met 
the  murdered  count,  who  asked  him:  "O  man  of  God,  whence  do  you 
come?"  He  answered:  "Sire,  I  come  from  the  casde."  The  murdered 
man  continued:  "Where  is  the  lord  of  the  castle  at  this  moment?"  The 
blind  man  answered:  "Before  I  left  the  casüe,  he  entered  the  bedroom 
to  see  his  wife."  The  murdered  count  continued:  "Go,  I  heg  you,  to 
him,  and  teil  him  that  today  the  thirty  years  which  God  granted  him  as 
a  respite  and  for  atonement  are  over.  Now  I  summon  him  before  the 
heavenly  judge,  and  this  night  he  must  appear  before  me,  for  I  am  that 
count  whom  he  murdered  in  order  to  get  my  wife."  To  this  the  blind 
man  answered:  "Even  if  I  teil  him  this,  he  will  scarcely  believe  me." 
The  count  then  stood  before  the  blind  man,  enveloped  in  great  radi- 
ance,  and  said:  "Behold,  I  touch  your  eyes  with  my  finger,  and  you  shall 
now  have  sight,  although,  as  all  know,  you  were  born  blind."  Im- 
mediately he  received  sight  and  recognized  that  it  was  the  count,  whom 
he  had  previously  recognized  by  his  voice,  and  he  said  to  him:  "Sire,  I 


A  LITHUANIAN  TALE  19 

know  that  you  are  a  holy  man."  The  count  however  continued:  "Go 
now  as  fast  as  possible  up  to  the  Castle,  and  summon  in  my  name  your 
master  before  the  tribunal  of  God,  in  order  that  he  answer  me  this  night 
in  the  court.  As  soon  as  you  have  deHvered  this  message,  leave  the  castle 
quickly,  and  in  no  case  stay  there  over  night."  With  these  words  he 
vanished.  The  man  who  formerly  had  been  bhnd  immediately  climbed 
up  to  the  Castle  and  reported  to  his  master  as  he  had  been  told.  The 
people  of  the  castle  who  saw  that  the  blind  man  had  received  sight  were 
amazed,  and  fearing  punishment,  all  of  them  left  the  castle  with  him. 
At  nightfall  fire  feil  from  the  sky,  as  once  it  had  fallen  on  Sodom  and 
Gomorrah,  and  consumed  the  castle  with  all  the  people  who  had  re- 
mained  in  it.  Oh  how  horrible  is  such  a  murder  and  such  depravity! 
How  much  more  abominable  and  detestable  the  fact  that  not  once  in 
thirty  years  had  he  been  ready  for  a  thought  of  penitence  for  such  a 
grave  crime!  How  inconceivable  the  obduracy  of  that  man,  that  not 
even  at  the  miraculous  sight  of  the  grave  which  opened  did  he  feel 
compelled  to  repent!  How  unpardonable  that  he  did  not  return  to  the 
Lord,  who  had  given  him  so  much  time  for  repentance,  and  that  he  did 
not  improve  his  ways  even  then,  when  he  saw  before  himself  the  man 
to  whom  the  murdered  count  had  given  sight! 

V 

A  comparison  of  the  three  medieval  versions  with  Kreve's 
tale  "Gilse"  and  Balys's  summary  in  his  Lithuanian  Motif  In- 
dex^'^  gives  the  following  picture. 

(i)  /  gives  no  specific  indication  as  to: 
a)  the  number  of  nights  spent  at  the  grave  of  the  murdered 

man, 
h)  the  length  of  the  period  of  grace, 
c)  signs  of  remorse  on  the  part  of  the  murderer  and  his  w^ife. 

(2)  K  agrees  with  /  in  the  following  details:  The  suitor  is 
poor,  wants  to  get  married,  his  relations  to  the  girl  are  first  free 
of  any  guilt;  the  house  is  swallowed  up  by  the  earth  and  in  its 
place  we  find  water;  an  innocent  stranger  is  saved,  he  returns 
to  the  house  in  order  to  get  a  forgotten  article,  finds  it  floating 
on  a  table  in  the  water. 

24.  The  following  abbreviations  are  used  here: 
K  =  Kreve's  "Gilse." 

E  =  No.  112  of  the  Anglo-Latin  Liber  exemplorum. 
G  '=■  No.  78  of  the  Anglo-Latin  Gesta  Romanorum. 
B  =  No.  7  of  the  Breslau  collection. 
I  :=  Balys's  summary  in  the  Lithuanian  Moiif  Index,  No.  787. 


20  CORONA 

(3)  K  disagrees  with  /  in  one  major  point:  In  K  three  mer- 
chants  are  killed,  in  /  only  one.  In  this  detail  K  Stands  com- 
pletely  alone,  since  also  in  E,  G,  and  B  only  one  person  is 
murdered,  a  merchant  in  £",  a  blind  duke  in  G,  the  husband  of 
the  adulterous  woman  in  B. 

(4)  K,  I,  E,  G,  as  opposed  to  B,  agree  in  four  points : 

a)  The  suitor  is  poor. 

b)  The  woman  is  either  unmarried  or  a  widow  (in  B  she  is 

married). 

c)  The  relations  between  the  two  main  persons  are  based  on 

orderly  love  (in  B  on  adultery). 

d)  In  B  the  Castle  is  destroyed  by  fire  and  no  water  is  men- 

tioned. 

(5)  B  Stands  alone  in  six  details,  namely,  in  addition  to  the 
four  points  mentioned  in  paragraph  4: 

a)  The  killed  person  is  the  husband  of  the  woman; 

b)  A  stranger  acts  as  a  messenger  to  the  culprit  before  the 

catastrophe. 

(6)  B  agrees  with  E  and  G  in  the  length  of  the  period  of 
grace,  namely,  thirty  years,  while  K  Stands  alone  with  its 
ninety-nine  years  which  are  first  reduced  to  thirty-three  and 
then  to  thirteen.  I  have  not  been  able  to  find  out  whether  this 
is  Kreve's  own  invention  or  whether  he  found  it  already  in  his 
source.  Anyway,  as  a  result  of  this  innovation,  the  medieval 
period  of  limitation  ("Verjährungsfrist")  after  which  a  claim 
was  superannuated"^  is  given  up  in  favor  of  the  evil-boding 
number  thirteen. 

(7)  On  the  other  band,  B  agrees  with  K  in  two  important 
points: 

a)  The  vigil  at  the  grave  is  held  during  three  nights  {E  and  G 

have  a  one-night  vigil). 

b)  The  wife  stifles  her  husband's  Impulse  to  do  atonement  (in 

E  the  wife  urges  her  husband  to  do  atonement,  while  in 
G  this  point  is  left  out). 

(8)  In  the  destruction  of  the  house  the  Lithuanian  versions 
{K  and  /)  diff er  not  only  from  B,  but  also  from  E  (where  the 

25.  Cf.  A.  Wesselski,  Märchen  des  Mittelalters,  pp.  199  f.,  where  further  references 
may  bc  found. 


A  LITHUANIAN  TALE  21 

forgotten  article  is  found  near  the  water  and  not  in  the  water) 
and  G  (where  nobody  is  saved  and  no  substance  floats  on  the 
water). 

(9)  K  shows  a  number  of  changes,  made  either  by  Kreve 
or  his  source.  Among  Kreve's  innovations  have  to  be  counted 
the  projection  of  the  action  into  pagan  antiquity  and  the  intro- 
duction  of  Sarünas.  This  man,  who  in  populär  tradition  enjoys 
the  reputation  of  a  wicked  despot,  appears  here  as  a  congenial 
prince.  Sarünas  is  a  favorite  character  in  Kreve's  Hterary  pro- 
duction^^  and,  therefore,  could  not  be  identified  with  the  evil- 
doer  who  is  punished  at  the  end.  The  poet  found  two  versions 
of  the  type  called  "sunken  castle,"  one  with  Sarünas  as  the 
oflender  (going  back  to  the  BibHcal  tale  of  Sodom  and  Go- 
morrah)  and  the  other  with  the  poor  farm  lad  who  wants  to 
marry  a  rieh  girl  ("Late  Revenge").  Kreve  welded  both  tradi- 
tions  into  one  story  by  assigning  Sarünas  the  role  of  the  inno- 
cent  stranger  who  in  the  Lithuanian  tradition  is  mostly  a  priest. 
By  making  this  change,  the  poet  succeeded  in  placing  the  tale 
in  the  Dainava  Country. 

VI 

The  conclusion  drawn  from  this  comparison  is  that  none  of 
the  three  medieval  versions  could  be  the  direct  or  indirect 
source  of  the  Lithuanian  tale.  There  must  have  been  at  least 
one  more  medieval  version  which  was  translated  into  Polish 
and  through  this  Polish  Channel  reached  Lithuania  and  Russia. 
To  make  this  study  complete,  I  should  give  a  detailed  descrip- 
tion  of  the  way  which  this  spread  took.  For  reasons  explained 
above  such  a  description  is  not  possible  at  the  present  time.  It 
is,  however,  clear  beyond  any  doubt — since  this  story  is  un- 
known  in  Germany — that  the  Lithuanians  received  it  through 
a  Polish  and  not  a  German  intermediary.  Until  relatively  re- 
cently  the  Polish  language  had  been  the  literary  vehicle  for  the 
great  majority  of  the  Lithuanians.^^  As  a  result,  most  of  the 

26.  Kreve  devoted  to  Sarünas  a  monograph,  a  lyric  novel  o£  two  volumes  in 
Kreves  Rästai,  Vols.  IV-V  (Kaunas,  1923  and  1925):  Sarünas,  Dainavos  }{unigaH^tis. 
Senqjq  dainiif  gyvenimo  pasa\a  ("Sarünas,  Prince  of  Dainava:  The  Tale  of  a  Life 
According  to  the  Ancient  Poets"). 

27.  About  German  influence  upon  the  Lithuanians  consult  G.  Gerullis  in  Archiv 
für  slatvische  Philologie,  XXXIX,  52. 


22  CORONA 

earlier  cultural  achicvements  of  the  Lithuanians  wcre  in  one 
way  or  another  due  to  Polish  influence.  As  to  folk  poetry,  it 
must  be  assumed  diat  in  the  areas  of  mixed  (Lithuanian-  and 
Polish-speaking)  population  the  same  stories  were  told  in  both 
languages,  for  the  people  were  united  by  the  same  reUgious 
creed,  Roman  CathoUcism,  and  the  Church  was  the  most  pow- 
erful  cultural  Institution.  Even  Vincas  Kreve  himself  wrote  in 
the  Polish  language  in  his  earlier  days."^  Most — probably  all — 
of  the  Lithuanian  folktales  originated  in  Polish  chapbooks 
which  were  orally  translated  into  Lithuanian.  How  these 
Polish  stories  infiltrated  into  the  Lithuanian  language  is  de- 
scribed  by  Kreve-Mickevicius:  "There  was  in  our  village  a 
man  named  Kacinskas  Antanas.  He  was  regarded  as  a  highly 
educated  man,  and,  indeed,  he  knew  many  things  and  used  to 
have  many  Polish  books.  In  the  evenings  many  people,  old 
and  young,  would  assemble  at  his  place  and  he  would  teil  them 
various  beautiful  stories.""^  There  is  no  doubt  but  that  the  tale 
of  the  type  "Late  Revenge,"  which  L.  Ivinski  published  in  his 
Almanac  of  1862,  had  previously  found  its  way  into  Lithuania 
from  a  Polish  chapbook. 

Concerning  the  origin  of  the  Polish  folktales  may  I  quote 
an  unquestionable  authority:  "With  only  very  few  excep- 
tions  they  (the  Polish  folktales)  are  closely  connected  with 
those  of  Central  Europe,  both  as  to  subject  matter  and  form. 
The  tales  populär  in  Western  Europe,  Biblical  and  apocryphal 
legends,  collections  of  stories  and  anecdotes  to  be  used  for  ser- 
mons  such  as  the  Gesta  Romanorum,  the  Seven  Wise  Masters, 
and  numerous  merry  tales,  penetrated  into  Polish  literature  and 
descended  into  the  masses  through  the  intermediary  of  chap- 
books which  have  been  reprinted  until  very  recently.  Through 
Polish  mediation  this  literature  wandered  even  farther  to  the 
east  and  penetrated  into  Russian  literature."^^ 

28.  Ci.' Kreves  Rastai,  I  (Kaunas,  1922),  99-136.  In  Boehm-Specht,  Lettisch- 
litauische Volksmärchen  (Jena,  1924),  p.  157  f.,  Specht  makes  the  following  State- 
ment: "One  can  never  be  sure  whether  a  Lithuanian  tale  is  not  just  a  translation  of  a 
Slavic  tale." 

29.  Müsq  Tautosal{a,  I,  107. 

30.  Bolte-Polivka,  a.  a.  O.,  V  (1932),  136. 


A  REVIEW  OF  PROVERB  LITERATURE  SINGE  1920 
RICHARD  jENTE,  Univcrsity  of  North  Carolina 

WHEN  THE  history  of  folklore  studies  is  written,  it 
will  surely  be  noted  that,  for  many  countries  in 
Europe  and  America,  the  two  decades  between  the 
end  of  the  World  War  and  the  beginning  of  the  present  Euro- 
pean conflict  represent  a  deiinite  period  in  the  development, 
growth,  and  expansion  of  various  phases  of  folklore  interests. 
With  the  close  of  the  World  War  several  countries  in  Europe 
were  created  and  began  a  new  existence;  some  of  the  others 
established  new  forms  of  government.  There  developed  at  once 
a  conscious  emphasizing  of  the  national  characteristics,  with 
particular  attention  to  the  native  language,  literature,  customs, 
and  institutions.  In  many  countries,  for  example,  Finland, 
Lithuania,  Latvia,  Ireland,  etc.,  folklore  commissions  were 
created  to  assemble  and  publish  the  aspects  of  folklore  survivals, 
and  among  them  the  proverb  received  its  deserved  attention. 
In  other  countries  not  directly  aflected  by  the  World  War,  folk- 
lore studies  also  took  on  new  life.  The  international  aspects  of 
folklore  have  led  to  the  interchange  of  ideas  and  methods,  so 
that  the  folklorists  of  one  country  have  profited  and  been 
stimulated  by  those  of  another.  Recent  annual  folklore  con- 
gresses  have  emphasized  the  international  scope  of  folklore  and 
are  doing  much  to  stimulate  the  collecting,  publishing,  and 
treatment  of  folklore  materials.  The  past  two  decades  have 
thus  Seen  the  establishment  of  several  large  and  fundamental 
enterprises  in  the  field  of  folklore.  Bibliographies  and  hand- 
books  are  now  available,  so  that  in  several  fields  of  folklore, 
including  the  proverb,  it  is  now  easier  to  work  than  it  was  a 
few  years  ago. 


24  CORONA 

Since  the  proverb  has  received  particular  attention  in  many 
countries  during  the  past  two  decades,  it  seems  both  profitable 
and  fitting  to  survey  the  product  and  call  especial  attention  to 
the  important  books  that  have  appeared,  and  also  to  note  the 
large  number  of  projects  known  to  the  writer  that  are  in 
progress  or  about  to  be  published. 

The  annual  V olkjkundliche  Bibliographie,  begun  in  1919 
by  E.  Hoffmann-Krayer  and  now  edited  by  Paul  Geiger,  repre- 
sents  a  milestone  in  the  new  development  of  folklore.  The  most 
recent  volume  published  in  1939  treats  the  literature  of  1933 
and  1934.  We  trust  that  the  next  volume,  which  should  cover 
the  years  1935  and  1936,  is  in  press,  and  that  the  present  war 
will  not  interfere  with  the  further  progress  of  this  bibliography. 
Section  XXI  treats  Folk^  Speech,  particularly  the  proverb.  To 
the  paroemiologist  this  bibliography  is  indispensable,  although 
in  scope  it  aims  to  cover  only  Europe  and  America,  and  even 
here  is  not  as  complete  as  it  might  be.  Another  handy  guide 
which  lists  over  four  thousand  items  from  the  earliest  coUec- 
tions  down  to  1928  is  W.  Bonser  and  T.  A.  Stephens,  Proverb 
Literature,  A  Bibliography  of  Wor\s  Relating  to  Proverbs,  pub- 
lished for  the  Folk-Lore  Society,  LXXXIX  (London,  1930). 
Since  this  volume  includes  primarily  only  printed  books,  a  de- 
sideratum  would  be  a  supplementary  bibliography  of  Journal 
literature,  especially  that  up  to  the  appearance  of  the  Volks- 
\undliche  Bibliographie. 

Space  limitations  make  it  necessary  to  exclude  from  this 
survey  of  the  proverb  literature  of  the  past  two  decades  the 
abundance  of  Journal  articles.  Only  rarely,  therefore,  will  men- 
tion  be  made  of  works  other  than  books  or  distinct  parts  of 
serial  publications.  Even  here  limits  will  have  to  be  drawn,  for 
frequently  coUections  of  miscellaneous  folklore  materials  in- 
clude  a  limited  number  of  proverbs.  Unless,  therefore,  a  work 
deals  dominantly  with  proverbs  it  has  not  been  included.  The 
writer,  who  has  been  following  proverb  literature  during  this 
period,  possesses  a  large  number  of  the  volumes  named. 

During  the  past  two  decades  much  attention  has  been  given 
to  the  English  proverb.  Not  only  have  two  large  and  exhaus- 


PROVERB  LITERATURE  25 

tive  collections  appeared,  but  we  now  have  several  basic  books 
on  the  study  of  proverbs  and  many  monographs  of  fundamen- 
tal importance.  Until  a  decade  ago,  there  existed  no  collection 
of  English  proverbs  in  the  modern  sense.  The  work  of  Hazlitt 
(Third  Edition,  1907)  was  nothing  but  the  old  collection  of 
Ray  with  a  few  additions  of  his  own  finding.  The  order  was 
still  alphabetical  by  initial  letters.  Therefore  a  most  welcome 
book  was  that  of  G.  L.  Apperson,  English  Proverbs  and  Pro- 
verhial  Phrases;  a  Historical  Dictionary  (London  and  New 
York,  1929).  This  book  is  based  on  historical  principles  and 
introduces  an  arrangement  according  to  the  significant  word, 
which  unfortunately  is  not  consistently  carried  out.  In  some 
respects  this  book  is  better  than  that  of  W.  G.  Smith,  The  Ox- 
ford Dictionary  of  English  Proverbs  (Oxford,  1935),  which 
unfortunately  indeed  follows  the  antiquated  arrangement  of 
Hazlitt.  There  is,  of  course,  an  extensive  index  of  catch-words, 
but  with  many  items  it  is  maddening  to  use  this;  e.g.,  under 
cat,  money,  etc.,  there  are  over  sixty  references. 

Several  Standard  books  of  quotations,  which  have  been  re- 
peatedly  revised  and  reissued,  contain  large  collections  of  prov- 
erbs, but  add  little  new  material  or  Information.  The  best  of 
these  are:  J.  Bartlett,  Familiär  Quotations,  a  Collection  of  Pas- 
sages,  Phrases  and  Proverbs  Traced  to  Their  Sources.  .  .  ., 
Eleventh  Edition,  by  C.  Morley  (Boston,  1937);  J.  K.  Hoyt, 
Hoyt's  New  Cyclopedia  of  Practical  Quotations  .  .  .,  revised  by 
K.  L.  Roberts  (New  York  and  London,  1927) ;  W.  G.  Benham, 
Benham's  Boo\  of  Quotations,  Proverbs  and  Household  Words 
.  .  .  (Revised  Edition,  London,  1936),  The  American  edition 
bears  the  title:  Putnam's  Complete  Boo\  of  Quotations  .  .  . 
(New  York,  1929).  In  the  "Everyman's  Library,"  edited  by 
Ernest  Rhys,  there  is :  J.  K.  Moorhead  and  C.  Lee,  A  Dictionary 
of  Quotations,  an  Alphabet  of  Proverbs  (London  and  New 
York,  ca.  1935).  The  most  recent  and  most  voluminous 
book  of  this  kind  is:  B.  Stevenson,  The  Home  BooJ{  of  Quota- 
tions, Classical  and  Modem  (New  York,  1934).  An  authorita- 
tive  work  on  the  study  of  the  problems  of  the  proverb  is: 
Archer  Taylor,  The  Proverb  (Cambridge,  Massachusetts,  1931). 


26  CORONA 

This  basic  handbcK)k  should  be  known  to  all  who  are  interested 
in  this  field.  An  Index  to  "The  Proverb"  appeared  as  No.  113 
of  the  Finnish  "Folklore  Fellows  Communications"  (Helsinki, 
1934).  Archer  Taylor  has  issued  numerous  monographs  and 
articles  on  proverbs,  of  which  the  following  represent  supple- 
mentary  material  to  The  Proverb:  "An  Introductory  Bib- 
liography  for  the  Study  of  Proverbs,"  Modern  Philology,  XXX 
(1932),  195-210;  "Problems  in  the  Study  of  Proverbs,"  Journal 
of  American  Fol\-Lore,  XL VII  (1934),  1-21. 

One  of  the  most  active  w^orkers  in  proverbs  is  Dr.  B.  J. 
Whiting  of  Harvard  University.  He  has  produced  besides  a 
large  number  of  monographs  on  various  phases  of  the  proverb, 
two  excellent  books:  Chaucers  Use  of  Proverbs  (Cambridge. 
1934)  and  Proverbs  in  the  Earlier  English  Drama,  with  lllus- 
trations  from  Contemporary  French  Plays  (Cambridge,  1938). 
As  chairman  of  a  Committee  on  Proverbs  of  the  Group  "Com- 
parative  Literature  11"  of  the  Modern  Language  Association  of 
America,  Dr.  Whiting  has  edited  a  stimulating  report  entitled 
"The  Study  of  Proverbs,"  Modern  Language  Forum,  XXIV 
(1939),  57-83.  The  other  members  of  the  Committee  are  F.  C. 
Bradley,  Richard  Jente,  Archer  Taylor  and  M.  P.  Tilley.  Sev- 
eral  of  them  are  now  engaged  upon  important  projects  in  the 
field  of  proverbs  which  will  be  mentioned  at  the  end  of  this 
survey. 

D.  M.  Marvin  has  compiled  two  readable books:  The  Antiq- 
uity  of  Proverbs;  Fifty  Familiär  Proverbs  and  Fol\  Sayings  .  .  . 
Found  in  All  Parts  of  the  World  (New  York  and  London, 
1922).  This  is  a  better  work  than  his  earlier  Curiosities  in 
Proverbs,  a  Collection  of  Unusual  Adages,  Maxims,  Aphorisms, 
Phrases  and  Other  Populär  Dicta  from  Many  Lands  (New 
York  and  London,  1916). 

The  following  contain  an  abundance  of  proverbial  phrases 
and  some  proverbs:  A.  M.  Hyamson,  A  Dictionary  of  English 
Phrases  (London  and  New  York,  1922) ;  Eric  Partridge,  Dic- 
tionary of  Slang  and  JJ nconventional  English  (London,  1937; 
Second  Enlarged  Edition,  1938).  A  voluminous  collection  of 


PROVERB  LITERATURE  27 

similes,  most  of  which  have  been  cuUed  from  known  writers,  is 
that  of  F.  J.  Wilstack,  A  Dictionary  of  Similes  (London,  1917; 
Second  Revised  Edition,  Boston,  1924).  Of  less  importance  is 
Grenville  Kleiser,  Similes  and  Their  Use  (New  York,  1925). 
Interesting  here  is  the  fact  that  many  of  these  invented  similes 
have  become  a  part  of  our  populär  Speech.  W.  J.  Humphreys, 
Weather  Proverbs  and  Paradoxes  (Baltimore,  1923),  treats  only 
a  few  proverbs  of  this  kind,  particularly  those  based  upon  ac- 
curate  Observation.  Several  monographs  are  available  on  the 
proverbs  of  definite  localities,  e.g.:  E.  L.  Snapp,  "Proverbial 
Lore  in  Nebraska,"  University  of  Nebraskß  Studies  in  Lan- 
guage,  Literature,  and  Criticism,  XIII  (Lincoln,  Nebraska, 
1933),  51-112;  F.  W.  Bradley,  "South  Carolina  Proverbs," 
Southern  Folklore  Quarterly,  I  (1937),  57-101.  Donald  F.  Bond 
has  treated  the  legal  proverb:  "English  Legal  Proverbs,"  Publi- 
cations  of  the  Modern  Language  Association,  LI  (1936),  921- 
935;  "The  Law^  and  Lawyers  in  English  Proverbs,"  American 
Bar  Association  Journal,  XXI  (1935),  724-727. 

The  general  interest  in  proverbs  is  shown  by  the  publication 
in  both  England  and  the  United  States  of  small  populär  coUec- 
tions  in  English  of  the  proverbs  of  diflerent  peoples.  I  refer  to 
the  little  booklets  published  in  London  by  Hill  and  by  Palmer, 
and  in  Girard,  Kansas,  by  Haldeman-Julius,  of  which  enor- 
mous  numbers  have  been  sold.  Insignificant  though  these 
booklets  are,  their  widespread  popularity  may  contribute  some- 
what  to  the  survival  of  old  proverbs  and  the  introduction  of 
foreign  proverbs  into  English  speech. 

The  only  important  book  of  Scottish  proverbs  that  we  have 
noted  is  that  of  Erskine  Beveridge,  Fergusson's  Scottish  Prov- 
erbs from  the  Original  Print  of  1641,  Together  with  a  Larger 
Manuscript  Collection  of  about  the  Same  Period  Hitherto  Un- 
published  (Edinburgh  and  London:  Scottish  Text  Society, 
1924).  , 

A  good  selection  of  648  Gaelic  proverbs  chosen  from  over 
4,000  is  that  of  T.  D.  Macdonald,  Gaelic  Proverbs  and  Pro- 
verbial Sayings  with  English  Translations  (Stirling,  1926).  The 


28  CORONA 

article  of  Angus  Macgillivray,  "Our  Gaelic  Proverbs:  a  Mirror 
of  the  Past,"  Caledonian  Medical  Journal,  XIII  (1928),  307-326, 
has  been  commended. 

Of  Irish  proverbs  we  possess  no  really  satisfactory  coUection 
and  we  trust  that  with  the  present  folklore  activity  in  Eire, 
attention  will  be  given  to  folkspeech.  The  best  we  have  to  date 
is:  Thomas  F.  O'Rahilly,  A  Miscellany  of  Irish  Proverbs  (Dub- 
lin, 1922),  and  An  Seabhac  (i.e.,  Patrick  Shughrue),  Seanfhocail 
na  Muimhneach  ("Gaelic  Folkspeech  from  Munster")  (Dublin 
and  Cork,  1926). 

The  polyglot  coUections  of  proverbs  may  be  treated  sep- 
arately  in  two  groups,  namely  those  in  the  original  languages, 
and  those  in  translation  only.  An  excellent  and  convenient 
volume  with  variants  of  1,483  current  proverbs  in  several  lan- 
guages is:  A.  Arthaber,  Dizionario  comparato  dt  proverbi  e 
modi  proverbiali  italiani,  laüni,  francesi,  spagnoli,  tedeschi, 
inglesi  e  greci  antichi  con  relativi  indici  sistematico-alfabetici 
(Milan,  ca.  1929).  More  limited  in  scope  is:  A.  Boecklen,  ^^^^ 
Sprichwörter,  Proverbes,  Proverbi,  Proverbios  (Stuttgart,  1922). 
A  second  enlarged  edition  including  the  English  proverb  ap- 
peared  in  1924;  the  third  edition,  1939,  was  prepared  by 
G.  Schmidt.  Quite  similar  is:  E.  Herg,  Deutsche  Sprichwörter 
im  Spiegel  fremder  Sprachen,  unter  Berücksichtigung  des 
Englischen,  Französischen,  Italienischen,  Lateinischen  und 
Spanischen  (Berlin,  1933).  The  foUowing  polyglot  volume  has 
experienced  many  printings :  H.  P.  Jones,  Dictionary  of  Foreign 
Phrases  and  Classicd  Quotations,  Comprising  14,000  Idioms, 
Proverbs,  Maxims,  Mottoes,  .  .  .  in  Latin,  Gree\,  French,  Ger- 
man,  Portuguese,  Italian,  Spanish,  Alphabeticdly  Arranged, 
with  English  Translations  and  Equivalents  (New  and  Revised 
Edition ;  Edinburgh,  1929) .  Most  of  the  volumes  of  "the  world's 
best  proverbs"  are  of  little  importance  and  cater  to  the  general 
reader.  Here  we  can  call  attention  only  to  a  few,  e.g.,  J.  G. 
Lawson,  The  World's  Best  Proverbs  and  Maxims,  Gleaned 
from  Many  Sources  (New  York,  1926) ;  W.  E.  Bush,  iSoo  Se- 
lected  Proverbs  of  the  World,  Ancient,  Medieval  and  Moder?! 
(Boston,  1938);  S.  G.  Champion  and  E.  Mavrogordato,  Way- 


PRO  VERB  LITERATURE  29 

side  Sayings  (London,  1922),  of  which  a  second  series  appeared 
in  1924.  To  the  general  reader  we  can  recommend  the  com- 
prehensive  collection  of  S.  G.  Champion,  Racial  Proverbs;  a 
Selection  of  the  World's  Proverbs  Arranged  Linguistically 
(London  and  New  York,  1938).  This  book  contains  over 
26,000  proverbs  from  nearly  200  languages  and  dialects.  It  rep- 
resents  a  labor  of  enormous  industry,  but  the  compiler's  premise, 
that  it  is  possible  to  assign  all  these  proverbs  to  definite  lan- 
guage  groups,  is  open  to  serious  doubts. 

Germany  has  produced  in  recent  years  a  number  of  basic 
books  which  should  be  in  the  hands  of  all  those  interested  in 
the  proverb,  Friedrich  Seiler  wrote  during  the  decade  be- 
fore  his  death  in  1928  a  long  series  of  fundamental  books  and 
articles  on  various  aspects  of  the  proverb.  One  of  his  two 
leading  works  is  Deutsche  Sprichwörter\unde  (München, 
1922),  a  book  of  over  450  pages  dealing  with  all  aspects  of 
German  proverb  lore.  It  should  not  be  confused  with:  Das 
deutsche  Sprichwort  (Strassburg,  1918),  a  small  monograph 
of  seventy-seven  pages,  perhaps  the  best  short  introduction  to 
proverb  lore  in  any  language.  Seiler's  other  large  proverb  study 
appeared  as  part  of  Die  Entwicklung  der  deutschen  Kultur  im 
Spiegel  des  deutschen  Lehnworts;  namely,  Part  V:  Das  deutsche 
Lehnsprichwort,  I  (Halle,  1921),  II  and  III  (1923),  IV  (1924). 
This  work  treats  a  vast  number  of  proverbs  that  have  come  into 
the  German  language  from  foreign  sources.  In  most  cases  a 
brief  history  of  the  proverb  is  given.  Since  many  of  these  same 
proverbs  became  common  medieval  or  common  European 
proverbs,  much  of  the  material  here  assembled  holds  for  the 
borrowed  proverb  in  other  European  countries  besides  Ger- 
many. Seiler  prepared  the  groundwork  for  this  valuable  book 
with  a  number  of  monographs,  the  most  important  of  which  is : 
"Die  kleineren  deutschen  Sprichwörtersammlungen  der  vor- 
reformatorischen  Zeit  und  ihre  Quellen,"  Zeitschrift  für 
deutsche  Philologie,  XL VII  (1916),  241-256;  (1917),  380-390; 
XLVIII  (1919),  81-95. 

Several  fundamental  works  are:  J.  Klapper,  Die  Sprich- 
wörter der  Freidankjpredigten,  Proverbia  Fridanci.  Ein  Beitrag 


30  CORONA 

zur  Geschichte  des  ostmitteldeutschen  Sprichworts  und  seiner 
lateinischen  Quellen  (Breslau,  1927) ;  Karl  Rother,  Die  schlesi- 
schen  Sprichwörter  und  Redensarten  (Breslau,  1928),  a  coUec- 
tion  of  over  twenty  thousand  proverbs  conveniently  arranged 
in  groups.  German  legal  proverbs  have  been  assembled  by 
L.  Winkler,  Deutsches  Recht  im  Spiegel  deutscher  Sprichwör- 
ter (Leipzig,  1927).  The  well-known  collection  of  Georg  Büch- 
mann, Geflügelte  Worte.  Der  Zitatenschatz  des  deutschen 
Volkes,  has  been  reissued  several  times  during  the  past  two 
decades.  The  last  one  to  appear  in  the  spirit  of  Büchmann  is 
that  edited  by  L.  Heinemann  (Berlin,  1929).  A  "purified  edi- 
tion"  was  edited  by  V.  Tornius  (Leipzig,  1936),  in  which  cur- 
rent  sayings  coined  by  non-Aryans  are  omitted  from  the  body 
of  the  book  but  marked  as  such  in  the  alphabetical  list  at  the 
end  with  obvious  intent.  A  large  number  of  utterances  of  the 
present-day  political  leaders  are  included,  not  because  they  are 
household  words  but  "ought  to  become  such."  Two  Standard 
works  often  revised  and  enlarged  are:  W,  Borchardt  and  G. 
Wustmann,  Die  sprichwörtlichen  Redensarten  im  deutschen 
Volksmunde  nach  Sinn  und  Ursprung  erläutert  (Sixth  Edition; 
Leipzig,  1925),  and  A.  Richter,  Deutsche  Redensarten,  sprach- 
lich und  kulturgeschichtlich  erläutert  (Fourth  Edition;  Leip- 
zig, 1921).  A  populär  book  containing  much  interesting  matter 
on  proverbs  is:  K.  Faustmann,  Aus  tiefem  Brunnen.  Das 
deutsche  Sprichwort.  Mit  Beitrag:  Lebensweisheit  der  deut- 
schen Sprichwörter  (Freiburg,  1920).  Several  smaller  coUec- 
tions  of  material  are:  W.  G.  Oschilewski,  Deutsche  Sprich- 
wörter. Ausgewählt  und  eingeleitet  (Jena,  1924) ;  E.  Pastor, 
Deutsche  Volksweisheit  in  Wetterregeln  und  Bauernsprüchen 
(Berlin,  1934);  W.  Mönch,  Schwäbische  Spruchkunst.  In- 
schriften an  Haus  und  Gerät  (Stuttgart,  1937).  A  good  hand- 
book  of  folkspeech  is:  Robert  Petsch,  Spruchdichtung  des 
Volkes,  Vor-  und  Frühformen  der  Volksdichtung;  Ruf,  Zau- 
ber- und  Weisheitsspruch,  Rätsel,  Volks-  und  Kindetreim 
(Halle,  1938).  In  the  comprehensive  work  of  Adolf  Spamer, 
Die  deutsche  Volkskunde  (Leipzig,  1934-35)  there  is  an  ex- 
cellent    chapter    "Die    Volkssprache"    by    Friedrich    Maurer. 


PROVERB  LITERATURE  31 

Many  essays  and  articles  treat  the  proverbs  of  definite  localities. 
One  of  the  best  is  the  pamphlet  by  Hermann  Tardel,  Bremen 
im  Sprichwort  (Bremen,  1929).  Perhaps  we  can  mention  best 
here  the  excellent  collection  of  E.  M.  Fogel,  Proverbs  of  the 
Pennsylvania  Germans  (Fogelsville,  Pennsylvania,  1929). 

The  Dutch  proverb  has  received  excellent  treatment  in  a 
book,  which  is  also  valuable  for  knowledge  of  the  European 
proverb  in  generali  F.  A.  Stoett,  Nederlandsche  Spreekwoor- 
den,  Spreekwijzen,  UitdrukJ{ingen  en  Gezegden,  tvjo  volumes 
(Fourth  Edition;  Zutphen,  1923-25).  Proverbs  based  on  pop- 
ulär beliefs  have  been  treated  extensively  by  A.  de  Cock,  Spree\- 
woorden,  Zegswijzen  en  UitdrukJ{ingen  op  Vol\sgeloof  berus- 
tend,  two  volumes  (Antwerp,  1920).  Several  volumes  on 
populär  humor,  much  of  it  drawn  from  proverbs  and  pro- 
verbial  expressions,  have  been  written  by  J.  Cornelissen,  Neder- 
landsche Volkshumor  op  Stad  en  Dorp,  Land  en  Vol\  (Ant- 
w^erp,  1928-32),  A  small  volume  of  Dutch  maritime  proverbs 
is  that  of  F.  Kerdijk,  Alles  wel  aan  boord  (The  Hague,  1935). 
The  South  African  Dutch  proverbs  have  been  collected  by 
D.  F.  Malherbe,  Afrikaanse  Spree\woorde  en  verwante  Vorme 
(Bloemfontein,  1924). 

The  books  of  a  fev^^  authors  have  been  investigated  for  their 
proverb  content.  The  Age  of  Shakespeare  is  represented  by 
several  good  studies :  M.  T.  Tilley,  Elizabethan  Proverb  Lore  in 
Lyly's  "Euphues"  and  in  Pettie's  "Petite  Palace"  (New  York, 
1926) ;  K.  Pfeffer,  Das  Elizabethaijische  Sprichwort  in  seiner 
Verwendung  bei  Ben  Jonson,  a  dissertation  (Giessen,  1933); 
R.  Jente,  "The  Proverbs  of  Shakespeare  with  Early  and  Con- 
temporary  Parallels,"  Washington  University  Studies,  XIII  (St. 
Louis,  Missouri,  1926),  391-444.  A  model  example  of  the 
treatment  of  the  proverbs  used  by  an  author  is:  M.  Len- 
schau,  Grimmeis hausens  Sprichwörter  ("Deutsche  Forschun- 
gen," X;  Frankfurt  am  Main,  1924).  Several  other  German 
authors  have  been  treated:  H.  H.  Eberth,  Die  Sprichwörter 
in  Sebastian  Brants  Narrenschiß  ("Deutsches  Werden,"  3; 
Greifswald,  1933) ;  A.  Proksch,  Theodor  Storms  Sprache  und 
Stil  nebst  Sprichwörtern  und  Redensarten  (Berlin,  1920);  J.  F. 


32  CORONA 

SuUivan,  Das  Sprichwort  bei  ]ohann  Fischart  (New  York, 
1937).  The  last  mentioned  is  a  mere  list  of  materials,  being 
only  part  of  a  dissertation.  Comprehensive  and  well  done  is 
the  following  dissertation:  A.  Anstensen,  The  Proverb  in 
Ibsen;  Proverbial  Sayings  and  Citations  as  Elements  in  his 
Style  (New  York,  1936).  We  have  not  seen  Kurt  Hülsemann, 
Die  niederdeutschen  Sprichwörter  in  den  Wer\en  von  Nicolaus 
Gryse,  a  dissertation  (Hamburg,  1930),  and  David  Heft,  Pro- 
verbs and  "Sentences"  in  Fifteenth  Century  French  Comedy,  a 
dissertation  (New  York,  1938).  Thomas  H.  Russell  has  com- 
piled  The  Sayings  of  Poor  Richard:  Wit,  Wisdom  and  Humor 
of  Benjamin  Fran\lin  in  the  Prefaces,  Proverbs  and  Maxims 
of  Poor  Richard' s  Almanacks  for  7755  to  iy^8  (Chicago,  1926). 

Wellerisms  have  been  treated  by  F.  Seiler  in  Volume  IV  of 
Das  deutsche  Lehnsprichwort,  referred  to  under  German  prov- 
erbs.  Additional  material  is  found  in  the  following  articles: 
P.  Bartels,  "Das  apologetische  Sprichwort  im  Niederdeutschen 
und  Dänischen,"  Niederdeutsche  Zeitschrift  für  Vol^s^unde, 
VIII  (1930),  223-250;  B.  }.  Whiting,  "A  Handful  of  Recent 
Wellerisms,"  Archiv  für  das  Studium  der  neueren  Sprachen, 
CLXIX  (1936),  71-75;  F.  Sanchez  y  Escribano,  "Dialogismos 
paremiologicos  castellanos,"  Revista  de  fililogia  espanola,  XXIII 
(1936),  275-291. 

Of  the  Scandinavian  paroemiologists  the  Swedes  have  been 
most  active.  We  might  expect  this,  for  there  does  not  exist  as 
yet  a  reliable  book  of  Swedish  proverbs.  At  the  end  of  this 
survey  we  shall  note  two  large  unpublished  collections.  The 
Swedish  proverbs  of  Finland  have  been  assembled  in  exemplary 
manner  by  V.  Solstrand,  Finlands  svenska  folkdi\tning  III. 
Ordstäv  ("Skrifter  utgivna  av  svenska  litteratursällskapet  i  Fin- 
land," CLXXII;  Helsingfors,  1923).  A  humorous,  amusingly 
illustrated  book  is  that  by  Fredrik  Ström,  Svensl^arna  i  sina 
ordspräJ{,  jämte  sju  tusen  svens\a  ordspräJ^  om  Gud  och  djävu- 
len,  mannen,  \vinnan  ach  kßrleken,  livet  och  dödeii,  glädjen 
och  sorgen,  ämbeten  och  yr\en  .  .  .  (Stockholm,  1926).  Two 
smaller  books  are:  G.  Cederschiöld,  Om  ordstäv  och  andra 


PROVERB  LITERATURE  33 

ämnen  (Lund,  1923),  and  J.  L.  Saxon,  Närkjngarnas  ordspräkj- 
bo\  (Stockholm,  1930). 

From  Norway  and  Denmark  we  have  only  a  few  smaller 
coUections:  R.  T.  Christiansen,  Gamle  visdomsord  (Oslo, 
1928);  M.  Bonnevie,  Ord  som  lever  (Oslo,  1928);  and  the  two 
books  of  Emil  Thomsen,  ^400  Ordsprog,  Talemaader  og 
Skjaemtesprog  (Copenhagen,  1919)  and  Ordsprogens  Verdens- 
gang  (Copenhagen,  1922).  A.  Hansen  and  C.  Behrend  have 
issued  a  new  edition  of  the  1506  print  of  Peter  Laales  danske 
ordsprog  (Copenhagen,  1929)  with  a  translation  into  modern 
Danish.  Besides  bringing  facsimiles  of  pages  of  the  several 
early  prints,  we  have  here  in  facsimile  four  pages  of  a  man- 
uscript  fragment  upon  w^hich  Laale  drew,  dating  from  about 
1450. 

A  good  collection  of  modern  Icelandic  proverbs  is  that  of 
Finnur  Jonsson,  tslens\t  Mälshättasafn  (Copenhagen,  1920). 
A  reprint  of  an  old  collection  with  commentary  has  been  made 
by  G.  Kallstenius,  Jonas  Rugmans  Sämling  av  isl'äns\a  tcdesätt 
("Skrifter  utg.  av  Kongl.  Humanistiska  Vetenskaps-Sam- 
fundet,"  XXII,  No.  8;  Uppsala,  1927).  Of  interest  for  the  older 
proverb  is  the  article  by  G.  Kallstenius,  "Nordiska  ordspräk  hos 
Saxo,"  Archiv  för  nordis/{  filologi  XLIV,  Tillaegsbind  (1927), 
16-31,  and  Gudmund  Olauus,  Thesaurus  adagiorum  linguae 
septentrionalis  antiquae  et  modernae  ("Skrifter  utg.  av  Veten- 
skaps-Societeten  i  Lund,"  XII;  1930). 

The  Baltic  republics  have  all  developed  an  active  interest  in 
folklore,  and  in  each  there  are  folklore  commissions  which  are 
busily  assembling  materials  for  publication.  The  most  am- 
bitious  project,  one  not  yet  completed,  is  that  undertaken  by 
the  Lithuanian  V.  Kreve-Mickevicius,  Patarles  ir  priezodziai 
("Proverbs  and  Proverbial  Expressions"),  Volume  I  (Kaunas, 
1934).  This  volume  contains  over  seven  thousand  items  ar- 
ranged  according  to  initial  letter  A  to  E.  A  second  volume 
was  issued  in  1935  with  four  thousand  items;  a  third  in  1937. 
When  completed  this  will  be  one  of  the  monumental  works  in 
the  field  of  proverbs.  The  Latvian  proverbs  have  been  assem- 


34  CORONA 

bled  by  P.  and  M.  Birkerts,  Latviesu  Sakämvärdi  un  Parunas 
(Riga,  1927).  A  second  enlarged  edition  of  Estonian  proverbs 
is  that  of  M.  J.  Eisen,  Eesti  vanasönad.  Suurest  kprjandusest 
\oWu  pöiminud  (Tartu,  1929).  It  is  hoped  that  further  mate- 
rials  collected  by  this  author  will  also  be  published.  The  Fin- 
nish  Folklore  Commission  has  assembled  a  vast  number  of 
proverbs  which  have  not  yet  appeared.  The  large  coUection  of 
A.  V.  Koskimies  of  1906  has  been  published  in  abbreviated 
form  under  the  title:  Valikpima  suomalaisia  sananlas\uja. 
A.  Ahlqvistin  mu\aan  (Tampere,  1929). 

There  has  been  great  activity  in  the  field  of  proverbs  in 
Spain  and  Spanish  America,  and  although  many  large,  valuable 
and  interesting  collections  have  appeared,  we  still  lack  a  con- 
venient  and  reliable  comprehensive  work  on  the  Spanish  prov- 
erb.  In  191 0  Jose  Maria  Sbarbi,  know^n  to  all  paroemiologists 
as  the  editor  of  the  ten-volume  El  refranero  genercd  espanol 
(1874-88),  died  at  the  age  of  seventy-six,  leaving  a  large  man- 
uscript  collection  of  proverbs.  In  1922  this  was  published  at 
Madrid  in  two  volumes  by  M.  J.  Garcia  under  the  title:  Dic- 
cionario  de  refranes,  adagios,  proverhios,  modismos,  locuciones 
y  frases  proverbiales  de  la  lengua  espanola.  The  advantage  of 
this  work  is  that  it  is  arranged  according  to  key  word,  and 
material  sought  is  easy  to  locate,  but  it  lacks  sources  for  cach 
proverb  and  earliest  date  of  appearance,  so  that  its  value  as  a 
scientific  work  of  reference  is  limited.  Another  posthumous 
work  first  published  in  1906  is  that  of  the  early  seventeenth- 
century  humanist  Maestro  Gonzalo  Correas,  Vocabulario  de 
refranes  y  frases  proverbiales  y  otras  formulas  comunes  de  la 
lengua  castellana  en  que  van  todos  los  impresos  antes  y  otra 
gran  copia  (Madrid,  1906;  Second  Edition,  1924).  Overtwenty- 
six  thousand  items  are  brought  together  here  with  occasional 
notes  and  explanations,  but  the  order  is  alphabetical  by  first 
word,  and  the  book  is  thus  difficult  to  use.  A  third  still  larger 
collection  of  materials  supplementing  Correas  and  assembled 
in  the  same  unsatisfactory  order  is  represented  in  the  three 
large  volumes  of  F.  Rodriguez  Marin,  Mas  de  21,000  refra?ies 
castellanos,  no  contenidos  en  la  copiosa  coleccion  del  maestro 


PROVERB  LITERATURE  35 

Gonzalo  Correas,  allegolas  de  la  tradicion  orcd  y  de  sus  lecturas 
durante  mäs  de  medio  siglo  (Madrid,  1926).  Volume  II  fol- 
lowed  in  1931  as  12.600  refranes  mäs,  etc.,  and  Volume  III  in 
1934:  Los  6.666  refranes  de  mi  ultima  rebusca,  que  con  "Mäs 
de  21.000"  y  "12.600  refranes  mäs"  suman  largamente  40.000 
refranes  castellanos  no  contenidos  en  la  copiosa  coleccion  del 
maestro  Gonzalo  Correas.  Another  paroemiologist  who  has 
been  most  active  is  G.  M,  Vergara  y  Martin.  In  1923  he  issued 
his  large  Diccionario  geogräfico  populär  de  cantares,  refranes, 
adagios,  proverbios,  locuciones,  frases  proverbiales  y  modismos 
espanoles.  An  abbreviated  edition  of  the  same  came  out  in 
1929.  In  a  series  entitled  "Estudios  folkloricos  geogräficos," 
Vergara  y  Martin  has  published  a  large  number  of  monographs 
dealing  with  various  aspects  o£  the  Spanish  proverb.  A  populär 
collection  intended  for  the  general  reader  is  V,  Acocella,  Re- 
franero  cläsico.  Dos  mil  doscientos  refranes  castellanos  (Bar- 
celona, 1930).  Catalonian  proverbs  have  been  treated  by  J. 
Amades,  in  the  "Biblioteca  de  Tradicions  Populars,"  Serie  A, 
namely,  Calendari  de  Refranys  and  Origen  i  sentit  d'alguns 
proverbis  (Barcelona,  1933).  Comprehensive  dialect  collections 
are  E.  Alberola  i  M.  Peris  Fuentes,  Refraner  Valencia  (Valencia, 
1928),  and  A.  Sevilla,  Sabiduria  populär  murciana  (Murcia, 
1926). 

Spanish  America  has  produced  several  works  of  note.  De- 
spite  its  faults  in  content  and  arrangement  the  largest  and  best 
is:  Dario  Rubio,  Refranes,  proverbios  y  dichos  y  dicharachos 
mexicanos  (Mexico,  1937).  A  small  but  good  collection  of 
Chilean  proverbs  is:  R.  A.  Laval,  Paremiologia  Chilena  (San- 
tiago de  Chile,  1923;  Second  Edition,  1928).  Paraguayan  prov- 
erbs have  been  collected  by  N.  R.  Colman,  Mil  refranes 
guaranies  . .  .  (Asuncion,  1928).  We  note  in  conclusion  several 
works  of  less  value :  R.  Blanco  y  Sanchez,  Refranero  pedagögico 
hispanoamericano  (Third  Edition;  Madrid,  1920);  A.  L. 
Campa,  "Sayings  and  Riddles  in  New  Mexico,"  University  of 
New  Mexico  Bulletin,  No.  313  (Albuquerque,  1937). 

An  important  collection  of  Portuguese  proverbs  and  sayings 
is:  Alfredo  da  Cunha,  Ditames  e  Diterios  .  .  .  ,  three  volumes 


36  CORONA 

(Lisbon,  1929,  1930,  1931).  The  Portuguese  proverbs  of  Brazil 
have  been  gathered  together  in  installments  by  Afränio  Peixoto, 
"Adagios  brasiieiros,"  Portucale,  I  (1928),  124-137;  II  (1929), 
214-215. 

A  miscellaneous  collection  of  162  Basque  proverbs  contrib- 
uted  by  various  people  appeared  under  the  title:  "Refranes  y 
dichos  populäres"  in  the  Änuario  de  la  Sociedad  de  Eus\o- 
FolJ{lore,  I  (Vitoria,  1921),  43-58. 

For  the  French  language  there  is  still  no  adequate  collection 
to  supersede  that  of  Le  Roux  de  Lincy  (1859),  but  during  the 
past  two  decades  several  important  works  have  appeared  w^hich 
Supplement  it.  The  most  significant  among  these  is  that  by 
J.  Moravi^ski,  Proverbs  frangais  anterieurs  au  XV^  siede  (Paris, 
1925),  which  brings  together  in  convenient  form  twenty-five 
hundred  proverbs  recorded  in  manuscripts  before  1500.  It  is 
one  of  the  basic  books  for  proverb  study  in  general.  Moraw^ski 
has  otherwise  been  quite  active  in  publishing  articles  on  pro- 
verbs and  making  available  ancient  manuscript  material.  We 
can  mention  here  only  Les  diz  et  proverbes  des  sages  (Paris, 
1924).  W.  Gottschalk  is  the  author  of  several  books  of  high 
value:  Die  sprichwörtlichen  Redensarten  der  französischen 
Sprache,  Parts  I  and  II  (Heidelberg,  1930) ;  Die  bildhaften 
Sprichwörter  der  Romanen.  I  Die  Natur  im  romanischen 
Sprichwort  (Heidelberg,  1935).  //  Der  Mensch  im  Sprichwort 
der  romanischen  Völ\er  (Heidelberg,  1936).  A  beautiful  and 
valuable  book  is  that  by  Grace  Frank  and  Dorothy  Miner, 
Proverbes  en  rimes;  Text  and  lllustrations  of  the  Fifteenth  Cen- 
tury from  a  French  Manuscript  in  the  Walters  Art  G aller y, 
Baltimore  (Baltimore,  1937).  Grace  Frank  has  published  from 
a  later  manuscript  in  the  British  Museum  further  "Proverbes 
en  rimes"  in  The  Romajiic  Review,  XXXI  (1940),  209-238.  A 
fourteenth-century  manuscript  of  proverbs  has  been  well  edited 
by  A.  C.  Thorn,  Les  proverbes  de  bon  enseignement  de  Nicole 
Bozon  (Lund,  1921).  A  French  "Bartlett"  containing  much 
proverbial  matter  is:  O.  Guerlac,  Les  citations  frangais.  Recueil 
de  passages  celebres,  phrases  familieres,  mots  historiques  avec 
Vindication  exacte  de  la  source  (Paris,  1931).   Several  populär 


PROVERB  LITERATURE  37 

collections  have  been  repeatedly  reprinted,  e.g.,  L.  Martel,  Petit 
recueil  des  proverbes  frangais  (Paris,  1883;  Twelfth  Edition, 
ca.  1925);  Eman  Martin,  Deux  cent  locutions  et  proverbes. 
Origine  et  explications  (Paris,  1888;  nineteenth  thousand, 
1936).  An  illustrated  coUection  published  in  a  limited  edition 
is  A.  LePetit,  7/92  Proverbes  de  France,  de  partout  et  d'ailleurs. 
Illustre  en  couleurs  (Paris,  1929).  A  large  book  which  has  re- 
produced  older  source  materials,  but  which  unfortunately  does 
not  give  references,  is  Henri  de  Vibraye,  Tresor  des  proverbes 
frangais  anciens  et  modernes,  reunis  et  commentes  (Paris, 
1934).  A  number  of  good  works  on  the  proverbs  of  various 
parts  of  France  are:  L.  Morin,  Proverbes  et  dictons  recueillis 
dans  le  departement  de  l'Aube  (Troyes,  1932);  fi.  Ramond, 
Histoires  marseillaises,  galejades  et  proverbes  de  Provence 
(Paris,  1926) ;  £.  Dulac,  Gasconades,  mots,  historiettes ,  contes, 
legendes  et  proverbes  de  Gascogne  (Paris,  1927) ;  F.  P,  Raynal, 
Sagesse  auvergnate;  recueil  de  proverbes  (Rodez,  1935) ;  M. 
Lateur,  Un  peu  de  jolhlore:  Quatre  cents  locutions  et  dictons 
de  nos  regions  minieres  de  l'Artois  (Arras,  1934).  A  good  col- 
lection  of  proverbs  of  the  sea  is :  A.  Hayet,  Dictons  et  tirades  des 
anciens  de  la  voile  (Paris,  1934). 

Italy  still  has  no  representative  comprehensive  coUection  of 
proverbs,  and  we  do  not  knov;^  that  any  undertaking  of  this 
kind  is  in  progress.  The  few  works  noted  are  particularly  those 
that  deal  with  the  proverbs  of  definite  areas  or  particular  as- 
pects,  as  for  example:  G.  Nardi,  Proverbi,  frasi  e  modi  pro- 
verbidi  del  Revennate  (Imola,  1922) ;  S.  La  Sorsa,  La  sapienza 
popolare  nei  proverbi  pugliese  (Bari,  1923).  U.  Rossi  Ferrini, 
Proverbi  agricoli  (Firenze,  1931).  An  old  work  which  still 
seems  to  enjoy  popularity  in  Sicily  is  the  coUection  of  poems 
on  proverbs  by  Santo  Rapisarda,  Raccolta  di  proverbi  siciliani 
ridotti  in  canzoni  (Fourth  Edition;  Catania,  1924). 

A  large  and  excellent  Latin  coUection,  highly  recommended 
as  a  source  book,  is  that  of  L.  De-Mauri  (i.e.,  Ernesto  Sarasino) 
Flores  sententiarum.  Raccolta  di  ^000  sentenze,  proverbi  e 
motti  latini  di  uso  quotidiano  in  ordine  per  materie  con  le  fonti 
indicate,  schiarimenti  e  la  traduzione  italiana  (Milan,  1926). 


38  CORONA 

The  only  other  Latin  book  of  importance  here  is  W.  C.  Korf- 
macher,  Othloni  Libellus  proverbiorum  (Chicago,  1936).  It  is 
hoped  that  competent  scholars  will  continue  to  investigate  the 
medieval  Latin  proverb.  It  represents  a  field  that  has  been 
quite  neglected  and  one  which  should  yield  valuable  results 
toward  a  knowledge  of  the  history  of  the  vernacular  proverbs 
of  many  European  countries. 

The  modern  Greek  proverb  has  been  treated  in  a  large 
number  of  short  articles.  The  most  comprehensive  work  we 
have  noted  are  the  many  serial  coUections  of  the  proverbs  of 
Cyprus  by  N.  Kvpia^T^s,  Kv-rrpiaKal  Trapoi/xlai,  w^hich  liave  appeared 
throughout  four  volumes  of  the  KvirpuxKa  XpoviKd ,  V  to  VIII 
(1927-31).  Published  in  book  form  this  collection  w^ould 
Cover  over  tv^o  hundred  and  hfty  pages. 

In  some  of  the  Slavic  countries  there  has  been  activity  in  the 
collecting  of  proverbs,  but  no  really  significant  works  have  yet 
been  published.  The  follow^ing  "Book  of  Proverbs"  is  intended 
for  populär  use:  V.  Knjazev,  Kniga  poslovic  (Leningrad, 
1930).  Proverbs  on  "priests  and  religion"  have  been  assembled 
by  M.  I.  Sachnovic,  Poslovicy  i  pogovorkj  0  popach  i  religii 
(Moscow,  1933).  A  small  book  treats  "Moscow  in  Proverbs": 
B.  Scheydlin,  Moskj/a  v  poslovicach  (Moscow,  1929).  For  the 
English  reader  we  mention  the  foUowing  booklets  by  F.  Baucr- 
Czarnomski,  Proverbs  in  Russian  and  English  and  Proverbs  in 
Polish  and  English,  both  printed  by  Hill  (London,  1920).  A 
treatise  and  collection  of  a  large  number  of  Polish  proverbs  is: 
}.  St.  Bystron,  Przylowia  polskje  (Krakow,  1933).  A  book  treat- 
ing  the  Polish  proverbs  concerning  the  days  of  the  year  is  W. 
Strzyzowski,  Przyslowia  ludowe  na  poszczegolne  dni  w  rokß 
(Bromberg,  1926).  Of  the  Czech  proverb  we  have  a  small 
volume  with  introduction  by  K.  Chapek:  Karel  Kraus,  CesJ{a 
pHslovi.  Üvod  od  K.  Capkß  (Praha,  1931).  A  new  edition  of 
the  Serbian  folklore  materials  coUected  by  V.  St.  Karadzhic 
and  published  in  1853  has  been  reissued  in  augmented  form 
under  the  title:  Srpske  narodne  poslovitze  .  .  .  (Beigrade, 
1933).  The  German  translation  of  this  work  (Berlin,  1854) 
contained  over  a  thousand  Serbian  proverbs.  We  have  a  small 


PROVERB  LITERATURE  39 

book  of  the  "Populär  wisdom"  of  Bulgaria  by  T.  N.  Balabanov, 
Narodna  mudrost  (Sofia,  1928).  W.  M.  Petrovitch  was  work- 
ing  on  a  large  coUection  of  Montenegrin  proverbs  when  he 
died  recently.  He  published  fifty-two  proverbs  under  the  title: 
"Wit  and  Wisdom  of  the  South  Slavs,"  'Notes  and  Queries, 
CLXV  (1933),  344. 

The  Gypsy  proverbs  have  been  collected  in  a  large  volume 
and  published  in  Bulgarian  by  T.  Djordjevic,  Ciganske  na- 
rodne  pripovet\e  (Belgrads,  1933). 

The  Hebrew^  proverb  has  been  commonly  treated  in  connec- 
tion  vi'ith  the  older  literature;  for  example:  G.  Boström, 
Paronomasi  i  den  äldre  hebreiskß  maschcdlitteraturen.  Med 
särs^ild  hänsyn  tili  Vroverbia  (Lund,  1928);  H.  Gressmann, 
Israels  Spruchweisheit  im  Zusammenhang  der  Weltliteratur 
(Berlin,  1925) ;  Israel  Davidson,  "Wisdom  and  FoUy  in  Medie- 
val  Hebrew  Proverbs,"  in  Essays  and  Studies  in  Memory  of 
Linda  R.  Miller  (New  York,  1938).  The  Talmudic  elements  in 
the  Yiddish  proverb  have  been  treated  by  L.  Tojbesh,  Tal- 
mudishe  elementn  inem  jidishn  shprichwort  (Vienna,  1927). 
An  improved  and  enlarged  edition  came  out  in  1928.  Of  espe- 
cial  interest  to  American  Jews  is  the  splendid  article  by  Leah  R. 
Yoffie,  "Yiddish  Proverbs,  Sayings,  etc.  in  St.  Louis,  Mo.," 
Journal  of  American  Folk^-Lore,  XXXIII  (1920),  134-165. 

Those  who  know  Arabic  are  enthusiastic  over  the  quality 
and  abundance  of  proverbial  wisdom  preserved  in  the  common 
sayings  of  this  widespread  language.  The  Turkish  language 
has  taken  up  thousands  of  these  and  has  helped  to  spread  them 
into  Southeastern  Europe.  The  close  affinity  of  the  Hebrew  and 
the  Arabic  has  also  led  to  an  interchange  of  proverbs  and  a 
consequent  spread  of  this  wisdom.  Several  large  and  important 
collections  have  recently  appeared.  The  well-known  work  of 
C.  Snouck  Hurgronje,  Mexikanische  Sprichwörter  und  Redens- 
arten, which  first  appeared  in  1886,  was  reprinted  in  1929  in 
Volume  V  of  his  "Verspreide  geschriften."  Sa'id  'Abbüd  in 
collaboration  with  M.  Thilo  and  G.  Kampfimeyer  has  compiled 
^000  arabische  Sprichwörter  aus  Palästina  in  a  supplementary 
volume  to  the  Mitteilungen  des  Seminars  für  orientalische 


40  CORONA 

Sprachen  an  der  Universität  Berlin,  Volume  XXXVI  (Berlin, 
1933).  Enno  Littmann  has  translated  a  sizable  volume  of 
Kairiner  Sprichwörter  und  Rätsel  ("Abhandlungen  für  Kunde 
des  Morgenlandes  .  .  .,"  XXII,  5;  Leipzig,  1937).  The  Yemenic 
dialect  is  excellently  represented  in  the  collection  of  S.  D.  F. 
Goitein,  ]emenica  Sprichwörter  und  Redensarten  aus  Zentral- 
jemen (Leipzig,  1934).  A  large  volume  of  Syro-Lebanese  prov- 
erbs  with  Arabic  text,  translation,  and  commentary  has 
been  compiled  by  M.  T.  Feghali,  Proverbes  et  dictons  syro- 
libanais  (Paris,  1938).  Of  a  more  populär  nature  are  the  fol- 
lowing:  A.  B.  and  E.  H.  Hyman,  Poetry,  Proverbs,  Philosophy 
from  the  Arabian  Nights  (Los  Angeles,  1928) ;  £,  L.  Montet, 
Choix  de  proverbes,  dictons,  maximes  et  pensees  de  l'lslam 
(Paris,  1933) ;  S.  Hillelson,  Arabic  Proverbs,  Sayings,  Riddles 
and  Populär  Belief s  (Khartoum,  1921),  L.  Brunot,  "Proverbes 
et  dictons  arabes  de  Rabst,"  Hesperis,  VIII  (Paris,  1928).  Tw^o 
large  books  treat  the  proverbs  of  Morocco.  The  better  by  far 
is  that  by  E.  A.  Westermarck,  Wit  and  Wisdom  in  Morocco;  a 
Study  of  Native  Proverbs  (London,  1930).  The  long  Intro- 
ductory  Essay  deals  w^ith  form,  linguistic  peculiarities,  content, 
and  sociological  significance  of  the  proverbs,  many  of  which 
have  been  collected  from  the  lips  of  the  native  Moors.  The 
original  text  w^ith  transliteration  and  translation  of  these  2,013 
items  is  foUowed  by  a  complex  index.  This  book  is  a  remark- 
able  example  of  how  the  native  proverbs  may  be  treated  to 
demonstrate  the  many  sociological  aspects  of  a  people.  Similarly 
valuable,  but  in  a  less  degree,  are  the  three  hundred  Proverbes 
inedits  des  vieilles  femmes  marocaines,  collected  by  Si  Ahmed 
Sbihi,  with  translation  and  notes  by  A.  Benchehida  (Fez,  ca. 

1931)- 

The  foUowing  tv^o  small  volumes  of  Turkish  proverbs 

are   not  very   significant:   Hamid   Izzet,  Proverbes  turcs  et 

frangais  (Constantinople,  1923);  Lufti  Muzzafer,  Turg  atalar 

sözü  ("Turkish  Ancestors'  Sayings")  (Constantinople,  1928). 

A  small  collection  from  Bulgaria  is:  G.  Karadimitrov,  Mädri 

turs}{i  izrecenija   ("Wise   Turkish   Sayings")    (Sofia,    1933). 

Russo-Turkish  border  provinces  are  represented  by  the  follov^^- 


PROVERB  LITERATURE  41 

ing:  M.  Geldiew,  Sborni\  tur\mens}{ich  narodnych  pogovoro\, 
poslovitsi  i  zagadoß{  ("CoUection  of  Turkomen  Sayings,  Pro- 
verbs and  Riddles")  (Poltorack,  Ashabad,  1925) ;  Ch.  Seinally, 
Azerbaidshanske  poslovitsi  i  pogovorkj  (Turkish  title:  Azer- 
baidshan  atcdar  sözü,  i.e.,  "Azerbaidjan  Ancestors'  Sayings") 
(Baku,  1926).  The  Russian  titles  of  these  two  rather  füll  col- 
lections  are  misleading.  They  are  both  in  Arabic  type  and  are 
not  translated. 

Little  that  is  important  seems  to  have  been  published  during 
the  past  two  decades  on  the  proverbs  of  Central  and  Southern 
Asia.  A  Selection  of  Telagu  Proverbs  appeared  at  Madras  in 
1922,  oflfering  less  than  half  the  material  found  in  the  larger 
work  of  M.  W.  Carr  (Madras  and  London,  1868).  Otherwise 
the  publications  are  of  less  importance:  L.  Paul-Marguerite  and 
L'Emir  Kamuran  Bedir  Kahn,  Proverbes  Kurdes  (Paris,  1937) ; 
Rai  Bahadur  Gang-ar-ama,  Punjabi  Agricultural  Proverbs  and 
their  Scientific  Significance  (Labore,  1920);  }.  B.  Degeorge, 
"Proverbes,  maximes  et  sentences  Tays,"  Anthropos,  XXVII 
(Vienna,  1927),  911-932,  Some  ancient  proverbs  are  contained 
in  Sumerian  Texts  of  Varied  Contents,  edited  by  E.  Chiera 
(Chicago,  1934).  Champaklal  Chunilal  Shah  edited  in  1923 
three  small  pamphlets  in  the  "Haldeman- Julius  Series,"  namely, 
Proverbs  of  India,  Proverbs  of  Hindustan  and  Sans\rit  Prov- 
erbs, w^hich  presumably  do  not  bring  new  materials. 

The  w^ell-known  CoUection  of  Chinese  Proverbs  by  W.  Scar- 
borough  of  1875  has  been  Revised  and  Enlarged  by  the  Addi- 
tion of  600  Proverbs  by  C.  W.  Allan  (Shanghai,  1927).  In  its 
new  form  this  book  is  a  Standard  work,  the  best  that  we  have. 
C.  H.  Plopper,  Chinese  Religion  Seen  Through  the  Proverb 
(Shanghai,  1926),  is  a  voluminous  treatment  of  all  phases  of 
the  subject  by  a  man  well  acquainted  with  it.  The  same  author 
has  also  published  two  short  addresses :  Chinese  Proverbs:  The 
Relationship  of  Friends  as  Brought  out  by  the  Proverbs;  Eco- 
nomics  as  Seen  through  the  Proverbs  (Peiping,  1932).  A  very 
readable  book  is  that  of  B.  Brown,  The  Wisdom  of  the  Chinese: 
Their  Philosophy  in  Sayings  and  Proverbs  (New  York,  ca. 
1920).  A  second,  apparently  stereotyped,  edition  was  published 


42  CORONA 

at  Garden  City,  New  York,  about  1938.  The  following  Book  I 
have  not  seen:  H.  H.  Hart,  "joo  Chinese  Proverbs  (London, 
1937).  Of  less  importance  seem  to  be:  A.  Guiterman,  Chips  of 
Jade:  Being  Chinese  Proverbs  .  .  .  (New  York,  1920) ;  Sun-po 
Lin,  Words  of  Wisdom  from  Chinese  Sages  (New  York,  ca. 
1933);  L.  A.  Lyall,  The  Sayings  of  Confucius  (London,  1925). 

A  voluminous  coUection  of  Japanese  proverbs  with  German 
translations  is  the  second  enlarged  edition  of  P.  Ehmann, 
Sprichwörter  und  bildliche  Ausdrücke  der  japanischen  Sprache 
(Leipzig,  1927).  A  good  work  in  English,  giving  the  roman- 
ized  Japanese,  Chinese  and  Japanese  characters,  and  literal 
translation  into  English  with  the  nearest  EngUsh  equivalent  pro- 
verb  is:  Aisaburo  Akiyama,  Japanese  Proverbs  and  Proverbial 
Phrases  (Kyoto,  1935).  An  interesting  but  unpretentious 
pamphlet  sufficiently  described  by  its  title  is:  W.  E.  Griffis, 
Proverbs  of  Japan:  a  Little  Picture  of  the  Japanese  Philosophy 
of  Life  as  Mirrored  in  their  Proverbs  (New  York:  Japan  So- 
ciety, ca.  1924).  As  with  the  Chinese,  the  Japanese  proverb 
reflects  the  religious  thought  of  the  people.  A  German  disser- 
tation  treats  this  subject:  G.  Sudau,  Die  religiöse  Gedankenwelt 
der  Japaner  im  Spiegel  ihres  Sprichworts  (Leipzig,  1932).  The 
Japanese  Board  of  Tourist  Industry  has  just  issued  a  hand- 
somely  illustrated  volume  of  Japanese  proverbs  edited  by  Otoo 
Huzii. 

We  note  two  collections  of  Malay  proverbs,  namely,  that 
of  E.  S.  Hose  (Singapore,  1933)  and  A.  W.  Hamilton  (Singa- 
pore,  1927).  Maori  proverbs  are  represented  by  A.  F.  McDon- 
nell,  Maori  Songs  and  Proverbs  (Auckland,  1923),  and  R.  Firth, 
"Proverbs  in  Native  Life  with  Special  Reference  to  Those  of 
the  Maori,"  Folk-Lore,  XXXVII  (1926),  134-153,  245-270.  The 
native  proverbs  of  Hawaii,  which  are  fast  disappearing,  have 
been  treated  in  two  works  published  by  the  Bernice  P.  Bishop 
Museum:  E.  E.  V.  Collocott  and  J.  Havea,  Proverbial  Sayings 
of  the  Tongans  (Honolulu,  1922),  and  H.  P.  Judd,  Hawaiian 
Proverbs  and  Riddles  (Honolulu,  1930).  Some  proverbs  are 
included  in  the  following:  L.  S.  Green,  Hawaiian  Stories  and 


PROVERB  LITERATURE  43 

Wise  Sayings  ("Publications  o£  the  Folk-Lore  Foundation," 
No.  3;  Poughkeepsie,  1923). 

In  the  non-Arabic  parts  of  Africa  there  has  been  consider- 
able  activity  in  the  coUecting  and  preserving  of  native  proverbs. 
Several  of  these  works  are  by  missionaries,  who,  being  close  to 
the  common  people,  know  the  value  of  the  populär  wisdom 
contained  in  the  proverb  and  realize  how  its  use  at  once  opens 
between  the  native  and  the  foreigner  a  common  basis  for 
mutual  understanding.  Here  only  printed  books  will  be  men- 
tioned.  English,  German,  and  French  Journals  of  anthropology 
and  folklore  contain  numerous  articles  on  the  proverbs  of  the 
various  tribes  and  peoples  of  Africa  and  should  be  consulted  by 
those  interested,  since  the  few  books  that  have  appeared  do  not 
give  a  true  picture  of  what  has  actually  been  done.  S.  G.  Cham- 
pion in  his  recent  work  Racial  Proverbs  (London  and  New 
York,  1938)  has  listed  many  of  these  articles.  Dr.  Champion's 
bibliography  seems  to  be  quite  complete,  and  the  following 
titles  are  intended  as  a  Supplement.  Congo  proverbs  and  fables 
are  treated  in  detail  in  a  large  volume  by  L.  de  Clercq,  De 
Bakongo  in  hun  taal.  Spreekwoorden  en  fabeis  (Brüssels, 
1939).  The  best  book  of  the  proverbs  of  Madagascar  is  that  by 
Hubert  Nicol,  Proverbes  et  locutions  malgaches  (Paris,  1935). 
Dr.  Champion  has  listed  the  following  excellent  book  incor- 
rectly:  G.  Herzog  and  C.  G.  Blooah,  Jabo  Proverbs  from  Liberia 
(London,  1936). 

On  the  Negro  proverb  of  Jamaica  two  basic  works  have 
been  produced,  both  of  them  modeis  of  thoroughness  in  form 
as  well  as  content;  namely:  L  Anderson  and  F.  Cundall,  Ja- 
maica Negro  Proverbs  and  Sayings  (Second  Edition;  London, 
1927),  and  Martha  W.  Beckwith,  Jamaica  Proverbs  (Pough- 
keepsie, 1925).  H.  A.  Franck  has  coUected  468  proverbs  with- 
out  much  comment  in  Dialect  Notes,  V  (1921),  98-108. 

The  writer  is  acquainted  with  a  number  of  important  enter- 
prises  in  the  field  of  proverbs  which  are  in  progress  and  should 
for  the  most  part  appear  within  the  next  few  years.  Space  will 
permit  only  a  very  brief  report.  The  following  American 
scholars  may  be  mentioned  first.  Dr.  B.  J.  Whiting  of  Harvard 


44  CORONA 

University  has  ready  for  publication  a  cross  section  of  the 
American  proverb  as  found  in  several  hundred  novels  pub- 
lished  between  1928  and  1938.  He  is  also  working  on  a  collec- 
tion  of  the  early  English  proverb  up  to  1550.  Dr.  M.  P.  Tilley 
of  the  University  of  Michigan  is  editing  a  volume  of  English 
proverbs  from  1550  to  1700  as  part  of  a  Dictionary  of  Early 
Modern  English  now^  being  compiled  by  a  group  of  professors 
at  the  University  of  Michigan.  Dr.  R.  S.  Boggs  and  Dr.  F.  C. 
Hayes  of  the  University  of  North  Carolina  have  been  vi^orking 
for  several  years  on  a  historical  dictionary  of  Spanish  proverbs. 
Dr.  R.  Jente  of  the  University  of  North  Carolina  has  ready  for 
publication  an  edition  w^ith  extensive  commentaxy  of  the  early 
Dutch  Proverbia  Communia. 

Dr.  Selwyn  Gurney  Champion  in  the  Introduction  to  his 
Racial  Proverbs  has  noted  several  projects,  which  may  be  re- 
ferred  to  briefly.  The  Finnish  Literature  Society  and  Diction- 
ary Endovi^ment  has  coUected  1,450,000  proverbs,  and  the  Esto- 
nian  Folk-Lore  Archives  over  110,000  Estonian  proverbs.  On 
pages  xxvii-xxxiii  Dr.  Champion  has  recorded  several  unpub- 
lished  collections  in  various  languages  without  giving  details. 
One  of  the  most  important  of  these  seems  to  be  the  manuscript 
of  Carl  A.  Bäckström  comprising  30,000  proverbs  in  Sv^edish, 
German,  French,  and  English,  which  the  collector  presented  to 
the  Royal  Library  in  Stockholm  in  1928.  This  together  v^^ith  a 
manuscript  coUection  also  deposited  in  the  same  library  by 
K.  Strömbäck  over  fifty  years  ago  w^ill,  w^e  hope,  attract  a 
competent  editor. 

The  man  in  whose  honor  this  testimonial  volume  is  pub- 
lished  by  his  pupils,  friends,  and  admirers,  Dr.  S.  Singer,  has 
for  years  had  a  deep  interest  in  proverbs.  Among  his  v^ritings 
there  are  several  that  treat  the  early  Swiss  proverb.  We  have 
also  been  informed  that  Dr.  Singer  now  has  almost  completed  a 
manuscript  of  voluminous  proportions  that  brings  together  the 
entire  body  of  medieval  and  early  vernacular  proverbs  of 
Western  Europe.  We  trust  that  the  publication  of  this  work 
may  be  assured  at  an  early  date. 


EIN  LOBSPRUCH  VON  EIM  SCHIESSEN  ZU 
AUGSPURG  1509 

FRIEDRICH  c.  SELL,  Harvard  TJniversity 

IN  DER  erlesenen  Sammlung  von  Erstausgaben  der  deut- 
schen Literatur,  die  Curt  von  Faber  du  Faur  zusammenge- 
bracht und  vor  kurzem  in  Harvard  aufgestellt  hat,  befindet 
sich  ein  sehr  merkv^^ürdiger  Pergamentband  aus  dem  16.  Jahr- 
hundert. Er  enthält  verschiedene  Schriften,  die  sich  auf  die 
Schützen-  und  Volksfeste  jener  Zeit  beziehen  und  geeignet 
sind,  ein  neues  Licht  auf  eine  Literaturgattung  zu  v^^erfen,  die 
meist  nur  im  Zusammenhang  mit  Fischarts  Glückhaftem  Schiff 
von  Zürich  gew^ürdigt  w^ird:  die  Pritschmeisterdichtung.  Es 
sind  vier  Pritschmeistersprüche  und  zwei  Berichte  über  "Glücks- 
häfen," d.  h.  Lotterien,  die  bei  Gelegenheit  der  Schützenfeste 
abgehalten  wurden.  Drei  von  den  Pritschmeistersprüchen  sind 
seltene  Drucke:  Lienhart  Flechsels  Spruch  von  dem  Wiener 
Schiessen  1563,^  Kaspar  Lerffs  Spruch  von  dem  Regensburger 
Schiessen  1586"  und  Heinrich  Gerings  Spruch  von  dem  Stutt- 
garter Schiessen  1560,^  der  vierte  Spruch  jedoch  ist  eine  Hand- 
schrift vom  Ende  des  16.  Jahrhunderts,  die  hinter  den  Drucken 
eingeheftet  ist,  der  "Lobspruch  von  eim  Schiessen  Zu  Augs- 
purg:  A°  1509." 

1.  Noch  ein  weiteres  Exemplar  dieses  Druckes  ist  bekannt  (Mayer,  Wiens  Buck- 
druc\er geschickte,  I,  8i,  Nr.  397)  ausser  der  Handschrift,  welche  A.  Camesina  1875- 
76  abdruckte  {Blätter  des  Vereins  jür  'Landes\unde  für  Niederösterreich.  N.  F., 
9.-11.  Jahrg.) 

2.  Von  diesem  Druck  sind  drei  weitere  Exemplare  vorhanden,  in  Berlin,  Nürn- 
berg und  München.    Vgl.  Goedeke  2.  327. 

3.  Zwei  weitere  Exemplare  dieses  Druckes  sind  bekannt,  eines  in  Zürich  (Weller, 
Deutsche  Annalen,  I,  321)  und  eines  in  der  Württembergischen  Landesbibliothek  in 
Stuttgart. 


46  CORONA 

Diese  Handschrift  ist  anscheinend  nie  gedruckt  worden 
und  bisher  unbekannt.  Ihre  besondere  Bedeutung  besteht 
darin,  dass  sie  den  ältesten  bis  jetzt  zu  Tage  getretenen  Pritsch- 
meisterspruch wiedergibt. 

Wie  sie  zu  Stande  gekommen  ist,  lässt  sich  nur  vermuten. 
Die  Schrift  ist  die  eines  Berufsschreibers,  kaUigraphisch  und 
meist  leicht  lesbar;  von  der  gleichen  Hand  sind  der  in  dem 
Codex  folgende  Bericht  über  den  Glückshafen  zu  Nürnberg 
im  Jahr  1579  und  das  Titelblatt  des  an  erster  Stelle  in  den  Band 
eingehefteten  gedruckten  Spruchs  von  Lienhart  Flechsel.  Der 
Schreiber  hat  also  die  Zusammenstellung  des  Bandes  über- 
wacht, nachdem  er  den  Spruch  nach  einer  geschriebenen,  nicht 
gedruckten  Vorlage  kopiert  hatte.  Das  geht  aus  V.  178  hervor, 
in  dem  er  den  Namen  nicht  entziffern  konnte  und  ein  Frage- 
zeichen setzte.  Gesammelt  hat  die  Stücke  jemand,  der  nicht 
nur  am  Literarischen  sondern  auch  am  Technischen  interes- 
siert war,  denn  der  Bericht  über  den  Glückshafen  ist  lediglich 
eine  Liste  der  Gewinner  und  Gewinste  in  kaufmännischer 
Aufzählung.  Ein  solches  Interesse  muss  zunächst  bei  den 
Schützengesellschaften  gesucht  werden;  es  war  um  1600  be- 
sonders lebendig,  als  das  Bürgertum  sich  seines  Niederganges 
bewusst  zu  werden  anfing.  Hans  Heinrich  Grob,  ein  Züricher, 
berichtet  1602,  wie  sehr  ihn  die  Schützen  drängten,  alles,  was 
er  über  die  vor  hundert  Jahren  üblichen  Bräuche  und  Sprüche 
gesammelt  habe,  zu  veröffentlichen.^  Es  liegt  nahe,  einen 
Schützenhauptmann  oder  einen  Beauftragten  einer  Schützen- 
gilde in  dem  Sammler  zu  vermuten. 

Als  Verfasser  des  Lobspruches  auf  das  Schiessen  in  Augs- 
burg nennt  sich  (V.  281)  ein  gewisser  Hans  Werthmann,  der 
in  anderen  Quellen  Wordtmann  heisst.  Er  war  ein  Glaser  zu 
Schwäbisch  Hall  und  übte  das  Pritschmeisteramt  aus. 

Pritschmeister  waren  die  Aufseher  und  Ausrufer  bei  den 
Schützenfesten,  die  unter  vielen  Spässen  mit  Pritschenschlägen 
Ordnung  zu  stiften  hatten.  Sie  verfassten  öfter  gereimte  Be- 
schreibungen der  grossen  Ereignisse,  die  sie  in  illustrierten 
Handschriften  dem  Rat  der  Stadt,  in  der  das  Fest  stattgefunden 

4.  Zs.f-d.A.,  III,  240, 


VON  EIM  SCHIESSEN  ZU  AUGSPURG  47 

hatte,  überreichten,  um  sie  dann  in  einfacherer  Ausstattung 
drucken  zu  lassen. 

Es  besteht  in  der  Wissenschaft  Übereinstimmung  darüber, 
dass  der  künstlerische  Wert  dieser  Sprüche  gering  ist,  dass  sie 
aber  als  Quellenmaterial  für  die  Kulturgeschichte  höchst  schätz- 
bar sind.  Aus  den  unbeholfenen  Versen  schimmert  die  saftige 
Lebenslust  des  16.  Jahrhunderts.  Was  konnten  die  derben  Bür- 
ger damals  für  Feste  feiern,  an  denen  alles  teilnahm,  vom  Rats- 
herrn herab  bis  zu  den  "huren  und  buben,"  denen  auch  ihr 
Teil  offiziell  verstattet  w^urde!  Was  w^urde  da  an  Essen,  Trin- 
ken und  an  bunter  Prachtentfaltung  geleistet!  Das  Bild  der 
selbstbewussten  Stadtgemeinschaft  des  späten  Mittelalters  w^ird 
noch  einmal  lebendig.  Gustav  Freytag  hat  seine  Schilderung 
der  bürgerlichen  Waffenfeste  v^esentlich  auf  Wolfgang  Ferbers 
Pritschmeisterbericht  über  das  Coburger  Schiessen  1614  ge- 
stützt. 

Die  literarischen  Wurzeln  der  Pritschmeisterdichtung  finden 
die  Fachleute  einmal  in  der  Heroldsdichtung,^  dann  aber  auch 
in  dem  Stadtgedicht,  das  sich  im  15.  und  16.  Jahrhundert  reich 
entfaltete.^  Diese  Anschauungen  beruhen  vor  allem  auf  der 
Produktion  des  Königs  der  Pritschmeister,  Lienhart  Flechsel, 
von  dem  nicht  weniger  als  9  Sprüche  aus  den  Jahren  1554-77 
erhalten  sind,  eine  stattliche  Anzahl,  v/enn  man  bedenkt,  dass 
Goedeke  überhaupt  nur  15  eigentliche  Pritschmeistersprüche 
kennt.  Sie  sind  alle  im  19.  Jahrhundert  veröffentlicht,  zum 
Teil  leider  an  sehr  obskuren  Stellen.^  Man  kann  bei  Flechsel 
das  allmähliche  Anwachsen  beider  Elemente  verfolgen.  Eine 
Schilderung  der  Feststadt  findet  sich  bereits  in  dem  Spruch  auf 
das  Passauer  Schiessen  1555,  die  Neigung  zum  Heraldischen  in 
dem  Wappenschmuck,  der  den  Handschriften  über  die  Schie- 

5.  G.  Baesecke,  Neudrucke  182,  XV. 

6.  A.  Taylor,  Studies  in  German  Literary  History,  p.  122. 

7.  Heidelberg  1554:  K.  Wassmannsdorfl  1886;  Passau  1555:  M.  Radlkofer,  Verh. 
d.  Hist.  Ver.  f.  Niederbayern,  XXIX,  129  flf.  Ulm  1556:  G.  Vesenmeyer,  Württemb. 
Vierteljahr shejte  f.  Landesgesch.,  5  H.  4.  (Ausz.);  Rottweil  1558:  J.  Ott,  Alemannia, 
VI,  201  ff.;  Stuttgart  1560:  L.  Uhland,  Schrijten,  V,  301  ff.  (Ausz.);  Wien  1563;  A. 
Carmesina,  a.  a.  O.;  Innsbruck  1569;  A.  Edelmann  1885;  Worms  1575:  Festgabe  zum 
ersten  deutschen  Bundesschiessen  in  Franl^furt  a.  M.,  1862;  München  1577:  E.  v. 
Destouches,  Festzeitung  für  das  7.  deutsche  Bundesschiessen,  1881  (Ausz.). 


48  CORONA 

ssen  zu  Heidelberg,  Ulm  und  Stuttgart  beigefügt  war.  Beide 
Elemente  sind  vereinigt  in  der  auffallenden  Einleitung  zu  dem 
Bericht  auf  das  Wiener  Schiessen  1563,  die  erzählt,  wie  der 
Dichter  auf  einem  Spaziergang  in  einem  wunderschönen  Wild- 
park eingeschlafen  sei  und  von  einem  herrlichen  Rosengarten, 
den  ein  Adler  hegte  und  schützte,  geträumt  habe.  Ein  Herold, 
"den  man  nennt  ein  Parsifandt"  habe  ihn  geweckt  und  den 
Traum  gedeutet:  der  Garten  ist  Wien,  wohin  das  grosse  Büch- 
senschiessen  ruft.  Und  nun  folgt  eine  Beschreibung  der  Stadt. 
Eine  derartige  Einkleidung  war  in  der  Dichtung  seit  dem  14. 
Jahrhundert  recht  beliebt,^  bei  Flechsel  erscheint  sie  hier  zum 
erstenmal;  sie  ist  aber  nicht,  wie  man  bisher  annahm, 
originell,®  sondern  ein  glattes,  vielfach  wörtliches  Plagiat  aus 
Hans  Sachs'  Lobspruch  auf  Nürnberg  (1530).  Die  literar- 
historische Frage  ist  nun  die,  ob  diese  Neigung  zum  Heraldi- 
schen und  zum  Stadtgedicht  von  Lienhart  Flechsel  aufgebracht 
wurde  oder  ob  sie  auch  vor  ihm  der  Pritschmeisterdichtung 
eigentümlich  war.  In  diesem  Falle  müsste  sie  sich  in  früheren 
Sprüchen  nachweisen  lassen.  Dafür  kommen  nur  zwei  Berichte 
in  Frage.  Der  eine  ist  der  Spruch  auf  das  Joachimstaler  Schie- 
ssen 1521,^"  verfasst  von  Hans  Lutz.  Das  war  —  was  Baesecke 
noch  nicht  wusste  —  der  Vater  von  Lienhart  Flechsel,^ ^  ein 
heruntergekommener  Kürschner,  der  sich  als  Söldner  und  ge- 
legentlich als  Pritschmeister  durchbrachte.  Im  Dienst  ver- 
schiedener Herren  hat  er  es  gelegentlich  zum  Herold  gebracht, 
verfasste  auch  geschichtliche  Tatsachenberichte  und  nannte 
sich  stolz  "Ernholt  des  Römischen  Reiches."  Das  hat  sicher 
auf  seinen  Sohn  Eindruck  gemacht.  Wenn  irgendwo,  so 
müsste  bei  Hans  Lutz  die  Tendenz  zum  Heroldmässigen  sich 
finden.  Das  ist  jedoch  nicht  der  Fall.  Anders  sieht  es  mit  dem 
Stadtgedicht  aus.  Dreissig  Verse  der  Einleitung  des  Lutzschen 
Spruches  beschäftigen  sich  mit  der  Geschichte  von  Joachimstal. 
Das  hat  seinen  guten  Grund.  Die  Stadt  war  nämlich  erst  vier 
Jahre  vorher  gegründet  worden  und  das  Schiessen  wurde  vom 

8.  A.  Taylor,  Literary  History  of  Meistergesang,  p.  123. 

9.  Radlkofer,  a.  a.  O.,  136. 

10.  R.  Wolkan,  Böhmens  Anteil  an  der  deutschen  Literatur  (1892),  II,  57. 

11.  Fr.  Roth,  Oberbayr.  Archiv  für  vaterländische  Geschichte,  LXII,  96  ff. 


VON  EIM  SCHIESSEN  ZU  AUGSPURG  49 

Rat  veranstaltet,  um  Publikum  anzulocken,  "das  sy  darmitt  in 
ein  Handel  kemen."  So  ist  die  Stadtgeschichte  mit  dem  Schie- 
ssen logisch  und  ungezwungen  verbunden.  Die  Stadtbeschrei- 
bung bei  Flechsel  ist  wahrscheinlich  stärker  als  von  seinem 
Vater  von  Hans  Sachs  beeinflusst.  Dieser  hat  ausser  auf  Nürn- 
berg auch  einen  Lobspruch  auf  Salzburg  1549  verfasst,  und  das 
ist  die  einzige  Stadt  in  der  Nähe  von  Flechsels  Heimat,  die  laut 
William  Hammers  Liste^^  zwischen  1530  und  1555  auf  deutsch 
besungen  wurde.  Der  Spruch  des  Hans  Lutz  ist  reich  an  an- 
schaulichen Einzelheiten,  jedoch  um  die  Hälfte  kürzer  als  die 
Gedichte  seines  Sohnes. 

Die  zweite  zeitlich  noch  frühere  Pritschmeisterdichtung 
vor  Lienhart  Flechsel,  die  existiert,  ist  Hans  Werthmanns 
nachstehend  abgedruckter  Spruch;  anderes  Vergleichsmaterial 
steht  nicht  zur  Verfügung. 

Über  das  Fest  zu  Augsburg  sind  wir  historisch  gut  unter- 
richtet durch  die  Augsburger  Chroniken  von  Clemens  Sender, 
Wilhelm  Rem^^  und  Achilles  Pirmin  Gasser^^  sowie  durch  die 
offizielle  Einladung,  die  in  einem  an  den  Rat  der  Stadt  Fried- 
berg gesandten  Exemplar  erhalten  ist.^^  Dieser  Reichtum  an 
Quellen  ist  kein  Zufall,  denn  das  Augsburger  Schiessen  war 
das  grösste  und  prächtigste  seiner  Art,  das  je  gehalten  wurde: 
es  kamen  1452  Schützen  zusammen  und  es  dauerte  vom  5.  Juli 
bis  zum  26.  August !  Die  Mehrzahl  der  von  Lienhart  Flechsel 
später  verherrlichten  Schiessen  sah  weniger  als  200  Schützen 
und  nur  eines  wies  500  Besucher  auf.  Werthmanns  Bericht  ist 
für  unsern  Zweck  sehr  aufschlussreich,  aber  weniger  durch 
das,  was  er  sagt,  als  durch  das,  was  er  verschweigt.  Er  erwähnt 
nichts  von  dem  Ausschreiben  des  Rats,  in  dem  so  ausführliche 
Einzelheiten  mitgeteilt  werden,  dass  ein  moderner  Reporter 
schon  daraus  allein  seinen  Bericht  herstellen  könnte.  Nichts 
wird  gesagt  über  die  Wahl  der  Schiedsrichter  und  ihre  unge- 
wöhnlich grosse  Zahl,  und  gerade  so  etwas  war  ein  beliebter 
Gegenstand  in  den  späteren  Pritschmeisterdichtungen.  Nichts 

12.  W.  Hammer,  Latin  and  German  Encomia  of  Cities  (1937). 

13.  Chroniken  der  deutschen  Städte,  XXIII,  122  ff.  =  DStChr. 

14.  J.  B.  Mencken,  Scriptores  Rerum  Gertnanicarum  (1728),  i,  1747  f. 
1^.  Alemannia,  XVIII,  193-201.  =  Einladung. 


50  CORONA 

auch  über  den  bedenklichen  Zwischenfall,  der  sich  dabei  ereig- 
nete und  viel  böses  Blut  machte.  Dr.  Conrad  Peutinger  näm- 
lich, der  berühmte  Humanist,  war  der  Vertreter  des  Rats,  aber 
er  "verstuend  sich  nichtz  auff  das  schiessen  und  wollt  doch  vil 
ausrichten."^ "^  Er  schlug,  was  ungebräuchlich  war,  selbst  die 
Kandidaten  für  das  Schiedsrichteramt  vor  und  überging  dabei 
die  bayerischen  Städte,  Darüber  waren  die  Bayern  so  erbost, 
dass  sie  zuerst  heimziehen  wollten.  Aber  "es  ward  niderge- 
stillt."  Werthmann  übergeht  die  amtliche  Inspektion  der  Bol- 
zen, die  Hans  Lutz  z.  B.  ausführlich  beschreibt,  ebenso  den 
feierlichen  Aufzug,  der  schon  im  Ausschreiben  angekündigt 
war.  Auch  dem  zahlreichen  Adel,  der  im  Gefolge  des  Herzogs 
von  Bayern  erschienen  war  und  sich  alle  Preise  in  den  sportli- 
chen Wettkämpfen,  dem  Laufen,  Springen  und  Steinstossen 
holte,  schenkte  er  wenig  Beachtung,  ein  Zeichen  dafür,  wieviel 
bürgerliches  Selbstgefühl  im  Anfang  des  i6.  Jahrhunderts  noch 
vorhanden  war.  Am  Ende  des  Säkulums  hatte  es  höfischer 
Servilität  Platz  gemacht.  Diesen  Wandel  zeigen  die  Pritsch- 
meisterberichte deutlich:  noch  1521  wurden  Fürsten  und  edle 
Herren  genau  so  gepritscht  und  lächerlich  gemacht  wie  ge- 
meine Bürgersleute,  wenn  sie  Fehlschüsse  getan  hatten.  Sender 
erzählt,  dass  in  Augsburg  1509  sogar  der  Ehrengast,  Herzog 
Wilhelm  von  Bayern,  "gepritzot  wurde  und  4  vor  ihm  und 
wohl  10  nach  ihm."  Indessen  meldet  Werthmann  hiervon 
nichts,  ebensowenig  von  anderen  komischen  Vorfällen  und 
Veranstaltungen,  dass  z.  B.  unter  den  vielen  Wettkämpfen  auch 
ein  Wettlügen  um  einen  Hahn  war,  und  dass  der  Hauptgewinn 
aus  dem  Glückshafen  ausgerechnet  auf  einen  Kanonikus  aus 
Mainz  fiel.  Die  Schiebung  bei  dem  Pferderennen,  von  der 
Rem  erzählt,  wird  übergangen.  Es  fehlen  die  anschaulichen 
Einzelheiten,  die  Einteilung  der  Schützen  in  verschiedene  Lose, 
die  Namenverzeichnisse  der  Gewinner,  alles  Dinge,  welche  die 
späteren  Pritschmeisterberichte  ausführlich  behandeln.  Nur  an 
die  fünf  ersten  Siegerfahnen  und  wohin  sie  gekommen  seien, 
weiss  sich  Werthmann  zu  erinnern. 

Die  kulturhistorische  Ausbeute  des  Spruches  ist  geringer  als 

16.  DStChr,  XXIII,  122. 


VON  EIM  SCHIESSEN  ZU  AUGSPURG  51 

die  der  Chronikberichte  und  der  späteren  Pritschmeistersprüche, 
wenngleich  die  Tatsachen,  soweit  berichtet,  stimmen.  Lebhaft 
wird  Werthmann  nur  bei  der  Schilderung  der  Festwiese,  der 
Prachtbauten  —  der  gelernte  Handwerksmeister  staunte  —  und 
der  Veranstaltungen  zum  Essen  und  Trinken.  Das  Lob,  das  er 
der  Stadt  Augsburg  in  dieser  Hinsicht  spendet,  ist  sicher  ehr- 
lich gemeint.  Haben  wir  es  nun  mit  einem  dürftig  begabten 
und  etwas  langweiligen  Spiessbürger  zu  tun  ?  Ein  solches  Bild 
stimmt  nicht  mit  dem  überein,  was  wir  sonst  von  ihm  wissen. 
Der  Chronist  Wilhelm  Rem  schreibt  :^^  "es  kam  einer  her  von 
Schwäbischen  Hall,  hies  Hanns  Wordtmann,  der  pritschet  die 
schützen  und  ander  leut,  der  kund  wol  darzu  singen;  warumb 
dann  ainer  gepritschet  ward,  wann  man  im  die  mainung  ain 
wenig  sagt,  so  kund  er  es  von  stund  an  dichten,  dergleichen 
nie  gesehen  oder  gehört  was.  die  statt  hie  schanckht  im  ain 
klaid  und  14  fl.  und  gab  im  ainen  fanen,  und  stuend  14  gülden 
daran  gemalet,  und  ain  pritschen."  Eine  Persönlichkeit  also 
von  übersprudelndem  Humor,  der  sich  ganz  im  Moment 
verausgabte.  Und  darum  vielleicht  fehlt  der  Witz  in  dem 
Bericht!  Der  Meister  hatte  ihn  schon  ausgelassen  in  den  Stau- 
nen erregenden  Sprüchen,  die  er  beim  Pritschen  improvisierte. 
Hans  Sachs  hat  "etliche  Pritschengsang"  dieser  Art  gedichtet,^^ 
sie  waren  —  am  Schreibtisch  ersonnen  —  formal  sicher  besser 
als  das,  was  Hans  Werthmann  im  Augenblick  produzierte, 
aber  mögen  einen  Anhalt  geben,  wie  etwa  Werthmanns 
Scherze  lauteten. 

Dies  besondere  Talent  des  Pritschenmeisters  gibt  aber  nun 
den  Schlüssel  zum  Verständnis  unseres  Berichts.  Er  macht 
zweifellos  einen  ungeordneten  und  flüchtigen  Eindruck. 
Nach  der  Beschreibung  des  Büchsenschiessens  will  der  Ver- 
fasser seine  Rede  beschliessen,  ohne  erst  die  Sieger  aufzuzählen, 
und  nach  den  letzten  Empfehlungen  an  den  Rat,  der  üblichen 
Bitte  um  einen  Zuschuss  zu  dem  versprochenen  Lohn,  dem 
Versprechen,  seinen  Bericht  dem  Dr.  Peutinger  zu  geben, 
nimmt  er  Urlaub,  denn  seine  Schützen  wollen  alle  davon  und 
er  will  mit  ihnen  heim  nach  Schwäbisch  Hall  ziehen.    Er 

xT.DStChr,  XXIII,  123.  18.  Hans  Sachs,  XXII,  487. 


52  CORONA 

schliesst  feierlich  mit  der  Formel,  die  doch  nur  am  Ende  einer 
Dichtung  gebraucht  wird:  "spricht  Hanß  werthmann  glaser 
Zu  schwebisch  Hall."  Und  dann  auf  einmal  fängt  er  von 
neuem  an  und  zählt  im  Widerspruch  zu  dem  Vorhergehenden 
auf,  wohin  die  Preise  im  Büchsenschiessen  gekommen  seien. 
Eine  solche  Pause  mit  einem  Wiederbeginn  ist  auch  V.  247/48 
vorhanden  und  dem  Schreiber  durchaus  bewusst  gewesen, 
denn  er  hat  sie  durch  einen  langen  Strich  markiert.  Unord- 
nung und  Widerspruch  lassen  sich  erklären,  wenn  man  den 
ganzen  Bericht  als  eine  Improvisation  auffasst,  die  noch  ehe  das 
Fest  zu  Ende  war,  notiert  und  vorgetragen  wurde.  Für  diese 
Annahme  sprechen  verschiedene  Umstände.  Die  Anrede  an 
das  Publikum  klingt  viel  weniger  formelhaft  als  z.  B.  Flechsels 
stereotype  Wendungen:  "Hört  ir  herren  Frawen  und  man." 
Die  Sprache  ist  arm  an  Variationen,  ebenso  die  Reime.  Ein 
Viertel  aller  Verse  reimt  sich  auf  -an :  han,  verstan,  than,  Fahn, 
daran,  man,  Plan,  lan.  Die  Reime  sind  besonders  eintönig  von 
V.  180  bis  247,  wo  über  Preise  und  Gewinner  gesprochen  wird, 
einen  Teil,  den  der  Improvisator  nicht  lange  vorher  überlegen 
konnte.  Eine  Vorbereitung  wäre  denkbar  bei  der  Schilderung 
der  Zurüstungen,  und  dies  ist  vielleicht  der  Grund,  warum 
diese  so  umfangreich  ausgefallen  ist.  Freilich  hätte  Werth- 
mann auch  den  Rest  in  den  langen  Wochen,  die  das  Fest 
dauerte,  etwas  eingehender  überlegen  können,  aber  wir  wissen 
ja,  er  war  ein  übermütiger  Bursch,  den  der  freie  Ausschank 
von  Wein  und  Bier  und  seine  Pritschergeschäfte  zu  keiner 
literarischen  Vorbereitung  kommen  Hessen. 

Alle  diese  Argumente  werden  aber  erst  beweiskräftig  durch 
die  Verse  248/49:  "welcher  den  Pesten  Fahn  thett  gewinnen 
das  werdet  ir  o  n  mich  wol  innen."  Das  kann  man  nicht 
einem  Leser  sagen,  der  garnicht  dabei  war,  sondern  nur  einem 
Publikum,  das  am  Schiessen  teilnahm.  Man  könnte  an  die 
Ratsherren  denken,  denen  er  durch  Peutinger  später  den 
Spruch  auch  schriftlich  zukommen  lassen  will,  oder  an  Zu- 
hörer bei  einem  Bankett,  die  vielleicht  die  im  Saal  aufgestellten 
Siegesfahnen  vor  Augen  hatten.  Ein  solches  Publikum  kannte 
ja  auch  bereits  seine  Spässe,  so  konnte  er  sie  nicht  wiederholen. 


VON  EIM  SCHIESSEN  ZU  AUGSPURG  53 

Es  ist  auch  verständlich,  dass  er  nichts  über  die  GeistUchkeit 
oder  den  Rat  sagte,  dass  er  so  wenig  Namen  aufzählte  und  die 
wenigen,  die  er  behalten  hatte,  nur  nach  dem  Klang  zitierte 
(V.  200,  319).  Anscheinend  waren  die  Zuhörer  mit  diesem 
summarischen  Verfahren  nicht  zufrieden,  so  dass  Werthmann, 
nachdem  er  Abschied  genommen  hatte,  noch  einmal  anfangen 
und  wenigstens  die  Städte  aufzählen  musste,  wohin  die  Preise 
im  Büchsenschiessen  gefallen  waren.  Oder  aber  er  fügte  diese 
Liste  erst  später  seinem  schriftlich  niedergelegten  Bericht 
hinzu.  Sie  ist  jedenfalls  nicht  im  Augenblick  improvisiert,  da 
sie  nicht  etwa  die  Sieger  nacheinander  aufzählt,  wie  ein  Im- 
provisator auf  Grund  eines  Verzeichnisses  hätte  tun  können, 
sondern  die  Gewinste  sind  nach  Städten  zusammengefasst; 
daher  springt  die  Numerierung  der  Preise  von  8  auf  11,  von  12 
auf  14,  16,  18,  von  20  auf  26.  Die  dazwischenliegenden  Städte 
sind  schon  erwähnt.  Das  ergibt  der  Vergleich  mit  der  von 
Sender  mitgeteilten  Siegerliste,  von  der  Werthmann  nur  an 
drei  Stellen  abweicht.  So  etwas  muss  vorher  auf  dem  Papier 
ausgerechnet  werden.  Das  nimmt  aber  dem  Vorhergehenden 
nicht  den  Charakter  der  Improvisation. 

Wenn  man  Werthmanns  Spruch  als  typisch  auffassen 
dürfte,  so  wäre  damit  bewiesen,  dass  die  Pritschmeisterdichtung 
sich  weder  an  die  Heroldspoesie  noch  an  das  Stadtgedicht 
anlehnte.  Erst  mit  Lienhart  Flechsel  wäre  dann  bewusst  die 
Wendung  ins  Heraldische  eingetreten.  Mit  Sicherheit  lässt 
sich  dieser  Schluss  jedoch  nicht  ziehen,  denn  wenn  auch  Werth- 
manns Spruch  der  älteste  uns  bekannte  ist,  so  bedeutet  das 
nicht,  dass  er  der  älteste  seiner  Gattung  war.  Zum  mindesten 
aber  zeigt  er,  dass  die  naive  Reimlust  der  Kleinbürger  ohne 
literarische  Beziehungen  wenn  nicht  die  einzige,  so  doch 
eine  Quelle  der  Pritschmeisterdichtung  war. 


54  CORONA 

EIN  LOBSPRUCH  VON  EIM  SCHIESSEN  ZU 
AUGSPURG:  A°  1509: 

WoUett  ihr  mirß  nit  für  vbell  han, 

So  will  ich  ein  Klaines  Hoffrecht  than, 

vndt  wills  mit  Kurtzen  wortten  bschliesßen 

ich  will  euch  sagen  von  dem  schiessen 
5     welchs  man  hatt  außgeschriben  Zwar, 

Da  man  Zehlett  1509  Jar: 

Man  hatts  manchem  Schützen  Kunth  gethan 

Da  ich  dasselbig  wardt  verstan 

macht  ich  mich  auff  Zur  selben  Zeitt 
10    nam  mitt  mir  Prittschen  vndt  trumscheitt 

Da  will  ich  yetzt  nit  vil  von  Sagen 

man  hatt  mich  da  wol  hören  schlagen 

Ich  kam  gen  Augspurg  in  die  Stadt 

Da  man  mich  erlich  empfangen  hatt, 
15     von  Stund  an  wardt  mir  ein  bescheidt 

gab  mir  die  Prittschen,  schenckhet  mir  ein  Claidt 

vndt  auch  dartzu  den  Prittschen  Fahn 

auch  gar  ein  Erliche  gab  daran 

Alß  ich  hinauß  gieng  auff  dz  feldt, 
20    Zelett  ich  100  Hütten  vndt  20  Zeltt: 

Da  kam  ich  auff  die  Rosenaw 

Sähe  ich  den  AUerschönsten  Paw: 

Ein  Hütt  waß  im  Zirrkl  außgemesßen 

dar  mancher  schütz  ist  druntter  gsessen 
25     die  maß  ich  an  dem  Anfangkh 

war  vierthalb  hundertt  schritt  Lang 

die  mitt  dem  ArmPrust  gschossen  han 

warn  vuerhundert  vndt  40:  solt  ir  verstan 

Nach  dem  gieng  ich  weitter  hinein 
30    da  sähe  ich  den  hupschtesten  SchießRäin 

der  war  gemachett  allso  Schnell 

vnde  gleichett  wol  einer  schönen  Capell 

2  Hofrecht  =  Vergnügen. 

10  Trumscheit:  "ein  musikalisches  Instrument,  welches  aus  dünnen  Brettern  zusam- 
mengesetzt, in  die  Länge  zugespitzt,  und  oben  mit  Einer  oder  auch  wohl  mehre- 
ren Saiten  bezogen  ist,  welche  mit  einem  Bogen  gestrichen  werden,  da  es  denn 
den  Klang  einer  oder  mehrerer  Trompeten  nachahmt  .  .  ."  Adelung  4,709. 

21  Sender:  "ain  rat  hat  in  der  Rosenaw  vil  zeltten  auflgericht,  daß  es  in  die  ferde 
hat  gesechen  wie  ain  stat  und  da  keller  graben." 

24  Es  wurde  Vorsorge  getroffen,  dass  auch  bei  schlechtem  Wetter  geschossen  werden 
konnte. 


VON  EIM  SCHIESSEN  ZU  AUGSPURG  55 

wie  er  auff  dem  feldt  da  stath 

vndt  vier  schöner  errkher  hatt 
35     auch  der  Stadt  Färb  daran 

auff  yedem  errkher  steckhet  ein  fahn 

vndt  gesetzet  nach  der  Mensur 

Zwischen  yedem  errkher  stundt  ein  vhr, 

die  warn  gemachett  also  klucg 
40     yedhche  die  drey  virtell  schlug 

Zu  letzt  fing  sie  Zu  laufiEen  an 

darmitt  warnett  sie  yederman 

So  halt  sie  aber  gar  liefif  ab, 

Da  fiel  ein  tarttschen  oben  herab 
45     die  bedeckhett  die  Poltz  schier  alle  sam 

da  fiengen  die  schützen  Zu  Lauflen  an 

auch  sähe  ich  aufl  demselben  Plan 

den  AUerhübschten  Prunnen  stahn 

der  Zierett  dz  schiessen  am  Pasten 
50     vndt  lieff  frey  in  ein  hülczen  Kasten 

den  sähe  ich  auß  dermasßen  gern 

er  hett  sex  hübsche  messene  Rören 

Zwo  gegen  dem  himel  springen 

da  lugt  ich  weitter  nach  den  dingen 
55     Sähe  ich  noch  sechs  Prunnen  stahn 

die  haben  die  Hern  alle  machen  lahn 

da  Kam  ich  für  die  hutten  auß 

Sähe  ich  daß  Schöneste  dantz  hauß 

welches  die  herrn  gebawen  haben 
60     ein  hübschen  Keller  darunter  graben 

darinn  hatte  man  wein,  keeß  vndt  Prott 

33  Sender  zählt  549,  Gasser  544,  Rem  536  "armbrostschützen  und  waren  dannoch 
vil  wider  wegkgezogen,  daß  sie  besorgten,  es  gieng  zu  lang  zue." 

37  nach  dem  Maß,  d.  h.  senkrecht. 

42  Es  mussten  42  Schüsse  auf  eine  Scheibe  abgegeben  werden  (Einladung  Z.  26), 
offenbar  in  einer  bestimmten  Zeit,  die  durch  den  Ablauf  der  Uhren  angezeigt 
wurde.  Am  Ende  dieser  Zeit  fiel  ein  Schild  (Tartsche)  herab,  das  die  Bolzen 
innerhalb  der  Scheibe  bedeckte.  Die  Vorrichtung  wird  genauer  beschrieben  von 
Caspar  Lerff  in  dem  Bericht  über  das  Schiessen  in  Regensburg  1586. 

58  Rem:  "Man  hett  vil  hutten  und  zellt  auffgeschlagen,  man  het  ein  grossen  ror- 
kasten  und  sonst  6  rorkasten  und  ain  tantzhaus  und  ain  grossen  weiten  keller 
darunder.  da  hett  die  statt  in  welschwein,  rott  und  weis,  und  Necker  und 
schwabacher  pier.  Und  wer  in  keller  gieng  von  erberen  leutten  oder  frembden 
leutten,  dem  gab  man  zu  trincken,  wein  oder  pier,  was  er  wollt,  und  man 
schanckht  den  schützen  alle  tag  in  die  hutten  welschwein,  kes  und  prot  genug, 
aber  kain  pier  schanckht  man;  welcher  schütz  pier  haben  wolt,  der  gieng  in  der 
stat  keller,  so  gab  man  ihm,  was  er  wolt,  ich  hab  dergleichen  schiessen  so  herlich 
nie  gesehen  oder  hören  sagen,  daß  kain  solch  schicssen  nie  gewesen  sei." 


56  CORONA 

ein  Feine  Speiß  Camnier  darinnen  statt 

Es  kam  darein  weyb  oder  man 

den  hatt  man  Alln  grosse  ehr  gethan: 
65     Mitt  Neckhar,  Reihn,  vndt  welschem  wein 

vndt  allen  schützen,  die  da  sindt  gsein: 

denet  thett  man  rath,  nach  Allen  ehrn: 

Ich  lob  Zu  Augspurg  die  weissen  Herrn 

da  thett  man  Keinen  Costen  sparn: 
70     alle  die  schiessen,  so  ich  hab  erfahren: 

die  sindt  gegen  diesem  schiesßen  nihtt: 

er  (!)  war  alles  Cöstlich  zu  gericht: 

daß  will  ich  für  ein  warheit  Jehen. 

Stadtlichers  schiessen  hab  ich  nie  gesehen. 
75    Ich  stundt  da  bey  dem  Keller  bßunder 

der  Costliche  Paw,  der  nam  mich  wunder 

So  man  dasselbsten  hatt  gethan 

sollte  dz  in  ewigkeit  bestan: 

So  war  es  doch  gar  wol  besonnen 
80    da  sähe  ich  ein  Radt,  dz  trieb  den  Prunnen 

daß  hett  auß  dem  grundt  sein  gang: 

der  welbaum  war  fumpftzig  schue  Lang: 

die  Prunnen  daruon  ich  hab  gesprochen 

Braucht  man  Zu  trinckhen  vndt  zu  Kochen 
85     vndt  küellett  auch  darin  den  wein 

wann  sie  auß  der  Massen  Kaltt  sein. 

Auch  sähe  ich  au£E  dem  selben  Plan, 

gar  ein  höflBichen  visch  Kasten  stan 

den  hatt  Sixt  Pfefferlein  Pawen  Lan 
90    Welcher  da  gutte  visch  wolt  Kauffen 

dorfft  nicht  darumb  in  die  Stadt  Lauffen 

Zway  Wasser  lauffen  vmb  den  Plan: 

wertach  vnde  Sinckell  soltt  ir  verstan 

auch  sähe  ich  an  demselben  Pach 
95     gar  vil  der  haimblichen  gemach: 

Manß  auch  solches  allen  Zu  wissen  thon 

die  hatt,  den  schützen  Pawen  Lohn 

Auch  stundt  am  selben  wasser  fein 

ein  Hauß  da  legt  man  in  Haffen  ein 
100    da  war  Funffzig  gülden  dz  Pest 

welcher  aber  gern  west 

89  der  Zunftmeister  der  Fischer. 

99  Der  Glückshafen   wurde   als  besondere    Belustigung  aufgefasst,    "ne  quid   jocosi 

deesset"  bemerkt  Gasser.  Es  waren  21   Gewinne  im  Wert  von  50  bis  i  Gulden 

ausgesetzt  (Einladung  Z.  77). 


VON  EIM  SCHIESSEN  ZU  AUGSPURG  57 

waß  sonsten  dasselbsten  gewesen  sey, 

von  golttschmidt  vndt  von  Kramerey 

von  gülden  Hauben  vndt  seyden  Portten 
105    da  w^ar  ein  gass  Zu  Paiden  ortten, 

mitt  hübschen  Kramen  wol  getan: 

auch  sähe  ich  ein  güldenes  w^exel  stan: 

Alß  ich  yetzunder  hab  vermeldt. 

dasselbst  warn  auch  ettlich  Zeltt 
iio    da  warf?  man  durch  den  trichter  ein 

die  Röhrn  so  weit  gewesen  sein 

daß  roß  vndt  Achs  dardurch  sein  gfallen 

bey  disen  dingen  war  ich  allen: 

da  brauchett  ein  yeder  seinen  fleiß 
115    einer  war  ff  schwartz  der  Ander  weiß 

mancher  verwarf?  all  sein  geldt  vndt  Petth: 

welcher  dz  schiessen  gesehen  hett. 

auch  will  ich  für  ein  warheit  sagen 

Es  fiel  einem  durch,  Roß  vndt  wagen: 
120     So  warn  auch  gerüstet  hütten  vndt  Zelt 

alß  wann  ein  Fürst  gelegen  wer  Zu  feldt 

woltt  einer  Zwagen  oder  Parbieren  lan: 

Daß  fandt  er  alles  auf?  disem  Plan: 

Essen,  trinckhen,  oder  Leben  im  Sauß 
125    auch  fandt  man  schöne  Frawen  drauß 

wie  es  die  herrn  außgeschriben  han 

daß  wurdt  voUendett,  solt  ir  verstan: 

mit  Leggeldt  vndt  Allen  gewinneth  frey: 

Ich  main,  dz  nie  Keinß  gewesen  sey, 
130    da  man  hab  braucht  ein  solchen  ratt, 

alle  tag  mit  keeß,  wein  vndt  Prott: 

dann  da  wurdt  gsättigt  yederman: 

man  trug  mit  wannen  wider  daruon 

waß  den  schützen  war  vber  gebliben: 
135     wirtt  dz  niht  in  ein  CronicKh  geschribn: 

So  gönntt  man  den  von  augspurg  nit  ehr, 

dann  deßgleichen  sähe  ich  nie  mehr 

man  schenckett  in  Alle  herberg  den  wein 

allen  schützen  die  dar  kommen  sein 
140    den  wein  hab  ich  vberschlagen. 

Eilff  hundertt  Kantten  hörtt  ich  sagen 

ohn  Andere  ehr,  die  man  hett  thon: 

die  Zumpft  haben  sie  Alle  Laden  Lohn: 

Ein  yedliches  Handwerkh  besonder, 

107  Vorrichtung  für  ein  Glücksspiel,  vermutlich  das,  was  Sender  "scholder"  nennt. 


58  CORONA 

145     ab  solcher  ehr  thett  ich  mich  verwundern 

man  Nam  von  Kaim,  Kein  Pfenning  nitt 

es  wardt  alleß  Costfrey  außgericht 

Disßen  allen,  sag  ich  Danckh  vndt  ehr 

Wann  ich  selbst  so  vermöglich  wer 
150     woltt  ichs  verdienen  Zu  der  Frist 

Hörtt  waß  für  schützen  da  gewesen  ist: 

daß  thue  ich  euch  allen  beckhantt. 

Hertzog  wilhelm  auß  Payrlandt 

auch  seine  Ritterschafft  vndt  Hern 
155     die  thetten  Allen  vleiß  ankheren 

mitt  schiessen  lauffen  vndt  springen 

alß  ir  werth  hören  nach  disen  dingen 

die  Schützen  allsambt  in  gemain 

wie  sie  dann  vorbegriffen  sein 
160     Kan  ich  nitt  yeden  in  sonder  erklern 

da  waß  vil  ritterschafft  vndt  hern 

Hertzog  wilhelm  hatt  da  verehren  than 

vier  hirschen,  den  Schützen  allesam, 

die  schenckhett  er  in  die  vier  Loß: 
165     da  huob  sich  an  ein  gsellschafft  groß 

vndt  thetten  seiner  gnaden  danckh  sagen 

die  von  Augspurg  thetten  Auffschlagen 

Ein  Zeltt,  alß  ich  hab  gesprochen 

da  thett  man  Pratten  sieden  vndt  Kochen 
170     vndt  Lebt  da  yederman  im  Sauß: 

auch  furrn  vil  schöner  frawen  hinauß 

Die  waren  alle  geschmuckhet  schon: 

Deßgleichen  ich  kaum  gesehen  han: 

da  wurdt  die  Kurtzweil  alle  gantz 
175     vndt  fieng  sich  an  ein  schöner  dantz: 

dz  hatt  man  Zum  offtermal  gethan: 

auch  Rennett  man  scharpff  auff  disen  Plan 

147  Es  war  üblich,  dass  die  Schützen  selbst  für  ihr  Essen  bezahlten.  "Der  Koch 
thett  niemants  da  vergessen,  Vmb  geld  gab  er  aym  yedlichen  sein  essen,"  berich- 
tet Lienhart  Flechsel  vom  Büchsenschiessen  in  Passau  (V.  343).  In  Augsburg 
wurde  eine  Ausnahme  gemacht.  Gasser  hebt  es  besonders  hervor,  dass  der 
Rat  die  Gäste  zum  Vesperbrot  "Cereris  et  Bachi  muneribus"  ehrte,  und  dass 
überdies  alle  zugereisten  Handwerksmeister  von  ihren  Zunftgenossen  zu  statt- 
lichen Banketten  eingeladen  wurden. 

162  Sender:  "Desselben  tags  schanckt  hertzog  Wilhalm  den  schützen  4  hirß,  jedli- 
chem  viertail  seinen  besundern  hirß.  also  schanckten  die  schützen  die  4  hirß 
den  bürgermaistern;  die  luden  die  schützen  des  andern  tags  alle  und  ire  weiber 
und  gaben  inen  ain  under  (=  Zwischenmahlzeit)  mit  pfeif  er  und  bratten  und 
wein,  keß  und  brots  genug." 


VON  EIM  SCHIESSEN  ZU  AUGSPURG  59 

Hannß  thummer  von  Nürnd?  war  gerüstet  fein. 

Zimbrecht  Lieber  von  Augspurg  trib  geglichen  ein 
180     daß  da  lagen  beyde  Roß  vndt  Man: 

da  man  dz  Schiessen  hett  halb  gethan 

da  hatt  man  die  Roß  laufiFen  lan 

Vmb  40  fl  ,dz  war  ein  Schewer 

noch  warn  da,  drey  Abenthewr 
185     Zwen  Pecher  vndt  ein  Schwein 

noch  Zwey  lauffen  gewesen  sein 

vmb  Zvv^ey  Parchett  soltt  ir  verstan 

da  ließ  man  lauffen  fraw  vndt  Man 

die  helfen  alß  ich  han  gemeldt 
190     geschehen  aufl  dem  Lechfeldt 

alß  ich  euch  für  ein  warheit  sag 

Am  achten  nach  St.  vlrichs  tag: 

Hatt  man  die  schützen  Lauffen  Lan 

daß  war  vier  gülden,  vndt  ein  Fahn: 
195     am  dritten  tag  in  solcher  massen 

thett  man  Springen  vndt  stain  stosßen 

Es  war  yedlichs  vier  gülden  frey 

welcher  der  Pest  gewesen  sey 

am  lauffen  vndt  dem  Springen 
200     dem  Hrn  von  Schmitta  thet  gelingen 

der  gewan  da  die  Zwen  fahn 

da  nun  dz  Schiessen  auß  wardt  gähn: 

hab  ich  mit  fleiß  in  acht  genomen 

daß  Pest  ist  gen  Freysing  kommen 
205     das  ander  hatt  man  gen  Schongaw  glan 

dz  dritt  ein  Haffner  Zu  Augspurg  gwan 

dz  war  ein  hübsch  vergülter  schewer 

179  Sender:  "Darnach  randt  Simprecht  Lieber  mit  dem  Dumer  von  Nierenberg 
scharpf,  und  randt  der  Lieber  dem  Dumer  sein  pferdt  durch  das  plindt  tuch." 

182  Die  Einladung  (Z.  60)  verheisst,  dass  am  Ende  jedes  Schiessens  ein  Pferderennen 
stattfinden  solle,  am  11.   Juli  zuerst  "das  geranne  mit  den  buben." 

183  Schewer  :^  Pokal. 

184  Abenthewr  =  Gewinst. 

185  Einladung  Z.  61:  "Item  für  Sechs  guldin.  Item  drey  guldin:  vnd  eine  gemeine 
saw." 

188  Einladung  Z.  72:  "Wir  haben  auch  zu  yedem  Rennen  den  lauffenden  knechten 
und  gesellen  auf  fünfhundert  schritt  und  den  Lauffenden  diernen  vnd  frawen 
auff  zweyhundert  schritt  yeder  parthey  ein  Barchandtuch  verordnet."  Diese 
Belustigung  berücksichtigte  die  nicht  "ehrbare"  Gesellschaftsklasse,  die  vom 
freien  Weinausschank  ausgeschlossen  war.  Sender:  "Es  sind  auch  huren  und 
buben  geloffen." 

200  Bei  Sender  heisst  er  Freiherr  von  Schmiechen,  bei  Rem  von  Schmiechow,  "was 
ein  Behem." 


6o  CORONA 

Er  gewan  noch  ein  Abentheur 

die  golttschmidt  legten  auff  ihn  ein 
210     Soll  neuntzig  gülden  werth  sein 

man  gab  ihm  seinen  theil  daruon 

vndt  schenckhten  den  Knechten  i  fl  Zu  Ion 

dz  viertt,  dz  ist  gen  Lindaw  komen: 

dz  fünfft  hatt  einer  Zu  Augspurg  gewonnen 
215     Zu  Augspurg  blieben  wol  Ailff  Fahn 

die  andern  hatt  man  hinwegkh  gelahn 

Es  warn  gar  hübsche  abentheur: 

von  Pecher,  Köpffen  vndt  von  schewer, 

man  gab  einem  yeden  sein  gewinnett  oder  geldt 
220    wie  man  im  Außschreiben  hatt  vermeldt: 

Daß  Armprust  schiessen  ich  beschlossen  han 

da  fing  dz  Füchsen  schiessen  An: 

alß  ich  erzelen  will  vndt  sag 

Kürtzlich  nach  St:  Jacobus  tag 
225     da  schrieb  man  die  schützen  Alle  an: 

Neun  hundertt  vndt  40:  solt  ir  verstau: 

deß  sag  ich  den  von  Augspurg  ehr, 

Sie  richteten  auf?  ein  scheuben  mehr: 

dann  sie  vor  außgeschriben  han: 
230     darmit  wardt  befordertt  yderman: 

Den  Achten  tag  solt  ir  verstau: 

Hatt  man  Abermalß  Rennen  vndt  Lauflen  Lan 

die  schützen  lieffen  alß  ich  sag 

vndt  geschach  an  St.  Laurentzen  tag: 
235     Der  ist  von  Augspurg  auß  der  Stadt 

der  dz  Pest  im  lauffen  gwonnen  hat: 

Er  strich  weitt  für,  ihnen  Allen  ein, 

vndt  haisset  steffan  Zwingenstein 

Ihm  thett  hernach  aber  gelingen: 
240    er  gewan  ein  Pecher  an  dem  Springen 

Man  hatt  aber  noch  ein  Springen  than 

dasselbig  einer  von  Sali  gewan 

darnach  thett  man  den  stain  stosßen 

daß  gewan  einer  von  Aidtgnossen 

214  Sender  zählt  noch  weitere  30  Städte  auf,  Rem  fügt  die  Namen  der  Gewinner 
und  die  Zahl  der  Schützen  hinzu. 

224  26.  Juli. 

227  Sender  zählt  918,  Rem  916  Büchsenschützen,  ebenso  Gasser. 

232  Einladung  Z.  66:  "Rennen  mit  gesattelten  Pferden:  vnder  dem  lascht  (=  Bela- 
stung)." Rem  deutet  eine  Schiebung  an,  man  habe  die  Last  in  diesem  Handicap 
ungewöhnlich  gering,  nämlich  zu  iio  Pfund,  angesetzt,  dem  offenbar  sehr 
leichten  Hanns  Baumgartner  zuliebe,  der  schon  das  erste  Rennen  gewonnen 
hatte.    Schliesslich  ritt  er  aber  garnicht  mit. 

242  Rem  S.  126:  Hans  Jacob  vom  Sali  vom  Wintcrthaur. 


VON  EIM  SCHIESSEN  ZU  AUGSPURG  6i 

245     Man  hatt  auch  damals  Kugeln  Lon: 

Daß  Pest  war  Sechs  gülden  vndt  ein  fahn: 
Darmitt  will  ichs  beschlossen  han: 


Welcher  den  Pesten  Fahn  thett  gewinnen 

dz  werdet  ihr  on  mich  woU  Innen 
250     vndt  bitt  euch  Hrn  Allesam 

Ir  wöUett  mein  Dienst  für  guth  han 

den  ich  gebrauchett  hab  biß  hirher 

wo  ich  aber  vnfleissig  gewesen  wer 

daß  were  mir  von  Hertzen  Leidt 
255    dann  ich  bin  willig  vndt  beraitt: 

yetzt  vndt  Zu  Aller  Frist: 

den  Soltt  der  mir  versprochen  ist: 

den  hab  ich  verzertt  biß  hieher 

Nun  ist  mein  fleissige  Pitt  vndt  beger 
260    ir  wollet  mir  ein  Verehrung  than 

So  will  ich  machen  ein  Prittschen  fahn: 

vndt  den  mitt  mir  haim  tragen 

vndt  ewerer  weißheit  grossen  danckh  sagen: 

Ein  kleine  Übung  hab  ich  than 
265     Die  will  ich  euch  Zur  letzt  Lan 

vndt  sag  grosßen  danckh  meinen  herrn 

wo  sie  hinfur  mein  thetten  begern: 

Es  wer  gleich  früe  oder  Spatt 

wann  man  mich  dz  wissen  lath 
270     Es  sey  Zu  ernst  oder  Zu  schimpf!: 

So  thue  ich  es,  mit  fug  vndt  glimpflE 

Nun  will  ich  ein  freundlichs  vrlaub  han: 

dann  mein  schützen  wollen  All  daruon 

So  gehe  ich  auch  mit  ihn  gen  Hall 
275     darmitt  gnade  ich  meine  Hrn  All 

Darbey  will  ichs  nun  lassen  stan: 

wan  dz  schiessen  auß  wirtt  gähn: 

Beschleuß  ich  disen  spruch  gar  eben: 

vndt  will  ihn  dem  doctor  Peuttinger  geben 
280     So  wirdt  er  meinen  Herrn  All 

Spricht  Hanß  werthmann  glaser  Zu  schwebisch  Hall: 


Nun  merckhett  weitter  ohn  all  verdrießen 
wer  da  gewan  am  Püchsen  schiessen 
die  von  Augspurg  haben  8  fahnen  frey: 
285     dz  Pest  vndt  auch  den  Krantz  dabey 

245  Einladung  X.  73:  "Wir  haben  auch  zum  Keglen  yedes  vermeldten  Schiessens 
verordnet  fünff  kleinat  vnd  gauben."  Sie  galten  6,  5,  4,  3  und  2  Gulden 
(Rem). 


62  CORONA 

Zwen  Fahnen  kamen  gen  Lindaw  schon 

dz  ander  vndt  sonst  noch  ein  Fahn 

dz  dritte  kam  gen  Memmingen  ein 

vrach  dz  nam  Zwey  fähnlein  heim 
290    dz  sechste  ist  gen  vlm  kommen 

mitt  vier  fahnen  hab  ich  vernomen 

Daß  Sibentt  hatt  Fridtberg  mit  gewaltt 

dz  Acht,  hatt  Zu  Pfortzheim  sein  Auffenthalt 

dz  Ailfift  ist  kommen  gen  schwatz 
295     mitt  andern  Zwen  fahnen  ohne  tratz 

dz  Zwölfft  ist  kommen  gen  Hall 

Mitt  Zweyen  Fahnen  in  dz  Inthal: 

Ein  fan  der  kam  gen  düncklspüel 

Zwen  fahnen  gen  münchen  ohne  Zil: 
300    Dillingen  dz  Acht  Zehende  hatt: 

gen  Reuttlingen  hin  mit  Allem  Rath: 

dz  neun  Zehende  ist  kommen  hin: 

Nun  merckhett  fürbaß  meinen  Sin: 

Schwebischen  gmündt  hatt  auch  ein  Fahn: 
305     Nüremberg,  dz  bracht  Zwen  hindan: 

Ein  fan  gen  Göppingen  kam 

dz  Sex  vndt  Zwaintzigst  damitt  hin  Nam: 

Lawingen,  dz  Acht  vndt  Zwaintzigst  gewan 

Regenspurg.  dz  waß  auch  daran 
310     Behueben  dz  29:  st  mitt  schall 

dz  drey  vndt  dreissigst  kam  gen  St:  Gall: 

Daß  ligt  in  schweitz  in  schneller  Farth 

dz  viervndtdreissigste,  hatt  Studtgartt 

die  sach,  die  laß  ich  bleiben  schlecht 
315     Junckher  Popiliuß  von  stain  Knecht 

der  hatt  ein  ritterschuß  gewonnen 

Noch  einß,  deß  hab  ich  mich  beßunnen 

Auch  wo  der  weyttest  Fahn  hinkam 

Einer  von  Offen  ihn  da  Nam: 
320    darbey  will  ichs  verbleiben  lahn 

Gott  wolle  vnß  allen  beystandt  than: 
En  n  d  e  : 

316  Sechs  "Ritterschüsse"  mit  Preisen  von  6  bis  i  Gulden  waren  bestimmt  für 
diejenigen,  die  gar  nichts  gewonnen  und  auch  in  kein  "Stechen"  gekommen 
waren.  Jeder  durfte  nur  einen  Schuss  abgeben,  wer  "zu  dem  Nagel  allernechst- 
hin"  traf,  hatte  gewonnen  (Einladung  Z.  17). 

318  Einladung  (Z.  13)  verspricht  "dem/oder  denen/  so  zu  yeden  obgemeldten 
Schiessen  am  ferresten  her  komen  zwen  guldin." 

319  Offen  ^  Ofen  =  Buda-Pest.  Gasser:  "Qui  autem  remotissimo  loco  inter  hos 
venerat,  e  Buda  Ungariae  metropoli  erat,  Ulrichi  Aschawerus  vocatus."  Von  den 
Armbrustschützen  war  am  weitesten  hergekommen  ein  Pariser  "nomine  Johannis 
Hebeberi." 


SON  CORS  IN  OLD  FRENCH 
ANNA  GRANViLLE  HATCHER,  T/ie  Johns  Hopkjns  Ufiiversity 

THE  USE  of  the  word  "body"  to  refer  to  the  person-as- 
a-whole  seems  to  be  a  characteristic  of  Indo-European. 
We  find  it  in  Latin  with  corpus,  in  Greek  with  soma, 
and  in  many  medieval  tongues:  Old  Italian  (persona),  MHG 
(Up),  Old  Spanish  (cuerpo),  Middle  English  (body)}  Accord- 
ingly,  the  development  of  OF  cors  in  the  same  direction  is,  in 
itself,  hardly  worthy  of  note.  What  is  noteworthy,  however,  is 
a  special  nuance  which  seems  to  have  obtained  with  the  ex- 
pression  son  cors  in  OF.^ 

Now  in  Order  to  determine  the  particular  nuance  of  cors  =^ 
"person,"  one  must  of  course  be  sure  that  the  cors  in  question 
does  indeed  refer  to  the  person  and  not  primarily  to  his  body. 
For  example,  in  Mes  or  vos  veil  par  amors  demander  Que  tu 
me  soffres  ton  cors  a  adouber  (BA  4810-4811)  do  we  have  to 
do  with  a  periphrasis  (ton  cors  =  toi),  or  should  the  cors  be 
accepted  at  its  literal  value?  With  a  great  many  of  the  ex- 
amples  of  son  cors  this  could  be  a  ticklish  question:  in  the 
Chansons  de  Geste  son  cors  is  always  acceptable  as  a  "Personen- 

1.  And,  according  to  Grimm  ("Kleine  Schriften"  in  Abhandlungen  zur  Litt.  ti. 
Gram.,  III,  265-266),  in  Finno-Ugrian  languages. 

2.  Tobler  has  briefly  treated  this  function  of  OF  cors  in  his  article  "Umschreibung 
der  Personenbezeichnung  mittels  cors"  (in  V ermischte  Beiträge,  I,  30-36)  in  which 
he  discusses  the  different  circumlocutions  by  which  a  person  could  be  designated  in 
OF.  Though,  as  his  title  suggests,  he  is  mainly  concerned  with  the  use  of  cors  in  this 
connection,  he  also  considers  such  terms  as  personne,  char,  chies,  membres,  jotwente, 
nom,  afaire,  fait,  which  could  also  be  used  in  forming  a  periphrasis  for  the  personal 
pronoun.  After  listing  examples  of  all  these  forms,  he  states  that  the  connotation 
which  they  all  shared  in  common  was  an  emphasis  on  the  person-insofar-as-he-is- 
distinguished-from-others — that  is,  a  demonstrative  emphasis:  son  cors  ^=  "this  per- 
son himself  (and  no  other)." 


64  CORONA 

bezeichnung" — but,  on  the  other  band,  whenever  a  physical 
activity  is  involved,  a  literal  translation  is  likewise  possible. 

The  difficulty  of  this  problem,  however,  seems  to  me  to  be 
definitely  reduced  if  we  compare  the  Hmited  reference  of  the 
expression  le  cors  (li  cors):  whenever  the  Situation  is  unequiv- 
ocally  such  that  an  exclusively  carnal,  biological,  anatomical 
emphasis  is  inevitable,  then,  practically  without  exception,  it  is 
le  cors,  not  son  cors,  that  we  find.  It  is  le  cors  that  is  used  in 
descriptions  of  scenes  of  warfare: 

Par  mi  le  cors  son  reit  espie  li  passe  CL  915^ 
Le  cors  li  trenchet  tres  Tun  costet  qu'a  l'altre        CR  1667 

l'espie  enz  el  cors  li  repont  Gl  297 

L'une  le  fiert  par  mi  le  cors  Yon  315 
Et  li  quarz  navrez  et  maumis 

Par  mi  la  cuisse  et  enz  el  cors.  Chai  122-123 

Dedenz  le  cors  l'ont  plaie  et  navre.  BA  1087 

Parmi  le  cors  li  mis  le  confanon.  CN  208. 

It  is  le  cors  that  we  find  in  the  treatments  of  the  theme  "body 
vs.  soul,"  "body  vs.  heart,"  that  appear  so  frequently  in  me- 
dieval  Uterature  (where  the  meaning  of  cors  is  necessarily 
restricted  to  a  bodily  significance)  :^ 

3.  For  an  Interpretation  of  the  abbreviations  used  in  references  to  OF  texts,  see 
the  list  at  the  end  of  this  essay. 

4.  These  two  contrasts  are  very  frequent  in  the  Chansons,  the  first  being  filled 
with  theological  implications,  the  second  usually  concerned  with  the  psychology  of 
love.  The  metaphysical  relationship  between  cors  and  cuers  is  amusingly  illustrated 
by  a  passage  from  Yvain: 

Mes  sire  Yvains  mout  a  anvis  Tel  mervoille  nus  hon  ne  vit. 

S'est  de  la  dame  departiz  Ceste  mervoille  est  avenue; 

Et  si  que  li  cuers  ne  s'an  muet.  Qu'il  a  la  vie  retenue 

Li  rois  le  cors  mener  an  puet,  Sanz  le  euer  qui  estre  i  soloit, 

Car  del  euer  n'an  manra  il  point,  Que  plus  siure  ne  le  voloit. 

Qui  si  se  tient  et  si  sc  Joint  Li  cuers  a  buene  remenance, 

Au  euer  celi  qui  se  remaint,  Et  li  cors  est  an  esperance 

Qu'il  n'a  pooir  que  il  l'an  maint.  De  retorner  au  euer  arriere, 

Des  que  li  cors  est  sanz  le  euer,  Si  fet  euer  d'estrange  meneire 

Don  ne  puet  il  vivre  a  nul  fuer;  D'esperance  qui  mout  sovant 

Et  se  li  cors  sanz  le  euer  vit.  Traist  et  fausse  de  covant.     2639-2660 

For  the  history  of  OF  euer  cf.  Moritz  Schittenhelm,  Zur  stilistischen  Verwendung  des 
Wortes  "euer"  in  der  altfranzösischen  Dichtung  (Halle,  1907). 


SON  CORS  IN  OLD  FRENCH  65 

Dex  penst  de  l'ame  que  li  cors  est  finez!        BA  5650 

Pensez  des  ames,  et  si  les  recevez! 

Des  cors  sera  einsi  com  vos  vorrez!  CV  457-458 

Et  si  viaut  si  avoir  le  cors 

Que  nen  li  cuers  n'an  soit  defors.  Yv  1923- 1924 

And,  finally,  it  is  le  cors  that  is  used  in  reference  to  a  dead 
body: 

le  rei  Gormont  at  trove  mort; 

treis  feiz  se  pasme  sur  le  cors.  Gl  424-425 

//  cors  chiet  jus,  si  s'en  vait  l'anme.        Gl  77 

Because  of  the  fact,  then,  that  le  cors  was  regularly  used  in 
situations  where  the  connotation  must  needs  be  strictly  bodily, 
it  is  surely  legitimate  to  assume  that  a  distinct  diÜerence  was 
feit  between  the  two  expressions  le  cors  and  son  cors;  that  the 
former  is  concerned  only  with  the  body,  and  the  latter  is  re- 
served  for  the  larger  reference  of  "the  person."  Thus,  it  be- 
comes  unnecessary  to  quibble  over  individual  examples  in  which 
son  cors  appears,  in  an  attempt  to  weigh  the  probable  amount 
of  "physical"  emphasis  intended;  instead,  one  is  justified,  I 
think,  in  accepting  this  expression,  in  general,  as  a  designation 
of  the  person-as-a-whole  at  least  in  the  Chansons.^  Accord- 
ingly,  in  the  first  example  cited  (ton  cors  adouber),  though  the 
strong  physical  nuance  cannot  be  ignored  (since  a  physical 
activity  is  involved),  still  the  proper  Interpretation  will  take 
into  account  the  larger  reference  of  cors:  "But  this  I  ask,  by  the 
love  I  bear:  sufTer  me  to  gird  thyself  for  battle." 

In  grammatical  terms,  this  means  that  we  are,  regularly,  to 
accept  son  cors  as  a  periphrasis  for  the  personal  pronoun.  Now 
we  are  ready  to  consider  the  point  raised  at  the  beginning:  in 
how  far  does  son  cors  difler  from  the  personal  pronoun;  what 

5.  In  prose,  on  the  other  band,  and  in  the  less  sophisticated  literature  in  gen- 
eral, exceptions  to  this  may  be  found.  However,  in  the  Chansons,  the  few  examples 
for  which  this  interpretation  would  not  be  possible  have  been  limited,  in  my  texts, 
to  cases  where  the  presence  of  son  is  necessary  to  show  possession;  for  example,  in 
Del  sanc  luat  sun  cors  e  sun  visage  (CR  2276)  it  would  have  been  impossible,  for 
syntactical  reasons,  to  Substitute  *se  luat  le  cors — as  OF  did  not  possess  the  con- 
struction  with  the  reflexive  pronoun  represented  in  Modern  French  by  se  laver  les 
mains  etc.  But  such  examples  amount  to  less  than  2  per  cent  of  all  those  I  have 
found. 


(^  CORONA 

is  the  special  nuance  that  distinguishes  mon  cors,  ton  cors,  son 
cors  from  the  terms  moi,  toi,  lui?  The  answer  to  this  might  seem 
to  be  self-evident  from  the  etymology  of  the  word  itself :  surely 
this  expression  of  bodily  origin  was  intended  to  insist  on  the 
actuaUty,  the  "flesh  and  blood"-ness  of  the  person:  to  recreate 
him  in  the  flesh,  living,  breathing,  incarnate;  to  portray  the 
person  in  so  far  as  he  is  perceptible  to  the  senses. 

And,  indeed,  this  much  we  may  take  for  granted:  son 
cors  =  "the  person  in  the  flesh."  Moreover,  such  an  Interpreta- 
tion is  thoroughly  consonant  with  that  love  for  the  concrete, 
the  actual,  the  "seen"  that  is  so  characteristic  of  the  Chansons. 
But  this  emphasis  on  embodiment  is  not  the  only  nuance  to  be 
met  with  in  son  cors,  nor,  as  I  beUeve,  the  predominant  nuance. 
For,  if  son  cors  were  mainly  intended  as  a  more  vivid  reference, 
then  we  should  expect  to  find  it  used  most  frequently  of  all  in 
dramatic  descriptions  where  the  Jongleur  seeks  to  reproduce 
before  our  eyes  the  events  of  bis  story  and  the  heroes  who  took 
part  therein. 

Yet,  this  is  where  we  are  least  apt  to  find  son  cors!  Seidom, 
indeed,  does  the  author  himself  make  use  of  this  expression  to 
designate  one  of  his  characters.  On  the  contrary,  son  cors  is 
nearly  always  to  be  found  inside  quotation  marks — used  by  one 
of  the  characters  himself  to  designate  another  to  whom,  of 
whom,  he  speaks, 

Now  conversation  in  the  Chansons  was  not  the  perfunctory, 
trivial  chatter  that  it  so  often  is  in  real  life  and  that  is  repro- 
duced  in  contemporary  novels.  These  medieval  characters  sel- 
dom  spoke  unless  they  were  aroused  by  the  circumstances,  unless 
they  were  moved  by  intense  feeling  or  deep  concern  to  express 
themselves:  their  speech  usually  represents  an  emotional  out- 
burst,  revealing  a  subjective  attitude  on  the  part  of  the  Speaker 
toward  the  person  he  addresses  or  mentions.  And,  when  his 
feelings  are  most  intense,  it  is  son  cors  that  he  is  apt  to  use — 
as  if  his  emotion  would  recreate  the  person,  the  presence  of  the 
other,  as  food  for  his  feelings. 

These  feelings,  of  course,  may  vary:  son  cors  is  frequently 
found  in  direct  expressions  of  love  or  lamentation : 


SON  CORS  IN  OLD  FRENCH  67 

C'est  mes  deduiz,  c'est  mes  deporz. 

C'est  mes  solaz,  c'est  mes  conforz. 

C'est  mes  avoirs,  c'est  mes  tresors. 

Je  n'aim  tant  rien  come  son  cors.  Erec  543-546 

La  roine  accola,  si  dist:  corps  savoreus, 

Onkes  Tristrans  n'ama  si  bien  la  belle  Yseus 

Comme  je  fai  vo  corps  qui  tant  est  pretieus!  B.  de  Seb.  (Godefroy) 

Sire  cumpainz,  mar  fut  vostre  barnage! 

Jamals  n'iert  hume  ki  tun  cors  cuntrevaillet.  CR  1983- 1984 

Sire  Guillaume,  mar  vi  vostre  barnage, 

Vostre  gent  cors  et  vostre  vasselaige.  PO  1459-1460 

Bei  a  le  cors,  eschevie  est  et  gente, 

Blanche  la  char ... 

Dex!  mar  i  fu  ses  cors  et  sa  jovente.  PO  204-208 

— but  also  in  demonstrations  of  hate: 

as  vis  deables  soit  ses  cors  commandez!  BA  4670 

Sun  cors  seit  huniz  e  destraint!  Tr  13 18 

Tristran,  vostre  cors  maldeit  seit.  Tr  1353 

Floire  et  Blanchefleur  fönt  de  par  Pepin  salus        Berte 

et  de  par  Forde  serve,  ses  cors  soit  confondus!  (B-W,  234,  134-135) 

Nor  is  it  surprising  to  find  the  same  expressions  used  for  the 
two  distinct  emotions  of  tenderness  and  hate:  they  are  the  two 
poles  of  the  same  current.  And  a  curse  cloaks  itself  in  the 
imagery  of  a  blessing.^ 

But  even  when  the  emotional  attitude  is  not  so  expressly 
stated  in  the  context,  often,  because  of  the  presence  of  son  cors 
it  seems  to  hover  in  the  atmosphere,  giving  an  added  warmth 
and  intensity  to  the  words  of  the  Speaker,  indicating  a  tie  that 
his  emotion  creates  between  himself  and  the  one  to  whom,  of 
whom,  he  speaks.  The  affective  nuance  that  is  thus  betrayed 
(if  not  expressed)  is  almost  limitless: 

(aversion)         Maleoit  soient  mi  parent ... 

Qui  a  cest  jalos  me  donnerent 

Et  a  sun  cors  me  marierent.  Yon  85-88 

6.  Compare  af  vis  deables  soit  ses  cors  commandez  with  Biaus  dous  amis,  vos 
en  ireis:  A  Den  soit  vos  cors  commandeis  (cited  below). 


68  CORONA 

(vengeance)     ...  Prenez  le  vif  ... 

Par  tot  l'Archant  soit  son  cors  trai'nez 

Si  en  sera  Guillaumes  plus  irez."  CV  1348-1350 

(admiration)    • — Veir,"  dist  li  Turs,  "tu  ies  de  grant  fiert^ 
Quant  en  bataille  ne  puis  ton  cors  tenser. 
Come  as  tu  nom?  Ne  le  me  deis  celer.         CL  813-815 

(reproachful     Vus  faites  mult  grant  vilanie, 
concern)       A  vostre  cors  hunisement 
Quant  il  vus  aime  ... 
E  vus  vers  li  vus  cuntenez 
Cum  vers  home  que  nient  n'amez.  Tr  1564-1568 

Again  there  may  be  a  plaintive  note,  as  if  the  Speaker  would 
awaken  a  spark  of  sympathy  in  the  person  addressed,  remind 
him  of  the  bond  between  them: 

Helvis,  biaux  tres  dous  filz,  por  Diex,  car  retornez 

Tant  que  j'aie  a  vo  cors  ...  parle.  LesLoh.  (Godefroy) 

he!  Auberons,  tes  gens  cors  que  fera.^ 

moult  ies  malvais,  se  de  moi  pite  n'as.  Huon  (B-W,  138,  128-129) 

But  most  common  of  all,  perhaps,  is  the  nuance  of  unmixed 
affection  and  tenderness: 

fiz,  chiers  amis,  que  ferions, 

se  ton  cors  perdu  avibns?  Troie  (B-W,  loi,  257-258) 

Biaus  dous  amis,  vos  en  ireis: 

a  Deu  soit  vos  cors  comandeis.  Chansons  (B-W,  188,  b.  20) 

...  car  mes  compains  Amis  qui  moult  m'ama, 
dou  sanc  de  vos  li  siens  cors  garistra, 

que  gietez  est  dou  siecle.  Amis  et  Amile  (B-W,  53,  81-83) 

Mes  or  vos  veil  par  amors  demander 

Que  tu  me  soffres  ton  cors  a  adouber      BA  4810-481 1 

Ot  le  Guillelmes,  sei  corut  embracier, 

Par  Ies  dous  flanz  le  lieve  senz  targier: 

"En  nom  Deu,  enfes,  eil  m'a  mal  engeignie 

Qui  te  rova  a  venir  a  mon  pie, 

Quar  sor  toz  omes  dei  ge  ton  cors  aidier."       CL  1743-1747 

Et  dit  Guillaumes:  "Amis,  lessiez  ester. 

Je  me  dot  moult  de  vos  cors  afoler: 

Mil  Chevaliers  ferai  o  vos  aler."  BA  7092-7094 


SON  CORS  IN  OLD  FRENCH  69 

It  is  with  this  nuance  of  tenderness  and  a  note  o£  special 
reverence  that  the  expression  ion  cors,  vostre  cors  is  used  with 
reference  to  Christ: 

...  la  vierge ... 

Ou  vos  deignastes  vostre  cors  esconser  ... 

Sainte  Anestase  vos  feistes  lever: 

N'ot  nules  mains  por  vo  cors  onorer;  CL  719-727 

En  sainte  crois  fu  vostre  cors  penez 

Et  vo  chier  membre  travaillie  et  lasse,  CL  766-767 

Tot  por  le  pueple  que  tu  vosis  sauver 

Lessas  ton  cors  traveillier  et  pener, 

Et  en  la  croiz  et  ferir  et  navrer  ...  PO  785 

In  such  examples  (indeed,  in  most  of  the  references  to  Christ — 
cf.  below,  p.  77),  the  physical  reference  is  particularly  strong: 
one  feels  the  concern  of  the  Speaker  for  the  actual  flesh  of  Christ 
{et  vo  chier  membre),  as  he  recounts  the  events  of  the  Nativity 
and  the  Crucifixion.  But  we  may  also  find  ton  cors  used  in 
such  an  abstract,  theological  reference  as  "en  troi  nom  fust  tes 
cors  cumandez"^  (quoted  by  Leo  Spitzer  in  Neuere  Sprachen, 
XL,  485). 

So  far,  all  of  the  examples  have  been  of  son  cors,  ton  cors. 
But  quite  frequently  the  Speaker  refers  to  himself  with  mon 
(nos)  cors.  The  degree  of  emotional  intensity  may  fluctuate, 
but  always  some  note  of  concern  for  seif  is  evident :  the  Speaker 
takes  himself,  treats  his  "seif"  seriously.  Sometimes  there  is  a 
note  of  tender  concern,  solicitude,  for  seif — as  when  the  Speaker 

7.  We  often  find  the  expression  li  cors  Deu,  li  cors  saint ...  used  in  oaths,  im- 
precaüons,  where  it  has  become  a  fixed  formula: 

Les  traitor,  cui  li  cors  Deu  mal  face  ...         CL  1438 

Par  cele  crois  ou  li  cors  Deu  fu  mis ... 

Les  traitors  eüsse  si  laidiz  ...  CL  1 474-1 476 

Trop  en  i  a,  li  cors  Deu  les  maudie!  BA  2351 

Mar  me  feristes,  par  le  cors  Saint  Omer!     BA3650 
This  practice  was  even  extended  to  the  pagans: 

Li  amiralz  en  juret  quanqu'il  poet 

De  Mahumet  les  vertuz  e  le  cors.  CR  3202-3203 

For  the  many  Compound  expressions  referring  to  the  Deity  that  are  to  be  found  in 
the  formulae  of  imprecation,  supplication,  cf.  Carl  Merk,  "Die  Lehre  und  das  Leben 
der  Kirche  im  altfr.  Heldenepos,"  (Z.R.Ph.),  Beihefte,  XLI,  224-310.  He  also  gives  a 
list  of  the  different  saints  figuring  in  such  invocations  (pp.  250-251,  260-265). 


70 


CORONA 


envisages  fearfully  a  Situation  in  which  hc  dreads  to  become 
involved: 

Car  tel  hum  prendre  le  purra 

Ki  noz  cors  i  reconuistra.  Tr  2931-2932 

Pur  nostre  cors  sui  jo  em  paine  Tr  117 

Defent  mon  cors  de  mort  et  de  prison, 

Que  ne  m'ocie  eist  Sarrazins  felons!  CL  1 023-1 024 

Garis  mon  cors  de  mort  et  d'afoler.  PO  789^ 

or  laments  the  ill  fortune  that  has  already  befallen  him: 

amis,  mar  £u  mes  cors  nez! 

quant  pour  vous  est  enserrez, 

et  autres  en  a  ses  volentez, 

drois  est  que  m'en  plainge:  Chansons  (B-W,  218,  85-88) 

En  Aleschans  ai  fet  male  gaeigne, 

Ja  mes  h'iert  jor  que  mi  cors  ne  se  plaigne.     BA  602-603 

Again,  the  subjective  nuance  of  self-interest  may  show  itself  in 
a  spirit  of  bravado,  of  resolution,  of  self-importance  i** 


Mielz  voil  morir  mi  cors  ne  s'i  essait 

En  Rencevals  irai  mun  cors  juer, 
Se  truis  RoUant,  de  mort  serat  finet 

Je  conduirai  mun  cors  en  Rencesvals; 
Se  truis  RoUant  ne  lerrai  que  nel  mat! 

— Nu  ferai  jeo,"  dist  Isembarz, 
"tant  cum  li  miens  cors  durera. 

Mes  cors  meismes  en  la  bataille  ira 


BA  1219 

CR  901-902 

CR  892-893 

Gl  511-512 

Enf.  Ogiers  (Godefroy) 


...  je  n'ai  nul  homme  cha 
qui  ne  face  tout  chou  que  li  miens  corps  vorra: 
mult  sera  fox  li  hons  qui  me  courechera.         B.  de  Seb.  (B-W,  258,  21-23) 

(Here  we  can  see  the  Speaker  thumping  himself  on  the  ehest: 
"Do  all  that  /  may  wish"!) 

And  in  the  foUowing,  mes  cors  meismes  seems  to  reveal  a 
tendency  towards  self-dramatization :  the  Speaker  recreates  a 

8.  This    is   particularly   frequent   with   the    words    gtiarir  and    dejendre    that   are 
found  so  often  in  prayers  for  help. 

9.  In  such  sentences  this  expression  is  comparable  to  the  "editorial  we":  in  both 
cases  the  Speaker  adds  to  his  substance. 


SON  CORS  IN  OLD  FRENCH  71 

past  event  in  order  to  refresh  the  memory  of  his  listener:  mes 
cors  is  a  reminder  of  seif,  in  an  appeal  to  reinforce  a  bond  of 
sympathy  between  himself  and  his  hearer: 

Rois,  quar  te  membre  de  la  grant  ost  Oton: 

O  toi  estoient  Fran^ois  et  Borgoignon  ... 

Mes  cors  meismes  tendi  ton  paveillon. 

Puis  te  servi  de  riche  venoison.  .  CN  214-220 

Finally,  in  the  rather  frequent  expressions  comander,  vouer 
mon  cors  the  emphasis  seems  to  be:  "my  selj:  all  that  I  am  and 
have;  myself,  my  life,  my  all": 

Par  Mahomet,  oü  mes  cors  est  voez!  BA  1564 

...  Dex  est  mes  avoez, 

Et  li  miens  cors  en  ses  mains  commandez      BA  6638-6639^** 

Demain  atandre  me  porroiz 

Appareillie  de  ma  puissance, 

De  metre  an  vostre  delivrance 

Mon  cors  si  con  je  le  doi  feire.  Yv  3724-3727 

10.  It  is  often  possible  to  Interpret  this  mon  cors  by  "my  life" — as  i£  the  Speaker 
secs  his  life,  his  career,  as  an  objective  reality.  This  is  a  fitting  translation  for  the 
examples  with  comander,  vouer  and  garir,  defendre  (cf.  also  tant  cum  li  miens  cors 
durerd).  However,  this  "life"  does  not  seem  to  be  the  abstraction  of  life-as-opposed- 
to-death,  so  much  as  the  "active"  life:  not  the  life  within  us,  but  the  life  we  lead. 
For  example,  compare  the  following  example  where  both  mon  cors  and  ma  vie  are 
used: 

Ma  vie  et  mon  cors  me  sauvastes  ... 

Morz  i  eüsse  este  ou  pris 

Se  ne  fust  vostre  buene  a'ie.  Yv  3638-3642 

Herc,  vie  is  opposed  to  morz,  cors  to  pns.  Life  =  vie  is  not  necessarily  affected  by 
captivity;  only  death  can  put  an  end  to  that.  But  life  =  cors — the  life  of  activity,  the 
career — this  does  indeed  come  to  an  cnd  with  captivity. 

Miss  Anna  Bräder  ("Zur  Rolle  des  Körperlichen  in  der  altfranzösischen  Literatur 
. . ."  in  Giessener  Beiträge  zur  Rom.  Phil.,  XXIV,  Giessen,  1931,  p.  321)  calls  atten- 
tion to  the  meaning  cors  =  "Leben"  which  she  evidently  interprets  as  the  abstraction 
"life."  Of  the  three  examples  which  she  oflers,  the  Interpretation  of  two  is  proble- 
matical,  but  the  third  does  seem,  at  first  glance,  to  have  clearly  this  significance:  Li 
bon  ceval  ont  ja  perdu  lor  cors  {Aspremont  8862).  However,  it  has  this  meaning 
only  when  the  context  is  ignored,  for  in  the  following  line  we  find  Au  trot  en  vienent 
auquant  et  li  plusor  {ibid.  8863) — rather  lively  behavior  for  dead  horses!  Obviously 
here  cors  =   Latin  cursus:  the  horses  had  lost  the  track. 

However,  in  suggesting  the  Interpretation  "life"  I  do  not  mcan  to  suggest  that 
in  these  examples  cors  has  a  "different"  meaning  from  that  in  other  passages;  the  one 
meaning  of  mon  cors  is  "my  own  seif."  An  expression  so  rieh  in  significance  will  of 
course  vary  in  connotation  according  to  the  context,  but  it  is  a  mistake,  I  think,  to 
attempt  to  split  the  word  into  separate  categories,  as  does  Miss  Bräder,  who  dis- 
criminates  between  cors  =:  person,  and  cors  =  attribute  of  the  person,  this  last 
catcgory  being  again  divided  into  "Kraft,"  "Mut,"  etc. 


72  CORONA 

In  all  the  examples  so  far  considered — even  in  these  just 
above  in  which  the  Speaker  refers  to  himself — I  feel  a  distinctly 
ceremonial  flavor  in  the  words  son  cors,  ton  cors,  mon  cors,  and 
an  emotional  atmosphere  of  concern.  The  Speaker  who  uses 
them  seems  to  feel  an  emotional  tie  that  binds  him  to  the  per- 
son-involved ;  son  cors  betrays  a  recognition  of  what  this  person 
means  to  him;  it  designates  a  person  in  so  far  as  he  "matters" 
to  the  Speaker.^  ^   Usually  this  concern  is  an  affectionate  one; 

II.  Thus   the  infrequency  of  this   expression   outside   of  conversation   is  under- 
standable:  son  cors,  betraying  an  emotional  attitude   toward   the  person  designated, 
would  seldom  be  appropriate  in  the  mouth  of  the  author  himself.    However,  the  fol- 
lowing  examples  of  son  cors  used  by  the  author  represent  a   peculiar  Situation:   the 
poet  describes  a  scene  as  if  witnessed  not  by  himself,  but  by  one  of  his  characters 
who,  as  he  looks,  feels  concern  for  the  person  that  he  sees  involved  (and  in  every  casc 
that  person  is  himself).    Thus  the  author,  as  if  looking  through  his  character's  eyes, 
uses  a  term  betraying  that  concern.    Consider: 
Cil  de  pasmeisons  revint, 
Et  li  lions  son  cors  retint         Yv  3521-3522 
Here,  we   are   not  simply  told  that   when   Yvain   came  to   his   senses   the   lion   was 
holding  on   to  him:   we  are   shown   the  same  picture   that  the   knight  saw.    In   the 
following  examples  we  have  to  do  with  the  two  visions  of  Charlemagne:  the  Emperor 
in  his  dream  sees  himself  being  attacked;  he  looks  upon  himself  as  another  might  do, 
realizing  at  the  same  time  that  it  is  himself: 

...  uns  grans  leons  li  vient ... 

Sun  cors  me'ismes  i  asalt  e  requert  CR  2449-2451 

...  uns  leuparz  ... 

Sun  cors  demenie  mult  fierement  asalt        CR  729-730 
(Note   the   epithet   demenie   (<Cdominicus:    "seigneurial,   prive,    particulier" — FEW). 
Bedier  translates  this  simply  by  "son  corps  meme,"   thereby  missing  the  ceremonial 
flavor  of  this  word  that  refers,  reverenüy,  to  the  royal  person  of  the  Emperor). 

Thus  in  these  examples,  just  as  in  the  passages  of  conversation  above,  son  cors 
represents  the  person  viewed  with  concern.  Now  it  is  also  possible  to  find  this 
expression  used  by  the  author  in  cases  where  it  is  very  difficult  to  perceive  any  sub- 
jective  connotation — but  only,  or  pracücally  only,  when  son  cors  is  the  equivalent  of 
the  reflexive  pronoun,  as: 

Si  li  comande  a  aporter 

Ses  armes  por  son  cors  armer  Erec  2625-2626 

Franceis  descendent,  si  adubent  lor  cors  CR  1797 

Malpramis  siet  sur  un  cheval  tut  blanc; 

Conduit  son  cors  en  la  presse  des  Francs  ...     CR  3369-3370 

Tienent  oiseaus  por  lor  cors  deporter  CN  26 

Here,  for  the  first  time,  we  see  evidence  of  a  tendency  toward  grammaücalization, 
formalization,  with  son  cors.  This  is  perhaps  to  be  explained  by  a  peculiar  feature 
of  reflexive  verbs  in  OF:  many  of  the  OF  reflexive  verbs  in  common  use  were  based 
upon  transitive  verbs  that  could  also  be  used  intransitively.  For  example,  to  express 
the  ideas  "rise,  lie,  sit"  two  modes  of  expression  were  possible:  soi  lever — lever;  sei 
colchier — colchier;  soi  aseoir — aseoir.  The  difference  in  nuance  between  the  two 
forms  of  the  same  verb  was   (often)   that  between  announcement  of  a  fact  and  de- 


SON  CORS  IN  OLD  FRENCH  73 

often  the  attitude  is  that  of  reverence  and  tenderness,  and  son 
cors  constitutes,  as  it  were,  a  sort  of  title  bestowed  upon  the 
other  in  acknowledgment  of  his  worth.  Occasionally  the  atti- 
tude is  hostile;  but  nearly  always  there  is  an  attitude,  a  recogni- 
tion  of  the  significance  of  the  other's  personaUty,  Perhaps  son 
cors  might  be  defined  as  "the  person  in  the  flesh  envisaged  with 
concern." 

But  whence  comes  this  especial  nuance  of  concern  for  the 
personahty?  Does  this  follow  inevitably  (as  the  emphasis  on 
"the  person  in  the  flesh"  would  seem  to  follow  inevitably)  from 
the  "bodily"  origin  of  the  word  ?  Theoretically,  such  a  develop- 
ment  is  easily  conceivable:  love  involves  a  tenderness  for  the 
very  flesh  of  the  beloved;  when  we  deeply  hate  another,  we 
"hate  his  guts."  And  so,  the  use  of  a  word  that  insists  on  the 
fleshly  reality  of  the  person  would  seem  eminently  fitted  to 
express  a  subjective  reaction  to  his  personality.  But,  if  we  turn 
back  to  the  Latin  ancestor  of  son  cors,  we  shall  see  that  such  a 
development  was  far  from  inevitable. 

It  is  well  known  that  the  development  "body"  ->  "person" 
had  already  taken  place  in  Latin  with  corpus.  The  distinction 

scription  o£  an  act:  lever,  £or  instance,  would  be  used  to  State  that  a  person  "got  up" 
in  the  morning  {El  demain  lieve  tote  sainne:  Molt  fu  haitie  la  semainne — ^Yonec  217- 
218),  soi  lever  was  not  apt  to  be  used  unless  the  subject  is  right  under  our  eyes,  in 
the  Center  of  the  stage,  where  we  can  see  him  get  to  his  feet  {Gui  d'Aletnaigne  sc 
leva  sor  ses  piez:  Dist  a  ses  omes:  ... — CL  2355-2356). 

The  need  thus  to  distinguish  between  Statement  of  fact  and  description  of  act  led 
to  the  addition  of  a  reflexive  object  to  other  verbs  purely  intransitive  in  origin,  when- 
ever  the  author  desired  especially  to  invite  visualization — cf.: 

Gesir  porrun  el  burc  de  seint  Denise       vs.      Lors  s'endormi,  que  toz  fu  enivrez. 
CR  973  Pance  levee  se  gist  toz  enversez. 

BA  4613-4614 
Now  in  the  case  of  verbs  like  (soi)  deporter,  (soi)  armer,  that  could  not  be  used 
intransitively,  this  kind  of  alternance  was  impossible.  But  some  kind  of  aliernance 
was  desired;  the  reflexive  construction  could  not  maintain  its  emphasis  in  the  absence 
of  a  contrasting  intransitive  form,  and  so  the  desire  for  an  "extra"  form,  more  vivid, 
more  descriptive,  led  to  a  deporter  son  cors  by  the  side  of  soi  deporter. 

Thus  we  do  not  have  complete  grammaticalization  in  such  cases:  though  the 
emotive  connotation  is  not  realized,  still  the  vital,  dramatic  force  of  son  cors  is 
brought  into  play.  Moreover,  this  Substitution  of  son  cors  for  soi  seems  to  have  been 
kept  within  the  limits  already  referred  to:  I  have  never  found  this  expression  used 
with  a  verb  that  possesses  bcth  intransitive  and  reflexive  forms — for  example,  a 
Hever  son  cors,  *coucher  son  cors. 


74 


CORONA 


between  the  two  meanings  is  not  as  clearly  drawn  as  in  OF 
(which  possessed  the  two  forms  le  cors  and  son  cors),  and 
often  corpus  alicuius,  though  acceptable  as  a  periphrasis  for  the 
person,  will  have  an  almost  exclusively  bodily  nuance.  For 
example,  in 

Primus  abit  longeque  ante  omnia  corpora  Nisus 

Emicat  et  ventis  et  fulminis  ocior  alis  Aen.  V,  318-319 

a  plastic  eflfect  is  achieved  by  presenting  boldly  the  naked, 
glistening  bodies  of  the  runners  before  our  eyes.  But  there  are 
scores  of  other  examples  to  be  found  where  the  physical  im- 
plication  is  subordinate,  where  there  is  no  question  of  the 
"body"  in  a  carnal  or  anatomical  sense.  The  passages  below^^ 
clearly  reveal  the  development  "body"  -^  "person" : 

vilia  captivorum  corpora  trucidabant^^ 

pecuniam  exigere  corpus  retinendo^* 

in  servorum  corporibus  amor  laudis  cerneretur 

hie  metu  externae  corpora  gentis  [ext.  gen.  = 
ancillae]  agat 

corpora  regi  capta  trahant 

urbs  regi,  captiva  corpora  Romanis  cessere 


Curt.  5.6.6 

Ulp.  dig.  48. 13. 1 1.6 

Pliny  paneg.  33 


Ovid  Epis.  133.4 

Val.  Fl.  4.108 
Livy  XXXI.  46.16 


Postero  die,  libera  corpora  dictator  sub  corona 
vendidit 

rapique  in  vincula  egentem  jure  libertatis,  qui 
liberum  corpus  in  servitutem  addixisset 

delecta  circum  sortiti  corpora 

Praeterea  bis  sex  genitor  lectissima  matrum 
Corpora  captivosque  dabit,  suaque  omnibus  arma 

Hasta  volans,  ut  forte  novem  pulcherrima  fratrum 
Corpora  constiterant  contra  ... 

Adspice,  sim  quantus:  non  est  hoc  corpore 
major  Jupiter  in  caelo 


Livy  V,  xxii.i 

Livy  IIL  xlvi.  8 
Aen.  IL  18 

Aen.  IX.  272-273 

Aen.  IL  270-271 

Ovid  Metam.  XIII. 
842-843 


12.  From  the  ThLL. 

13.  Note  the  epithel  vilia   (cf.  also  tnrpin  ...  corpora — Ovid   Epist.    133-134).    I 
have  never  found  a  pejorative  adjective  coupled  with  cors  in  OF. 

14.  In  this  example,  and  in  corporis  coercitationetn   {ibid.  48.19.6.2)   we  seem  to 
have  to  do  with  the  "corpus"  of  habeas  corpus. 


SON  CORS  IN  OLD  FRENCH  75 

Cimon  . . .  vicarium  se  pro  corpore  patris  dedit         Sen.  contr.  thema  9.1 

posuero,  qualis  sit  futurus  tyrannus:  uUius  hie 

parcet  corpori,  qui  patrem  trucidavit  Quint.  CCCXII 

triticum  secundum  corpus;  id  est  secundum 
numerum  corporum;  per  corpus  enim  numerum 
corporum,  per  numerum  corporum  numerum 
hominum  significat.  Aug.  loc.  hept.  1. 196 

In  these  sentences  it  is  evident  that  we  have  to  do  with  the 
person  X,  Y,  or  Z,  rather  than  with  his  body.  And  yet,  it  is 
only  as  X,  Y,  or  Z  that  the  person  is  presented ;  there  is  nothing 
whatsoever  of  the  atmosphere  of  jamais  n'iert  hume  \i  tun  cors 
cuntrevaillet  to  be  found  in  any  of  the  examples  which  I  have 
found/^  Instead,  corpus  is  a  most  practical,  perfunctory  term, 
betraying  the  impersonal  attitude  of  the  legaHst  or  the  census 
taker  toward  the  persons  v^ith  w^hom  they  have  to  deal,  the  atti- 
tude of  a  slaveov^^ner  toward  his  chattel. 

The  most  frequent  type  of  expression  in  which  corpus  is 
found  is  Corpora  serva,  corpora  libera,  corpora  capta,  where  this 
word,  in  the  piural/^  merely  makes  a  distinction  between  bond 
and  free,  cataloguing,  classif ying,  lumping  together  all  the  indi- 
viduals  in  a  mass  wherein  personality  is  lost/^  It  is  frequently 
used  in  tabulations  {bis  sex . . .  matrum  corpora:  in  this  example 
matrons,  captives,  armor  are  all  on  the  same  level;  novem  . . . 
fratrum  corpora . . .),  and  the  usefulness  of  the  term  corpus  for 
statistics,  for  which  persons  exist  as  countable  units,  is  seen  in 
the  example  from  Augustine,  where  per  corpus  has  exactly  the 
significance  of  "per  capita." 

Even  when  the  word  is  found  in  the  singular,  there  is  noth- 

15.  The  two  following  examples  would  seem  to  be  exceptions: 
nee  mare  nee  tellus  nee  eaeli  lucida  templa 

nee  mortale  genus  nee  divom  eorpora  saneta  Luer.  I,  1014-1015 

amantes  non  longe  a  caro  eorpore  abesse  volunt        Cat.  66.32. 
However,  in  the  first,  the  materialistie,  the  "atomistic,"  Lueretius  is  probably  think- 
ing,  without  tenderness,  of  the  eflSuvium  of  corporeality  that  emanates  from  gods  as 
well   as   humans.    In    the   second,   it   is   true,    we   do   indeed  have   tenderness — but 
probably  also  strong  overtones  of  earnality. 

16.  The  use  of  the  plural  itself  is  signifieant:  in  OF  the  only  plural  form  I  have 
noticed  is  nos  cors  (=:  "you  and  I") — exeept  when  a  reflexive  relationship  is  in- 
volved.   Conversely,  a  *nostra  corpora  did  not  exist. 

17.  Note  that  in  English  one  would  hardly  say  "a  crowd  of  persans". 


76  CORONA 

ing  of  the  individual,  the  personal,  about  it.  Usually  corpus 
figures  in  an  impersonal  expression  (ullius  corpori  =  "any- 
body";  liberum  corpus  ^=^''2.  [any]  freedman"),  but  even  when 
a  particular  person  is  involved  the  connotation  is  still  per- 
functory:  note  the  specifying,  the  legalistic  tone  of  vicarium  se 
pro  patris  corpore  dedit  =  "in  the  stead  of  his  father"  (X  in- 
stead  of  A;  "the  party  of  the  first  part  .  .  ."). 

For  corpus  could  be  applied  to  sticks  and  stones  as  easily  as 
to  humans : 

diviso  corpore  mundi  in  maria  ac  terras  et  sidera  Aetna  102 

atomas  . . .  id  est  corpora  individua  propter  soliditatem  Cic.  fin.  1.17 

quaedam  continua  esse  corpora  ut  hominem;  quaedam 
esse  composita,  ut  navem,  domum.  Sen.  CIL  6 

(C£.  also  parietis  corpus;  corpora  ßammarum;  corpus  aquae;  raro  cum 
corpore  tellus;  coloris  et  corporis  terra.) 

Corpus  was  what  all  objects  possessed  and,  when  designating  a 
person,  this  word  presents  him  as  a  human  object;  instead  of 
emphasizing  his  humanness,  that  which  sets  him  apart  and 
entitles  him  to  consideration  as  an  individual,  it  emphasizes 
that  which  he  shares  with  all  the  different  Orders  of  creation, 
ref erring  to  him  by  means  of  the  lowest  common  denominator : 
matter,  substance.  Corpus  simply  guarantees  that  he  possesses 
substantiality,  occupies  space,  can  be  touched,  seen,  pointed  to, 
labeled  as  belonging  to  a  certain  class,  catalogued  X  in  contrast 
to  A/« 

It  is  obvious,  then,  that  the  ceremonial  tone  of  OF  son  cors, 
the  Suggestion  of  concern  for  the  personality  of  the  person- 
designated,  is  lacking  with  Latin  corpus:  such  a  nuance  is  not, 
after  all,  an  inevitable  corollary  of  the  bodily  etymology  of  the 
Word.  But  not  only  is  this  true  of  the  (one  might  say)  "spir- 
itual"  connotation,  it  is  also  true  of  the  physical — i.e.,  in  the 
sense  of  vital.  For,  the  definition  suggested  above  of  son  cors 
was  twofold:  ''tht-pcrson-in-ihe-flesh  envisaged  with  concern," 
that  is,  the  living,  breathing  person.    But  in  these  Latin  ex- 

18.  Latin,  however,  was  not  lacking  a  periphrasis  that  took  account  of  the 
Personality:  this  was  often  achieved  by  means  of  the  word  persona  (cf.  Hans  Rhein- 
felder, Das  Wort  Persona,  Halle,  1928). 


SON  CORS  IN  OLD  FRENCH  77 

amples  with  corpus,  he  does  not  even  breathe.  He  is  a  lump,  an 
object.  Corpus  respects  neither  the  soul  nor  the  flesh/^ 

And  so  the  apparent  parallel  which  the  Latin  development 
oflers  is  a  specious  one:  corpus  (cdicuius)  fails  to  explain  OF 
son  cors. 

Just  what  the  source  of  this  expression  may  be  was  sug- 
gested  by  Professor  Spitzer  in  his  reply  to  Elise  Richter:  "Alt- 
französisch td  r^ötr  =  Neufranzösisch  ta  viandeV  {Neuere 
Sprachen,  XL,  1932,  483-486).  In  his  article  he  rejects  her  as- 
sumption  that  OF  ta  char  originated  as  a  vulgarism ;  he  insists, 
rather,  that  it  is  the  product  of  a  religious  milieu  (as  would 
likewise  be  true  of  ton  cors),  and  owes  its  use  to  Christian 
experience  and  Christian  doctrine:  "Aber  mit  dem  Kommen 
des  Erlösers,  mit  seinem  Abstieg  in  die  Fleischlichkeit  (Ver- 
bum  caro  factum)  ist  das  Fleisch  auch  wieder  rehabilitiert:  es 
gibt  ein  'heiliges  Fleisch'":  in  Avant  que  la  virginite  de  la 
vierge  conneue  Ne  vostre  sainte  cars  venue  ist  nicht  "die  Bedeu- 
tung schon  schillernd  zwischen  'Person'  und  'pronominaler 
Umschreibung,'  sondern  die  ganze  sinnliche  Stärke  des 
ursprünglichen  Ausdrucks  vorhanden:  das  heilige  Fleisch 
Christi,  das  ans  Kreuz  geschlagen  wurde."  And,  since  God 
himself  did  not  scorn  to  take  on  the  flesh,  so  it  became  possible, 
as  never  before,  to  think  of  the  flesh  with  tenderness  and  rev- 
erence,  as  a  symbol  of  the  indwelling  spirit — and  thus,  to  desig- 
nate  a  person  through  reference  to  his  body. 

Following  this  Suggestion,  I  went  back  to  the  earlier  texts  to 
examine  the  treatment  of  the  "fleshly"  theme  in  the  religious 

19.  The  use  in  Greek  o£  soma  furnishes  an  interesting  parallel  to  that  of  corpus. 
Soma  originally  designed  a  swollen  mass,  according  to  Boisacq  (the  older  derivation 
from  the  stem  of  sozo  "I  save":  literally  "the  spoils,  the  corpses  that  are  reclaimed 
after  a  battle"  is  rejected  by  modern  linguists),  and  its  use  in  referring  to  persona 
seems  to  have  been  first  restricted  to  that  of  dead  human  bodies.  Hesiod  is  the  first 
to  use  it  to  refer  to  a  live  body;  in  Homer  it  is  found  only  twice  in  that  sense,  as 
compared  to  six  appearances  with  the  meaning  "corpse."  Then.  like  corpus,  soma 
began  to  be  used  to  designate  the  person  himself.  but  as  an  "object":  the  one  example 
that  Plato  offers  of  this  use  is  in  a  legali^tic  context  (Nomci);  the  two  phrases  in 
which  it  is  most  frequently  to  be  found  are  somata  dula  (cf.  corpora  servd)  and 
somata  eleuthera  (cf.  corpora  libera).  Evidently  it  was  first  applied  to  slaves,  to 
labe!  them  as  chattel,  and  then  the  complementary  expression  designating  the  freed- 
men  was  evolved.    (This  information  was  given  me  by  Professor  Paul  Friedländer.) 


78  CORONA 

writings.  In  the  Passion^^  chair  appears  frequently  to  remind 
US  of  the  Incarnation  of  the  Savior,  of  the  mystery  and  the 
tragedy  of  his  crucified  flesh: 

des  que  carn  pres.  interra.  fu. 
per  tot  obred  que  uerus  deus 
per  tot  sosteg  que  hom  carnals.  ...         6-8 

De  laz  la  croz  estet  mariae 

de  cui  ihs  uera  carn  presdre 

cum  cela  carn  uidra  murir! 

quäl  agre  dol  nol  sab.  cm  uius; 

Ela  molt  ben  sab.  remembrar 

desoa  carn  cum  deus  £u  naz. ...      329-334 

Argent  ne  aur  non  i  donet 

masq;  son  sang  et  soa  carn 

deg  cel  enfern  toz  nos  liudret 

en  paradis  los  arberget. ...  385-388 

fort  ment  sun  il  espauentet 

illi  non  credent  que  aia  carn. ...      437-438 

In  this  work  cors  is  not  used  of  Christ  (except  in  reference 
to  his  dead  body).  But  in  the  hagiographical  writings  cors  ap- 
pears frequently,  used  with  a  connotation  hardly  less  reveren- 
tial,  to  refer  to  the  precious  flesh  of  the  saints:"^ 

20.  Wendelin  Foerster  and  Eduard  Koschwitz,  Altfmnzösisches  Übungsinich 
(Leipzig:  Reisland,  1911),  pp.  59-78. 

21.  In  so  far  as  we  can  judge  from  these  examples,  it  seems  that  (ta)  char  was 
rather  reserved  for  reference  to  Christ,  and  thus  may  have  retained  a  connotation 
slightly  more  sacred  than  {ton)  cors.  This  may  be  the  reason  for  the  comparative 
infrequency  of  ta  char  =  "toi-meme"  in  the  later,  nonreligious  texts:  the  type  men- 
tioned  by  Tobler  and  Spitzer  (A  fin  que  ma  char  sott  de  par  luy  conseillie)  is  seldom 
found.  And,  indeed,  the  few  examples  that  we  do  find  may  be  largely  due  to  the 
influence  of  ton  cor.f=  "toi-meme":  neither  in  the  early  texts  nor  in  later  periods 
was  there  any  evidence  of  an  important  development  of  char  into  a  periphrasis  for 
designation  of  the  person-as-a-whole  (and  the  same  may  be  said  of  chies,  personne, 
and  membres,  which  Tobler  considers  as  on  the  same  level  with  cors). 

Interestingly  enough,  in  the  Chansons  char  appears  in  two  connections,  quite  dis- 
tinct  one  from  the  other:  reference  to  Christ  {"sire,  pour  la  sainte  char  Dien," — B-W, 
205.36)  and  quite  carnal  reference  to  humans  {il  le  lad  mie  en  char  tiichiet — Gl 
133);  it  could  even  be  used  for  "meat,"  since  viande  did  not  yet  exist  in  this  re- 
stricted  sense.  It  is  as  if  the  forcefulness  of  its  use  in  designating  Christ  is  enhanced 
by  its  very  fleshly  connotations:  either  the  flesh  alone,  in  its  crudest  sense,  or  eise  the 
body  of  the  incarnate  Christ.   Thus  the  miracle  of  the  Incarnation  is  emphasized. 


SON  CORS  IN  OLD  FRENCH  79 

Leger^^ 

Apres  ditrai  vos  dels  aanz 

Que  li  suos  corps  susting  si  granz       9-10 

Et  cum  il  l'aud  toUut  lo  quev, 

Lo  corps  estera  sobre  .Is  piez.        229-230 

Entro.l  talia  los  pez  dejus, 
Lo  corps  estera  sempre  sus. 
Del  corps  asaz  l'avez  audit, 
Et  dels  flaiels  que  granz  sustint. 
L'anima  reciut  Domine  Deus;        233-237 

Et  si  en  corps  a  grand  torment, 
L'anima.n  awra  consolament.  173-174 

Sainte  Foi^^ 

Lo  corps  es  beiz,  e  paucs  l'estaz; 

Lo  senz  es  gencer  qe  dinz  jas.  76-77 

Corps  avez  de  genta  tenor: 

Filla  semblaz  d'emperador.  241-242 

la  fornaz  ... 

0.11  corps  d'aquella  sancta  jaz 

Raustiz  el  ferr  et  escaraz.  357'358 

Remas  lo  corps  truncs  e  rezis 

Aissi  con.l  gladis  l'a  aucis.  391-392 

Sus  la  paused  sobre.l  foger, 

Lo  corps  tot  nud,  cast  et  enter.      335-336 

Aqell  angels  qei  es  venguz, 

Aujaz  quäl  deintad  i  aduz; 

Corona  d'aur  qe  plus  reluz, 

Non  fa.l  soleilz  q'uand  es  creguz. 

Cuberg  li'l  corps  q'era  totz  nuz 

D'un  pali  q'es  ab  aur  batuz.  364-369 

Feiron  i  dui  monge  obertura; 
Traissum  lo  corps  per  gran 

gentura.  433-435 

(Cf.  alsOj  in  reference  to  Christ:  Pres  fo.l  seus  corps,  lo  precios:  Judeu 
l'aucidrun  enveios.  307-308.) 

22.  Joseph  Linskill,  Saint  Leger  (Paris:  Droz,  1937). 

23.  Ernest  Hoepffner   and   Prosper  Alfaric,  La   Chanson   de  Sainte  Foy,   Vol.  I 
(Paris:  Societe  d'edition,  1926). 


8o  CORONA 

Tantes  dolurs  ad  pur  tei  anduredes  ... 

E  tantes  lermes  pur  le  ton  cors  pluredes!        397-399(471-472) 

Sa  fin  aproismet,  ses  cors  est  agravet;  289 

Regut  l'almosne,  quant  Deus  la  li  tramist; 

Tant  en  retint  dunt  ses  cors  puet  guarir;        98-99 

Dis  e  set  anz  n'en  fut  ni'ent  a  dire: 

Penat  sun  cors  el  Damne  Deu  servise.  161-162 

De  la  viande  ki  del  herbere  li  vint, 

Tant  an  retint  dunt  sun  cors  an  sustint; 

Se  lui'n  remaint,  sil  rent  as  poverins; 

N'en  fait  musgode  pur  sun  cors  engraisser,  251-254 

Trent'e  quatre  anz  ad  si  sun  cors  penet;         276 

Trestuz  le  prenent  ki  pourent  avenir; 

Cantant  enportent  le  cors  saint  Alexis, 

E  tuit  li  preient  que  d'els  aiet  mercit.  506-508 

(332;  544;  598  also  refer  to  the  dead  body) 
Iloec  an  portent  danz  Alexis  a  certes 
Ed  attement  le  posent  a  la  terre. 
Felix  le  liu  ü  sun  saint  cors  herberget!  568-570 

(grant        ...  pur  cel  saint  cors  qu'il  unt  en  lur  bailie. 
ledice)      Co  lur  est  vis  que  tengent  Deu  medisme.       538-539 

In  most  cases  this  cors  that  is  mentioned  so  often  can  only 
be  interpreted  (even  when  combined  with  son),  as  the  body, 
the  holy,  martyred  body  of  the  saint.  Here  we  have  a  Situation 
quite  diflerent  from  that  of  the  Chansons;  in  most  o£  these 
examples  it  would  be  impossible  to  see  in  son  cors  a  reference 
to  personahty :  instead,  it  must  be  interpreted  only  as  the  body, 
the  holy  martyred  body  of  the  saint,  But  it  is  interesting  to 
note  the  frequency  with  which  his  body  is  referred  to;  such 
writings  are  concerned  primarily  with  the  physical  suffering 
and  martyrdom  of  the  saint,  and  the  author  follows  this,  step 
by  Step,  reminding  us  with  cors,  that  it  is  the  actual  body  of  the 
saint  that  has  suffered. 

Moreover,  these  texts  are  permeated  with  an  attitude  of  con- 
cern,  even  worship,  for  the  body  of  the  saint.  The  body  of 
Leger  is  accorded  mysterious  powers.   In  Sainte  Fol  it  is  the 

24.  christopher  Storey,  Saint  Alexis  (Paris:  Droz,  1934). 


SON  CORS  IN  OLD  FRENCH  8i 

martyred  body  of  the  saint  that  receives  the  crown  "shining 
brighter  than  the  noon-day  sun";  the  beauty  of  her  body  is 
twice  described;"^  and  the  cruel  sword  is  said  to  have  "killed" 
her  body.  In  Alexis,  nine  times  is  his  body,  though  dead, 
graced  with  the  epithet  "saint"  ;^^  it  is  his  body  that  the  people 
pray  to;  it  is  his  body  that  the  city  desires  so  anxiously  to  guard; 
it  is  the  possession  of  this  body  that  puts  them  in  such  joy  that 
"it  did  seem  to  them  that  God  was  in  their  keeping." 

In  a  few  cases  it  would  be  possible  to  extend  the  reference 
of  son  cors  to  the  "person-as-a-whole"  (Pres  fo.l  seus  corps,  lo 
precios;  Penat  sun  cors  el  Damne  Deu  servise;  Sa  fin  aproismet, 
ses  cors  est  agravet).  But  I  do  not  believe  that  in  these  texts  the 
development  son  cors  =  "lui-meme"  has  been  fully  accom- 

25.  Kurt  Tromm,  "Altfranzösisch  bei  in  der  Bedeutung  'lieb' "  (Z.f-R-S.,  XL  VI, 
441-449),  discusses  the  treatment  o£  the  theme  "beauty  of  soul  and  body"  that  is  to 
be  found  in  the  writings  of  the  Church  fathers.  To  many  o£  them  there  was  an 
innate  relation  between  the  two;  we  even  find  the  belief  expressed  that  the  relation 
was  an  absolute  one,  the  body  inevitably  reflecting  the  nature  of  the  soul  (p.  466): 
Corporis  in  gestu  radiant  insignia  mentis  (Engelmodus).  But  even  though  this 
combination  may  not  always  be  met  with  in  reality,  to  them  it  was  the  ideal  condi- 
tion.  Thus  we  find  so  frequendy  in  the  writings  dealing  with  the  lives  of  the  saints, 
a  description  of  their  physical  beauty  (p.  443):  Pulchra  jade  sed  ptdchrior  fide 
(Marienlegende);  bei  auret  corps,  bellezour  anima  (Etdalie). 

But  this  physical  beauty  was  subordinate  to  spiritual  beauty,  prccious  only  in  so 
far  as  it  was  indeed  a  mirror  of  the  spiritual  beauty  even  more  precious:  usually  it 
was  stated  that  the  beauty  of  their  soul  surpassed  that  of  their  body,  and  in  one  casc 
where  this  corrective  qualification  is  missing  {Sainte  Foi,  241-242)  the  editor  calls 
our  attention  to  the  fact  that  this  flattering  physical  description  comes  from  the  Ups 
of  Dacien,  who  wishes  to  seduce  the  saint!  Physical  beauty  in  itself,  though  a  gift  of 
God,  is  the  least  of  his  gifts — and  may  be  a  curse,  if  not  illumined  by  the  spirit 
within.  Even  Augustine,  the  lover  of  beauty,  says  (448) :  ctiius  pulchrum  corpus  est 
et  deformis  animus,  magis  dolendus  est,  quam  si  deforme  haberet  et  corpus. 

This  same  balance,  according  to  Tromm,  is  also  to  be  found  in  the  romances  of 
chivalry:  Mout  est  bele,  mas  miaus  assez  Vaut  ses  savoirs  que  sa  biautez.  However, 
so  far  as  I  have  been  able  to  observe,  this  overshadowing  of  physical  beauty  by  the 
spiritual  was  not  the  current  tendency  in  the  worldly  literature.  For  the  most  part 
the  poet  was  satisfied  to  describe  the  appearance  of  his  characters,  to  dub  them  "fair 
of  form  and  face,"  and  let  us  take  their  spiritual  worth  for  granted:  Gent  cors  ot  et 
bele  jeture  (Equitan  33);  Gent  ad  le  cors,  gaillart  e  ben  seant,  Cler  le  visage  .  .  . 
(Rolland  31 15-31 16).  Even  the  beauty  of  Ganelon  is  admitted:  Cors  ad  gaillard,  el 
vis  gente  color  {ibid.  3763),  though  a  trace  of  the  theological  idea  remains,  since  it 
is  suggested  that  his  spiritual  deformity  prcvents  his  beauty  from  being  completc: 
S'ils  fust  leials,  ben  resemblast  barun  {ibid.  3764). 

26.  Such  epithets  are  also  found  in  medieval  Latin  texts;  cf.  the  earlier  Latin 
metrical  version  of  Sainte  Foi  (Alfaric,  op.  cit.,  II,  189-197):  membra  beata  (256); 
Sacra  membra  (266);  sanctissima  corpora  (269);  saa-a  corpora  (275). 


82  CORONA 

plished :  I  think  we  would  lose  the  real  emphasis  of  these  pas- 
sages,  and  would  fail  to  see  the  reason  for  the  beginning  of  this 
development,  if  son  cors  were  accepted  here  as  equivalent  to 
the  person."^ 

Rather,  I  think,  in  these  passages  where  a  personal  pronoun 
would  not  be  out  of  place,  we  should  look  upon  son  cors  as  a 
deliberate  Substitution  for  the  pronoun  in  order  to  emphasize 
the  body.  "II  fut  pris"  would  present  a  tragic  enough  fact,  but 
pres  fo.l  seus  corps  reminds  us  that  the  wicked  enemies  of 
Christ  laid  hands  upon  his  precious  body;  se  penat ...  would 
inform  us  adequately  of  Alexis'  self-mortification,  but  penai 
sun  cors  shows  a  concern  for  the  physical  eilects  of  his  self- 
imposed  martyrdom  that  finally  led  to  the  collapse  of  his  body 
(ses  cors  est  agrevet).  Unless  an  emphasis  on  the  body  is  pos- 
sible,  son  cors  is  not  apt  to  be  found;  when  this  expression  is 
used,  there  is  regularly  a  streng  physical  implication  present, 
and  this  should  not  be  discounted. 

This  insistence  on  the  body,  concern  for  the  body,  is  an 
interesting  note  in  texts  strictly  religious.  And  it  is  probably 
to  be  explained  by  the  mystical  connection  that  was  feit  to  exist 
between  body  and  soul:  cors  is  substituted  for  the  colorless 
pronoun  in  order  to  emphasize  the  body — but  the  body  is  em- 
phasized  because  of  its  spiritual  connotations !  Thus  the  em- 
phasis is  at  the  same  time  carnal  and  ascetic.  For  it  was 
through  his  body  that  the  saint  worked  out  his  soul's  salvation. 
The  account  of  his  physical  afflictions  amounts  to  a  recital  of 
his  spiritual  victories. 

Thus  the  martyrdom  of  the  saint  reflected  the  miracle  of  the 
Incarnation  and  Crucifixion ;  his  body  was  a  symbol,  a  precious 
vessel  of  the  soul — precious  in  itself,  too,  as  a  chalice  is  precious 
that  has  contained  a  holy  wine. 

But  it  was  separate  from  the  soul — as  a  chalice  is  separate 
from  the  wine.  And  it  did  not  matter  greatly  whether  the  body 

27.  The  one  exception  in  the  Alexis  is  the  phrase  tantes  lermes  pur  le  ton  cors 
pluredes;  here  we  do  have  a  reference  ta  the  person.  But  this  phrase,  used  once  by 
the  father  (399),  once  by  the  wife  (412),  of  Alexis  Stands  out  in  sharp  contrast  to 
all  the  other  appearances  of  son  corps:  in  these  lines  (and  in  these  lines  alone)  the 
"saint"  is  not  involved.   We  have  here  to  do  with  a  human  being — a  son,  a  husband. 


SON  CORS  IN  OLD  FRENCH  83 

was  alive  or  dead.  It  was  perhaps  more  precious  when  dead: 
only  then  was  it  qualified  by  "saint"  (as  if  in  anticipation  of  the 
post  mortem  miracles  whereby  the  t/ertu  of  the  saint  was  estab- 
Hshed).  Indeed,  when  a  saint  died,  it  was  cause  for  great  rejoic- 
ing:  when  Alexis  died,  "unches  en  Rome  n'en  out  si  grant 
ledice."  The  townsfolk,  jubilant,  rushed  to  touch  him,  rejoicing 
over  the  possession  of  this  body  that  was  mystically  impreg- 
nated  with  the  hoHness  of  his  soul,  confident  of  the  blessings 
that  would  accrue  to  their  city  from  the  presence  of  his  body 
in  their  midst  ("It  did  seem  to  them  that  God  was  in  their 
keeping").  And  when  the  father  wept  for  the  son  he  had  lost, 
the  "Apostle"  rebuked  him  sharply:  "What  boots  thy  noise? 
Thy  sorrow  to  us  is  joy."  For  they  had  the  precious  body  of  the 
saint.^^ 

Now  of  course  it  is  not  this  almost  ghoulish  note  of  adora- 
tion  of  the  flesh  that  we  find  in  the  Chansons.  When  son  cors 
is  taken  from  the  ascetic  (carnal-ascetic)  atmosphere  of  the 
cloisters  into  that  of  the  more  active  world  of  human  relation- 
ships — a  World  where  a  hero  has  lovers  and  enemies  and  com- 
panions  who  look  upon  him  as  a  person,  rather  than  worshipers 
to  whom  he  is  near-divinity  clothed  in  flesh — the  word  grows 
in  human  significance.   For,  to  Roland  who  cries  out  in  his 

28.  A  modern  (and  especially  a  Protestant)  reader  instinctively  recoils  from  the 
brutality,  the  callousness  to  human  grief,  shown  by  this  spokesman  of  the  jubilant 
throng.  And  there  is  something  horrible,  faintly  sickening,  in  the  picture  of  the 
exultant  mob,  hysterical  in  their  joy,  gloating  with  a  "sacred  gluttony"  (to  borrow 
the  phrase  that  Jules  Lemaitre  applied  to  Polyettcte)  over  the  "cors  saint,"  the 
precious  flesh — this  holy  trophy  now  in  their  keeping,  in  their  grasp. 

But  though  repellent  to  modern  instincts,  it  is  just  such  a  greedy  attitude  that 
pervades  the  whole  latter  portion  of  this  poem.  And  so  it  is  surprising  to  find 
Foerster  {San\t  Alexius,  Göttingen,  191 1)  refusing  to  accept  the  line  go  lur  est 
vis  qtie  tengent  Deu  fnedisme  on  the  grounds  that  the  desire  to  "have  hold"  of  God 
is  incomprehensible:  ".  .  .  es  ist  kaum  denkbar,  dass  dem  so  verständigen  und 
klaren  Dichter  .  .  .  eine  solche  Geschmacklosigkeit  hätte  einfallen  können."  Emil 
Winkler  ("Von  der  Kunst  des  Alexiusdichters,"  Z.f.R.P.,  XLVII,  595-596)  cites  this 
criticism  of  Foerster's,  asserting  that  the  line  in  question,  though  perhaps  rationally 
"ganz  unmöglich"  (as  the  latter  insisted)  is,  from  a  poetic  point  of  view,  "von 
höchster  Wirkung." 

Moreover,  as  concerns  the  concept  of  "having  God,"  Darmesteter  (Formation  des 
mots  composes,  Paris,  Bouillon,  1894,  pp.  166-167),  in  his  list  of  proper  names  com- 
poundcd  with  "-God"  that  were  quite  frequent  among  African  Christians,  includes 
among  them  "Habetdeum." 


84  CORONA 

grief,  "Sire  cumpainz  ...  Jamals  n'iert  hume  ki  tun  cors  cuntxe- 
vaillet,"  the  flesh  of  the  dying  Oliver  is  not  as  precious  as  was 
that  of  Alexis  to  his  worshipers.  He,  like  the  father,  wept  for 
the  man  who  had  died.  Ton  cors  to  him  was  not  the  flesh 
(made  sacred  by  a  miracle,  endowed  with  magic  properties  that 
might  save  him);  ton  cors  was  his  human  friend:  the  hardy 
knight,  the  wise  counselor.  He  was  much  more  concerned 
with  the  Personality  of  the  dead  hero  than  were  the  fellow 
townsmen  of  Alexis  who,  singing,  bore  him  to  his  grave.  A 
Saint  does  not  have  a  personality,  he  has  a  soul  wrapped  round 
with  a  body.  And  this  wrapping  is  "Li  cors  Alexis."  But  "li 
cors  Oliviers"  is  the  man,  Oliver. 

Here,  the  synthesis  of  body  and  soul  is  achieved  that  was 
lacking  in  the  saints'  lives.  But  the  tone  is  the  same.  The  fact 
that  ton  cors  could  be  used  on  such  an  occasion  as  the  death  of 
Oliver,  fit  to  express  the  passionate  tenderness  that  Roland  feit, 
and  the  reverence,  too,  for  the  man,  Oliver;  the  fact  that 
throughout  the  epical  and  lyrical  poetry  of  the  OF  period,  it 
was  used  to  refer  to  a  person  in  so  far  as  he  mattered  deeply — 
a  term  recognizant  of  the  worth  of  the  personality  of  the  indi- 
vidual,  evocative  of  "the  person  in  the  flesh  envisaged  with 
concern":  this  is  not  to  be  explained  by  etymology  alone.  It  is 
perhaps  the  result  of  Christian  experience  and  doctrine,  of  the 
religion  of  Christ,  who,  through  the  flesh,  accomplished  the 
greatest  revelation  of  divinity  that  the  world  has  known.  Thus 
it  was  possible  in  the  saints'  lives  to  use  cors  so  frequently,  so 
tenderly  and  reverently,  to  speak  of  flesh  that  was  more  than 
flesh;  so  that,  later  still,  in  the  Chansons,  the  most  poignant  and 
the  most  noble  way  to  address  another  could  be  "thy  body.""® 

29.  The  combination  of  possessive  adjective  +  corps  has,  obviously,  continued  in 
the  language,  but  the  expression  "son  cors"  as  we  have  seen  it  in  the  Chansons,  has 
disappeared.   The  reasons  for  this  disappearance  were  perhaps  twofold: 

In  the  first  place,  this  expression  underwent  the  fate  of  many  another  lyrical 
creation;  it  was  attacked  by  formallzation.  We  have  already  seen  a  tendency  in  this 
direction  with  such  verbs  as  armer  son  cors  etc.,  in  which  the  emotive  connotation  of 
son  cors  was  lost.  Other  evidence  of  this  tendency  is  to  be  seen  in  the  use  of  son 
cors  in  certain  cliches  where  the  main  emphasis  is  a  demonstrative  one: 
I     por  son  cors  Encontre  mei  Ten  covendra  combatre 

Ou  Chevalier  qui  por  son  cors  le  face     CL  2371-2372 


SON  CORS  IN  OLD  FRENCH  85 

ABBREVIATIONS 

AN      Aucassin  et  Nicolette,  ed.  Mario  Roques  (Paris:  Champion,  1925) 

in  "Classiques  fran^ais  du  moyen  äge." 
BA      La  bataille  d' Aleschans  in  Guillaume  d'Orange,  ed.  M.  W.  J.  A. 

Jonckbloet  (La  Haye:  Nyhoff,  1854). 
Bis       "Bisclavret"  in  Les  Lais  de  Marie  de  France,  ed.  J.  H.  Ed.  Heitz 

(Strasbourg:  Bibliotheca  Romanica,  n.d.). 
B-W    Bartsch-Wiese,    Chrestomathie    de   l'ancien    jranqais    (loth    ed.: 

Leipzig:  Vogel,  1910). 


2  par  son  cors  (seul)  Ne  mengere  si  t'aure  chier  rendu, 

Et  par  mon  cors  mate  et  confondu  BA  1254-1255 

3  (il)  ses  cors  (metsmes)     Ce  dit  li  contes  que  il  ses  cors  en  ocist 

les  .X.  Artus  (Godefroy) 

4  sans  (fors)  son  cors         ...  quant  il  n'a  si  rice  home  en  cest  pais, 

sans  le  cors  le  conte  Garin,  s'il 

trovoit...  A  +  N   XXII,    17 

5  //  cors  d'un  tel  ...  fut  tout  esbahy  comment  li  corps  Lancelot  du  Lac 

d'un  seul  chevalier  povoit  ce  faire  (Godefroy) 

— to  which  might  be  added  the  formulae  noted  above  //  cors  Deu,  li  cors  saint ... 
and,  in  later  prose  writings  particularly,  //  cors  le  roi. 

In  (i)  and  (2)  an  emotive  nuance  is  still  latent,  and  may  have  originally  been 
feit  quite  strongly  {por  mon  cors  ^=^  "for  my  own  sake";  par  mon  cors,  emphasizing 
the  idea  of  self-esteem) — as  is  also  true  of  the  "titles":  //  cors  Deu,  li  cors  le  roi. 
In  the  case  of  (4)  likewise  the  demonstrative  emphasis  need  not  exclude  a  subjective 
connotation:  in  the  example  above  there  is  a  slight  titular  flavor,  and  in  such  a  onc 
as  jurerai ...  c'onques  nul  home  fors  vostre  cors  n'amai  {^Chanson,  B-W,  45,  22)  this 
connotation  is  quite  evident.  It  is  (3)  and  (5)  that  represent,  perhaps,  the  expression 
at  its  most  fossilized,  but  these  seem  almost  entirely  limited  to  prose  writings.  As 
for  the  Chansons,  one  may  still  find  in  the  fourteenth  Century  son  cors  used  vi^ith 
füll  value  (in  the  brief  selection  of  152  lines  from  Baudouin  de  Sebourc  included  in 
B-W  one  may  find  five  examples  of  this  type) ;  however,  the  formalizing  tendency 
which  begins  to  appear  frequendy  in  the  prose  works  of  the  thirteenth  Century  finally 
succeeded  in  sapping  the  vitality  of  this  expression:  it  may  well  be  that  in  Baudouin 
de  Sebourc  we  have  to  do  with  a  mere  mechanical  continuation  of  a  stylistic  poetic 
tradition. 

But  the  grammaticalization  of  an  expression  does  not  necessarily  entail  its  dissolu- 
tion:  ossification  often  acts  as  a  preservative.  Why  did  son  cors  cease  to  exist  (with 
the  exception  of  a  son  corps  defendant  and  «72  drole  de  corps)  even  in  fossilized 
phrases?  Why  do  we  not  srill  have  a  pour  son  corps,  un  corps  d' komme  for  demon- 
strative or  impersonal  use,  or  such  "titles"  as  le  corps  de  Dieu,  le  corps  du  roi? 
The  answer  surely  lies  in  a  shift  of  values  that  has  taken  place:  after  the  decline  of 
medieval  civilization  and  of  the  concepts  upon  which  it  was  based,  the  word  corps 
perhaps  appeared  too  "physical"  to  suit  the  tastes  of  latcr  generations  who  favored 
expressions  more  abstract  (cf.  "la  personne  du  roi"  by  which  Du  Gange  translates 
corpus  regis  [fifteenth  Century]). 

And  so  son  cors,  first  grammaticalized,  and  then  abandoned  as  a  designation  of  the 
person,  is,  in  the  modern  language,  reduced  to  its  original,  unsanctified,  elements 
(^chair,  likewise,  has  sufifered:  ta  chair  is  now  an  arrant  vulgarism:  "amene  ta 
chair!") — le  cors  Dieu  still  survives  in  corbleu. 


86  CORONA 

CL  Le  couronnement  de  Louis,  ed.  E.  Langlois  (Paris:  Firmin  Didot, 
1925)  in  "Societe  des  anciens  textes  fran^ais." 

CN      "Li  Charrois  de  Nymes"  in  Guillaume  d'Orange. 

CR      Le  chanson  de  Roland,  ed.  Joseph  Bedier  (Paris:  Piazza,  1921). 

CV       "Li  covenans  Vivien"  in  Guillaume  d'Orange. 

Eli       "Eliduc"  in  Les  Lais  de  Marie  de  France. 

Erec     Erec  und  Enide,  ed.  Wendelin  Foerster  (Halle:  Niemeyer,  1890). 

Gl  Gormont  et  Isembart,  ed.  Alphonse  Bayot  (Paris:  Champion, 
1914)  in  "Classiques  frangais  du  moyen  äge." 

PO       "La  prise  d'Orange"  in  Guillaume  d'Orange. 

Tr  Le  roman  de  Tristan  par  Thomas,  ed.  Joseph  Bedier  (Paris:  Fir- 
min Didot,  1902)  in  "Societe  des  anciens  textes  francais." 

Yon     "Yonec"  in  Les  Lais  de  Marie  de  France. 

Yv  Der  Löwenritter  (Yvain),  ed.  Wendelin  Foerster  (Halle:  Nie- 
meyer, 1887). 

APPENDIX 

In  regard  to  the  use  o£  "Body"  in  other  medieval  languages  as  a 
designation  of  the  person,  I  have  found  nothing  that  would  indicate  that 
the  development  represented  by  OF  son  cors  was  quite  duplicated  else- 
where. 

As  for  German,  Grimm  {op.  cit.,  pp.  265-266)  calls  attention  to  the 
tendency  in  MHD  to  use  the  word  lip  for  a  person,  citing  several 
examples  from  the  Nibelungenlied  (dii  hast  geschendet  dinen  schoenen 
lip;  si  jähen,  daz  gesunder  unser  deheines  lip  . . .);  he  even  suggests  that 
this  use  of  lip  influenced  the  development  of  son  cors.  I  am  not  com- 
petent  to  judge  whether  or  not  lip  ever  reached  the  peculiar  significance 
that  son  cors  attained  in  Old  French.  However,  even  if  this  were  the 
case,  the  development  of  lip  would  still  not  be  quite  analogous  to  that 
of  cors,  for  the  meaning  "body"  was  only  the  secondary  meaning  of  the 
German  word;  its  original  meaning  was  "life,"  and  before  the  second 
half  of  the  eleventh  Century  it  is  to  be  found  only  in  that  meaning  and 
in  the  meaning  "person"  (according  to  Helene  Adolf,  Wort  geschicht- 
liche Studien  zum  Leib-Seele-Problem,  "Mittelhochdeutsch  lip  'Leib' 
und  die  Bezeichnungen  für  ccn-pus,"  Vienna,  1937,  p.  13).  Thus  with 
this  word  "person"  is  not  a  development  of  "body"  but  of  "life." 

As  for  Italian,  Rheinfelder  {op.  cit.,  pp.  50-54)  discusses  the  develop- 
ment "body"  — >  "person"  as  seen  in  the  use  of  persona.  This  word,  of 
long  history  and  involved  signification  in  Latin,  was  used  often  in 
Romance  with  the  meaning  "body,"  and  in  Italian,  particularly,  this 
persona  =  "body"  came  to  designate  the  person  as  a  whole  (.  .  .  la  bella 
persona  che  mi  fu  tolta — Dante),  representing,  moreover  (according  to 
Rheinfelder),  an  affective  term  betraying  the  same  nuance  of  emotional 


SON  CORS  IN  OLD  FRENCH  87 

concern  and  emphasis  on  "the  person  in  the  flesh"  that  we  have  tound 
with  son  cors.  However,  the  fact  that  persona  could  be  used  of  dead 
bodies  and  of  the  bodies  of  animals  (even  though  only  when  a  nuance 
of  tenderness  was  desired)  would  suggest  that  its  connotation  was  not 
quite  the  same  as  that  of  son  cors,  nor  is  there  any  indication  that  the 
use  of  persona  could  compare  in  frequency  with  that  of  son  cors.  Again, 
as  was  true  of  lip,  we  have  here  to  do  with  "body"  as  a  secondary  mean- 
ing.  It  is  corpo,  of  course,  that  has  this  meaning  as  the  primary  one,  but 
this  Word,  according  to  Rheinfelder,  was  completely  lacking  in  an  emo- 
tive implication  and  was  used  only  to  designate  the  body,  never  a  person 
(however,  one  finds  in  Dante,  cited  by  Tommaso-Bellini:  Questi  e  corpo 
humano  [i.e.,  not  a  ghost]  che  voi  vedete . . .,  which  could  well  be 
translated  "this  is  a  human  being,  person"). 

Finally,  in  English,  a  somewhat  similar  development  of  "body"  has  left 
traces  in  the  modern  language:  cf.  the  indefinite  expressions  "anybody," 
"nobody"  (and  "if  a  body  meet  a  body  coming  through  the  rye,  and 
a  body  kiss  a  body  ..."),  and  "classifying"  epithets  such  as  "busybody." 
In  Middle  English,  according  to  E.  Einenkel  {Geschichte  der  historischen 
englischen  Syntax,  Strasbourg,  1916,  p.  65),  the  frequent  use  of  "body" 
to  designate  a  person  was  modeled  after  the  use  of  cors  in  Old  French, 
and  he  calls  attention  to  the  expressions  with  the  possessive,  "my  body," 
"thy  body"  (^  "myself,"  "thyself"),  which  represent  the  same  tendency 
of  mon  cors,  ton  cors. 

However,  from  the  little  study  that  I  have  attempted  of  this  problem 
in  Middle  English — iimiting  myself  almost  entirely  to  the  use  of  "body" 
in  Chaucer  (cf.  Fred  N.  Robinson,  Chaucer's  Wor\s,  Cambridge  Edi- 
tion, New  York,  Houghton  Mifflin,  1933) — I  have  found  no  one  ex- 
ample  that  would  clearly  indicate  that  "thy  body"  ever  reached  the  stage 
of  development  that  is  illustrated  in  jamais  n'iert  hum  \i  tun  cors  cuntre- 
vaillet. 

In  the  first  place,  the  distinction  between  the  physical  body  and  the 
person,  as  maintained  in  OF  through  the  distinction  between  the  con- 
structions  le  cors  and  son  cors,  does  not  have  a  parallel  in  ME.  Con- 
sequently,  we  often  find  "thy  body,"  etc.  used  when  the  emphasis  is 
strongly  or  even  exclusively  physical;  contrary  to  the  Old  French  pro- 
cedure  we  find  this  Compound  expression  used  in  reference  to  a  dead 
body,  and  in  passages  contrasting  "body"  and  "soul";  "body"  and 
"heart":  "And  of  thy  light  my  soule  in  prison  highte,  That  troubled  is 
by  the  contagioun  Of  my  body"  {Second  Nun's  Priest' s  Tale,  11.  71-73); 
and  in  situations  where  the  implication  is  clearly  physiological  ("That  of 
the  fere  bis  body  sholde  quake" — Troilus  and  Criseyde,  Bk.  V,  1.  1256; 
cf.  Voit  le  Guillaume ,  tot  le  cors  //  fremist — PO,  1.  687),  or  carnal 
("Certes,  this  is  the  foulest  thefte  that  may  be,  whan  a  womman  steleth 
hir  body  from  hir  housbonde,  and  yeveth  it  to  hire  holour  to  defoulen 


88  CORONA 

hire;  and  steleth  hir  soule  fro  Crist  .  .  .,"  Parson's  Tale,  1.  875).  Indeed, 
the  carnal  emphasis  is  present  quite  frequently;  for  example,  the  phrases 
"to  sin,  trespass  with  her  body"  seem  to  be  reserved  solely  to  designate 
the  sexual  act  {Physicians  Tale,  1.  138;  Fran1{lin's  Tale,  1.  1366).  And 
that  such  was  definitely  not  the  connotation  o£  son  cors  is  seen  in  the 
example  quoted  above,  Vus  faites  grant  vilanie,  A  vostre  cors  hunise- 
ment,  Quant  il  vus  aime  ...  E  vus  vers  li  vus  cuntenez  Cum  vers  home 
que  nient  n'amez,  where  the  shame  of  the  subject  consists  in  her  lack  of 
passion — a  coldness  which  is  itself  a  sin  that  mars  her  personality. 

Not  always  of  course  is  there  an  emphasis  upon  the  physical;  in 
"Oure  lige  lordes  seel  on  my  patente  That  showe  I  first,  my  body  to 
warente"  {Pardoner' s  Tale,  11.  337-338)  no  specifically  physical  emphasis 
was  intended;  here  we  have  the  person  himself.  But  in  so  many  cases 
this  "person"  seems  to  be  very  much  like  the  one  of  the  Latin  examples — 
the  human  object,  X,  Y,  er  Z.  Notice  the  legalistic  tone  of  "I  have  the 
power  durynge  al  my  lyf  Upon  bis  propre  body,  and  noght  he"  {Wife 
of  Bath's  Tale,  11.  158-159)  and  the  Statistical  (that  has  crystallized  in 
"anybody")  of  "Men  neded  not  in  no  cuntree  A  fairer  body  for  to 
seek"  {Romance  of  the  Rose,  11.  560-561);  cf.  also  "a  better  body  drank 
neyuer  wine"  (1340;  NED).  Moreover,  the  concept  ^0(iy  =  "mass,  sub- 
stance,  matter,  form"  which  was  found  in  mundi  corpus  is  also  seen  in 
"Parfourned  hath  the  sonne  his  ark  divine;  No  longer  may  the  body  of 
him  sojourne  On  th'orisonte"  {Merchant's  Tale,  11.  1795-1797);  while 
the  phrase  "caitiff  body"  {Parson's  Tale,  1.  270),  like  the  Latin  corpora 
vilia,  again  contrasts  with  Old  French  usage. 

However,  I  have  been  able  to  find  two  examples  where  a  subjective 
nuance  toward  the  person  is  undoubtedly  present:  "My  joly  body  shal  a 
tale  teile"  (Prologue,  Shipman's  Tale,  1.  1185)  and  "Whoso  me  seeth,  he 
seeth  sorwe  al  atonys,  Peyne,  torment,  pleynte,  wo,  distresse  Out  of  my 
woful  body  härm  ther  noon  is"  {Troilus  and  Criseyde,  Bk.  IV,  11.  841- 
843) — a  nuance  given  by  the  adjectives  woful,  joly.  But  it  is  also  to  be 
noted  that  in  both  cases  the  individual  is  referred  to  emphatically  in 
contrast  to  others:  in  the  first,  the  Speaker  declares  that  apart  from 
herseif  no  sorrow  exists;  she  has  so  much  woe  that  no  one  eise  can  have 
any.  In  the  second,  the  Shipman,  objecting  to  the  Host's  Suggestion  that 
a  "Lollard"  be  the  next  Speaker,  insists:  "my  joly  body  [i.e.,  not  he] 
shal  a  tale  teile."  And,  as  long  as  we  find  this  expression  serving  the 
practical  purpose  of  distinguishing  X  from  A  (even  a  "joly  X"  or  a 
"woful  X"),  the  extent  of  the  emotive  content  seems  to  me  to  be  ques- 
tionable. 

It  is  of  course  quite  possible,  however,  that  a  further  study  of  this 
ME  usage  would  show  much  more  similarity  with  OF.  And,  at  least,  a 
"joly  body"  would  have  surely  been  impossible  in  Latin  (to  say  nothing 
of  its  use  in  the  first  person). 


THE  ORTHOGRAPHIC  CONFLATION  OF  NOMINAL 

COMPOUNDS  IN  MHG  BASED  ON  A  STUDY  OF 

THE  MANESSE  MANUSCRIPT 

ROBERT  H.  WEiDMAN,  University  of  Wisconsin 

ONE  OF  the  most  conspicuous  features  of  the  German 
vocabulary  is  its  wealth  of  nominal  Compounds.  (In 
this  study  a  nominal  Compound  shall  be  defined  as  a 
Compound  containing  at  least  two  independent  Clements  [free 
forms],  of  which  at  least  one  is  a  Substantive  or  of  Substantive 
derivation.)  A  comparison  of  German  v^ith  English  reveals 
not  only  a  diflerence  in  the  number  of  Compounds  in  the  tw^o 
languages,  but  also  some  differences  in  the  types  of  Compounds 
and  in  their  Orthographie  treatment. 

Although  Orthographie  usage  in  English  is  firmly  estab- 
lished  in  regard  to  many  Compounds,  such  as  afternoon,church- 
yard,  railway,  on  the  other  band  in  many  cases  everyone  w^ho 
v^rites  in  the  English  language  has  at  times  been  uncertain  as  to 
whether  he  should  w^rite  a  particular  expression  as  one  w^ord, 
tv^o  w^ords  w^ith  a  hyphen,  or  two  vv^ords  w^ithout  a  hyphen. 
For  instance,  is  it  wee\  end,  wee\-end,  or  weekßnd?  Upon 
looking  the  word  up  in  Webster's  Collegiate  Dictionary 
(Fourth  Edition)  one  will  find  it  is  given  as  wee\-end,  notic- 
ing,  however,  that  the  preceding  lemma  is  wee\  day.  The 
Shorter  Oxford  Dictionary  (1937)  confirms  the  spelling  weck- 
end (dated  from  1879),  but  whereas  Webster  gives  wee\  day, 
it  gives  weekßay  (dated  from  1546  in  its  usual  present-day 
sense).  Nevertheless,  in  the  two  illustrative  passages  it  is 
spelled  wee\-day  both  times. 

In  contrast  to  the  lack  of  consistency  in  the  treatment  of 


90  CORONA 

Compounds  in  English  is  the  consistency  governing  usage  in 
German.  The  present  regularity  of  practice  in  German  in  this 
respect  has  been  established,  however,  only  after  a  long  period 
of  the  uncertainty  that  still  prevails  in  English.  It  is  by  examin- 
ing  the  Orthographie  treatment  of  nominal  Compounds  in  Mid- 
dle  High  German,  as  represented  in  the  Manesse  Manuscript, 
that  the  writer  hopes  to  throw  some  light  on  the  evolution  of 
this  practice. 

The  edition  of  the  Manesse  Manuscript  (Pariser  Lieder- 
handschrift, or  Große  Heidelberger  Liederhandschrift,  often 
referred  to  as  C)  used  in  this  study  was  that  of  Friedrich  Pf  äff : 
Die  große  Heidelberger  Liederhandschrift  in  getreuem  Textab- 
druc\  (Heidelberg,  1899-1909).  For  faithfulness  of  reproduc- 
tion  the  best  possible  edition  would  have  been  the  facsimile 
edition  of  Sillib,  Panzer,  and  Haseloff  (Heidelberg,  1925-1929), 
but  it  would  have  been  available  to  the  writer  only  at  great 
inconvenience.  The  facsimile  edition  naturally  has  an  advan- 
tage  over  Pfaff 's  edition  in  the  matter  of  accuracy,  for  no  man's 
eflorts  can  be  as  free  from  error  as  a  Photographie  reproduction. 
However,  in  favor  of  the  PfafT  edition  it  must  be  emphasized 
that  the  task  of  reading  the  entire  manuscript  and  selecting  the 
material  used  in  this  study  (which  is  part  of  a  more  compre- 
hensive  study  of  nominal  Compounds  in  C),  would  have  re- 
quired  an  impossible  amount  of  time  and  effort  if  the  facsimile 
edition  had  been  used.  The  latter  is  reproduced  on  sheets  of 
folio  size,  arranged  not  in  the  sequence  of  book  pages,  but  in 
the  Order  in  which  the  original  sheets  lay  when  unbound  for 
Photographie  reproduction.  Furthermore,  Pfaff' s  arrangement 
of  the  text,  giving  each  verse  on  a  separate  line  instead  of  in  a 
continuous  line  interrupted  only  by  a  Reimpmi\t,  while  a 
deviation  from  the  strictest  conception  of  a  diplomatic  repro- 
duction, certainly  makes  the  text  more  readily  comprehensible 
without  affecting  its  reliability  as  far  as  this  study  is  concerned. 

As  the  question  of  Pfaff's  accuracy  in  general  is  naturally 
an  important  one  for  the  value  of  the  findings  of  this  study,  I 
shall  try  next  to  determine  the  degree  of  his  accuracy. 


NOMINAL  COMPOUNDS  IN  MHG  91 

In  his  comment  on  the  first  fascicle  (1899)  Roethe,  An- 
zeiger für  deutsches  Altertum,  XXV,  152-155,  points  out  a  few 
inaccuracies,  commenting  especially  on  Pfaff's  tendency  to  re- 
produce  Compounds  written  separately  instead  of  as  one  word, 
admitting,  however,  "Es  ist  nicht  immer  leicht  zu  entscheiden, 
ob  in  der  Hs.  zwei  Silben  zusammengeschrieben  sind  oder 
getrennt."  He  closes  his  comments  with  the  Statement,  ". . .  den 
billig  Urteilenden  werden  die  kleinen  Fehlerlisten  oben  in  der 
Anerkennung  von  PfafTs  gewissenhafter  Sorgfalt  nicht  beirren." 
Ehrismann  praises  the  accuracy  of  the  edition  in  his  comment 
on  the  lirst  fascicle,  in  Zeitschrift  für  deutsche  Philologie, 
XXXII,  96-100;  in  a  second  article,  in  the  same  Journal,  XLV, 
309-311,  written  upon  the  completion  of  the  edition,  he  is 
slightly  more  critical  of  it,  but  still  "dankbar"  for  it.  Baesecke, 
in  Deutsche  Literaturzeitung  (1910),  pages  1824-26,  remarks 
principally  on  the  tendency  noted  by  Roethe,  citing  two  instances 
of  false  Separation  in  the  fourteen  strophes  compared  by  him 
with  the  Photographie  reproduction  of  the  original:  somer  zit, 
für  war  in  Pfaff  instead  of  somerzit,  fürwar.  Other  reviews  of 
the  edition  were  either  without  comment  on  its  accuracy,  or 
unavailable. 

Carl  V.  Kraus,  page  x  of  his  tenth  edition  of  Die  Gedichte 
Walthers  von  der  Vogelweide  (Berlin  and  Leipzig,  1936),  re- 
fers to  Pfaff's  edition  as  "ein  nicht  durchaus  verläßlicher  Ab- 
druck." In  an  eflort  to  determine  just  how  unreliable  Pfaff  is, 
according  to  Kraus's  Standard  of  accuracy,  I  have  compared 
his  edition  of  C  with  Kraus's  Mittelhochdeutsches  Übungsbuch 
(Second  Edition;  Heidelberg,  1926),  where  on  pages  188-199 
are  reproduced  the  lyrics  of  Otto  v.  Bottenlaube  which  are  to 
be  found  in  C.  Kraus  used  as  his  source  a  Photographie  copy 
of  C,  and  indicates  in  footnotes  discrepancies  between  Pfaff  and 
the  original.  Below  I  shall  give  in  two  columns  the  text  accord- 
ing to  Kraus  and  Pfaff  respectively,  giving  the  instances  of  dis- 
crepancy  noted  in  Kraus's  footnotes;  the  signature  before  the 
words  in  the  first  column  refers  to  the  Strophe  and  verse  num- 
ber  in  Kraus's  edition. 


92 


CORONA 

V.  Kraus 

^M 

2C7 

tut 

cvt 

3C5 

eines 

einer 

4C7 

nv 

nv 

6C  2 

lieber 

liber 

herre 

here 

iiC  4 

were 

mere 

16C  34 

wirt 

wird 

98 

solde 

sold 

145 

svsse 

süsse 

But  Kraus  has  süsse  in  his  text, 
svsse  in  the  footnote. 

169 

svlt 

hvlt 

219 

eide. 

eide 

19C3 

e 

e 

21C  I 

Wächter 

wahter 

4 

müst  \sic\ 

müst 

{sic\ 

5 

owe 

0  we 

owe 


In  423  lines  he  has  indicated  16  errors;  two  o£  these  (16C 
145,  21C  4)  cannot  be  used  as  a  control  factor  because  Kraus 
errs  there  himself;  hence  if  we  reckon  14  errors  in  423  lines 
there  would  seem  to  be  an  average  of  one  error  in  every  30.2 
lines.  It  appears  that  Kraus  has  been  more  accurate  than  Pfa£f, 
but  even  he  has  not  been  completely  successful  in  avoiding 
errors,  since  he  is  only  88  per  cent  correct  in  calling  errors  on 
Pfaff.  If  on  this  basis  we  estimate  the  number  of  errors  in  the 
approximately  64,800  lines  of  Pfaff's  text  at  about  2,144,  only 
one  seventh  of  these,  or  roughly  300,  would  involve  errors  in 
the  rendering  of  syllables  as  written  together  or  separately.  It 
must  be  remembered  of  course  that  not  all  errors  of  this  nature 
would  involve  nominal  Compounds. 

A  further  check  on  Pfaff 's  accuracy,  however,  is  oflered  by 
Clara  Rieke  in  her  dissertation.  Die  V o\alzeichen  in  der  großen 
Heidelberger  Liederhandschrift  (Greifswald,  1917).  This 
work,  based  on  Pfaff's  edition  as  its  source,  is  devoted  to  a 
study  of  the  diacritical  markings  used  by  the  various  copyists 
of  the  manuscript.  On  page  2  she  writes,  "Da  Pfafls  Abdruck 
ziemlich  viele  Fehler  enthält  .  .  .  habe  ich  alle  von  mir  be- 
handelten Spalten  mit  der  photographischen  Wiedergabe  der 


NOMINAL  COMPOUNDS  IN  MHG  93 

ganzen  Handschrift . .  .  verglichen."  In  a  section  (pp.  148-156) 
entitled  "Berichtigung  von  Druckfehlern  in  Pfafls  Abdruck" 
she  lists  769  errors  among  the  material  used  in  her  thesis.  Most 
of  the  errors  involve  confusion  of  the  long  -s  and  round  -s,  v 
and  u,  v  and  v,  -ht  and  -cht,  misplaced  or  omitted  rhyme  points, 
etc.  Of  the  769  errors  noted  by  her,  only  18,  or  2.34  per  cent, 
involve  Orthographie  combination.  These  are: 


PM 

MS 

ze  minnen  28,4 

zeminnen 

en  binne  58,26 

enbinne 

al  eine  176,5 

aleine 

en  siht  180,17 

ensiht 

vn  wert  229,44 

vnw^ert 

darane  230,33 

darane 

für  war  524,4 

fürwar 

zerichen  59,9 

ze  riehen 

verderben  113,11 

ver  derben 

geliehen  362,34 

ge  liehen 

zefru  645,9 

ze  fru 

zergat  646,4 

zer  gat 

ansach  649,36 

an  saeh 

verswunden  753,21 

ver  swunden 

vertrib  755,22 

ver  trib 

zvtzir  764,1 

zvtz  ir 

meisterschaft  1176,7 

meister  schaft 

zelobe  1436,12 

ze lobe 

In  seven  cases  PfafI  errs  in  reproducing  tw^o  elements  separately, 
and  in  eleven  cases  he  errs  in  giving  them  written  together.  On 
the  basis  of  Miss  Rieke's  corrections,  it  w^ould  seem  that  PfafI 
erred  slightly  more  often  in  w^riting  w^ords  together  than  in 
v^riting  them  separately,  contrary  to  the  observations  of  Roethe 
and  Baesecke. 

A  resume  of  these  various  checks  on  Pfafl's  accuracy  is  as 
follows:  Based  on  a  relatively  minute  portion  of  his  w^ork, 
Kraus's  examination  indicates  that  Pfaff  has  made  an  average  of 
one  inaccuracy  in  every  30.2  lines,  and  that  one  seventh  of  these 
inaccuracies  involve  Orthographie  conflation.  More  reliable 
than  these  estimates,  because  they  are  based  on  a  larger  portion 


94  CORONA 

o£  the  material  in  question,  are  the  findings  of  Miss  Rieke. 
These  indicate  that  of  769  errors  in  PfafI,  18  involve  Ortho- 
graphie conflation,  therefore  that  2.34  per  cent  of  the  errors, 
which  occur  perhaps  once  in  30.2  Hnes,  might  a£fect  the 
accuracy  of  this  present  study.  The  findings  of  Miss  Rieke 
contradict  the  observations  of  Roethe  and  Baesecke  in  regard 
to  a  tendency  one  way  or  the  other  to  reproduce  incorrectly 
elements  capable  of  Orthographie  conflation. 

When  one  considers  that  this  study  embraces  4,409  occur- 
rences  of  nominal  Compounds,  it  seems  safe,  therefore,  as  far 
as  the  source  is  concerned,  to  accept  as  vaUd  the  relative  statis- 
tics  yielded  by  it. 

In  studying  the  frequency  of  the  conflation  of  nominal  Com- 
pounds in  C,  the  material  was  examined  from  these  points  of 
view: 

(i)  What  is  the  nature  of  the  first  dement  of  the  Compound — (a)  Sub- 
stantive, or  (b)  nonsubstantive  (adjective,  numeral,  etc.)? 

(2)  If  the  first  element  is  a  Substantive,  is  the  Compound  (a)  asyntactic 
(type  himelvart),  or  (b)  syntactic  (type  ögenweide)? 

(3)  How  often  does  the  word  occur? 

(4)  Is  it  written  together  as  one  word  (conflated),  or  separately? 

Among  the  1,674  nominal  Compounds  found  in  C  (occurring 
a  total  of  4,409  times),  the  distribution  was  then  found  to  be 
as  follows: 

TABLE  I 

WoRDs  Occurring  Only  Once 

Nature  of  Substantive 

first  member:  asyntactic          syntactic    Nonsubstantive        Total 
Written 

separately:  313(68%)         563(97%)         84(58%)         960(81%) 
Written 

together:  148(32%)           19(3%)         61(42%)         228(19%) 


Total  461  582  145  1,188 

TABLE    2 

WoRDs  Occurring  More  than  Once  with  Equal  Distribution 
AS  TO  Conflation 
Nature  of  Substantive 

first  member:      asyntactic  syntactic      Nonsubstantive        Total 

26(S2%)  10(20%)  14(28%)  50 


NOMINAL  COMPOUNDS  IN  MHG  95 

These  50  words  occurred  a  total  of  112  times. 

TABLE  3 

WoRDS  OcCURRING  MoRE  THAN  OnCE  AND  WITH  No  DiVISION 

AS  TO  CONFLATION 

Nature  of  Substantive 

first  member:  asyntactic          syntactic    Nonsubstantive        Total 
Written 

separately:  66(59%)         164(95%)         23(47%)         253(76%) 
Written 

together:  46(41%)             8(5%)         26(53%)           80(24%) 


Total  112  172  49  333 

The  total  number  of  occurrences  involved  in  this  group  was 
1,382,  of  which  1,031  (75%)  were  written  separately,  351 
(25%)  as  one  word. 

TABLE  4 

Words  Occurring  with  Unequal  Distribution  as  to  Conflation 
The  words  here  being  placed  in  the  category  of  the  majority  of  occur- 
rences, both  as  to  conflation  and  to  asyntactic  or  syntactic  character. 


Nature  of 

Substantive 

first  member: 

asyntactic 

syntactic 

Nonsubstantive 

Total 

Written 

separately: 

18(41%) 

II  (46%) 

16(46%) 

45  (44%) 

Written 

together: 

26(59%) 

13(54%) 

19  (54%) 

58(56%) 

Total  44  24  35  103 

The  total  number  o£  occurrences  involved  in  this  group  was 
1,727,  of  which  627  (36%)  were  written  separately,  and  1,100 
(64%)  as  one  word. 

We  see  that  the  conflation  of  Compounds  increases  with  the 
f requency  of  occurrence  of  the  words : 

TABLE  5 

Frequency  of  Written             Written        Total 

occurrence  separately          together 

a.  Words  occurring  once:  960(81%)  228(19%)        1,188 
b.* 

*  Group  b  need  not  be  included  in  such  a  compilation,  since  it  comprises  only 
occurrences  of  equal  distxibution  as  to  conflation;  hence  the  total  number  of  words 
involved  here  is  1,624  instead  of  1,674. 


96 


CORONA 


c.  Words  occurring  more  than 
once,  with  no  division  as  to 
conflation: 

d.  Words  occurring  more  than 
once,  with  unequal  distribu- 
tion  as  to  conflation: 

Total 


253  (76%)  80  (24%)  333 


45  (44%)         58  (56%)  103 


1258(77.5%)     366(22.5%)     1,624* 


The  1,674  diflferent  nominal  Compounds  in  C  occurred  a 
total  number  of  4,409  times,  with  the  following  frequency  of 
conflation  among  all  occurrences;  arranged  in  the  same  order 
as  the  above  compilation,  the  figures  show  an  increase  in  con- 
flation with  the  increase  of  the  occurrence  of  the  words : 


Frequency  of 
occurrence 


Total 


TABLE   6 

Written 

separately 

960  (81%) 

56(50%) 

1,031  (75%) 

627(36%) 

Written 
together 
228(19%) 
56(50%) 

351  (25%) 
1,100  (64%) 

Total 

1,188 

112 

1,382 

1,727 

2,674  (61%) 

1,735  (39%) 

4,409 

Further  analysis  of  the  data  shows  that  the  type  of  Com- 
pound most  frequently  written  as  one  word  is  the  type  with  a 
nonsubstantive  initial  element  {hcdbteil,  hohvart,  zvueierhande , 
etc.);  next  in  frequency  of  conflation  is  the  asyntactic  Com- 
pound with  an  initial  Substantive  element  (type  himelvart), 
and  last  is  the  syntactic  Compound  with  an  initial  Substantive 
element  (type  ögenti/eide).  Arranged  in  the  same  order  as  the 
preceding  compilations  (with  Omission  of  group  b),  the  figures 
are  as  f ollows : 

TABLE  7 


First 

'Nonsubstantive 

Substantive 

element 

a. 

ib.) 
c. 
d. 

together         separately 
61  (42%)       84  (58%) 

26(53%)       23(47%) 
19  (54%)        16  (46%) 

asyntactic 

together         separately 

148(32%)     313(68%) 

'46(41%)       66(59%) 
26(59%)        18(41%) 

syntactic 
together      separately 
19(3%)    563(97%) 

8(5%)     164(95%) 
13  (54%)    II  (46%) 

106  (46.5%)  123  (53.5%) 

220  (35-6%)  397  (64.4%) 

40(5%)    738(95%) 

NOMINAL  COMPOUNDS  IN  MHG  97 

In  comparison  to  the  types  himelvart  and  hohvart,  the  syn- 
tactic  type  of  Compound  ö genweide  and  \uniges  rat  is  younger, 
and,  as  a  matter  of  fact,  as  the  writer  will  attempt  to  demon- 
strate  in  another  study,  was  an  Innovation  of  the  Late  OHG 
period  which  reached  approximately  its  present  degree  of  im- 
portance  in  the  German  vocabulary  in  the  MHG  and  Early 
NHG  periods.  The  results  of  the  study  just  mentioned  indicate 
that  whereas  in  OHG  only  about  7  per  cent  of  the  nominal 
Compounds  with  an  initial  Substantive  element  were  syntactic, 
in  MHG  45  per  cent  were  syntactic.  Arising  from  a  shift  of 
the  attributive  genitive  from  a  pre-position  to  a  post-position, 
beginning  in  the  Late  OHG  period  and  completed  in  the  Early 
NHG  period,  this  type  of  syntactic  juxtaposition  was  still  im- 
perfectly  recognized  as  a  Compound  in  MHG,  as  is  often  the 
case  with  a  contemporary  development.  Probably  also  because 
of  the  inflectional  ending  of  the  first  element  these  Compounds 
were  most  of  the  time  written  as  separate  words,  in  the  ordi- 
nary  manner  of  words  in  a  sentence,  as  in:  nv  hilf  mir,  edelr 
küniges  rat  430,36.  On  the  other  hand,  the  types  himelvart 
and  hohvart,  not  having  an  inflectional  ending  on  the  first 
element,  and  thus  more  readily  recognizable  as  words  not  being 
used  together  in  a  free  syntactic  construction,  were  more  likely 
to  be  written  together  than  the  syntactic  type.  Hence  we  find 
the  type  hohvart  written  together  46.5  per  cent  of  the  time,  the 
type  himelvart  35.6  per  cent  of  the  time,  and  the  type  ögen- 
weide  only  5  per  cent  of  the  time  (Table  7). 

If  we  examine  Table  7  from  a  different  viewpoint,  we  see 
that  the  more  frequently  a  particular  Compound  occurred,  the 
more  often  it  was  conflated,  which  would  suggest  that  the  more 
familiär  a  particular  Compound  was  to  the  scribes,  the  more 
obviously  it  would  seem  a  Compound  to  them,  and  they  ac- 
cordingly  would  write  it  as  such  all  the  more  often.  Thus  in 
the  case  of  the  Compounds  with  a  nonsubstantive  initial  ele- 
ment (type  hohvart)  we  note  an  increase  in  the  frequency  of 
conflation  from  42  per  cent  of  the  words  in  group  a  (words 
occurring  once)  to  53  per  cent  of  the  words  in  c  (words  occur- 
ring  more  than  once,  with  no  division  as  to  conflation),  and  54 


98  CORONA 

per  Cent  of  the  words  in  d  (words  occurring  more  than  once,, 
with  unequal  distribution  as  to  conflation).  Similarly,  in  the 
case  of  Compounds  with  an  asyntactic  Substantive  initial  ele- 
ment  (type  himelvart),  we  note  an  increase  from  32  per  cent 
in  group  ^  to  41  per  cent  in  group  c  and  59  per  cent  in  group  d. 
Finally,  even  in  the  case  of  Compounds  with  a  syntactic  Sub- 
stantive initial  dement  (type  ö gen  weide),  conflation  increased 
from  3  per  cent  in  ä  to  5  per  cent  in  c,  and  to  54  per  cent  in  d. 

In  Support  of  the  reliability  of  these  higher  percentages  (54 
to  59  per  cent),  one  may  refer  to  Tables  5  and  6,  which  indicate 
that  while  there  was  a  decrease  in  the  number  of  lemmas 
involved  in  the  categories  a,  c  and  d,  the  total  number  of  oc- 
currences  in  these  categories  increased.  The  resulting  figures 
indicating  the  highest  frequencies  of  conflation,  being  based  on 
a  larger  number  of  occurrences,  are  therefore  probably  more 
reliable  than  those  figures  based  on  a  smaller  number  of  occur- 
rences and  indicating  lower  frequencies. 

From  this  high  incidence  of  conflation  in  the  case  of  the 
most  frequently  used  nominal  Compounds  (54  to  59  per  cent), 
it  seems  probable  that  the  writing  together  of  Compounds  was 
already  established  in  principle  in  the  MHG  period  as  the 
proper  way  to  write  them.  In  spite  of  the  fairly  frequent  Sep- 
aration even  of  prefixes  and  particles  from  the  second  element 
of  Compounds,  such  as  in  ver  derben,  ge  liehen,  zer  gut,  to  say 
nothing  of  the  Separation  of  other  types  of  elements  that  less 
obviously  belong  together  with  a  foUowing  element,  conflation 
was  evidently  not  just  an  occasional  or  accidental  thing.  On 
the  contrary,  conflation  appears  to  have  taken  place  as  the  result 
of  a  natural  feeling  on  the  part  of  the  scribes  that  the  com- 
plementary  elements  of  a  Compound  notion  belonged  together 
not  only  as  far  as  their  meaning  was  concerned,  but  also  in  the 
"Schriftbild."  So,  all  according  to  their  familiarity  with  an 
expression,  their  intuition  for  sensing  the  bound  nature  of  its 
elements,  and  the  amount  of  care  they  took  in  their  workman- 
ship,  scribes  of  the  MHG  epoch  sometimes  wrote  Compounds 
as  one  word,  and  sometimes  not. 

Usage  as  to  conflation  continued  to  be  irregulär  even  until 


NOMINAL  COMPOUNDS  IN  MHG  99 

well  into  the  modern  period  of  the  language,  until  the  eight- 
eenth  Century.  Before  that  time,  in  Early  NHG,  the  usage  was 
as  foUows,  as  described  by  V.  Moser,  Frühneuhochdeutsche 
Grammatik^,  1.  Bd.,  i.  Hälfte  (Heidelberg,  1929),  page  10: 
"Die  Zusammenschreibung  und  Trennung  von  Worten  und 
Wortteilen  ist  besonders  im  Äfrnhd.  noch  sehr  willkürlich. 
Seit  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jhs.  tritt  dann  zwar  eine 
gewisse  Reglung  des  Gebrauchs  ein,  doch  bestehen  auch 
im  17.  Jh.  noch  keine  allgemeinen  Gesetze  dafür.  .  .  . 
Zusammensetzungen  von  Nominibus  sind  äfrnhd.  noch  sehr 
häufig  getrennt  geschrieben  (haupt  leut,  kirch  weih,  sunnen 
schyn  .  .  .  usw.),  woneben  jedoch  die  gleichen  Komposita  im 
selben  Druck  auch  schon  verbunden  vorkommen.  Im  Laufe 
des  16.  Jhs.  wird  dann  die  Zusammenschreibung  immer  mehr 
zur  Regel;  aber  noch  bis  ins  17.  Jh.  findet  man  öfter  die 
getrennte  Schreibung  daneben  (Meer  Rauber,  Schutz  Engel 
usf.).  Andrerseits  werden  die  zusammengerückten  Bestandteile 
im  17.  Jh.  teilweise  durch  den  großen  Anfangsbuchstaben  des 
letztern  kenntlich  gemacht  (VatterLand,  StadtRichter  .  .  .) 
und  im  ausgehenden  Frnhd.  werden  dann  hier  in  weitgehen- 
dem Maße  Bindestriche  angewandt  (Schertz-Rede,  Abend- 
Stunde  .  .  .).  ...  Bei  präpositionalen  Verbindungen  herrscht 
z.  T,  bis  ins  17.  Jh.  Schwanken  in  der  Schreibung  (zu  rück  .  .  . 
neben  zurück  usw.)." 


ZWEI  FRANZÖSISCHE  NEOLOGISMEN 
LEO  SPITZER,  The  Johns  Hopkins  University 

PARAMILITAIRE^ 

UEBER  ENTSTEHUNG  und  Bedeutungswandel  dieses 
Wortes  referiert  ein  Artikel  des  "Temps"  vom  26.  XII. 
1935: 

AUTOUR  d'uN  NEOLOGISME 

Lors  de  la  seance  de  la  Chambre  du  6  decembre  dernier,  l'accord 
s'etait  fait  dans  l'enthousiasme  pour  accepter  tout  d'abord  le  desarme- 
ment  des  ligues,  puis  ensuite  leur  dissolution  "dans  la  mesure  oü  il  serait 
demontre  qu'elles  sont  paramilitaires."  Si  le  fait  de  desarmer  des 
groupements  ne  peut  preter  a  aucune  equivoque,  il  semble  bien  que  ceux 
des  deputes  qui  ont  insiste  sur  la  suppression  des  associations  "paramili- 
taires" n'avaient  pas  un  souvenir  precis  de  la  signification  du  mot  qu'ils 
mettaient  en  avant.  Pour  trouver  son  sens  veritable  il  £aut,  de  toute 
necessite,  remonter  aux  circonstances  dans  lesquelles  il  a  pris  naissance. 

Ce  neologisme  a  fait  son  apparition  au  cours  des  interminables  dis- 
cussions,  engagees  ä  la  Conference  des  Ambassadeurs  et  plus  tard  ä 
Geneve,  sur  les  associations  allemandes  qui,  d'apres  l'article  177  du  traite 
de  Versailles,  "ne  devaient  s'occuper  d'aucune  question  militaire."  Les 
delegues  frangais,  qui  creerent  le  mot  paramilitaire,  ne  l'employerent 
Jamals  pour  designer  des  ligues  dotees  ou  non  d'uniformes,  prenant  part 
ä  des  defiles  lors  de  manifestations  publiques  et  obeissant  ä  leurs  chefs. 
Toutes  les  associations  d'Allemagne  avaient  toujours  agi  ainsi  et  de  tels 
usages  n'etaient  pas  vises  par  les  interdictions  du  traite.  L'expression 
"paramilitaire"  fut  reservee  par  nos  representants  aux  ligues  qui  don- 
naient,  illicitement,  ä  leurs  membres  une  Instruction  les  rendant  aptes  ä 
la  guerre  et  leur  permettant  eventuellement  de  grossir  tres  rapidement  les 
effectifs  de  l'armee  reguliere. 

Dans  cet  ordre  d'idees,  l'association  paramilitaire-type  fut  longtemps 
celle  du   Casque   d'acier,   groupement   patriotique   sans   tendances   po- 

I.  Das  Belegmaterial  aus  französischen  Zeitungen  macht  beim  Jahre  1936  halt, 
dem  Datum  meiner  Übersiedlung  in  die  Vereinigten  Staaten. 


ZWEI  FRANZÖSISCHE  NEOLOGISMEN         loi 

litiques,  dont  le  marechal  Hindenburg  etait  president  d'honneur.  Elle 
avait  pour  devise:  "Le  sacrifice  et  les  armes  sont  ä  la  base  de  la  victoire" 
et  pour  but  "de  conserver  l'esprit  victorieux  de  1914  et  de  remedier  a  la 
suppression  du  service  obligatoire,  en  rendant  la  jeunesse  allemande  sus- 
ceptible  de  se  comporter  heroi'quement  pour  la  patrie." 

L'instruction  militaire  donnee  aux  volontaires  de  la  ligue  consistait 
en  marches  de  jour  et  de  nuit,  accomplies  avec  le  sac  progressivement 
Charge,  marches  au  cours  desquelles  plusieurs  kilometres  devaient  etre 
parcourus  avec  le  masque,  et  en  exercices  de  service  en  campagne  oü  la 
lecture  des  cartes,  l'orientation,  la  marche  ä  travers  bois,  l'utilisation 
offensive  et  defensive  du  terrain  etaient  minutieusement  etudiees.  Des 
seances  de  tir  ä  la  cible,  de  lancement  de  grenades  et  parfois  de  veritables 
manceuvres  011  s'affrontaient  deux  partis  opposes  completaient  l'ensem- 
ble  de  l'instruction  donnee. 

Les  principales  autres  ligues,  Association  hitlerienne  et  Association 
republicaine,  dont  les  intentions  politiques  etaient  nettement  declarees, 
se  livraient  ä  des  exercices  analogues,  avec  cette  seule  Variante  que  leurs 
groupes  de  combat  s'entrainaient  specialement  pour  les  batailles  de  rues. 
Mais,  quels  que  fussent  les  objectifs  futurs  poursuivis  par  ces  ligues,  elles 
violaient  le  traite  au  meme  titre  que  le  Casque  d'acier,  puisqu'elles  pre- 
paraient  au  metier  de  soldat  des  milliers  de  jeunes  gens,  auxquels  tout 
enseignement  militaire  demeurait  interdit.  Toutes  ces  associations  se 
trouvaient  donc  classees  sous  la  rubrique  "ligues  paramilitaires." 

Or,  ä  l'exception  des  societes  de  preparation  militaire  reconnues  par 
l'Etat,  il  n'existe  pas  en  France  d'associations  auxquelles  puisse  etre 
accole,  meme  approximativement,  le  qualificatif  invente  pour  les  ligues 
allemandes,  dont  nous  venons  de  rappeler  les  occupations.  Si  donc  l'ac- 
cord  sur  le  desarmement  avait  une  reelle  valeur,  celui  qui  fut  realise  sur 
la  dissolution  des  associations  paramilitaires  n'en  avait  aucune,  du  fait 
qu'il  ne  pouvait  s'appliquer  ä  personne. 

Le  projet  du  gouvernement  ne  faisait  d'ailleurs  aucune  allusion  au 
mot  "paramilitaire"  et  les  partis  d'extreme  gauche,  sans  doute  avises  de 
l'erreur  qu'ils  avaient  commise,  ne  reprirent  pas  dans  le  texte  qu'ils  firent 
adopter  ä  la  Chambre  au  cours  d'une  nuit  agitee  l'expression  ä  laquelle 
ils  paraissaient  avoir,  le  matin  meme,  attache  une  si  grande  importance. 

Halten  wir  also  an  den  zwei  Etappen  im  Leben  dieses 
Wortes  fest: 

(i)  geschaffen  im  Versailler  Friedensvertrag,  für  jene  deut- 
schen Vereinigungen,  die,  ohne  reguläres  Militär  zu  sein,  ihren 
Mitgliedern  eine  militärisch  kriegerische  Ausbildung  geben, 

(2)  übertragen  von  französischen  Linkskreisen  auf  fran- 
zösische Vereinigungen,  die  ihren  Mitgliedern  zwar  nicht  eine 


102  CORONA 

militärische  Ausbildung,  wohl  aber  Waffen  und  Uniformen 
geben,  um  im  innerpolitischen  Kampf  intervenieren  zu  kön- 
nen. Beide  Stadien  in  der  Entwicklung  sind  sprachwissen- 
schaftlich interessant.  Über  die  Bildung  als  solche  hat  Leon 
Berard  in  einer  Kammersitzung  (nach  dem  "Temps"  vom  25. 
XII.  1935)  geistreich  geäussert: 

...  Quid  s'il  s'agit  d'une  association  qui  projette  de  ruiner  les  institutions 
republicaines  et  de  saccager  l'unite  nationale  et  pouvant  etre  consideree 
comme  ayant  un  caractere  paramilitaire.?  Car  on  a  cree,  pour  l'appliquer 
aux  associations,  un  neologisme  ingenieux  ä  l'aide  d'un  prefixe  hellenique 
dejä  en  honneur  dans  la  terminologie  des  afifections  infectieuses.  (Rires.) 
En  tout  cas,  cette  association  est  particulierement  dangereuse.  C'est  une 
association  criminelle.  Les  chefs  sont  des  factieux.  Eh  bien,  le  legis- 
lateur  de  1901  a-t-il  prevu,  pour  eile,  la  dissolution  par  decret.'' 

Es  handelt  sich  tatsächlich  um  das  griechische  Präfix  Trapa- 
'über  hinaus,'  das  bisher  in  der  pathologischen  Medizin  einen 
abnormalen  oder  gesundheitswidrigen  Zustand  bezeichnete, 
allerdings  meist  bei  ebenfalls  griechischen  Stammwörtern: 
paralyse,  paranöia,  paralexie,  paralalie,  Paraphasie,  paraboulie, 
paresthesie,  wobei  diese  medizinischen  Ausdrücke  ihrerseits  an 
paralogtsme,  paradoxe  ihren  Anhalt  haben.  Der  unmittelbare 
Vorgänger  von  paramilitaire  ist  aber  offenbar  nicht  dieser  Ge- 
brauch von  Trapa-,  sondcm  derjenige,  welcher  sich  in  fievre 
paratyphdide  findet,  d.h.  ein  Fieber,  das  in  ähnlichen  Erschei- 
nungsformen wie  der  Typhus  auftritt  und  von  einem  dem 
Typhuserreger  ähnlichen  Bazillus  erregt  wird  (der  Ausdruck 
stammt  von  dem  Franzosen  Achard,  1896,  wie  mich  Kollege 
Philipp  Schwartz  belehrt),  daher  es  auch  nach  Larousse  du 
XX^  siede:  typhöidette  genannt  wird,  'kleiner  Typhus,'  also 
'nicht  richtiger'  Typhus,  mit  jenem  die  Ungleichheit  und  dabei 
doch  Ähnlichkeit  betonendem  Diminutiv  wie  in  flanellette 
'Art  Flanell.'  So  hat  offenbar  auch  Leon  Berard  in  obigem 
Ausspruch  empfunden.  Es  handelt  sich  also  hier  um  die  Be- 
deutung 'bei,'  'neben'  des  griechischen  Präfixes,  aber  nicht 
auszuschliessen  ist  die  Bedeutung  des  Krankhaften  und  Regel- 
widrigen ('kein  richtiger  Typhus')."  Vgl.  etwa  Celine,  "Baga- 

2.  Etwas   andersgeartet  ist   der   Gebrauch   von   para-   in  parapsychique:   "Terme 
propose  par    Boirac   et   approuve   par   Flournoy   pour    designer   les   phenomencs    de 


ZWEI  FRANZÖSISCHE  NEOLOGISMEN         103 

telles  pour  un  massacre,"  S.  iii:  "je  redigeais,  super-malin, 
amphigourique  comme  un  sous  Proust,  quart  Giraudoux,  para- 
Claudel," S.  171 :  "nos  ecrivains  lances ...  dans  la  plus  abraca- 
dabrante  imposture  de  ce  siecle, ...  par  l'accumulation  des  frene- 
sies  creuses,  des  simulacres  para-symboliques." 

Die  französischen  Unterhändler  bei  der  Friedenskonferenz 
haben  mit  paramilitaire  eine  sprachlich  kühne,  weil  hybride^ 
Bildung  geschaffen:  sie  wollten  die  Camouflage,  die  'Tarnung' 
von  Zivilisten  als  Militärs,  wie  sie  sie  bei  den  Deutschen  ver- 
muteten, mit  dem  Ausdruck  treffen,  gewiss  auch  etwas  Patholo- 
gisches, etwas  der  'Gesundheit'  in  französischem  Sinn  (nämlich 
der  securite  Frankreichs)  Zuwiderlaufendes:  ligue  paramilitaire 
ist  dann,  genau  parallel  dem  Paratyphus,  eine  deutsche  Vereini- 
gung, die  den  Effekt  des  Militärs  hervorruft  (Gefährdung 
der  Sicherheit  Frankreichs),  ohne  wirklich  militärischen  Ur- 
sprungs zu  sein  —  wobei  nur  dieser  Tatbestand,  nicht  die 
Absicht  der  Tarnung  festgestellt  wird:  pseudo-militaire  hätte 
indiskreter  diese  letztere  und  damit  schon  eine  böse  Absicht 
unterstellt.    Interessant  ist  dabei  zu  beobachten,  wie  die  franzö- 


prevision,  telepathie,  etc.,  ainsi  que  leur  etude  ...  Parapsychologie  a  ete  employe  dans 
le  meme  sens  par  K.  Oesterreich,  Der  0\k}dttsmiis  (1921).  Aug.  Lemaitre  a  designe 
par  Parapsychisme  un  etat  mental  temporaire  de  nature  intime  (reve,  manie,  Ob- 
session) qui  traduirait  une  crise  psychologique  obscure,  souvent  premonitoire  d'unc 
grave  maladie ...  L«  vie  mentale  des  adolescents  (1910)  ..."  (Claparede  in  Lalande, 
Dict.  phü.,  III,  S.  95) — also  para-  'über  hinaus'  (positiv  gewendet).  Paramditaire 
könnte  also  streng  sachlich  genommen  auch  als  'was  über  das  normale  Militär 
hinausgeht'  analysiert  werden,  wie  parapsychiqtie  'was  über  die  normale  Psychologie 
hinausgeht.'  —  Der  ältest  bezeugte  wissenschaftliche  Terminus  mit  para-,  den  auch 
Darmesteter,  Mots  nouveaux  (1877),  S.  245,  allein  anführt,  ist  paramagnetisme ,  'die 
Eigenschaft  der  Körper,  parallel  dem  Pol  sich  unter  dem  Einfluss  des  Magnets  einzu- 
stellen'), Gegensatz  diamagnetisme  ('die  dem  magnetischen  Einfluss  entgegengesetzte 
Eigenschaft'),  hier  ist  para-  nach  parallele  gemodelt.  —  Phil.  Schwartz  teilt  mir  mit, 
dass  manche  dieser  para-Bildungen  (wobei  die  von  rein  lokalem  para  abzweigenden, 
wie  parenterische  Ernährung  'E.  ausserhalb  der  Eingeweide',  paratyphditis  'Entzün- 
dung neben  dem  Blinddarm'  ausscheiden)  für  den  richtigen  Mediziner  auch  pejorativ 
klingen,  so  das  erwähnte  Parapsychologie  oder  auch  Paratuber\ulose  ('eine  Tuberku- 
lose, von  der  man  nichts  Richtiges  weiss').  In  ital.  Bnte  parastatale  ist  ein  para^=- 
'neben,'  ohne  pejorative  Nuance,  zu  verzeichnen.  Migliorini,  Lingua  contemporanea, 
S.  78  datiert  es  ab  1923  und  bezeichnet  es  als  charakteristisch  für  die  Zeit  der 
staatlichen  Überwachung  aller  früher  privaten  Initiative,  ohne  paramilitaire  zu 
erwähnen. 

3.  Dieser  Mangel  des  Wortes  (der  heutigen  Tages  nicht  allzu  schwer  wiegt,  vgl. 
automobile,  auto-suggestion,  pseudo-science  etc.)  wird  auch  noch  durch  die  Einreihung 
in  Nachkriegsbildungen  mit  Präfix   -f-   -militaire   (pre-,  postmilitaire)    ausgeglichen. 


104  CORONA 

sische  Wortschöpfung  dennoch  ein  Urteil  enthält,  anders  als 
in  dem  Vorbild  paratyphdide,  ein  Urteil  nämlich,  das  sich 
schon  allein  durch  die  Wortschöpfung  bekundet  —  was  benannt 
wird,  ist  möglich,  existiert,  bekommt  Realität,  es  wird  als 
real  hypostasiert.  Dies  Urteil  lautet  ungefähr:  'es  ist  möglich, 
dass  solche  Vereinigungen  sich  in  Deutschland  bilden.'  So 
gleitet  paramilitaire  dennoch  faktisch  hinüber  in  pseudo- 
militaire  (in  Fällen,  wo  kein  'Verdacht'  vorliegt,  so  für  das 
ferne  Ägypten,  taucht  gelegentlich  semi-militaire  auf).  Dass 
es  ein  Wort  der  Kritik  deutschen  Verhältnissen  gegenüber  ist, 
wird  durch  die  Tatsache  erhärtet,  dass  das  Wort  nie  von 
deutscher  Seite  aufgegriffen  worden  ist  —  logischerweise,  da 
Deutschland  die  Existenz  solcher  Pseudoformationen  militä- 
rischen Charakters  stets  abgeleugnet  hat.  Es  gab  in  der 
Propaganda  deutscher  Linksparteien  Ausdrücke  wie  schwarze 
Reichswehr,  getarntes'^  Militär,  halbpolitische  Wehrverbände, 
heimliche  Wehrverbände,  wovon  nur  der  erste  und  letzte  halb- 
wegs häufig  vorkommen  (so  z.B.  passim  in  Konrad  Heidens 
Hitler-Biographie),  der  erste  übrigens  auf  die  wirklich  von 
der  Reichswehr  vorgenommene  Einstellung  von  Zeitfreiwilli- 
gen zielt.  Aber  die  Zahl  dieser  Benennungen  und  die  Be- 
schränkung des  Gebrauchs  (in  Linkskreisen)  zeigt  schon  die 
Abneigung  gegen  die  Schaffung  dieses  Begriffs.  Begriffsprä- 
gung ist  Annahme  der  Existenz:  daher,  wo  die  Existenz 
geleugnet  wird,  man  den  Begriff  zurückweist.     Es  geht  hier 

4.  Der  Gegensatz  zwischen  frz.  Camouflage  und  dtsch.  tarnen  zeigt  auch  diese 
Macht  der  Stempelung  eines  Ausdrucks  durch  die  Sprache:  während  in  der  Sprache 
der  französischen  PoHtik  Camouflage  Heuchelei  und  uneingestandene  Zielverschiebung 
andeutet,  wurde  "193 1  .  .  .tarnen  von  den  Kämpfern  für  das  Dritte  Reich  zum  vater- 
ländischen Schlagwort  erhoben"  (Kluge-Götze);  vielleicht  war  letzterer  Bedeutungs- 
wandel {positive  Fassung  des  Wertes)  durch  den  ö//deutschen  Klang  des  neuaus- 
gegrabenen Wortes,  durch  seine  militärisch-xtchnKche.  Bedeutung  ('Decken  in  der 
Stellung  im  Krieg',  vgl.  Kluge-Götz;)  eher  mög'ich  als  in  Frankreich,  wo  schon 
der  heuchlerische  Klang  des  Wortes,  sein  Muffelgeruch  gleichsam  —  für  tarnen  im 
Parteileben  ist  jetzt  noch  se  maquiller  üblich  (so  R.  Millet  in  "Le  Temps"  vom  10.  I. 
1936),  was  einen  mehr  kokett-karnevalistischen  Beiklang  hat  — ,  aber  auch  die  un- 
militärische Geistesart  des  Volkes  einen  solchen  Aufstieg  verhindert  (vgl.  die  Wirkung 
der  fl-  Bezeichnungen  für  Heuchler  bei  Rabelai,;,  wie  mitoufle,  empantoufle).  Ver- 
gleichen kann  man  im  Französischen  und  Deutschen  die  neuere  Wiederausgrabung 
der  alten  Wörter  ligue  und  Bund  durch  die  Gruppen,  die  den  Frontgeist  hüben  und 
drüben  pflegen. 


ZWEI  FRANZÖSISCHE  NEOLOGISMEN         105 

ähnlich  zu  wie  bei  der  Erörterung  über  das  potentiel  de  guerre: 
französische  Militärkreise  haben  diesen  technischen  Ausdruck 
für  die  über  die  Kampfkraft  der  Reichswehr  hinausgehende 
Wehrfähigkeit  des  deutschen  Volkes,  sein  Reservoir  an  mili- 
tärisch ausnutzbaren  Menschen-  und  Materialwerten  ge- 
schaffen, das  durch  den  Friedensvertrag  nicht  richtig  erfasst 
worden  wäre.  Deutsche  Reichswehrkreise  haben  diesen  Begriff 
als  ein  Mythologem,  als  eine  Ausgeburt  einer  erhitzten  Angst- 
psychologie, bekämpft.  Gemeinsam  ist  paramilitaire  wie 
potentiel  de  guerre  die  Ausgangsvorstellung  von  einem  un- 
begrenzten Wehrwillen  des  deutschen  Volkes,  eine  Kritik  also, 
die  der  Kritisierte  nicht  anerkennen  will.  Die  geistige  Zurück- 
weisung des  Begriffs  spiegelt  sich  in  der  Ablehnung  des 
Wortes. 

In  dem  Augenblick  wo  das  Wort  nun  dem  Bedeutungs- 
wandel unterliegt  und  nicht  mehr  deutsche,  sondern  fran- 
zösische Vereinigungen  bezeichnet,  ist  ihm  der  Zutritt  in 
Deutschland  frei.  In  einem  Bericht  über  die  oben  erwähnte 
französische  Kammersitzung  spricht  die  "Frankfurter  Zeitung" 
vom  französischen  Justizminister,  "welcher  dafür  eintrat,  dass 
die  Entscheidung  über  den  paramilitärischen  Charakter  der 
Bünde  den  ordentlichen  Gerichten  anheimgestellt  werde"  —  es 
ergibt  sich  also  der  paradoxe  Zustand,  dass  das  Wort,  das  für 
deutsche  Verhältnisse  geprägt,  aber  von  den  Deutschen  zurück- 
gewiesen wurde,  nun,  wo  es  sich  zu  einem  Französisches  be- 
zeichnenden Worte  gewandelt  hat,  angenommen  wird !  Habent 
sua  fata  vocabula.^ 

Wie  kommt  nun  jener  innerfranzösische  Bedeutungs- 
wandel zustande,  wie  er  in  dem  Artikel  "Autour  d'un  neolo- 
gisme"  gekennzeichnet  wird.f*  Soll  man  nur  Irrtum  der 
linksgerichteten  Abgeordneten  annehmen,  wie  dieser  Artikel 
nahelegt?  Ich  glaube  doch,  dass  die  Anwendung  von  para- 
militaire auf  französische  Bünde  wie  les  Croix  de  feu  tatsäch- 
lich deren  Gleichstellung  mit  deutschen  ähnlichen  Formationen 

5.  Vgl.  umgekehrt  das  Fortleben  des  Wortes  nazi  in  offiziellem  Französisch, 
während  es  aus  offiziellem  Deutsch  seit  dem  Hitlerregime  geschwunden  ist  (vgl.  he 
jrang.  mod.,  II,  263). 


io6  CORONA 

bezwecken  sollte.  Das,  was  der  Artikelschreiber  als  den  'Irr- 
tum' der  erwähnten  Kreise  bezeichnet,  ist  wohl  ein  absichtliches 
Hinwegsehen  über  die  (auch  im  Sinn  der  Franzosen)  bestehen- 
den Unterschiede  zwischen  den  Croix  de  feu  einerseits,  Stahl- 
helm, SA,  SS,  Republikanischer  Schutzbund  anderseits.  Es 
sollte  nahegelegt  werden,  dass  diese  politischen,  bewaffneten 
Gruppen  in  Frankreich  (a)  ähnlichen  fremden  Bünden  nach- 
gebildet, daher  landfremd,  unfranzösisch,  (b)  ebenso  politisch 
und  militärisch  gefährlich  seien  wie  die  deutschen,  zumal  die 
Undurchsichtigkeit  der  Zusammenhänge  zwischen  den  zivilen 
und  militärischen  Bünden  im  selbst  vorhitlerischen  Deutsch- 
land für  jeden  Franzosen  eine  unumstössliche  Überzeugung 
war.  Der  Ausdruck  paramilitaire,  auf  Frankreich  angewendet, 
wurde  ja  auch  sofort  vom  Publikum  korrigiert,  als  nicht  auf 
zusätzliches,  getarntes  Militär  zielend  empfunden,  —  daher  als 
eine  Metapher.  Es  ist  also  dasselbe  Phänomen  wie  wenn  in 
Frankreich  friedlich  bürgerliche  Kreise  (etwa  die  Gruppe,  die 
lavalisonsl  sagte)  von  der  Linkspropaganda  als  fascistes  (oder 
wenn  französische  Rechtskreise  als  hitleriens  frangais)  bezeich- 
net wurden.  Auch  dies  ist  blosse  Metapher,  die  als  solche 
verstanden  wird,  und  wahrhaftig  kein  'Irrtum':  niemand  fiel  es 
damals  ein  zu  glauben,  dass  Laval  ein  korporatives  autoritäres 
Staatssystem  nach  italienischem  Muster  einrichten  wollte, 
sondern  man  gab  vor  es  zu  glauben,  man  ging  absichtlich 
über  die  Unterschiede  eines  französischen  Anführungszeichen- 
"fascisme"  und  eines  italienisch  realen  fascismo  hinweg.  Wenn 
E.  Fournol  ("Le  Temps,"  19.  IV.  1936)  meint,  es  sei  neu  in 
Frankreich,  dass  die  Wahlparolen  fremde  seien  (fascisme, 
bolchevisme)  und  die  sprachlich-seelische  Unproduktivität 
Frankreichs  beklagt,  so  übersieht  er  diese  absichtliche  Ver- 
gleichung  von  Einheimischem  mit  Fremdem:  die  Vergleichung 
ist  da  eine  französische  Sprachschöpfung!  Auch  hier  ist  also 
die  Wortschöpfung  Hypostase  einer  Realität,  man  schafft  hier 
willentlich,  aus  Ideologiegründen,  eine  Gleichung,  die  ein 
Urteil  enthält.  Die  Abgeordneten,  die,  der  Regierung  folgend, 
paramilitaire  in  dem  Gesetzentwurf  gegen  die  Bünde  fallen 
gelassen  haben  (der  definitive  Text  enthielt  nur  "groupes  de 


ZWEI  FRANZÖSISCHE  NEOLOGISMEN         107 

combat"  und  "milices  privees")  wollten  damit  nicht  so  sehr 
einen  sachlichen  Irrtum  berichtigen,  als  einen  Gesetzestext, 
der  ihnen  ohnehin  sachliche  Genugtuung  gab,  von  einem 
Propagandamittel  freihalten,  das  genug  gedient  hatte. 

Beide  Phasen  der  bisherigen  Geschichte  des  Wortes  zeigen 
also  die  'Macht  des  Wortes  über  den  Gedanken.'  Nennen  ist 
ein  Denken  und  ein  Tun,  ein  Beherrschen  —  wie  schon  der 
Bericht  der  Genesis  andeutet.  Gerade  bei  der  politisch  beein- 
flussten  Wortbildung  lässt  sich  dies  voluntative  Element  alles 
Nennens  schön  beobachten.^ 

MOSCOUTAIRE 

H/N  restant  fideles  ä  l'Italie  eternelle,  comme  le  disait  M. 
Herriot,  nous  ne  devenons  pas  davantage  fascistes  que  nous  ne 
deviendrons  moscoutaires  en  acceptant  l'amitie  de  Moscou," 
schreibt  der  "Temps"  vom  10.  XII.  1935  (Artikel  von  Joseph- 
Barthelemy).  Man  sieht  deutlich,  dass  das  Wort  moscoutaire, 
'Anhänger  Moskaus,'  'Anhänger  des  in  Moskau  beheimateten 
Kommunismus'  eine  sprachlich  glückliche  Bildung  ist,  der 
für  die  Anhänger  des  italienischen  Fascismus  keine  parallele 
Bildung  zur  Seite  steht:  denn  offenbar  müsste  es  bei  genauem 
Parallelismus  *fascist-iste,  *fascist-aire  heissen  (Jascistisant 
wäre  zu  schwach,  da  -iser  nur  die  Nuance  des  deutschen 
-ein  'kokettieren  mit . . . ,'  'angehaucht  sein  von  . . . '  enthält, 
vgl.  bolchevisant) .  Die  Nuance  'Ausländer,  der  den  italieni- 
schen Fascismus  verehrt'  ist  bei  fasciste  nicht  so  offenbar  wie 
bei  moscoutaire  die  Bedeutung  'ausländischer  Gefolgsmann 
Moskaus.'  Man  versteht,  dass  Rom  mit  seiner,  vor  den  Gebildeten 
der  ganzen  Welt  daliegenden  Geschichte  nicht  zum  Ansatz- 

6.  Allerdings  kann  eine  Neubildung  über  die  Gruppen,  die  sie  selbst  geschaffen 
haben,  derartige  Macht  gewinnen,  dass  selbst  vergangene  Ereignisse  mit  den  neuen 
Namen  benannt  und  so  geistig  umgeschafifen  werden,  so  wenn  L.  Blum,  Souvenirs 
de  l'Affaire  (über  die  Dreyfus-Affaire)  schreibt  (S.  177):  "Ils  [les  antidreyfusards] 
s'appliquent  ä  discipliner  les  reflexes  confus,  mais  simples,  de  l'instinct  national,  ä  les 
diriger  vers  une  reaction  fasciste ...  la  Ligue  de  la  Patrie  Fran^aise  s'etait  organisee  ä 
peu  pres  sur  le  meme  modc  que  les  ligues  paramilitaires  d'ä  present."  Die  umgekehrte 
Erscheinung  dazu  ist  die  Verflüchtigung  des  lokalen  und  historischen  Beigeschmacks 
eines  Wortes,  so  wenn  etwa  Czar  in  Englischen,  Pascha  im  Deutschen  für  einen 
Gewaltherrscher  (wo  immer)  angewendet  werden. 


io8  CORONA 

punkt  einer  den  Fascismus  andeutenden  Ableitung  werden 
konnte:  Rom  ist  für  die  Welt  weniger  das  Strahlenzentrum 
des  Fascismus  (trotz  der  Marcia  su  Roma),  der  ja  auch  eher 
eine  Bewegung  der  Zusammenfassung  aller  Kräfte  Italiens  ist, 
als  Moskau  der  Herd  des  Kommunismus  russischer  Prägung. 
In  der  Kammer  konnte  ("Temps"  vom  5.  XII.  1935)  ein  Kom- 
munist einem  Anhänger  der  'Ligue  des  Croix  de  feu'  zurufen: 
'Allez  a  Rome,  ascari,'  er  musste  also  das  italienische  Wort 
wählen,  um  einen  französischen  Fascisten  zu  bezeichnen,  er 
konnte  keine  Ableitung  des  Stadtnamens  bilden;  ein  Zuruf 
Romain!  hätte  an  einen  altrömischen  Republikaner  oder  einen 
Römer  Corneilles  denken  lassen.  Eine  normale  Ableitung  von 
Rome  würde  an  la  prima,  la  seconda,  la  terza  und  la  quarta 
Roma,  vor  allem  auch  an  das  päpstliche  Rom  (mit  dem  die 
Republik  sich  neuerdings  gut  stellt;  anti-romain  heisst  anti- 
klerikal) denken  lassen,  wäre  also  wenig  deutlich.  Eine 
scherzhafte  Ableitung  wiederum  steht  im  Widerspruch  zu  der 
Erhabenheit  der  ewigen  Stadt,  zu  dem  Glanz  historischer 
Gebäude  {des  palais  romains  le  front  audacieux.  Du  Bellay). 
Der  historische  Klang  des  Namens  verbietet  sich  gleichsam 
die  Karikatur,  der  Togawurf  das  Affenschwänzchen.  Das 
Deutsche  hat  durch  das  Suffix  -ling  eine  Möglichkeit,  Römer 
TM  Römling  zu  entstellen,  und  durch  den  Umlaut  ein  Mittel, 
die  Ableitung  vom  Stadtnamen  ein  wenig  abzutrennen. 

Moskau  dagegen  ist  für  das  heutige  europäische  Gemein- 
bewusstsein  entweder  der  Exponent  des  Altrussentums  und 
Zarentums  oder  der  neurussischen  Sowjetherrschaft.  Die  Ad- 
jektivableitung moscovite  (mit  dem  feierlichen  Klang  des  -ita, 
jesuite,  levite,  urspr.  Bezeichnung  einer  religiösen  Partei,  nicht 
bloss  einer  'Partei')  zielt  nun,  abgesehen  von  der  rein  techni- 
schen Bedeutung  'Einwohner  der  Stadt  Moskau,'  z.B.  l'orgatie 
moscovite  'das  Moskauer  Zeitungsblatt,'  auch  auf  die  Anhänger 
des  alten  Regimes  (davon  die  familiäre  Ausdrucksweise  vieux 
moscovite  'alter  Lump').  Wenn  z.B.  der  rechtsstehende  Ab- 
geordnete Taittinger  ("Temps"  vom  7.  XII.  1935)  les  gestes 
reclames  par  les  hommes  de  Moscou  tadelt  und  verlangt  qu'on 


ZWEI  FRANZÖSISCHE  NEOLOGISMEN         109 

traite  les  Frangais  en  citoyens  libres  et  non  comme  des  esclaves 
preis  pour  le  hjiout  moscovite,  so  identifiziert  er  zwar  aus 
agitatorischen  Gründen  das  alte  und  das  neue  Regime,  aber  er 
wagt  doch  nur  das  Wort  moscovite  im  Zusammenhang  mit 
der  Knute  des  Zarismus  zu  gebrauchen;  die  neuen  Sowjet- 
machthaber sind  les  hommes  de  Moscou,  nicht  les  Moscovites: 
er  will  zwar  den  Gedanken  nahelegen,  dass  in  Russland  sich 
in  punkto  Freiheit  nichts  geändert  habe  und  die  Sowjetherr- 
schaft die  Fortsetzung  des  Zarentums  sei,*^  aber  die  Sowjet- 
leute sind  doch  keine  'Moskowiten.'  Moscoutaire  bedeutet  nun 
nicht  die  Einwohner  von  Moskau,  sondern  nur  mehr  die 
geistigen  Adepten  der  Lehre  Moskaus:  Moskau  schwebt  in 
jenem  prägnanten  Sinn  vor,  in  dem  moderne  Städte  als  my- 
thische Kraft-  und  Emanationszentren  aufgefasst  werden  (wie 
wenn  man  etwa  schreibt:  Sous  la  loi  de  Moscou,  Titel  eines 
Artikels  gegen  den  Front  populaire  im  "Temps"  vom  10.  I. 
1936:  les  communistes  frangais  regardent  vers  Moscou;  la 
demonstration  etait  faite  de  la  dictature  revolutionnaire  (in 
Frankreich)  voulue  par  Moscou;  auch  Vamitie  de  Moscou  in 

7.  Eine  ständige  Gleichsetzung  in  den  Rechtskreisen,  so  J.  B.  in  "L'Action  frangaise" 
vom  7.  XII.  1935:  "Oui,  la  Russie,  nouvellement  appelee  U.  R.  S.  S.,  existe  sur  la 
carte  ...  Choyes  comme  des  tsars,  les  maitres  de  Moscou  doivent  se  dire.  ..."  Fauxbras, 
Viande  a  briller,  S.  153  (ein  Kommunistengegner)  sagt:  'Mon  Internationale  n'est  pas 
numerotee.  Je  reve  des  Etats-Unis  du  Monde,  je  vomis  le  tsar  Staline  et  ses  larbins 
de  la  Rue  La  Fayette"  {moscoutaire  ist  eine  kurze,  einprägsame  Zusammenfassung 
dieses  letzeren,  mehrwertigen  Ausdrucks).  Interessant  wie  Wörter,  die  längst  für 
französisches  etymologisches  Empfinden  ihren  Zusammenhang  mit  Russischem  verloren 
hatten,  vom  Hass  plötzlich  rück-russifiziert  werden:  Fauxbras,  1.  c.  224:  'Jen  avais 
soupe,  de  la  russomanie.  Et  Robert  voudrait  qu'aujourd'hui ...  j'aille  applaudir  les 
memes  'roublards' .'  Non  merci,  tres  peu  pour  moi:  Quand  les  roublards  me  refileront 
quelques-uns  de  leurs  roubles,  il  y  aura  peut-etre  moyen  de  s'entendre.''  {rcnblard 
'Pfiffikus,'  nicht  sicher  zu  rouble  'Rubel'  gehörig,  wird  im  Wortspiel  'russifiziert'). 
Maurras,"A. fr. ,"31.1. 1936:  "Si  l'on  s'inscrit  pour  la  France,  il  devient  delicat  de  s'afficher 
pour  Londres  et  Moscou.  L'alliance  moscovite  est  une  mauvaise  aflfaire  diplomatique 
condamnee  par  tous  les  esprits  competents.  Nous  sommes  bien  ä  l'aise,  ici,  pour 
rappeler  cet  avis  motive.  Tous  les  genres  d'aliiances  russes  nous  ont  ete  suspects,  et 
des  les  temps  forts  anciens  (vers  1896,  si  l'on  veut  un  point  de  repere),  les  evcnements 
qui  ont  suivi  ne  nous  ont  pas  donne  tort.  II  ne  s'agit  pas  ici  de  sovietisme  ni  de 
tzarisme:  c'est  au  tzarisme  que  nous  etions  hostiles,  quant  ä  nous,  ä  la  fin  du  XIX^ 
siecle."  De  Kerillis  sagt  in  der  Kammer  ("Temps,"  25.  XI.  1936):  "Le  pacte  franco- 
sovietique,  nous  l'accepterons  lorsqu'il  n'y  aura  plus  72  deputes  russes  sur  les  bancs 
de  la  Chambre,"  worauf  der  Kammerpräsident:  "De  telles  paroles  sont  absolument 
inadmissibles." 


HO  CORONA 

dem  zitierten  Satz  von  Joseph-Barthelemy).  Letztlich  beruht 
also  diese  Ableitung  auf  dem  Symbolwert  Moskaus,  der  sich 
heute  mit  dem  Sowjetismus  und  der  Dritten  Internationale 
identifizieren  lässt,  während,  wie  gesagt,  Rom  keinen  einheit- 
lichen Symbolwert  im  Sinn  des  Fascismus  hat.  Die  Ableitungs- 
verhältnisse spiegeln  also  das  moderne  Geschichtsbewusstein 
und  die  Symbolkraft  der  geistigen  Zentren  wieder. 

Warum  hat  nun  gerade  die  Bildung  moscoutaire  entstehen 
können?  Sie  lässt  sich,  rein  grammatisch  gesprochen,  in  die 
Fälle  von  analogischem  -/-  bei  Ableitungen  von  Substantiven, 
die  auf  den  Vokal  -u  (=  -ou)  enden,  einorden,  Typus  bijou  - 
Bijoutier,  caillou-caillouter,  dou-douter  doutier,  caout- 
chou{c)  -  caoutchoute ,  velou(rs)-velout€,  analogisch  nach 
bout  -  bouter,  tout  -  toute,  egout  -  egoutier,  wobei  manche  Bei- 
spiele auch  anders  aufgefasst  werden  könnten:  caoutchoute 
kann  sich  nach  ouate  gerichtet  haben;  frouf router  knüpft  an 
eine  ursprüngliche  Onomatopöie  frout  neben  frou-frou  an; 
joujouter  klingt  an  die  -o/cr- Verba  an  usw.  Überhaupt  ist  zu 
sagen,  dass  solche  Ableitungstypen  durch  Konkurrenz  ver- 
schiedener Motive  Zustandekommen  (Nyrop  führt  dou-et-ier 
> doutier  an).  Man  versteht,  dass  von  Moskau  kein  *moscoutier 
gebildet  werden  konnte:  das  wäre  eine  Berufs-  oder  Zugehö- 
rigkeitsbezeichnung gewesen  wie  bijoutier,  doutier.  -aire  eignet 
sich  besser  weil  es  als  gelehrte  Bildung  geistiger  ist.  Man  ver- 
gleiche sanctions  petrolieres  mit  ideologie  societaire.  Diese 
Nuance  verzeichnet  keine  unserer  Grammatiken,  obwohl  der 
Gegensatz  von  afrz.  aversier  'Feind,  Teufel'  —  nfrz.  adversaire 
'der  (geistige)  Gegner'  doch  klar  ist;  daher  die  politischen 
Bezeichnungen  revolutionnaire ,  reactionnaire,  egditaire,  hu- 
manitaire,  autoritäre  adjektivischer  Funktion,  von  denen  dann 
-isme-  und  manchmal  -zV/^-Substantive  abgeleitet  werden 
(parlementaire  -  parlementariste,  -isme,  unitaire  -  unitariste, 
-isme),  ebenso  italienisch  -ario  neben  -iere,  vgl.  das  neuerdings 
im  Konflikt  mit  dem  Völkerbund  aufgekommene  ital.  socie- 
/ÄHO-Adjektiv  (eloquejjza  "societaria").  Frz.  -iste,  ital.  -ista 
haben  neuerdings  durch  grammatikalische  Verschiebung  zum 
Adjektiv  die  -aire,  -ario  etwas  verdrängt,  besonders  gestützt 


ZWEI  FRANZÖSISCHE  NEOLOGISMEN         iii 

durch  die  Betonung  des  politischen  oder  programmatischen 
Aktivismus,  die  in  -ist  liegt,^  daher  ital.  stati  sanzionisti  usw. 

Moscoutaire  enthält  also  das  geistige  -aire,  das  eine  geistige 
Anhänglichkeit  an  eine  politische  Richtung  (nicht  die  volle 
Aktivität  des  -iste)  darstellt.  Vielleicht  kann  man  sogar  nicht 
bloss  -t-aire,  sondern  auch  Konkurrenz  des  Wortausganges 
-taire  in  egalitaire,  humanitaire ,  auch  sectaire  und  vielleicht 
militaire  annehmen.  Moscoutaire  w^ird  dann  im  Munde  der 
Gegner  der  III.  Internationale  zur  Parodie  des  humanitaire 
und  egalitaire,  zur  Karikatur  französischer  Humanität  und 
Demokratie,  gleichsam  zu  einer  Abbreviatur  von  humanitaire 
de  Moscou,  was  für  feindlich  Gesinnte  eine  contradictio  in 
adjecto  ist.  Man  beachte,  dass  humanitaire  selber  früher  als  son- 
derbar und  ideologisch  verkrampft  empfunden  wurde,  vgl.  die 
beiden  Belege  aus  Musset's  "Lettres  de  Dupuis  et  Cotonnet," 
die  Darmesteter,  Mots  nouveaux,  S.  196  zitiert:  "Humanitaire, 
en  style  de  pref ace,  veut  dire :  homme  croyant  ä  la  perfectibilite 
du  genre  humain,  et  travaillant  de  son  mieux,  pour  sa  quote- 
part,  au  perfectionnement  dudit  genre  humain";  "Pour  ce  qui 
est  du  mot  humanitaire,  je  le  revere,  et  quand  je  l'entends,  je 
ne  manque  jamais  de  tirer  mon  chapeau;  puissent  les  dieux  me 
le  faire  comprendre!"  Ebenso  ging  es  doctrinaire,  von  dem  J. 
Lefranc  im  "Temps"  vom  28.  III.  1936  schreibt:  "Toute  secte, 
toute  heresie,  toute  ecole  a  au  moins  accouche  d'un  mot  neuf. 
'Doctrinaire,'  qui  nous  est  aujourd'hui  familier,  date  seulement 

8.  In  Lbl.  1944,  Sp.  244  habe  ich  in  Fällen  wie  ecriture  artiste,  Propaganda  jascista 
von  einem  'Halb-Adjektiv'  gesprochen,  wogegen  das  neuere  ital.  -istico  ( speculazione 
borsistica)  rein  sachlich  ist,  den  Zuschuss  von  Menschlich-Aktivem  eingebüsst  hat. 
Hier  verzeichne  ich  etwa  aus  einem  Roman  von  Panzini,  Viaggio  con  una  giovane 
ebrea  (1935),  S.  405:  "Troppo  melanconico  e  anche  troppo  realista  e  brutale  (allora 
non  si  diceva  realistico)."  Ein  hübscher  Beleg  für  den  Sprachwandel!  —  In  Wörtern 
wie  copiste  weigert  sich  das  Volksempfinden,  die  blosse  Ausübung  einer  Tätigkeit 
(ohne  Programm  sozusagen)  mit  -iste  tm  bezeichnen,  daher  die  Form  copieur,  die 
bei  Desgranges  (1821)  getadelt  wird,  vgl.  Gougenheim,  La  langtie  populaire  dans 
le  Premier  quart  du  XIX^  siecle,  S.  138.  Nicht  umsonst  entspricht  dem  deutschen 
Komponist  frz.  compositeur. 

Den  politisch-aktiven  Charakter  von  -iste  zeigt  eine  Stelle  bei  Fauxbras,  Viande  a 
brüler,  S.  in:  "Moi,  dit  Lalou  (ein  Arbeitsloser),  je  suis  pacifiste,  anarchiste,  bol- 
cheviste,  antimilitariste,  socialiste,  et  tout  ce  que  vous  voudrez  en  "iste,"  ä  condition 
que  ce  soit  contre  les  capitalistes."  Vergl.  noch  über  -ismus  Huizinga,  Im  Schatten 
von  Morgen,  S.  165. 


112  CORONA 

d'un  siecle.  Royer-Collard  et  Guizot  le  re^urent,  comme  un 
don  pernicieux,  de  leurs  denigreurs."  Und  ähnlich  spricht 
Maurras  in  der  "Action  frangaise"  vom  6.  XII.  1935  von  Her- 
riots  folies  de  covenantaire  sanglant,  "der  Covenant-,  Völker- 
bundsgläubige" (vergleichbar  dem  ital.  illusioni  societarie), — 
in  derselben  Zeitung,  die  immer  le  pays  reel  dem  pays  legal 
gegenüberstellt,  erscheint  auch  ironisches  legditaire  (offenbar 
dem  verabscheuten  Reimwort  egditaire  nachgebildet).^  So 
zielt  denn  auch  moscoutaire  auf  den  Glauben,  nicht  die  Aktion 
der  correligionnaires  de  Moscou.  Die  moscoutaires  sind  bloss 
passive  Anhänger,  daher  keine  *moscoutistes  (w^ozu  auch  die 
lautliche  Analogie  gefehlt  hätte:  flütisfel?);  es  ist  auch  kein 
^sovietiste,  nach  communiste,  entstanden.  Vielleicht  ist  auch 
der  rein  lautliche   Anklang  an   mousquetaire^^   massgebend 

9.  Dies  -aire  zur  Bezeichnung  eines  falschen  Glaubens  ist  schon  fast  an  der  Grenze 
des  pejorativ-superlativischen  -ard  (im  selben  Artikel  spricht  Maurras  ironisch  von 
den  grands  jotirs  veritards  et  justiciards  de  l'Affaire,  also  der  Haltung  der  dreyfusards; 
seine  Zeitung  nennt  die  Parlamentsmitglieder  bagnards  'ins  Bagno  gehörig,'  die 
Parteiangehörigen  des  Kommunisten  Guernut:  les  guernusards,  die  Hintermänner 
Staviskys  stavis\ards  etc.). 

Man  beachte,  dass  -(t)aire  bei  anderen  Schriftstellern  ganz  andere  Tönung  haben 
kann:  so  betitelt  Emmanuel  Monnier  1935  ein  Buch  Revolution  personnaliste  et 
communautaire ,  dessen  Grundgedanke  nach  Nouv.  R.  F.  1935  S.  285  ist:  "Refaire  la 
renaissance ...  La  premiere  Renaissance  a  manque  la  renaissance  personnaliste  et 
neglige  la  renaissance  communautaire.  Contre  l'individualisme  nous  avons  ä  reprendre 
la  premiere.  Mais  nous  n'y  arriverons  qu'avec  le  concours  de  la  seconde.  ...  Fascisme 
et  communisme  convergent  de  ce  point  de  vue.  Ils  sont  les  premiers  sursauts  de 
l'immense  vague  communautaire  qui  commence  ä  deferler  sur  l'Europe."  Hier  ist 
communautaire  deutlich  Ausdruck  eines  Glaubens  an  den  Wert  der  Gemeinschaft: 
der  Autor  hat  nicht  parallel  personnaliste  ein  *communaiitiste  gebildet,  weil  zum 
Abstrakmm  -te  ein  -taire  besser  passt.  Ebenso  gebraucht  Grunebaum-Ballin  in  seiner 
Übersetzung  der  'Utopia'  des  Thomas  Morus,  wohlgemerkt  nicht  im  Übersetzungstext 
selbst,  sondern  in  der  Inhaltsangabe  den  Ausdruck  le  regime  communautaire,  also 
aus  einem  Wunsch  nach  moderner  Parallele.  E.  Henriot  spricht  von  einer  "reaction 
individualiste  et  lihertaire"  der  symbolistischen  Dichterschule. 

10.  Es  ist  bezeichnend,  dass  dieses  romanhafte  und  romantisch  altvaterische  Wort 
von  den  modernen  Diktaturen  zu  neuem  Leben  erweckt  worden  ist:  moschettieri 
heissen  in  Italien  jetzt  "guardie  in  ispeciale  bellissimo  abito  fascista  (guanti  alla 
mano,  pugnale  d'argento)  addetti  alla  persona  del  Duce  (Mussolini)  (1923)"  nach 
Panzini,  Diz.  mod.  Auch  Hitler  pflegt  sich  ausser  als  unbe\annten  Soldaten  als 
Musketier  des  Weltkriegs  zu  bezeichnen.  —  Der  Film  hat  sein  Übriges  getan,  um  den 
Dumasschen  Roman  volkstümlich  zu  erhalten.  In  K.  Heidens  Hitler-Biographie  S.  37 
werden  die  deutschen  Weltkriegssoldaten  als  "diese  schimpfenden,  ihre  Pflicht  tuen- 
den, gegen  ihre  Offiziere  aufsässigen  .  .  .  Musketiere"  bezeichnet.  Zur  Pseudohistorie, 
die  die  neueren  Diktatoren  um  sich  weben,  gehört  noch  das  Wort  condottiere ,  auf 
Mussolini  angewendet,  das  im  Grunde  einen  gedungenen  Söldnerführer  bezeichnet, 


ZWEI  FRANZÖSISCHE  NEOLOGISMEN         113 

gewesen,  um  die  blinde  Gefolgschaft  zu  bezeichnen:  wie  der 
gaskognische  Kadett  D'Artagnan  in  dem  Volksroman  Dumas' 
des  Älteren  'Les  trois  mousquetaires'  aus  den  Titelhelden 
willentlich  'les  Instruments  de  sa  fortune'  macht,  so  soll  Moskau 
als  der  Ausbeuter  und  Nutzniesser  seiner  abenteuernden  An- 
hänger erscheinen.  Diese  moscoutaires  führen  offenbar  dasselbe 
"inhaltlose  Leben,  das  nur  äusserlich  durch  Duelle,  Raufereien 
und  Gelage  bewegt  und  ausgeschmückt  ist,  und  dem  Dumas 
den  falschen  Schein  des  Romantischen  verleiht"  (Klemperer, 
Geschichte  d.  frz.  Lit.  5/1  S.  179).  Es  hätte  also  der  dop- 
pelte Zufall  eines  lautlichen  Anklangs  und  einer  literarischen 
Anspielung  gewirkt.  Moscoutaire  ist  demnach  nicht  einlinig, 
sondern  durch  Zusammenströmen  der  verschiedensten  Impulse, 
rein  sprachlicher  und  kultureller  Art,  zu  verstehen.  Das  Wort 
deutet  karikaturale  Opposition  gegen  einen  Mythos  'Moskau' 
an  und  stellt  die  Gefolgsleute  dieser  'Irrlehre'  als  romantisch 
verblendetes  Herdenvieh  dar. 

Der  französische  Ausdruck  moscoutaire  verzichtet  auf  die 
exotische  Karikatur  durch  fremdsprachliche^^  Suffixe  (wie  -ki, 
-off,  -inski,  vgl.  Heines  Waschlappsky  und  Krapülinski,  im 
Nachkriegsdeutsch  Radikalinski).  Moscoutaire  gibt  eine  fran- 
zösiche  Ansicht  der  russischen  Dinge,  eine  Beurteilung  und 
Kritik,  die  willentlich  den  französischen  Standpunkt  festhält 
und  auf  nationalem  Boden  bleibt.  Bolcheviste  (statt  russi- 
schem bolscheviJO  zeigt  die  Einordnung  in  französische 
Bezeichnungen  der  politischen  Richtung,  ebnet  damit  das 
'Russische'  ein  in  Französisches,  verzichtet  aber  auf  Kritik.^" 


nicht  einen  Duce  oder  Führer,  wie  Lancelot  in  einer  Plauderei  des  "Temps"  vom  i6. 
V.  1938  richtig  hervorhebt. 

ii.Winston  Churchill  in  seinem  Buch  Bekannte  Zeitgenossen  (Amsterdam, 
1938)  erzählt,  dass  Clemenceau,  als  er  in  die  Panama-Affaire  verwickelt  und 
englischer  Bestechung  zugänglich  schien,  in  der  französischen  Kammer  mit  den 
ironischen  Zurufen  "Ah — oh  yes!"  und  "Spiek  [sie]  english!"  empfangen  wurde.  Der 
Vorwurf  der  Opferung  nationaler  Interessen  wird  manchmal  linguistisch  verstärkt: 
man  fingiert  übertreibend,  dass  der  und  der  Einheimische  so  ausländisch  denkt,  dass 
er  sich  nur  in  einer  Fremdsprache  äussern  kann.  Ähnlich  genügt  es,  einen  Abgeord- 
neten in  Amerika  als  einen  'Roten'  (red)  zu  bezeichnen,  um  ihm  den  ironischen 
Rat  zu  geben:  ''Zurüc\  nach  Moskau." 

12.  Merkwürdig  dass  im  Deutschen  kein  *  Moskßuling  (wde  etwa  das  an  die  Los- 
von-Rom-Bewegung    anknüpfende   Römling    im    Munde   der    Völkischen)    entstand, 


114  CORONA 

Über  das  Datum  der  Entstehung  jenes  Wortes  schreibt  mir 
gütigerweise  A.  Dauzat:  ^'moscoutaire  a  du  etre  cree  vers  1920, 
au  moment  oü  se  preparait  la  scission  entre  les  communistes 
(iideles  a  Moscou)  et  les  sociaHstes,  mais  je  n'ai  ni  fiche,  ni 
Souvenir  precis  a  ce  sujet."  Es  scheint  sich  bald  der  pole- 
mische Gehalt  etwas  abzuschwächen,  da  eine  Juni  1936  gegrün- 
dete Partei  sich  offiziell  "parti  antimoscoutaire"  nannte,  der 
"Temps"  vom  18.  IL  1936  in  einer  objektiven  Aufzählung  der 
spanischen  Abgeordneten  einem  derselben,  Joaquin  Maurin, 
die  Bezeichnung  mitgab:  "communiste  non-moscoutaire." 

Mit  dem  Fall  moscoutaire,  bei  dem  der  Anklang  an  mous- 
quetaire  zusammenarbeitet  mit  der  -ßr/r^-Bildung,  vergleicht 
sich  das  von  Leon  Daudet  nach  der  Stavisky-AÜaire  lancierte 
stavisqueux,  mit  dem  die  Minister  und  Staatsbeamten  getroffen 
wurden,  die  in  die  Sache  verwickelt  waren  oder  die  in  sie 
Verwickelten  deckten  (wofür  auch  dedouaner  gesagt  wird). 
Zweifellos  liegt  Anklang  an  visqueux  'klebrig,  zähe'  (Celine 
Bagatelles  pour  un  massacre,  S.  273:  "le  petit  ]uif...milli- 
ardaire,  visqueux  Messie")  vor,  aber  auch  ohne  diesen  Anklang 
könnte  stavisqueux  an  Fälle  wie  violoneux  (für  violoniste) 
'schlechter  Geiger,'  gdteux  'Kranker,  der  Stuhl  lässt'  anknüpfen, 
die  auf  -eur  zurückgehen:  zweifellos  ist  durch  das  Verstum- 
men des  -r  im  17.  Jhdt.,  das  solche  Beispiele  hervorbrachte, 
der  Unterschied  zwischen  Substantiven  agentis  und  Adjektiven 
eingeebnet:  un  gäteux  ist  weniger  ein  'Tätiger'  als  ein  mit 
einer  Eigenschaft  behafteter,  ebenso  un  stavisqueux  weniger 
aktiv  als  un  fusilleur,  der  ebenfalls  in  Action-frangaise-Krei- 
sen  häufigen   Bezeichnung  der  Minister  wie  Daladier  und 

wo  doch  gerade  die  nationalsozialistische  Propaganda  gern  von  Jüngern,  Anhängern, 
Söldlingen,  Boten  Moskaus  sprach.  Das  mag  daran  liegen,  dass  Römling  nie  sehr 
populär  war  (die  völkischen  Kreise  verloren  ihren  Einfluss,  die  Sozialdemokratie 
musste  wegen  ihrer  Koalition  mit  dem  Zentrum  sich  Reserve  auferlegen);  daran  dass 
rotes  Untermenschenttim  stärkere  Zugkraft  hatte;  endlich  dass  das  Fremdländische 
und  Angelernte,  das  in  Römling  (vgl.  Lehrling)  betont  werden  sollte,  schon  genügend 
durch  das  fremdländisch  klingende  Bolschewist  und  (gar)  Bolscheti'il{  ausgedrückt 
ist,  endlich  an  der  geringen  Handlichkeit  des  Stammes  MosI{aii  für  eine  Ableitung 
(dagegen  Römling  mit  Umlaut).  So  bleibt  denn  als  kümmerliches  Äquivalent  für 
frz.  moscoutaire  höchstens  ein  vereinzeltes  die  Mos\owiter,  das  gelegendich  auftaucht. 
{Römling  wurde  von  der  Gegnern  der  Nationalsozialisten  aufgegriffen  —  in  der 
Umdeumng  auf  Röhm  und  die  ihm  zugeschriebene  sexuelle  Verirrung.) 


ZWEI  FRANZÖSISCHE  NEOLOGISMEN         115 

Prot,  die  am  6.  Februar  1935  auf  das  Pariser  Volk  schiessen 
Hessen. 

Konkurrenz  einer  Ableitung  mit  einem  Wortspiel  erklärt 
auch  das  Schlagwort  locarnotard ,  das  von  Locarno  abgeleitet  ist 
wie  piano-t-er  von  piano,  aber  doch  auch  die  Langsamkeit  und 
Flauheit  des  politischen  Handelns  im  Sinne  des  Vertrages  von 
Locarno  durch  den  Anklang  an  tard  verspotten  will,  vgl.  z.B. 
Gl.  Vautel  in  "Le  Journal,"  15.  III.  1936:  "Nous  boycottons  les 
Jeux  Olympiques  de  Berlin.  Voilä  la  derniere  idee  de  nos 
locarnotards  les  plus  excites,  et  ils  s'imaginent  que  pareil 
Ultimatum  reduira  le  Führer  ä  la  capitulation."  Solche 
'Anspielungsableitung,'  die  der  Sprache  ganz  ungewohnte 
Verbindungen  zumutet  (oder  sie  vorspiegelt),  ist  durchaus  im 
Stil  des  sprachlichen  Blockbaus  der  "Action  frangaise"  (vgl. 
Leon  Daudet's  Wortkonstruktion,  Spiegelbild  einer  Ideenkon- 
struktion: l'espionnenvahissement  juif-allemand) . 

Wenn  die  vorstehenden  Zeilen  bei  unserem  Jubilar  Interesse 
finden  könnten,  so  vielleicht  wegen  der  Bemühung,  alle  in 
Betracht  kommenden  Faktoren  bei  einer  Neubildung  in  statu 
nascendi  aufzuzeigen.  Politische  Ausdrücke  sind  gerade  durch 
die  Leidenschaftlichkeit,  die  ihnen  gewöhnlich  anhaftet,  be- 
sonders lebhafte  Zeugen  des  Sprachwerdens. 

ANHANG 

In  stavisqueux,  stavisquard  hat  wohl  der  Nexus  -s\-  im  Sinn  einer 
expressiven  Lautmalerei  gewirkt,  abgesehen  von  der  "russischen"  oder 
"östlich-asiatischen"  Wirkung  der  "noms  en  ski,"  über  die  der  12.  Band 
(von  1936)  des  J.  Romains'schen  Romans  Les  hommes  de  bonne 
volonte  öfters  spottet  —  ein  Professor  Babinski  wird  da  zur  Vergemüt- 
lichung  und  Ent-fremdung  Babinsse  genannt)  — ,  abgesehen  auch  von 
dem  Anklang  an  visqueux,  das  selbst  durch  das  -s\-  'pittoresk'  wirkt. 
Dieser  Nexus  hat  wohl  keine  bestimmte  onomatopoetische  'Bedeutung,' 
aber  er  gibt  den  Wörtern,  die  ihn  enthalten,  einfach  Farbe  (vgl.  mous- 
caille  'Dreck,'  bousculer,  basculer,  resquiller,  s'esquinter,  cf.  boustifaille , 
mastoc  mit  s).  Hier  seien  einige  Neubildungen  mit  Infigierung  eines 
-s-  vor  -^-  erwähnt,  die  Celine  in  Bagatelles  pour  un  massacre  ge- 
schaffen hat:  S.  45  "...  i'adhere  jamais  rien  ...  ni  aux  radiscots  ...  ni  aux 
colonels  [der  Partei  des  colonel  La  Roque]  ...  ni  aux  doriotants":  radis- 
cots ^=  radicaux  [socialistes].  Ferner  wird  zweimal  (S.  248  and  269) 
die  Pariser  Weltausstellung  von  1937  als  jüdische  Unternehmung  hin- 


ii6  CORONA 

gestellt  mit  dem  Ausdruck  les  grandes  yousticades  (la  gr.  yousticade), 
offenbar  zu  youtre  'Jude'  gehörig  (das  selbst  deutsch  ]ude,  Jud,  mit 
Einwirkung  von  foutre,  sein  wird)  und  nach  joutriquet  und  barricades 
umgebildet.  Wie  erklärt  sich  das  -s-}  Wir  müssen  wohl  von  der  Be- 
zeichnung der  Deutschen  im  Siebzigerkrieg  Prusco  'prussien'  =  Prussicot 
(wie  Arbicot  'Araber'  mit  -/co^Suffix)  ausgehen,  wobei  -s-  und  -\- 
durch  Zufall  nebeneinander  zu  stehen  kamen.  So  entwickelt  sich,  durch 
den  pejorativen  Klang,  der  der  Bildung  als  Benennung  des  gehassten 
Feindes  anhaftet,  ein  pejorativer  Klang  des  Nexus  -s\-,  der  auf 
radicaux  im  Sinn  der  -s-  Erweiterung  einwirkt  und  nun  auch  andere 
-s-  Einschaltungen  mit  sich  bringt  wie  in  youstricade.  Erwähnt  sei,  dass 
mouscaüle  'Dreck'  ein  -i-^ö/'-Suffix  abzulösen  oder  an  Substantiva  mit 
-s-  ein  -cailleSuSix  zu  fügen  gestattet:  S.  291  Toute  la  Franscaille, 
gleichsam  =  'die  ganze  Franzosen-Dreck-Canaille,'  S.  90  les  jrancecailles 
nunmehr  schon  =  les  Fran^ais  (Einfluss  von  belgisch-französischem 
frans quillon  'belgischer  Französling'  ist  wohl  kaum  wahrscheinlich). 
Zum  Suffix  -aille  im  frz.  Argot  vgl.  Sainean,  Le  parier  parisien,  S.  104 
(copaille  für  copain  etc.).  Ebenso  wird  von  [franc-]ma^on  ein  zuerst 
kollektives  mascaille  gebildet:  S.  301:  "Ohe!  Oyez  la  Juiverie!  la  Mas- 
caille,"  dann  Synonym  für  'Freimaurer':  "Ils  sont  un  million  de  Juifs  en 
France  repartis  ...  deux  millions  peut-etre,  si  l'on  compte  les  enjuives  ... 
les  "mascailles,"  S.  98  [die  Völkerbunds- Administration]  "C'est  la  plus 
grande  Synagogue  dans  le  plus  grand  Temple  Magon  de  l'univers ... 
Tout  ce  qu'est  pas  youpin  [=  Jude,  cf.  Sainean,  S.  108]  ou  "mascaille," 
est  assez  vite  elimine."  Der  Eindringling  -s-  findet  sich  auch  im  argot- 
frz.  coin0o  'coin'  (vgl.  noch  soldatenfrz.  ctiistot  =  cuisinier)  und  be- 
sonders im  Auslaut:  clebs  neben  cleb  'Hund';  über  diesen  gesprochenen 
Schnörkel  im  Argot  der  Ecole  des  Beaux  Arts  ("gadzarique")  vgl. 
meinen  Artikel  in  Le  Fran^ais  moderne,  5,  120  ff.  (profs=^prof  'pro- 
fesseur,'  froms  ^=  fromage  usw.):  es  ist  dies  eine  Gegenbewegung  gegen 
das  Verstummenlassen  des  Schluss  -s  in  anroch  =  Auerochs,  our(s)  (ein 
affektierter  Franzose,  Sprachlehrer  in  Deutschland,  behauptete  our  wäre 
die  normale  Aussprache  des  Wortes  für  'Bär).  —  Als  Selbstverständlich- 
keit sei  erwähnt,  dass  in  U.  S.  A.  die  Namen  auf  -ski,  besonders  im 
Musik-  und  Theaterleben,  meliorativen  Charakter  haben  (cf.  Sio/^owsl^i, 
etc.). 


DER  ZWEITE  MERSEBURGER  ZAUBERSPRUCH 
ARNO  scHiROKAUER,  Southwestem 

1.  V^ol  ende  Uuodan 

DER  UNGEAHNTE  Blick  in  die  germanische  Götter- 
welt des  zweiten  Merseburger  Zauberspruchs,  von  J. 
Grimm  noch  unbefangen  getan,  ist  im  Lauf  eines  Jahr- 
hunderts zugleich  tiefer  und  trüber  geworden;  wo  Grimm  eine 
ganze  Göttergesellschaft  leibhaftig  auf  den  Plan  treten  sah, 
sind  wir  heute  weder  sicher,  wen  wir  vor  uns  haben,  noch  wie 
viele  es  denn  eigentlich  sind.  Mit  fortschreitender  Forschung 
wurde  der  Spruch  nur  immer  mehr  "eines  der  ältesten  und 
umstrittensten,  unklarsten  Stücke  der  deutschen  Literatur,"^ 
dem  noch  dazu  mit  philologischen  Mitteln  allein  nicht  bei- 
zukommen ist. 

Die  Schwierigkeiten  beginnen  gleich  beim  ersten  Wort,  ja 
bei  dessen  erstem  Buchstaben.  Wer  ist  Phol,  der  mit  Wodan 
zusammen  zi  holza  fährt?  Man  hat  etymologische  Spuren 
verfolgt,  um  ihn  zu  identifizieren.  Gering  hat  ihn  zu  Apollo, 
Bugge  zu  Paulus  in  lautliche  Beziehung  gesetzt.  Slavische 
Ortsnamen,  von  Schottin  beigebracht,  sollten  für  den  "Götter- 
namen mit  dem  ungermanischen  Anlaut"  ein  Alibi  ergeben. 
Meringer  zog  lat.  pcdus  ==  Pflock  heran  und  dachte  an  eine 
kultische  Säule.  Th.  Grienberger  untersuchte  den  Lautbestand 
besonders  gründlich,  ohne  zu  andern  Ergebnissen  zu  kommen, 
als  daß  Fhol  ein  Name  sei;  was  ja  bedeutet,  daß  von  der  Ety- 
mologie kaum  Resultate  zu  erwarten  sind.^  Die  meisten  zogen 

1.  G.  Neckel,  Die  Überlieferungen  vom  Gotte  Balder  (Dortmund,  1920),  S.  242. 

2.  Die  Vorgänge  bei  der  Bildung  sakraler  Namen  entziehen  sich  der  etymolo- 
gischen Deutung;  Geheimzeichen  und  Abkürzungen  begünstigen  falsche  Auflösun- 
gen, und  oft  genug  ist  das  Aussprechen  des  Gottesnamen  mit  einem  Tabu  belegt; 
die  Wahl  der  Chifler  dafür  hat  sekrete  Gründe.  Vgl.  K.  Helm,  Altgermanische 
Religionsgeschichte  (Heidelberg,  1913),  S.  38  und  226. 


ii8  CORONA 

vor,  Vol  zu  lesen  —  der  Lautwert  des  Anlauts  ist  durch  Allitera- 
tion gesichert — ,  ohne  daß  dadurch  eine  einheitliche  Auffas- 
sung erzielt  worden  wäre.  Die  dabei  verharrten,  Vol  als 
Namen  zu  erklären,  sahen  in  ihm  entweder  einen  Bruder  der 
Volla  oder  ein  Synonym  für  Balder  oder  eine  weibliche  Gott- 
heit Vol,  während  andere  Vol  als  Eigennamen  ablehnten  und 
vol(o)  =  d2LS  Fohlen  lasen.^  Die  Kritik  dagegen  konnte  mit 
dem  guten  Argument  arbeiten,  das  schon  R.  M.  Meyer  in 
Anz.fJ.A.,  XIX,  210  gegen  die  Annahme  der  Göttin  Vol  ge- 
braucht hatte,  "daß  für  einen  altgermanischen  Dichter  die 
Nennung  einer  Göttin  t^or  einem  Gott  einfach  eine  stilistische 
Ungeheuerlichkeit  wäre."  Der  Verstoß  gegen  die  Rangord- 
nung wäre  noch  viel  böser,  wäre  Vol  nur  ein  Tier.  Mithin  sah 
sich  jeder  Versuch  einer  Deutung  in  dieser  Richtung  vor  die 
Aufgabe  gestellt,  die  kultische  Stellung  des  "Fohlens"  in  Über- 
einstimmung zu  bringen  mit  seiner  Stellung  am  Versanfang 
unter  dem  schweren  Hauptton  des  ersten  Stabes.^  Wer  freilich 
nach  dem  Vorangang  Bugges  den  nordischen  Parallelen  so 
großes  Gewicht  beilegte,  daß  er  auch  hier  in  Wodan  nur  ein 
Substitut  für  Jesus,  in  Bcdderes  volo  "das  Roß  des  Herrn,"  im 
Ganzen  eine  christliche  Legende  sah,  war  damit  der  Mühe 
enthoben,  die  Stellung  des  Fohlens  vor  dem  Götternamen  zu 
rechtfertigen;  innerhalb  eines  christlichen  Motivkreises  kam 
ihr  keine  erhebliche  Wichtigkeit  mehr  zu.  Aber  selbst  Preus- 
1er,  für  den  Fo/  =  Wodans  Fohlen  ist  und  Wodan  nur  der 

3.  So  Steinmeyer,  Scherer,  Kauffmann,  Mannhardt,  Philippson,  auch  Heyck,  der 
ohne  Not  in  unserm  Text  eine  Umschrift  aus  dem  Nd  sieht,  wobei  die  Götter- 
namen geändert  wurden  {Wächter,  XII,  118  ff.)-  Mit  Mannhardt,  Q.F.,  LI  (1884), 
27,  stellen  Brate  und  Philippson,  Vol  zu  Volla,  "die  beiden  gehören  zusammen 
wie  Vreyr  und  Freya"  (Brate,  Ar}{w  f.  nord.  ßl.,  XXXV,  287  ff. —  Über  einen  weiblichen 
Nominativ  Vol,  zu  dem  der  Genitiv  Volla  lautete,  vgl.  Kauffmann,  Beitr.,  XV,  207. 
Fo/ =  Das  Fohlen,  vor  allem  bei  Preusler,  Siebs-Festschrift  (1922),  S.  39  ff.  und 
Steller,  Zs.  f.  Vol\s\unde,  NF  II  (1930),  S.  61  ff. 

4.  Durch  seine  eigene  Beweisführung  wurde  R.  M.  Meyer  dazu  gebracht,  für 
Balderes  volo  der  zweiten  Spruchzeile  eine  kultische  Stellung  in  Vorschlag  zu 
bringen.  Ohne  daß  er  in  Phol  selbst  etwas  anderes  gesehen  hätte  als  "einen  dem 
Wodan  an  Bedeutung  nahestehenden  Gott,"  notierte  er  als  erster  die  merkwürdige 
Undichte  der  Grenzen  zwischen  Balder  und  seinem  Reittier,  "das  Schicksale  erfährt, 
die  ursprünglich  dem  Lichtgott  eigen  waren"  und  wagte  den  Satz:  "An  dem 
Reittier  des  Gottes  haftet  der  mythische  Charakter  fester  als  an  ihm  selbst"  (a.a.O. 
212).  Nur  daß  ihm  auf  Grund  der  nordischen  Quellen  wahrscheinlich  ist,  daß 
des  Lichtgottes  eigentliches  Tier  kein  Pferd  war  sondern  ein  Hirsch. 


DER  ZWEITE  MERSEBURGER  ZAUBERSPRUCH    119 

alte  Name  für  den  neuen  HERRN,'^  stellte  sich  die  Frage,  ob 
nicht  hinter  der  Voranstellung  des  Fohlens  das  alte  Märchen- 
motiv vom  dreibeinigen  Reittier  spuke.  Was  doch  nur  heißen 
konnte,  daß  er  die  auffallende  Stellung  von  Vol  auf  germa- 
nische Pferde-Kult- Vorstellungen  zurückzuführen  vi^ünschte. 
Und  das  eben  ist  die  Frage.  In  aller  Schärfe  erkannte  dann 
Steller  als  seine  Aufgabe,  die  Stellung  des  Fohlens  vor  Wodan 
aus  einer  mythologischen  Rangordnung  abzuleiten.  Für  ihn 
w^ie  schon  für  Preusler  war  ausgemacht,  daß  nicht  nur  Balderes 
volo  sondern  auch  Vol{o)  selbst  auf  Wodan  zu  beziehen  sei.^ 
Nur  als  Wodans  Roß  hatte  es  legitime  kultische  Ansprüche.  So 
daß  es  sich  darum  handelte,  den  Vorrang  des  Gottes,  der  als 
Pferd  erschien,  vor  seinem  anthropomorphen  Double  zu  er- 
klären. Muchs  Balder-Aufsatz^  leistete  nicht  genug  mit  dem 
Hinweis  auf  Zusammenhänge  zwischen  dem  Aufstieg  eines  be- 
rittenen Kriegeradels,  dessen  höchster  Gott  Wodan  war,  und 
der  steigenden  Wertung  des  Pferdes;  er  erklärte,  warum  beide 
zugleich  im  kultischen  Rang  stiegen,  Wodan  und  das 
Pferd,  konnte  aber  für  die  Präponderanz  des  Pferdes  nichts 
Stichhaltiges  beibringen.  Steller  rechtfertigte  sie  "mit  der 
mythischen  Priorität  des  dämonischen  Rosses  gegenüber  der 
anthropomorphen  Erscheinungsform  des  Totengottes  Wodan. 
.  .  .  Wodan  ist  erst  eine  spätere  (menschlich  gesehene) 
Umgestaltung  eines  alten  tierischen  Dämons  in  Pferdegestalt; 
das  Roß  bleibt  sein  Attribut."  Das  war  nicht  neu.  Schon  Helm 
hatte  in  Wodan  die  menschliche  Hypostase  eines  pferdegestal- 
tigen  Dämon  erkannt  und  die  mythische  Priorität  des  Rosses 
in  dem  Satz  festgestellt:  "Die  Ablösung  einer  pferdegestaltigen 
Gottheit  durch  Wodan  ist  sicher."^    So  war  es  nicht  einmal 

5.  a.a.O.  §15  und  §i6,  wo  er  auf  die  norwegische  Parallele  verweist:  ]esus  rei 
sin  fole. 

6.  "Die  Rückbeziehung  von  Balderes  auf  Wodan  halte  ich  mit  Bugge  und  Kauff- 
mann  für  sicher.  Es  wäre  ja  auch  mehr  als  seltsam,  wenn  in  der  die  Situation 
schildernden  ersten  Zeile  erzählt  wird,  daß  zwei  in  den  Wald  reiten,  und  in  der 
nächsten  Zeile,  daß  das  Pferd  eines  dritten,  bisher  noch  Ungenannten  sich  den 
Fuß  verrenkte"  (Preusler,  §15).  Dagegen  schon  Niedner,  Zs.f.d.A.,  XLIII,  loi  £E.: 
"Der  volo  ist  Haiders  und  nicht  Wodans!  Das  ist  seit  Grienbergers  Ausführungen 
sicher."   Und  heute  wohl  allgemein  zugegeben. 

7.  Zs.fJ.A.,  LXI,  123.  8.  a.a.O.  208,  263. 


120  CORONA 

nötig,  zur  Festigung  dieser  Anschauung  auf  die  griechische 
Mythologie  zu  verweisen,  wo  Poseidon  in  Pferdegestalt  empor- 
fährt, die  Toten  in  sein  Reich  zu  holen,  und  wo  "in  der  Ver- 
bindung von  Gott  und  Pferd  der  Akzent  auf  dem  Pferd 
gelegen  habe."^  Der  Tierdämon,  auf  dem  die  Toten  zum 
Hades  reiten,  mag  in  dieser  Funktion  vor  Poseidon  den  Vor- 
tritt haben,  für  die  Verbindung  Vol  und  Wodan  kann  das 
kaum  etwas  entscheiden. 

Nach  Steller  tritt  der  Tierdämon  Wodan  in  Gesellschaft 
des  anthropomorphen  Wodan  auf.  Neben  Wodan  als  Pferd 
steht  Wodan  als  Wodan,  neben  dem  mythischen  Fohlen  der 
Gott  mit  seinem  Namen.  Soll  aber  das  Anonym  seinen  Platz 
haben  dürfen  vor  dem  Namhaften  und  ausdrücklich  Benann- 
ten .f'  Der  göttliche  Name  soll  dem  niederen  Partner  bewilligt 
sein,  während  der  stark  artikulierte  Tierdämon  überhaupt 
keinen  hat?  Denn  darauf  baut  die  ganze  Konstruktion,  daß 
Vol  kein  Name  ist.  —  Noch  schwerer  wiegt  die  andere  Tatsache, 
daß  der  Tierdämon  mit  dem  Privileg  der  Zauberkraft  jeden- 
falls nicht  begabt  ist.  Die  Gottheit,  die  durch  Vorantritt  und 
Stabreim  ihre  mythische  Priorität  zweifach  betont,  bemüht 
sinn-  und  nutzlos  ein  weitläufiges  Helferpersonal,  bevor  sie 
sich  in  die  Behandlung  ihres  anthropomorphen  zweiten  Ich 
begibt,  womit  sie  allerdings  ihrer  Abhängigkeit  entscheidenden 
Ausdruck  gibt.  Mag  immerhin  eine  mythische  Priorität  be- 
stehen, hier  handelt  es  sich  um  die  magische  Autorität,  und  die 
liegt  nicht  beim  schwer  akzentuierten  sondern  beim  minder 
gewerteten  Teil.  Der  von  Steller  zum  Vergleich  herangezo- 
gene Pferdefuß,  der  den  Teufel  in  seiner  sonst  meist  anthropo- 
morphen Form  kennzeichnet,  vertritt  wohl  einmal  den  Teufel, 
hat  aber  nur  die  Bedeutungsschwäche  eines  Attributs,  sobald 
der  Teufel  selbst  erscheint.  Steller  ist  nahe  daran,  das  rechte 
Verhältnis  zu  sehen,  wenn  er  feststellt,  daß  in  Sagen  und 
Märchen  das  hinkende  oder  dreibeinige  Reittier  als  Begleiter 
des  Teufels  auftritt,  der  auch  selbst  diese  Gestalt  annehmen 
kann.  Das  heißt,  daß  die  Verkörperung  des  Teufels  sowohl 
im  Menschen-  als  im  Tierbild  stattfinden  kann,  daß  aber  im 

9.  Bei  Steller,  a.a.O.  65,  als  Zitat  aus  L.  Malten,  Griechische  Mythologie. 


DER  ZWEITE  MERSEBURGER  ZAUBERSPRUCH    121 

Fall  anthropomorphen  Auftretens  das  Tier  den  menschlich 
Gebildeten  nur  illustriert.  Eben  das  ist  im  Merseburger  Spruch 
anders.  Hier  steht  Wodan  im  rhythmischen  Schatten  hinter 
seinem  Attribut;  er  ist  stablos  und  nebentonig,  er  rangiert  in 
der  hierarchischen  Ordnung  hinter  dem  Tierdämon,  dem  er 
gleichwohl  mit  seiner  Zauberkraft  magisch  überlegen  ist.  Das 
ist  unmöglich.  So  verdienstlich  es  war,  wieder  darauf  ver- 
wiesen zu  haben,  daß  im  Gestaltenwandel  auch  der  germa- 
nischen Götter  die  menschliche  Figuration  die  jüngste  ist,^^ 
deren  Umrisse  noch  dazu  ganz  unsauber  gegen  die  totemi- 
stischen  Ahnen  abgesetzt  sind,  so  fehlerhaft  war  es,  in  Vol  und 
Wodan  ein  und  dieselbe  Figur  zu  sehen.  Schon  Niedner  hat 
mit  der  simplen  Frage,  warum  Wodan  denn  nicht  gleich  sein 
Fohlen  heilt,  Spekulationen  dieser  Art  ein  Ende  gemacht; 
jede  Beziehung  zwischen  Vol  und  Wodan  gibt  mehr  Fragen 
auf,  als  sie  löst.  So  scheint  denn  auch  diese  Auffassung  allge- 
mein aufgegeben  zu  sein,  Vol  ist  wieder  Phol,  ein  dem  Wodan 
an  Bedeutung  nahestehender  Gott,  über  den  man  nichts 
Genaues  weiß.  J.  de  Vries  fixiert  den  heutigen  Stand  des 
Problems  so:  "Phols  Stellung  am  Anfang  scheint  ihm  eine 
größere  Rolle  als  die  eines  Statisten  zu  geben,  aber  wenn  er 
der  Besitzer  des  Pferdes  ist,  so  müßte  er  mit  Balder  gleich- 
gesetzt werden,  was  auch  wenig  glaubhaft  ist."  Und  resigniert 
schließlich  völlig,  "man  müsse  die  Stellung  von  Phol  als 
unerklärt  beiseite  lassen."^^ 

Bevor  alle  Möglichkeiten  einer  Erklärung  erschöpft  sind, 
ist  ein  solcher  Verzicht  voreilig.  Ist  keine  volle  Sicherheit  zu 
gewinnen,  wird  man  sich  mit  dem  Wahrscheinlichen  be- 
gnügen, wobei  freilich  zu  bedenken  ist,  daß  das  Wahrschein- 
liche nicht  immer  auch  das  Wahre  sein  muß. 

Möglicherweise  war  Steller  auf  der  rechten  Fährte.  Es  hat 
manches  für  sich,  in  Phol  den  Gott  als  Tier  zu  sehen.  Nur  hat 
er  natürlich  nichts  mit  Wodan  zu  tun  sondern  mit  Balder. 
Nicht  daß  zwischen  Phol  und  Balder  eine  Identität  bestünde, 

10.  Diese  dem  mythologischen  Denken  so  geläufige  Deszendenz  ist  dem  moder- 
nen Menschen  auf  naturwissenschaftlichem  Wege  wieder  ins  Bewußtsein  zurück- 
gerufen worden. 

11.  Altgermanische  Religionsgeschichte  (Leipzig,  1935),  I,  231. 


122  CORONA 

die  in  der  Tat  wenig  glaubhaft  ist.  Identisch  sind  nicht  Phol 
und  Balder  sondern  Phol  und  Balderes  volo.  Phol  ist  das  tier- 
dämonische Attribut  einer  Gottheit,  deren  anthropomorpher 
Teil  uns  unter  dem  Namen  Balder  bekannt  ist.  Gibt  es  über- 
haupt einen  Tierdämon  in  diesem  kultischen  Komplex  des 
Lichts,  so  ist  seine  mythische  Funktion  selbstverständlich 
bedeutend  genug,  ihm  einen  eigenen  Namen  zu  geben.  Dieser 
Name  ist  Phol. 

Daß  noch  lange  nach  der  Menschwerdung  einer  Gottheit 
ihr  Totem  ein  unabtrennbarer  Teil  von  ihr  ist,  ist  uns  geläufig. 
Vielleicht  gibt  es  einen  Balder  ohne  sein  Totem-Tier  überhaupt 
nicht.  Doch  gibt  es  seinen  Namen,  d.h.  die  Bezeichnung  der 
menschlichen  Bildung  der  Lichtgottheit.  Für  den  tierdämo- 
nischen Part,  den  wir  nicht  namenlos  denken  dürfen,  bietet  sich 
Phol  als  Name  an,  für  den  im  2.  Vers  synonym  Balderes  volo 
gebraucht  wird.^^ 

12.  Demnach  hängt  die  Gestalt  Fhols  von  der  Bedeutung  ab,  die  wir  volo 
geben.  Die  Wortbedeutung  "Streitroß"  und  allgemeiner  "Reittier"  ist  im  Mhd 
gut  belegt,  am  reichsten  im  Heldenepos,  aber  auch  bei  Wolfram  und  von  da  beim 
Pleier.  Jenseits  der  bayrisch-österr.  Einflußzone  findet  sie  sich  nicht,  das  Mnd 
bevorzugt  das  Wort  in  der  vageren  Bedeutung  eines  jungen  Tiers,  (vgl.  engl,  /oä/.) 
In  der  von  M.  Beheim,  einem  in  Oesterreich  niedergelassenen  Schwaben,  gebrauch- 
ten Phrase  "auf  seiner  Mutter  Fohlen  reiten"  ist  Fohlen  genau  so  viel  und  so  wenig 
ein  Pferd  wie  Schusters  Rappen  ein  Rappen.  Es  muß  unentschieden  bleiben,  welche 
Bedeutung  für  volo  hier  zutrifft.  Natürlich  sollte  ein  ahd  Wort  aus  dem  ahd 
Sprachgebrauch  erklärt  werden.  Gerings  Einspruch  dagegen,  daß  ein  Wort,  weil 
es  im  mhd  Volksepos  "Streitroß"  bedeutet,  schon  im  Ahd  lediglich  diese  Bedeu- 
tung gehabt  haben  müsse,  war  sicherlich  berechtigt.  Ist  daher  durchaus  nicht 
sicher,  daß  dem  Baidertier  die  Gestalt  eines  Pferdes  zugeschrieben  werden  muß,  so 
spricht  doch  auch  nichts  für  die  Auffassung,  es  sei  ein  Hirsch.  Es  ist  recht  uner- 
heblich, ob  wir  unter  volo  ein  junges  Tier  verstehen  oder  speziell  ein  Pferd,  weil 
aus  der  letzteren  Bedeutung  noch  nicht  folgern  würde,  daß  die  Tiergestalt  Balders 
kein  Hirsch  sondern  eben  ein  Roß  gewesen  ist.  Die  Zeichen  und  Bildungen  der 
Götter  sind  flüchtig  und  auswechselbar,  mit  ungeheurer  Leichtigkeit  schießen  sie 
in-  und  durcheinander.  So  heißt  auf  ägyptischen  Denkmälern  der  Hauptgott  von 
Theben  oft  Amon-Re,  Kontamination  des  Widdergottes  von  Theben  mit  dem  Sper- 
bergott von  On. 

Der  Streit,  ob  Balderes  als  Eigenname  oder  als  Appellativum  zu  fassen  sei, 
dauert  seit  MüUenhoff.  "Das  Roß  des  Herrn"  zu  übersetzen,  auf  Wodan  zu  blicken, 
der  es  reitet,  aber  zugleich  auf  Christus  anzuspielen,  den  Heilands-Mythos  einzu- 
schmuggeln, dafür  besteht  nicht  die  leiseste  Notwendigkeit.  Man  hat  ja  nach  Bugges 
Vorangehen  den  ganzen  Spruch  in  die  christlicht;  Einflußsphäre  gerückt  und  ihn 
nur  Schritt  für  Schritt  dem  heidnischen  Götterkult  wiedergewonnen.  Wer  mit 
chiistlichen  Parallelen  aus  dem  Nordischen  aufwartet,  in  denen  aber  Jesus  ohne 
Begleitung  ist,  wenn  sein  Reitpferd  sich  vertiitt,  wer  also  Balderes  volo  zum  Christus- 


DER  ZWEITE  MERSEBURGER  ZAUBERSPRUCH    123 

Die  naheliegende  Frage,  ob  denn  eine  Zwillings-Lichtgott- 
heit,  deren  einer  Teil  ein  Pferd  sei,  belegt  sei,  irgendwie 
gesichert  oder  wenigstens  erschließbar,  setzt  mich  in  Verlegen- 
heit. Das  Lamm  Gottes  und  Gott  als  Lamm,  das  Erscheinen 
der  Evangelisten  in  Gemeinschaft  mit  ihren  Tieren  bietet  sich 
für  die  Tatsache  an,  daß  die  Ablösung  des  Totems  von  der 
menschlichen  Gestalt  noch  in  sehr  späten  Zeiten  nicht  voll- 
zogen ist;  nur  sagt  sie  über  den  Balderkult  ebenso  wenig  aus 
wie  die  bekannte  Tacitus-Stelle  Kap.  10  Abs.  3,  wie  die  Motiv- 
Hufeisen  in  niederdeutschen  Kirchen,  wie  die  Aversion  gegen 
Pferdefleisch,  in  der  ein  altes  Tabu  nachklingen  mag.  Das 
alles  kann  dem  "Totenroß"  gegolten  haben  und  gelten.  Auch 
der  Judiculus  supersüüonum  et  paganiarum  {Monum.  Germ. 
Hist.  Leg.,  II,  I,  223)  ist  in  seinem  Bericht  über  das  Wahrsagen 
aus  dem  Rosseschnauben  ein  Beleg  für  den  kultischen  Rang 
des  Pferdes  überhaupt,  redet  aber  kräftiger  einem  Wodankult 
das  Wort  als  dem  des  Sonnenpferdes.  Anders  ist  es  aber  mit 
dem  Sonnenwagen  von  Trundholm,  den  bisher  niemand  für 
unser  Problem  ausgewertet  zu  haben  scheint.  DeVries  be- 
schreibt ihn  als  ein  sechsräderiges  Untergestell,  auf  dem  eine 
Scheibe  steht,  die  von  einem  Pferd  gezogen  wird.  In  einem 
Punkt  ist  seine  Beschreibung  ungenau:  das  Pferd  zieht  die 
Scheibe  nicht.  Bing  sieht  genauer,  daß  das  Pferd  mit  der 
Scheibe  so  verbunden  ist,  daß  es  die  Scheibe  überhaupt  nicht 
ziehen  \ann}^  Pferd  und  Scheibe  sind  durch  eine  Achse 
verbunden,  beide  werden,  auf  dem  Wagen  stehend,  bei  Prozes- 
sionen umgefahren.  Scheibe  und  Pferd  zusammen  symbo- 
lisieren den  Kult  des  Lichts.  Das  Pferd  ist  weder  dem  Wagen 
vorgespannt  noch  der  Scheibe,  es  hat  im  Komplex  der  Sonnen- 
Verehrung  den  tierdämonischen  Part  übernommen.  DeVries 
ist  von  dem  Phänomen  beeindruckt  genug,  um  nach  anfäng- 
lichem Widerstreben  ("Das  Pferd  braucht  nicht  mythologisch 

Mythos  in  Beziehung  bringt,  übernähme  damit  die  Verpflichtung,  für  fünf  weitere 
Namen  die  christlichen  Modelle  namhaft  zu  machen.  Wodan,  Friia,  Volla  sind  als 
germanische  Gottheiten  belegt,  so  werden  Sinthgtint  und  Sunna  es  wohl  auch  sein. 
Wen  sie  aus  dem  Personal  der  Christuslegende  vertreten  sollen,  ist  jedenfalls  nicht 
zu  ersehen. 

12,.  Der  Sonnenwagen  von  Trundholm  (Halle,  1934),  S.  7  ff. 


124  CORONA 

gedeutet  zu  werden.  Die  Sonnenpferde  der  späteren  altnor- 
dischen Mythologie  können  an  sich  nicht  das  Gegenteil  be- 
weisen, weil  sie  aus  derartigen  Kultbildern  entstanden  sein 
könnten")  fortzufahren:  "Immerhin  ist  zu  beachten,  daß  auch 
in  andern  Teilen  Europas  das  Pferd  mit  dem  Sonnenkult 
verbunden  erscheint,  und  daß  dieses  Tier  bei  den  indoger- 
manischen Völkern  besonders  verehrt  wurde." 

Es  scheint  mir  erlaubt,  in  Phol  dieses  Sonnenpferd  wieder- 
zuerkennen, obwohl  zwischen  dem  Alter  der  Bronze  und  dem 
des  Spruches  eine  Lücke  von  Jahrhunderten  klafft  und  ein 
Fund  in  Südschweden  für  die  Verhältnisse  in  Mitteldeutschland 
wenig  beweist/^  Eine  Wissenschaft,  die  den  Zusammenklang 
germanischer  Wortstämme  mit  altindischen  als  die  natürlichste 
Sache  von  der  Welt  behandelt,  für  deutsche  Märchen  altper- 
sische Motive  sucht,  über  einige  Dutzend  Meridiane  und  Jahr- 
hunderte hinweg  Abhängigkeiten  erwägt  und  Einflüssen 
nachgeht,  wird  die  Möglichkeit  in  Erwägung  ziehen  dürfen, 
daß  hier  eine  indogermanisch  bekannte  Tiergott-Gestalt  in 
ihrer  germanischen  Figuration  vorliege.  —  Der  Eigenname 
dieses  Balderes  volo  ist  PhoL 

Aber  wahrscheinlich  ist  Phol  noch  etwas  anderes.  Es  er- 
schöpft sein  Wesen  nicht  ganz,  Synonym  für  Balderes  volo  zu 
sein.  Es  kann  nicht  befriedigen,  in  ihm  nichts  weiter  zu  sehen 
als  das  mythische  Roß.  Es  könnte  sein,  der  Begriff  Phol  deckte 
nicht  ganz  das  tierdämonische  Attribut,  das  sich  mit  seinem 
Namen  bezeichnet;  er  könnte  umfassender  sein;  er  könnte 
Bdder  und  Balderes  volo  in  sich  enthalten,  das  eine  und  das 
andere,  die  ganze  komplexe  Lichtgottheit,  beides  in  einem, 
d.h.  das  Dritte,  in  dem  Tier  und  Mensch  summarisch  enthalten 
ist;  für  ein  kentaurisches  Gottesbild  dieser  Art,  in  dem  die 
Grenzen  zwischen  Tier  und  Mensch  offen  sind,  bietet  jede 

14.  Nur  für  die  Formel,  nicht  für  die  Einleitungsgeschichte  haben  wir  die  2000 
Jahre  ältere  Parallele  des  Atharvaveda.  Doch  läßt  die  epische  Einleitung  sich  bis 
um  die  Wende  zum  5.  Jh.  zurückverfolgen  und  konser\'iert  sicherlich  Kultgestalten 
aus  ebenfalls  weit  zurückliegender  Zeit.  Außerden  hat  ja  wohl  niemand  dagegen 
Einspruch  erhoben,  wenn  die  Inschrift  " gtitaniowiliailag"  im  Goldring  von  Pietroassa, 
Überbleibsel  der  Gotenwanderung  von  der  Weichsel  nach  Süden,  zu  tausend  Jahre 
späteren  Zauberinschriften  "Thebal  gut  gutani"  in  Verbindung  gesetzt  wurde. 


DER  ZWEITE  MERSEBURGER  ZAUBERSPRUCH    125 

Mythologie  Beispiele  genug.  Es  ist  mit  den  Gesetzen  der 
mythologischen  Logik  vereinbar,  in  Phol  den  Gott  als  Tier  zu 
sehen  und  zugleich  den  Gott  als  schizophrene  Einheit  von 
Tier  und  Mensch.  Phol  als  anthropomorphen  Balder  in  unge- 
löster Vereinigung  mit  seinem  Tier  zu  deuten,  gewährt  nicht 
nur  den  Vorteil,  in  einem  Begriff  vereinigt  zu  haben,  was  jene 
trüben  Zeiten  gewiß  nicht  als  säuberlich  geschiedene  Zweiheit 
zu  denken  gelernt  hatten,  es  erklärt  auch  die  Stellung  Phols. 
So  nämlich  ist  es  möglich,  daß  er  den  Spruch  eröffnet  und  dem 
Namen  Wodans  so  schwertonig  vorangeht.  Er  ist  ja  nicht 
Wodan  als  Pferd  und  nicht  einmal  Balder  als  Pferd,  er  ist  die 
Zwei-Einheit  der  Licht-Gottheit:  der  Tierdämon,  vertieft  und 
verbreitert  um  seinen  anthropomorphen  Teil.  Und  so,  in  seiner 
umfassenden  Ganzheit,  ist  er  dem  Menschenbild  Wodan  hie- 
rarchisch überlegen. 

Freilich  ist  es  seine  Geschichte,  die  da  erzählt  wird.  Um 
seinen  Unfall  handelt  es  sich  und  um  seine  Heilung.  Dem 
Träger  der  Handlung  gebührt  vielleicht  auch  dann  der  erste 
Platz,  wenn  sein  kultischer  Rang  ihn  eigentlich  nicht  recht- 
fertigt. Es  ist  vielleicht  nicht  so  sehr  eine  Rang-  wie  eine 
Akzentfrage,  daß  Phol  zuerst  auftritt,  auch  dann  die  Haupt- 
person, wenn  er  nichts  anderes  wäre  als  nur  der  Tierpart  des 
Mythos.  In  diesem  Fall  hätte  man  das  Recht,  nach  dem 
Namen  der  Gesamtgottheit  zu  fragen,  von  der  nur  die  beiden 
Teil-Namen  bekannt  sind.  Wir  haben  dafür  zur  Auswahl  nur 
Balder  und  Phol.  Da  wir  Balder  mit  der  anthropomorphen 
Rolle  besetzt  wissen,  wäre  die  vernünftigere  Antwort:  Phol. 
In  ihm  den  dreieinigen  Gott  sehen  —  Tierdämon,  Menschenbild 
und  den  kentaurischen  Summanden — ,  das  hieße,  ein  erstes 
Mal  auf  jene  magische  Drei  stoßen,  die  in  dem  Spruch  ver- 
schiedentlich waltet. 

Doch  besteht  keine  Nötigung,  in  diesem  Augenblick 
davon  zu  reden,  noch  überhaupt  Phols  Figur  oder  Charakter 
genau  zu  bestimmen.  Wir  dürfen  damit  zufrieden  sein,  die 
Bedeutung  von  Balderes  volo  einigermaßen  sicherzustellen:  es 
ist  das  Sonnenpferd,  wie  es  uns  die  Bronze  von  Trundholm 


126  CORONA 

zeigt,  und  sein  Name  ist  Phol.  Ob  auch  seine  Natur,  ist 
unerwiesen. 

Für  das  Bewußtsein  der  Menschen,  die  den  Spruch 
brauchten,  mag  Phol  und  Bald  eres  volo  etwa  das  Gleiche  ge- 
wesen sein,  eine  Parallelform,  wie  sie  dem  germanischen  Vers 
so  gewohnt  ist,  eine  zweite,  variierende  Bezeichnung  für  ein 
und  dieselbe  Figur,  wie  es  die  Mythologie  liebt.  Aber  nur  für 
die  Figur.  Denn  für  jedes  mythologische  Synonym  gilt,  daß  es 
keine  Synonyme  gibt.  Zwei  Worte  für  einen  Gott  besagen, 
daß  dieser  eine  Gott  allenfalls  eine  Gestalt  hat  aber  zwei  ver- 
schiedene Funktionen,  und  daß  er  in  der  einen  oder  in  der 
andern  zu  denken  ist. 

Balderes  volo  (das  ich  am  liebsten  als  Kompositum  fasse: 
das  Baidertier)  ist  natürlich  kein  Reittier,  so  wenig  es  auf  dem 
Sonnenwagen  ein  Zugtier  ist.  Indem  es  sich  verletzt,  ist  die 
Lichtgottheit  selbst  verletzt.  Zauber  muß  walten,  den  Ver- 
sehrten Gott  in  seiner  Gesamtheit  wiederherzustellen.^^ 

2.  zi  holza  varan 

Kaum  einem  der  Vielen,  die  uns  die  Eingangsgeschichte 
nacherzählten,  war  es  zweifelhaft  erschienen,  daß  Vhol  und 
Wodan  in  den  Wald  ritten.  Stünde  fest,  daß  sie  zu  Pferde 
waren,  so  wäre  die  Gestalt,  die  wir  Phol  gegeben  haben,  un- 
möglich und  unsere  Deutung  hinfällig.  Mit  seltener  Einstim- 
migkeit entschieden  sich  die  Kommentatoren  dafür,  beide 
Götter  auf  Pferde  zu  setzen,  ja  auf  Schlachtrosse;  sie  ließen 
das  Reitpferd  des  einen  verunglücken,  blieben  uns  aber  die 
Erklärung  schuldig,  warum  denn  nicht  einfach  an  die  Stelle 
des  verletzten  ein  anderes  Pferd  trat,  oder  beide  Reiter  zusam- 

15.  In  letzter  Stunde  werde  ich  eines  in  Uppsala  erschienenen  Aufsatzes  von  Elis 
Wadstein:  Zum  zweiten  Merseb.  Zauberspr.,  Sttidia  Neophilologica,  XII  (1930/40), 
S.  205  ff.  habhaft.  Heycks  Meinung  (vgl.  oben  S.  118,  Anm.  3)  von  der  nd.  Vorlage 
unseres  Spruchs  wird  aufgewärmt,  Phol  wird  radikal  beseitigt.  Unter  Hinweis  auf 
bekannte  Parallelen,  die  den  mythischen  Reiter  beim  Unfall  allein  sein  lassen,  wird 
Vol  ende  zusammengezogen,  imortin  zi  holza  (nd:  vtior  iinte  holta)  auseinander- 
gerissen: Zu  Roß  Wodan  fuhr  bis  zum  Walde.  —  Unwahrscheinlich,  daß  die  Kon- 
jekturen jemanden  überzeugen  werden.  Der  "Instrumentalis"  ist  als  Stabträger 
unmöglich;  bis  zum  gibt  einen  gezwungenen  Sinn;  und  mit  Balderes  statt  Wodanes 
volo  im  2.  Vers  werden  alle  die  alten  Einwände  wieder  laut. 


DER  ZWEITE  MERSEBURGER  ZAUBERSPRUCH    127 

men  das  heile  Roß  bestiegen,  was  uns  sonst  oft  genug  berichtet 
wird.  Vielleicht  weil  es  sich  um  ein  besonderes  Pferd  handelte  ? 
War  aber  dieses  Pferd  ungewöhnlich,  nämlich  unauswechsel- 
bar und  unersetzlich,  so  brauchte  man  es  vielleicht  gar  nicht 
zum  Reiten?  Tatsächlich  ist  nirgends  gesagt,  daß  Phol  und 
Wodan  beritten  waren.  Bei  Wodan  soll  es  "mit  seiner  Er- 
scheinung als  wilder  Jäger  zusammenstimmen,"^^  aber  es 
stimmt  zu  seiner  Erscheinung  als  Wanderer,  daß  er  zu  Fuß 
geht,  und  "der  ritterliche  Gott"  Balder  bedarf  keines  Reitpferdes, 
um  es  zu  sein.  Unerfindlich  endlich,  woher  Neckel  wissen  will, 
daß  "die  ganze  Götterschar  beritten  ist;  nicht  bloß  Phol, 
Wodan  und  Balder  sondern  offenbar  auch  Sinthgunt  —  Haiders 
Gattin  ?  —  und  die  andern  Göttinnen."  Im  Spruch  selbst  steht 
davon  keine  Silbe.  Varan  wird  zur  Bezeichnung  jeder  Art  von 
Fortbewegung  verwendet;  so  ist  es  in  der  Bedeutung  von 
"reiten"  —  wofür  es  aber  an  eigenem  Wort  natürlich  nicht 
fehlte  —  denkbar ;  doch  wäre  sie  ganz  einmalig  und  recht  ent- 
legen. Wem  gar  die  Wendung  zi  holza  varan  ein  altgermani- 
sches Jagdstück  vor  Augen  zaubert,  die  kläffende  Meute,  des 
Hifthorns  frohen  Ruf,  die  Sau-Hatz  mit  dem  dummen  Jagd- 
unfall zuguterletzt,  der  hat  seine  Nibelungen  nicht  umsonst 
gelesen,  läßt  aber  seiner  Einbildung  —  um  auch  meinerseits 
dem  Kavalierismus  zu  huldigen  —  die  Zügel  schiessen,  denn 
gesagt  ist  nichts  weiter,  als  daß  Phol  und  Wodan  sich  in  das 
Holz  begaben.  Und  so  haben  wir  zu  lesen.  Auch  ist  das  Buch- 
stäbliche grade  genug. 

Auffallend  ist  die  Wendung  wegen  der  Wahl  des  Wortes 
holz.  Der  Lautbestand  des  Verses  bot  sicherlich  zunächst  zi 
walde  an.  Wurde  die  phonetisch  legitimere  Wendung  ver- 
worfen, so  geschah  es  nicht  ohne  Absicht.  Es  könnte  sein,  die 
Wahl  des  ferner  liegenden  holz  deute  auf  eine  Bedeutungs- 
differenz zwischen  den  beiden  Worten,  groß  genug,  die  Ver- 
wendung von  wald  zu  verbieten.  Gab  es  wirklich  eine,  so 
nahm  sie  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  wald  für  das  wilde 
Dickicht,  den  dunklen  Forst  in  Anspruch  und  bezeichnete  mit 

16.  R.  M.  Meyer,  Zs.j.d.A.,  LH,  392. 


128  CORONA 

holz  die  lichtere  Art  von  Gehölz,  die  zugänglichere,  dünn 
bestandene,  vielleicht  gar  kultivierte,  etv^a  im  Sinne  von 
Hain.'' 

Wer  in  einem  Hain  zu  Fall  kommt,  darf  nicht  aufstehen. 
Er  muß  sich  hinausw^älzen.  Denn  der  Gott  dieses  Haines  selbst 
hat  ihn  gew^orfen.  Der  Unfall  des  Gottes  in  einem  Bezirk,  der 
einem  andern  Gotte  gev^eiht  ist,  wäre  verständlich.  Nach 
germanischem  Glauben  ist  jedes  Fußausgleiten  das  Werk  des 
Feindes,  der  sein  Opfer  tot  sehen  v^^ill.  —  Damit  w^ürde  manches 
klar,  besonders  das  Eingreifen  Wodans,  der  allein  den  Zauber 
des  Hain-Gottes  lösen  kann. 

Doch  lege  ich  dieser  Erklärung  schon  deshalb  kein  Gewicht 
bei,  weil  die  Stelle  keiner  bedarf.  Die  mythologische  Szenerie, 
die  Krohn'^  vermißte,  weshalb  er  den  einleitenden  Versen 
Alter  und  Ursprünglichkeit  absprach,  haben  wir  in  jedem  Fall. 
Die  Dämonen  des  Waldes  hassen  die  Gottheit  des  Lichts.'^  Wir 
verstärken  nur  die  mythenhaften  Elemente  der  Szenerie,  wenn 
wir  unter  Hinweis  auf  den  Unterschied  zwischen  Wald  und 
Hain  vorschlagen,  unter  holz  ein  mit  Magie  besetztes  Wald- 
stück zu  verstehen,  seine  Bedeutung  so  der  von  Hain  zu 
nähern. 

^.  Das  Mittelstüc\ 

Mit  den  ersten  beiden  Zeilen  ist  die  Eingangsgeschichte 
beschlossen:  Phol  und  Wodan  begaben  sich  ins  Gehölz;  da 
wurde  dem  Baidertier  (Phol)  der  Fuß  verletzt.  —  Das  ist  das 
Faktum  und  nichts  weiter.  Mit  hirenhjt  schließt  der  epische 
Teil.  Die  Fabel  ist  erzählt.  Was  mit  dem  dritten  Vers  einsetzt, 
ist  nicht  mehr  Erzählung,  auch  wenn  es  noch  an  der  erzählen- 
den Verbalform  festhält.  Es  steht  unter  anderem  Zeichen, 
gehört  schon  selbst  zu  dem  Bezirk  der  Beschwörung.  Dreimal 
erscheint  das  Wort  bigalan,  das  man  nicht  nennen  und  wieder- 

17.  Vgl.  H.  Wesches  Diss.  über  Das  Heidentum  i.  d.  ahd.  Sprache  (Göttingen, 
1932):  harug  steht  sowohl  für  latein.  /«cwi- =  Lichtung  als  für  nemus-='Vr\h,  Baum- 
gruppe; meint  also  im  Gegensatz  zum  wilden  Wald  ein  gehegtes  Waldstück.  —  Das 
ist  hier  "holz."  Wesches  neues  Buch  über  den  Gegenstand,  mir  von  W.  Kurrelmeyer 
gütigst  nachgewiesen,  Der  ahd  Wortschatz  im  Gebiete  d.  Zaubers  u.  d.  Weissagung 
(Halle,  1940)  war  mir  nicht  zugänglich. 

18.  K.  Kohn,  Gott.  Gelehrt.  A.  (1912),  217  ff. 

19.  Vgl.  Ehrismann,  Ut.  Gesch.,  I*,  106  u.  Anm. 


DER  ZWEITE  MERSEBURGER  ZAUBERSPRUCH    129 

holen  kann,  ohne  suggestive  Kräfte  heraufzubeschwören.  Die 
Göttinnen  stehen  unvermittelt  (telepathisch  gerufen)  auf  der 
Bühne,  ein  Zauberchor,  ein  magisches  Personal,  deren  Namen, 
nach  einem  glücklichen  Wort  deBoors,  "von  solcher  Kraft 
strotzen,  daß  sie  das  Werk  der  magischen  Technik  treiben 
helfen."^*'  Es  ist  nicht  erzählt,  w^ie  sie  kommen,  noch  w^oher. 
Sie  sind  da  und  v^^irken  ihren  Zauber.  Unerfindlich,  wie  man 
sie  in  die  Einleitungsgeschichte  hat  einbeziehen  können.  Denn 
was  mit  dem  dreimal  wiederholten,  jedesmal  dringlicher  und 
mächtiger  artikulierten  thu  biguol  einsetzt,  steht  in  klarem 
Gegensatz  zu  der  Reportage  des  Unfalls.  Auch  ist  die  Nen- 
nung der  Götternamen  zugleich  Anruf;  von  ihnen  sagen,  sie 
singen  den  Zaubergesang,  ist  schon,  ihn  selber  singen,  anhand 
der  magischen  Modelle  den  Schritt  aus  der  realen  in  die  my- 
thische Welt  machen,  in  drei  Stufen  die  epische  Szene  in  eine 
magische  transponieren. 

Es  heißt  den  Charakter  des  ganzen  Stücks  verkennen,  wenn 
man  erzählt:  "Wodan  war  mit  Frija  und  deren  drott  aufge- 
brochen, um  bei  Holden  und  Unholden  im  Walde  irgend  ein 
Anliegen  zu  erledigen.  Vol  und  Wodan  hatten  sich  von  den 
übrigen  getrennt  und  unterwegs  stieß  dem  Schlachtroß  des 
Gottes  ein  Unglück  zu,  wie  bei  anderer  Gelegenheit  den 
Böcken  des  Thorr  oder  dem  Streitroß  des  Hartmuot."^^  Von 
alledem  findet  sich  auch  nicht  ein  Wort  im  Text.  Auch  zu 
Neckeis  farbenfroher  Schäferidylle,  deren  Mittelstück  der  Un- 
fall ist,  "der  dem  Balder  zustieß,  als  er  in  Gesellschaft  anderer 
Götter  und  Göttinnen  zu  Holze  ritt"  bietet  der  Text  nicht  die 
geringsten  Handhaben.  Die  Fußverletzung  des  Himmels- 
fohlens bewirkt  automatisch  den  Eingriff  der  göttlichen  Helfer. 
Sie  sind  nicht  in  Wodans  Gefolge,  sie  werden  nicht  herbei- 
zitiert. Sondern:  In  der  Fermate  hinter  birenkit  beginnt  das 
magische  Triebwerk  zu  laufen.  In  der  Fermate  hinter  birenkit 
wird  umgeschaltet.  Mit  Vers  3  treten  wir  in  die  Welt  des 
galdar  ein.   Die  Behandlung  von  Wunden,  Brüchen,  Verren- 

20.  De  Boor,  Reallexi\on  d.  dt.  Ltt.,  III  (1928/29),  512. 

21.  So  Kauffmann,  Zs.f.d.Ph.,  XXVI,  456. 


130  CORONA 

kungen  ist  Frauenwerk  ;"^  paarweise  wie  die  Engel  treten  sie 
heran,  doppelt  arbeiten  sie  wie  die  Formeln  der  Urkunden  und 
Rechtssprüche,  wie  Stabreim  und  Parallelismus,  so  daß  die 
Frage  nicht  müßig  ist,  ob  nicht  vielleicht  Sinthgunt  auch 
Sunna  ist  und  Vriia  auch  Volla,  in  ihre  Alliteration  zerlegt,  in 
dem  gleichen  Sinn  wie  "Kind  und  Kegel,"  was  eben  nur 
meint:  Kind  in  jedem  Sinn,  oder  "Null  und  nichtig,"  was  nur 
bedeutet:  nichtig  in  jedem  Sinn,  oder  "Bausch  und  Bogen," 
was  so  viel  ist  wie  Bogen  nach  innen  und  nach  außen,  oder 
"Wun  und  Weid,"  das  Weiderecht  im  weitesten  Sinn.  Es  ist 
nicht  ausgemacht,  daß  die  Göttinnenpaare  wirklich  immer  je 
zwei  verschiedene  Personifizierungen  ähnlicher  Kultbezirke 
bezeichnen,  was  auch  darum  unwahrscheinlich  ist,  als  die 
Tätigkeit  an  Fhol  eine  Ein-stimmigkeit  und  Über-ein-stim- 
mung  voraussetzt,  die  es  nicht  gestattet,  in  den  Göttinnen  vier 
Individualitäten  zu  sehen.  Ehrismann  ist  sicher  im  Recht, 
wenn  er  von  Sinthgunt  als  einer  Teilbezeichnung  für  das 
Wesen  der  Sunna  spricht,  oder  von  Volla  sagt,  sie  bezeichne 
noch  prägnanter  die  Fülle  der  Fruchtbarkeit,  also  das  Wesen 
der  Fnia,  sie  sei,  was  Friia  sei,  nur  spezifiziert  auf  einen  Teil 
der  komplexen  Fruchtbarkeits-Gottheit.  Man  könnte  noch 
weiter  gehen,  so  daß  man  Volla  anspricht  als  eine  Akzentua- 
tion  der  Frija,  als  eine  Frija  im  Sperrdruck,  betont  und  unter- 
strichen und  feierlich  berufen,  wofür  ja  nur  der  alliterierende 
Zuname  zur  Verfügung  stand.  Man  könnte  sagen,  Sinthgunt 
verhalte  sich  zu  Sunna  und  Volla  im  Friia,  wie  Balderes  volo 
zu  Phol.  Ich  gehe  nicht  so  weit  wie  Preusler,  der  radikal  ent- 
scheidet: "In  den  andern  Göttinnen  [ausser  Friia,  die  er  aus 
Maria  ableitet]  sehe  ich  mit  Kauffmann  die  drott  der  Freya,""^ 
stimme  aber  dem  Gedanken  zu,  das  zweimalige  Bezeichnen 
ein  und  desselben,  die  alliterierende  Variation  verstärke,  ver- 
mehre und  verdringliche  die  Beschwörung  in  einer  dem  Zauber 

22.  Wenn  auch  gewöhnlich  nicht  an  Pferden! 

23.  Kauffmann,  der  wegen  der  nicht  vorhandenen  Konjunktion  lesen  will:  "Da 
besprach  ihn  Sinthgunt,  der  Sun  ihre  Schwester;  da  besprpch  ihn  Frija,  der  Vol 
ihre  Schwester";  ist  von  Erdmann  schon  mit  grammatischen  Argumenten  abgewiesen 
worden.  Hinzukommt,  daß  Friia  gerade  in  Kaufimanns  Deutung  weit  mehr  ist  als 
nur  "der  Vol  ihre  Schwester."    Das  Umgekehrte  wäre  möglich. 


DER  ZWEITE  MERSEBURGER  ZAUBERSPRUCH    131 

höchst  nützlichen  Weise.  Nennen  heißt  schon  zitieren  und 
herbeizitieren,  doppelt  nennen  ist  zwingen,  in  den  magischen 
Dienst  pressen. 

Ich  glaube  nicht,  daß  die  allgemeine  Auflassung  richtig  ist, 
daß  nach  den  unwirksamen  Beschwörungen  der  Göttinnen 
erst  Wodan,  der  Zauberkundige,  erfolgreich  ist.  "Du  mußt  es 
dreimal  sagen"  lautet  die  bekannte  Vorschrift,  die  da  bannt 
und  löst.^^  Wodan,  der  dritte  Galdr,  wirkt  nicht  nur,  weil  er 
der  kräftigste  ist,  sondern  er  ist  auch  deshalb  der  kräftigste, 
weil  er  der  dritte  ist.  Die  Göttinnen  sind  innerhalb  dessen, 
was  ihnen  aufgegeben  ist  zu  tun,  ebenso  erfolgreich;  sie  berei- 
ten den  dritten,  den  letzten,  den  gewichtigen  Zauberspruch 
vor,  den  nun  Wodan  spricht,  so  he  uuola  conda. 

Der  gleiche,  formelhafte  Vers  steht  bei  Otfrid  I,  27,  31. 
Ehrismann  übersetzt  ihn:  "Der  es  aufs  beste  verstand,"  Fraen- 
kel  korrigiert:  "So  wie  er  es  (als  Galdr)  verstand." 

Diese  Schlußiigur,  ein  Schnörkel,  der  den  Namen  des 
Magiers  der  Rune  begleitet,  darf  so  und  so  übersetzt  werden. 
Immerhin  trägt  wola  den  schwächeren  Stab,  stützt  den 
Hauptton,  der  auf  Wodan  liegt,  ist  eine  bejahende,  Vertrauen 
und  Zuversicht  weckende  Form,  die  Fraenkel  doch  nicht  ganz 
unterdrücken  sollte.  Natürlich  ist  die  Halbzeile  nur  dazu  da, 
nach  der  Hochspannung  der  Namensanrufung,  nach  der 
anwachsenden  Wucht  und  Wichtigkeit  des  dreimaligen  Zau- 
bersingens die  notwendige  Entspannung  zu  bringen,  die  tief- 
tonige  Senkung,  das  artikulatorische  Halbdunkel,  in  dem  sich 
das  Entscheidende  vorbereitet:  die  Beschwörung  selbst.  Die 
Beobachtung  Fraenkels  über  das  Vokalspiel  in  den  beiden 
Halbzeilen  des  fünften  Verses  ist  sicherlich  richtig  und  hat 

24.  Der  Segen  Pro  Nessia  befiehlt  Ter  pater  noster;  das  Rezept  des  Straßburger 
Wundsegens  lautet:  Singtila  ter  dicat:  von  Abschwörungsformeln  und  Taufgelöb- 
nissen wissen  wir,  daß  sie  dreimal  gesprochen  werden  mussten;  dreimal  täglich 
einen  Eßlöffel  verschreibt  der  Arzt  noch  heute;  und  der  Startschuß  zum  Beginn 
des  Rennens  wird  erst  nach  zwei  vorbereitenden  Signalen  gelöst.  Nach  dreimaligem 
Anruf  schießt  die  Wache.  In  Th.  Mann's  Josephsroman  wird  über  Joseph  der  Segen 
dreimal  gesprochen:  "Denn  zweimal  sagte  ich's  schon,  und  was  man  dreimal  sagt, 
ist  kräftig"  {Joseph  in  Ägypten,  S.  195).  Ernst  Philippson:  Germanisches  Heidentum 
b.  d.  Angelsachsen  (Leipzig,  1929)  stellt  S.  221  das  Gleiche  fürs  Altenglische  fest 
( Neun\räuter Segen ) ,  bringt  mit  dem  "Segen  aus  Lincolnshire"  S.  153  auch  ein 
schlagendes  modernes  Beispiel.  Hierher  gehört  auch:  Vater,  Sohn  und  Heiliger  Geist. 


132  CORONA 

ihren  musikalischen  Sinn.  Es  gibt  dem  Zauber  Wodans  nicht 
nur  den  zusätzlichen  Akzent,  indem  es  zum  Stabreim  noch 
die  Assonanz  hinzufügt,  es  addiert  nicht  nur  zu  dem  schon 
vorhanden  Gewicht  ein  weiteres  vokalisches;  zugleich  leitet  es 
unter  bedeutender  Beibehaltung  des  Lautmaterials,  aus  dem 
Wodan  gebildet  ist,  den  zweiten  Teil  musikalisch  zu  Ende. 

Denn  nach  Vers  fünf  ist  eine  Fermate  von  der  gleichen 
Tiefe  wie  hinter  der  epischen  Einleitung.  Der  zweite  Satz  und 
Absatz  des  Spruchs  ist  zu  Ende,  und  Stille  herrscht,  bevor  der 
dritte  einsetzt.  Es  ist  einige  Male  bemerkt  worden,  daß  die 
ersten  beiden  Verse  die  epische  Einleitung  geben,  aber  es  ist 
nicht  bemerkt  worden,  daß  die  nächsten  drei  Verse  eine  selb- 
ständige Funktion  haben.  Sie  sind  nicht  mehr  Einleitung  und 
noch  nicht  die  Zauberformel.  In  der  Form  der  anfänglichen 
Erzählung  teilen  sie  den  Zauber  selbst  als  Faktum  mit.  In 
ihnen  wird  erzählt,  daß  gezaubert  wird,  zugleich  wird  gezau- 
bert, indirekt,  mit  Götternamen,  mit  dreimaligem  biguol,  mit 
anwachsend  dringlichem  Anruf;  vor  dem  Wortlaut  des  Zaubers 
selbst  gibt  es  im  Gemurmel  dumpfer  Vokale  ein  letztes  Atem- 
holen, ein  Ausholen  vor  der  schwersten  Arbeit. 

4.  Die  Zauberformel 

Die  eigentliche  Zauberformel  gilt  als  indogermanisches 
Gemeingut,  seit  Kuhn  1864  im  Atharvaveda  eine  verblüffende 
Entsprechung  gefunden  hatte  und  von  Ungarn  bis  Schottland, 
in  slavischen  wie  in  germanischen  Bezirken,  Sprüche  zu  Tage 
kamen,  die  über  Alter  und  Verbreitung  des  Zaubers  reichen 
Aufschluß  gaben.  Was  aber  den  Merseburger  Spruch  vom 
altindischen  trennt  und  ebenso  vom  schottischen,  das  ist,  daß 
er  statt  der  vier  Partien  der  Heilung  nur  drei  kennt. 
Atharvaveda,  IV,  12: 

Zusammen  werde  dir  Mark  mit  und  auch  zusammen  Glied  an 

Mark,  Glied; 

Was  dir  an  Fleisch  vergangen  ist,  und  auch  der  Knochen  wachse  dir; 
Mark  mit  Marke  sei  vereinigt,  Haut  mit  Haut  erhebe  sich; 

Blut  erheb  sich  dir  am  Knochen,        Fleisch  erhebe  sich  am  Fleisch; 
Haar  mit  Haar  füg  es  zusammen 


DER  ZWEITE  MERSEBURGER  ZAUBERSPRUCH    133 

Schottischer  Spruch  (Koegel,  63) : 

Unser  Herr  ritt,  seines  Fohlens  Fuß  glitt; 

ab  stieg  er,  seines  Fohlens  Fuß  renkt  er  ein: 

Bein  zu  Beine,  Sehne  zu  Sehne 

Blut  zu  Blute,  Fleisch  zu  Fleische. 

Das  Gesetz,  nach  dem  diese  Formeln  gebildet  sind,  ist  das  des 
parallelistischen  bzw  antithetischen  Verdoppeins;  Mark  und 
Glied,  Fleisch  und  Knochen,  Bein  und  Sehne  sind  ebenso 
variierend  wie  kontrastierend.  Immer  handelt  es  sich  um 
Begriflspaare,  um  das  Prinzip  der  Zwei. 

De  Boor,  der  außerordentlich  deutlich  sieht,  daß  jeder 
Zauber  auf  eine  sehr  feste  und  unzerstörbare  Wortform 
dringen  muß,  erkennt  als  oberste  magische  Regel  aller  ger- 
manischen Zauberformeln  "die  Dreigliederung  mit  Achter- 
gewicht." Für  sie  gibt  er  nordische  Beispiele,  deren  Analyse 
seine  Terminologie  sehr  gut  illustriert.^''  Die  Nachdrucks- 
steigerung im  dritten  Glied,  so  wichtig  für  den  germanischen 
gddrar,  vermißt  er  im  zweiten  Merseburger  Spruch.  Statt 
der  Stufung  der  drei  Zeilen  in  der  Form,  daß  die  letzte  nicht 
nur  metrisch  ausgeweitet  ist  sondern  zugleich  inhaltlich  die 
nachdrücklichste,  findet  er  in  den  drei  mit  sose  beginnenden 
Sätzen  einen  vollen  Parallelismus  mit  klarem  Gleichgewicht 
von  Anfang  bis  Ende. 

Das  verlangte  Achtergewicht,  durch  das  in  der  Tat  die 
Dreigliederung  erst  ihren  vollen  Sinn  erhält,  scheint  mir  über- 
all, auch  in  der  Zauberformel  selbst,  deutlich  vorhanden:  Zuerst 
wird  der  Knochen  besprochen,  ben  zi  bena,  dann  das  Blut, 
bluot  zi  bluoda,  drittens  und  letztens  das  "Glied."  Aber  das 
ist  kein  drittes  neben  den  beiden  andern,  das  ist  das  Ganze 
und  Gesamte.  Was  vorher  nur  Teil  war,  Knochen  und  Blut, 
heißt  als  Summe:  Glied!  Birlinger  zitiert  Germania,  XVII, 
75  den  alten  Vers:  "Ich  hab  verrenckt  und  brocken  mein 

25.  Die  Findung  der  Rune  "Sie  schuf  er;  sie  schnitt  er;  sie  ersann  Siegvater. " 
Der  dritte  Teil  ist  nicht  nur  schwerer  durch  das  substantivische  Subjekt  anstelle 
des  nur  pronominalen,  "ersinnen"  ist  auch  der  eigentlich  erfinderische  Prozeß,  der 
schaffen  und  schneiden  zusammenfasst.  "Sie  wirkt'  er;  sie  webt'  er;  sie  alle  setzt' 
zusammen  er,"  ^eigt  das  Gleiche  noch  besser. 


134  CORONA 

ßeisch,  mein  blüt,  mein  bain,"  wobei  bain  nicht  etwa  nur  Mark 
ist  sondern  fleisch  +  blüt  +  kßochen:  das  Bein  als  Ganzes. 
Das  ist  die  Bedeutung  von  ahd  lid.  Im  ersten  und  zweiten 
Schub  fügt  der  Zauber  nur  Teile  zusammen,  erst  im  dritten, 
nachdrücklichsten  Teil  leistet  er  ganze,  entscheidende  Arbeit: 
Das  Glied  ist  heil.  Dreimal  wird  der  Beinbruch  besprochen, 
von  einer  Götterdreiheit,  deren  Achtergewicht  durch  Wodan 
verbürgt  ist.  Dreimal  erscheint  das  Wort  biguol,  und  das 
dritte  Mal  in  einem  Vers,  der  durch  seine  Assonanzen  schwerer 
und  ornamental  verziert  ist.  Und  endlich  trägt  die  Beschwö- 
rung selbst  Achtergewicht,  wenn  sie  zuerst  nur  Knochen  und 
Blut  heilt,  endlich  aber  das  ganze,  gesamte,  in  allen  seinen 
Teilen  geeinte  Glied. 

Dazu  erscheint  der  Halbvers  sose  gelimida  sin  in  der  gleichen 
(beschwerenden  und  zugleich  dämpfenden)  Funktion  wie  der 
Halbvers,  der  den  mittleren  Teil  abschließt.  Er  hat  nur  neben- 
bei den  Sinn,  von  dem  Resultat  der  Besprechung  zu  berich- 
ten, er  ist  ein  Schnörkel  und  eine  Schlußkoda  wie  seine 
Entsprechung  in  Vers  fünf.  Auf  den  Höhepunkt  geliden,  den 
dritten  magischen  Schritt,  das  stärkste  und  umfassendste  Wort 
kann  nicht  einfach  nichts  folgen. 

Schroeders  Einspruch  gegen  das  "Leimen"  des  Beins 
(Zs.f.d.A.,  LXIII,  175:  nur  mit  "geleimt"  soll  mir  niemand 
mehr  kommen)  dürfte  seit  Naumanns  Antwort  erledigt  sein, 
wobei  ich  wieder  wie  beim  zweiten  Halbvers  fünf  hinzufüge, 
daß  Gehalt  und  Wortgestalt  recht  unwichtig  und  somit  stär- 
kerer Verderbnis  ausgesetzt  war.  Der  Halbvers  steht  in  der  Ton- 
senke, die  beschwörende  Stimme  klingt  ab,  sinkt  ins  Murmeln, 
wenn  irgendwo  dann  hier  haben  wir  eine  Art  von  Abraka- 
dabra, in  der  nur  lautliche  Assonanzen  noch  wichtig  sind,  ein 
Nach-  und  Abklingen  der  Lautfolge  l-i-d  in  gelimida  sinr^ 

Dem  Einspruch  Vogts,  dessen  rhythmisches  Gefühl  durch 
den  nachschleppenden  Halbvers  verletzt  ist,  kann  ich  nicht 
beipflichten.^^   Der   höchsten   und   hellsten   Artikulation   die 

26.  Vokal-  und  Konsonanten-Verschränkung  geliden  —  gelimida  ist  hier  so  wenig 
unabsichtlich  wie  im  fünften  Vers,  wo  gtiol  Wodan  in  wola  conda  höchst  kunstvoll 
wieder  aufklingen.    Fraenkel  hat  jedes  Recht,  von  Schlagrcimen  zu  sprechen. 

27.  Zs.f-d.A.,  LXV,  97-130,  besonders  112  f.    Aber  mit  dem  primitiven  "Haitis- 


DER  ZWEITE  MERSEBURGER  ZAUBERSPRUCH    135 

Koda  folgen  zu  lassen,  das  suggestive  Werk  mit  einem  halb- 
lauten Singsang  zum  Schluß  zu  bringen,  ist  gute  alte  Zauber- 
technik. Der  Zauber  lebt  davon,  daß  er  nicht  dauert,  er  ist 
die  Magie  des  Augenblicks  und  der  Augenblick  der  Magie, 
die  gewohnte  Ebene  muß  wieder  gewonnen  werden;  sose 
gelimida  sin  ist  in  der  Zauberwelt  das  quod  erat  demonstran- 
dum der  Mathematik;  es  entspricht  der  formelhaften  Geste, 
mit  der  der  Parterre-Akrobat  nach  dem  sensationellen  Kunst- 
stück dem  applaudierenden  Publikum  zu  danken  hat  und 
anzudeuten,  es  sei  so  schwer  nicht  gewesen;  indem  er  dankt, 
beruhigt  er.  Der  letzte  Halbvers  ist  das  magische  Amen. 

5.  Die  Dreigliederung 

De  Boor  verwendet  viel  Mühe  auf  den  Nachweis,  daß  die 
"magische  Dreigliederung"  sich  sogar  in  den  viergliedrigen 
metrischen  Gebilden,  die  aus  je  zwei  Langzeilen  bestehen, 
deutlich  erhält.  Unsere  Zauberformel  ist  ihm  gradezu  ein 
Beispiel  für  die  "Einstilisierung  der  Dreigliederung  in  ein 
viergliedriges  metrisches  Schema,  wobei  3  +  4  zusammenge- 
faßt das  dritte  Glied  aufnimmt  und  Raum  für  dessen  breitere 
Entfaltung  gewährt."  Das  wäre  ein  höchst  ungewöhnlicher 
Vorgang.  In  unserm  altindischen  wie  im  schottischen  Beispiel 
bietet  sich  die  metrische  Viergliedrigkeit  von  selber  an,  sie  ist 
der  metrische  Ausdruck  dessen,  was  syntaktisch  Parallelismus 
heißt.  Aber  hier,  im  altdeutschen  Spruch,  bestünde  eine 
gewaltige  Diskrepanz  zwischen  dem  Prinzip  der  magischen 
Drei  und  dem  Vierer-Metrum.  —  Sie  besteht  nicht. 

Nicht  einmal  im  metrischen  Sinn  kann  man  von  Vierglie- 
drigkeit der  in  Frage  stehenden  beiden  Langzeilen: 
ben  zi  bena  bluot  zi  bluoda 

lid  zi  geliden,        sose  gelimida  sin 

sprechen.  Sie  ist  ja  auch  in  den  korrespondierenden  Zeilen 
nicht  vorhanden: 


Po\us"  ist  der  ganze  Hokuspokus  nie  zu  Ende,  das  ist  nur  erst  die  vorbereitende 
Doppelformel.  Der  eigentliche  Zauber  wird  in  meiner  Heimat  begleitet  mit  der 
Schlußkoda:  Fidibus! ,  deren  Achtergewicht  nicht  nur  in  der  Dreisilbigkeit  liegt! 
Aber  Vogt  a.a.O.  115  geht  ja  so  weit,  den  ersten  beiden  Versen  jede  Originalität 
abzusprechen,  sie  seien  "Verfallsschöpfung."    Darüber  später. 


136  CORONA 

sose  benren\i         sose  bluotren\i 
sose  lidiren\i 

WO  das  "vierte  Glied"  doch  nicht  zufällig  fehlt.  Und  so  wird 
sie  auch  nicht  in  den  ^/^«o/-Zeilen  zu  finden  sein,  und  nicht 
im  Zauber  selbst.  Sievers  hat  die  Heilungsformel  ganz  richtig 
gelesen  :^^ 

ben  ZI  bena         bluot  zi  bluode  lid  zi  geliden 

sose  gelimida  sin 

Der  magischen  Dreigliederung  entspricht  die  metrische,  statt 
der  zwei  Langzeilen  ist  es  richtiger,  von  einer  Dreierzeile  mit 
Achtergewicht  zu  sprechen,  deren  letztes  Glied  durch  eine 
Koda  assonantisch  verstärkt  und  zu  Ende  geführt  wird.  Nur 
so  wird  verständlich,  warum  die  Koda  hinter  lidirenkj  fehlen 
muß!  Weil  nämlich  die  Dreierzeile  hier  nicht  gegen  die 
nächste  abgesetzt  ist. 

Es  ist  außerordentlich  interessant,  daß  de  Boor,  der  das 
Prinzip  der  magischen  Drei  bis  in  das  eingebildete  Vierer- 
metrum hinein  verfolgt,  keinen  Moment  versucht,  die  Drei- 
gliederung im  Aufbau  des  ganzen  Spruchs  wiederzufinden.  Er 
bleibt  in  der  allgemeinen  Meinung  befangen,  der  Spruch  lasse 
sich  in  zwei  Teile  zerlegen.  In  der  gesamten  Literatur  findet 
sich  in  unermüdlicher  Wiederholung  die  Feststellung,  die 
zuletzt  Baesecke  so  formulierte :  "Hier  ist  der  klare  zweiteilige 
Aufbau  beispielhaft  erhalten:  erst  die  Erzählung  des  Falls, 
dann  der  Spruch.  .  .  ."^®  Auch  de  Boor  spricht  von  dem  hier 
vorliegenden  Typ  der  "zweigliedrigen  Sprüche,"  für  deren 
beide  Teile  er  die  Quellen  namhaft  macht.  An  einer  einzigen 
Stelle  entfährt  ihm  die  Bezeichnung  "das  Mittelstück,"  von 
dem  er  sagt,  daß  es  die  Dreigliederung  besonders  schön  zeige. 

Die  Auffassung,  daß  der  ganze  Spruch  in  zwei  Teile  zer- 
falle, deren  Alter,  Herkunft  und  Ursprünglichkeit  verschieden 
sei,  daß  nur  die  Zauberformel  selbst,  durch  uralte  Parallele 
gedeckt,  ins  Gemeingermanische  zurückreiche,  nicht  aber  die 

28.  Sievers,   Metrische  Studien,   IV,   Abh.   d.   s'dchs.    Gesellsch   d.    Wiss.,   XXXV 

(1918),  73- 

29.  Baesecke,  Reallexi\on  d.  dt.  Lit.,  I  (1925/26),  30. 


DER  ZWEITE  MERSEBURGER  ZAUBERSPRUCH    137 

epische  Einleitung,  daß  die  zweigliedrige  Form  des  Spruchs 
seinen  Charakter  bestimme,  halte  ich  für  irrig.  Die  Scheidung 
des  Ganzen  in  die  indogermanisch  belegte  Mahnformel  und 
in  die  Rahmenerzählung,  für  die  einige  Gelehrte  "das  große 
Sammelbecken  spätantiker  Magie,"  andere  den  orientalischen 
Einfluß  frühchristlicher  Jahrhunderte  heranziehen,  ist  nicht 
länger  wahrscheinlich. 

Die  Eingangsgeschichte  ist  klar  gegen  die  Mahnformel 
abgesetzt;  das  ist  richtig.  Aber  was  dazwischen  erscheint, 
gehört  weder  zum  einen  noch  zum  andern.  Der  Auftritt  der 
Götter,  ihre  Nennung,  ihr  bigdan,  wieder  mit  dem  klaren 
Achtergewicht  auf  der  dritten  Phase,  das  alles  ist  Zeugnis 
sowohl  für  das  Faktum,  daß  das  "Mittelstück"  als  eignes  Stück 
betrachtet  werden  muß,  als  auch  dafür,  daß  es  keine  Interpola- 
tion ist.  Wäre  nun  in  dem  Aufbau  des  Spruchs  auch  wieder 
die  gleiche  Dreigliederung  (mit  dem  Achtergewicht  der  Mahn- 
formel) nachweisbar,  so  folgte  zu  oberst  daraus,  daß  der 
Spruch  in  allen  Teilen  gleich  alt  und  gleich  ursprünglich  ist. 

Die  meisten  Zweifel  richteten  sich  von  je  gegen  die  beiden 
Eingangszeilen.  Schon  Niedner  hat  sie  für  einen  späteren 
Zusatz  gehalten  und  neuerdings  hat  Vogt  recht  autoritativ 
verfügt,  ihr  "Prosacharakter"  d.h.  ihre  "wirklich  erzählte  Ex- 
position" dokumentiere  sie  als  "Verfallsschöpfung."  Da  wäre 
denn  doch  zu  fragen,  wo  eigentlich  erzählt  wird.  Was  Erzäh- 
lung ist,  kann  man  ja  an  den  entsprechenden  ags  Produkten 
sehen.  Der  Charakterisierung  als  Prosa  stimme  ich  zu.  Daß 
die  "Exposition"  sich  prosaischer  gibt  als  die  Formel,  liegt  in 
der  magischen  Technik,  die  sich  von  der  realen  Welt  abstößt 
und  in  drei  Schwüngen  ins  Zauberreich  hinübersetzt.  Zwei 
Glieder  bereiten  den  entscheidenden  magischen  Akt  vor,  einer 
noch  in  dieser,  der  andere  schon  in  jener  Sphäre.  Der  Spruch, 
der  selbst  in  Dreiergliederung  erscheint,  wird  dreimal  und  von 
einer  Götterdreiheit  gesungen.  Nicht  unwahrscheinlich,  daß 
Sievers  recht  hat,  auch  die  Einleitungsverse  in  drei  Absätzen 
zu  lesen,  so  daß  jeder  der  drei  Teile,  aus  denen  der  ganze 
Spruch  besteht,  metrische  Dreigliedrigkeit  aufweist. — 

Die  Frage,  die  sich  dem  Kritiker  stellt,  ist  also  nicht,  was 


138  CORONA 

ist  alt  und  was  weniger,  sondern:  woher  kommt  die  Magie 
der  Drei?  Sie  gibt  dem  Spruch  so  stark  das  Gepräge,  daß  es 
kaum  mehr  korrekt  ist,  auf  den  Atharvaveda  als  Muster  hinzu- 
weisen. Die  Technik,  mit  der  ein  ähnlicher  Unfall  hier  und 
dort  beschworen  wird,  ist  eine  grundsätzlich  andere.  Woher 
also  die  Magie  der  Drei,  wie  sie  in  der  Hinzufügung  einer 
Einleitung  und  eines  Mittelstücks,  wie  sie  in  der  Formel  selbst 
durch  die  Umformung  der  Parallelismen  in  die  achterbeschwer- 
ten Dreier-Glieder  deutlich  wird?  Es  ist  ein  anderer  Ritus, 
der  Paare  gegenüberstellt,  ein  anderer,  der  drei  Glieder  addiert; 
weshalb  entwertet  ist,  was  man  als  Vorbild  unseres  Spruchtyps 
im  Rezeptbuch  De  medicamentis  empiricis  des  Marcellus  von 
Bordeaux  gefunden  zu  haben  glaubte. 

Die  Magie  der  Drei  ist  sowohl  Eigentum  des  Orients  als 
der  germanischen  Urzeit.  Sie  ist  im  Stabreim  lebendig,  aber 
auch  in  der  pythagoreischen  Weltdeutung.  Sie  kam  mit 
dem  drei-einigen  Gott  der  christlichen  Lehre  noch  einmal, 
aber  nicht  zum  erstenmal,  aus  dem  Orient  in  das  Abendland. 
Germanischer  Zusatz  scheint,  daß  Drei  nicht  nur  ein  Drittes 
ist  neben  eins  und  zwei,  sondern  die  Summe  aus  eins  und 
zwei.^^  Die  Überordnung  des  Heiligen  Geistes  (mit  klarem 
Achtergewicht!)  über  den  Vater  und  den  Sohn  ist  auf  antikem 

30.  Das  Häufen,  Sammeln  und  Summieren  von  Ton  und  Schwere  zum  dyna- 
mischen Höhepunkt  des  Achterglieds  sollte  jene  bedenklich  stimmen,  die  im  Orient 
die  Heimat  dieser  Magie  der  Drei  suchen.  Es  ist  richtig,  daß  die  Zahlenmagie,  die 
wahre  Mathematik  des  Novalis,  im  Morgenland  zu  Hause  ist.  Es  ist  unmöglich; 
Formen  wie  die  spanische  Glosse  mit  ihrer  Dreizahl  von  Reimen,  oder  gar  das 
Ghazel  zu  betrachten  und  das  nicht  zu  erkennen.  Das  Ghazel,  eine  Dreierform, 
die  dadurch  entsteht,  daß  zwischen  ein  Reimpaar  ein  neuer,  fremder  Klang  tritt,  wäre 
von  Schlegel  etwa  so  gedeutet  worden,  daß  die  Einheit,  in  sich  selbst  entzweit,  als 
Zwei  zu  neuer  Lautgeburt  fähig  werde.  Grade  das  Dazwischentreten  des  Dritten 
zwdschen  eins  und  zwei  verhindert  die  Summierung  von  Tönen  und  Akzenten  und 
hält  so  das  Ganze  unendlich  in  der  Schwebe. 

Auch  Dantes  Terzinen,  von  Schelling  und  A.  W.  Schlegel  als  die  Form  de? 
prophetischen  Geistes  gefeiert,  gehören  in  die  Nachbarschaft  arabischer  Formen- 
spiele und  entscheiden  nichts  für  die  at{J{Hmtdaüve  Dreierform.  Eine  solche,  sogar 
mit  dem  Achtergewicht  des  doppelten  Dreizeilers  am  Ende,  scheint  im  Sonett  vorzu- 
liegen, das  aber  in  seiner  reinen  Form  den  Lautstand  des  Schlußsatzes  ohne  jede 
Beziehung  zu  den  beiden  Vorstrophen  läßt,  eine  koordinierende,  keine  multiplikative 
Drei-Einheit.  Diese  kann  ich  im  außergermanischen  Bereich  nicht  finden,  so  daß 
die  orientalische  Magie  kaum  für  die  Form  des  Spruches  heranzuziehen  ist. 


DER  ZWEITE  MERSEBURGER  ZAUBERSPRUCH    139 

Kulturboden  nicht  eindeutig  belegt.  Das  führt  aber  schon 
zur  nächsten  Frage  weiter,  der  nach  dem  christlichen  Einfluß 
auf  die  magische  Welt,  wie  sie  hier  gestaltet  ist. 

Es  ist  bekannt,  daß  das  Verhältnis  von  Heiden-  und  Chri- 
stentum kein  einander  ausschliessendes  gewesen  ist;  es  muß 
nicht  eines  verschwinden,  damit  das  andere  erscheine;  oft 
genug  scheint  eines  durch  das  andere  durch.  Ein  sehr  schöner 
Beweis  dafür  ist  neuerdings  die  Katzenreiterin  im  Dom  zu 
Schleswig,  Freya  mit  dem  Hörn  (ein  Fresco  aus  dem  14. 
Jahrhundert,  das  erst  1935/36  freigelegt  wurde),  die  den  Namen 
einer  hohen  christlichen  Heiligen,  vielleicht  den  der  Mutter 
Gottes  trägt.  In  dieser  Kirche  ist  Petrus  zu  sehen,  dessen 
Doppelbart  noch  die  Abstammung  von  dem  Hammer  erken- 
nen läßt,  den  der  Heilige  trug,  als  man  ihn  noch  als  Donar 
verehrte.  Man  hat  ja  nicht  nur  die  Heiden  getauft  sondern 
dazu  gleich  noch  ihre  Götter.  Auf  den  Grundmauern  alter 
Tempel  baute  man  die  neuen  Kirchen  auf;  Boethius,  dessen 
Trostwerk  keine  Spur  christlicher  Lehre  enthielt,  wurde  doch 
maßgebend  für  das  Denken  des  christlichen  Mittelalters,  und 
die  antike  Götterwelt  des  Marcianus  Capeila  hat  keinen  Scho- 
lasten  gehindert.  De  nuptiis  zu  studieren.  Es  ist  nichts  dabei, 
daß  eine  Mönchshand  des  10.  Jh.  den  heidnischen  Zauber- 
spruch in  die  Predigtenhandschrift  einträgt;  mit  Recht  weist 
Vogt  darauf  hin,  daß  sich  bis  in  die  Reformationszeit  hinein 
kirchlich  verpönte  Beschwörungsformeln  zwischen  kirchlichen 
Texten  finden.  So  brauchen  wir  zwischen  heidnischem  und 
christlichem  Gut  die  Scheidung  und  Entscheidung  nicht  zu 
treffen. 

In  letzter  Zeit  nimmt  aber  die  Volkskunde  unsern  Spruch 
für  eine  dritte  Religion  in  Anspruch,  für  eine  unter  den  je- 
weils regierenden  Hochreligionen  stagnierende  dunkle  Kult- 
stimmung, die  ihren  Ausdruck  gerade  im  Zauberwesen  finde. 
Überdeckt  von  Christentum  und  Heidentum  vegetiere  die 
Primitiv-Religion,  für  deren  Fortexistenz  der  Volksaberglaube 
Beweise  genug  biete.^^    In  recht  bestechenden  Formulierungen 

31.  R.  Kriss,  "Grundsätzliche  Betrachtungen  z.  2.  Merseb.  Zauberspr.,"  Oberdt.  Zs. 
f.  V{.,  VI,  II 4-1 19. 


140  CORONA 

nimmt  Kriss  den  zweiten  Merseburger  Spruch  für  eine  reli- 
giöse Untergrund-Bewegung  in  Anspruch.  Aber  der  Volks- 
glaube, den  er  hier  dichten  sieht,  erinnert  uns  heftig  an  die 
Volkskehle,  aus  der  das  Volkslied  zu  dringen  pflegt.  Die  hohe 
Kunst  der  Dreierfügung  mit  der  Verteilung  der  Gewichte  an 
den  rechten  Platz,  die  genau  plazierten  Steigerungen  und 
Decrescendi,  die  Pausen  und  die  multiplikativen  Momente,  das 
doppelte  Assonanzenspiel  an  zwei  deutlich  korrespondierenden 
Punkten,  das  alles  als  Kunst  erkennen,  heißt  zugleich  ablehnen, 
hier  seien  anonyme  Gefühlsströme  beteiligt. 

Hoch-Kulte  sind  zur  Religion  sublimierte  mythische  Stim- 
mungen; da  ist  kein  Gegensatz,  sondern  Identität,  nur  auf 
verschiedenen  Stufen  der  Entwicklung.^^  Der  Zauberspruch 
ist  ein  Endprodukt  wie  die  Hochreligion  und  gehört  mit  zu 
ihr.  Er  repräsentiert  keine  dritte  Religion  des  niederen  Mannes, 
der  seinem  Fühlen  keinen  andern  Ausdruck  findet  als  den 
dumpfen  der  Magie ;  er  ist  selbst  ein  Stück  Religion,  das  keiner 
Religion  fehlt.  Daß  man  Gott  zwingen  kann,  binden  und  in 
den  eignen  Dienst  stellen,  daß  man  zu  den  überirdischen 
Mächten  in  ein  vertrauteres  Verhältnis  treten  kann,  weiß  man 
nur  die  geheime  Spur,  die  von  dieser  Welt  in  die  magische 
führt,  das  ist  die  Überzeugung  des  Zauberspruchs.  Es  gibt 
keinen  Glauben  an  eine  göttliche  Allmacht  ohne  den  zusätz- 
lichen Glauben  an  ihre  Beeinflussung. 

Der  Zauber  ist  so  alt  wie  der  Gottesglaube,  von  dem  er 
eine  Form  ist;  für  diese  Form  eine  Geburtsstätte  annehmen, 
wäre  so,  als  wollte  man  alle  Götter  aller  Zeiten  auf  einen  Ur- 
Gott zurückführen. 


Im  bestrittenen  Gebiet  zwischen  Religionsgeschichte,  Phi- 
lologie und  Volkskunde,  von  keiner  der  drei  Wissenschaften 
ganz  ihr  zugerechnet,  standen  die  Zaubersprüche,  und  zumal 

32.  So  sieht  G.  Menschning  in  seinem  Buch  Volf^sreligion  und  Weltreligion 
(1938)  religiöse  Bildungen  unter  einem  historischen  Aspekt.  Für  ihn  sind  Volks- 
reügionen  Frühzustände  religiöser  Empfänglichkeit  und  Erregtheit,  die  Weltreligionen 
späte  Abstraktionen.  Demgegenüber  hat  die  Auffassung  von  Kriss  einen  soziolo- 
gischen Beigeschmack:  Primitiv-Religion  ist  die  Kultstimmung  der  geschichtslosen 
Unterschichten.    Früher  nannte  man  es:  Niedere  Mythologie. 


DER  ZWEITE  MERSEBURGER  ZAUBERSPRUCH    141 

unser,  unter  einer  Art  von  Ausnahmegesetz;  sie  galten  nur  als 
Zeugnisse  zersungener  und  gesunkener  Bader-Dämonologie  — 
wissenschaftliches  Niemandsland,  innerhalb  dessen  eine  andere 
Verantwortung  galt  als  sonstwo.  Männer,  deren  Beruf  es  ist, 
buchstäblich  zu  verfahren  und  den  Boden  der  Tatsachen  nie 
zu  verlassen,  erlaubten  ihrer  Einbildungskraft  die  erstaunlich- 
sten Ausschweifungen,  um  die  Dunkelheiten  des  Textes  zu 
erhellen.  So  ist  die  Beinverrenkung  des  Fohlens  und  seine 
Heilung  durch  Wodan  für  Th.  Grienberger  das  Zeichen  dafür, 
"daß  allein  der  Kriegsgott  dem  Unfall  des  Friedensgottes 
Remedur  schaffen  kann;  der  Krieg  weiß  die  Schäden  des 
Friedens  zu  heilen."  Für  Niedner  ist  es  ein  alter  Tagesmythos, 
der  sich  hier  niedergeschlagen  hat.  "Der  Gott  des  Zwielichts 
und  sein  Vater,  der  Tagesgott,  reiten  auf  lichten  Rossen  am 
Morgenhimmel  empor.  .  .  .  Dem  Dioskuren  als  Vorläufer 
gebührt  die  erste  Stelle.  Sinthgunt,  Sunna,  Volla,  Friia  ent- 
sprechen der  Morgenröte,  der  aufsteigenden,  der  sinkenden 
Sonne,  der  Abendröte."  Losch  fabelt  vom  "täglichen  Ritt  des 
Lichtgotts  zur  Unterwelt,  seinem  Fall  und  neuen  Aufgang," 
wozu  R.  M.  Meyer  zustimmend  bemerkt:  "Die  Göttinnen  sind 
begreiflich.  So  umgeben  ja  noch  bei  Guido  Reni  Aurora 
und  ihre  Schwestern  das  Gespann  Apollos."  Es  liegt  nicht  in 
der  Linie  dieser  Arbeit,  die  Liste  merkwürdiger  Deutungen 
zu  vervollständigen,  für  die  G.  Roethe  entschuldigend  anführt: 
"Der  zweite  Merseburger  Zauberspruch,  einzige  westgerma- 
nische Quelle  eines  Göttinnenkreises,  fordert  den  mythologi- 
schen Spürsinn  geradezu  heraus.  Sein  Reichtum  an  Götter- 
namen verführt,  mehr  hinter  ihm  zu  suchen." 

Diese  Entschuldigung  nehme  ich  auch  für  mich  in  Anspruch. 


ON  THE  DEVELOPMENT  OF  THE  TYPE  OF 
SCHOLAR  IN  EARLY  ISLAM 

GUSTAVE  VON  GRUNEBAUM,  The  Iraniun  Institute,  New  Yor\ 

THE  DEVELOPMENT  of  scientific  activities  in  the 
Islamic  world  during  the  eighth  and  ninth  centuries 
A.D.  necessarily  brought  about  a  change  in  the  basic 
conception  of  the  scholar.  Independent  of,  but  parallel  to,  the 
formation  of  critical  methods  and  the  slight  decrease  in  cre- 
dulity  among  the  educated  classes,  the  expectations  focused  on 
a  learned  authority  came  to  be  transformed,  at  least  to  a  certain 
extent.  The  omniscient  scholar  tended  to  be  superseded  by  the 
conscientious  one.  In  those  days  and  even  later  Muslim  writers 
paid  little  attention  to  the  psychological  aspect  of  the  events 
which  they  recorded,  so  the  process,  although  perhaps  the  de- 
cisive  Step  towards  the  establishment  of  the  "modern"  type  of 
scholarship,  hardly  shows  in  the  few  scraps  of  contemporary 
information.  The  real  Import  of  these  scattered  materials  would 
remain  unnoted  had  not  as-Suyüti  (+  1505  A.D.)  incorporated 
a  small  coUection  of  them  into  his  admirable  encyclopaedia  of 
philological  sciences,  al-Muzhir  fi  'Ulüm  al-Lugha  (ed.  Cairo, 
1282,  II,  162  ff.). 

The  scholar  of  what  may  be  called  the  old  school  is  well 
typified  by  the  traditionist  Wahb  b.  Munabbih  (+  728).  Like 
similar  self-constituted  authorities,  he  had  to  cater  to  an  un- 
questioning  audience  which  was  never  concerned  about  either 
the  source  or  the  probability  of  the  answer  that  they  solicited 
to  fill  any  uncomfortable  vacuum  of  knowledge.  The  faster 
the  reply  came  forth  and  the  closer  it  kept  within  the  ränge  of 
common  experience  and  expectation,  the  more  readily  was  it 
accepted.  The  scholar  was  supposed  to  know  everything.   So, 


THE  SCHOLAR  IN  EARLY  ISLAM  143 

naturally,  he  knew  everything.  To  shelve  temporarily  a  ques- 
tion  would  have  entailed  the  same  loss  o£  prestige  as  would 
the  acknowledgment  o£  one's  incapacity  to  solve  a  problem 
altogether. 

There  is  no  explicit  discussion  of  this  attitude  extant,  and 
probably  never  was.  Its  general  trend,  however,  can  easily  be 
deduced  from  the  numerous  reports  on  scientific  procedure 
which  have  been  included  in  various  books.  A  classic  in  this 
respect  is  the  description  inserted  by  al-Mas'üdi  (+  956  A.D.) 
in  his  Murüj  ad-Dahab  (ed.  Paris,  1861-77,  ^5  S^^  f-)  concern- 
ing  a  stone  tablet  found  when  the  Mosque  of  Damascus  was 
rebuilt  in  87/706,  under  the  reign  of  al-Walid  I.  The  tablet  was 
declared  to  bear  a  Greek  inscription.  Several  Christians  and 
Jews  tried  their  hand  at  deciphering  it  and  failed.  So  it  was 
sent  to  Wahb  b.  Munabbih,  who  previously  had  made  a  great 
reputation  for  himself  by  elucidating  the  stories  of  the  early 
Prophets  and  adding  interesting  details  to  the  biographies  of 
Adam  and  his  Spiritual  successors.^  Here  he  had  sometimes 
paused  to  indicate  his  sources  in  laconical  declarations  such  as : 
"I  have  read  all  the  books  revealed  to  all  the  Prophets"  (Huart 
334),  or  with  more  exactitude:  "I  have  read  more  than  seventy- 
two  books  revealed  to  Prophets"  (Huart  336).  A  more  modest 
computation  is  given  in  Yäqüt's  Irshäd  (ed.  Margoliouth,  VII, 
232)  when  Wahb  states:  "I  have  read  twenty-seven  from 
amongst  the  Books  of  Allah."  On  the  strength  of  his  firmly 
established  authority  Wahb  announced  that  the  Greek  inscrip- 
tion dated  from  the  days  of  Solomon,  son  of  David,  and  gave 
a  pleasant  translation  of  its  contents,  beginning  with  the  for- 
mula:  In  the  name  of  Allah,  the  Merciful,  the  Compassionate, 
and  ending  with  the  date.^ 

Unfortunately,  we  have  no  means  of  Controlling  the  his- 
torical  authenticity  of  this  account.  However,  it  does  not  really 

1.  On  his  literary  work  see  Huart,  JAs,  ser.  lo,  IV,  331-350;  moreover,  the  ar- 
ticle  by  Horovitz  in  the  EI,  s.v.,  where  a  bibliography  is  given.  Additions,  Brockel- 
mann, GAL,  I,  64  f.  and  SuppL,  I,  loi. 

2.  The  Story  has  been  retold  several  timcs.  Ibn  'Asäkir,  ed.  Badrün,  I,  197, 
has  it,  the  text  o£  the  inscription  being  slightly  lengthened.  His  text  has  been 
copied  by  Ibn  Katir,  al-Bidäya,  MS  Vienna  813,  Vol.  V,  £ol.  52rv. 


144  CORONA 

matter  whether  Wahb  actually  tried  to  solve  the  enigma  of 
the  tablet.  The  point  is  that  his  method  was  practiced  in  all 
such  cases  and  that  it  worked  to  the  satisfaction  of  the  lay 
public.  And  this  is  proven  by  the  considerable  number  of  simi- 
lar  reports,  such  as  Yäqüt's  narrative  of  the  reading  of  another 
Greek  inscription  (Mu'jam  2,  592),  or  the  immediate  recogni- 
tion  by  one  of  the  bystanders  of  a  corpse  as  the  body  of  the 
King  Tälüt  (Saul),  when  a  tomb  on  the  area  of  the  old  Da- 
mascus  Cathedral  was  demolished  (al-Maqrizi,  Histoire  des 
Sultans  Mamlouks,  trans.  Quatremere,  II,  268). 

It  Stands  to  reason  that  the  newly  developing  sciences,  in 
the  first  place  the  'ilm  al-hadit  (Tradition)  and  with  it  philol- 
ogy,^  had  to  be  based  on  diflferent  Standards  of  respectability. 
The  importance  of  their  findings,  both  religious  and  practical, 
fundamentally  depended  on  the  reliability  of  their  sources.  So 
conscientious  caution,  promoted,  too,  by  the  religious  back- 
ground  of  part  of  the  studies,  gradually  became  the  advisable 
attitude.  The  material  illustrating  that  change  has  been 
grouped  by  as-Suyüti  under  several  headings  that  can  be 
roughly  summarized  as  follows: 

I.  Scholars  who  answered  a  question  with  "I  don't  know 
(lä  adri)"  (in  the  enumeration  I  have  left  as-Suyüti's  order  in 
favor  of  a  chronological  arrangement,  this  being  more  instruc- 
tive). 

a.  ash-Sha'bi,  +  between  720  and  728  A.D.,  famous  traditionist 

b.  al-Asma'i,  739-831* 

c.  al-Akhfash,  +  about  830 

d.  Ibn  al-A*räbi,  767-844 

e.  Abu  'Utmän  (al-Mäzini),  +  850  or  863 

f.  Abu  Hätim  as-Sijistäni,  +  about  864 

g.  Ta'lab,  815-904 

h.  Ibn  Duraid,  837-934  (b.-h.  are  grammarians) 

In  addition,  as-Suyuti  has  the  name  of  the  poet  Nusaib. 

3.  Cf.  as-Suyüti's  opinion,  Muzhir,  II,  162:  "The  sciences  of  tradition  and  gram- 
mar  are  brothers,  flowing  from  one  vallcy." 

4.  Al-Asma'i  gives  the  same  reply  in  al-Bäqilläni,  I'jäz  al-Qur'än,  ed.  Cairo 
1349,  p.  170.  Here,  however,  he  pretends  ignorance  of  the  meaning  of  three  words 
in  Imru'ulqais  (ed.  Ahlwardt)  35,  22  in  order  to  criticize  the  poet's  alleged  predi- 
Icction  for  rare  words. 


THE  SCHOLAR  IN  EARLY  ISLAM  145 

Here,  however,  some  doubt  remains  whether  the  reference 
concerns  the  more  famous  poet  of  this  name  who  flourished 
at  about  720  A.D.,  or  a  less  known  namesake,  Nusaib  al-Asghar, 
living  some  fifty  years  later  (Brockelmann,  GAL  SuppL,  I,  99). 
Finally,  as-Suyüti  mentions  one  Abu  'd-Duqaish  who  confesses 
to  ignorance  as  to  the  meaning  of  his  kunya.^ 

It  cannot  be  denied  that  in  a  sense  this  first  outburst  of  in- 
tellectual  honesty  marks  the  beginning  of  "modern"  science. 
It  is  equally  piain,  though,  that  it  took  some  time  before 
the  new  attitude  became  appreciated  by  the  public.  Ta'lab 
(Muzhir  2,  162)  had  to  ward  oif  the  reproach  that  people  were 
Coming  to  him  from  everywhere,  and  he  allowed  himself  to 
answer:  "I  don't  know."  Ash-Sha'bi  was  told  by  one  of  his 
students  that  they  feit  ashamed  at  their  master's  repeatedly 
saying:  "I  don't  know."  But  ash-Sha'bi  silenced  him  by  quot- 
ing  the  verse  of  the  Koran  (II,  30)  where  the  angels,  asked  by 
the  Lord  about  the  names  of  the  things  created,  confess  to  their 
incompetence  and  explain:  "We  have  no  knowledge  but  what 
Thou  hast  taught  us"  (trans.  Bell,  I,  61).  Here  also  belongs 
the  saying  of  'Abdallah  b.  'Abbäs  (+  between  68-73/687-692/3; 
quoted  Naqd  an-Natr,  ed.  Cairo,  1933,  p.  53)  when  he  failed 
to  know  the  meaning  of  the  so-called  mystical  letters  at  the 
beginning  of  some  of  the  Süras:  "In  every  book  God  has  sent 
down  there  is  a  secret.  And  this — the  mystical  letters — is  the 
secret  of  the  Koran."® 

2.  A  question  that  cannot  be  solved  is  referred  to  another 
Scholar  {ibid.,  II,  164 f.).  The  only  example  here  given  com- 
memorates  Ta'lab  asking  his  teacher  Ibn  al-A'räbi  about  a 
problem  he  is  unable  to  answer. 

5.  This  Abu  'd-Duqaish,  mentioned  by  Freytag,  Arabum  Proverbia,  vol.  3 /IL  p. 
200,  as  a  Bedouin,  reappears  in  the  LA  8,  191  when  he  is  given  the  nisba  al-A'räbi 
and  is  shown  a  contemporary  to  both  Yünus  b.  Habib  (+  798  A.D.)  and  Abu  Zaid 
al-Ansäri  (+  830).  TA  2,  370^^  he  is  mentioned  as  quoting  two  verses  o£  Abu 
Du'äd  al-Iyädi.  Freytag  I.e.  3/II.  p.  227  introduces  him  as  an  authority  on  word 
explanation. 

6.  Another  pertinent  saying  o£  his:  Ibn  Qutaiba  (+  889),  'Uyün,  ed.  Cairo,  11, 
125.  Ibid.  130  Ibn  'Umar  (609-693)  is  quoted  for  a  similar  viewpoint.  Ibid.  126 
Khalil  b.  Ahmad  (717-791),  the  creator  of  the  Arabic  metrical  System,  is  credited 
with  a  lengthy  paraphrase  of  Socrates'  famous  acknowledgment  of  his  ignorance. 


146  CORONA 

3.  A  Scholar  changes  his  opinion  after  prolonged  investiga- 
tion  {ibid.,  II,  166).  The  authorities  recorded  are  in  chrono- 
logical  sequence: 

a.  Abu  'Amr  b,  al-Ala',  about  689-770 

b.  Abu  'Ubaida,  about  728-825 

c.  Abu  Zaid  al-Ansari,  +  829-30 

d.  al-Asma'i,  739-831 

Under  the  same  heading  as-Suyüti,  not  quite  appositely,  lists 
the  answers  of  Abu  'Amr  when  he  declined  to  explain  verses 
on  the  ground  that  those  who  knew  had  died  J  Somewhat  later 
al-Mubarrad  (+  898)  gives  a  general  justiiication  of  scholarly 
self-correction,  declaring  that  going  back  on  one's  mistakes 
erases  the  sin  involved  in  making  them,  and  thus  estabUshes 
the  honesty  of  scientific  fallibility  {ibid.,  II,  165). 

It  need  hardly  be  said  that  long  before  the  epoch  under 
consideration  expressions  of  skepticism  towards  scholarly  State- 
ments have  been  recorded.  It  may  sufEce  to  recall  the  verses 
of  'Ali  b.  Muhammad  b.  Ja'far  (Mas'üdi,  ibid.,  IV,  421)  prob- 
ably  dating  from  37/657/8,  in  which  he  opposes  to  mendacious 
genealogical  claims  the  word  of  (the  caliph)  'Ali  (metre 
mutaqärib): 

When  you  are  asked  and  do  not  knovv  what  to  say,  say:  Our  Lord  knows 
best  (rabbu-nä  a'lamu). 

The  point  is,  however,  that  the  attitude  of  reserve  is  not  advo- 
cated  for  the  scholar  but  for  the  layman  who  has  been  con- 
fronted  with  politically  motivated  forgeries. 

Naturally,  the  time-honored  System  of  scholarly  Interpreta- 
tion as  represented  by  Wahb  did  not  die  out  when  some  illus- 
trious  grammarians  set  forth  another  approach  to  truth.  Nor 
did  the  new  principles  to  any  considerable  extent  encroach 
upon  the  general  credulity,^  nor,  in  consequence  thereof,  im- 
prove  the  inadequate  criteria  of  verification. 

This  is  well  illustrated  by  the  influence  of  the  Qäss,  the 
populär  traditionist,  and  the  fight  against  him  of  the  spiritual 

7.  One  o£  the  two  examples  given  is  Imru'ulqais  (ed.  Ahlwardt)  51,6. 

8.  Cf.  the  account  of  the  superstition  of  the  Baghdadians  given  by  Miskawaihi, 
Eclipse  I,  39  (trans.  4,  44).   The  report  refers  to  the  year  307/916/7. 


THE  SCHOLAR  IN  EARLY  ISLAM  147 

authorities  (as  it  has  been  told  by  Goldziher,  Muh.  Stud.,  II, 
161  iT.).  And  as  long  as  there  was  a  demand  for  omniscient 
authorities  it  was  readily  met.  As  late  as  344/955  the  Secretary 
(kätib)  'Ali  b.  as-Sari  al-Karkhi  read  (and  translated,  we  may 
assume)  the  cuneiform  inscriptions  o£  Persepolis  to  his  prince, 
the  Büyid  'Adud  ad-Daula  (949-983),  as  has  been  recorded  by 
the  two  oldest  Arabic  inscriptions  so  far  recovered  on  Persian 
soil.« 

The  curious  passage  in  as-Suyüti's  encyclopaedia  gives  the 
impression  of  being  one  more  attempt  to  win  the  age-old  battle 
for  the  scientific  spirit  rather  than  the  enumeration  of  the  ac- 
cepted  rules  of  scholarly  work.  Be  that  as  it  may,  as-Suyüti's 
Statements  enable  us  to  date  the  beginning  of  the  process,  the 
end  of  which  is  marked  by  the  establishment  of  the  modern 
Scholar.  The  rationalization  of  the  scientist  can  be  said  to  have 
Started  among  the  traditionists  at  about  700  A.D.  The  philolo- 
gists  followed  suit  in  a  rather  odd  development  (as  demon- 
strated  by  the  chronological  discrepancy  between  the  different 
categories  treated  by  as-Suyüti)  until  during  the  ninth  Century 
the  new  Standard  was  generally  accepted  among  the  leading 
scholars. 

9.  Wiet,  Repertoire  chronologique  d'epigraphie  Arabe  (Cairo,  1931),  Vol.  IV, 
Nos.  1 475-1 476. — ^The  very  existence  of  thesc  inscriptions  is  a  noteworthy  docu- 
mentation  of  the  interest  archaeological  remains  commanded  in  'Adud  ad-Daula's 
days.  It  is  well  known  that  the  clue  to  the  Persian  cuneiform  aiphabet  was  not 
discovered  until  the  nineteenth  Century. 


DIE  BLUMENBESCHREIBUNGEN  DER 

SPANISCH-ARABISCHEN 

HOFDICHTER 

LAWRENCE  ECKER,  Los  Angeles 

MIT  der  Herrschaft  des  Ihn  Abi  'Ämir  Al-Mansür  (978- 
1002)  und  seines  Sohnes  'Abd-al-Malik  Al-MuzaflEar 
(1002-1008)  erreichte  das  Cordobaer  Chalifat,  wie 
hinsichtlich  der  poHtischen,  wirtschaftUchen  und  miUtärischen 
Macht,  so  auch  mit  Bezug  auf  die  amtliche  Unterstützung  der 
Dichter,  seinen  Höhepunkt.  Diese  beiden  grossen  Gestalten 
der  maurischen  Geschichte  versahen  dem  Namen  nach  nur  das 
Amt  eines  hägib,  dass  heisst,  eines  Kammerherrn  oder  — 
gemäß  der  im  Arabischen  wie  in  den  europäischen  Sprachen 
stattgefundenen  Bedeutungsentwicklung  dieser  Bezeichnung 
—  eines  Reichskanzlers  oder  ersten  Ministers  des  Chalifen.  In 
Wirklichkeit  aber  hatte  sich  Al-Mansür  unter  diesem  Decktitel 
zum  wahren  Oberhaupt  des  Reiches  erhoben  und  den  recht- 
mässigen Chalifen  völlig  in  den  Hintergrund  geschoben.  Das 
Auftreten  seines  Sohnes  Al-Muzaffar  war  ebenfalls  in  jeder 
Hinsicht  das  eines  Chalifen  de  facto. 

Beide  "Regenten"  waren  nicht  weniger  wegen  ihrer  gross- 
zügigen Unterstützung  der  Dichtkunst  als  wegen  ihrer  Kriegs- 
erfolge berühmt.  Die  Ehrennamen  Al-Mansür,  "Der  (von 
Gott)  Unterstützte,"  und  Al-Muzaffar  "Der  (von  Gott)  Sieg- 
reich Gemachte,"  die  sie  sich  vom  sogenannten  Chalifen 
verleihen  Hessen,  hätten  zahlreiche  Dichter  unter  stillschwei- 
gender Ersetzung  von  "Gott"  durch  den  Namen  ihres  Gönners 
auf  sich  selbst  beziehen  können,  und  zwar  ohne  jene  schwul- 
stige Übertreibung,  die  so  viele  ihrer  Lobgedichte  kennzeichnet. 

Unter  Al-Mansür  wurde  ein  besonderes  Amt  der  öflent- 


SPANISCH-ARABISCHE  HOFDICHTER         149 

liehen  Verwaltung  geschaffen,  das  damit  beauftragt  war,  die 
Dichter  zu  klassifizieren  und  sie  je  nach  dem  Verdienste  ihrer 
Erzeugnisse  zu  bezahlen.  Dieses  Büro  stand  unter  der  Lei- 
tung eines  grossen  Literarkritikers.  Auf  einigen  Kriegszügen 
wurde  Al-Mansür  von  vierzig  Dichtern  jeder  Art  begleitet, 
welche  die  Aufgabe  hatten,  seine  Heldentaten  zu  besingen/ 

Wegen  der  merkwürdigen  Dürftigkeit  der  auf  die  Regie- 
rungszeit Al-Muzaffars  bezüglichen  Quellen  musste  Dozy  in 
seiner  Geschichte  der  Mauren  in  Spanien,  wie  er  in  einer 
Anmerkung  auf  Seite  160  des  2.  Bandes  hervorhebt,  seine 
Ausführungen  darüber  auf  ein  paar  Sätze  beschränken,  welche 
mit  den  Worten  schliessen:  "Al-Muzaflar  regierte  den  Staat 
wie  sein  Vater;  er  gewann  viele  Siege  über  die  Christen  und 
während  seiner  Regierung  wuchs  der  Wohlstand  des  Landes 
beständig  an.  Es  war,  wie  man  später  sagte,  ein  goldenes 
Zeitalter." 

Dieser  Zustand  ist  ganz  wesentlich  verändert  worden  durch 
die  erst  vor  einem  Jahrzehnt  geschehene  Entdeckung  eines 
dritten  Teiles  der  sehr  wichtigen  Chronik  des  Ibn  'Idäri,  deren 
zwei  erste  Teile  1848  von  Dozy  herausgegeben  und  für  seine 
Darstellung  der  vorangehenden  Periode  weitgehend  benützt 
wurden.  Dank  diesem  glücklichen  Funde,  dessen  arabischer 
Text  1930  von  Levi-Provengal  in  Paris  herausgegeben  wurde, 
weiss  man  nun  unter  vielem  anderen,  dass  Al-Muzaflfar  auch 
hinsichtlich  seiner  Einstellung  zur  höfischen  Dichtung  ganz  in 
den  Fusstapfen  seines  Vaters  folgte.  Nach  allgemeiner  Sitte 
der  arabischen  Geschichtsschreiber  schaltet  auch  Ibn  'Idäri  hie 
und  da  Verse  zwischen  seine  historischen  Angaben  ein. 

Ein  guter  Teil  der  Verse,  die  in  den  Abschnitten  über  Al- 
Muzaflar  mitgeteilt  sind,  besteht  aus  Blumenbeschreibungen. 
Die  mehr  oder  weniger  schwärmerische  Schilderung  irgend- 
eines lobenswerten  Gegenstandes  war  von  jeher  eine  ausgeprägte 
Gedichtsgattung,  die  kurz  als  al-wasf,  "die  Beschreibung," 
bezeichnet  wurde.  Besonders  beliebt  waren  die  Blumenbe- 
schreibungen: man  findet  solche  an  zahlreichen  Stellen  der 

I.  Gonzalez  Palencia,  Historia  de  la  Literatura  Ardbigo-Espanola  (Barcelona, 
1928),  S.  49,  nach  Ribera. 


150  CORONA 

"Diwane"  der  Hofdichter  von  Damaskus  und  Aleppo,  und 
selbst  in  den  Gedichtsammlungen,  die  heutzutage  im  Osten 
herausgegeben  werden,  sind  sie  als  besondere  Gattung  vertre- 
ten —  was  ein  weiteres  Zeugnis  für  die  Unveränderlichkeit 
des  arabischen  Geschmacks  ablegt. 

Aber  um  die  Wende  des  zehnten  Jahrhunderts  scheinen 
diese  "Blumengedichte"  ganz  besonders  Mode  gewesen  zu 
sein.^  Prachtvolle  Gartenanlagen  wie  der  einzigartige  Gene- 
ralife zu  Granada  und  die  "Jardines  del  Alcazar"  zu  Sevilla 
waren  damals  nach  Aussage  vieler  zeitgenössischen  Schrift- 
steller in  Andalusien  keine  Seltenheit,  Sie  spielen  in  der 
maurischen  Literatur  eine  entschieden  hervorragende  Rolle.  Die 
Stelle  aus  den  Seiten  18-21  des  oben  erwähnten  dritten  Teils 
des  Geschichtswerks  Al-Bajän  Al-Mugrib,  welche  ich  —  meines 
Wissens  als  erster  —  in  Übersetzung  hier  wiedergebe,  enthält 
acht  durchaus  typische  Blumengedichtchen,  die  daselbst  mit 
dem  terminus  technicus  quta'  nüwärija,  "Blumenstücke,"  belegt 
sind  und  die  dem  allgemeinen  Gebrauch  gemäss  mit  höchstens 
zwei  Ausnahmen  in  einen  panegyrischen  Vers  auf  den  Gönner 
ausklingen: 

"Haijän  Ibn  Halaf^  erzählt  (folgendes) :  Al-Muzaflar  'Abd- 
al-Malik  Ibn  'Abi  'Ämir  forderte  seine  Dichter  in  einigen 
Frühlingszeiten  seiner  Herrschaft  auf,  'Blumenstücke'  [quta' 
nüwän]d\  über  den  Goldlack  \al-mantür^\  das  ist,  die  Levkoje 

2.  So  meint,  z.  B.,  Levi-Provengal,  L'Espagne  Musulmane  au  Xeme  Siede  (Paris, 
1932),  S.  174. 

3.  Ibn  Haijän  Ibn  IJalaf  (987-1070),  einer  der  grössten  arabischen  Historiker 
aller  Zeiten.  Die  Teile  seiner  Werke,  die  sich  auf  die  betreffende  Periode  beziehen, 
sind  nur  in  solchen  mehr  oder  weniger  umfangreichen  Auszügen  bei  späteren 
Chronisten  erhalten.  Der  häufigen  direkten  Zitierung  derselben  verdankt  die  Chronik 
des  Ibn  'Idari  einen  grossen  Teil  ihres  Wertes. 

4.  Weiter  unten,  wo  al-matitnr  in  einem  Gedicht  vorkommt,  übersetze  ich  es 
auch  durch  "Levkoje,"  um  ein  Durcheinander  der  grammatischen  Geschlechter  zu 
vermeiden.  Die  Blumennamen  in  der  Übersetzung  nach  Möglichkeit  im  Femininum 
zu  halten,  ist  auch  deswegen  wünschenswert,  weil  sie  in  einigen  Fällen  vermutlich, 
in  anderen  offenbar  mit  einer  wirklichen  oder  fiktiven  Geliebten  des  Dichters 
identifiziert  werden.  Alle  hier  vorkommenden  arabischen  Blumennamen,  wie  über- 
haupt die  meisten,  gehören  dem  männlichen  Geschlechte  an.  Dies  verursacht  jedoch 
im  Arabischen  keine  Verwirrung  oder  Inkonsequenz,  weil  die  Dichter  schon  lange 
vor  dieser  Zeit  den  allgemeinen  Gebrauch  eingeführt  hatten,  ihre  weiblichen  Gelieb- 
ten mit  männlichen  Formen  der  Substantive,  Adjektive  und  Fürwörter  zu  bezeich- 
nen, wie  das  auch  hier  einige  Male  geschieht. 


SPANISCH-ARABISCHE  HOFDICHTER         151 

[al-hirf'^],  und  über  die  Orangenblüte  [az-zahr^^]  und  andere 
Blumenarten  zu  improvisieren.  Er  hatte  grosse  Bewunderung 
dafür^  und  forschte  häufig  nach  ihren  Arten  in  ihren  Kenn- 
zeichen.^ Und  er  liebte  es,  dass  seine  Sängerinnen  sie''^  in  ihre 
Lieder  einschlössen.  Auch  liess  er  die  Leute  zu  seiner  Zeit 
vieles  davon  aufschreiben  v^egen  seiner  Schönheit  und  der 
Originalität  seines  Inhalts.  Unter  dem,  was  er  als  schön 
betrachtete,  waren  die  Worte  des  'Abü-1-  'Alä  Sa  id  Ibn  Husain 
von  Bagdad,  des  Trinkbruders  (An-Nadim)  —  Gott  erbarme 
sich  seiner!  —  über  die  Myrte  [al-'äs^^] : 

Wer  auch  in  seiner  Liebe  zur  Myrte  verdächtig  ist,  bei  mir  ist  eine 

Liebe  ohne  Verdacht! 
Welch  eine  wunderbar  treue  Freundin!^    Man  befürchtet  nicht  ihre 

Wankelmütigkeit  bei  der  Abwechslung  der  Morgen  und  der  Schat- 
ten [c=  Nächte]. 
Ihre  Blätter  sind  gleich  den  Ohren  der  edlen  Rosse,  wenn  sie  die 

Mutigen    auf    der    Rennbahn    des     Spiessens     [=  Kampfplatz] 

erblicken. 
Als  'Abu  Marwän^  sie  [=die  Myrte]  sah,  erinnerte  sie  ihn  an  das 

Übereinanderstürzen   der  Reiterschar   auf  den  Ebenen   und   den 

Hügeln. 


5.  Hiermit  versuche  ich,  die  typische  Zweideutigkeit  des  arabischen  Textes  wieder- 
zugeben, der  nicht  klar  zu  erkennen  gibt,  ob  der  Gegenstand  seiner  Bewunderung 
die  Improvisation  oder  die  Blumen  waren.    Wahrscheinlich  ist  beides  gemeint. 

6.  ^a«  .  .  .  ^atir  at-talab  li-anwä'i-h  jt  mazänni-h  kann  bedeuten:  "er  gab 
sich  viel  mit  der  Botanik  ab,"  eventuell  aber  auch:  "er  beschäftigte  sich  häufig  mit 
der  Analyse  solcher  Blumengedichte."  Wie  sonst  oft,  lässt  sich  nicht  mit  absoluter 
Sicherheit  ausmachen,  ob  das  mask.  Possessivpronomen  -h  sich  auf  nüwär  (Sing, 
mask.)  "Blumen"  oder  auf  das  weiter  oben  stehende  bi-däli\a  bezieht,  welches  ich 
mit  "dafür"  übersetzt  habe.    Siehe  Anm.  5. 

7.  Obwohl  das  Pronomen  -ha  "sie"  (Sing,  fem.,  das  sich  auf  gebrochene 
Plurale  bezieht)  dem  gebrochenen  Plural  mazanni-h  "Kennzeichen,  Merkmale" 
am  nächsten  steht,  verlangt  der  Sinn  vielmehr,  dass  es  auf  den  viel  weiter  oben 
stehenden  gebrochenen  Plural  qutä  nüwärija  Bezug  nehme.  Hier  aber  könnte 
vielleicht  auch  eine  Art  Wortspiel  vorliegen,  da  mazänn  auch  "Gedanken,  Ideen, 
Vorstellungen"  bedeuten  kann. 

8.  as-sadiq  "der  treue  Freund,"  eine  männliche  Form,  die  sich  auf  das  männ- 
liche Wort  al-'äs  "die  Myrte"  und  gleichzeitig  wohl  auf  die  Geliebte  bezieht. 
S.  Anm.  4. 

9.  Der  Zuname  (al-f{unja  ^  span.  cdcurnia)  des  Al-Muzaffar,  wie  Ibn  'Idäri 
weiter  oben,  S.  16,  Z.  2,  mitteilt. 

IG.  Anmerkung  des  Textherausgebers:  "Wegen  der  Lücke  am  Anfang  und 
Ende  ist  dieser  Vers  im  Ms.  nahezu  unleserlich." 


152  CORONA 

"Über  die  Melisse  [turungän^*]  dichtete  er: 

Ich  wusste  nicht,  ehe  ich  eine  Melisse  (sah),  aber  ich  erfuhr  durch 
sie,^^  dass  der  Smaragd  (aus)  Ruten  und  Blättern  (besteht)! 

Von  ihrem  Wohlgeruch  hat  die  Zitrone  (al-'utrugg^^)  ihre  Schmäch- 
tigkeit gestohlen:  Oh  Ihr  Leute!  Selbst  unter  den  Gewächsen 
(gibt  es)  Diebe! 

Sie  gesellt  sich  zum  Wein  im  Vertreiben  der  Sorgen,  wenn  sie  von 
einem  (durch  die  Ermordung  seiner  Verwandten)  Vereinsam- 
ten,-^^ der  sich  in  der  Entfernung  sehnt,  gerochen  wird. 

Es  ist,  als  hätte  sie  der  beglückte  Kammerherr  [al-hägib,  d.  h.  Al- 
Muzafifar]  die  huldvolle  Handlung  gelehrt,  und  daher  ist  (ihr) 
Wesen  (so)  angenehm. 

"Über  die  Narzisse  [an-nargis^'^]  dichtete  er: 
Der  ganze  Vorzug  des  Pf efler( husche )s  (liegt)  darin,  dass  er  (alles 
andere  an  Glanz)  überholt,  und  es  ist  (schon)  lange  (her),  dass 
die  Narzisse  den  Pfeffer  (in  meiner  Liebe)  ersetzt  hat:^^ 

11.  Anmerkung  des  Textherausgebers:  "Diese  (erste)  im  Ms.  fast  völlig  ver- 
wischte Vershälfte  wurde  vermittelst  Konjektur  wiederhergestellt." 

12.  Ich  lese  mütarun,  Partizip  Passivi  von  autara  "durch  Ermordung  der  Ver- 
wandten verwaisen,  vereinsamen,"  da  ich  mit  dem  mütarun  der  Ausgabe  nichts 
anzufangen  weiss.  Durch  diese  geringe  Veränderung  (zwei  Punkte  statt  drei!) 
ergibt  sich  ein  ganz  geläufiges  Bild.  Levi-Proven^al  hat  im  Vorwort  zur  Textausgabc 
ein  zweites  Heft  mit  Berichtigungen  in  Aussicht  gestellt,  aber  dieses  ist  mir  leider 
noch  nicht  in  die  Hände  gekommen. 

13.  Dieser  Vers  enthält  zwei  merkwürdig  miteinander  verschränkte  Wortspiele. 
Die  erste  Vershälfte,  gumalu-l-jadilati  li-l-bahari  bi-sabgi-hi,  heisst  wörtlich:  "die 
Gesamtheiten  des  Vorzugs  vom  Pfeffer/ VortrefBichkeit  (sind)  in  seinem/ihrem 
Überholen":  bahär,  der  Name  des  Pfeffers,  ist  gleichlautend  mit  bahär  "Glanz, 
hervorragende  Schönheit,"  zu  bahara  "an  Glanz,  Verdienst,  Tapferkeit,  usw. 
übertreffen."  Die  zweite  Vershälfte,  wa  täla-mä  l}alaja  l-bahära  n-nargisu  kann 
mit  Hinblick  auf  das  sabqi  "Überholen"  des  ersten  Halbverses  auch  die  Bedeutung 
haben:  "und  es  ist  weit,  dass  die  Narzisse  an  Glanz  (oder  Schönheit)  zurückbleibt 
(:=  halafa),"  "die  Narzisse  bleibt  an  Glanz  weit  (hinter  dem  Pfeffer)  zurück." 
ydafa  mit  Objekt  bedeutet  "Nachfolger  (Chalife!)  sein  von,"  "ersetzen";  ohne 
Objekt  bedeutet  es  "zurückbleiben,"  wobei  der  Akkusativ  (der  Beziehung)  bahara 
die  Hinsicht,  worin  man  zurückbleibt,  bezeichnen  kann.  Auf  jeden  Fall  handelt 
es  sich  höchstwahrscheinlich  um  Decknamen  für  Geliebte,  deren  eine  als  durch  die 
andere  ersetzt  dargestellt  wird. 

Folgender  Vers,  der  möglicherweise  zum  Vorbild  des  oben  zitierten  diente,  zeigt 
ebenfalls  die  Narzisse  und  die  Pfefferpflanze  als  Nebenbuhlerinnen.  Er  stammt  aus 
dem  Diwan  des  'Abü-1-Farag  Al-Wa'wä'  von  Damaskus  (vor  1000  gestorben), 
herausgegeben  von  I.  Yu.  Krackovski,  Petrograd,  191 4: 

bahdrun  bahirun:  bi-hi  gairatiin  'alä  nargisin;  wa  saqiqun  saqiqtt  (No.  210, 
V.  8), 
wördich:  "(Der)  Pfeffer(busch)  (ist)  erstickt  [sc.  vor  Eifersucht]:  in  ihm  ist 
Eifersucht  auf  (die)  Narzisse;  und  (die)  Anemone  (ist)  zerspalten."  Ausser  den 
beiden  Wortspielen  bahäruni bahirun  und  saqiqun/saqiqu  liegt  höchstwahrscheinlich 
in   bahirun    und   saqiqu   ein   Doppelsinn    (double   entendre)    vor:    der   Pfefferbusch 


SPANISCH-ARABISCHE  HOFDICHTER         153 

Ihr  Wohlgeruch  übertrifft  ihn  [d.h.  den  Pfeffer  bzw.  seinen  Glanz], 
aber  dieser  (kommt)  vom  Duft,  den  sie  ausatmet: 

Wie  der  beglückte  Kammerherr  [d.h.  Al-Muzaflar],  der  mit  seinem 
Vater  an  Erhabenheit  verglichen  v^^ird,  aber  dessen  Handlung(en) 
(noch)  schätzbarer-^^  (sind). 

"Über  das  Veilchen  [al-banafsag]  dichtete  er: 
Bewässerung  [Segen]  (sei)  den  Tagen  des  Veilchens! 

Fürwahr,  wenn  sie  nach  Billigkeit  verführen,  so  würden  sie  sich 

mit  keinem  gleichen  verbinden! 
Lange  dauere  seine  Herrschaft  und  angenehm  sei   sein  Duft;  und 

möge  es  wachsen  im  schwierigen  und  im  leichten  (Boden,  oder 

Verhältnissen)! 
Wenn  die  Nasen^^  seinen  Geruch  einschlürfen,  verschmähen  sie  den 

Duft  der  gälija^^  und  das  'abir-Parfüm.-*^^ 
Seine  Hautfarbe  ähnelt  dem  Gewande^^  der  Morgendämmerung  und 

der   (Verzierungs) Scheibe  an  der  Wange  der  schwarzäugigen^^ 

Schönen. 
Fürwahr,  ich  danke  ihm  [d.h.  dem  Veilchen]  für  seine  Standhaftig- 

keit  und   seine  Treue,  wie  ich   dem   Saif-ad-Daula  Al-Mansür^^ 

danke. 

"Über  die  Levkoje  [al-htri^'^]  dichtete  er: 
Wir  sind  unter  der  Herrschaft  der  Levkoje  [al-mantur]  gediehen  und 

wir  haben  unser  Kleines  mit  dem  Grossen  verbunden.^o 
Wir  fragten  sie:   'Warum   schüttest  du  nachts   (deinen)   Duft  aus?' 

Sie   sagte:    'Die   Unbesonnenheit   der  Tapferen   im   Staube    (des 

Gefechtes  bewegt  mich  dazu).'^^ 


erstickt   sich    mit   seinem   eigenen   Erzeugnis    und    die   Anemone   spaltet   sich   beim 
Aufblühen. 

14.  Die  Reimwörter  jatanaffasu  "atmet  aus"  und  'anfasu  "wertvoller"  bilden 
ein  Wortspiel. 

15.  d-mdätisu,  wörtlich  "die  Nieser,"  Plural  zu  d-mdtasu,  Nomen  Loci 
(oder  Instrumcnti)  zu  'atasa  "niesen." 

16.  Ein  aus  Moschus,  Ambra  und  anderen  aromatischen  Stoffen  zusammen- 
gestelltes, schwarzfarbiges  Haarparfüm. 

17.  Auch  ein  gemischtes  Parfüm. 

18.  al-hur(i),  PI.  mask.  und  fem.,  daher  "Huri." 

19.  Nach  Ibn  'Idäri  III,  i8,  zeichnete  sich  Al-Muzaffar  mit  dem  vollen  Titel 
(=  'ttnwän)  Al-Hägib  Al-Muzaffar  Saif-ad-Daula  'Abu  Marwän  'Abd-al-Malik 
Ibn-al-Mansür,  d.h.  "Der  Kammerherr,  der  Siegreiche,  das  Schwert  des  Reiches, 
der  Vater  Marwäns,  der  Diener  des  Königs  (sc.  Gottes),  der  Sohn  des  Al-Mansür." 

20.  d.h.  wie  wenigstens  ich  es  auffasse:  "wir  haben  in  bescheidenem  Masse  am 
grossen  Glück  des  Herrschers  teilgenommen,"  oder  "wir  haben  unser  Schärflein 
dazu  beigetragen,"  oder  beides.  Vermutlich  ist  al-mantür  eine  Anspielung  auf 
Al-Mansür. 

21.  d.h.:  "Ich  zeige  darin  dieselbe  Unbesonnenheit  wie  die  Tapferen  beim 
Kämpfen.     Der  arabische  Satz  bedarf  keines  Zeitworts,  da  jatJ^u  "Unbesonnenheit" 


154  CORONA 

Wir  stellten  ihre  Röte  mit  (der)  Gelbe  zusammen  und  wunderten 
uns  über  die  Zierlichkeit  des  Werks  des  (All)mächtigen. 

Wir  hatten  den  Rubin  nie  durch  das  Riechen  gemerkt,  bis  die  Ge- 
rüche der  Levkoje  [al-mantur]  uns  anwehten. 

Kammerherr  des  Reiches!  Keiner,  der  frohe  Nachrichten  von  Siegen 
meldet-"  oder  (sonst)  eine  Freude  bringt,  geht  an  dir  vorüber! 

"Über  die  Rose  [al-ward^'^]  dichtete  er: 

Der  Führer  der  Levkojen  [al-mantür]  wird  sein  Heer  gewiss  abwen- 
den und  sich  flüchten,  denn  die  Armee  der  Rose  ist  herangerückt-^ 

In  einem  Prunkkleid,^^  das  der  liebliche  Garten  fussfällig  anbetet; 
und  wenn  der  gemahlene  Moschus  zu  ihm  [d.h.  dem  Garten] 
käme,  so  würde  er  (diesen)  nicht  fussfällig  anbeten. 

Ich  verglich  sie  [d.h.  die  Rose],  als  die  Winde  die  gefallene  Nässe 
[=  Regen  oder  Tau]  von  ihr  herabtropfen  Hessen  —  denn  sie  hat- 
ten eine  Hand  nach  ihr  ausgestreckt  — , 

Mit  der  Wange  eines  schamhaft  Errötenden,  den  seine  Scham  weinen 
macht,  bis  sich  seine  Tränen  darauf  zerstreuen. 

Ausser  seinen  Tagen-^  sei  der  Morgentrunk  (mir)  verhasst,  und 
(auch)  in  seinen  Tagen;  die  Irrfahrt  der  Liebe  aber  möge  der 
gerade  Weg^^  sein! 

"Über  die  Rose  [al-ward^'^]  dichtete  auch  Ihn  Darrag: 
Das  Wetter  lächelt  uns  zu:  nimm  denn  und  gib  (sie)  her!   Oder  hast 
du  nicht  die  Rose  an  ihrem  Strauch  gesehen.'^ 


auf   m(cl)    "was?"    von    li-m(ä)    "warum,"    wörtl.    "für-was?"    antwortet,   so    dass 
man  einfach  "wegen  der  .  .  ."  zu  ergänzen  braucht. 

22.  bcäirun  "Überbringer  guter  Nachrichten,"  zu  basara  "durch  Überbringung  einer 
guten  Nachricht  erfreuen."  Al-bisära  "die  frohe  Nachricht,"  dann  "das  Geschenk, 
womit  man  den  Melder  einer  frohen  Nachricht  belohnt,"  hat  im  Spanischen  albricias, 
im  Portugiesischen  alvi^aras  "Geschenk  für  eine  gute  Nachricht"  ergeben.  Als  Ausruf 
bewahrt  es  im  Spanischen  immer  noch  die  ursprüngliche  Bedeumng. 

23.  waradä  "ist  herangerückt"  bildet  ein  Wortspiel  mit  ward(un)    "Rose." 

24.  mi'radin  "Kleid,  in  dem  ein  junges  Mädchen  (etwa  als  Debütantin)  vor- 
geführt oder  eine  Sklavin  zum  Verkauf  ausgestellt  wird,"  Nomen  Instrumenti  zu 
'arada  "ausstellen." 

25.  d.h.  der  Zeit,  in  der  dem  Mohammedaner  das  Trinken  erlaubt  ist.  Im  Fast- 
monat Ramadan  darf  nämlich  der  Muslim  zwischen  Sonnenauf-  und  Untergang 
keinerlei  Speise  oder  Getränk  zu  sich  nehmen. 

26.  rasadä  (häufiger  rusd(ati)),  Verbalsubstantivum  zu  rcisada  "den  geraden  oder 
richtigen  Weg  verfolgen,  eine  gute  Leitung  haben,  so  dass  man  nicht  auf  Abv^'ege 
gerät,"  ist  vornehmlich  ein  Religionsausdruck:  "der  religiös  richtige  Weg,  Recht- 
gläubigkeit, Orthodoxie,"  dann  auch  "Vernunft,  gesunder  Menschenverstand."  Das 
hier  enthaltene  Oxymoron  ist  ein  bei  den  arabischen  Dichtern  äusserst  häufiger 
Gedanke,  wie  denn  üb)erhaupt  alles,  was  die  Liebe  betrifft,  gern  den  Religionsbegriflcn 
gleichgestellt  wird. 


SPANISCH-ARABISCHE  HOFDICHTER         155 

Sie  bringt  die  Apfelsinen(farbe)  (an-närang^^)  von  ihren  Zweigen^'^ 
und  die  Schamröte  des  Liebhabers  von  ihren  Wangen. 

Unser  Schutzherr^^  hat  sie  mit  Gewändern  aus  feinem  Seidenbrokat 
bekleidet  an  einem  Tage,  da  er  sie  (gleichsam)  mit  dem  Blute 
seiner  Feinde  bemäntelte. 

"Über  die  Lilie  [as-süsan^'^]  dichtete  Ibn  Darräg: 

Wenn  das  Gesicht  des  Frühlings  lächelt  dann  entschleiert  die  Lilie 
ihre  Wunder.^® 

Wie  schön  sind  die  Zähne  einer  duftenden  Lacherin  [mask.]!^^  j^r 
Geruch  parfümiert  den  Geruch  der  Busentasche.^*' 

Ihr  Liebhaber  befürchtet  ihretwegen  den  Neidling,  .  .  .^^ 

Wenn  der  leidenschaftlich  Verliebte  sie  beriecht,  dann  lässt  sie  ihr 
Zeichen  an  seiner  Nase, 

Wie  die  Geliebte  [mask.!]^-  gälija-Va.riüva^^  an  den  beiden  Wangen 
ihres  [mask.lj^-  Gesellschafters  zum  Andenken  an  sie  [mask.!]^^ 
lässt. 

Oh  Kammerherr!  Seitdem  ihr  Schöpfer  sie  erschuf,  hat  er  sie  (im- 
mer) mit  Erhabenheit  gekrönt  und  versüsst!" 

Gleich  anschliessend  an  diese  Zitate  bringt  Ibn  'Idäri  das 
folgende  anonyme  Lobgedicht  auf  Al-MuzaiTar,  das  die  oben 
aus  Dozy  angeführte  Zusammenfassung  seiner  Regierungszeit 
vollauf  bestätigt: 

"Eine  neue  Zeit,  ein  neues  Werk,  eine  Welt,  die  ungetrübt  ist,  und 
ein  Wohlstand,  der  (beständig)  anwächst! 

Ein  reichlicher  Regenfali  und  ein  angenehmes  Leben,  ein  Ruhm,  der 
dauert,  und  ein  Fest,  das  wiederkehrt! 

Und  ein  Zeitalter,  das  durch  'Abd-al-Malik  glänzt  wie  die  Mittags- 
sonne, die  das  Glück  begünstigt!" 

27.  Da  auch  die  Taille  der  Geliebten  oft  mit  einem  Zweige  (gusn,  PI.  agsdn) 
verglichen  wird,  vermute  ich  hier  irgendeine  Anspielung  auf  ein  Mädchen. 

28.  maulä  "Schutzherr,  Patron,"  der  zum  freigelassenen  Klienten  (auch  maulä 
genannt)  im  selben  Verhältnis  stand  wie  im  alten  Rom.  Gemeint  is  natürlich  Al- 
Muzaffar. 

29.  tanäjä,  PI.  zu  tanija  "Lob,"  dann  "lobenswerte  Tat  oder  Eigenschaft." 

30.  d-gcdb,  zu  gdba  "spalten,"  ist  zunächst  die  Öffnung  an  der  Vorderseite  eines 
gegürteten  Hemdes  oder  Rockes,  durch  die  man  Gegenstände  zur  Aufbewahrung  in 
die  durch  den  Gürtel  gebildete  Busentasche  steckt,  dann  diese  Tasche  selbst,  und 
schliesslich  auch  "Sinus"  (lat.  "Busen")  als  trigonometrischer  Terminus.  Davon 
abgeleitet  ist  das  portugiesische  Wort  dgibeira  "Tasche." 

31.  Der  zweite  Halbvers  scheint  eine  jener  bei  den  Arabern  sehr  beliebten  volks- 
etymologischen Spekulaüonen  über  die  Ableitung  des  Namens  der  Lilie  zu  enthalten, 
aber  ich  vermag  ihn  vermittels  der  mir  hier  (in  Los  Angeles)  zu  Gebote  stehenden 
Nachschlagewerke  nicht  mit  Sicherheit  auszudeuten. 

32.  Vgl.  den  Schluss  der  Anmerkung  4. 


156  CORONA 

Als  Verfasser  der  ersten  sechs  oben  zitierten  "Blumenge- 
dichte" wird  Sä'id  Ihn  Husain  von  Bagdad  angegeben.  Dieser 
kam  um  990  aus  dem  Orient  nach  Cordoba  und  wurde  zu 
einem  der  gefeiertesten  Dichter  am  Hofe  Al-Mansürs.  Wie 
wir  hier  sehen,  blieb  er  auch  bei  dessen  Sohn  und  Nachfolger 
als  Hofpanegyriker  angestellt. 

Die  beiden  übrigen  Gedichte  werden  dem  Ibn  Darrag  zuge- 
schrieben, welcher  auf  Seite  9  des  dritten  Teils  derselben 
Chronik  "der  Kastilier"  (Al-Qastilli)  genannt  wird.  Dieser 
einheimische  Dichter,  der  jedoch  nach  Ibn-Hazm  berberischer 
Abstammung  war,  galt  neben  dem  soeben  erwähnten  Sä'id 
als  einer  der  führenden  poetischen  Geister  im  Dienste  des 
Chalifenhofs  und  überhaupt  als  einer  der  typischsten  Vertreter 
der  Cordobaer  literarischen  Kreise  jener  Zeit.  Nach  Palencia^^ 
"entfernt  er  sich  etwas  von  den  klassischen  Vorbildern."  In 
den  beiden  zitierten  Gedichtchen  bleibt  er  jedoch  ganz  in  den 
Bahnen  der  morgenländischen  Blumendichtung. 

Es  dürfte  nicht  schwer  fallen,  für  fast  jeden  Vers  beider 
Dichter  eine  mehr  oder  weniger  treffende  Parallele  bei  verschie- 
denen Dichtern  des  arabischen  Orients  zu  finden,  wie  ich  das 

33.  Historia  de  la  Literatura  Ardbigo-Espanola,  S.  50. 

Für  die  Beurteilung  des  Umfangs  der  kulturellen  Beziehungen  zwischen 
mohammedanischen  und  chrisdichen  Spaniern  dürfte  es  von  beträchtlichem  Interesse 
sein,  hervorzuheben,  wie  viele  der  Blumen-,  Pflanzen-  und  Fruchtnamen,  die  in 
diesem  kurzen  Abschnitte  der  Chronik  von  Ibn  'Idari  vorkommen,  ins  Spanische 
(und  grösstenteils  auch  ins  Portugiesische)  übergegangen  sind.  Ich  stelle  sie  also 
hier  zusammen: 

al-lfiri  "Levkoje"  >  alheli 
an-närang  "Orange"  >  naranja 

as-süsan  (auch  as-süsäti)  "Lilie"  >  azucena  "weisse  Lilie" 
at-turungän  "Melisse"  >  toronjina,  toronjil 

al-'utrugg    (auch    'utru(n)g(a),    iuru(n)g(a))    "Zitrone"    >    toronja    "Zitrone, 
Pampelmuse."    Das  Wortspiel   turungänl'utrugg  geht  wohl   auf  den  gewisser- 
massen  faden  ("schmächtigen")  Geschmack  der  Pampelmuse  und  den  delikaten 
Duft  ihrer  Schale  und  ihrer  Blüten. 
al-ward  "Rose"  >  altportugiesisch  guedre. 
az-zahr  "Orangenblüte(n)"  >  azahar 
Statt  al-'äs  "Myrte"  hat  das  Spanische  ar-rcähan  als  airayän,  ursprünglich  "jede 
duftende  Pflanze,"  dann,  in  Spanien,   "Myrte,"   übernommen.    Bei  an-nargis  "Nar- 
zisse" hat  die  spanisch-lateinische  Form  narciso  gesiegt.    Aus  anderen  Gebieten  sei 
noch  hinzugefügt:  qamU  "langes  wollenes  oder   baumwollenes  Kleid  ohne  Gürtel," 
"Hemd"   >   sp.  camüa,  und  die  in  den  Anmerkungen  9,  22  und  30  angeführten 
Wörter. 


SPANISCH-ARABISCHE  HOFDICHTER         157 

nur  beiläufig  in  der  Anmerkung  13  für  eine  Stelle  getan  habe. 
Der  hohe  Grad  von  Konventionalität  und  Stereotypie  im 
Gedankenkreise,  in  den  poetischen  Redewendungen,  in  der 
Regelung  der  streng  quantitätsmessenden  Versmasse  und  Reime 
und  in  der  Festhaltung  an  der  Aussprache  der  kurzen  End- 
vokale trotz  des  schon  längst  erfolgten  Verlustes  derselben  in 
der  gewöhnlichen  Sprache  ist  wohl  das  auffallendste  Merkmal 
der  überwältigenden  Masse  aller  arabischen  Dichtung,  gleich- 
viel ob  sie  in  Spanien  oder  im  Osten  verfasst  wurde,  abgesehen, 
natürlich,  von  den  ältesten  oder  klassischen  Vorbildern,  die 
anscheinend  ein  für  allemal  die  Grenzen  für  die  ganze  Nach- 
welt festlegten. 


HOHE  MINNE  BEI  REINMAR  VON  HAGENAU: 
MINNESANGS  FRÜHLING  176,  5 

HENRY  w.  NORDMEYER,  Utiiversity  of  Michigan 

Den  ez  niht  nä  ze  herzen  gat 
noch  in  diu  Minne  nie  gebot. 
—  Reinmar,  188,  9  £. 

ES  HANDELT  sich  um  Echtheit  oder  Unechtheit,  Wert 
oder  Unwert  eines  an  sich  nicht  schlecht  beglaubigten, 
gut  überlieferten,  gleichwohl  neuerdings  Reinmar  ent- 
schieden abgesprochenen  Liedes,  MF,  176,  5,  zugleich  aber  um 
Grundsätzliches  zur  Methodenfrage  und  zu  unsrer  Auffassung 
von  Reinmars  l^misl  und  dem  Wesen  seiner  Dichtung  über- 
haupt/ Meine  Stellung  zu  dem  Liede  danke  ich  im  wesent- 
lichen Samuel  Singer.  Seine  Bemerkung  S.  451  über  die 
Strophenordnung  öffnete  mir  vor  Jahr  und  Tag  Augen,  Ohren 
und  Sinn  wie  für  die  äussere,  so  für  die  innere  Form  des 

I.  Abkürzungen,  besonders  für  häufiger  angeführte  Arbeiten: 

Bulst:  Walther  Bulst,  Wörterbuch  zu  den  Liedern  Reimars  des  Alten  (Göttingen, 

1934)- 

Burdach:  Konrad  Burdach,  Reinmar  der  Alte  und  Walther  von  der  Vogelweide 
(2.  Aufl.;  Halle,  1928). 

Halbach:  Kurt  Halbach,  Walther  vdV.  und  die  Dichter  von  Minnesangs  Frühling 
(Stuttgart,  1927). 

Haupt:  Marlene  Haupt,  Reimar  dei-  Alte  und  Walther  vdV.  (Giessen,  1938). 

Hornig:  August  Hornig,  Glossarium  zu  den  Gedichten  Walthers  vdV.  (Quedlin- 
burg, 1844). 

Kluckhohn  (1910):  Paul  Kluckhohn,  "Ministerialität  und  Ritterdichtung," 
Zeitschr.  für  deutsches  Altertum,  LII  (1910),  135  ff. 

Kluckhohn  (1914):  Derselbe,  "Minnesang  als  Standesdichtung,"  Archiv  für 
Kulturgeschichte,  XI  (1913-14),  389  ff. 

Korn:  Karl  Korn,  Studien  über  'Freude  und  Trüren'  bei  mhd.  Dichtern  (Leipzig, 
1932). 

Kotzenberg:  Walther  Kotzenberg,  man,  frotiwe,  juncfrouwe:  Drei  Kapitel  aus 
der  mhd.  Wortgeschichte,  Kap.  I  (Berlin,  1906;  vollständig  Berlin,  1907). 


HOHE  MINNE  BEI  REINMAR  159 

Gedichts,  die  sich  im  Aufbau  spiegelt.  Abweichend  von  Carl 
von  Kraus  und  Marlene  Haupt  halte  ich  es  aus  dieser  Erkennt- 
nis nicht  nur  für  echt,  sondern  für  einen  der  Gipfelpunkte 
Reinmarschen  Schaffens.  Dass  vor  1919  kein  einziger  Kritiker 
ernstlich  daran  Anstoss  genommen,  ist  immerhin  erwähnens- 
wert. Es  scheint  an  der  Zeit,  gegen  Kraus'  Verwerfung  erneut 
Einspruch  zu  erheben,  damit  diese  nicht  kanonisch  werde, 
nunmehr  jedoch  mit  den  nötigen  Belegen,  denn  inzwischen  hat 
mein  kurzer  Vermerk  N  31,  368^^  zur  Präzisierung  der  gegen- 
teiligen Meinung  geführt.  Wenn  ich  dabei  dem  hochverdien- 
ten Münchner  Gelehrten  im  ganzen  und  in  vielen  Einzelheiten 
widersprechen  muss,  so  will  ich  nur  gleich  betonen,  dass  meine 
Arbeit  ohne  die  seine  nicht  möglich  wäre,  und  das  dürften 
viele  andre  von  sich  sagen  müssen. 

A 

I.  Das  Lied  steht  in  bC  unter  Reinmar,  ausserdem  Str.  i  in  A 
unter  Reinmar  dem  Fiedler.  Über  die  Singersche  Strophenord- 
nung, also  176,  5.  38.  27.  16  wird  nach  Zustimmung  von  Mar- 
lene Haupt  S.  20  und  Kraus,  MFU,  S.  375,  kein  Streit  bestehen. 
Auch  die  Textgestalt  ist  durch  Moriz  Haupt  und  Karl  Vogt 

Lüderitz:  Anna  Lüderitz,  Die  Liebestheorie  der  Provengalen  bei  den  Minnesingern 
der  Stauferzeit  (Berlin,  1904). 

MF:  Des  Minnesangs  Frühling.  Neu  bearbeitet  von  Friedrich  Vogt.  (3.  Aufl.; 
Leipzig,  1920). 

MFU:   Carl    von    Kraus,    Des   Minnesangs  Frühling:    Untersuchungen    (Leipzig, 

1939)- 

N.  28,  29,  31:  H.  W.  Nordmeyer,  Journal  of  English  and  Germanic  Philologv, 
XXVIII  (1929),  203  £f.;  XXIX  (1930),  18  ff.;  XXXI  (1932),  360  ff. 

N.  45:  Derselbe,  Publications  of  the  Modern  Language  Association  of  America, 
XLV  (1930),  629  ff. 

RU:  Carl  von  Kraus,  Die  Lieder  Reimars  des  Alten,  Teil  I,  II  und  III  (München, 
1919). 

Scharmann:  Th.  Scharmann,  Studien  über  die  Saelde  in  der  ritterlichen  Dichtung 
des  12.  und  13.  Jahrhunderts  (Würzburg,  1935). 

Schmidt:  Erich  Schmidt,  Reinmar  von  Hagenau  und  Heinrich  von  Rugge  (Strass- 
burg,  1874). 

Schneider:  Hermann  Schneider,  "Die  Lieder  Reimars  des  Alten,"  Deutsche  Viertel- 
jahrsschrift für  Literaturwissenschaft  und  Geistesgeschichte,  XVII  (1939),  312  ff. 

Singer:  S.  Singer,  "Studien  zu  den  Minnesängern,"  Beiträge  zur  Geschichte  der 
deutschen  Sprache  und  Literatur,  XLIV  (1920),  426  ff. 

Strümpell:  Regine  Strümpell,  Über  Gebrauch  und  Bedeutung  von  saelde,  saelic 
und  Verwandtem  bei  mhd.  Dichtern  (Leipzig,  191 1). 

WU:  Carl  von  Kraus,  Walther  vdV:  Untersuchungen   (Berlin  u.  Leipzig,  1935). 


i6o  CORONA 

so  ziemlich  gesichert.  Jedoch  ist  mit  Kraus,  RU,  l,  73  f.,  MFU, 
S.  373,  gegen  Singer  in  176,  27  gewiss  niht  zu  lesen  statt  noch 
(bC).  Ein  weiterer  Vorschlag  von  Kraus  betrifft  176,  12,  wo 
er  mit  Jellineks  Beistand  Beiir.  XLIII,  14  f.  frouwe  statt  fröide 
lesen  will.  Auch  mir  scheint  dies  eine  wesentliche  Besserung. 
Seine  Interpunktion  verlangt  Punkt  statt  Komma  nach  177,  4 
und  Kolon  nach  177,  8.  Das  Komma  wäre  wohl  besser  durch 
ein  Kolon  zu  ersetzen,  auf  das  zweite  Kolon  zu  verzichten. 
Begründung  für  dies  alles  an  geeigneter  Stelle  später. 

2.  Zuerst  die  philologischen  Einzeleinwände,  die  gegen 
Reinmars  Verfasserschaft  gemacht  worden  sind.  Diese  finden 
sich  jetzt  bequem  bei  Kraus,  MFU,  S.  373  f.,  doch  sind  seine 
Bemerkungen  RU,  I  u.  II,  stets  nachzublättern.  Kraus  beleuch- 
tet, dass  der  Sprachgebrauch  des  Dichters  mit  dem  Reinmars 
und  gelegentlich  Walthers  enge  Verwandtschaft  zeigt,  findet 
anderseits  "so  manches,  was  bei  Reimar  fehlt."  Grundsätzlich 
habe  ich  mich  zu  diesem  argumentum  ex  silentio  N  45,  660  u. 
670  geäussert.  Sehen  wir  zu,  ob  es  hier  annehmbare  Ergebnisse 
fördert. 

3.  Kraus  beanstandet  im  ganzen  acht  Ausdrücke.  Dass  diese 
sonst  im  Kraus'schen  Reinmartext  nicht  vorkommen,  lässt  sich 
jetzt  in  Bulsts  Konkordanz  mit  Leichtigkeit  feststellen,  doch 
sei  bemerkt,  dass  keiner  dabei  ist,  der  niht  des  hoves  st,  und 
auch  keiner,  der  prima  facie  unreinmarisch  anmutete.  Es  sind 
die  folgenden:  (i)  dienest  (von  der  Person  gesagt),  (2)  ge- 
schehen läzen,  (3)  nern,  (4)  wem,  (5)  sich  bewarn,  (6)  verlän 
('unterlassen'),  (7)  merkaere  und  (8)  gän  stän  mit  Ortsbe- 
stimmung der  Richtung.  Bei  weniger  als  1400  echten  Rein- 
marversen  (nach  Kraus  gerechnet)  ist  es  kaum  billig,  für  jedes 
dieser  Wörter  einen  zweiten  Beleg  zu  verlangen.  Dutzende  von 
Wörtern  gleichen  Schlages  und  gleicher  Seltenheit  lassen  sich 
in  kürzester  Frist  aus  Bulst  zusammenstellen.  Der  Einwand, 
auf  die  Häufung  komme  es  an,  verfängt  nicht.  Die  neunzeilige 
Falkenstrophe  180,  10,  mit  das  Echteste,  was  wir  von  dem 
Dichter  haben,  liefert  fünf:  erzogen,  wilde  (zweimal), 
muotenf  \üme,  ungewin,  und  dazu  schuldic,  das  nur  in  un- 

2.  Ton  201,  33  scheidet  aus,  s.  die  Nachweise  bei  Kraus,  MFU,  S.  408. 


HOHE  MINNE  BEI  REINMAR  i6i 

serm  Liede  noch  einmal  erscheint.  Man  vergleiche  ferner  Ton 
171,  32,  wo  sich  in  Str.  11  (sechs  Zeilen)  allein  vier  solcher 
Unika  finden:  hüs,  beroubet,  berede,  lougen,  oder  Str.  165,  i 
mit  mindestens  vier.  Ähnlich  ist  es  in  der  Witwenklage  167, 
31,  und  so  auch  bei  dem  Liedchen  156,  10,  das  Kraus  jetzt 
wenigstens  aus  dem  "Zyklus"  entfernt.  Gewiss  liegen  hier 
überall  besondere  Bilder  oder  Situationen  vor,  doch  warum 
sollte  das  nicht  von  unserm  Tone  gelten.?  Wieso  ist  jeder 
Einzelfall  nach  dem  Durchschnitt  zu  beurteilen  ?  Schauen  wir 
die  acht  "fehlenden"  Wörter  und  Wendungen  einzeln  an,  in- 
dem wir  mit  den  einfachsten  Fällen  beginnen. 

4.  Bei  (2)  finden  wir  Kraus  im  Irrtum.  Der  Ausdruck 
begegnet  zwar  nach  Hornigs  Glossarium  bei  Walther  unter  47 
Verwendungen  von  geschehen  nicht  ein  einziges  Mal,  wohl 
aber  ein  zweites  Mal  bei  Reinmar,  187,  24:  got  läze  im  wol 
geschehen,  also  in  dem  Frauenliede,  was  vielleicht  kein  Zufall 
ist  (s.u.  §20).  Was  dem  an  dir  Ungewöhnliches  anhaften  soll, 
vermag  ich  nicht  zu  erkennen,  vgl.  ?arz.  506,  2:  lät  iuwern 
trost  an  mir  geschehen.  (Über  Kraus'  stilistische  Bedenken  s.u. 
§8.)  —  (3)  und  (4) :  Dass  Reinmar  nern  und  wem  bewusst  oder 
unbewusst  gemieden  hätte,  ist  doch  kaum  glaubhaft,  denn  um 
etwa  das  Frauenlied  199,  25  als  unecht  zu  erkennen  {erwert 
201,  3),  haben  wir  noch  andere  Kriterien.  Jedenfalls  findet 
sich  das  Nomen  wer  172,  9,  was  Kraus  seinerseits  hätte  anmer- 
ken dürfen,  nern  {er-,  ge-)  erscheint,  von  den  Epikern  zu 
schweigen,  z.B.  im  Rugge-Corpus,  bei  Morungen,  in  Hart- 
manns Lyrik,  bei  Walther,  im  11.  Büchlein,  und  zwar  im  Sinne 
von  'retten,'  'schützen,'  'am  Leben  halten.'  Wenn  freilich 
gerade  dies  Vorkommen  bei  andern  Dichtern  als  Beweis  gegen 
Reinmar  gebucht  werden  soll,  so  steht  die  sonst  ehrenwerte 
Methode  Kopf.  Übrigens  verwendet  dieser  genesen  164,  33; 
186,  22.  —  Ähnliches  gilt  für  (5),  bewarn,  wofür  Hornig  14 
Walther-Stellen  verzeichnet,  darunter  drei  reflexive  Konstruk- 
tionen. —  (6)  findet  sich  nach  Sinn  und  Konstruktion  ebenso 
bei  Hiltpolt  XVIII,  2  f . :  i'd  enkßn  st  niemer  verlän,  sin  läze  mich 
des  geniezen  gein  ir,  daz  ich  usw.   Hiltpolt  war  bekanntlich 


i62  CORONA 

sehr  stark  von  Reinmar  beeinflusst.^  Auch  Hartmann  braucht 
die  Wendung,  Iwein,  1700  if.,  4510  f.,  und  die  Wörterbücher 
liefern  noch  mehr.  Überhaupt  erscheint  verlän  nach  Bulst  nur 
zweimal  im  Reinmartext,  und  zwar  in  zweierlei  Sinn:  154, 
10  f.  'hingeben,'  174,  30  'verlassen';  dazu  kommt  noch  unverlän 
'nicht  verlassen'  155,  20.  Bei  solchen  Zahlenverhältnissen 
brechen  die  Gesetze  der  Statistik  zusammen. 

5.  Zu  besprechen  sind  noch  (i),  (7)  und  (8).  Die  metho- 
dische Frage  ist  hier  nur  die:  Wovon  haben  wir  auszugehen, 
von  dem  belegten  Wortschatz  eines  Dichters  wie  Reinmar, 
oder  von  der  motivlichen  Situation,  die  offenbar  im  Liede 
gestaltet  ist  und  demgemäss  die  Wortwahl  bestimmen  musste  ? 
Also  zu  (i).  Jellineks  oben  genannter  Vorschlag  zu  176,  12 
war  in  der  Tat  zu  begrüssen,  denn  er  klärt  den  Sinn  nicht  nur 
der  Strophe,  sondern  des  ganzen  Liedes.  Worauf  es  dem 
Dichter  hier  ankommt,  ist  offenbar  die  Herausarbeitung  des 
Dienstverhältnisses  zwischen  der  frouwe  und  dem,  der  ir 
dienen  sol,  wie  es  in  der  schlagenden  Morungen-Parallele  140, 
30  heisst.  Einerlei,  ob  man  mit  Kraus,  MFU,  S.  322,  alle  drei 
Morungen-Strophen  für  echt  hält,  so  dürfte  in  der  eben  zitier- 
ten Zeile  Reinmar  genau  so  Pate  gestanden  haben  wie  140,  16 
bei  österlicher  tac,  andrer  Parallelen  wie  140,  21 :  179,  21 ;  140, 
27  f.:  168,  22  f.  nicht  zu  gedenken.  Und  warum  hätte  er  statt 
dienest  lieber  eine  Auflösung  wählen  sollen  wie  sein  Nach- 
ahmer oder  einen  anderen  Terminus,  der  gleichfalls  nicht 
wieder  bei  ihm  auftreten  würde?  In  Gegenüberstellung  mit 
frouwe  war  zu  seiner  Zeit  dieiiest  ein  durchaus  geeignetes 
Wort,  das  wir  aus  dem  'Ere\,  dem  Tristan  und  andern  Texten 
kennen.^   Dasselbe  charakteristische  Begriffspaar  begegnet  bei 

3.  Sonstige  Parallelen  bei  Erich  Juethe,  Der  Minnesänga*  Hiltbolt  von  Schu/angau 
(Breslau,  1913),  S.  40  f.,  43-45. 

4.  S.  Lexer  und  Mhd  Wb.  Kluckhohn  (1910)  meint  S.  145  Anm.  i,  der  dienest 
für  Diener  sei  in  Deutschland  selten  und  verweist  auf  Kotzenberg  S.  16,  der  keine 
Belege  bringt.  Ich  finde  diese  Stellen:  Vorauer  Alexander  1121  (Strassb.  1549),  wozu 
Kinzel  bemerkt  "im  12.  Jahrhundert  nur  hier";  ferner  Kreuzfahrt  des  Landgrafen 
Ludwig,  Mon.  Germ.  Hist.  IV,  2,  "Deutsche  Chroniken,"  22  und  2551;  Berthold 
von  Holle,  Crane,  4627.  Bei  den  Lyrikern  noch  MF  S.  435,  Str.  362  e;  Reinmar 
von  Zweter,  Str.  26  (s.u.  Anm.  8  u.  14);  Marner  (Strauch)  vii,  32;  HMS  I,  327  b. 
[  ^=MS  I,  178b]   (7).   Ausser  bei  Ulrich  v.  L.  F.D.  105,  10;  143,  4,  der  aber  176,  11 


HOHE  MINNE  BEI  REINMAR  163 

einem  kaum  viel  jüngeren  Anonymus  in  Str.  362  e,  MF^  S.  435, 
^S.  421,  zu  Eingang  und  Ende,  und  noch  ausgeprägter  bei 
Reinmar  von  Zweter,  Str.  26.  Bei  Reinmar  taucht  dabei  hier 
schon  die  Idee  des  lones  auf,  die  die  letzten  Strophenzeilen  er- 
füllt (s.  Bulst,  s.v.).  —  Zu  (7)  merkßere  sei  jetzt  nur  dies  gesagt: 
Reinmar  braucht  das  Wort  sonst  nicht,  v^eil  er  sonst  die  Situa- 
tion nicht  w^ieder  braucht.  Immerhin  treffen  v^ir  es  im  Minne- 
liede  noch  bei  Walther  98,  16  ff.,  und  anderseits  arbeitet 
Reinmar  bekanntlich  mit  dem  engverwandten  Motiv  der  huote, 
164,  23  und  zumal  im  Ton  179,  3.  Zum  Fehlen  der  Senkung 
vgl.  159,  22;  172,  2  (Vogt  und  Kraus),  auch  166,  32  (Vogt). — 
Auf  (8),  also  gän  mit  finalem  stän  als  Bev^^egungsverbum, 
finden  die  Beobachtungen  zu  (3),  (4),  (5),  (6)  sovi^ie  die  zu 
(7)  Anwendung.  Kraus'  Einwand  kann  nur  bedeuten,  dass 
Reinmar  eine  bekannte  epische  Formel^  stets  meide,  ähnlich 
wie  Hartmann,  aus  dessen  Sprachgebrauch  sie  nach  dem  EreJ^^ 
verschwindet.  Aber  das  wäre  bei  einem  Lyriker  eine  ganz 
willkürliche  Annahme.  Die  Strophe,  fast  ganz  im  Präteritum 
gehalten,  verweilt  bei  Erinnerungen,  der  Stil  muss  also  ins 
Epische  gehen,  und  da  war  die  alte  Formel  —  aber  nur  hier  — 
gerade  recht.  Doch  wird  das  eigentlich  Formelhafte  gebrochen 
dadurch,  dass  sowohl  gie  wie  stän  in  den  Reim  tritt.  (Über 
Stilistisches  zu  diesem  Thema  s.u.  §9.) 

6.  So  bleibt  von  Kraus'  Beanstandungen  des  Wortschatzes 
schlechterdings  nichts  übrig.  Aber  er  hat  auch  sprachlich- 
stilistische Bedenken,  wozu  noch  solche  der  Interpretation  kom- 
men, und  Marlene  Haupt  ist  ihm  darin  auf  Grund  seiner 
früheren  Studien  in  einigen  Punkten  voraufgegangen.  Er  geht 
von  der  Anschauung  aus,^  für  den  Verfasser  sei  die  Form  das 

kopiert,  handelt  es  sich  jedesmal  um  je  eine  Stelle.  Man  kann  bei  Reinmar  nicht 
mehr  erwarten. 

5.  Vgl.  z.B.  Vorauer  Alexander  394  (Strassb.  461),  Eneit  4151,  'Nibelungenlied 
(Bartsch)  845,  1;  1705,  2;  1832,  3  (alle  mit  /«>).  Im  übrigen  s.  Mhd.  Wörterb. 
I,  464a  und  II,  570a,  und  ausführlich  E.  Wiessner,  "Über  Ruhe-  und  Richtungskon- 
struktionen mhd.  Verba,"  Beitr.  z.  Gesch.  d.  dt.  Spr.  u.  Lit.,  XXVI  (1901),  besonders 
447  ff. 

6.  V.  6832,  7625,  8967  (hier  mit  für  st  und  im  Reim  auf  Verlan  'unterlassen'!), 
8987.  Vgl.  S.  von  Monsterberg-Münckenau,  Der  Infinitiv  in  den  Epen  Hartmanns 
von  Aue  (Breslau,  1885),  S.  26  f. 

7.  RU.  I,  73  f.,  84;  II,  65  f.;  MFU,  S.  374  Anm.  2,  404  f. 


i64  CORONA 

Wesentliche,  Inhalt  sei  ihm,  anders  als  Reinmar,  weniger 
wichtig.  Und  so  glaubt  er  in  ihm  wegen  der  grammatischen 
Bindung  176,  16.  18  in  der  Tat  den  Urheber  der  gram- 
matischen Reimspielerei  198,  4  wiederfinden  zu  sollen.  Aber 
"grammatische  Bindung,"  "Bindung  mit  grammatischer  Ab- 
wandelung" (Vogt,  ZfdA,  LVIII,  210),  die  gerade  Kraus  als 
Reinmarisches  Kunstprinzip  wiederholt  herausstellt  (so  RU ,  I, 
18,  33,  39,  48  f.),  ist  etwas  ganz  andres,  als  was  dort  geschieht, 
wo  alles  Raffinement  dieser  Reimkunst  rein  zu  Formzwecken 
geübt  wird.  Aber  wenn  man  zur  Datierung  schon  Gottfried 
von  Neifen  heranziehen  muss  —  und  das  gibt  Kraus  zu  — ,  so 
kommt  man  mindestens  in  die  Zeit  um  1235.  Anderseits  setzt 
er  RU,  II,  60,  unter  Hinblick  auf  Ulrich  von  Liechtensteins 
wörtliche  Zitate  im  Frauendienst  105,  10  (143,  4) ;  383,  15  unser 
Lied  176,  5  als  "keinesfalls  viel  jünger"  als  Reinmars  Lyrik  an. 
Das  lässt  sich  schwer  vereinigen.  Man  muss  sich  wohl  von 
dem  Formeindruck  losmachen  und  den  Inhalt  ernstnehmen, 
nur  so  kann  man  zu  einer  Würdigung  des  Ethos  vorstossen. 
Jedoch  Kraus  glaubt,  dem  Reimzwang  an  "allerlei  wenig 
geschickten  Wendungen"  schuld  geben  zu  müssen,  und  mo- 
niert in  diesem  Sinne  Vers  um  Vers.  Nicht  vermerkt  hat  er 
die  Lockerung,  die  gerade  durch  diese  scheinbaren  Füllsel  in 
den  Aufbau  kommt:  wie  gerade  dadurch,  dass  man  hie  und 
da  dem  Sinne  nach  ein  wenig  verweilen  kann,  dem  Liede 
etwas  Schwebendes,  Schwingendes  verliehen  wird,  was  seine 
innere  Form  wesentlich  mitbestimmt.  Nicht  vermerkt  hat  er 
ferner  die  Spannung,  die  dieses  wiederholte  Umbiegen  und 
Abbiegen  auslöst,  und  auch  nicht  die  stete  Steigerung  der 
Anteilnahme  der  Zuhörer,  die  durch  diese  Mittel  erzielt  wird. 
So  wird  klar,  wie  aufschliessend,  ja  entscheidend  die  Neuord- 
nung der  Strophen  ist,  die  wir  Singer  verdanken,  deren 
Richtigkeit  Kraus  zwar  anerkennt,  aber  bei  seiner  Auswertung 
des  Gedichts  im  einzelnen  und  im  ganzen  nicht  berücksichtigt. 
Ich  werde  nun  versuchen,  seiner  Kritik  Punkt  für  Punkt 
gerecht  zu  werden,  indem  ich,  so  misslich  das  vielfach  auch 
ist,  meine  eigene  Analyse  zugleich  vorlege. 

7.   Es  überrascht,  MFU,  S.  374,  zu  lesen,  "kein  einziger 


HOHE  MINNE  BEI  REINMAR  165 

frappanter,  selbstgewachsener"  Ausdruck  fände  sich  in  dem 
Liede.  Mir  war  stets  die  Eingangszeile  aufgefallen,  deren 
eigentümliche  Verbindung  von  saelde  und  saelic  im  Minnesang 
vor  Reinmar  nicht  auftritt,  wohl  aber,  wie  erwähnt,  später  bei 
Ulrich  von  Liechtenstein.^  Es  handelt  sich  dabei  um  mehr, 
als  dem  geläufigen  saelic  wip  "stärkeren  Nachdruck"  zu  ver- 
leihen,''  und  der  Ausdruck  wird  uns  noch  mehr  beschäftigen. 
Im  einzelnen  folgendes.  Zu  176,  6  f.:  Der  Dichter  meint,  "Gib 
mir  Grund  zu  hohem  muote,"  mit  alledem,  was  das  bekanntlich 
in  der  Minne  einschliesst.  Aber  er  spricht  es  nicht  aus,  er 
zögert,  deutet  an:  tuo  mir  so  ...  ,  vgl.  etwa  165,  35  f.;  175, 
13  f.;  180,  I  f.  Vers  8  f.  hält  Kraus  für  "zu  unbestimmt- 
allgemein," man  könnte  darunter  "sehr  verschiedenes  ...  bis 
zur  erfolgten  Hingabe"  verstehen,  und  Marlene  Haupt  S.  22 
meint  sogar,  nach  diesen  Zeilen  habe  die  vorausgesetzte  Dame 
"Liebesgunst  gewährt,"  sie  passten  also  nicht  zu  diesem  Rein- 
mar. Sie  scheint  lip  mit 'Körper' übersetzt  zu  haben.  Normal  und 
höfisch  heisst  dur  dinen  lip  einfach  'durch  dich,'  und  so  auch 
bei  Reinmar,  vgl.  die  schlecht  gruppierten  Stellen  bei  Bulst 
s.v.  lip.  Dem  Hörer  hier  eine  andere  Auffassung  zumuten, 
heisst  Vers  6  f.  ignorieren,  heisst  überdies  alle  Minne-Etikette 
vergessen,  die  das  sich  rüemen  streng  verpönte  —  denn  darauf 
liefe  "Liebesgunst"  hinaus  —  und  dies  noch  dazu  in  direkter 
Anrede  an  die  gefeierte  Dame.  Und  so  hat  man  auch  bei  fro 
an  nichts  Beglückenderes  zu  denken  als  etwa  den  österlichen 
tac  von  damals  170,  19  und  die  sonstigen  Hyperbeln,  die 
dann  den  Waltherschen  Gegenschlag  brachten.  Um  aber  ja 
nicht  zu  keck  zu  erscheinen,  setzt  der  Dichter  das  Ganze  in 
einen  o^e'-Satz.  Gesamteindruck:  "Die  Liebe  zu  dir  hat  mich 
lange  beseligt,  nun  lass  meine  Hoffnungen  nicht  zu  schänden 
werden,"  zusammengefasst  in  Vers  11  f.  in  knappster  Form 
unter  quasi  rechtlicher  Begründung  des  Anspruchs.  Und  dann, 
nachdem  er  mindestens  doppelt  unterbaut  ist:  der  Wunsch,  zu 
dessen  Formulierung  {lieben  tac)  158,  38;  165,  27;  187,  38  und 

8.  Reinmar  von  Zweier  schreibt  unsern  Vers  zu  mindestens  drei  Zeilen  um  in 
Str.  26. 

9.  Strümpell,  S.  76,  vgl.  8.  74  ff.;  sonst  jetzt  Scharmann,  S.  76  ff. 


i66  CORONA 

i88,  38  zu  vergleichen  sind.  Doch  wohl  zu  beachten:  das  Letzte 
wird  hier,  in  der  persönlichen  Anrede,  nur  mit  einer  Silbe 
ausgesprochen  —  naht  —  in  einer  Zeile,  die  in  ihrer  Kürze 
parenthetisch,  d.h.  mit  Stimmumlegung  gesprochen  wirkt  und 
dadurch  den  Reiz  des  Intimen  gewinnt.  (Ähnliches  gilt  zumal 
von  177,  8  und  176,  25,  doch  auch  von  den  meisten  Zweitak- 
tern.) Der  Schlussvers  dann  im  Imperativ,  in  direktem  Anruf 
der  frouwe,  der  'Herrin,'  so  dramatisch  wie  die  Strophe  einge- 
setzt hat. 

8.  Gerade  gegen  diese  Zeile  bringt  Kraus  ernste  syntak- 
tische und  stilistische  Bedenken  vor.  Nach  oben  (§4)  Gesagtem 
kann  nur  noch  die  Verwendung  von  lä  statt  muoz  zur  Diskus- 
sion stehen.  Wie  Vogt  erwähnt,  hat  sich  "das  an  sich  näher 
liegende  muoz''  schon  dem  C-Kopisten  aufgedrängt,  der  seine 
Vorlage  unter  Streichung  von  la  korrigierte;  b  hat  la,  A  laz. 
Dass  der  Dichter,  einerlei  welcher  (und  auch  Kraus  hält  ihn 
für  keinen  Stümper),  lä  gewollt  hat,  ist  also  nicht  zu  bezwei- 
feln. Man  sollte  lieber  seinen  Absichten  nachspüren.  Freilich 
ist  die  Verbindung  von  Vorder-  und  Nachsatz  "unlogisch," 
aber  sie  hat  die  psychologische  Wahrheit  für  sich,  die  schon 
seit  Schmidt  als  Reinmars  Eigenstes  gilt,^°  Kraus  selber  erwägt 
wohl  müeze,  denn  er  findet  (wie  vielleicht  der  Dichter  selbst 
getan)  auch  muoz  "wenig  passend."  Aber  die  Logik  der 
Situation  verlangt,  wenn  keine  Aussage,  so  auch  keinen  blossen 
Wunsch,  sondern  ein  Begehren,  Verlangen,  das,  so  gebändigt 
es  ist,  unzweideutig  ausspricht,  um  was  es  sich  im  Sang  von 
hoher  Minne  immer  dreht  und  gemäss  seinem  innersten  Wesen, 
d.h.  bei  der  bekannten  Polarität,  drehen  muss.  Gewiss,  auch 
geschehen  ist  "unlogisch,"  aber  nicht  "unbehilflich"  oder 
"wenig  passend,"  eher  das  Gegenteil.  Es  ist  passivisch,  und 
gerade  dies  Abbiegen  an  entscheidender  Stelle  vom  Männlichen 
ins  Weibliche  ist  Reinmarisch.  Man  braucht  noch  lange  nicht 
so  weit  zu  gehen  wie  Karl  Korn,  der  dem  "zwiespältigen, 
widerspruchsvollen,  seelisch  gebrochenen"  Dichter  "Unfähig- 
keit zu  echter  männlich  begehrender  Leidenschaft,"  "perverse 

10.  S.  54.   Vgl.  zuletzt  H.  Schneider  zu  diesem  Thema,  a.a.O. 


HOHE  MINNE  BEI  REINMAR  167 

Wollust"  u.a.  nachsagt/^  um  das  Hingebende,  Empfangende 
seiner  Dichtung  zu  empfinden,  solange  man  sie  rein  als  Minne- 
dichtung nimmt.  Aber  nur  durch  dieses  Abbiegen  in  gesche- 
hen war  der  Übergang  zu  finden  zu  Str.  n,  176,  38,  wo  die 
Entwicklung  des  Motivs  durchaus  zarte  Töne  erheischt. 

9.  Aus  dem  Gebändigt-Pathetischen  geht  jetzt  der  Dichter 
ins  Elegisch-Erinnerungsvolle  über,  aus  dramatischem  Stil  in 
einen  mehr  epischen,  was  durch  die  Verknüpfung  dienest: 
verdiente  beleuchtet  wird.  Zugleich  wird  das  Grundmotiv  des 
ganzen  Liedes  angeschlagen,  das  "unverdiente  Leid,"  das  so 
oder  so  abgewandelt,  seit  Walthers  Angriff  Reinmars  hohes 
Dichten  charakterisiert.  Dass,  wie  in  den  drei  anderen  Strophen, 
Aufgesang  und  Abgesang  syntaktisch  zu  trennen  sind,  dürfte 
einleuchten.  Doch  sollte  ihr  inneres  Verhältnis  durch  Kolon 
bezeichnet  werden,  denn  das  Leben  der  Strophe  ist  ja  die  Span- 
nung, mit  der  man  den  Unschuldsbeweis  erwartet,  erst  recht 
nach  der  Einräumung  177,  i  wan  so  vil  .  .  .  ,  und  der  erfolgt 
erst  im  Abgesang.  Das  Erinnerungsbild,  das  motivlich  ihn 
auch  jetzt  noch  beherrscht,  wie  er  dort  scheinbar  unbefangen 
stand  und  sich  doch  nicht  losreissen  konnte  vom  Anblick  der 
Geliebten:  das  stellt  die  Schuld  dar,  die  er  eingesteht  —  und 
eigentlich  ist  es  ihre  Schuld,  die  Schuld  ihrer  höfischen  Voll- 
kommenheit. Aber  das  sagt  er  nicht.  Er  biegt  ab:  jrouwe, 
nam  des  iemen  war? ,  setzt  also  ein  ganz  neues  Motiv  ein,  dem 
ein  Punkt  voraufgehen  sollte.  Durch  die  unvermutete  Frage, 
die  so  oder  so  eine  Rückäusserung  auslösen  muss,  bringt  er  die 
Dame  quasi  auf  seine  Seite,  lässt  sie  teilnehmen  an  seiner  un- 
schuldigen Schuld  —  denn  böse  kann  sie  ihm  nun  nicht  sein.^^ 
Aber  er  sagt  auch  das  nicht.     Es  gibt  manches,  was  man 

11.  S.  70  ff .  Der  Grundfehler  bei  ihm  scheint  mir,  dass  er  Reinmar  zu  modern 
sieht,  indem  er  das  aus  Motiven  gebaute  Gedichtwerk,  gar  zu  eng  mit  dem 
Menschen  identifiziert,  etwa  als  hätte  der  Dichter  700  Jahre  später  gelebt.  Das 
könnte  man  "psychologische  Realinterpretation"  nennen,  vgl.  N  31,  391  fl.  Auch 
Korns  Deutung  Reinmars  als  "Aufklärer  und  Rationalist"  (S.  69  ff.)  ist  bei  manchen 
feinen  und  treffenden  Beobachtungen  sehr  mit  Vorsicht  aufzunehmen.  Als  Didaktik 
war  der  ganze  Minnesang  "aufklärerisch,"  was  sein  eigentliches  Ethos  doch  kaum 
erschöpfend  bezeichnet. 

12.  Vgl.  etwa  MF.  148,  17  f.  Um  zu  sehen,  wie  Reinmar  mit  dem  wechselnden 
Schuldbegriff  spielt,  vgl.  Kraus,  EU ,  II,  28,  und  einschlägige  Stellen  bei  Bulst. 


i68  CORONA 

verswigen  sol.  Scheinbar  wird  nur  das  mer}{ciere-y[.oxiv  von 
Str.  HI  vorbereitet.  Auf  diesen  ganzen  beseelten  Komplex  des 
Erinnerten,  Suggerierten,  heimlich  Gehofiten,  angeblich  Be- 
fürchteten steuert  die  Strophe  vom  ersten  Verse  ab  los,  erst 
etwas  zögernd,  dann  immer  beschwingter  und  wärmer,  sodass 
das  'Schuldbekenntnis,'  man  weiss  nicht  wie,  zu  einer  Schel- 
merei wird,  wie  wir  sie  etwa  in  der  Strophe  vom  Kussdiebstahl 
haben  (159,  37).  Alle  Ausdrücke  und  deren  Verwendung,  die 
Kraus  moniert,  dienen  diesem  Zweck  der  Spannungssteigerung, 
die  sogleich  eine  anmutige  Lösung  bringt:  geschach  >  gie  > 
stän  >  such,  und  dann  erst  der  eigentliche  gesellschaftliche 
Verstoss.  Ein  ähnlicher  syntaktischer  Aufbau  zu  ähnlichem 
Zweck  findet  sich  178,  19-21:  drei  Nebensätze  hintereinander, 
dann  endlich  zwei  knappe  Silben,  ein  Imperativ.  Und  wenn 
dort  eine  Dame  spricht,  deren  Unsicherheit  der  Dichter  köstlich 
zu  malen  weiss,  so  hier  er  selbst,  der  —  immer  motivlich 
gesprochen  —  das  bangende  Verlangen  des  eignen  Herzens  zu 
schildern  hat. 

10.  Str.  III,  also  176,  27,  nimmt  das  drängende,  werbende 
frouwe  sofort  wieder  auf,  die  Stellung  der  Responsion  wird 
aus  inneren  Gründen  geändert.  Dies  begründet  auch  Kraus' 
Emendierung  von  noch  zu  niht.  Reinmar  will  doch,  wie  im 
Vor  auf  gehenden  (wan  so  vil),  nicht  so  sehr  seinen  Fehler  als 
geringfügig  bezeichnen,  als  der  Dame  die  wahre  Schuld  daran 
geben:  ihre  Vollkommenheit  wird  dargestellt  durch  ihre  Wir- 
kung auf  den  Dichter.  Der  psychische  Nachdruck  liegt  auf 
liebe,  'Herzensfreude,'  nicht  auf  irgend  einem  Verdienst  seines 
ich,  das  ein  noch  rechtfertigen  würde.  Aber  gerade  darum  ist 
Kraus'  Einwand  gegen  ich  hän  getan,  wonach  man  "ein  be- 
wusstes  Handeln  und  nicht  ein  unwillkürliches  Erröten"  er- 
warte, abzulehnen.  Es  ist  wieder  das  Abbiegen  ins  Weibliche. 
Der  Dichter  sucht  bei  sich,  motivlich  gesprochen,  nach  irgend 
einer  Tat,  wonach  er  den  \umber  verdienet  haben  könnte.  Ihm 
fällt  nichts  ein,  als  was  ihm  selber  geschehen  ist,  sein  unzeitiges 
Erröten,  welches,  wie  er  später  wörtlich  zugibt  (180,  4),  die 
Dame  dem  Gerede  der  Leute  ausgesetzt  hat.  Das  Gelöbnis 
von  173,  25:  daz  ichz  gerne  hil  (vgl.  159,  40!)  hatte  er  dadurch 


HOHE  MINNE  BEI  REINMAR  169 

gebrochen,  doch  (wie  weiblich,  d.h.  auf  weibliches  Empfinden 
eingestellt)  — sol  ich  da  von  schuldic  sin?  Zugleich  ist  interes- 
sant, wie  kühn  er  hier  das  Motiv  des  Verbots  der  Namensnen- 
nung einsetzt,^^  und  wie  er  es  abwandelt,  denn  dies  und  nicht 
einfach  das  des  Rotwerdens  liegt  hier  vor,  von  dem  noch  zu 
sprechen  sein  wird  (§18).  Für  die  Bewegung  der  Strophe  im 
ganzen  gilt  ähnliches  wie  bei  Strophe  11:  sie  setzt  ein,  indem 
sie  des  Dichters  Unschuld  bekundet,  und  doch  wieder  mit 
einer  Einräumung,  durch  die  erneut  die  Erwartung  erregt  wird. 
Die  Steigerung  besteht  darin,  dass  diesmal  der  Anlass  geringer, 
die  verräterische  Wirkung  noch  stärker  ist :  blosse  Namensnen- 
nung kontrastiert  mit  dem  vollen  Anblick  der  Geliebten;  die 
bestimmte  Aussage  der  sach  herzeliebe  wol  mit  der  scheinbar 
schüchternen  Frage  nam  des  iemen  war?  Die  Zusammen- 
gehörigkeit der  beiden  Strophen  in  dieser  Reihung  wird  unter- 
strichen durch  die  summierende  Schlussfrage  in  beiden,  wie 
sie  auch  165,  27.  36;  187,  30  vorkommt. 

II.  Nun  aber  zu  der  Verwendung  der  mer\aere.  Kraus' 
Bemängelung  von  176,  33  f.  verstehe  ich  nicht.  Der  Satz  so 
die  mer\aere  tuont  bedeutet  allerdings  "wie  z.B.  die  Aufpasser, 
die  mir  auf  Schritt  und  Tritt  folgen,"  also  eine  gut  Reinmarsche 
Übertreibung,  zu  der  der  Minner  vollauf  berechtigt  ist.  Warum 
nicht?  Was  sich  mit  177,  5  in  Frageform  ankündigte,  das 
entfaltet  sich  hier  positiv  und  unzweideutig,  nämlich  die  Ab- 
sicht, um  die  Dame  zu  schonen,  den  eigentlichen  Grund  seines 
Unglücks  diesen  Bösewichtern,  Zwischenträgern  und  Wortver- 
drehern zuzuweisen,  deren  unanständiges  Benehmen  ihm  in  Str. 
175,  36  den  Wunsch  nahelegt  zu  wissen,  wer  bi  mir  st,  "wer 
anwesend  sei"  {RU,  I,  39),  dem  unsre  Stelle  swer  do  nähe  bi 
mir  stuont  usw.  nach  Sinn  und  Situation  wohl  beweiskräftig 
ähnelt,  unabhängig  von  der  Zeitfolge.  Umgekehrt  kennzeich- 
net der  Dichter  die  friunt  als  solche  die  mir  do  sanfte  wären 
bi,  164,  30.  Ich  wil  immer  gerner  umbe  sehen:  ich  was  miner 
fröide  ein  teil  ze  fri,  175,  36  f.,  so  konnte  auch  der  Dichter 
sprechen,  dem  motivlich  die  herzeliebe  das  verräterische  Rot 
in  die  Wange  treibt.    Reinmar  denkt  natürlich  nicht  an  wirk- 

13-  Vgl.  Lawrence  Ecker,  Arabischer,  provenzalischer  und  deutscher  Minnesang 
(Bern  u.  Leipzig,  1934),  S.  99  ff. 


170  CORONA 

liehe  mer\aere,  aber  die  spielten  nun  mal  in  den  überkom- 
menen Motiven  die  Rolle  der  Widersacher  des  Liebenden,  und 
so  war  es  für  ihn  vollkommen  naturgemäss,  sie  hier  einzu- 
führen. 

12.  Und  so  Vi^ar  die  Brücke  zur  letzten  Strophe  geschlagen, 
176,  16.  Wer  in  dem  Ton  "ein  ganz  allerliebstes  Gedicht" 
erblickt  (Kraus),  ein  "Tändeln,  dem  eine  heiter-liebenswürdige 
Oberflächlichkeit  genügt"  (Marlene  Haupt),  kann  das  nur  aus 
Str.  II  u.  III  begründen.  Hier  dagegen  haben  wir  einen  ver- 
hüllten Ernst,  auf  den  schon  zu  Eingang  vorbereitet  wurde: 
.  .  .  daz  des  iht  an  mir  zerge.  Die  erste  Zeile  entspricht  der 
von  Str.  III,  ist  aber  rein  passivisch  gewandt:  Frouwe,  ich  hän 
niht  me  getan  klingt  kontrastierend  an,  wenn  man  nun  hört: 
Frouwe,  ich  hän  durch  dich  erliten  (nicht  nur  frouwe  respon- 
diert).  Wiederum  Steigerung,  aus  einer  Entschuldigung  wird 
eine  Klage,  die  fast  einer  Anklage  auch  gegen  die  Herrin 
gleichkommt.  Die  grammatische  Bindung  erliten  —  erleit  ist 
nicht  Formspielerei,  sondern  dient  der  Verstärkung  des  leit- 
Motivs,  das  samt  der  Gegenüberstellung  mit  liep  aus  Reinmars 
Werk  sattsam  bekannt  ist  (s.  Bulst  an  einschlägigen  Orten). 
Kraus  findet  176,  19  f.  ohne  Angabe  des  erbetenen  Objekts 
"wieder  recht  nebelhaft,  da  viele  [sic'\  Möglichkeiten  oflFen 
bleiben."  Dass  aber  gerade  dessen  Stil  "sich  gern  in  leisen 
Andeutungen  bewegt,"  hat  Marlene  Haupt  S.  21  zu  Trotz 
schon  Erich  Schmidt  empfunden  (S.  46),  und  viele  nach  ihm, 
und  dass  es  eine  bewusste  Stilgebärde  war,  erhellt  aus  160, 22  ff. : 
dazs  erste  fraget  des  waz  genäden  si  der  ich  da  ger.  Doch 
davon  abgesehen  sind  Kraus  natürlich  Stellen  geläufig  wie  171, 
10  f.:  in  ist  liep  daz  man  si  staeteclichen  hite,  oder  die  beiden 
in  dem  Frauenliede  186,  19,  wo  sogar  das  persönliche  Objekt 
weggefallen  ist,  186,  36:  done  bat  er  niht  mere,  und  187,  9  f.: 
mir  ist  lieber  daz  er  bite  .  . .  Um  was  es  bei  diesem  biten  letzten 
Endes  geht,  ist  hier  genau  so  klar  wie  dort:  im  Gegenteil, 
durch  diesen  Gebrauch  des  Verbums  wird  die  ganze  Frage  auf 
die  breiteste  Grundlage  gestellt,  die  der  Werbung  überhaupt. 
Eine  siebenfache  Abwandlung  des  Begriffs  des  werbens,  mit 
biten  an  zweiter  Stelle,  findet  sich  in  Ton  179,  3  (s.  N  31, 


HOHE  MINNE  BEI  REINMAR  171 

378^^).  Die  hete  176,  24  ist  freilich  ganz  andrer  Art,  wie  wir 
bald  sehen  werden.  Damit  erklärt  sich  auch  das  folgende  tuoz, 
das  den  Eingang  wieder  aufnimmt:  tuo  mir  so  daz  min  herze 
hohe  ste,  worauf  auch  saele\eit  zurückdeutet,  ebenso  wie  dur 
dinen  lip  sich  spiegelt  in  durch  dich  und  nochmals  in  durch  sin 
liep.  Der  Dichter  hatte  eben  neuerdings  jeden  Grund,  über 
Mangel  an  hohem  muote  zu  klagen,  und  das  Verhalten  seiner 
Herrin  war  im  Sinne  des  Minneliedes  daran  schuld.  Er  muss 
schon  an  ihre  saeleh^it  appellieren,  mit  deren  Preis  er  fein- 
fühlig anhub. 

13.  Diese  mannigfachen  Rückbeziehungen  auf  Str.  i  geben 
uns  den  Schlüssel  zum  Verständnis  des  Liedschlusses.  Wie  oben 
gezeigt  (§5),  ist  Str.  i  beherrscht  von  dem  Begriffspaar  frouwe 
(nicht  fröideV) — dienest.  D.h.  wir  sollten  in  diesem  Liede 
frouwe  stets  mit  'Herrin'  übersetzen,  einem  Begriff,  der  durch 
die  vierfache  Responsion  immer  wieder  hervorgewölbt  wird 
und  dadurch  auch  Str.  n  und  ni  einbezieht.  Es  wird  also  nach 
bekannter  Fiktion  in  der  Sphäre  der  Minnewerbung  die  der 
mittelalterlichen  Ständeordnung  vorausgesetzt.  So  wird  nun 
auch  an  dienest  wieder  angeknüpft,  denn  das  prägnante  ich 
bin  din  soll  nicht  'schlicht'  oder  volksliedhaft  anmuten:  sondern 
wie  das  ausladende  ich  was  ie  der  dienest  din,  das  es  aus  Str.  i 
wiederholt,  bezeichnet  es  hier,  allerdings  mit  Beimischung 
eines  starken  Gefühlstons,  das  'ministeriale'  Verhältnis  des 
Minnenden  zu  der  Dame,  in  deren  'Schutz'  er  sich  begeben 
hat.^^  In  diese  Beleuchtung  tritt  der  ganze  Abgesang.  Es 
handelt  sich  um  ein  Bild,  das  Reinmar  aus  dem  Landläufigen 
übernommen  hatte,  aber  in  dieser  Ausgestaltung  nicht  ein 
zweites  Mal  verwerten  konnte.  Daher  hier  die  Häufung  von 
Ausdrücken,  die  Kraus  und  auch  Marlene  Haupt  beanstandet 
haben,  und  die  nun  zur  Kontrolle  unsres  Ergebnisses  überprüft 
werden  müssen. 

14.  S.  Anm.  4  und  vgl.  für  Reinmar  die  Stellen  bei  Bulst  unter  dienen,  dienest, 
genäde,  gewalt,  holt,  hidde,  und  zumal  159,  30;  so  gar  bin  ich  ir  undertän.  Weiteres 
bei  Kluckhohn  (1910),  S.  135  ff.,  bes.  143-148,  mit  ausgebreitetem  Material,  auch 
bei  demselben  (191 4),  S.  397  ff.  und  Kotzenberg,  bes.  S.  45.  Parallelen  gibt  es  für 
eine  solche  potenzierende  Zusammenziehung  natürlich  nicht,  denn  auf  Tannhäuser, 
III.  Leich,  56  f.  (Singer),  54  f.  (Siebert)  verzichtet  man  lieber,  obwohl  frouwe  dabei 
steht.    Die  Reinmarsche  Gestaltung  ist  einmalig. 


172  CORONA 

14.  Der  wichtigste  davon  ist  gewaltes  allen  wem,  dessen 
Beziehung  Kraus  nicht  klar  ist.  Er  zieht  zweifelnd  die  huote 
in  Betracht,  womit  er  die  merJ{aere  meint,  und  erwägt,  ver- 
mutlich in  Hinblick  auf  Walter  98,  15-18,  ob  diese  "der  Ge- 
liebten Zwang  antun."  Dass  an  die  mer\aere  gedacht  ist,  geht 
aus  dem  hier  dargelegten  Zusammenhang  von  Str.  in  u.  iv 
ohne  weiteres  hervor,  aber  wer  kann  von  denen  gewdt  erfahren 
haben  {erliten  176,  16),  wenn  nicht  der  Minner?  Wörtlich 
übersetzt  heisst  176,  22  f.:  "du  bist  verpflichtet,  mich  zu 
schützen  und  von  niemand  Zwang  ausüben  zu  lassen."  Gegen 
wen,  die  Frage  kann  wer  will  offen  lassen,  solange  die  Bezie- 
hung auf  die  gewalttätigen  Widersacher  des  Dichters  klar  ist. 
Ein  beabsichtigter  Doppelsinn  wäre  möglich,  um  motivlich  ein 
gemeinsames  Interesse  der  beiden  anzudeuten.  Trotzalledem : 
Man  lese  Str.  iii  u.  iv  in  ihrem  innern  Zusammenhange,  was 
bisher  kaum  geschehen.  —  Sich  von  allen  verfolgt  zu  glauben, 
ist  eine  Hyperbel  des  notorischen  Überbieters  Reinmar  (Wal- 
ther, III,  22).  Mit  andern  Worten,  er  erinnert  die  'Herrin' 
an  ihre  Pflichten  ihrem  dienest(man)  gegenüber,  dem  sie  von 
Rechts  wegen  holt  zu  sein  hat.  Somit  hat  sie  ihn  zu  schützen 
vor  gewalt  von  jeder  Seite,  auch  von  Seiten  der  Aufpasser,  denn 
die  sind  verantwortlich  für  sein  leit,  das  im  Rahmen  des  Minne- 
liedes als  ebenso  wirklich  gelten  muss  wie  sie  selber.  (Und 
freilich  war  es  nicht  das  einzige  Leid,  das  er  hatte,  sonst  wäre 
das  Ganze  fast  ein  kasuistischer  Scherz.)  —  Marlene  Haupt  hält 
die  Schlusszeile  des  Ganzen,  176,  26  für  unpassend,  denn  in  baz 
liege  "ein  Vorwurf,  zu  dem  Reimars  Herrin  keinen  Anlass 
gegeben."  Allerdings  liegt  darin  ein  Vorwurf,  und  wenn  die 
Herrin  ihre  Lehnspflicht  vernachlässigte,  so  war  er  vollkom- 
men verdient.  Genau  das  will  Reinmar  sagen.  Wie  sich  ihm, 
dem  Minner,  die  Lage  darstellt,  erhellt  z.B.  aus  161,  3  f.  (mehr 
bei  Bulst  s.v.  leit).  —  Bleibt  Kraus'  Einwand  gegen  die 
zwiefache  Bitte,  nachdem  nur  eine  bete  angekündigt  war,  die 
freilich  mit  ich  getar  dich  niht  gebiten  nichts  zu  tun  hat.  Es 
sei  nochmals  an  das  "Parenthetische"  der  vorletzten  Zeile  jeder 
Strophe  erinnert  (s.o.  §7).  Die  Beobachtung  bewährt  sich  hier, 
insofern  daz  du  wol  gevarst  als  geläufiger  frommer  Wunsch 


HOHE  MINNE  BEI  REINMAR  173 

nicht  denselben  psychischen  Nachdruck  haben  kann  wie  die 
kulminierende  Schlusszeile,  denn  sich  hewarn  an  einem  über- 
setzen die  Wörterbücher  mit  "seine  Pflicht  gegen  ihn  erfüllen" 
(Lexer,  I,  253;  Mhd.  Wb.,  III,  509a).  Diese  Mahnung  ver- 
quickt er  mit  einem  höflichen  Wunsch  für  ihr  Wohlergehen. 
Ähnlich  ist  es  178,  12,  wo  ist  er  fro  in  Hinblick  auf  177,  14  f. 
u.a.  gewiss  sinnerfüllter  ist  als  das  vorgeschobene  vert  er  wol. 
Die  starke  Ausprägung  des  dienest-yioXiys  mag  zunächst  etwas 
befremden,  aber  nicht  mehr  als  das  Bild  aus  der  Rechtspflege 
171,  38  ff.  oder  ein  Bild  wie  161,  31-37. 


15.  Weitere  Bemerkungen  beschäftigen  sich  mit  dem  Lied 
als  künstlerischer  und  historischer  Einheit.  Man  mache  sich 
klar :  Reinmar  tritt  von  der  ersten  Zeile  ab  vor  seine  Herrin,  um 
Klage  zu  erheben,  aber  er  brüskiert  sie  natürlich  nicht,  sondern 
appelliert  zunächst  an  sie  als  das  Urbild  weiblich-höfischer 
Vollkommenheit,  noch  ganz  im  Sinne  von  Ton  159,  i  und 
ähnlichem,  wodurch  die  Walther-Fehde  ursprünglich  entfacht 
worden.  Schon  mit  dienest  und  vrouwe  gleitet  er  unmerklich 
in  die  Rechtssphäre  hinüber,  unmerklich,  weil  diese  Termini 
durch  ständigen  Gebrauch  im  Minnesang  längst  ambivalent 
geworden  waren.  Die  Anklage  gegen  seine  Feinde,  die  ihm 
seine  Liebe  verleiden  wollen,  erfolgt  in  rascher  Steigerung  in 
Str.  II,  III,  u.  IV,  bis  er  endlich  in  klaren,  heissen  Worten  den 
Schutz  fordert,  zu  dem  er  als  ihr  dienest  berechtigt  ist  —  den 
sie  ihm  freilich  wirkungsvoll  nur  gewähren  kann  durch  Ge- 
währung ihrer  Huld  im  Sinne  von  Str.  i.  Man  denke  an  das 
sehr  ähnliche  aber  negativ  gewandte  Motiv  195,  16-18:  .  .  .  ich 
geschante  an  ir  die  mich  da  jagent  uz  liebe  in  leit  usw.  Das 
Ganze  ist  eine  vollendet  durchgeführte  Umkleidung  des  wer- 
bens,  beseelt  von  allem  geistigen  Wertgehalt  der  hohen  Minne, 
denn  Nicht-Erhörung  ist  zwangsläufig.  Korn  S.  55  charak- 
terisiert die  "dialektische  Methode"  des  Minnesangs,  "mit  deren 
Hilfe  Klarheit  in  die  verworrene,  widerspruchsvolle  Eingangs- 
situation gebracht  wird,  sodass  an  jedem  anfangs  hoffnungslos 
erscheinenden  Einzelfall  das  ewige  Gesetz  der  Harmonie  und 


174  CORONA 

die  gradualistische  Struktur  des  Minnephänomens  sich  aufs 
neue  bewähren."  Von  einer  solchen  Situation  geht  Reinmar 
hier  aus,  von  einer  andern  in  Ton  179,  3;  die  dialektische 
Methode  ist  die  gleiche. 

16.  Von  dem  so  gewonnenen  Standpunkt  treten  wir  der 
nächsten  Frage  näher,  die  wir  jedoch  zugleich  aus  dem  Text 
zu  beantworten  versuchen  müssen.  Das  Lied  gibt  sich  als  eine 
direkte  Anrede  an  die  Geliebte,  und  Kraus  hat  recht,  so  etwas 
findet  sich  im  echten  Text  nicht  wieder,  denn  Ton  190,  27  ist 
unecht,  wie  er  MFU,  S.  395,  unter  Summierung  früherer  For- 
schung dargetan  hat.  Auch  Ton  194,  18  halte  ich  mit  Schmidt 
und  Kraus,  gegen  Burdach  und  Anna  Lüderitz  (S.  133^^^)  für 
unreinmarisch.  Doch  glauben  wir  zu  wissen,  was  es  mit  sol- 
chem "Fehlen"  gelegentlich  auf  sich  hat.  Die  Apostrophe  an 
'das  mp  an  sich'  in  Str.  165,  28  spitzt  sich  gegen  Ende  ziemlich 
deutlich  auf  die  eine  Dame  zu,  von  der  er  dann  166,  7  fT.  den 
Lohn  vergeblich  zu  fordern  bedauert.  Hermann  Schneiders 
sonst  ziemlich  unergiebiger  Aufsatz  von  1939  hat,  auf  Anton 
Schönbach  zurückgreifend,^^  wenigstens  mit  dem  hundert- 
jährigen Vorurteil  von  Reinmars  Monotonie  aufgeräumt:  "Er 
muss  immer  wieder  wahrhaft  gefallen,  stets  von  neuem  und 
mit  Neuem  gefesselt  haben"  (S.  313),  oder:  ".  .  .  dieser  Sänger 
verfügt  über  erstaunlich  viele  Register,  und  es  ist  Bescheidung, 
dass  er  meist  so  wenig  weit  greift"  (S.  334  f.),  ".  .  .  eine  Kunst 
der  Gipfelung,  der  ausdrucksvollen  Prägung"  (S.  341)  u.a.m. 
Ich  sehe  nichts,  was  uns  hindern  sollte,  diesem  Reinmar,  dem 
Meister  der  Rollenpoesie,  auch  ein  Lied  zuzutrauen,  das  sich 
monodramatisch  unmittelbar  an  die  Herrin  wendet,  —  und  sei 
es  das  einzige  der  Art,  das  wir  haben. 

17.  Um  das  zu  beleuchten,  lässt  sich  zunächst  an  Stellen 
erinnern  wie  157,  6  ff. :  ...  daz  ich  si  niht  verhelen  \unde  swaz 
mir  war,  des  hän  ich  ir  geseit  so  vil  usw.,  und  ähnlich  161, 
7,  i.:  da  seit  ich  ir  ze  gar  swaz  mir  leides  ie  von  ir  geschach. 
Wir  stehen  mitten  in  dem  Zyklus  der  redeAJitAtr^  den  seiner- 
zeit Erich  Schmidt  zuerst  aufgedeckt  (S.  47)   und  der  die 

15.  Walther  vdV .  (2.  Aufl.;  1895),  S.  42  f.  (4.  Aufl.;  1923),  S.  19  ff.;  die 
Stellen  von  Schönbach  in  der  3.  Aufl.  gestrichen. 


HOHE  MINNE  BEI  REINMAR  175 

Grundlage  gibt  für  den  Kraus'schen  'Liebesroman.'  Da  ist  es 
eine  Anschauung,  von  der  auch  z.B.  Halbach  bei  Ermittlung 
der  \leinen  rede  ausging  wie  Kraus  selber  bei  der  der  besten 
(s.  N  29,  26  f.;  RU,  II,  8  f.),  dass  ein  hier  entscheidendes  Wort 
wie  seit  für  die  Zuhörerschaft  nicht  ein  supponiertes  Privat- 
gespräch meinen  kann,  sondern  nur  ein  Lied,  das  man  kennt: 
da  seit  ich  ir  setzt  also  eine  direkte  Anrede,  und  zwar  im  Liede 
(wenn  auch  nicht  unserm)  voraus.  Dies  wird  bestätigt  durch 
den  Auftrag  an  den  Boten,  178,  11:  daz  er  mich  der  rede 
begebe,  und  ganz  greifbar  dort  24  f.:  so  bit  in  daz  er  verber 
rede  dier  jungest  sprach  ze  mir,  wonach  zwei  Zeilen  später  die 
Kennzeile  fällt:  .  .  .  des  doch  nimmer  mac  geschehen,  die  ich 
allerdings  auf  seine  Bitte  beziehe:  daz  lä,  frouwe,  an  dir  ge- 
schehen. 

18.  Wir  können  nun  den  Kreis  weiter  ziehen  und  gleich 
nach  sonstigen  Beziehungen  zum  Reinmartext  suchen,  die  aus- 
gewertet dem  Liede  eine  bestimmte  Stelle  im  'Zyklus'  verbürgen 
müssen,  denn  Kraus  setzt  Ton  178,  i  gewiss  zu  spät  an.^^  Das 
Lied  ist  oft  analysiert  worden,  zuletzt  von  Schneider  (S.  331). 
Es  finden  sich  darin  noch  einige  Anknüpfungspunkte  an  Ton 
176,  5,  auf  die  z.T.  hier  schon  aufmerksam  gemacht  wurde. 
Da  ist  zu  Eingang  178,  3  pert  er  wol  usw.,  entsprechend  seiner 
Schlussbitte  daz  du  wol  gevarst  (denn  die  Dame  darf  ja  nicht 
weniger  höflich  sein  als  ihr  Ritter),  wozu  noch  das  fatale  baz 
tritt,  jetzt  im  Reim.  Sodann  die  Entgegnung  auf  seine  Mah- 
nung, sich  als  seine  Herrin  baz  an  ihm  zu  bewarn:  sie  lässt 
ihm  mit  dem  Terminus  technicus  des  Lehnswesens  versichern, 
dass  sie  ihm  holt  sei,  sogar  zweimal,  178,  12.  16,  natürlich  ohne 
ihrerseits  das  dienest^ a:\{2Sx.m%  zu  unterstreichen,  das  sie  ja  — 
und  das  ist  das  Liebliche  —  als  eine  Verkleidung  durchschaut. 
Überhaupt  spielt  hier  eine  Schelmerei  mit,  die  wir  wie  in  Str. 
159,  37  so  auch  in  Str.  11  u.  in  unsres  Liedes  wiederfinden.  Es 
folgen  die  Stellen,  von  denen  eben  gehandelt  wurde:  sie  weiss 
besser  als  Kraus,  was  ihr  Sänger  mit  dem  biten  gemeint  hat, 

16.  Es  handelt  sich  bei  den  Verfädelungen  hin  und  her  vor  allem  um  den  Platz, 
den  man  Ton  179,  3  anweist.  Für  die  Voraussetzungen  meiner  Ansichten  vgl. 
N  31,  368,  Anm.  19.    Kraus'  Analyse  von  178,  i  (Nr.  22)  RU ,  II,  12  f. 


176  CORONA 

und  nimmt  seine  Worte  rot  und  varwe  wieder  auf  mit  rot  und 
verwet,  indem  sie  aber  die  wip  an  Stelle  der  man  setzt  und  das 
erotische  Motiv  in  ein  sittliches  verwandelt.  Mit  dem  Widerruf 
des  ganzen  Auftrags,  wodurch  der  Minner  von  all  den  Gefüh- 
len der  Dame  gar  nichts  erfährt,  wird  der  Grund  gelegt  für 
Ton  179,  3,  und  der  führt  ihn,  aus  ihren  Augen  verbannt 
("Zutritts verbot"),  zur  nächsten  Station  seines  Leidensweges 
(163,  14  f.). 

19.  Ich  habe  früher  gegen  Kraus  darauf  hingewiesen  (31, 
368^^),  dass  die  Einführung  des  huote^o\As%  179,  3  ff.  ganz 
überraschend  komme  und  kommen  müsse.  Und  so  ist  es  auch, 
denn  auf  diese  dramatische  Entwicklung  ist  die  Zuhörerschaft 
auch  nach  178,  22-26  nicht  gefasst.  Im  Gegenteil,  eine  neue 
Spannung  war  erzeugt  worden:  Was  nun?  Würde  die  Dame 
sich  anders  besinnen  (wie  später  etwa  in  Ton  186,  19)  oder  der 
Dichter  einen  anderen  Ausweg  finden,  um  sie  sehen  zu  dür- 
fen.? Und  wirklich:  Reinmar  lenkt  zunächst  ab.  Was  wir 
Arglosen  ja  erfahren  wollen,  das  ist  die  erste  Reaktion  des 
Dichters  auf  das  rd-^c*- Verbot,  das  der  verständige  Bote  natür- 
lich übermittelt  hatte,  und  die  haben  wir  mit  Kraus  {ßJJ ,  II, 
7  ff.,  13  f.)  in  Ton  160,  6,  bzw.  in  dem,  was  davon  echt  ist.^'^ 
Ein  Rückweis  wie  von  161,  12  f.  auf  178,  24  f.  ist  eindeutig. 
Um  so  wuchtiger  wirkt  danach  Ton  179,  3.  Somit  ist  jetzt 
klar,  dass  sich  das  huote-^Aox^s  nach  der  Logik  der  Situation  an 
das  der  mer\aere  ohne  langen  Verzug  anschliessen  muss: 
Wenn  der  Dichter  derartig  kühn  wird,  seine  Wünsche  direkt 
vorzubringen  wagt  und  dies  noch  dazu  in  der  Form  einer 
Anklage,  so  darf  er  der  Geliebten  nicht  wieder  in  die  Augen 
kommen,  und  das  war  ihm  ja  schon  178,  26  (aber  gedeckt  von 
178,  21!)  in  Aussicht  gestellt. 

20.  Kraus  hat  MFU,  S.  374,  in  dankenswerter  Weise  Paral- 
lelen zu  Ton  176,  5  zusammengestellt;  fünf  davon,  mit  zwei 
mehrdeutigen,  treffen  auf  Ton  179,  3.  Ich  gruppiere  diese  und 
andre  nach  dessen  Strophenreihung,  wie  N  31,  360  ff.  fest- 
gestellt, also  179,  3.  12.  21.  30;  180,  10;  195,  ga-d;^^  180,  19.  i.  — 

17.  Germanic  Review,  XII  (1937),  281;  dazu  Kraus,  MFU,  S.  350. 

18.  Kraus'   Ablehnung  meines  Nachweises  der  Echtheit  dieser  Zeilen   hat  mich 


HOHE  MINNE  BEI  REINMAR  177 

Str.  I.  179,  3:  176,  7,  s.  N  31,  368.^^  179,  4:  176,  15,  das  muoz 
mir  an  fröiden  noch  geschehen  —  daz  lä  frouwe  an  dir  gesche- 
hen. Mit  179,  3  eindeutig.  179,  11:  177,  9,  we  wes  nement  si 
war  —  ...  nam  des  iemen  war?  Eindeutig.  Die  huote  und 
die  mer\aere  werden  hierdurch  identifiziert.^^  Str.  11.  179,  12- 
13:  176,  8-10,  er  widerruft.  179,  15:  177,  i  wan  so  vil.  179,  16: 

176,  19,  daz  ichs  ie  getorste  biten  —  ich  getar  dich  niht  gebiten. 
Eindeutig.  Str.  ni-vi  sind  beiseite  zu  lassen,  denn  die  ent- 
wickeln nun  das  Thema  des  neuen  Liedes.  Str.  vii.  180,  21-23: 

177,  4-8,  wobei  180,  23  auf  das  ganze  Lied  176,  5  geht,  wenn 
auch  nicht  dies  allein.  Str.  vni.  180,  1-3:  176,  14,  nochmaliger 
Widerruf,  nunmehr  unter  Betonung  des  Traumglücks,  um  das 
es  sich  ja  tatsächlich  nur  handeln  konnte.  (180,  4:  s.o.  §10.) 
180,  18:  176,  37,  .  .  .  des  ich  gar  schuldic  bin  —  sol  ich  da  von 
schuldic  sin?  —  Um  zu  alledem  noch  die  Verwandtschaft  des 
Strophenbaus  festzustellen,  werfe  man  einen  Blick  auf  die 
Schemata  KLJ ,  II,  46  u.  63.  Es  finden  sich  noch  Anklänge  an 
176,  5  in  spätem  Tönen,  zumal  in  dem  Frauenliede  186,  19 
(s.o.  §§4,  12  und  u.  §23),  die  aber  den  Echtheitsbeweis  nicht 
wesentlich  beeinflussen.  Sie  sind  relativ  selten  und  öfters 
mehrdeutig. 

21.  Es  sieht  fast  aus,  als  sei  Ton  179,  3  als  Revocatio  zu  176, 
5  aufzufassen,  wodurch  des  ersteren  peripetale  Stellung  in  Rein- 
mars Schaffen  von  neuem  beleuchtet  wird.  In  Str.  175,  29 
nimmt  er  geradezu  Abschied  davon,  denn  ich  stehe  nicht  an, 
nunmehr  in  diesem  Liede  176,  5  die  besten  rede  festzustellen, 
von  der  175,  32  gesprochen  wird.  Damit  nehme  ich  zurück, 
was  ich  anderwärts  ausgeführt,  wo  ich  sie  mit  Kraus  in  Ton 
165,  10  wiederzufinden  meinte.^"   Uns  beiden,  wie  manchem 


nicht  überzeugt,  s.  MFU „  S.  377  u.  402  mit  den  nötigen  Verweisen.  Er  presst  den 
Ausdruck  sunder  minen  danc,  denn  trüren  bedeutet  hier  "Lieder  des  Trürens  singen" 
wie  etwa  197,  i,  vgl.  187,  31  ff.;  165,  10  f.;  175,  9:11  (:i4);  dazu  N  45,  637  Anm. 
17.  Im  puren,  unzweifelhaften  Wortsinn  braucht  Reinmar  getrüren  zweimal,  155,  8; 
168,  2  (158,  9  liegt  anders  durch  liep). 

19.  Vgl.  MFU,  S.  380,  zu  verjagen.  Auch  die  motivliche  Klage  in  Ton  179,  3 
geht  also  höflicherweise  gegen  die  huote,  nicht  die  Dame. 

20.  Vgl.  N.  29,  25  und  28,  auch  31,  384;  391  f.  Wodurch  aber  Ton  165,  10 
keineswegs  wieder  an  196,  35  heranrückt,  s.  noch  N  28,  204  Anm.  6  und  die 
weiteren  Verweise  bei  Kraus,  MFU ,  S.  355. 


178  CORONA 

andern,  schien  es,  als  müsste  Walthers  Bewunderung  82,  34  ff. 
unbedingt  Rechnung  getragen  werden,  noch  dazu  wie  Rein- 
mar  sich  166,  7  ff.  selber  äussert.  Doch  steht  dem  entgegen, 
dass  Walther  hier  kaum  eins  der  Lieder  lobend  nennen  konnte, 
um  die  es  sich  in  dem  grossen  Streit  gedreht.  Ton  165,  10  war, 
wie  schon  Kraus  dargelegt  {RU,  III,  11,  vgl.  N  31,  382),  ein 
Zugeständnis  an  die  Waltherpartei,  vielleicht  auf  Drängen  der 
vriunde  165,  12  geschaffen,  wodurch  sich  166,  7  ff.  auch  er- 
klären würde.  Nur  dieser  Ton  ermöglichte  es  Walther,  auf 
seinen  schönen,  versöhnenden  Vers  82,  36  einzumünden,  und 
dass  er  andererseits  die  Witwenklage  verwertete,  worauf  Kraus, 
WJJ ,  S.  325,  aufmerksam  macht,  bestätigt  diese  Auffassung. 
Für  den  ideelichen  Hintergrund  dafür  bei  Walther  lese  man 
Korn,  S.  68:  "In  geradezu  raffinierter  Weise  hat  Walther  den 
Satz  [165,  37]  aus  Reinmars  Dichtung  in  seinen  Nachruf  .  .  . 
aufgenommen,  der,  von  Reinmar  unbeabsichtigt  [kursiv  von 
mir],  in  Walthers  neuen  Idealismus  hineinpasst."  Es  wäre 
letzten  Endes  doch  merkwürdig,  wenn  sich  die  beiden  Neben- 
buhler gerade  hier  in  ihrem  Werturteil  zusammengefunden 
hätten.  Jedenfalls  ist  Reinmar  auf  dieser  Linie  recht  zögernd 
fortgeschritten,  wie  ein  Blick  auf  163,  23  ff.;  171,  3,  8  ff.;  189, 
30  f.  lehrt.  Mit  alledem  ist  natürlich  nicht  Ton  176,  5  als  die 
beste  rede  erwiesen  —  der  beste  Beweis  kann  hier  nur  in  der 
thematischen  und  strukturellen  Analyse  liegen  —  aber  das 
wichtigste  Gegenargument  ist  beseitigt. 

22.  Wir  haben  bisher  das  Lied  als  reines  Minnelied  zu 
werten  versucht,  und  dass  es  ein  solches  ist  und  sich  als  ein 
solches  gibt,  wird  niemand  bezweifeln.  Trotzdem  sind  wir 
dabei  wie  von  ungefähr  in  die  Walther-Fehde  geraten,  die  von 
Reinmars  späterer  Dichtung  nicht  zu  trennen  ist.  Ob  auch 
unser  Ton  "doppelbödig"  ist,  d.h.  eine  Stellung  in  der  Fehde 
behaupten  kann  und  welche,  ist  wesentlich  in  mehr  als  einer 
Hinsicht.  Wir  können  uns  kurz  fassen,  denn  das  Wichtigste 
ist  oben  (§§ii  u.  14)  bereits  gesagt.  Es  kommt  nur  auf  die 
Ermittlung  der  merkßere  an,  und  dass  diese  die  Waltherpartei 
darstellen,  liegt  nun  auf  der  Hand.  Dieser  Dichter,  der  seinen 
Minneroman  wie  planmässig  entwickelte,  hatte  sich  über  keine 


HOHE  MINNE  BEI  REINMAR  179 

wirklichen  'Aufpasser'  zu  beschweren,  es  sei  denn  dass  schon 
er  einen  Doppelsinn  in  andrer  Richtung  beabsichtigt  hätte, 
'Prüfer,  Beurteiler  von  Gedichten,'^ ^  was  ein  neues  Schlaglicht 
auf  die  damaligen  Verhältnisse  in  Wien  werfen  würde.  In 
jedem  Falle  sind  dieselben  ungefüegen  Hute  gemeint,  die  176, 
2  genannt  werden,  die  ungetriuwen  von  167,  27,  die  valschen 
von  187,  37,^^  die  hochgemuoten  von  165,  19;  189,  9.  Wer  das 
war,  wusste  die  Hofgesellschaft  genau  wie  etwa  bei  Treit  mir 
iemen  tougenlichen  haz,  175,  22,  oder  der  tuot  übel  und  sündet 
sich,  180,  5  (s,  N  29,  21  ff.  u.  31,  375).  Gegen  diese  erfleht  er 
in  Str.  IV  den  Schutz  seiner  Herrin,  auf  deren  physische  Exi- 
stenz es  dabei  nach  dem  innersten,  gradualistischen  Wesen  der 
hohen  Minne  nicht  einmal  ankommt  (s.u.  §24).^^ 

23.  Wenn  Walter  darin  angegriffen  wurde,  so  wird  er  sich 
verteidigt  haben,  aber  wo?  Ich  denke  an  sein  Lied  52,  23,  in 
dessen  Wertung  als  Reinmar-Parodie  mir  Marlene  Haupt  S. 
47  if.  gegen  Kraus,  WU,  S.  191  ff.,  jetzt  beigetreten  ist.  Ein 
wörtlicher  Anklang  findet  sich  nur  52,  38,  so  ich  iemer  mol 
gevar,  doch  hatte  der  Parodist  ein  gar  zu  reiches  Material.  Die 
Hauptsache  scheint  mir  die  in  den  ersten  zwei  Zeilen  und 
besonders  53,  9  ff.  gemalte  Verzweiflung  seines  Rivalen  dar- 
über, dass  seine  (Reinmars)  Herrin  es  mit  seinem  Feinde  halte. 
Ein  entsprechender  Doppelsinn  ist  aus  176,  22  bis  Schluss  und 
dich  baz  an  mir  bewarst  herauszulesen.  Die  "harten"  Enjambe- 
ments 53, 12.  20,  die  die  Herausgeber  nun  lange  genug  geplagt 

21.  S.  die  Wörterbücher  s.v.  mer\aere.  In  der  Kolmarer  Handschrift,  Bibl.  d. 
Lit.  Ver.,  LXVIII  (1862),  finde  ich  den  natürlich  viel  späteren  Vers:  ir  wisen  merker, 
nement  war,  ob  ich  die  \unst  iht  spede,  Colm.  M.  L.,  XVIII,  25;  vgl.  10  ff.,  31. 
Eine  hierher  passende  Ausdeutung  von  Walther  82,  24  gibt  B.  Nagel,  Zs.  f.  dt. 
Philol.,  LIX  (1934),  353  f- 

22.  In  Hinblick  auf  195,  17  f.;  vgl.  RU,  III,  17,  und  die  Nachweise  N  31,  389. 

23.  Nach  alledem  halte  ich  diese  Reihenfolge  der  Lieder  für  gesichert,  indem 
ich  Ergebnisse  meiner  früheren  Arbeiten  miteinbeziehe:  Ton  173,  6  (Kr.  Nr.  5);  183, 
9  ("unecht");  170,  i  (Nr.  13);  159,  i  (Nr.  14);  196,  35  (Nr.  15);  176,  5 
("unecht");  160,  6  (Nr.  23);  178,  i  (Nr.  22);  179,  3  (Nr.  19);  175,  i  (Nr.  21); 
165,  10  (Nr.  16).  Wenigstens  wären  dies  die  Etappen.  Von  verbleibenden  Tönen  ist 
z.T.  leicht  zu  ermessen,  ob  sie  vor  Ton  176,  5,  bzw.  179,  3;  fallen,  ob  danach,  und 
ob  vor  oder  nach  165,  10.  Im  einzelnen  bleiben  noch  Unklarheiten,  die  wohl  nur 
bei  Erfassung  des  gesamten  Materials  zu  beheben  sind,  vor  allem  in  Hinblick  auf 
die  "technische  Vollkommenheit"  der  Witwenklage,  mit  der  auch  Elise  Walter, 
Verluste  auf  dem  Gebiet  der  mhd.  Lyri\  (Stuttgart,  1933),  S.  21,  nicht  viel  anzufan- 


gen weiss. 


i8o  CORONA 

haben,  scheinen  mir  komische  Wirkung  zu  beabsichtigen,  und 
rünen  halte  ich  dafür  in  unserm  Zusammenhang  für  besonders 
wirksam.  Der  so  zerbrochene  Vers  malt  durch  Rhythmik  und 
Melodik  einen  gefoppten  Pedanten.  Jedenfalls  lässt  Reinmar 
seine  Herrin  i86,  27  versichern,  sie  verweigere  sich  ihrem 
Minner  nicht  durch  ungefüegen  haz,  so  dass  er  sie  mittels  des 
Scheltwortes,  das  er  Walther  schon  197,  9  angehängt  hatte  und 
176,  2  wiederholte  (Halbach,  S.  72),  energisch  von  diesem 
abrücken  lässt.  Wie  Ton  176,  5  sonst  in  den  Gang  der  Fehde 
einzuordnen  sei,  das  des  näheren  zu  untersuchen,  würde  den 
Rahmen  dieser  Arbeit  sprengen.  Wenn  sich  auch  mancher 
Knoten  schon  zu  lösen  scheint,  im  ganzen  gehen  die  Fäden 
vielfach  noch  verwirrend  hin  und  her.  Hier  sei  nur  dargetan, 
dass  der  zurückgewonnene  Ton  nicht  verwaist  steht  in  Rein- 
mars Werk,  wie  denn  auch  Ulrich  von  Liechtenstein,  der  um 
1225  noch  einen  sehr  säubern  Text  hatte  {ßJJ ,  II,  58-61),  ihn 
in  dieser  seiner  Reinmar-Sammlung  vorgefunden  haben  dürfte. 
24.  Nur  ein  Thema  bleibt  noch  zur  Erhellung  unseres 
Liedes,  und  es  ist  eigentlich  das  bedeutsamste.  Es  betrifft  die 
Wörter  saelde,  saelic  und  saeleJ^eit,  die  zu  Eingang  und  Ende 
auftreten.  Nicht  umsonst  braucht  der  Dichter  —  und  zwar 
eingangs  in  charakteristischer  Übersteigerung  —  diesen  schil- 
lernden, gradualistischen  Terminus :  Aller  saelde  ein  saelic  wip. 
Es  ist,  als  ob  die  vrouwe,  die  Lehnsherrin,  bei  aller  Höhe  ihres 
gesellschaftlichen  Ranges  ihm  noch  zu  irdisch  nahegestanden, 
um  die  letzte  Inbrunst  seiner  Gefühle  aufzunehmen.  Denn 
die  "metaphysische  Entrücktheit"  der  Geliebten,  wie  man  es 
genannt  hat,  bedeutet  nicht  etwa  einen  Leerlauf  des  Minne- 
Erlebnisses,  sondern  die  letzte  Verklärung.  Hier  treten  wir 
aus  der  Motivdichtung  des  "Liebesromans,"  ja  selbst  aus  der 
Fehde  samt  aller  \mist  heraus  und  in  den  Bereich  des  Weihe- 
voll-Geistigen. Seit  Eduard  Wechssler  hat  man  sich  immer 
gründlicher,  weitsichtiger  und  tiefer  bemüht,  den  ethisch- 
religiösen Ur-  oder  wenigstens  Untergrund  des  Frauenkultus 
blosszulegen.  Für  unser  Lied  sind  wir  daher  in  der  Lage,  mit 
Scharmann  das  Fazit  dieser  Forschungen  jetzt  etwa  so  zu 
ziehen :  "Das  saelic  wip,  wie  die  prägnante  Formel  für  die  höfi- 


HOHE  MINNE  BEI  REINMAR  i8i 

sehe  Anrede  lautet,  heischt  immer  Abstand  und  Dienst;  denn 
nun  ist  die  Dame  der  Ort,  in  welchem  die  Kräfte  des  Heils  aus 
dem  Reiche  der  höheren  Ordnungen  in  den  Kreis  des  Höfi- 
schen übergehen,  so  wie  einst  Gottes  Gnade  in  Maria  den  Ort 
ihres  Eintritts  in  die  Welt  fand.""^  Diese  beseelten  Vorstellun- 
gen schwingen  mit,  wenn  der  Dichter  seine  Dame  feiert,  nur 
sie  erklären  seine  Ergriffenheit,  die  uns  irrational  erscheint, 
zumal  die  Erotik,  aus  der  die  meisten  Motive  gespeist  werden, 
in  der  Tatsachen  weit  ja  doch  keine  Erfüllung  ihres  werbens, 
bitens  usw.  verlangt.  Gerade  weil  die  Tatsachenwelt,  selbst  wo 
sie  nur  gedacht  war,  eine  unüberbrückbare  Kluft  bot,  musste 
Reinmar,  um  mit  Korn  (S.  64)  zu  reden,  die  "Ideeperson"  — 
ein  wip  —  "aus  nächster  Nähe  in  scharfen  Konturen  zu  zeich- 
nen" versuchen,  "ohne  dabei  an  dem  Prinzip  der  Idealisierung 
zu  rütteln."  Miteinbegriffen  ist  bei  dieser  nächsten  Nähe  das 
Triebleben  des  Dichters,  mit  dessen  Ausdruck  Korn  —  er 
nennt  ihn  "peinlich,"  "lüstern,"  "geschmacklos"  usw.  (S.  71, 
132)  —  ganz  unlogischer-  und  unbegreiflicherweise  nicht  fertig 
zu  werden  vermag,  wo  es  sich  doch  einfach  um  den  absolut 
notwendigen  Gegenpol  handelt.  Was  Reinmar  zur  fröide  des 
Hofes  gestalten  wollte  und  musste,  war  immer  wieder  sein 
Erlebnis  von  der  erzieherischen,  sittigenden  Macht  der  hohen 
Minne,  deren  Ethos"  ^  von  den  Jüngeren  nicht  mehr  ganz  ge- 
würdigt wurde.  So  entsteht  in  diesem  Lied,  da  es  sich  direkt 
an  die  Herrin  wendet,  eine  Spannung  zwischen  anbetender 
Hingabe  an  das  weibliche  Ideal  höfischer  Vollkommenheit 
einerseits  und  schlicht-irdischem  Liebeverlangen  anderseits, 
wie  sie  in  dieser  Potenz  selbst  Reinmar  kaum  wieder  erreicht 
hat. 

25.  Wir  haben  eine  Dichtung,  in  der  sich  wie  in  wenigen 
die  Idee  der  hohen  Minne  vollendet:  nieman  könde  si  von 
lüge  gesprochen  hän,  175,  34.  Dabei  ein  Lied  von  erstaunlicher 
Virtuosität  der  Technik,  ein  Minnelied  und  Scheltlied  in  ei- 

24.  S.  80;  sonst  besonders  S.  35  ff.,  76  fl.  Regine  Strümpell  (S.  74  ff.)  rechnete 
noch  mit  strengem  Dualismus,  s.  Scharmann,  S.  40.  Zu  weiterer  Beleuchtung  vgl.  auch 
Hedwig  Gross,  Hartmanns  Büchlein  (Würzburg,  1936),  S.  53  ff.,  57  ff.,  62  u.a. 

25.  Ich  kann  hier  nur  nachdrücklich  auf  Korns  Ausführungen,  S.  54  f.  u.  57, 
hinweisen,  die  direkt  auf  Ton  176,  5  oder  179,  3  geschrieben  sein  könnten. 


i82  CORONA 

nem,  deren  Ausdrucksformen  durch  Wahl  des  Bildes  vom 
Kläger  einander  völlig  angeglichen,  und  so  verschmolzen  sind. 
Zugleich  hat  es  den  Reiz  des  natürlichen  Parallelablaufs  der 
metrischen  und  der  syntaktischen  Bildungen  in  einer  Strophen- 
form von  ungemein  feiner  doch  schw^ieriger  Gliederung.  Mir 
scheint  in  jeder  Strophe  die  voraufgehende  noch  anzuklingen, 
sodass  in  der  letzten  mehrere  Themen  in  harmonischem  Kon- 
trast auf  einmal  gehört  w^erden,  eine  Wirkung  vermittelt  durch 
die  mehr  als  nur  schmückenden  Responsionen  (vgl.  RU,  II, 
53  f.).  Und  so  ist  es  auch  ganz  in  Reinmars  Art  in  seinem 
"weitgeschwungenen,  hochgewölbten  und  dabei  doch  stets 
übersichtlichen  Portamento"  {RU,  II,  51). 

Vor  Carl  von  Kraus  hat  nur  Burdach  an  der  Echtheit  des 
Liedes  gezweifelt,  wegen  der  Überlieferung  und  der  Ähnlichkeit 
mit  dem  nachgeäfften  Ton  190,  27,  hat  sich  dann  aber  doch  zu- 
gunsten Reinmars  entschieden  (S.  218).  Erich  Schmidt  fand 
hier  des  Dichters  "Liebesklage  frei  von  aller  Monotonie  und 
das  Flehen  . . .  wirklich  ergreifend"  (S.  53).  Friedrich  Wolters 
hat  es  "übersetzt,"^ ^  Hans  Arens  es  noch  1935  in  seine  knappe 
Auswahl  des  Besten  aufgenommen,^^  wenn  auch  mit  der  alten 
Strophenfolge.  Ein  Kunstwerk  hat  einen  erhöhten  Sinn,  wenn 
wir  es  als  Ausdruck  eines  bestimmt  erfassbaren  Erlebens  deuten 
können,  und  so  mag  uns  auch  dieses  noch  andre  Einsichten 
geben. 

26.  Friedrich  Wolters,  Minnelieder  und  Sprüche:  Übertragungen  aus  den  deutschen 
Minnesängern  des  12.  bis  14.  Jahrhunderts  (Berlin,  1909).  (61  Strophen  unter 
"Rcinmar  der  Alte,"  sehr  viel  Unechtes;  S.  75  f.:  "Allen  Glücks  ein  seliges 
Weib.  .  .  .") 

27.  Hans  Arens,  Frühe  deutsche  Lyri\,  mit  Einleitung  von  Arthur  Hübner 
(Berlin,  1935).  (32  Reinmarstrophen,  sehr  wenig  unechte.) 


KAISER  OTTOS  EHRE  (WALTHER  26,  33) 
HANS  SPERBER,  Ohio  State  University 

SEHR  mit  Recht  betont  C.  v.  Kraus  (Walther  v.  d.  Vogel- 
weide, Untersuchungen,  S.  83),  dass  es  unmöglich  ist,  mit 
älteren  Erklärern  zwischen  milte  (26,  33)  und  ere  (26, 
36)  ein  Gleichheitszeichen  zu  setzen.  Wenn  der  Leib  des 
hochgewachsenen  Kaisers  für  seine  Freigebigkeit  zu  gross,  aber 
für  seine  Ehre  zu  klein  ist,  so  muss  mit  letzterem  Wort  etwas 
gemeint  sein,  woran  Otto  Überfluss  hat  und  keinesfalls  die 
Freigebigkeit,  an  der  es  ihm  fehlt.  Ich  glaube  aber  nicht,  dass 
"alles  ins  Gleichgewicht  rückt,"  wenn  man  mit  Kraus  für 
ere  die  Bedeutung  "äusserliche  ehrenvolle  Stellung"  annimmt. 
Denn  dann  ist  nicht  zu  sehen,  wie  der  Vergleich  zugunsten 
des  jungen  Friedrich  ausfallen  könnte,  Do  ich  dem  kßnege 
brähte  dez  mez,  wie  er  üj  schoz  könnte  doch  dann  nur  heissen 
"für  das  geringere  Maß  an  äusserer  Ehre,  das  Friedrich  besitzt, 
ist  auch  sein  kleinerer  Wuchs  mehr  als  hoch  genug."  Und 
es  ist  nicht  zu  sehen,  wie  in  dieser  Feststellung,  die  übrigens  zu 
der  Zeit,  als  der  Spruch  entstand,  sachlich  kaum  berechtigt 
gewesen  wäre,  ein  Lob  für  Friedrich  stecken  könnte.  Als  ein 
solches  ist  aber  das  Ganze  doch  offenbar  gemeint. 

Ich  stimme  also  mit  Schneider  überein,  der  (A.fJ.A.,  LV, 
125)  in  Kraus'  Auflassung  zwar  einen  Fortschritt,  aber  keine 
Lösung  der  Schwierigkeiten  anerkennt.  Eine  solche  kann  sich, 
glaube  ich,  nur  dann  ergeben,  wenn  man  den  von  Kraus  be- 
schrittenen  Weg  konsequent  zu  Ende  geht:  was  durch  ere  be- 
zeichnet wird,  muss  nicht  nur  etwas  Grosses  sein,  sondern 
etwas,  dessen  Übermaß  dem  Kaiser  Schande  macht. 

Wenn  Thomasin  (10606  ff.)  in  seiner  mitleidlosen  Schil- 
derung der  Unglücksschicksale  griechischer  Kaiser  fortwäh- 


i84  CORONA 

rend  das  Wot  "heilig"  gebraucht:  nu  ist  der  heiligen  tot  in 
zehen  jären  siben;  sit  der  heilige  Andronjus  Ut  schentlichen , 
swä  er  si;  do  wart  der  heilige  ein  diep,  so  ist  es  klar,  dass  das 
Wort  nicht  in  seiner  gewöhnlichen  Bedeutung  steht,  sondern 
seinen  Sinn  aus  der  vorhergehenden  Feststellung  bezieht,  dass 
der  kßiser  von  Kriechen  wolde  daz  man  in  heilic  heizen  solde. 
Mit  anderen  Worten,  die  heiligen  bedeutet  hier  so  viel  wie 
"sie,  die  sich  heilig  nennen,"  "die  Heiligen  'in  Anführungs- 
zeichen'." Und  ich  denke,  die  Waltherstelle  wird  sofort  ver- 
ständlich, wenn  man  schreibt:  Vil  schiere  maz  ich  abe  den 
lip  nach  siner  "ere":  "ich  mass  seinen  Leib  an  den  grossen 
Worten,  die  er  von  seiner  Ehre  macht,  und  da  erwies  sich  der 
lange  Mann  zu  kurz,  seine  Freigebigkeit  gar  zwergenhaft 
klein." 

Wir  haben  nun  freilich  keinen  direkten  Beweis  dafür,  dass 
Otto  seine  gern  gegebenen  und  ebenso  gern  gebrochenen 
Versprechungen  mit  Versicherungen  von  der  Art  unseres  "auf 
Ehre"  oder  des  Mhd.  darumbe  sol  min  ere  wesen  pfant  (Nib.B., 
109,  4)  zu  begleiten  liebte.  Dass  aber  der  Kaiser  —  magnificus 
promessor  et  parcissimus  exhibitor  heisst  er  bei  Matthäus  von 
Paris  (Winckelmann,  Philipp  von  Schwaben  und  Otto  der 
Vierte  von  Braunschweig,  II,  154)  —  mit  dem  Wort  Ehre 
wirklich  Missbrauch  getrieben  hat,  ist  mehr  als  eine  leere 
Vermutung,  wenigstens  wenn  einige  seiner  Briefe,  in  denen 
von  dem  Worte  honor  und  seinen  Ableitungen  bis  zum  Über- 
druss  Gebrauch  gemacht  wird,  seine  persönliche  Ausdrucks- 
weise widerspiegeln.  In  dem  Schriftstück,  das  seinen  Gesandten 
Wolfger  von  Passau  bei  den  Mailändern  beglaubigt,  finden  wir 
auf  einer  Seite  der  Quart-Monumenta:  honori  nostro  regie 
maiestatis  multum  videremur  derogare  —  universosque  vos  et 
singulos  diligimus  et  semper  intendimus  honorare  —  super 
omnes  civitates  totius  imperii  in  honore  et  in  rebus  vos  semper 
volumus  exaltare  —  benigne  vos  accipiemus  et  honorabimus  — 
discretos  et  honestos  nuntios  —  quicquid  ipse  de  honore  nostro 
et  imperii  tractaverit  —  legatum  nostrum  honorifice  suscipiatis 
et  eum  tamquam  legatum  nostrum  et  imperii  honoretis  —  sicut 
honori   nostro  et  imperii  videatur  expedire  —  et  quicquid 


KAISER  OTTOS  EHRE  185 

honoris  sibi  exhibueritis,  nobis  totum  j actum  reputabimus 
(Mon.  Germ.  Leg.,  IV/2,  34). 

Der  Spruch  stellt  sich  somit  zu  den  sonstigen  Zeugnissen 
dafür,  dass  Ottos  Redegewohnheiten  bei  den  Zeitgenossen 
Aufmerksamkeit  und  abfällige  Kritik  erregten  (Singer,  Sd-i- 
/rÄ^d",  XLIV,  456). 

Ob  sich  auch  der  Spruch  140,  i,  ein  offenbar  von  einem 
Nachahmer  herrührendes  Gegenstück  zu  dem  hier  behandelten 
(vgl.  Kraus,  Untersuchungen,  S.  473),  auf  Otto  bezieht?  Dann 
würde  man  wenigstens  das  her  hjinec  von  Kriechen  in  der 
letzten  Zeile  verstehen:  der  Dichter  gibt  dem  Kaiser  höhnisch 
einen  Titel,  den  er  zwar  nicht  besass,  von  dessen  möglicher 
Erwerbung  aber  er  selbst  oder  wenigstens  seine  Umgebung 
träumte  (Winckelmann,  II,  208  f.). 


GOETHES  WERTHER 

THOMAS  MANN,  Prificeton  University 

DAS  BÜCHLEIN  "Werther"  oder,  mit  seinem  ganzen 
Titel  "Die  Leiden  des  jungen  Werthers,  ein  Roman  in 
Briefen"  war  der  grösste,  ausgedehnteste,  sensatio- 
nellste Erfolg,  den  Goethe,  der  Schriftsteller,  je  erlebt  hat.  Der 
Frankfurter  Jurist  war  ganze  vierundzwanzig  Jahre  alt,  als  er 
dies  äusserlich  wenig  umfangreiche,  auch  als  Welt-  und  Le- 
bensbild jugendlich  eingeschränkte,  aber  mit  explosivem  Gefühl 
unglaublich  geladene  Werkchen  schrieb.  Es  war  erst  seine 
zweite  grössere  Arbeit.  Nur  ein  shakespearisierendes  Drama 
aus  der  deutsch-ritterlichen  Vergangenheit,  der  "Götz  von 
Berlichingen,"  war  vorangegangen  und  hatte  dank  seiner  Kraft 
und  Wärme,  durch  die  Art,  wie  es  die  Historie  mit  Intimität 
und  Leben  erfüllte,  schon  die  Augen  der  literarischen  Welt  auf 
den  jungen  Verfasser  gelenkt.  Der  Werther  aber  zeigte  diesen 
von  einer  ganz  anderen  Seite  und  war  nach  Charakter  und 
Wirkung  ein  von  dem  früheren  völlig  verschiedenes  Werk. 
Sein  Erfolg  hatte  zum  Teil  sogar  einen  skandalösen  Charakter. 
Die  entnervende  und  zerrüttende  Empfindsamkeit  des  kleinen 
Buches  rief  die  Sittenwächter  auf  den  Plan,  war  der  Schrecken 
und  Abscheu  der  Moralisten,  die  eine  Verherrlichung  des 
Selbstmordes  und  die  Verführung  dazu  in  diesen  Blättern  sahen; 
aber  eben  diese  Eigenschaften  erregten  auch  einen  Erfolgssturm, 
der  alle  Grenzen  überschritt,  und  machten  buchstäblich  die 
Welt  verrückt  vor  Sterbenswonne:  der  Roman  rief  einen 
Rausch,  ein  Fieber,  eine  über  die  bewohnte  Erde  hinlaufende 
Ekstase  hervor  und  wirkte  wie  der  Funke,  der  ins  Pulverfass 
fällt,  wobei  in  plötzlicher  Ausdehnung  eine  gefährliche  Menge 
von  Kräften  frei  wird. 


GOETHES  WERTHER  187 

Es  wäre  nicht  leicht,  den  Seelenzustand  zu  analysieren,  der 
zu  jener  Zeit  den  Untergrund  der  europäischen  Zivilisation 
bildete.  Es  war,  historisch  gesehen,  der  Zustand  vor  der  Kata- 
strophe und  ungeheueren  Lufterneuerung  der  französischen 
Revolution;  geistesgeschichtlich  gesehen  die  Epoche,  der  Rous- 
seau den  Stempel  seines  empfindsam  empörerischen  Geistes 
aufgedrückt  hatte.  Überdruss  an  der  Zivilisation,  Emanzipa- 
tion des  Gefühls,  wühlende  Sehnsucht  nach  Heimkehr  ins 
Natürlich-Elementare,  Rütteln  an  den  Fesseln  einer  erstarrten 
Kultur,  Revolte  gegen  Konvention  und  bürgerliche  Enge,  alles 
trat  zusammen,  um  den  Geist  gegen  die  Beschränkung  der 
Individuation  selbst  anrennen  und  ein  schwärmerisch  grenzen- 
loses Lebensverlangen  die  Gestalt  der  Todessehnsucht  anneh- 
men zu  lassen.  Melancholie,  Überdruss  am  rhythmischen 
Einerlei  des  Lebens  war  gang  und  gäbe.  In  Deutschland  wurde 
die  Bewegung,  die  man  "Weltschmerz"  nennt,  verstärkt  durch 
die  Vertiefung  in  eine  gewisse  Grabespoesie,  die  die  englische 
Literatur  damals  hervorbrachte.  Selbst  Shakespeare  trug  dazu 
bei.  Hamlet  und  seine  Monologe  spukten  in  allen  jungen 
Gemütern.  Ossian  und  die  schauerlich-urtümlich-düster-heroi- 
schen Stimmungen,  die  er  vermittelte,  bildeten  die  Passion  der 
jungen  Leute. 

Es  war,  als  ob  das  Publikum  aller  Länder,  insgeheim  und 
ohne  es  zu  wissen,  genau  auf  das  Werk  eines  noch  ganz  beliebi- 
gen jungen  deutschen  Reichsstädters  gewartet  hätte,  das  der 
gebundenen  Sehnsucht  einer  Welt  auf  revolutionär  entbin- 
dende Weise  gerecht  würde,  —  ein  Treffer  ins  Schwarze,  das 
erlösende  Wort.  Es  gibt  die  Geschichte,  dass  ein  junger  Eng- 
länder, der  in  späteren  Jahren  nach  Weimar  kam  und  Goethe 
vorübergehen  sah,  auf  offener  Strasse  ohnmächtig  wurde,  da  er 
sich  zuviel  zugemutet  hatte  und  es  über  seine  Kräfte  ging,  den 
Verfasser  des  Werther  in  Person  zu  erblicken.  Goethe  erinnert 
später  in  einem  venezianischen  Epigramm  an  den  Welterfolg 
des  Werther: 

Deutschland  ahmte  mich  nach  und  Frankreich  mochte  mich  lesen, 
England!  freundlich  empfingst  du  den  zerrütteten  Gast, 


i88  CORONA 

Doch  was  fördert  es  mich,  dass  auch  sogar  der  Chinese 
Malet  mit  ängstHcher  Hand  Werthern  und  Lotte  auf  Glas? 

Das  Paar  trat  von  Anfang  an  in  die  Reihe  der  klassischen 
Liebespaare  der  Dichtung  und  der  Legende  ein:  Laura  und 
Petrarca,  Romeo  und  JuUa,  Abälard  und  Heloise,  Paolo  und 
Francesca,  zu  ihnen  gesellte  es  sich.  Jeder  Jüngling  wünschte 
sich,  so  zu  lieben,  jedes  Mädchen,  so  geliebt  zu  sein.  Eine  ganze 
Generation  junger  Menschen  erkannte  ihre  Seelenverfassung 
in  der  Werthers  w^ieder.  Man  ging  schwärmerisch-demonstra- 
tiv in  der  Tracht  umher,  die  dem  jungen  Todeskandidaten  im 
Roman  zugeschrieben  wird:  dem  blauen  Frack  mit  gelber 
Weste  und  Hose.  Die  Nachahmung,  die  melancholische  Ge- 
folgschaft ging  bis  zum  äussersten:  Selbstmorde  ereigneten 
sich,  die  offenkundig  und  erklärtermassen  Befolgungen  von 
Werthers  Beispiel  waren,  und  die  also,  so  sagten  die  Moralisten, 
der  Autor  des  zerrüttenden  Romans  auf  dem  Gewissen  hatte. 
Diese  betörten  Jünglinge  vergassen  nur,  dass  zwar  der  Dichter 
des  Werther  die  Entwicklung  des  Entschlusses  zum  Selbstmord 
in  einer  jungen  Brust  mit  grosser  Kunst  geschildert  hatte,  dass 
er  selbst  aber  sich  keineswegs  getötet,  sondern  auf  schöpferi- 
schem Wege  über  die  tödlichen  Stimmungen  hinweggekom- 
men war,  sich  im  Gedichte  davon  befreit  hatte.  Goethe  spricht 
in  seinen  Lebenserinnerungen  von  diesem  fast  grotesken 
Unterschied  zwischen  der  heilsamen  Funktion,  die  dem  Wer- 
ther-Roman für  sein  eignes  Leben  zukam,  und  der  äusseren 
Wirkung,  die  er  übte.  Er  war  persönlich  durch  das  alles 
hindurchgegangen,  was  seine  Generation  quälte  und  entnervte. 
Der  Gedanke  des  Selbstmordes  war  ihm  keineswegs  fremd,  er 
war  auch  in  ihm  zeitweise  beinahe  Vorsatz  gewesen.  Er  erzählt 
in  "Dichtung  und  Wahrheit,"  wie  er  in  der  Zeit  vor  dem 
"Werther"  jeden  Abend,  ehe  er  das  Licht  auslöschte,  versucht 
habe,  ob  es  ihm  nicht  gelingen  möchte,  sich  die  scharfe  Spitze 
eines  Dolches,  den  er  besass,  ein  paar  Zoll  tief  in  die  Brust  zu 
senken.  Da  es  nicht  gelang,  lachte  er  sich  selber  aus  und 
beschloss  zu  leben.  Doch  fühlte  er,  dass  er  das  nicht  könne, 
ohne  eine  dichterische  Aufgabe  zur  Ausführung  zu  bringen, 


GOETHES  WERTHER  189 

worin  alles,  was  er  über  diesen  Punkt  gedacht  und  empfunden, 
zur  Sprache  kommen  sollte.  Dies  Bekenntnis,  diese  "General- 
beichte," wie  Goethe  es  nennt,  war  der  "Werther."  Als  das 
Werk  getan  war,  fühlte  er  sich  frei  und  zu  neuem  Leben 
berechtigt.  Während  nun  aber  er  sich  erleichtert  und  aufge- 
klärt hatte,  indem  er  die  Wirklichkeit  in  Poesie  verwandelte, 
wurden  andere  junge  Leute  dadurch  verwirrt  und  glaubten, 
man  müsse  die  Poesie  in  Wirklichkeit  verwandeln,  den  Roman 
nachspielen  und  sich  allenfalls  selbst  erschiessen.  Und  so 
wurde,  was  ihm  so  sehr  genützt  hatte,  als  höchst  schädlich 
verschrieen. 

Goethe  war  bis  an  sein  Lebensende  stolz  auf  dieses  sein 
Jugendwerk,  auf  das  er  sich,  neben  dem  Faust,  am  meisten  zu 
gute  tat.  "Wer  mit  vierundzwanzig  den  Werther  schrieb,"  sagt 
er  als  alter  Mann,  "ist  eben  doch  keine  Katze."  Einer  der 
bedeutendsten  Augenblicke  seines  Lebens,  die  Begegnung  mit 
Napoleon  in  Erfurt,  ist  mit  diesem  Gegenstand  verbunden. 
Der  Kaiser  hatte  den  kleinen  Roman  nicht  weniger  als  sieben- 
mal gelesen,  ja  er  hatte  ihn  auf  dem  ägyptischen  Feldzug 
begleitet,  und  bei  jener  berühmten  Audienz  nahm  er  den 
Dichter  darüber  in  ein  kritisches  Verhör.  Der  grosse  Lebens- 
vollender hat  die  problematische  Jugendgestalt  niemals  ver- 
leugnet, ihr  Schatten  hat  ihn  immer  brüderlich  begleitet,  und 
der  Fünf undsiebzigjähr ige,  der  um  der  jungen  Ulrike  willen 
noch  einmal  die  süssen  und  schrecklichen  Verstörungen  der 
Liebe  dulden  musste,  spricht  in  einem  Gedicht  "An  Werther" 
seine  Wiederkehr  geisterhaft  aus.  — 

Das  dem  Werther  zugrunde  liegende  Erlebnis,  die  idyllisch- 
schmerzliche Geschichte  von  Goethes  Liebe  zu  Lotte  Buff,  der 
lieblichen  Amtmannstochter  zu  Wetzlar  an  der  Lahn,  ist 
ebenso  berühmt  geworden  wie  der  Roman  selbst,  und  das  mit 
Recht,  denn  grosse  Teile  des  Buches  decken  sich  vollständig 
mit  der  Realität,  sind  eine  getreue  und  unveränderte  Abschrift 
von  ihr.  Goethe  kam  1772,  dreiundzwanzigj ährig,  in  das 
reizend  gelegene  rheinische  Landstädtchen  nach  Weisung 
seines  Vaters,  der  wollte,  dass  der  junge  Dr.  iuris  am  dortigen 
Reichskammergericht  praktiziere.    Seine  eigene  Absicht  war 


190  CORONA 

vielmehr,  die  schönen  Wissenschaften  zu  treiben,  zu  dichten 
und  zu  leben,  und  das  tat  er;  das  Kammergericht  hat  ihn  kaum 
zu  sehen  bekommen.  Die  Gassen  von  Wetzlar  'wa.ren  eng  und 
schmutzig,  aber  die  natürliche  Umgebung  war  reizend;  es  war 
Maienzeit,  alles  stand  in  Blüte,  und  der  poetische  Müssiggänger 
hatte  bald  an  Brunnen,  Bächen  und  romantischen  Aussichts- 
punkten über  dem  Lahntal  seine  Lieblingsplätze,  wo  er  seinen 
Homer,  seinen  Pindar  las,  mit  Freunden  disputierte,  zeichnete 
und  sann.  Ein  ländliches  Ballfest  junger  Leute  führt  ihn  mit 
der  neunzehnjährigen  Lotte  zusammen,  die  mit  ihrem  verwit- 
weten Vater  und  ihren  zahlreichen  Geschwistern  das  soge- 
nannte Deutschordenshaus  bewohnt.  Sie  ist  zierlich,  blond, 
blauäugig,  von  heiterem,  tüchtigen  Charakter,  ohne  höhere 
Bildung,  aber  auf  gesunde  Art  feinfühlig,  kindlich  und  ernst 
zugleich,  denn  seit  dem  Tode  der  Amtmännin  vertritt  sie 
Mutterstelle  bei  einer  ganzen  Schar  jüngerer  Geschwister  und 
führt  ihrem  Vater  den  Hausstand.  Goethe  sieht  sie  zuerst,  als 
er  sie  von  ihrem  Gehöft  abholt,  wo  sie,  schon  zum  Balle 
angekleidet,  in  einem  weissen,  mit  rosa  Schleifen  garnierten 
Kleide  dasteht  und  den  sie  umringenden  Kleinen  das  Vesper- 
brot schneidet  —  eine  im  Werther  genau  verewigte  und  von  der 
bildenden  Kunst  oft  wiedergegebene  Szene.  Er  verbringt  den 
Abend  mit  ihr,  er  legt  Besuch  bei  ihr  ab  am  nächsten  Tage,  und 
er  ist  verliebt  über  beide  Ohren,  bevor  er  weiss,  dass  Lotte 
verlobt  ist.  Er  erfährt  es  bald.  Der  Bräutigam  ist  ein  Legations- 
sekretär Kestner  aus  Hannover,  ein  Mann  von  vortrefflichem 
Durchschnitt,  der  Lotte  aufrichtig  liebt  und  den  sie  auf  eine 
vertrauensvolle  Weise  wiederliebt.  Wohlgemerkt,  hier  ist 
keine  Leidenschaft,  hier  ist  eine  ruhige,  wenn  auch  nicht  un- 
zärtliche wechselseitige  Zuneigung,  auf  gemeinsame  Zukunft, 
rationelle  Ziele,  Familiengründung  gerichtet.  Man  wartet  nur 
darauf,  dass  die  Lebensumstände  des  Bräutigams  ihn  zu  einer 
Heirart  instandsetzen. 

In  dieses  Verhältnis  tritt  Goethe  als  Dritter,  als  von  beiden 
Brautleuten  bewunderter  und  herzlich  wohlgelittener  Freund 
und  Gefährte  ein  —  der  Dichter,  das  Genie,  der  treuherzige 
und  aufrichtige,  aber  auch  wieder  treulose  und  in  irdischem 


GOETHES  WERTHER  191 

Sinne  unzuverlässige  Vagabund  des  Gefühls,  der  eben  Friederike 
Brion  verraten  und  verlassen  hatte,  weil  er  vor  der  bindenden 
Heirat  zurückgeschreckt  ist.  Es  ist  der  junge  Dämon,  der  im 
"Faust"  von  sich  sagt:  "Bin  ich  nicht  der  Flüchtling,  der  Unbe- 
hauste,  der  Unmensch  ohne  Zweck  und  Ruh?"  —  Ein  liebens- 
würdiger Unmensch:  schön,  hochbegabt,  geladen  mit  Geist 
und  Leben,  feurig,  gefühlvoll,  ausgelassen  und  schwermütig, 
kurz  närrisch  in  einem  lieben  Sinn;  die  Brautleute,  Kestner 
sowohl  wie  Lotte,  haben  ihn  sehr  gern,  auch  die  Kinder  des 
Hauses  zumal  haben  ihn  liebend  gern,  und  man  verbringt 
einen  seltsamen,  glückseligen  und  gefährlichen  Sommer  zu 
dritt  —  zu  zweit  recht  oft  nur,  denn  Kestner,  pflichttreu  und 
vielbeschäftigt  wie  er  ist,  kann  nicht  immer,  ja  nur  selten  dabei 
sein,  und  während  er  bei  seinem  Gesandten  rackert,  steckt 
Goethe,  der  nichts  zu  tun  hat,  bei  Lotte,  der  Braut, 

Er  hilft  ihr  in  der  Wirtschaft,  auf  dem  Krautland  und  im 
Garten,  nimmt  Obst  mit  ihr  ab,  schneidet  Bohnen  mit  ihr.  Vor 
dem  absorbierten  Bräutigam  hat  er  alle  Vorteile  einer  freien 
und  unbeschwerten  Gegenwart,  abgesehen  von  den  Vorteilen 
seiner  genialischen  Jünglingspersönlichkeit,  mit  der  diejenige 
des  redlichen  Kestner  überhaupt  den  Vergleich  nicht  aushält. 
Lotte  hat  ihn  zweifellos  geliebt,  aber  als  gescheites,  vernünftiges 
Mädchen,  das  wusste,  was  es  wollte,  ihr  Gefühl  für  ihn  ebenso 
im  Zaum  zu  halten  gewusst  wie  sie  seine  irrlichternde  Leiden- 
schaft, die  sich  nicht  immer  verbarg,  im  Zaume  und  bei  Ver- 
stände zu  halten  wusste.  Wenigstens  meistens.  Einmal,  in 
den  Himbeeren,  Hess  er  sich  hinreissen  sie  zu  küssen  —  sie  war 
sehr  ungnädig  darüber  und  stand  nicht  an,  es  ihrem  Verlobten 
—  soll  man  sagen  anzugeben  oder  zu  beichten.^  Genug,  man 
beschloss,  ihn  kürzer  zu  halten,  ihn  kühler  zu  behandeln,  wo- 
für auch  sprach,  dass  wirklich  schon  ein  gewisses  Gerede  über 
•das  sonderbare  Verhältnis  umging.  Kestner  war  ein  wenig 
verstimmt;  sehr  zornig  konnte  er  nicht  seim.  Lotte  las  dem 
Sünder  die  Leviten,  erklärte  ihm  ein  für  allemal,  dass  er  nie 
etwas  anderes  von  ihr  zu  hoffen  habe  als  gute  Kameradschaft. 
Hatte  er  das  nicht  gewusst  —  da  er  so  traurig  dastand  ?  Hatte 
er  je   gedacht,   das   Mädchen  ihrem   guten   Hans   Christian 


192  CORONA 

auszuspannen  und  sie  sich  selber  zu  nehmen,  wie  manche 
Leute  schon  zu  sehen  glaubten  ?  Gewiss  nicht,  schon  aus  Treue 
und  Anstand  nicht  —  und  nicht  nur  von  wegen  Treue  und 
Anstand,  sondern  weil  sein  Lieben  ganz  der  Kestnerschen 
Lebenssolidität  und  Zweckmässigkeit  entbehrte,  vagierendes 
Gefühl,  ziellose  Leidenschaft,  im  Grunde  werdende  Dichtung 
war. 

Die  Brautleute  hatten  Mitleid  mit  der  Verwirrung,  dem 
unvernünftigen  Leiden  des  lieben  Menschen.  Sie  machten  ihm 
sonderbare  Trostgeschenke:  eine  Silhouette  Lottens,  eine  der 
rosa  Schleifen,  die  sie  an  dem  Tage,  da  er  sie  zuerst  gesehn,  an 
ihrem  Kleide  getragen.  Wohlgemerkt,  diese  Gaben  kamen 
nicht  nur  von  Lotte,  sie  kamen  auch  von  Kestner,  dem  Bräuti- 
gam, und  sie  erregen  uns  ein  ähnliches  Gefühl,  wie  wenn  wir 
einen  Prinzen  von  sehr  einfachen,  guten  Leuten  Almosen  em- 
pfangen sehen. 

Als  der  Herbst  kam,  reiste  Goethe  heimlich  ab.  Plötzlich 
war  er  weg.  Vier  Monate  hatte  das  Idyll  zu  dritt  gedauert. 
Die  Eindrücke,  die  es  dem  Dichter  gebracht  hatte,  und  in 
denen  vollste,  schmerzlich-hingegebene  Aufrichtigkeit  des  Ge- 
fühls sich  gewiss  allezeit  mit  dem  Zweckgedanken  der  Dich- 
tung vermischt  hatte,  wurden  in  Frankfurt,  wohin  er  sich 
wandte,  ergänzt  durch  Erfahrungen  mit  einer  anderen  Frau, 
für  die  sein  Leben,  gleich  nachdem  er  sich  von  Lotte  losgeris- 
sen, merkwürdigerweise  Platz  hatte.  Es  war  dies  Maximili- 
ane La  Roche  aus  Ehrenbreitstein,  ein  ungewöhnlich  schönes, 
schwarzäugiges  Mädchen,  das  gerade  eben  einen  reichen  Wit- 
wer in  Frankfurt,  den  Kaufmann  Peter  Brentano,  geheiratet 
hatte  und  sich  an  seiner  Seite,  in  einem  düsteren  Hause  mit 
Öl-  und  Käsegeruch  recht  unglücklich  fühlte.  Goethe  sass  viel 
bei  ihr,  machte  Unsinn  mit  ihren  fünf  Stiefkindern,  wie  er  es 
mit  Lottes  Geschwistern  getan  (denn  er  war  ein  rechter  Kin- 
dernarr, und  alle  Kinder  hingen  sofort  an  ihm),  begleitete 
Maxies  Klavierspiel  auf  dem  Cello,  und  —  damit  ist  wohl  nicht 
alles  gesagt.  Denn  der  Kaufmann  Brentano  schritt  eines  Tages 
zornig  ein,  es  gab  einen  Eklat,  es  kam  zu,  wie  Goethe  selber 
sagt,  "schrecklichen  Augenblicken,"  und  die  Freundschaft  flog 


GOETHES  WERTHER  193 

auf.  Die  schwarzen  Augen  aber,  die  Lotte  im  Wertherbuch  hat, 
während  sie  doch  in  WirkUchkeit  blaue  hatte,  stammen  von 
Frau  Brentano. 

Der  Umgang  mit  ihr  hat  sehr  dazu  beigetragen,  die  Fabel 
des  Romans  zu  kompletieren.  Besonders  aber  tat  das  ein  To- 
desfall, der  sich  gerade  um  diese  Zeit  in  dem  Bekanntenkreise 
des  Dichters  ereignete.  Der  Legationssekretär  Jerusalem  aus 
Braunschweig,  eine  begabte,  melancholische,  am  Leben  lei- 
dende Natur,  hatte  sich,  verstrickt  in  hoffnungslose  Liebe  zu 
der  Frau  eines  anderen,  ausserdem  durch  gesellschaftliche  Zu- 
rücksetzungen tief  verbittert,  eine  Kugel  in  den  Kopf  geschos- 
sen. Der  Fall  erregte  verbreitetes  Aufsehen,  und  dass  er  auch 
Goethe  menschlich  sehr  nahe  ging,  hinderte  nicht,  dass  er  ihm 
zugleich  wie  gerufen  kam:  er  gab  der  noch  im  Vagen  schwe- 
benden Wetzlarer  Dichtung  die  objektive  Handlung;  ein  Prozess 
der  Selbst-Identifizierung  mit  Jerusalem,  der  eine  den  Gedan- 
ken des  Dichters  längst  wohlvertraute  Tat  begangen  hatte, 
setzte  ein;  die  Figur  war  geeignet,  allen  Weltschmerz  und 
genialischen  Gram,  allen  Edelmut  und  Jammer,  alle  Schwäche, 
Sehnsucht,  Leidenschaft  der  Zeit  und  des  eigenen  Herzens 
aufzunehmen,  und  unsicher  an  dem  lockenden  Plan  blieb  jetzt 
eigentlich  nur  noch  die  Form. 

Es  sollte  ursprünglich  die  dramatische  sein,  aber  es  wollte 
mit  ihr  nicht  gehen.  Für  sie  stellte  sich  eine  andere  ein,  die 
Elemente  des  Dramatischen,  Lyrischen  und  Erzählerischen 
vereinigt:  die  des  Briefromans,  für  die  Richardson  und  Rous- 
seau die  Tradition  geschaffen.  Der  junge  Autor  schloss  sich 
von  aller  Gesellschaft  ab  und  warf  "Werthers  Leiden"  in 
knappen  vier  Wochen  aufs  Papier,  —  die  Leistung  wäre  noch 
erstaunlicher,  wenn  ihm  nicht  dabei  eine  Menge  Briefe  und 
Tagebuch-Aufzeichnungen  vorgelegen  hätten,  die  er  selbst  in 
den  Wetzlarer  Tagen  geschrieben,  und  die  er,  fast  wie  sie  da 
waren,  sogar  unter  Beibehaltung  der  Daten,  für  den  Roman 
benutzte. 

Es  ist  ein  Meisterwerk,  worin  hinreissendes  Gefühl  und 
frühreifer  Kunstverstand  eine  fast  einmalige  Mischung  ein- 
gehen. Jugend  und  Genie  sind  sein  Gegenstand,  und  aus  Jugend 


194  CORONA 

und  Genie  ist  es  selbst  geboren.  Ich  spreche  zu  Leuten,  die  das 
ausserordentliche  Büchlein  gelesen  haben  und  die  ich  mit  dem 
zuverlässigsten  gelehrten  Kommentar  dazu  versehen  weiss. 
Was  mir  allenfalls  übrig  bleibt,  ist  auf  ein  paar  Schönheiten 
und  Feinheiten  der  Komposition  hinzuv^eisen  oder  daran  zu 
erinnern,  die  ich  mir  selbst  beim  Wiederlesen  angemerkt. 

Ein  Wort  über  den  Helden  und  Briefschreiber  selbst,  die 
Figur  des  jungen  Werther.  Er  ist  der  junge  Goethe  selbst, 
minus  der  schöpferischen  Gabe,  die  diesem  die  Natur  verliehen. 
Um  ein  todverfallenes,  für  das  Leben  zu  gutes  oder  zu 
schv^aches  Menschenwesen  zu  schildern,  braucht  ein  Dichter 
nur  sich  selbst  zu  geben  —  unter  Weglassung  der  schöpferischen 
Gabe,  die  ihm  selber  Stütze  und  Stab  ist,  ihn  selbst  auf  dem 
Pfade  des  Lebens  weiterlockt  und  ihn  —  um  das  Wort  zu  wie- 
derholen, das  wir  auf  Goethe  anwandten  —  zu  einem  Lebens- 
vollender macht.  Goethe  tötete  sich  nicht,  weil  er  den  Werther 
zu  schreiben  hatte  —  und  einiges  mehr.  Werther  hat  keinerlei 
Sendung  auf  Erden  ausser  seinem  Leiden  am  Leben,  dem 
traurigen  Scharfblick  für  seine  Unvollkommenheiten,  dem 
hamletischen  Erkenntnisekel,  der  ihn  würgt;  und  so  muss  er 
zugrunde  gehen.  Sein  "Roman,"  diese  unmögliche  und  un- 
erlaubte Liebe  zu  dem  Mädchen,  das  einem  anderen  gehört,  ist 
nur  die  Verkleidung,  die  sein  Todessehnen  annimmt,  die  mehr 
oder  weniger  zufällige  Form  seines  Unterganges.  Lotte,  so 
sehr  die  Leidenschaft  des  ausserordentlichen  und  in  all  seiner 
Schwäche  höchst  liebenswürdigen  Menschen  ihr  schmeichelt, 
eine  so  grosse  Versuchung  sie  in  Wahrheit  für  ihre  Vernunft, 
ihre  Tugend  bedeutet,  hat  ein  sehr  feines  und  richtiges  Gefühl 
für  diese  Sachlage.  "Fühlen  Sie  nicht,"  fragt  sie  ihn,  "dass  Sie 
sich  betrügen,  sich  mit  Willen  zugrunde  richten?  Warum 
denn  mich,  Werther!  Just  mich!  Das  Eigentum  eines  anderen. 
Just  das !  Ich  fürchte,  ich  fürchte,  es  ist  nur  die  Unmöglichkeit, 
mich  zu  besitzen,  die  Ihnen  diesen  Wunsch  so  reizend  macht." 
—  Der  bittere  Hohn,  womit  er  auf  diese  Bemerkung  reagiert, 
verrät,  wie  sehr  er  sich  im  Grunde  dadurch  getroffen  fühlt. 
Und  diese  Empfindlichkeit  ist  sehr  lebensecht.  Denn  der  pessi- 
mistische Psycholog,  schwelgend  in  finster-verzweifelten  Ein- 


GOETHES  WERTHER  195 

blicken  in  das  törichte  Menschenherz,  verträgt  es  meistens  sehr 
schlecht,  wenn  die  Psychologie  sich  einmal  gegen  ihn  selbst 
wendet. 

Damit  soll  nicht  gesagt  werden,  dass  Werther  sich  selber 
schonte.  Er  ist  ein  schmerzensreicher  Meister  unbarmherziger 
Introspektion,  Selbstbeobachtung,  Selbstzergliederung,  —  das 
überfeinerte  Endproduckt  christlich-pietistischer  Seelenkultur 
und  Gemütsvertiefung,  Einem  Geist  wie  Lessing  missfiel  die 
Figur;  er  war  geneigt,  eine  Widerlegung  der  ganzen  modern- 
christlichen Kultur  darin  zu  sehen,  weil  sie  solche  Individuen 
hervorbrachte.  Denn,  fragte  er,  hat  je  ein  römischer  oder 
griechischer  Jüngling  sich  so  und  darum  —  nämlich  aus  un- 
glücklicher Liebe  —  das  Leben  genommen?  Das  lässt  sich 
hören.  Aber  man  kann  wohl  nicht  zugeben,  dass  die  christliche 
Kultur  ad  absurdum  geführt  ist  durch  die  Verzärtelung  und 
subtile  Entartung,  die  sie  in  der  Überspitzung  zeitigt,  und  der 
ungeheure  Fortschritt,  den  das  Christentum  für  die  Entwick- 
lung des  menschlichen  Gewissens  bedeutet,  ist  nicht  zu  hoch 
bezahlt  durch  ein  Leiden  und  Sterben,  wie  Goethe  es  in  seinem 
Jugendwerk  aus  intimster  Kenntnis,  mit  feinster  Konsequenz 
gezeichnet. 

Der  kleine  Roman  ist  ein  Meisterstück  der  Notwendigkeit, 
ein  lückenloses,  klug,  zart  und  wissend  gefügtes  Mosaik  see- 
lischer Einzelheiten,  psychologischer  Momente  und  Kenn- 
zeichen, die  zusammen  das  Bild  der  Liebenswürdigkeit  und 
des  Todes  geben.  Und  dabei  ist  es  dem  Dichter  gelungen,  die 
tödliche  Schwäche  des  Helden  zugleich  als  überschwängliche 
Kraft  empfinden  zu  lassen.  Wirklich  erinnert  Werther  an 
jene  Art  edler  Pferde,  von  denen  in  dem  Buch  einmal  die  Rede 
ist,  und  die,  wenn  sie  schrecklich  erhitzt  und  aufgejagt  sind, 
sich  selbst  aus  Instinkt  eine  Ader  aufbeissen,  um  sich  zu  Atem 
zu  helfen.  "So  ist  mir's  oft,"  sagt  er;  "ich  möchte  mir  eine 
Ader  öffnen,  die  mir  die  ewige  Freiheit  schaffte." 

Die  ewige  Freiheit.  Das  Verlangen  aus  dem  Eingeschränk- 
ten und  Bedingten  ins  Unendliche,  Schrankenlose  ist  der 
Grundzug  von  Werthers  Wesen,  wie  er  derjenige  Faustens 
ist.    Lesen  Sie,  was  er  über  räumliche  Ferne  und  Zukunft 


196  CORONA 

schreibt,  über  die  unstillbare  Sehnsucht  in  Raum  und  Zukunft 
hinaus,  und  Sie  haben  ihn  ganz.  Die  dritte  Form  der  Ex- 
pansion ist  das  Gefühl;  auch  hier  stösst  er  sich  mit  Verzweif- 
lung und  Selbstverachtung  an  der  Bedingtheit  und  Unzuläng- 
lichkeit des  Menschlichen.  "Was  ist  der  Mensch?  der  ge- 
priesene Halbgott!  Ermangeln  ihm  nicht  da  eben  die  Kräfte, 
wo  er  sie  am  nötigsten  braucht?  Und  wenn  er  in  Freude  sich 
aufschwingt,  oder  im  Leiden  versinkt,  wird  er  nicht  in  beiden 
eben  da  aufgehalten,  eben  da  wieder  zu  dem  stumpfen  Be- 
wusstsein  zurückgebracht,  da  er  sich  in  der  Fülle  des  Unend- 
lichen zu  verlieren  sehnte."  —  Das  Leben,  die  Person,  die  Indi- 
vidualität ist  ihm  ein  Kerker,  —  er  selbst  gebraucht  das  Wort 
angesichts  wild  erregter  Natur,  in  der  aufzugehen  er  sich 
wünscht.  "Wie  gern,"  ruft  er  aus,  "hätt  ich  all  mein  Mensch- 
tum  darum  gegeben,  mit  jenem  Sturmwinde  die  Wolken  zu 
zerreissen,  die  Fluten  zu  fassen.  Ha !  Und  wird  nicht  vielleicht 
dem  Eingekerkerten  einmal  diese  Wonne  zu  Teil !  — "  Man 
findet  diesen  emotionalen  Pantheismus  in  Schopenhauers  Wil- 
lensphilosophie wieder. 

Die  höchste  und  stärkste  Form  seelischer  Expansion  ist  die 
Liebe  —  Werther  sucht  sie,  ist  in  Bereitschaft  für  sie  von  An- 
fang an,  und  es  ist  sein  Todesinstinkt,  der  ihn  auf  eine  aussichts- 
lose, verderbliche  Liebe  verfallen  lässt.  Da  in  seiner  Natur 
etwas  liegt,  wozu  alle  Menschen,  besonders  aber  das  Volk  und 
die  Kinder  Vertrauen  haben,  empfängt  er  die  Geständnisse 
eines  Bauernburschen,  der  eine  inbrünstige  Leidenschaft  für 
seine  Herrin,  eine  Witwe,  hegt,  die  in  ihrer  Ehe  schlechte 
Erfahrungen  gemacht  hat  und  nicht  mehr  heiraten  will. 
Werther  ist  tief  erschüttert  von  dem  Gefühlsrausch,  dessen  er 
da  ansichtig  wird.  Sein  unbeschäftigtes  Herz  ist  vom  ersten 
Augenblick  neidisch  darauf.  Er  schreibt  seinem  Freunde:  "Ich 
habe  in  meinem  Leben  die  dringende  Begierde  und  das  heisse, 
sehnliche  Verlangen  nicht  in  dieser  Reinheit  gesehen,  ja  wohl 
kann  ich  sagen,  in  dieser  Reinheit  nicht  gedacht  und  geträumt. 
Schelte  mich  nicht,  wenn  ich  dir  sage,  dass  bei  der  Erinnerung 
dieser  Unschuld  und  Wahrheit  mir  die  innerste  Seele  glüht, 
und  dass  mich  das  Bild  dieser  Treue  und  Zärtlichkeit  überall 


GOETHES  WERTHER  197 

verfolgt,  und  dass  ich,  wie  selbst  davon  entzündet,  lechze  und 
schmachte."  —  Er  ist  in  Liebe,  bevor  diese  Liebe  einen  Gegen- 
stand hat.  Der  nächste  Brief  berichtet  von  seiner  ersten  Begeg- 
nung mit  Lotte. 

Was  nun  einsetzt,  ist  ein  Liebesroman,  dessen  psychologi- 
scher Reichtum  sich  vom  Idyllischen,  Humoristischen,  Reizen- 
den bis  zu  dem  finstersten  Abgrund  seelischer  Verführung 
erstreckt,  und  über  dem,  auch  in  seinen  glücklichsten  Augen- 
blicken, von  Anfang  an  die  Schatten  des  Todes  liegen.  Erin- 
nern Sie  sich  an  die  Stelle,  wo  Werther  von  seinem  Verhältnis 
zu  Albert,  dem  Bräutigam,  spricht  und  meint,  das  Wohlwollen, 
dass  dieser  ihm  entgegenbringe,  sei  gewiss  mehr  Lottens  Werk 
als  seine  eigne  Empfindung?  Denn  darin  seien  die  Weiber 
fein:  wenn  sie  zwei  Kerls  in  gutem  Vernehmen  mit  einander 
halten  könen,  ist  der  Vorteil  immer  auf  ihrer  Seite,  so  selten 
es  auch  angeht.  An  dergleichen  denke  ich,  wenn  ich  von 
humoristischen  Pointen  spreche.  Werthers  Gemüt  ist  damals 
noch  frei  genug,  um  in  aller  Umfangenheit  durch  die  Leiden- 
schaft solcher  heiteren  Einblicke  in  die  Diplomatie  "der  Wei- 
ber" im  allgemeinen  fähig  zu  sein.  Aber  gegen  diesen  selben 
Albert,  den  er  Lottes  nicht  für  würdig  halten  kann,  wird  er 
eines  Tages  Todeswünsche  hegen,  die  anfangs  nur  in  dem 
hypothetischen  Gedanken  bestehen:  "Wie,  wenn  er  stürbe," 
um  ihn  schliesslich  an  "Abgründe"  zu  führen,  vor  denen  er 
zurückbebt,  und  die  er  nicht  nennt,  doch  deren  Name  Mord  ist. 

Nicht  nur  der  Hass,  auch  die  Liebe  führt  ihn  an  Abgründe. 
Das  Schicksal  des  unglückselig  liebenden  Bauernburschen,  das 
unheimlich  neben  dem  seinen  herläuft,  drängt  seinem  doch  so 
reinen,  so  vornehm  gewissenhaften  Gemüt  den  Gedanken  der 
Vergewaltigung  auf.  Der  Knecht  ist  vom  Hofe  gejagt  worden, 
weil  er  in  einem  Augenblick  verzweifelter  Leidenschaft  ver- 
sucht hat,  sich  des  Weibes  mit  Gewalt  zu  bemächtigen,  —  eine 
Tollheit,  an  der  sie  nicht  ganz  unschuldig  ist,  da  sie,  bewusst 
oder  unbewusst,  seine  Leidenschaft  durch  ein  halbes  Gewähren, 
durch  kleine  Vertraulichkeiten  genährt  hat.  Und  Lotte.?  Ist 
es  bei  ihr  nicht  dasselbe  ?  Es  ist  in  dem  Buch  eine  Szene,  deren 
gefährliche  Lieblichkeit  etwas  Himmelschreiendes  hat,  und  die 


198  CORONA 

in  Unschuld  gehüllte  Koketterie  charakterisiert,  mit  der  das 
gute  Mädchen  Werthers  Leidenschaft  reizt :  die  Szene  mit  dem 
Kanarienvogel,  von  dessen  Schnäbelchen  sie  sich  vor  seinen 
Augen  küssen  lässt,  den  sie  von  ihren  Lippen  zu  seinen  schickt 
und  dem  sie  mit  dem  lächelnden  Munde  Brosamen  reicht. 
Werther  kehrt  sein  Gesicht  weg.  Sie  sollte  es  nicht  tun !,  denkt 
er;  und  das  denken  allerdings  auch  w^ir,  da  sie  ja  klug  genug 
ist,  um  sich  auf  Werthers  gefährdete  Natur  zu  verstehen  und 
gütig  genug,  um  besorgt  um  sie  zu  sein.  Wenn  sie  ihn  liebt, 
sollte  das  ein  Grund  mehr  für  sie  sein,  ihn  zu  schonen.  Aber 
gerade  die  Liebe  v^^ieder,  die  sie  trotz  ihrer  Treuebindung  an 
Albert  für  ihn  hegt,  verführt  sie  zu  den  "kleinen  Vertraulich- 
keiten," durch  die  jene  Bauernwitwe  den  Knecht  zum  äusser- 
sten  treibt. 

Dass  Lotte  Werthern  liebt,  gibt  der  Roman  auf  die  psycho- 
logisch-pointierende  und  decouvrierende  Weise  zu  verstehen, 
in  der  seine  Technik  besteht,  und  die  mit  ihren  Tiefblicken  ins 
Unterbewusste  etwas  fast  humoristisch  Verräterisches  hat.  Lotte 
fühlt,  dass  es  ihr  furchtbar  schwer  fallen  würde,  Werthern  zu 
verlieren.  Sie  wünscht,  er  möchte  ihr  Bruder  sein,  oder  aber, 
sie  könnte  ihn  mit  einer  ihrer  Freundinnen  verheiraten, 
wodurch  dann  auch  sein  Verhältnis  zum  guten  Albert  ganz 
rein  wiederhergestellt  werden  könnte.  Aber  indem  sie  die 
Freundinnen  der  Reihe  nach  durchgeht,  findet  sie  bei  jeder 
von  ihnen  etwas  auszusetzen,  —  sie  findet  keine,  die  sie  dem 
Freund  gegönnt  hätte.  Der  junge  Dichter  fügt  hinzu:  unter 
solchen  Betrachtungen  habe  Lotte  "tief"  gefühlt,  "ohne  es  sich 
deutlich  zu  machen,"  dass  ihr  heimliches  Verlangen  sei, 
Werther  für  sich  zu  behalten.  Das  hätte  er  in  den  "Wahlver- 
wandtschaften" nicht  mehr  ausgesprochen,  —  an  deren  psycho- 
logische Kunst  solche  Wertherstellen  schon  so  sehr  erinnern. 

Ich  darf  mich  nicht  verlocken  lassen,  aus  dem  Gedränge 
von  Feinheiten  alles  herauszuheben,  was  eines  besonderen 
Hinweises  wert  wäre.  Zu  dem  Kühnsten  gehört  die  Episode 
mit  dem  im  Winter  Blumen  suchenden  Irren,  der  von  einer 
schönen,  einer  glücklichen  und  leichten  Zeit  spricht,  in  der 
ihm  so  wohl  gewesen  sei  wie  dem  Fisch  im  Wasser  —  womit 


GOETHES  WERTHER  199 

er  die  Zeit  meint,  die  er  als  Rasender  im  Tollhause  verbracht 
hat.  Hier  bricht  ein  Neid  auf  die  Vorteile  des  Wahnsinnes 
durch,  der  zu  den  extremsten  seelischen  Äusserungen  des 
Buches  gehört. 

Die  Erörterung  des  Selbstmordgedankens,  der  den  Dichter 
selbst  zur  Wertherzeit  fast  wie  eine  fixe  Idee  beschäftigte, 
nimmt  einen  breiten  Raum  ein.  Werther  verteidigt  die  Tat 
theoretisch  von  Anfang  an,  lange  bevor  der  Entschluss,  sie 
auszuführen,  sich  in  ihm  festsetzt.  Er  v^^ehrt  sich  dagegen, 
dass  sie  als  eine  Tat  der  Schwäche  hingestellt  werde,  denn  er 
will  wahr  haben,  dass  darin  gerade  Menschenstolz  und  freier 
Wille  über  die  Entnervung,  die  das  Leiden  zufügt,  triumphie- 
ren. "Raubt  das  Übel,"  fragt  er,  "das  uns  die  Kräfte  wegzehrt, 
uns  nicht  auch  zugleich  den  Mut,  uns  davon  zu  befreien  ?  Der 
Ehrgeiz,  diesem  Dilemma  nicht  zu  unterliegen,  sich  selber  zu 
beweisen,  dass  seine  Leiden  nicht  fähig  waren,  ihm  den  Mut 
zur  Befreiung  zu  rauben,  wird  als  eine  der  stärksten  Trieb- 
federn zur  Selbstvernichtung  aufgezeigt,  und  man  sieht  hier 
deutlich,  wie  die  zweckmässig-künstlerische  Objektivierung 
von  Gedanken,  die  dem  jungen  Dichter  selbst  hätten  tödlich 
werden  können,  ihre  freie  Verwendung  als  psychologisches 
Hilfs-  und  Verständigungsmittel,  ihm  dienen  muss,  für  seine 
Person  darüber  hinwegzukommen. 

Man  darf  das  soziale  Motiv  nicht  vergessen,  das  Goethe  mit 
aufgenommen  hat,  um  das  Bild  von  Werthers  Lebensekel  voll- 
ständig zu  machen,  den  Klassenkonflikt,  in  den  er  seinen  sen- 
sitiven Helden  zu  der  Zeit  geraten  lässt,  als  er  die  Nähe  Lottens 
geflohen  hat  und  Attache  einer  Gesandtschaft  geworden  ist. 
Sein  Zusammenstoss  mit  der  hochnäsigen  Adelsgesellschaft,  in 
der  er  übrigens  eine  Freundin  hat,  ein  rousseauisch  ange- 
hauchtes Fräulein  von  B.,  welcher  ihr  Stand  zur  Last  ist,  weil 
er  "keinen  der  Wünsche  ihres  Herzens  befriedigt,"  —  dieser 
demütigende  und  aufreizende  Zusammenstoss  mit  der  verhass- 
ten  Klasse  ist  zu  charakteristisch  für  die  historische  Stellung 
des  Buches  und  seine  revolutionäre  Grundtendenz,  als  dass 
auch  die  flüchtigste  Analyse  ihn  übergehen  dürfte.  Napoleon 
hat  den  Zug  beanstandet.  "Warum  habt  Ihr  das  getan.?"  fragte 


200  CORONA 

er  Goethe  während  des  Gespräches  in  Erfurt,  und  Goethe 
scheint  den  Einschlag  sozialer  Revolte  in  die  rein  menschliche 
Liebestragödie  nur  schwach  verteidigt  zu  haben.  Seiner  tu- 
multuösen  Jugend  war  dergleichen  nicht  fremd.  Man  denke 
an  die  wühlende  Prosa-Szene  im.  Faust,  wo  der  unselige  Ver- 
führer Gretchens  gegen  die  gesellschaftliche  Grausamkeit 
wütet,  deren  Opfer  das  gefallene  Mädchen  ist.  Für  die 
Aufführung  in  Weimar  hat  der  Minister  Goethe  diese  Szene 
gestrichen,  und  er  mag  als  konservativer  Olympier  auch  ge- 
niert gewesen  sein  durch  jene  Werther-Episode,  in  welcher  der 
latente,  nur  geistig-seelische  Revolutionarismus  der  Liebes- 
geschichte sozial  manifest  wird.  Es  ist  aber  festzustellen,  dass 
auch  ohne  diese  Zuspitzung  "Werthers  Leiden"  zu  den  Bü- 
chern zu  zählen  wäre,  die  die  französische  Revolution  ange- 
kündigt und  vorbereitet  haben. 

Goethe  hat  dies  zweifellos  auch  gewusst  und  jederzeit  einen 
gewissen  Stolz  darein  gesetzt.  Als  alter  Mann  spricht  er  mit 
einer  Art  von  liebevollem  Schrecken  über  das  Buch.  "Ich 
habe  es,"  sagt  er  1824,"  seit  seinem  Erscheinen  nur  einmal 
wieder  gelesen  und  mich  gehütet,  es  abermals  zu  tun.  Es  sind 
lauter  Brandraketen!  Es  wird  mir  unheimlich  dabei,  und  ich 
fürchte  den  pathologischen  Zustand  wieder  durchzuempfinden, 
aus  dem  es  hervorging." 

Diese  Wieder-Lektüre  hatte  sich  schon  acht  Jahre  früher, 
im  Jahr  18 16  ereignet.  Dasselbe  Jahr  brachte  dem  Siebenund- 
sechzigj ährigen  in  seltsamem  Zusammentreffen  damit  ein 
denkv^öirdiges  —  wenigstens  für  uns  denkwürdiges  —  Wieder- 
sehen persönlicher  Art.  Eine  alte  Dame,  nur  vier  Jahre  jünger 
als  er,  kam  zu  Besuch  nach  Weimar,  wo  eine  ihrer  Schwestern 
verheiratet  war,  und  meldete  sich  bei  ihm  an.  Es  war  Charlotte 
Kestner,  geborene  Bufl,  die  Lotte  von  Wetzlar,  Werthers  Lotte. 
Sie  hatten  einander  vierundvierzig  Jahre  nicht  gesehen.  Sie 
und  ihr  Mann  hatten  damals  unter  der  rücksichtslosen  Bloss- 
stellung,  die  ihre  Verhältnisse  durch  die  Werther-Dichtung 
erfahren,  recht  sehr  gelitten.  Jetzt  aber,  wie  die  Dinge  sich 
entwickelt  hatten,  war  die  gute  Frau  eher  stolz  auf  ihre  Eigen- 
schaft als  Modell  der  Heldin  des  Jugendwerks  eines  so  gross 


GOETHES  WERTHER  201 

gewordenen  Mannes.  Ihr  Erscheinen  in  Weimar  erregte  ein 
Aufsehen,  das  dem  alten  Herrn  keineswegs  lieb  war.  Seine 
Excellenz  lud  die  Frau  Hofrat  zum  Mittagessen  ein  und  be- 
handelte sie  mit  einer  steifen  Courtoisie,  die  sich  in  dem  Briefe 
spiegelt,  den  sie  über  dies  Wiedersehen  an  einen  ihrer  Söhne 
schrieb.  Es  ist  ein  tragikomisches,  menschliches  und  literar- 
historisches Dokument.  "Ich  habe,"  schrieb  sie,  "die  Bekannt- 
schaft eines  alten  Mannes  gemacht,  welcher,  wenn  ich  nicht 
wüsste,  dass  er  Goethe  wäre,  und  auch  dennoch,  keinen  ange- 
nehmen Eindruck  auf  mich  gemacht  hat." 

Ich  meine,  dass  sich  auf  diese  Anekdote  eine  nachdenkliche 
Erzählung,  ja  ein  Roman  gründen  Hesse,  der  über  Gefühl  und 
Dichtung,  über  Würde  und  Verfall  des  Alters  manches  ab- 
handeln und  Anlass  geben  könnte  zu  einem  eindringlichen 
Charakterbilde  Goethes,  ja  des  Genies  überhaupt.  Vielleicht 
findet  sich  der  Dichter,  der  es  unternimmt. 


CLEMENS  BRENTANOS  GESCHICHTE  VOM  BRAVEN 

KASPERL  UND  SCHÖNEN  ANNERL: 

EINE  FORMANALYSE 


m.     ju 


ERNST  FEisE,  The  Johfis  Hopkjns  University 

INE  Untersuchung  der  Erzählungskunst  Brentanos  in 
seiner  Geschichte  vom  braven  Kasperl  und  schönen 
-"  Annerl  mit  genauer  Analyse  ihrer  Formelementc  ist 
noch  nicht  unternommen  worden  und  wird  gerechtfertigt,  wie 
wir  zu  zeigen  hoffen,  durch  die  außergewöhnliche  künstleri- 
sche Höhe  des  Werkes  wie  durch  seinen  vermutlichen  Einfluß 
auf  die  Entwicklung  der  deutschen  Novelle  des  19.  Jahrhun- 
derts. Sie  sollte  beginnen  mit  einer  ausführlichen  Entfaltung 
des  Inhalts  in  chronologischer  Folge,  den  wir  indessen  zur 
Raumersparnis  nur  in  großen  Umrissen  geben  können. 

Der  früheste  Punkt  der  Erzählung  ist  die  Jugend  der  Groß- 
mutter Anna  Margaret,  zur  Zeit,  wo  sie  als  achtzehnjährige 
Magd  an  einem  Maiabend  auf  den  Treppenstufen  des  Hauses 
sitzt,  das  Lied  vom  Jüngsten  Gericht  singt  und  von  ihrem 
späteren  Mann  eine  Rose  erhält.  Die  Familiengeschichte  folgt 
mit  allen  Einzelheiten,  dann  Kaspers  und  Annerls  Jugend, 
Liebschaft  und  verhängnisvolle  Erlebnisse  und  der  Tod  des 
jungen  Soldaten.  Anna  Margaret  erscheint  in  der  Stadt,  trifft 
zusammen  mit  dem  Fähnrich  Grossinger  und  dem  Erzähler 
Brentano,  der  durch  die  Gnade  des  Herzogs  das  Mädchen  zu 
retten  sucht,  aber  nur  den  beiden  Unglücklichen  ein  gemein- 
sames Grab  zu  erwirken  vermag. 

Die  Fülle  des  Details,  die  Brentano  durch  seinen  Aufbau 
bewältigt  und  in  Perspektive  gebracht  hat,  kommt  bei  dieser 
mageren  Inhaltsangabe  nicht  zur  Geltung.  Was  er  davon 
seinen  Quellen  verdankt  und  wie  der  Konzeptionsvorgang  es 


VOM  BRAVEN  KASPERL  203 

verwertet  hat,  können  wir  nur  erschließen  aus  dem  Vergleich 
mit  der  fertigen  Form;  die  Forschung  hat  soweit  nur  Einzel- 
tatsachen peripherischer  Art,  wie  das  Totenlied,  die  Scharf- 
richteranregung, das  Räubermotiv  zu  Tage  gefördert  neben 
vagen  Angaben,  daß  Luise  Hensels  Mutter  von  einem  Kindes- 
mord in  Schlesien  und  dem  Selbstmord  eines  Unteroffiziers 
aus  Ehrgefühl  berichtet  haben  soll/  Am  weitesten  bringt  uns 
noch  immer  die  im  W underhorn  abgedruckte  Volksballade 
"Weltlich  Recht,"^  in  dem  die  "schöne  Nanerl"  den  Joseph 
anklagt,  daß  er  sie  ins  Unglück  gebracht,  da  sie  ihr  Kind 
gemordet,  und  daß  sie  bald  zum  Schandtor  auf  einen  grünen 
Platz  geführt  werde. 

Der  Fähndrich  kam  geritten  und  schwenket  seine  Fahn, 
Halt  still  mit  der  schönen  Nanerl,  ich  bringe  Pardon, 
Fähndrich,  lieber  Fähndrich,  sie  ist  ja  schon  tot: 
Gut  Nacht,  meine  schöne  Nanerl,  deine  Seel  ist  bei  Gott. 

Statt  des  Joseph  im  Liede  tritt  zunächst  bei  Brentano  der 
Fähnrich  in  die  Rolle  des  Verführers  und  wird  auf  diese  Weise 
tragisch  mit  Annerls  Tode  verbunden.  Der  Zug  ihrer  Verzei- 
hung ist  erhalten  geblieben,  ebenfalls  der  Todeswunsch  des 
Mädchens,  der  nun  mit  Rechts-  und  Ehrgefühl  neu  erklärt 
wird.  Daraus  ergibt  sich  indessen  die  Notwendigkeit  einer 
stärkeren  Motivierung  ihrer  Hingabe,  die  zur  Übermotivierung 
führt:  Erstens,  Graf  Grossinger  hat  sich  ihrer  Seele  durch 
Magie  bemächtigt,  da  sie  ein  "unbeschreiblich  edles  Geschöpf 
war"  (54),^  zweitens,  er  hat  ihr  ein  schriftliches  Eheversprechen 
gegeben,  das  sie  verbrannt  hat  (42,  54).  Diese  beiden  Gründe 
deuten  auf  ihr  überstarkes  Ehrgefühl,  negativ  wie  positiv,  d.h. 
sie  fühlt  sich  durch  die  Werbung  eines  Grafen  geehrt,  aber 
ihre  Rechtlichkeit  muß  durch  außerordentliche  Mittel  über- 
wunden werden.  Dazu  kommt  drittens,  daß  sie  oft  an  Melan- 

1.  Siehe  die  Übersicht  in:  "Deutsche  Literatur,"  Sammlung  Hterarischer  Kunst- 
und  Kulturdenkmäler  in  Entwicklungsreihen.  Reihe  Romanti\,  B.  19  (bearbeitet 
von  Andreas  Müller).  Leipzig,  Reclam  1937.  —  Auch:  Max  Preitz  in  der  Einleitung 
seiner  Ausgabe  von  Brentanos  Wer\en  (Bibliographisches  Institut),  B.  I,  S.  339-344. 

2.  In  der  Ausgabe  der  Reclamschen  Universalbibliothe\,  S.  433. 

3.  Ich  zitiere  die  Seitenzahl  nach  der  allgemein  zugänglichen  Ausgabe  der 
Reclamschen  Universalbibliothek. 


204  CORONA 

cholie  gelitten  hat,  die  wahrscheinlich  auf  ihr  Kindheitserlebnis 
mit  dem  Gerichteten  und  dem  Scharfrichterschwert  zurückzu- 
führen ist,  und  viertens,  Grossinger  hat  ihr  den  Tod  Kaspers 
vorgelogen. 

Mit  diesem  Tode  Kaspers  kristallisiert  sich  nun  ein  neuer 
Zug  an  die  Annerl-Fähndrichhandlung,  Der  Joseph  des  Liedes, 
durch  den  vornehmen  Verführer  ersetzt,  ist  freigeworden  und 
an  seine  Stelle  tritt  Kasper  als  der  treue  Liebhaber,  der  wie  sie 
—  darauf  hat  schon  Preitz  hingewiesen  —  in  gesteigertem  weil 
unverschuldetem  Gefühl  verletzter  Ehre  in  den  Tod  gezwun- 
gen wird.  Möglich,  daß  Kasper  ursprünglich  in  der  Rolle  des 
französischen  Soldaten  der  Anekdote,  der  sich  der  von  ihm 
verabreichten  Prügelstrafe  schämt,  den  Tod  erleiden  sollte,  bis 
aus  der  Ballade  der  Räuberverwandten  ein  stärkerer  Zug  sich 
ergab,  die  unverschuldete  Familienschande;  möglich,  daß  erst 
dadurch  die  Geschichte  des  französischen  Soldaten  zur  Episode 
werden  konnte,  über  die  der  Erzähler  sich  die  Frage  vorlegt, 
"ob  ein  Christ  den  Tod  des  Unteroffiziers  schön  finden 
dürfe"  (17). 

Mit  dieser  Betrachtung  des  Erzählers  innerhalb  der  Novelle 
(der  übrigens  als  Träger  der  Gnadenbotschaft  sich  vom  Fähn- 
drich der  Ballade  abspaltet)  kommen  wir  auf  den  Blickpunkt 
des  Ganzen,  der  sich  vielleicht  ganz  einfach  aus  dem  Titel 
"Weltlich  Gericht"  und  seinen  letzten  Worten,  "deine  Seele  ist 
bei  Gott,"  ergeben  hat.  Dem  weltlichen  Gericht,  der  äußeren 
Ehre  vor  den  Menschen,  wird  das  Jüngste  Gericht  gegenüber- 
gestellt, und  hier  liegt  das  innere  Erlebnis  des  Dichters,  das 
sich  am  klarsten  in  der  ergreifenden  und  fast  mythischen 
Gestalt  der  alten  Anne  Margaret  spiegelt.  Sie  ist  eine  Wunsch- 
gestalt Brentanos  in  ihrem  sichern  Gottvertrauen,  die  das  Leben, 
ein  Leben  voll  schlichter  Arbeit,  Pflicht,  Liebe,  Aufopferung, 
aber  voll  tiefster  Erfüllung,  hinter  sich  sieht,  beinahe  zeitlos, 
da  es  sich  immer  wiederholt,  sodaß  ihr  Zeit  wie  Raum  wird,  in 
dem  sie  die  Dinge  ausgebreitet  sieht  und  ihre  Folge  vertauschen 
kann.  So  wird  sie  fast  zu  ihrem  eignen  Patenkinde,  dem  der 
Grossinger  die  Rose  in  den  Schoß  wirft  wie  ihr  Gardegrenadier 
es  vor  siebenzig  Jahren  getan  hat.  So  verwechselt  sie  Hochzeit- 


VOM  BRAVEN  KASPERL  205 

und  Sterbetage,  verwechselt  die  Verwendung  der  immer  wieder 
auftauchenden  Schürze,  die  zweimal  ein  totes  Haupt  bedeckt 
(41,  50,  54),  zum  Symbol  der  Schande  (42),  der  Ehre  (22,  54) 
und  des  Schicksals  (26)  wird  und  zugleich  der  Alten  selbst 
angehört  (7, 10.14, 41).  So  lebt  sie  halb  entrückt  in  einer  andern 
Welt  und  überschaut,  allein  wissend,  die  Geschehnisse,  die 
andern  noch  verborgen  sind,  Annerls  Schande  vor  Kaspers 
Tode,  Kaspers  Tod  vor  Annerls  Ende,  sieht  im  Tod  die 
Bewahrung  vor  größerem  Leide — einen  Eisbrecher  der  Schmer- 
zen, "die  wie  Grundeis  gegen  sie  stürzen"  (37)  —  und  erscheint 
den  Menschen  in  ihrer  Traumhaftigkeit  nicht  entrückt  sondern 
verrückt. 

Unter  dem  Nachthimmel  mit  seinen  Sternen  ist  sie  so 
sicher  wie  daheim.  Der  Taler  ist  ihr  nicht  Geldeswert  sondern 
Münze  für  Hochzeit  oder  Begräbnis  der  Patenkinder.  Sechs 
Meilen  ist  sie  gelaufen  trotz  ihrer  achtundachzig  Jahre  wie  die 
Strecke  ihrer  Lebenswanderung  von  der  Stadt  z  u  der  Stadt ; 
und  wie  sie  einst  am  Abend  vor  der  Schwelle  dieses  Hauses 
(7,  8,  10,  12)  und  dieses  Lebens  saß,  so  sitzt  sie  bereits  auf  der 
Schwelle  jenes  Lebens,  "der  Morgen  wird  bald  anbrechen,  da 
geh'  ich  zu  meinen  Befreundeten.  Wenn  ein  Mensch  fromm 
ist  und  hat  Schicksale  und  kann  beten,  so  kann  er  die  paar 
armen  Stunden  auch  wohl  noch  hinbringen"  (9).  Wie  stark 
dieses  Gefühl  ihrer  Gottesnähe  ist,  bezeugt  die  stete  Wiederkehr 
der  Worte  Gott  und  beten  (zwischen  Seite  7  und  14  allein  10 
und  5  mal)  und  das  später  immer  wiederkehrende  Leitmotiv 
des  Liedes  vom  "Jüngsten  Gericht"  und  des  Leitspruches  "Gib 
Gott  allein  die  Ehre!"  (17,  22,  29,  51).  Sie  verlangt  nicht 
irdische  Gnade  sondern  Gerechtigkeit  und  ein  ehrlich  Grab 
für  die  Toten,  damit  sie  nicht  auf  die  Anatomie  kommen,  son- 
dern mit  heilen  Gliedern  vor  Gott  treten  können  am  Jüngsten 
Gericht  (43): 

Da  sollen  die  Seelen  vor  Gott  bestehn, 
Wann  wir  werden  zum  Himmel  eingehn. 

Von  dieser  Überhandlung  her  wird  nun  die  ganze  Novelle 
komponiert  als  eine  Enthüllung  von  subjektiven  Zusammen- 


2o6  CORONA 

hängen  in  der  Alten,  die  schließlich  aus  der  Traumwelt  in  die 
Wirklichkeit  übergeht,  ein  Werk  des  Dichters  aus  seiner  Zeit 
schwerster  Erschütterung  zwischen  dem  Sommer  1815  (Datum 
post  quem:  "Uhlan  wieder  in  Frankreich")  und  1817  (Veröf- 
fentlichung). Worte  und  Motive  aus  gleichzeitigen  Gedichten 
Brentanos  "An  den  Engel  in  der  Wüste"  (1816)  und  "Einsam 
will  ich  untergehn"  (1817)  (Wüste,  Gnade,  Engel,  Auferstehen, 
Pilger  in  der  Wüste),  klingen  an,  wenn  er  sich  im  Vergleich 
mit  der  Alten  fragt,  ob  er  die  Stadt  garnicht  erreichen,  weg- 
müde schon  im  Sande  vor  dem  Tore  umsinken  und  vielleicht 
gar  in  die  Hände  der  Räuber  fallen  werde  (11).  So  erschafft 
er,  weil  er  sie  ersehnt,  die  tiefstimmige  und  schlichte  Ergeben- 
heit und  Gotteskindschaft  der  alten  Großmutter.  In  seiner 
Doppelrolle  des  Erzählers  außerhalb,  des  Zuhörers  und  Helfers 
innerhalb  der  Geschichte  schämt  er  sich  des  Eckenstehertums 
seiner  Dichterschaft  und  legt  sich  das  ehrlichere  weil  hand- 
griffliche Schreiberhandwerk  bei,  da  ihn  sein  Erlauschen  dieser 
Gottseligkeit  wie  Spionendienst  anmutet  (19).  Mit  tiefer  Ironie 
vergleicht  er  sein  Schriftstellertum  mit  der  überwachsenen 
Gänseleber,  eine  romantische  Ironie  lebensfrömmster  Gestal- 
tung, wie  sie  erst  im  späteren  Jahrhundert  bei  Hofmannsthal, 
Thomas  Mann  und  Schnitzler  wiederkehrt.  Aus  diesen  Ge- 
fühlen seiner  eignen  Fragwürdigkeit  erträumt  er  sich  denn 
eine  gute,  einfach  menschliche  Tat,  die  Rettung  des  armen 
Mädchens,  die  zwar  fehlschlägt,  aber  doch  wenigstens  eine 
andre  moralische  Wirkung  nach  sich  zieht,  auf  den  Herzog 
und  seine  Geliebte. 

Diese  Rahmenhandlung  entfaltet  sich  auf  den  ersten  sieben 
Seiten  (7-14)  und  schließt  dann  am  Ende  der  Erzählung.  Es 
ist  sogar  ein  Doppelrahmen  mit  Doppelfunktion  beider  Ge- 
stalten: Die  Alte  erzählt  Erlebtes  und  greift  wirkend  ein, 
Brentano  ist  Zuhörer,  Helfer  in  der  Handlung  und  endlich 
Erzähler  für  uns.  Wir  werden  gestimmt  auf  schlichte  Volks- 
tümlichkeit und  Gottvertrauen  dadurch,  daß  der  Erzähler 
selbst  von  dem  Zauber  der  alten  Frau  erschüttert  wird,  wenn 
er  sieht,  wie  ihr  das  Leben,  "das  sie  achtundachzigmal  mit 


VOM  BRAVEN  KASPERL  207 

seinen  Jahreszeiten  hatte  zurückkehren  sehen,"  nur  "wie  ein 
Vorsaal  im  Bethause  erschien."  Die  oben  erwähnten  Leitmo- 
tive werden  eingeführt,  das  Räubermotiv  wird  angeschlagen, 
das  für  Kasper  von  Bedeutung  wird,  und  Grossinger  wird  mit 
der  Handlung  verknüpft  dadurch,  daß  er  der  Alten  Taler  und 
Rose  schenkt  und  das  Lied  gern  hätte  von  den  Toten,  das  er, 
wie  wir  später  sehen,  von  Annerl  teilweise  gehört  hat  (13). 
Auch  fallen  in  dem  Halbunsinn  der  Alten  Todesandeutungen 
wie  "Oben  stund  er,  Nun  bergunter,  's  ist  kein  Wunder!" 
sowie  verworrene  Worte  vom  Abschied  des  Enkels  und  einer 
andern  guten  Seele  (14). 

Der  zweite  Teil  (von  17-21,  wiederum  7  Seiten  umfas- 
send) führt  mit  dem  Leitworte  der  Ehre  (iimal)  Kasperl  ein 
in  seiner  Jugend  und  in  seinem  Verhältnis  zu  Vater  und  Stief- 
bruder mit  der  Anekdote  vom  französischen  Unteroffizier.  Die 
Schriftsteller-Schreiberbetrachtung  des  Erzählers  leitet  zur 
Bittschrift  über,  und  das  Totenlied  klingt  am  Ende  von  neuem 
an  (21). 

Im  dritten  Teil  wird  Annerl  von  Kaspers  Ehrbegriff 
erfaßt,  sodaß  sie  sich  etwas  Besonderes  dünkt.  Die  Leitworte 
von  Schürze  und  Zähne,  Menschenehre  und  Gottes wille  (22) 
deuten  vor  auf  ihr  Scharfrichtererlebnis  (38-41)  und  trauriges 
Ende.  Kasper,  heimkehrend  mit  Totenkranz  für  die  Mutter 
und  Ehrenkranz  für  die  Liebste,  muß  wegen  der  Unehre  des 
wundgerittenen  Pferdes  in  der  Mühle  halten,  hat  den  Traum 
von  Tod  und  Grab  und  fällt  den  Räubern  in  die  Hände.  Hier 
steigert  sich  die  Häufigkeit  des  Leitwortes  Ehre  zur  Zahl  15 
und  das  Wort  Grab,  das  soweit  nur  einmal  erwähnt  (8)  und 
einmal  angedeutet  ist  (21),  tritt  i2mal  auf,  Kranz  5mal. 

Der  vierte  Teil  [29-36,  mit  den  Leit Worten  Ehre  (2omal), 
Kranz  (pmal).  Grab  (8mal)]  bringt  die  Entdeckung  der 
Verwandten  als  Räuber  und  den  Selbstmord  Kaspers,  von 
dem  die  Alte  zuerst  annimmt,  er  sei  um  Annerls  willen  ge- 
schehen, deren  Los  Kasper  ja  zum  Trost  der  Großmutter  nicht 
ahnt  (36-37).  Nun  erst  erfährt  die  Großmutter,  ihrer  Erzäh- 
lung nach,  von  der  Familienschande  und  dem  Briefe  Kaspers, 


2o8  CORONA 

der,  weil  er  ein  Selbstmörder  aus  Verzweiflung  und  nicht  aus 
Melancholie  ist,  sich  wohl  um  ein  ehrliches  Grab  gebracht 
hat.  Während  der  Erzählung  brechen  Großmutter  und 
"Schreiber"  auf,  um  die  Bittschrift  zu  verfassen;  letzterer  be- 
sorgt, wie  Annerl  die  Nachricht  aufnehmen  werde,  ohne  vor 
Schrecken  zu  sterben. 

Damit  kommen  wir  im  fünften  Teil  (36-43)  zur  Ge- 
schichte von  der  Hinrichtung  des  Jägers,  des  früheren  Gelieb- 
ten von  Annerls  Mutter,  und  dem  schrecklichen  Erlebnis  des 
Kindes  mit  Scharfrichterschwert  und  Kopf  des  Gerichteten,  an 
das  sich  der  Bericht  von  Verführung  und  Kindesmord  an- 
schließt. Die  Leitworte  sind  Schürze  (imal),  Zähne  (3mal), 
Ehre  (5mal),  Kranz  (imal),  Grab  (3mal).  Das  Totenlied 
klingt  an,  die  Alte  verlangt  Gerechtigkeit  statt  Pardon  und 
hofft  auf  ein  ehrliches  Grab  für  die  beiden,  das  der  Schreiber 
mit  Grossingers  Hilfe  ahnungslos  beim  Herzog  zu  erwirken 
hofft. 

Für  den  sechsten  und  siebenten  Teil,  die  kaum  zu 
trennen  sind  und  sieben  und  fünf  Seiten  umfassen  (43-Ende) 
bleiben  nur  noch  die  Enthüllungen,  daß  Grossinger  der  Ver- 
führer war  und  seine  Schwester  die  Geliebte  des  Herzogs  ist. 
Das  Totenlied  wird  zweimal  erwähnt  (46,  54)  und  sein  Schluß 
gegeben.  Grab  klingt  ab  mit  6,  Ehre  mit  14  Fällen,  dagegen 
finden  wir  mit  Rose  (5mal),  Schleier  (i6mal)  und  Gnade 
(22mal)  das  Schlußmotiv  unterstrichen.  Sie  werden  in  jenem 
völlig  irrationalen  Liede  eingeführt,  das  mit  Worten  ohne 
gedanklich  deutbaren  Sinn  Musik  macht. 

Dies  Ende  ist  zweifellos  der  schwächste  Teil  der  Geschichte. 
Man  hat  das  Gefühl,  daß  hier,  gerade  bei  dem  Liede  und  der 
Fürstung  der  Grossingerin  als  Voil  de  Grace  die  Wortkunst 
Brentanos  sich  überschlägt  und  ins  Spielerische  übergeht  wie 
oft  in  seinen  Märchen;  andrerseits  wirkt  die  Moralität  der 
Bekehrung  des  Herzogs  und  seiner  Maitresse  kalenderhaft 
handgreiflich.  Die  Aufbewahrung  der  Schürze  in  der  Kunst- 
kammer und  das  allegorische  Denkmal  der  falschen  und 
wahren  Ehre  wirken  wie  Ironie,  zumal  der  sanze  letzte  Absatz 


VOM  BRAVEN  KASPERL  209 

im  Zeitungsreporterton  berichtet,  ja  selbst  der  Brief  Grossingers 
nach  Hintertreppe  klingt.  (Ähnlich,  aber  bewußt,  der  Schluß 
der  ersten  Fassung  von  Kellers  Romeo  und  Julia  auf  dem 
Dorfe.)  Es  wäre  besser,  wenn  die  Geschichte  mit  dem  Tode 
der  Alten  und  dem  Amen  des  Liedes  abgeschlossen  hätte.  Was 
hat  ihre  kindlichfromme  Gotteswelt  mit  dieser  Moritatenmoral 
zu  tun,  da  sie  nicht  einmal  Pardon  wollte,  sondern  gerechte 
Menschlichkeit  und  göttliches  Vergeben.  Man  ist  fast  versucht, 
an  gewollte  Ironie  des  Schlusses  zu  glauben  und  möchte  es 
dennoch  dem  Dichter  Brentano  nicht  zumuten. 

Das  Erstaunliche  dieser  Komposition  ist  die  Mischung 
rationaler  und  irrationaler  Elemente,  wie  wir  sie,  z.B.  in  "Der 
Spinnerin  Lied,"  auch  sonst  bei  Brentano  finden,  wo  eine  wahre 
Rechenkunst  mit  Strophenbau,  Wortwiederholung  and  Vokal- 
klang getrieben  wird.'*  Unsere  Sonderung  der  Teile,  sieben  an 
der  Zahl  von  fast  durchweg  gleicher  Länge,  ist  nicht  willkür- 
lich, sondern  wird  von  der  Anordnung  der  Erzählung,  der 
Unterstreichung  der  Motive  durch  Totenlied,  Leitsatz  (Gib 
Gott  allein  die  Ehre!)  und  Leitworte  gestüzt.  In  i  herrschen 
Lied,  Taler  und  Rose  vor,  in  2  wird  das  Wort  Ehre  eingeführt, 
häuft  sich  in  3  und  4,  wo  Kranz  und  Grab  hinzukommen,  in 
6  und  7  überwiegen  Ehre,  Schleier  und  besonders  Gnade.  Die 
Folge  der  Handlung  spiegelt  sich  anders  in  der  Alten  als  im 
Erzähler.  Numerieren  wir  ihre  Teile  von  1-8  (absehend  von 
der  Vorgeschichte  Anne  Margarets,  die  in  i,  und  der  Grossinger- 
handlung, die  in  i  und  7-8  eingeführt  werden),  so  ergibt  sich 
die  folgende  Anordnung: 

Zeitfolge  der  Handlung  gespiegelt  in  der  Alten     im  Schreiber 

1 .  Kaspers  Jugend i  6 

2.  Annerls  Jugend 2  i 

3.  Annerls  Schande 3  4 

4.  Kaspers  Schande 5  5 

5.  Kaspers   Tod 4  2 

6.  Alte  und  Schreiber  am  Anfang 6  3 

7.  Gnade    8  7 

8.  Annerls   Tod 7  8 

4.  Siehe  "Problems  of  Lyric  Form,"  Modern  Language  Notes,  XLIX  (1934),  S. 
397-399- 


210  CORONA 

Dabei  aber  spinnt  sich  über  diese  Dreigliederung  ein  fast  un- 
entwirrbares Netz  des  Ineinanderwebens  von  Vergangenheit, 
Gegenwart  und  Zukunft  durch  Vordeutungen,  Träume, 
RückbUcke,  das  an  NovaUs'  Ofterdingen  erinnert.  Bei  diesem 
ist  es  philosophisch  bedingt  und  stellt  hauptsächlich  eine  An- 
forderung an  das  denkende  Erfassen  des  Lesers,  bei  Brentano 
dagegen  wird  es  zu  einer  stimmungshaften  Erzählertechnik, 
verwurzelt  in  der  Gestalt  der  Alten  und  des  Schreibers  und 
wirkt  zugleich  durch  die  musikalische  Thematik  der  Leit- 
motive, die  wiederum  teils  Stimmungshaft  irrational  (Rose, 
Kranz,  Grab),  teils  begrifflich  rational  (Ehre,  Gnade),  teils 
beides  sind  (Lied,  Zähne,  Schürze).  Die  irrationalen  Züge 
legen  mit  dem  Aberglauben  des  Richtschwerts,  der  Funktion 
der  Schürze,  dem  Auflauern  des  "Feindes"  einen  Schicksals- 
glauben nahe,  welcher  indessen  nur  Stimmungshaft  aufgefaßt 
werden  darf,  denn  die  Verschuldung  der  jungen  Leute  durch 
die  Lockung  veräußerlichter  Ehre  wird  von  der  alten  Anne 
Margaret  wieder  und  wieder  klar  ausgesprochen.  Daher  ist 
auch  das  Ende  der  Geschichte  ein  unorganischer  Zusatz. 

Die  Frage  nach  Herkunft  und  Wirkung  dieser  meister- 
haften und  von  Brentano  so  überraschend  virtuos  ausgebildeten 
Erzählertechnik  kann  hier  nur  als  vorläufig  aufgeworfen 
werden  und  bedarf  einer  Reihe  von  Einzelstudien,  wie  ich  sie 
in  meinen  Aufsätzen  über  Eichendorff,  Meyer  und  Storm 
bereits  begonnen  habe.^  Ansätze  der  Technik  sind  in  E,  T.  A. 
Hoflmann  gegeben,  sowohl  mit  Rahmenerzähler  wie  Leit- 
motiven. Die  nächste  Frucht  nach  Brentanos  Geschichte 
(freilich  ohne  Rahmenerzähler)  ist  dann  Der  Tolle  Invalide 
von  Arnim  (1818).  Das  Netz  der  Beziehungen  von  Vergangen- 
heit, Gegenwart  und  Zukunft,  alle  gesehn  vom  Erzähler  des 
Rahmens,  erscheint  bei  Raabe,  besonders  in  Else  vo7i  der  Tanne 
und  Des  Reiches  Krone,  aber  auch  bei  Meyer  und  Storm. 
Während  außerdem  bei  Meyer  die  Leitmotive  begrifflich  gefaßt 

5.  "Eichendorffs  Marmorbild,"  Germania  Ref.,  XI  (1936),  S.  76-86;  "Eichen- 
dorffs  Aus  dem  Leben  eines  Taugenichts,"  Monatshefte  f.  dt.  Untenicht,  XXVIII 
(1936),  S.  8-16;  "Die  Hochzeit  des  Mönchs  von  C.  F.  Meyer,"  ibid.,  XXX  (1938), 
S.   144-152;   "Theodor   Storms  Aquis  Submersus,"   ibid.,  XXX    (1938),   S.   246-256. 


VOM  BRAVEN  KASPERL  211 

werden  oder  mehr  dinghaft  als  Symbole  (wie:  Amulett,  oder 
Hörn  und  Becher  in  der  Richterin),  so  gehen  sie  bei  Storm 
viel  stärker  noch  als  bei  Brentano  ins  rein  Stimmungshaft- 
Musikalische  über  (z.B.  Nachtigallen,  Mondschein,  Bellen  der 
Bluthunde,  Staub  und  Rauch  und  die  Elemente  in  Aquis  Sub- 
mersus).  Im  Anfang  dieser  Entwicklung  steht  fraglos  Bren- 
tanos Kasperl  und  Annerl. 


SOLGER'S  AESTHETICS— A  KEY  TO  HEGEL 
(IRONY  AND  DIALECTIC) 

GUSTAV  E.  MUELLER,  Univcrsity  of  Oklahoma 


H 


EGEL  WRITES  at  the  end  of  his  long  introduction  to 
the  Philosophy  of  Art  that  Solger's  work  on  aesthetics 
and  his  own  are  in  essential  agreement,  and  regrets  that 
more  attention  is  not  paid  to  Solger.  Hotho,  the  editor  of 
Hegel's  Lectures  on  Aesthetics,  also  points  to  Solger  as  being, 
besides  Schelling,  the  most  important  source  for  the  under- 
standing  of  Hegel's  work.  Hegel's  desire  for  a  more  complete 
appreciation  of  Solger  was  fulfiUed  by  himself,  after  Solger's 
death,  in  an  essay  which  appeared  in  the  Jahrbücher  für 
wissenschaftliche  Kritik^  (1828)  in  the  form  of  a  review  of 
Solger's  nachgelassene  Schriften  und  Briefwechsel,  edited  by 
Ludwig  Tieck  and  Friedrich  von  Raumer.  And  in  the  monu- 
mental Aestheti\  by  the  Hegelian  Fr.  Vischer  there  are 
twenty-nine  important  references  to  Solger  as  an  indispensable 
predecessor  of  Hegel:  "To  Solger  we  owe  the  first  System  of 
aesthetics  from  the  point  of  view  of  objective  idealism."^ 

Yet  Carl  Wilhelm  Ferdinand  Solger  is  now  all  but  un- 
known.  His  principal  work,  Erwin,  Vier  Gespräche  über  das 
Schöne  und  die  Kunst  (1815),  is  a  rare  book,  though  there  was 
a  reprint  of  it  in  1907,  from  which  the  following  quotations  are 
taken.^  He  died,  as  Hegel  writes,  too  early,  before  his  en- 
thusiastic  Impulse  had  matured.  Hegel  mentions  other  reasons 
why  Erwin  has  not  achieved  greater  popularity.  One  of  them 
is,  paradoxically,  that  the  author  was  too  eager  to  be  populär: 

1.  Fr.  Vischer,  AesthetiJ{  (Leipzig,  1846),  I,  39. 

2.  C.  W.  F.  Solger,  Erwin  (Berlin,  1907),  p.  395. 


SOLGER'S  AESTHETICS— A  KEY  TO  HEGEL    213 

he  did  not  trust  the  vitality  of  the  idea  as  such,  he  thought  it 
necessary  to  make  it  vital  by  "talking  down,"  by  dressing  it  up 
in  a  dialogue  form  which  unfortunately  lacks  plasticity;  Hegel 
also  criticizes  the  style  as  too  wordy,  too  repetitious;  the  difler- 
ence  between  beautiful  writing  and  clear  writing  on  the  beau- 
tiful  is  never  observed.  But  its  essential  content  is  weighty,  and 
Hegel  recommends  its  presentation  in  a  brief  and  sober  sum- 
mary.  The  following  pages  attempt  such  a  report.  The  writer 
believes  it  to  be  not  only  useful  as  a  key  to  Hegel,  but  also 
valuable  in  itself. 

Before  we  turn  to  Solger 's  Erwin  let  us  get  acquainted  with 
the  man  in  relation  to  his  time :  He  was  born  the  twenty-eighth 
of  November,  1780.  His  father  was  director  or  chief  official  of 
a  small  State  ("markgräfliche  Kammer").  After  passing  the 
humanistic  Gymnasium  in  Berlin  he  studied  law,  Greek,  and 
Latin  at  the  University  of  Halle;  he  especially  enjoyed  Wolf, 
the  famous  authority  on  Homer.  In  1801  he  went  to  Jena  in 
Order  to  hear  Schelling.  He  also  studied  modern  languages. 
In  1802  he  traveled  through  Switzerland  and  France,  keeping 
an  observant  and  reflective  diary.  In  1803  he  found  a  position 
in  the  Prussian  war  ministry;  during  the  four  years  he  re- 
mained  there  he  published  a  translation  of  Sophocles'  Oedipus 
and  heard  Fichte's  lectures  on  the  Wissenschaftslehre.  He  was 
strongly  impressed  with  this  "logical  discipline"  and  was  stirred 
to  make  comparisons  with  Schelling.  His  own  philosophy  then 
began  to  bud.  In  1806,  after  the  rout  of  the  Prussian  army  at 
Jena,  he  resigned  from  his  position  in  order  to  pursue  his 
scholarly  interests.  For  three  years  he  was  buried  in  his  studies, 
Publishing  some  essays  on  the  relations  of  Greek  literature  to 
philosophy.  In  1808  he  took  his  Ph.D.  and  in  1809  he  became 
Privatdozent  at  the  University  of  Frankfurt.  The  city  of 
Frankfurt  was  so  well  impressed  with  the  young  philosopher 
that  it  oifered  him  the  position  of  mayor  in  18 10.  He  declined 
the  honor  as  interfering  too  much  with  his  philosophical  voca- 
tion.  In  181 1  he  was  called  to  the  newly  founded  University  of 
Berlin,  where  he  remained  as  professor  of  philosophy  (for  a 
few  years  as  coUeague  of  Hegel)  until  his  death  in  18 19. 


214  CORONA 

n 

Vischer  observes^  that  Solger  was  the  first  to  develop  the 
aesthetic  ideas  of  Schelling  into  an  articulated  System.  He 
grasps  the  Standpoint  of  "objective  idealism."  Its  principle  is 
to  think  absolute  unity  in  the  dialectical  synthesis  of  one  and 
other,  of  ideal  form  and  real  content  and  so  forth.  This  con- 
crete  unity  of  necessarily  conflicting  moments  is  present  in 
different  modifications,  in  different  kinds  of  reality.  And  Sol- 
ger follows  Schelling  also  in  thinking  that  aesthetic  reality 
reveals  this  unity  of  opposites  most  perfectly.  Art  renders  this 
unity  apparent  to  sensuous  intuition  and  enjoyment.  A  definite 
and  finite  appearance  presents  a  blessed  and  immaculate  total- 
ity;  it  is  the  symbol  of  a  universe. 

But  Solger  deviates  from  Schelling  in  the  direction  of 
Hegel.  He  feels  that  in  Schelling's  "identity  as  indifference  of 
all  opposites"  the  individual  and  contingent  appearances  van- 
ish  as  a  mere  shadow.  His  whole  thinking  wrestles  with  this 
difficulty  which  threatens  the  objectivity,  the  ontological  valid- 
ity  of  art.  God,  the  absolute,  must  not  become  a  separate  or 
"abstract"  being  apart  from  the  contingent  and  appearing  life 
of  the  moment.  This  moment  itself  must  be  an  essential  ex- 
pression  of  the  absolute  idea.  This  leads  to  Solger's  central 
principle  of  "irony." 

Hegel's  essay  on  Solger  puts  the  principles  as  follows:  "In 
Solger's  philosophy  lives  the  instinct  of  reason :  to  be  aware  and 
to  be  interested  in  the  highest  kinds  of  opposites — and  the 
courage  of  reason:  not  tp  shun  them  or  to  complain  about 
them,  but  to  face  them  unflinchingly  in  all  their  hardness  and 
concreteness — and  the  satisfaction  of  reason:  to  rest  in  nothing 
less  than  their  reconciliation.""^  "Solger's  philosophy  analyzes 
the  absolute  unity  in  thought,  but  it  is  through  this  dialectical 
analysis  that  the  unanalyzable  unity  preserves  itself  in  thought 
as  one  and  the  same."^ 

What  Hegel  misses  is  "merely"  that  Solger  was  not  con- 

3.  Vischer,  op.  eh.,  I,   129. 

4.  Hegel,  Wei-\e  (Stuttgart,  1927),  XX,  163  f. 

5.  Ibid.,  XX,  172. 


SOLGER'S  AESTHETICS— A  KEY  TO  HEGEL    215 

scious  enough  of  the  difference  between  religious  or  artistic 
forms,  in  which  the  dialectical  structure  of  reality  manifests 
itself,  and  the  logical-philosophical  form  in  which  these  differ- 
ent  modifications  of  reaHty  are  thought.  From  this  lack  of 
logical  clarity  confusions  between  art,  reUgion,  and  philosophy 
are  unavoidable. 

We  have  already  noticed  that  Solger  was  strongly  attracted 
by  Fichte.  His  influence  is  seen  in  the  way  in  which  Solger  uses 
the  Fichtean  "activity"  for  his  aesthetics  and  also  in  the  Separa- 
tion and  evaluation  of  ethics  as  contrasted  with  aesthetics :  "Art 
must  produce  something  which  did  not  exist  as  object  prior  to 
its  artistic  presentation;  it  consciously  produces  what  it  plants 
in  the  object,  but  (what  is  so  produced  and  transplanted)  is 
never  given  by  the  objects  as  such,  but  is  generated  by  con- 
sciousness.  In  presenting  our  thoughts  in  external  objects  we 
act. 

But  Solger  knows  that  this  action  is  not  moral  action  which 
always  remains  in  the  tension  between  what  is  and  what  ought 
to  be.  Moral  action  perpetuates  this  tension  in  which  the  moral 
subject  has  its  life  and  being,  while  aesthetic  "action"  merely 
presents  this  very  tension  in  the  quiet  and  blessed  mirror  of 
appearance.  The  struggle  with  the  material  which  is  to  be 
transformed  into  such  an  image  of  the  idea,  is  not  to  be  con- 
fused  with  "real  action." 

Solger  acknowledges,  therefore,  a  genuine  conflict  between 
the  ethical  and  the  aesthetic  interest:  "Goodness  lies  in  the 
activity  of  will.  What  is  produced,  what  becomes  appearance, 
is  worth  nothing  to  it.  Its  pure,  divine  notion  lies  in  the 
actuality,  not  in  the  presentation  of  action." 

The  brilliant  Romantic  group  in  Berlin  also  drew  Solger 
into  its  circle.  He  shared  their  cult  of  friendship:  "There  is  no 
firm  ground  of  reality  outside  of  friendship."  This  aesthetic 
and  literary  group  was  dominated  by  the  idea  of  "Romantic 
irony,"  made  current  by  Friedrich  Schlegel  and  Solger's  inti- 
mate  friend,  the  poet  Tieck.  Schlegel's  Romantic  irony  was 
derived  from  a  grotesque  misinterpretation  of  Fichte.  The 
World  was  conceived  as  the  subjective  reflection  or  projection  of 


2i6  CORONA 

an  arbitrary  and  sovereign  "I,"  which  would  play  with  its 
mood.  To  put  yourself  in  any  desired  mood  ("sich  selber 
stimmen")  was  the  sign  that  you  were  beyond  all  objective 
Contents  and  values.  This  self-mirroring,  "aesthetic"  play  and 
nihilism  found  its  most  powerful  expression  later  in  the  early 
writings  of  Kierkegaard.  Solger  is  at  times  not  untainted,  when 
he  writes  on  its  "excellent  nonsense  and  wonderful  foolishness." 
But  in  his  Erwin  he  clearly  draws  the  line.  What  he  calls  irony 
is  not  to  be  confounded  "with  that  vile  disregard  of  everything 
which  is  of  essential  and  serious  concern  to  man,  this  vain 
attempt  to  escape  the  complete  duality  of  his  nature." 

III 

The  following  pages  review  and  endorse  the  main  phil- 
osophical  contents  of  Erwin. 

At  the  opening  two  friends  are  enjoying  a  stroll  through 
an  idyllic  vale.  The  view  "invites  a  feeling  of  comfort  and 
sufficiency  inexplicably  one  with  a  feeling  of  melancholy  and 
longing."  This  second  moment  is  always  present  in  aesthetic 
experience,  while  the  first  varies:  instead  of  the  calm  serenity 
here,  we  might  be  incited  instead  to  violent  activity  amidst 
ruins  of  wild  and  rugged  mountains.  Nature  always  touches 
strings  in  our  souls,  yet  our  sympathy  with  nature,  our  longing 
for  identity  with  her,  is  never  quite  satisfied. 

On  this  discrepancy  in  all  aesthetic  experience  let  us  philoso- 
phize  together.  Philosophical  conversation  enlightens  a  com- 
mon experience  and  transforms  appearance  into  thought. 

On  the  one  band  beauty  is  experienced  as  whoUy  present, 
immanent,  as  one  with  what  appears;  as  such  it  evokes  our 
responsive  chords  in  us,  absorbs  our  interests  and  our  feelings. 
In  distinction  from  practical-moral  satisfaction,  aesthetic  love 
is  identical  with  its  joy  in  colors  and  shapes,  proportions  and 
rhythms.  Longing  with  its  satisfaction  is  not  separate  and  par- 
tial,  as  in  practical  affairs,  but  a  unity:  a  fusion.  We  strive  to 
identify  ourselves  with  what  appears  outside  of  us,  and  this 
striving  seems  fulfiUed  by  its  sheer  presence.  Aesthetic  love 
completely  embraces  its  embodiment;  it  is  the  soul  entering  its 


SOLGER'S  AESTHETICS— A  KEY  TO  HEGEL    217 

own  embodied  appearance.  The  soul  is  the  completed  idea  of 
its  body,  and  the  body  appears  as  completed  soul.  Both  are  one 
in  one  act.  There  is  no  Separation  o£  object  and  idea,  no  logical 
judgment.  Sense-appearance  and  self-identification  with  an- 
other  are  strangely,  paradoxically  one;  possible  because  appear- 
ance is  only  appearance,  pure  image,  shared  in  our  Imagination, 
losing  its  earthly  opaqueness. 

But  against  this  immanent  beauty  Stands  the  transcendent 
experience  of  a  unity  beyond  this  transient  appearance.  Ap- 
pearance does  not  suffice ;  it  appears — which  also  means  it  van- 
ishes.  At  its  bebest,  therefore,  not  in  it,  is  the  bliss  of  beauty 
kindled.  Appearances  of  this  world  of  several  senses  are 
ciphers,  hieroglyphic  signs,  signals,  revealing  an  unity  persever- 
ing  serenely  beyond  the  passing  show:  the  ideal  survives  its 
death,  divine,  unconditional,  simple.  That  is  why  it  touches  us 
with  a  shudder,  as  if  Coming  from  another,  a  better  world.  Its 
existence  reminds  us,  is  reminiscence,  "Ahnung,"  of  what  it 
never  quite  realizes.  Therefore  the  painful  and  sweet  obsession 
to  create,  that  insatiable  stir,  drives  us  from  creation  to  new 
creation,  horrible  chasms  of  emptiness  and  despair  in  between. 
Such  experience  deprives  us  of  our  common,  our  ordinary  cer- 
tainties,  challenges  the  importance  of  the  ordinary  stufT  of  our 
existence.  "Das  Schöne  ist  nichts  als  des  Schrecklichen  An- 
fang," as  Rilke  puts  it. 

Where  should  we  resolve  this  conflict  unless  in  ourselves? 
The  World  of  appearances,  surely,  does  not  in  its  own  tongue 
proclaim  itself  to  be  what  it  means  to  us.  We  must  find  the 
grounds  for  what  it  means  to  us  in  ourselves. 

Passion  espouses  and  Imagination  engenders  images.  Erotic 
sensuality  furnishes  an  ever  renewed  change,  invites  empathy. 
Without  this  sense-material  the  physical  world  would  be  deaf 
and  mute  aesthetically.  On  the  other  band,  there  is  "Geist," 
spirit:  it  demands  logical  clarity  and  order,  posits  unity  and 
stability;  it  means,  it  demands,  eternity  in  its  images;  such  a 
demand  can  never  be  granted,  can  never  be  given  in  what 
chaotic  urges  ("Triebe")  present  us  with,  but  neither  can  such 
a  demand  be  met  by  the  abstract  classifications  of  particular 


2i8  CORONA 

Sciences.  Their  general  rules,  while  they  depend  on  the  present, 
given  stuflf  of  sense-experience,  at  the  same  time  leave  indi- 
vidual  events  and  situations  outside  of  themselves;  scientific 
laws  are  nets  through  whose  wide  meshes  individual  appear- 
ances  slip  unnoticed, 

But  the  demand  of  "Geist"  f>ersists.  We  postulate  unity  in 
the  image  itself,  its  own  unity,  unity  in  and  of  appearance; 
unity,  eternal  meaning  of  life  living  out  of  itself,  is  feit  by  the 
individual  (in  whom  life  alone  is  actual)  as  its  own  self- 
affirmation,  operative  in  and  through  all  its  functions,  animat- 
ing  its  w^hole  existence:  Solger  calls  it  the  concrete  universal 
("konkreter  Begriff"). 

This,  Solger  explains,  is  nothing  but  the  classical  formula 
of  Greek  aesthetics  of  unity  in  the  manifold.  The  sense- 
appetites  are  the  many  to  which  nature  appears  as  relative, 
provisional,  in  momentary  and  empirical  configurations  and 
constellations  called  "things,"  arbitrary  units,  pleasing  to  a 
sensuous  taste  only.  But  these  things  can  also  be  taken  as  if 
they  had  their  own  unity,  as  if  they  were  founded  in  an  abso- 
lute reality,  expressing  its  nature,  its  eternal  and  living  mean- 
ing. As  such  each  thing  becomes  a  complete  individual  having 
a  unity  and  identity  whereby  "it  is  what  it  is  and  whereto  its 
different  aspects  in  Space  and  time  must  agree,  harmonize  .  .  . 
this  unity  is  merely  the  completed  manifold,  the  manifold  is 
merely  the  developed  unity."  The  concrete  universal  is  unity 
inseparable  from  its  manifold  self-manifestation  in  time.  And 
such  a  thing  is  beautiful.  Aesthetic  experience,  therefore,  is  in 
contrast  not  only  with  a  merely  sensuous  experience,  with  which 
the  vulgär  confuse  it,  but  also  with  the  general  abstractions 
or  mere  possibilities  of  scientific  rules.  Every  beautiful  appear- 
ance is  a  steady  continuity  of  contrasting  sides,  such  as  lines 
and  curves,  tensions  and  relaxations.  The  whole  of  a  beautiful 
appearance,  most  transparent  as  a  work  of  art,  is  a  universal 
connection  and  movement  returning  upon  itself;  every  moment 
in  it  has  its  own  life  and  is  at  the  same  time  completely  deter- 
mined  by  the  unity  which  is  the  soul  of  the  whole. 

The  conflicting  views  on  beauty,  from  which  we  started. 


SOLGER'S  AESTHETICS— A  KEY  TO  HEGEL    219 

can  now  be  seen  as  necessary  aspects  of  the  dual  life,  revealing 
itself  as  one  and  the  same  in  beauty:  the  sublime  aspect  is 
founded  in  the  spiritual  meaning,  universal  unity,  appearing 
to  sense ;  the  beautifid  is  this  same  appearance  of  meaning  seen 
as  complete  in  itself.  Aesthetic  reality  always  has  both  sides; 
there  can  be  no  sublime  which  is  not  also  beautiful  appearance, 
no  work  of  beauty  which  is  not  also  sublime.  Negatively, 
beauty  can  be  neither  apprehended  by  the  senses  nor  by  reason, 
but  must  affect  both  our  heart  and  our  will  and  reason.  It  is  a 
matter  of  emphasis:  in  the  sublime  the  idea  is  seen  in  move- 
ment, breaking  into  this  world  of  sense,  a  fanfare  announcing 
its  insufficiency,  the  lightning  stroke  of  eternity;  in  the  beauti- 
ful the  idea  has  gained  a  dignified  presence,  touching  in  its 
fragility  and  tenderness. 

But  the  complete  harmony  of  these  two  sides  is  never  to 
replace  the  ethical  energy  of  life  itself.  Life  remains  torn, 
oppositional.  Particular  situations  are  the  condition  for  a  life 
of  action;  what  is  and  what  ought  to  be  or  what  may  be, 
possibility  and  actuality  are  one  and  the  same  life  only  in  their 
tension  as  tension.  This  ethical  effort  and  care  remains  the 
supreme  real  value  of  existence.  Beauty  does  not  replace  it;  it 
emerges,  remains  discontinuous,  a  ray  of  paradise.  It  must  not, 
because  of  its  own  blessedness,  be  misunderstood  or  misinter- 
preted  as  symbol  of,  or  preparation  for,  the  good.  Aesthetic  peace 
and  harmony  is  radically  other  than  a  moral  life,  which  pre- 
serves  its  existence  in  caring  for  the  future  and  remembering, 
not  without  remorse  and  penitence,  its  past.  Aesthetic  reality 
is  ungrateful  for  its  preparatory  labors;  it  disdains  evolution; 
beauty  leaps  into  existence  like  Athene  from  the  head  of  Zeus. 

Aesthetic  reality  and  ethical  reality  are  both  real,  because 
they  both  represent  a  unity  of  opposites.  As  such  a  dialectical 
synthesis  they  both  point  out,  reveal  what  reality  is.  Art  creates 
a  mythical  cycle  of  Images  and  a  temporal  succession  of  sym- 
bolic  lif e-stories ;  in  so  doing  it  reveals  itself,  it  becomes  one 
great  symbol  of  the  absolute  and  one  reality  of  life;  ethical  life 
has  its  orientation  in  a  moral  law  of  unity  and  self-consistency, 
with  which  it  is  never  one,  but  which  also  points  beyond  to 


2:20  CORONA 

that  absolute  and  unbroken  unity  of  life  which  lives  through 

and  in  that  moral  struggle,   Philosophy  is  neither,  but  must 

think  both  impartially,  must  have  its  life  of  participation  in  all 

sides  of  existence. 

rv 

The  second  conversation  deals  with  "the  lot  of  the  beautiful 
on  this  earth."  Beauty  is  defined  as  the  "unity  of  essence  and 
appearance  in  appearance."  It  is  "living  idea":  individual 
things  and  events  mean  more  than  they  seem.  They  do  not 
remain  fleeting,  singular  transitions,  but  they  reveal  concrete 
unity,  while  at  the  same  time  they  remain  just  those  transitory 
and  humble  things  that  they  were  before  the  magic  torch  of 
beauty  made  them  luminous.  "And  it  is  just  this  that  makes 
their  beholding  so  pathetic,  that  they  are  so  transitive  and  yet 
vessels  of  the  eternal."  We  are  not  sad  because  we  see  passing 
things  pass,  but  it  is  infinitely  sad  to  see  that  this  mortality  is 
an  ingredient  function  of  the  idea  itself;  because  beauty  in- 
cludes  appearance,  it  therefore  subjects  itself  to  the  lot  of  all 
earthly  creatures,  to  the  brutal  march  of  fate.  This  is  the 
ground  of  that  melancholy  which  we  noticed  in  all  aesthetic 
experience.  It  is  incomprehensible  why  the  idea  of  an  eternal 
universe  should  needs  reveal  itself  in  the  fragile  vase  in  my 
hand.  Works  of  art  are  born  to  live  apart  from  life;  they  are 
made  to  live  in  their  dead  existence,  We  are  touched  by  this 
miracle  of  art  and  have  no  access  to  the  comprehension  of  this 
paradox.  Beauty  reveals  itself,  and  no  ordinary  way  of  sense- 
experience  or  of  moral  effect  leads  to  it.  Aesthetic  intuition, 
Wesenschau,  receives  this  living  death  or  dead  life,  lives  in  it, 
knows  itself  opposed  to  all  other  kinds  of  knowledge. 

Since  the  aesthetic  idea  comprehends  both  the  idea  of  a 
universe  and  the  existence  of  the  fragmentary  and  contingent, 
it  also  must  include  all  the  ordinary  laws  governing  the  knowl- 
edge and  the  existence  of  fragmentary  and  contingent  expe- 
riences.  From  the  artist's  point  of  view,  this  duality  is  feit  as 
the  miraculous  and  lucky  instant,  when  the  idea  lights  upon 
an  ordinary  experience  and  transforms  it  into  a  fitting  or  ex- 
pressive material.  To  him  also  this  sudden  meeting  of  idea  and 


SOLGER'S  AESTHETICS— A  KEY  TO  HEGEL    221 

contingent  material  or  experience  comes  as  a  stroke.  He  does 
what  philosophy  comprehends  as  incomprehensible. 

How  does  he  do  it?  How  does  he  marry  his  living  idea 
with  a  dead  externality?  For  his  imagination,  creative  phan- 
tasy  or  intuition,  the  dead  stuf!  begins  to  grow  with  this  same 
imagination  that  is  in  him.  Appearance  is  transfigured;  it 
becomes  appearance  of  this  essential  unity.  Imagination  at  once 
recognizes  itself  as  one  in  the  thing  and  in  itself,  and  imagina- 
tion sees  itself  unfolding  as  process,  as  objective  process. 
Imagination  is  heard  in  tones,  seen  in  colors,  but  at  the  same 
time  it  also  keeps  remembering  that  the  thing  is  only  a  thing, 
that  appearance  qua  appearance  is  also  not  one  with  the  imag- 
ination which  is,  on  the  other  band,  inseparable  from  just  this 
piece  of  stone  or  clay.  Imagination  is  dialectical. 

And  from  this  double-faced  aesthetic  reality-process  can  be 
understood  the  two  great  aesthetic  forces:  humor  and  tragedy. 
All  things  aesthetic  balance  between  tears  and  smiles. 

Laughter  is  like  a  refreshing  dew  from  heaven.  It  emanci- 
pates  US  from  the  meanness  of  our  miserable  existence  but  also 
from  the  tiring  battle  for  higher  ends.  Even  the  most  miserable 
existence  is  seen  by  humor  to  have  a  power  over  the  ideal ;  for 
malicious  souls  this  fact  is  ground  for  satirical  leering,  but  for 
better  souls  it  is  at  the  same  time  the  opposite,  namely,  that  even 
the  most  miserable  existence  is  not  devoid  of  a  reconciling  part 
in  beauty.  This  is  the  laughter  of  the  blessed  gods  when  they 
behold  the  earthly  spectacle,  their  divine  comedy.  "Since  we 
know  the  temporal  and  fugitive  to  be  one  with  the  essential, 
we  can  laugh  over  our  temporal  nothingness." 

Tragic,  serious  art  is  one  with  the  humorous.  The  low, 
Comic  contradictions  of  existence  are  at  the  same  time  tragic, 
because  they  show  man  in  his  degradation.  And  the  tragic 
hero  is  close  to  the  ridiculous  because  of  the  importance  he 
ascribes  to  himself.  The  idea  is  drawn  into  the  contradictions 
and  oppositions  of  life,  but  in  our  annihilation  we  find  the 
absolute  meaning  and  affirmation  of  tragedy.  Natural  necessity 
and  Spiritual  freedom  are  balanced.  The  idea  of  unity  and  har- 
mony  is  estranged,  is  broken  by  contingencies,  but  these  con- 


222  CORONA 

tingencies  are  at  the  same  time  affirmed  to  be  essential  to  the 
idea  itself. 

Tragic  and  comic  are,  like  the  beautiful  and  the  subhme  in 
our  first  conversation,  matters  of  emphasis,  opposites  belonging 
to  the  same  essential  aesthetic  unity  of  transcendence  and  im- 
manence,  ideality  and  existentiaHty. 

"Beauty  is  the  reconciHation  of  this  contradiction.  But  with 
all  other  appearance  also  its  appearance  must  sink  into  nothing. 
This  bitterness,  oh  friends,  overwhelms  everyone  with  intense 
and  mighty  sorrow,  not  to  be  healed  or  dissipated  by  other 
goods.  Because  it  is  not  stirred  up  by  the  destruction  of  par- 
ticular  things,  nay  not  even  through  the  destruction  of  this 
earth  itself,  but  through  the  impotence  of  the  idea,  which  be- 
comes  by  its  very  realization  subject  to  the  common  fate  of  all 
mortal  things.  But  each  time  a  whole  god-inspired  world  per- 
ishes.  This  is  the  true  lot  of  the  beautiful  on  earth  .  .  .  through 
which  destruction,  however,  it  is  made  clearer  than  ever  how 
this  death  is  one  and  the  same  with  the  eternal." 


The  third  conversation  several  times  hints  at  the  relation  of 
art  and  philosophy.  Art  must  be  truthful,  true  to  that  life 
which  philosophy  thinks.  Philosophy  cannot  think  its  uni- 
verse  if  it  does  not  contain  the  aesthetic  vision  of  things.  The 
aesthetic  vision  of  a  completed  unity,  present  in  the  symbol  of 
art,  is  constitutive  of  that  universe  which  philosophy  means. 
Philosophy  could  not  be  true  to  its  own  goal  if  it  did  not  con- 
tain the  aesthetic  world-view;  the  philosopher  must  also  be 
artist  in  order  to  be  himself.  The  concrete  universal  of  art 
must  be  thought  dialectically. 

"The  essential  notion  of  philosophy  must  correspond  to  a 
total  and  actual  being.  The  existence  of  things  must  express 
this  identity  as  creative  life."  The  identity  of  thought  and 
being  is  existential  in  art.  Art  presents  things  as  a  divine  lan- 
guage,  where  becoming  and  result,  creative  activity  of  the 
Imagination  and  the  finished  work,  are  one  and  inseparable. 
The  work  has  the  same  extension  and  the  same  content  as  its 


SOLGER'S  AESTHETICS— A  KEY  TO  HEGEL    223 

own  producing  activity.  Unlike  the  abstract  concepts  of  scien- 
tific classifications  the  more  comprehensive  work  of  aesthetic 
intuition  also  requires  more  details  which  it  does  not  only 
subsume,  but  by  which  it  grows.  Imaginative  apprehension  or 
intuition  is  identical  with  living  this  life  of  the  work.  This  is 
the  "inner  form,"  the  self-assurance  (Selbstbeglaubigung)  of  the 
work,  which  cannot  be  learned  or  taught,  in  distinction  from 
the  external,  technical  form  which  can  be  learned  and  taught. 
We  cannot  compare  the  work  with  a  world  or  with  some 
experiences  outside  of  itself,  in  order  to  find  it  convincing  or 
legitimate;  neither  can  we  find  the  criterion  for  its  reality  in 
some  private  reactions,  emotions,  responses  aroused  in  ourselves 
by  it.  Private  feelings  may  accompany  it,  may  be  associated 
with  it,  but  they  are  only  by-products;  to  make  them  essential 
is  the  sure  sign  of  amateurishness.  Finally,  we  cannot  compare 
the  work  with  the  idea  of  beauty,  because  the  aesthetic  idea  is 
not,  like  an  abstract  class  of  logical  Classification,  outside  of  its 
singular,  unique  crystallization.  "This  is  the  truthfulness  of 
art,  that  the  true  idea  appears  to  the  artist  always  in  the  present 
gestalt;  he  cannot  choose  it,  it  cannot  exist  outside  and  inde- 
pendent  from  himself,  it  is  at  once  outside  of  him  and  inside 
of  him."  The  real  work  of  art  is  a  universe  of  its  own  creation. 
The  prototype  of  such  a  creation  is  language  as  poetic  language. 
It  expresses  nothing  but  the  universe  as  becoming  event  in  this 
hour;  it  expresses  its  own  creativity  in  creating  a  world-symbol 
to  behold.  ^        ' 

The  poetic  language  is  the  mother  of  all  art.  It  is  the 
"logos"  become  flesh.  It  testifies  to  the  truth  of  philosophy, 
which  thinks  precisely  this  paradox  of  a  logical  unity  which 
is  also  existential.  Seen  as  such  a  testimony,  art  serves  as  token 
of  philosophical  truth. 

But  truth  is  disliked.  Many  people  would  prefer  to  separate 
truth  and  beauty,  philosophy  and  art.  They  would  prefer  to 
treat  art  as  a  psychological  curiosity,  as  amusement  classifiable 
like  other  objects.  Why  this  resentment? 

"The  more  they  feel  that  there  is  something  in  them  which 
belongs  to  this  divine  reality,  the  more  disquieted  they  get :  they 


224  CORONA 

try  to  exorcize  it,  because  their  ugly  nature  is  ashamed  and 
filled  with  the  most  bitter  envy.  This  conflict  is  possible,  be- 
cause humankind  is  attached  to  existence,  which  is  both  profane 
and  holy.  True  art  would  not  live  in  the  holy  world,  if  the 
profane  world  did  not  oflfer  resistance.  .  .  .  It  is  through  this 
limitation  that  Imagination  is  made  fertile  and  so  can  become 
the  mother  of  all  art.  No  art  could  reach  reality,  if  the  stream 
of  imagination  were  not  obstructed  by  the  particularities  of  the 
common  world. 

"This  is  the  great  and  infinite  and  insurmountable  secret, 
that  two  natures  dwell  in  us,  the  eternal  and  the  temporal, 
which  cannot  be  without  each  other  and  yet  must  be  entirely 
antagonistic.  This  drives  man  to  desperation  or  to  insolent  con- 
tention  on  his  own  merits.  In  this  confusion  and  ruination  art 
Steps  in,  not  however  to  cancel  the  enigma  as  an  illusion,  but  to 
reinforce  it  by  showing  the  inner  truth  of  this  relationship,  in 
which  showing  the  enigma  is  dissolved  in  itself.  Not  where 
contradiction  is  done  away  with,  and  not  where  harmony  is 
utterly  disrupted,  but  where  harmony  and  disruption  are  one 
and  the  same,  there  this  wonderful  art  dwells."^ 

The  meaning  of  art  is  to  reveal  life  in  symbolic  and  external 
forms;  thereby  life  does  not  lose  all  its  essential  conflicts  and 
contradictions,  but  mirrors  them.  And  in  the  mirrors  of  ap- 
pearance  the  conflict  of  life  loses  its  immediacy.  It  is  saved 
from  itself  by  being  revealed  to  itself. 

VI 

The  fourth  conversation  deals  with  the  arts  systematically 
and  historically.  The  arts  are  different  because  the  one  aesthetic 
idea  is  worked  into  different  materials  or  media.  The  arts  are 
like  the  colors  produced  by  a  prism  breaking  a  ray  of  light. 

The  history  of  arts  is  the  history  of  styles.  Solger  enters  the 
discussion  of  Schelling  and  the  Romantic  movement  concern- 
ing  the  difference  of  classic  and  romantic,  typical  and  charac- 
teristic,  ancient  and  modern.    These  historical  differences  of 

6.  Erwin,  p.  255. 


SOLGER'S  AESTHETICS— A  KEY  TO  HEGEL    225 

style  are  dependent  on  the  depth  o£  truth  man  has  achieved 
in  his  world-view.  But  since  the  aesthetic  idea,  being  in  becom- 
ing,  is  always  present,  the  style-diflferences  are  relative;  they  are 
moments  of  the  living  totality,  matters  of  emphasis.  It  would 
neither  be  possible  to  have  merely  the  general  type,  without 
individual-sensuous  features,  and  it  would  equally  be  impos- 
sible  to  have  a  w^ork  that  is  nothing  but  characteristic  and 
vi^hich  w^ould  not  be  essential  or  typical  for  all  life. 

Solger  is  the  classical  philosopher  of  irony.  We  have  already 
noticed  that  romantic  irony  is  based  on  an  absolute  individual- 
ism,  psychological  subjectivism,  and  that  Solger  defends  his 
own  concept  of  irony  against  this  mere  play  w^ith  moods.  Such 
fireworks  leave  substantial  interests  unsatisfied  and  lead  to  an 
empty  yearning  resulting  from  being  bored.  The  conversation 
turns  frequently  to  this  problem  and  tries  to  preserve  irony  as 
a  central  and  final  aesthetic  principle. 

Irony  destroys  empty  and  formal  ideals,  w^hich  have  no 
pow^er  to  master  realities.  This  comic  irony  lends  a  seeming 
life  to  unserious  pretensions  and  explodes  them.  It  becomes 
false  w^hen  it  overshoots  its  mark,  when  it  destroys  real  values 
by  pointing  to  the  ordinary  v^orld-course  as  a  proof  that  none 
of  them  can  maintain  themselves.  In  the  comic  annihilation  of 
empty  pretensions  lies  not  only  the  temptation  to  generalize  this 
experience,  but  also  the  beginning  of  the  tragic  irony:  The 
tragic  movement  is  a  self-annihilating,  self-contradictory  move- 
ment unknown  to  the  tragic  agent  himself.  He  believes  that  he 
furthers  his  ends  v^hich  in  reality  lead  to  his  destruction. 

The  Comic  and  the  tragic  irony,  even  the  false,  exaggerated 
irony,  point  to  irony  as  a  universal  principle  of  art.  It  is  the 
courage  to  face  ideals  in  their  worldly  fate:  to  exist  at  their 
peril.  "Whoever  cannot  summon  that  courage  is  lost  to  all  art." 

"The  idea  grov^s  through  the  mediation  of  the  artistic 
genius.  It  does  not  only  appear  in  temporal  and  transitory 
things,  but  it  becomes  them.  It  is  nothing  apart  from  these 
embodiments.  And  since  apart  from  the  idea  nothing  truly  is, 
annihilation  has  become  one  M^ith  the  idea  itself,  and  so  vs^e 
suffer  rightly  when  we  see  the  most  elevating  and  noble  ideals 


226  CORONA 

dissipated  through  their  necessary  earthly  existence.  We  can 
find  the  fault  for  this  in  nothing  eise — it  is  the  perfection  of 
art  itself  which  also  demands  its  finitude.  The  merely  tem- 
poral and  earthly  never  dies;  it  is  kept  in  existence  through  a 
continuous  change  and  renewal  of  its  parts.  On  the  contrary 
the  moment  of  transition,  in  which  the  idea  posits  its  own 
destruction,  is  the  seat  of  art.  Here  the  spirit  of  the  artist  must 
collect  all  contradictions  in  one  point,  and  this  all-comprehend- 
ing,  all-destroying  glance  we  call  irony."^ 

This  irony  is  the  most  fundamental  term  of  Solger's  aesthet- 
ics.  It  corresponds  to  Hegel's  distinction  between  mere  natural, 
cyclical  change  and  the  dramatic-ethical  struggle  of  the  spirit 
with  itself  and  with  his  world.  What  Solger  sees  as  principle 
of  irony  in  aesthetics,  Hegel  calls  dicdectic,  the  logic  of  phil- 
osophy,  comprising  the  aesthetic  irony  as  an  aspect  of  its  truth. 
In  Solger's  irony  the  aesthetic  consciousness  is  described  as 
mediating  seriousness  and  humor,  creation  and  enjoyment,  ex- 
ternality  and  inwardness.  It  expresses  the  hovering,  floating, 
soaring  of  aesthetic  experience. 

It  is  a  rebirth  of  the  Piatonic  Eros,  the  daemon  of  philosophy 
and  art,  spanning  heaven  and  earth,  powerful  and  impotent, 
replenished  and  longing  at  the  same  time. 

VII 

Irony  expresses  the  opposite  of  what  it  means.  This  obvious 
fact  is  developed  in  the  several  ironical  forms  of  art.  The 
ironical  style,  in  turn,  is  the  occasion  for  developing  irony  as  a 
fundamental  aesthetic  principle,  basic  to  all  art,  because  all  art 
is  a  unity  of  opposites,  all  art  uses  a  sensuous  surface  to  express 
more  than  a  sensuous  surface  can  legitimately  stand  for.  In 
this  sense  of  an  aesthetic  principle  Solger's  irony  corresponds  to 
what  Hegel  calls  dialectic.  As  principle  of  ironic  style  it  cor- 
responds to  what  Hegel  calls  modern  or  romantic  art  as  op- 
posed  to  the  classical:  the  latter  treats  the  sensuous  appearance 
as  sufficient  to  embrace  and  to  express  the  whole  vision  of  life, 
while  the  former  feels  appearance  as  inadequate  and  neverthe- 

7.  Erwtn,  p.  387. 


SOLGER'S  AESTHETICS— A  KEY  TO  HEGEL    227 

less  unavoidable;  the  classical  or  serious,  non-ironical  art 
thereby  is  seen  as  embodying  irony  in  the  first  sense  as  universal 
aesthetic  principle,  but  not  explicitly  in  the  second  sense  as  a 
consciousness  of  the  appearance  as  insufficient. 

Solger 's  irony  is  a  key  to  dialectical  idealism  and  to  its 
terminology:  the  "concrete  universal"  is  the  immanence  of  an 
intellectual  unity  in  an  appearing  individual,  which  exhibits 
the  type  to  w^hich  it  belongs  and  v^^hich  unfolds  its  nature  in  a 
manifold  of  qualities  and  situations.  The  "identity  of  process 
and  reality"  is  seen  in  the  identity  of  imagination  with  the 
structure  of  gestalt  of  the  perfected  work  of  art. 

Hegel  sums  up  his  relation  to  Solger's  system  as  foUov^s: 
"Solger  w^as  not  .  .  .  satisfied  w^ith  a  superficial  philosophical 
culture,  but  his  genuine  speculative  mind  feit  compelled  to  dig 
down  to  the  depth  of  philosophy.  There  he  found  the  dialec- 
tical structure  of  the  idea,  the  point  w^hich  I  call  absolute  neg- 
ativity,  i.e.,  the  activity  of  the  idea  to  negate  itself  as  infinite 
and  universal,  to  posit  itself  through  its  negation  as  finite  and 
Singular,  but  likevi^ise  to  cancel  again  this  self-negation  and 
thereby  restore  the  universal  and  infinite  meaning  in  the  par- 
ticular  and  finite,  .  .  .  This  dialectical  unrest  .  .  .  however,  is 
only  one  moment  of  the  idea,  not  the  idea  as  a  whole."^ 

8.  Wer\e,  XII,  105. 


ADALBERT  STIFTER  UND  DER  NACHSOMMER 

WOLFGANG  PAULSEN,  SoUthtVeStCm 

I.  Das  sublimierte  Erlebnis 

DAS  WERK  STIFTERS  ist  von  einer  einzigartigen  Ge- 
schlossenheit. Als  ein  in  sich  Fertiges  steht  es  da,  voller 
Entwicklung  und  doch  scheinbar  ohne  Anfänge.  Als 
Stifter  zur  Feder  griff,  war  er  ein  gereifter  Mann,  und  die 
entscheidenden  Jugenderlebnisse  lagen  hinter  ihm.  In  der 
Geschichte  seiner  Dichtung  gibt  es  daher  keine  Frühwerke  im 
üblichen  Sinne  des  Wortes,  und  obgleich  wir  in  den  ersten 
Erzählungen  schon  hier  und  da  Spuren  finden,  die  in  die 
vordichterische  Erlebnisweit  zurückführen,  so  müssen  wir  uns 
doch  für  deren  dichterische  Bewältigung  allein  an  den  'Nach- 
sommer halten.  Abgesehen  von  den  wenigen  Jugendbriefen 
Stifters,  die  auf  uns  gekommen  sind,  und  die  uns  unmittelbar 
jenen  Stifter  zeigen,  den  er  selbst  im  jungen  Risach  geschildert 
hat,  sind  alle  Selbstzeugnisse  über  die  Periode  seiner  Entwick- 
lung Risachsche  "Rückblicke." 

In  diesen  "Rückblicken"  aber  geschieht  nun  das  Sonder- 
bare, dass  der  alte  Stifter  sich  vom  jungen  nicht  nur  in  jeder 
Hinsicht  distanziert,  sondern  mehr  noch:  dass  er  auf  eine 
geradezu  unbarmherzige  Weise  über  ihn  zu  Gericht  sitzt.  Wie 
Risach  erkennt  er  seine  Jugend  als  eine  einzige,  grosse  Ver- 
fehlung. Und  wenn  irgendwo  dem  in  religiösen  Dingen  so 
wortkargen  Stifter  der  Nachsommer-Zeit  doch  religiöse  Äu- 
sserungen unterlaufen,  so  ist  es  hier,  wo  die  eigene  Jugend  als 
sündhaft  und  schuldvoll  hingestellt  wird.  Auf  dieser  Haltung 
den  entscheidenden  Jugenderlebnissen  gegenüber  beruht  der 
ganze  Nachsommer,  der  nichts  anderes  ist  als  ein  Zustand 


STIFTER  UND  DER  NACHSOMMER  229 

der  Busse  für  die  Verirrungen  der  Jugend.  Er  ist  eine  Busse 
und  zugleich  schon  eine  Belohnung,  eine  Belohnung  nämlich 
für  die  willig  hingenommene  Bestrafung  der  am  Anfang 
stehenden  Sünde.  Diese  Sünde  aber  ist  Leidenschaftlichkeit, 
ungöttliche  Formlosigkeit. 

Dass  die  Liebesgeschichte  Risach-Mathilde,  die  im  Mittel- 
punkt des  Romanes  steht,  im  höchsten  Masse  autobiographisch 
ist,^  dafür  zeugen  schon  äusserlich  die  Redewendungen  in  der 
Ablehnung  Risachs  durch  Mathildes  Mutter:  beinahe  wörtlich 
finden  sie  sich  in  dem  Bericht  der  Stifterschen  Jugendbriefe 
über  die  entsprechende  Szene  Stifters  mit  Fannys  Mutter 
wieder.  Wenn  daher  Risach  erkennt,  dass  er  sich  schuldig 
gemacht  hat,  so  ist  diese  Erkenntnis  Stifters  eigene  Erkenntnis. 
Wir  aber  müssen  uns  fragen,  wo  in  dieser  ersten,  stürmischen 
Liebeserfahrung  die  Schuld  liegen  kann,  denn  dass  Liebe  an 
sich  nicht  Schuld  ist  in  Stifters  Augen,  das  geht  aus  den 
Anschauungen  auf  jeder  Seite  seines  Werkes  hervor.  Aber 
selbst  wenn  man  diese  allgemeine  Tendenz  in  Stifters  Dich- 
tung nicht  in  Betracht  ziehen  will,  so  müsste  schon  das  dem 
Risach-Mathilde-Erlebnis  motivisch  entgegengesetzte  Hein- 
rich-Natalie-Erlebnis  auf  den  wesentlichen  Punkt  hinweisen: 
nicht  die  Liebe  ist  Schuld,  sondern  die  Art  ihrer  Hinnahme, 
die  moralische  Unsicherheit,  mit  der  Stifter-Risach  ihre  Liebe 
zur  Leidenschaft  erniedrigten.  Und  Stifters  Jugendbriefe 
sprechen  denn  auch  von  nichts  eindringlicher  als  von  dieser 
erschütternden  Unsicherheit. 

Aus  Unsicherheit  verstiess  er  gegen  das  oberste  Gesetz  der 
Offenheit  und  Ehrlichkeit,  und  zerstörte  damit  das  reine,  von 
Gott  gesetzte  Verhältnis  von  Mensch  zu  Mensch.  Dass  dieses 

I.  Das  Urteil  der  Stifterforschung  über  den  autobiographischen  Charakter  des 
Nachsommer  ist  noch  immer  sonderbar  geteilt.  Obgleich  A.  Hein  {Adalbert  Stifter, 
sein  Leben  und  sein  Werl{,  Prag,  1904)  und  Franz  Hüller  (in  der  Einleitung  zu  B.  6 
der  Sämtlichen  Wer\e,  Prag,  1921)  bereits  hinreichendes  Material  zusammengetragen 
haben,  lehnt  noch  D.  Sieber  {Stifters  Nachsommer,  Jena,  1927,  bes.  S.  77)  solche 
Parallelen  ab,  wie  ähnlich  schon  R.  M.  Meyer,  "Adalbert  Stifters  Nachsommer,"  in 
Die  Zeit,  Wien,  1903,  Nrs.  435  und  436.  —  Ebenso  unbegreiflich  ist  es,  warum  (nach 
A.  von  Grolman,  Adalbert  Stifters  Romane,  Halle,  1926,  S.  49)  die  Ästhetik  des 
Nachsommer  nicht  mit  Stifters  privaten  ästhetischen  Anschauungen  identisch  sein  soll. 


230  CORONA 

Problem  des  Kindesgehorsams  nie  aus  Stifters  Gedanken- 
bereich geschwunden  ist,  beweist,  wie  tief  diese  Störung  von 
Stifter  selbst  empfunden  wurde.  In  beinahe  jeder  seiner 
Erzählungen  und  Romane  nimmt  er  Gelegenheit,  dieses 
Thema  ausdrücklich  wieder  aufzunehmen;  es  ist  für  die 
geistige  Struktur  Stifters  ebenso  bedeutsam  wie  das  Problem 
der  Kinderlosigkeit. 

Ein  Verstoss  gegen  die  Ehrlichkeit  ist  daher  ein  Verstoss 
gegen  die  göttliche  Weltordnung,  er  ist  nicht  nur  ein  Fehler 
sondern  eine  Sünde.  Damit,  dass  Stifter-Risach  sich  nicht 
blindlings  dazu  verstehen,  ihre  Liebe  zu  bekennen,  deuteln  sie 
an  der  Sinnhaftigkeit  göttlicher  Ordnung,  und  dieses  Deuteln 
ist  Schuld.  Die  Formlosigkeit  der  Schwäche  ist  in  ihnen 
stärker  als  die  Form  des  religiös-ethischen  Gesetzes,  sie  ist  der 
Ausdruck  ihrer  menschlichen  Unsicherheit  dem  Gesetz  des 
Lebens  gegenüber. 

Stifter  scheiterte  also  in  seinem  Fanny-Erlebnis  nicht  an 
den  Umständen,  sondern  vor  allem  an  seiner  eigenen  Natur. 
Er  hat  "wegen  seiner  Widersetzlichkeit  gegen  die  Forderungen 
der  bürgerlichen  Welt""  Fanny  verloren,  nur  dass  das  Wort 
"bürgerlich"  nicht  in  seinen  irdischen  Bezügen  allein  verstan- 
den werden  darf.  Sein  Verhältnis  zur  Welt,  zur  diesseitigen 
und  daher  auch  zur  jenseitigen  Welt,  war  von  allem  Anfang 
an  gestört.  Das,  was  späterhin  seinen  Kritikern  als  "Resigna- 
tion" erscheinen  mochte,  das  "Biedermeierliche"  seines  Wesens, 
liegt  also  schon  vor  dem  die  angebliche  Resignation  verursa- 
chenden "Schock."^  Die  tiefe  und  nachhaltende  Bedeutung  des 

2.  Otto  Pouzar,  in  seinem  vorzüglichen  Buche  Ideen  und  Probleme  in  Ad  albert 
Stifters  Dichtungen,  Reichenberg  i.B.,  1928,  S.  12. 

3.  Mit  der  Biedermeier-Forschung  kann  sich  diese  Arbeit  nur  indirekt  ausein- 
andersetzen. Dass  der  Begriff  "Biedermeier"  nicht  auf  Stifter  angewandt  werden  kann, 
geht  aus  den  folgenden  Ausführungen  hervor.  —  Ich  nenne  hier  nur  die  wichtigsten 
Beiträge  zur  Biedermeierliteratur:  Wilhelm  Bietak,  "Vom  Wesen  des  österreichischen 
Biedermeier  und  seiner  Dichtung,"  D.  V.  S.,  1931.  —  Derselbe:  Das  Lebensgefühl 
des  Biedermeier  in  der  österreichischen  Dichtung,  Wien-Leipzig,  1931.  —  Derselbe: 
"Zwischen  Romantik,  Jungem  Deutschland  und  Realismus,  eine  Literatur-  und  Pro- 
blemschau vom  Standpunkt  der  Biedermeierforschung,"  D.  V.  S.,  1935,  Heft  i. — 
Paul  Kluckhohn,  "Biedermeier  als  literarische  Epochenbezeichnung,"  D.  V.  S.,  1935, 
Heft  I.  —  Günther  Weidt,  "Literarisches  Biedermeier,"  D.  V.  S.,  1931.  —  Derselbe: 
"Literarisches  Biedermeier  II,  Die  überindividuellen  Ordnungen,"  D.  V.  S.,  1935, 
Heft  I.  —  R.  Majut,  "Das  deutsche  Biedermeier,"  Germ.  Rom.  Mon.-Schr.,  XX,  1932. 


STIFTER  UND  DER  NACHSOMMER  231 

Fanny-Erlebnisses  beruhte  für  Stifter  vor  allem  darin,  diese 
Lebensunsicherheit  einmalig  und  tragisch  hervorgekehrt  zu 
haben.  Als  Erlebnis  hat  es  ihn  in  den  Wurzeln  seiner  Existenz 
getroffen.  Man  könnte  sogar  sagen,  dass  er  sich  selbst  in  seiner 
Liebe  mehr  erlebt  hat  als  den  geliebten  Gegenstand,  Fanny. 

Als  Stifter  seine  ersten  Erzählungen  konzipierte,  v^^ar  er 
schon  auf  dem  Wege  der  Selbstkorrektion.  Rein  formal 
gesehen  äussert  sich  das  darin,  dass  er  tatsächlich  schon  in 
seinen  ersten  Schriften  im  Begriff  ist,  das  formlos  Romantische 
zu  überwinden  und  nach  der  festen  Form  zu  streben,  w^ie  er  sie 
religiös  in  der  Kirche  und  literarisch  in  der  deutschen  Klassik 
vorfand.  Von  Stufe  zu  Stufe  w^ird  dieser  Vorgang  sichtbarer.* 
Es  ist  eine  im  wahren  Sinne  des  Wortes  klassische  Selbstüber- 
windung und  Entsagung,  die  er  zu  üben  hatte,  da  jeder  Schritt 
zur  Formgewinnung  gegen  den  eigentlichen  Stifter  zu  gesche- 
hen hatte.  Das  Gesetz,  das  im  nachsommerlichen  Rosenhaus 
gelebt  wird,  ist  die  sichtbar  gewordene  Überwindung  der  Will- 
kür, die  Korrektur  der  Leidenschaft,  an  der  Stifter-Risach 
gescheitert  waren. 

An  dieser  Stelle  liegt  der  Ausgangspunkt  für  jede  Deutung 
Stifters.  Denn  dass  der  Begriff  "klassische  Entsagung"  an  sich 
nicht  ausreicht,  wird  bei  genauerem  Zusehen  deutlich.  Entsa- 
gung hat  für  Stifter  nicht  nur  einen  ästhetischen,  sondern  vor 
allem  einen  religiösen  Wert,  da  der  Formlosigkeit  im  Äusseren 
die  Sündhaftigkeit  im  Inneren  entspricht.  Aus  diesem  Grunde 
konnte  er  die  Formlosigkeit  auch  nicht  von  aussen  her  korri- 
gieren, konnte  er  seine  Form  nicht  in  Griechenland  oder  in 
der  Philosophie  suchen.  In  ganz  christlichem  Sinne  bestand 
seine  Wandlung  vielmehr  in  einer  Umwertung  der  ursprüng- 
lichen Sünde  selbst,  in  der  Sublimierung  der  Leidenschaft  in 
Liebe. 

Liebe  ist  daher  die  Grundlage  der  Stifterschen  Klassik. 
Alles  in  Stifters  Werk  ist  von  dieser  Liebe  getragen,  einer 
grenzenlosen,  sich  in  jeden  Bereich  des  Lebens  ergiessenden 
Liebe,  und  selbst  die  pedantische  Sammelwut,  das  Züchten  und 
Kultivieren  des  Kleinsten  und  Unscheinbarsten  ist  ja  nichts 

4.  Vergl.  dazu  vor  allem  Sieber,  a.a.O.,  S.  26  ff.  und  Pouzar,  a.a.O. 


232  CORONA 

anderes  als  im  wahren  Sinne  des  Wortes  "Liebhaberei,"  Liebe 
wird  im  Nachsommer  wie  im  Witiko  tm  der  allein  mög- 
lichen humanen  Haltung,  gerade  weil  es  eine  völlig  unsinnliche 
Liebe  ist,  eine  unleidenschaftliche  Liebe.  Der  Weg  aus  der 
Leidenschaft  zur  Liebe  ist  der  Weg  aus  der  Sünde  in  die  Erlö- 
sung, aus  der  Schuld  in  die  Reinigung,  aus  dem  Un-mensch- 
lichen  in  das  Menschliche  —  und  daher  in  das  Göttliche.  Stif- 
ter selbst  hat  diese  Beziehungen  im  "Nachsommer"  aufgedeckt 
und  analysiert:  "Wenn  wir  hier  alle  Dinge  ausschliessen,  die 
nur  den  Körper  oder  das  Tierische  des  Menschen  betreffen  und 
befriedigen,  und  deren  andauerndes  Begehren  mit  Hinwegset- 
zung alles  andern  wir  mit  dem  Namen  Leidenschaft  bezeichnen, 
weshalb  es  denn  nichts  Falscheres  geben  kann,  als  wenn  man 
von  edlen  Leidenschaften  spricht,  und  wenn  wir  als  Gegen- 
stände höchsten  Strebens  nur  das  Edelste  des  Menschen 
nennen:  so  dürfte  alles  Drängen  nach  solchen  Gegenständen 
vielleicht  nicht  mit  Unrecht  nur  mit  einem  Namen  zu  be- 
nennen sein,  mit  Liebe.  Lieben  als  unbedingte  Werthaltung 
mit  unbedingter  Hinneigung  kann  man  nur  das  Göttliche 
oder  eigentlich  nur  Gott;  aber  da  uns  Gott  für  irdisches  Fühlen 
zu  unerreichbar  ist,  kann  Liebe  zu  ihm  nur  Anbetung  sein, 
und  er  gab  uns  für  die  Liebe  auf  Erden  Teile  des  Göttlichen 
in  verschiedenen  Gestalten,  denen  wir  uns  zuneigen  können." 
Die  Gleichsetzung  von  "körperlich"  und  "tierisch"  deutet 
dabei  an,  woher  Stifter  die  sittliche  Kraft  zu  dieser  Korrek- 
tion nahm:  aus  der  uralten  mönchisch-mittelalterlichen  Ge- 
ringschätzung des  Körpers. 

II.  Lebensgesetz  und  episches  Gesetz 

Die  Welt  des  "Nachsommer"  ist  von  einer  rätselhaften 
Klarheit,  von  einer  überweltlichen  Sonnenhaf  tigkeit.  Ihre  Wirk- 
lichkeit scheint  nicht  unsere  Wirklichkeit  zu  sein.  Wie  eine 
Kuppel  ist  sie  über  den  Alltag  gespannt:  denn  die  Architektur 
einer  Kuppel  ist  erst  dadurch  möglich,  dass  die  Wölbung  in 
einem  bestimmten  Verhältnis  zu  dem  Untergrund  steht,  der  sie 
trägt.  Für  das  Verständnis  der  Kuppelstruktur  ist  der  Grund- 
riss  ebenso  wichtig  wie  die  Wölbung. 


STIFTER  UND  DER  NACHSOMMER  233 

Ebenso  verhält  sich  die  Wirklichkeit  des  Nachsommer 
zum  alltäglichen  Dasein;  sie  ist  kein  unrealer,  weltfremder 
Traum,  und  nirgendwo  wird  sie  zum  Märchen.^  Der  grund- 
sätzliche Unterschied  zwischen  dem  Märchen  und  der  Nach- 
sommer-Dichtung liegt  in  ihrem  Verhältnis  zum  absoluten 
Gesetz,  in  welcher  Form  auch  immer  es  auftritt.  Denn  wäh- 
rend der  Nachsommer  das  Gesetz  der  Humanität  sucht  und 
als  Fiktion  antizipiert,  will  das  Märchen  gerade  vom  Zwang 
des  Gesetzes,  das  in  seinem  Fall  das  Naturgesetz  ist,  erlösen 
und  eine  nur  in  der  Phantasie  mögliche,  absolute  Gesetzlosig- 
keit aufbauen.  Während  der  Nachsommer  einen  Welttraum 
schafft,  begnügt  sich  das  Märchen  mit  einer  Traumwelt. 

Es  ist  aber  der  Sinn  eines  jeden  Bildungsromans,  aus  der 
Realität  fort  in  eine  höhere,  vorbildliche  Sphäre  des  Mensch- 
lichen zu  führen,  eine  Welt  zu  erträumen,  in  der  der  zu  bil- 
dende Mensch  seine  wahre  und  ideale  Bestimmung  wirklich 
erfüllt.  Der  Weg  des  Bildungsromans  ist  deswegen  immer  ein 
Weg  von  unten  nach  oben,  aus  dem  Ungeist  in  den  Geist,  er 
ist  notwendig  ein  Entwicklungsroman,  in  dem  der  Held  sich 
harmonisch  entfaltet.  Seine  Entwicklung  ist  planvoll  und  ge- 
setzmässig,  sei  es  nun,  dass  das  Gesetz  in  das  Innere  des  Helden 
selbst  oder  in  eine  oder  mehrere  vorbildliche  Gestalten  nach 
aussen  verlegt  wird.  Die  Gesellschaft  vom  Turm  im  Wilhelm 
Meister  und  das  Rosenhaus  im  Nachsommer  sind  nichts  als 
solche  Verkörperungen  des  Gesetzes,  nach  denen  der  Held 
sich  immerfort  auszurichten  vermag. 

Es  ist  daher  nicht  richtig,  dass  das  Leben  im  Nachsom- 
mer dem  Werden  der  Zeit  nicht  unterworfen  sei,  dass  seine 
Menschen  von  allem  Anfang  an  fertig  dastünden.  Risach,  die 
Zentralfigur  des  Buches,  hat  eine  höchst  bewegte  Geschichte 
hinter  sich,  und  diese  Geschichte  hat  ihn  geformt  und  aus  dem 
Menschen  der  Leidenschaft  zu  dem  der  Liebe  gemacht.  Dass 
sein  Werden  nur  rückschauend  in  die  Handlung  des  Buches 
eingeflochten  ist,  hat  rein  technische  Gründe.  Aber  auch  Hein- 

5.  So  sieht  es  noch  D.  Sieber  (a.a.O.,  S.  47):  "Der  Asperhof  ist  eine  beste  Welt, 
ein  Paradies  auf  Erden,  ein  Schlaraffenland  für  einen  Ästheten,  ein  Märchenreich." 
—  Ähnlich  von  Grolman  (a.a.O.),  S.  31. 


234  CORONA 

rieh  Drendorf  ist  am  Ende  des  Romans  nicht  mehr  der,  der  er 
am  Anfang  war;  seine  Geschichte  ist  die  Geschichte  eines 
unreifen  Menschen,  den  ein  sicherer  Instinkt  und  eine  einge- 
borene Ahnung  für  die  wesentlichen  Werte  von  Stufe  zu  Stufe 
führen,  bis  er  am  Ende  jene  Weltoflenheit  erreicht  hat,  die  die 
Vorbedingung  ist  für  jede  schöpferische  Tätigkeit.  Er  wird 
hingeführt  bis  zu  dem  Punkt,  an  dem  er  aus  einem  Lernenden 
zu  einem  Handelnden  wird,  wenn  auch  sein  Werk  selbst  nicht 
mehr  in  den  Rahmen  der  Handlung  gehört.  Gradweise  wird 
ein  Bereich  nach  dem  andern  in  seinen  Gesichtskreis  gezogen, 
zuerst  die  Natur,  dann  der  Mensch  und  als  Letztes  die  Kunst 
in  all  ihren  Formen.  Die  Harmonie,  der  er  zustrebt,  ist  die 
wechselseitige  Durchdringung  dieser  drei  irdischen  Sphären 
auf  der  Grundlage  des  göttlich-humanen  Gesetzes. 

Die  Welt  des  Nachsommer  steht  deswegen  nicht  ausser- 
halb der  Natur,  sondern  ist  die  Natur  in  ihrem  Idealzustand, 
sie  ist  ihre  Abstraktion,  ebenso  wie  die  Urpflanze  die  Abstrak- 
tion der  natürlichen  Pflanze  ist,  die  Zurückführung  auf  den 
Kern  des  geistigen  und  natürlichen  Gesetzes.  Vollendete  Form 
und  Ordnung  sind  die  Merkmale  dieses  Gesetzes,  das  aber 
nicht  das  ehern  ausser-menschliche  Gesetz  Hebbelschen  Schick- 
sals ist,  sondern  das  frei  gewollte  Gesetz  der  Humanität,  das 
gute  Gesetz,  das  "sanfte  Gesetz."^  Alles  Zerstörende,  das 
Prinzip  des  Bösen,  wird  durch  dieses  Gesetz  in  Schach  ge- 
halten, und  so  wie  die  Vögel  im  Rosenhaus  gepflegt  und  ange- 
lockt werden,  um  die  Raupenplage  von  den  Gewächsen 
fortzuhalten,  so  ist  das  Gesetz  in  allem  und  jedem  auf  die 
aufbauende,  positive  Tat  und  nicht  auf  Verbot  gestützt. 

Reinlichkeit  im  Inneren  und  Äusseren  verleiht  der  Natur 
auf  diese  Weise  einen  parkartigen  und  ihren  Menschen  einen 
statuenhaften  Glanz.  Aber  es  ist  zu  bedenken,  dass  dieser  Park 
keine  Grenzen  kennt,  dass  er  nicht  utopisches  Bereich  bleibt, 
sondern  unmerklich  in  die  Felder  und  Wiesen  der  Umgebung 
sich  ausdehnt,  dass  er  als  Möglichkeit  überall  vorhanden  ist. 
Nur  dem  Uneingeweihten,  wie  dem  jungen  Heinrich,  der  zum 

6.  Stifter  hat  die  Natur  des  "sanften  Gesetzes"  programmatisch  im  Vorwort  zu 
den  Bunten  Steinen  aufgezeigt. 


STIFTER  UND  DER  NACHSOMMER  235 

ersten  Mal  vor  das  Rosenhaus  tritt,  erscheint  dessen  Vorder- 
front wirklich  als  Front,  die  gegen  die  Aussenwelt  gerichtet 
ist  und  das  dahinter  Verborgene  schützt;  dem  aber,  der  wirk- 
lich verlangt,  in  die  Innenwelt  des  Rosenhauses  eingelassen 
zu  werden,  öffnet  sich  das  elaborierte  Torsystem  beinahe 
automatisch. 

Das  Rosenhaus  ist  als  dichterische  Erfindung  —  trotz  aller 
scheinbaren  Vorbilder  —  ausserordentlich  stifterisch.  Schon  vor 
dem  Nachsommer  finden  sich  ähnlich  abgeschiedene  Be- 
zirke in  den  Erzählungen  Stifters,  obgleich  ihre  Symbolhaftig- 
keit  erst  hier  voll  ausgeschöpft  worden  ist.  Die  Waldinsel  im 
"Hochwald,"  die  Klosterinsel  im  "Hagestolz,"  ja  selbst  die 
Szenerie  in  "Brigitta"  und  im  "Abdias"  sind  ganz  ähnlich  von 
der  umliegenden  Welt  abgeschlossen.  Das  aber  unterscheidet 
alle  diese  Plätze  vom  Rosenhaus,  dass  sie  lediglich  Zuflucht- 
stätten sind,  auf  die  sich  die  müde  gehetzten  Gestalten  zurück- 
gezogen haben,  nachdem  sie  auf  ihre  Weise  nicht  mit  der 
Realität  fertig  geworden  sind.  Es  sind,  wenn  man  will,  bieder- 
meierliche Schutzanlagen,  Verstecke,  in  denen  der  Mensch  nur 
noch  auf  den  Ausgang  des  Lebens  wartet,  Plätze  der  Hoff- 
nungslosigkeit und  der  Resignation.  Nur  in  der  "Brigitta" 
liegen  die  Dinge  schon  andeutungsweise  ähnlich  wie  im  Rosen- 
haus, da  hier  die  Zuflucht  zur  aktiven,  insgeheim  schöp- 
ferischen, verborgen  faustischen  Tat  verwendet  wird.  Brigitta 
ist  eine  jugendliche  und  temperamentvolle  Schwester  Risachs. 

Im  Rosenhaus  dann  hat  Stifter  die  Vorzeichen  gänzlich 
umgekehrt,  hier  hat  er  eine  Stätte  geschaffen,  zu  der  der  gute 
Mensch  sich  nicht  resignierend  zurückzieht,  sondern  sich  in 
ununterbrochener  Schulung  auf  die  Tat  vorbereitet,  mit  der  er 
die  Wirklichkeit  umgestalten  wird.  Hier  gewinnt  er  zwar 
nicht  direkt  neues  Land  für  eine  im  Räume  bedrängte  Mensch- 
heit, wie  der  Faust  des  2.  Teils  es  tut,  aber  doch  indirekt,  indem 
er  altes  Kulturgut  systematisch  bewahrt  und  dem  Feldbau,  als 
der  vornehmsten  menschlichen  Betätigung,  neue  Wege  in  die 
Zukunft  weist.  In  der  Welt  des  "sanften  Gesetzes"  hat  alles 
seinen  Zweck  und  seinen  Sinn,  sodass  im  planmässigen, 
harmonischen  Zusammenwirken  der  Individuen  das  höchste 


236  CORONA 

geleistet  werden  kann.  Was  als  biedermeierliche  Resignation 
erscheinen  könnte,  ist  in  Wirklichkeit  die  Konzentration  aller 
Energien  auf  das  eine  grosse  Ziel:  die  alles  umspannende,  gött- 
lich-menschliche Kultur. 

Das  Gesetz  des  Rosenhauses  ist  daher  nicht  blosse  ästhe- 
tische Spielerei,  es  ist  in  keiner  Weise  un-real,  sondern  besten- 
falls über-real.  Obgleich  die  Verteilung  von  Licht  und  Schatten 
einseitig  zugunsten  des  Lichtes  vorgenommen  zu  sein  scheint, 
liegt  doch  das  Licht  über  einem  Untergrund  von  Schatten, 
dem  Grunderlebnis  tragischer  Gesetzlosigkeit.  Und  gerade 
dieses  Grunderlebnis  deckt  sich  vollkommen  mit  dem  auto- 
biographischen Charakter  des  Buches,  w^ährend  der  lichtvolle 
Überbau  nur  dessen  dichterische  Lösung,  seine  Sublimierung 
darstellt. 

Die  Natur  des  zentralen  Gesetzes  w^ird  völlig  deutlich,  wenn 
wir  den  Nachsommer,  dieses  Werk  der  Mitte  im  Schaffen 
Stifters,  auf  das  Wirken  des  Formprinzips  hin  untersuchen. 
Als  Ganzes  betrachtet  setzt  sich  seine  künstlerische  Einheit 
aus  zwei  übereinander  lagernden  Schichten  zusammen,  den 
Lebensbereichen  Heinrichs  und  Risachs.  In  beiden  Schichten 
herrscht  —  wie  ähnlich  in  den  Schichten  des  Witi]{0  —  ein 
eigentümliches  Miteinander  von  Entwicklung  und  Stillstand. 
Denn  wenn  es  auch  scheinen  möchte,  als  ob  im  Nachsommer 
die  Luft  stillstehe,'''  als  ob  die  Charaktere  von  allem  Anfang  an 
die  gleichen  und  der  Zeit  nicht  unterworfen  wären,^  so  ist  doch 
gerade  dieser  Schein  nichts  als  der  stimmungshafte,  atmo- 
sphärische Ausdruck  des  absolut  herrschenden  Gesetzes.  Die 
Breite  der  Schilderungen,  die  für  diesen  Stillstand  verantwort- 
lich gemacht  wird,  sucht  mit  dem  unbegreiflich  langsamen 
Werden  in  der  Natur  Schritt  zu  halten;  es  ist  die  Breite  des 
Werdens  in  der  Zeit,  nicht  aber  eines  zeitlosen  Stillstehens. 
Heinrich  ist,  mit  diesen  Natur-Massen  gemessen,  ebenso  ein 
Werdender  wie  Risach  ein  Gewordener  ist,  dessen  aufsteigende 

7.  Emil  Kuh  spricht  einmal  von  der  "psychologischen  Klosterstille,"  die  im 
"Nachsommer"  herrsche  {Zwei  Dichter  Oesterreichs:  Franz  Grillparzer  —  Addbert 
Stifter,  Pest,  1872,  S.  396). 

8.  Vergl.  Ernst  Bertram,  Studien  zu  Addbert  Stifters  'Novellentechni\,  Dortmund, 
1907,  S.  70  f. 


STIFTER  UND  DER  NACHSOMMER  237 

Lebenslinie  in  all  ihren  Phasen  im  Buch  gegenwärtig  bleibt. 
Aber  auch  hier  ist  das  Naturgesetz  des  Werdens  das  "sanfte 
Gesetz,"  dem  das  Grosse  sich  hinter  dem  Kleinen  perspek- 
tivisch verbirgt.  Man  könnte  hier  tatsächlich  von  einem  klas- 
sischen Realismus  sprechen,  der  gerade  mit  dem  Kunstmittel 
des  Stilisierens  der  Wirklichkeit  nahekommen  w^ill.  Mit 
irgendwelchem  Naturalismus  oder  ähnlichen  Bewegungen 
unserer  Zeit  hat  das  freilich  nicht  das  geringste  zu  tun.^ 

Das  Formgesetz  des  Buches  fällt  mit  dem  Lebensgesetz 
seiner  Menschen  durchaus  zusammen,  indem  die  Lebens- 
geschichte Risachs  kontrapunktartig  über  die  Heinrich-Ge- 
schichte gesetzt  ist.  Beide  Geschichten  gehen  parallel,  aber  sie 
haben  die  Schwerpunkte  ihrer  Erlebnisse,  die  Liebeserfahrung, 
an  den  entgegengesetzten  Enden:  die  Risach-Geschichte  geht, 
obgleich  sie  erst  auf  den  letzten  Seiten  des  Buches  rückschauend 
als  Ganzes  berichtet  wird,  von  ihm  aus,  während  die  Heinrich- 
Geschichte  zu  ihm  hinführt.  Auf  diese  Weise  ist  die  Geschichte 
Heinrichs  die  Korrektion  der  Geschichte  Risachs.  Der  Schnitt- 
punkt der  beiden  Handlungen  ist  die  Verknüpfung  der  Ro- 
manhandlung, die  unmittelbare  Gegenwart  des  Buches. 

Diese  strenge  Linienführung  ist  bisher  kaum  beachtet 
worden,  und  doch  offenbart  sich  in  ihr  der  klassische  Stifter 
vollkommen.  Was  Emil  Kuh  einmal  vom  Witikp  bemerkte, 
dass  "die  Linie  ...  in  dieser  Dichtung  Alleinherrscherin,  der 
plastische  Ausdruck  als  solcher,  ohne  Mithilfe  psychologischer 
Darstellung,  ihr  ausschliessliches  Ziel"^"  sei,  trifft  in  weitaus 
grösserem  Masse,  wenn  auch  keineswegs  "ausschliesslich,"  auf 
den  Nachsommer  zu.  So  bev^^sst  geformt  ist  diese  Linie, 
dass  sie  an  die  Konstruktionen  Hebbels  erinnern  könnte,  wenn 
nicht  die  dahinter  stehenden  Schicksalsauffassungen  gänzlich 
unvereinbar  wären,  wenn  —  um  es  kurz  zu  fassen  —  diese  Linie 
bei  Hebbel  und  Stifter  nicht  in  völlig  verschiedene  Welten 

9.  Wenn  Paul  Kluckhohn  (a.a.O.,  S.  43)  schreibt:  "Man  mag  diese  Linie  bis  zur 
Neuen  Sachlichkeit  weiterziehen,  so  jene  andere  vom  Biedermeier  über  den  poetischen 
Realismus  zur  Heimatkunst  um  1900  und  zu  dem  völkischen  Realismus  oder  der 
Volk-  und  bodenverhafteten  Dichtung  unserer  Tage,"  kann  dieses  Potpourri  kaum 
etwras  anderes  als  ein  Kompromiss  mit  nicht-literarhistorischen  Gedanken  sein. 

10.  Emil  Kuh,  a.a.O.,  S.  400. 


238  CORONA 

wiese.  Trotzdem  sind  beide  Dichter  im  Grunde  Konstruk- 
teure, aber  während  Hebbel  die  Konstruktion  als  das  Schicksal 
an  sich  hinstellt,  dient  sie  Stifter  nur  als  Gerüst,  welches  der 
künstlerischen  Anschauung  den  Halt  des  Gesetzes  verleiht. 
Wenn  wir  nicht  ohnehin  wüssten,  mit  welch  minutiöser  Sorg- 
falt Stifter  alle  seine  Werke  aufgebaut  und  ausgearbeitet  hat,-^^ 
aus  der  strengen  Komposition  allein  des  Nachsommer  müsste 
sein  klassischer  Formwille  abgelesen  werden  können. 

Die  Zweiteiligkeit  im  Aufbau  des  Buches  setzt  sich  bis  in 
alle  seine  Teile  fort.  Es  ist  sonderbar  zu  sehen,  wie  weitgehend 
Figuren  und  Räumlichkeiten  paarweise  zusammenstehen.  Jede 
menschliche  und  räumliche  Einheit  scheint  ihrer  Ergänzung 
zu  bedürfen,  in  der  sie  aufgeht  und  durch  die  sie  sich  gleich- 
zeitig auch  wieder  abhebt.  So  steht  das  Land  als  Kontrast 
gegen  die  Stadt,  das  Rosenhaus  gegen  den  Sternenhof,  das 
bürgerliche  Haus  des  Vaters  gegen  das  Haus  der  Fürstin  — 
Heinrich  gegen  Gustav,  Heinrichs  Vater  gegen  Risach,  Hein- 
richs Mutter  gegen  Mathilde;  aber  auf  der  anderen  Seite 
treten  alle  diese  Figuren  auch  wieder  paarweise  zusammen, 
wie  Risach  und  Mathilde,  Heinrichs  Vater  und  Mutter,  Hein- 
rich und  Natalie  als  Liebende  und  Heinrich  und  Klothilde  wie 
Gustav  und  Natalie  oder  Roland  und  Eustache  als  Geschwister, 
und  selbst  der  Gärtner  ist  nicht  ohne  seine  Frau  zu  denken. 
Die  Entwicklung  des  Buches  strebt  zu  einer  neuen  und  hö- 
heren Verschlingung  dieser  Paare,  die,  ohne  auseinander  zu 
treten,  doch  wieder  neue  Einheiten  bilden,  in  denen  das 
Zweier-Prinzip  gewahrt  bleibt.  In  der  Schlusszene  des  Romans 
stellen  sie  sich  in  dieser  idealen  Gruppierung  dar,  die  Väter 
und  die  Mütter,  Natalie  und  Klothilde  als  Schwester  und 
Geliebte  finden  sich  in  Freundschaft,  und  die  beiden  Familien 
verschmelzen  zu  einem  harmonischen  Ganzen.  Alle  diese 
Dinge  können  hier  freilich  nur  angedeutet  werden,  aber  sie 
sind  doch  so  zwingend,  dass  sich  der  Vergleich  mit  Stifters 
kinderloser  Ehe  aufdrängt,  in  der  Mann  und  Frau  allein  stehen 

II.  So  konnte  Stifter  z.B.  über  seine  Arbeit  am  Witikfi  schreiben:  "Was  ich  vom 
Witiko  weggeworfen  habe,  würde,  wenn  es  gedruckt  wäre,  sieben  bis  acht  Bände 
füllen."    (Brief  an  G.  Heckenast  vom  17.  Dezember  1864.) 


STIFTER  UND  DER  NACHSOMMER  239 

und  sich  in  ähnlicher  Weise  stützen,  aber  der  Auflösung  in 
höherer  Harmonie  durch  ihre  Kinder  entbehren.  Doch  ebenso 
spiegelt  sich  darin  der  tiefe  Dualismus  der  Stifterschen  Welt- 
haltung, in  dem  die  reale  Wirklichkeit  des  Alltags  und  die 
gewünschte  Wirklichkeit  der  Dichtung,  als  die  äusserste 
Paarung,  auseinanderfallen  und  wieder  zusammentreten. 

Der  grösste  Gegensatz  zwischen  dieser  dichterischen  Kon- 
struktion Stifters  und  der  Hebbels  aber  besteht  vor  allem  in 
der  Art  der  Lösung  des  tragischen  Grundkonfliktes.  Hebbels 
Schlüsse  sind  deswegen  im  dramatischen  Sinne  tragisch,  weil 
sie  unmittelbar  aus  dem  Konflikt  abgeleitet  sind.  Konflikt  und 
tragische  Lösung  stehen  gleichsam  auf  derselben  Lebensebene, 
dem  Dramatiker  bedingt  eines  folgerichtig  das  andere.  Für 
den  Epiker  Stifter  aber  spielen  sich  Konflikt  und  Lösung  auf 
verschiedenen  Ebenen  ab,  sie  werden  nie  zu  einer  Einheit,  son- 
dern beharren  in  ihrer  dualistischen  Spaltung,  da  die  Lösung 
als  Überwindung  des  Konfliktes  in  eine  neue,  ideale,  gereinigte 
Wirklichkeit  führt.  Nicht  immer  findet  diese  geistige  Ver- 
schiebung so  offensichtlich  ihren  Ausdruck  in  einem  wirk- 
lichen Szenenwechsel,  einer  Auswanderung  geradezu  aus  der 
tragischen  in  die  ideale  Landschaft,  wie  im  "Abdias."  Aber 
ob  nun  die  Szene  wirklich  gewechselt,  oder  ob  die  tragische 
Landschaft  in  eine  harmonische  hinaufgeläutert  wird  —  die 
Tendenz  ist  doch  immer  die  gleiche.  Dieser  Doppelschichtig- 
keit  von  Konflikt  und  Lösung  entspricht  daher  die  Doppel- 
schichtigkeit  der  Nachsofnmer-VLdinAXxxng  und  ihre  gleichsam 
dualistische  Szenerie. 

Das  Rosenhaus,  der  Hauptschauplatz  des  Nachsommer, 
ist  eine  solche  erhöhte  Lebensschicht.  In  ihm  ist  die  Über- 
windung des  tragischen  Konfliktes,  dessen  Realität  nur  noch 
im  Bericht  Risachs  in  den  unmittelbaren  Umkreis  des  Rosen- 
hauses hineinreicht,  sichtbar  geworden.  Es  ist  eine  ideale 
Landschaft,  aber  es  ist  sicher  keine  "resignierte"  Landschaft,  da 
sie  immer  von  der  tragischen  Wirklichkeit  abhängig  bleibt. 
Die  Vergangenheit  Risachs  ist  zwar  überwunden  und  als  Verir- 
rung  erkannt,  aber  untergründig  ist  sie  doch  auf  jeder  Seite 
des  Buches  gegenwärtig,  und  die   Bedrohung,  die  von  ihr 


240  CORONA 

ausgeht,  wird  niemals  endgültig  ausgeschaltet.  Überall  be- 
gegnen dem  jungen  Besucher  Heinrich  diese  Bedrohungen  als 
das  treibende  Motiv  der  Handlung:  in  der  peinlichen,  ja 
beinahe  pedantischen  Ordnung,  in  der  landwirtschaftlichen 
Ökonomie,  in  der  Formelhaftigkeit  der  menschlichen  Bezie- 
hungen oder  in  dem  Kampf  gegen  den  Verfall  der  Kunstwerke. 
Und  eben  das  ist  die  Bedeutung  all  dieser  Überkompensierun- 
gen,  dass  sie  gerade  durch  die  Geste  des  Zudeckens  auf  das 
Zugedeckte  selbst  aufmerksam  machen.  Ins  Religiöse  übersetzt 
Hesse  sich  eine  solche  Überwindung  tragischer  Erlebnisse  nur 
als  mönchisch  bezeichnen,  und  das  Rosenhaus  ist  denn  auch, 
unter  diesem  Gesichtswinkel  gesehen,  ein  ins  Geistig-Kulturelle 
gewendetes  Kloster,  ein  Laienkloster,  in  dem  die  mönchischen 
Ideale  wie  Keuschheit,  Güte,  Ehrfurcht  und  Frömmigkeit  mit 
dem  klassischen  Gedankengut  eine  ganz  neue  Verbindung 
eingehen.  Den  nachsommerlichen  Klostergeist  mag  Stifter 
allerdings  schon  während  seiner  Schulzeit  in  Kremsmünster  in 
sich  aufgenommen  haben. 

Von  hier  aus  lassen  sich  nun  bestimmte  Einsichten  in  die 
Kunst  Stifters,  in  seine  dichterische  Technik  gewinnen.  Das 
Entscheidende  nämlich  ist,  dass  Stifter  den  Alltag,  den  Bereich 
des  tragischen  Konfliktes,  niemals  unmittelbar,  sondern  nur 
von  der  Wunschwirklichkeit  aus  ins  Auge  fasst.  Die  alltägliche 
Welt  ist  für  ihn  als  unmittelbarer  Dichtungsgegenstand  un- 
brauchbar, da  das  Walten  des  Gesetzes  in  seiner  unverfälschten, 
idealen  Reinheit  nicht  darin  aufgezeigt  werden  könnte,  ohne 
gegen  jede  Wahrscheinlichkeit  und  Natürlichkeit  zu  Verstössen. 
Ein  solcher  Verstoss  wäre  die  Sünde  wider  die  Kunst  schlechthin. 
Nur  dann  kann  das  Gesetz  vorbildlichen  Einfluss  auf  das  wirk- 
liche Leben  gewinnen,  wenn  es  vor-bildlich,  d.h.  von  aussen 
her  das  Leben  konfrontiert,  anstatt  es  idealistisch  von  innen 
heraus  zu  veredeln.  Dass  aber  das  Gesetz  doch  wieder  als 
Vorbild  den  Alltag  beeinflussen  könnte,  verrät  Stifters  päda- 
gogische Neigungen,  Neigungen,  die  freilich  aus  den  An- 
schauungen keines  der  grossen  Dichter  fortzudenken  wären. 
Es  ist  das  Vorrecht  des  Dichters,  das  Ziel  zu  idealisieren  und 
als  eine  zweite,  höhere  Wirklichkeit  so  zu  gestalten,  als  wäre 


STIFTER  UND  DER  NACHSOMMER  241 

es  tatsächlich  schon  erreicht.  Nur  aus  dem  Glauben  an  die 
schliessliche  Möglichkeit  und  Realisierbarkeit  der  Humanität 
kann  er  diese  provisorische  Zweiteilung  der  Welt  vornehmen. 

Nur  dann  konnte  Stifter  dichten,  v^^enn  er  die  ideale  Wirk- 
lichkeit hinter  der  realen  sah.  Die  Realität  als  solche  entzog 
sich  seiner  Kunst.  Aus  diesem  Grunde  misslang  ihm  jede 
Schilderung,  die  nicht  die  Wunschwirklichkeit  betraf,  wie  die 
blassen  und  farblosen  —  ja  beinahe  gequälten  Darstellungen 
winterlichen  Stadtlebens  im  Nachsommer.  Und  wenn  man 
den  Begriff  Realismus  immer  noch  auf  Stifters  Kunst  anwen- 
den möchte,  so  muss  man  sich  darüber  im  klaren  sein,  dass  es 
gerade  die  idealistische  Welt  ist,  die  er  realistisch  schildert,  ein 
Phänomen,  das  uns  in  der  Geschichte  der  Literatur  auch  sonst 
nicht  unbekannt  ist.^^ 

Sicher  aber  geht  es  nicht  an,  Stifters  Dichtung  —  und  be- 
sonders den  Nachsommer  —  als  Flucht-Dichtung  zu  bezeich- 
nen.^^ Gerade  die  Flucht  Stifters  aus  der  Wirklichkeit  soll  als 
typisch  biedermeierlich  gelten,  da  mit  ihr  auf  eine  Lösung  der 
Zeitprobleme  verzichtet  und  ein  Ideal  für  die  Trostlosigkeit 
der  Zustände  substituiert  wird.  Dass  Stifter  ein  bürgerlicher 
Dichter  war,  wie  ihn  nur  das  auf  dem  Erbe  der  Aufklärung 
und  den  ihr  folgenden  Geistesbewegungen  stehende  19.  Jahr- 
hundert hat  hervorbringen  können,  ist  unverkennbar.  Wie 
tief  Stifter  im  Bürgertum  tatsächlich  verwurzelt  war,  kann  an 
dieser  Stelle  nur  angedeutet  werden.  Bürgerlich  ist  die  Natur 
der  Arbeit,  die  seine  Helden  verrichten,  eine  Arbeit,  die  einzig 
und  allein  in  einem  idealen  Sinne  um  ihrer  selbst  willen  ge- 
schieht, ohne  jemals  zu  einem  notwendigen  Mittel  des  Broter- 
werbs zu  werden.  Bürgerlich,  im  typisch  deutschen  Sinne  des 
Wortes,  ist  sein  Vorübergehen  an  dem  politischen  Geschehen 
der  Zeit,  das  niemals  in  die  Sphäre  seiner  dichterischen  Kon- 
zeption eindrang  —  und  es  heisst  Stifter  völlig  verkennen,  wenn 
man  den  Ereignissen  der  48er  Jahre  einen  mehr  als  oberfläch- 
lichen Einfluss  auf  seine  Entwicklung  zuschreiben  will;  selbst 

12.  Ich  denke  zum  Beispiel  an  den  religiös-symbolischen  Realismus  Franz  Kafkas, 
der  allerdings  aus  ganz  anderem  religiösem  Erbe  stammt. 

13,  So  Emil  Kuh,  a.a.O.,  S.  354,  und  Ernst  Bertram,  a.a.O.,  S.  31. 


242  CORONA 

in  seinen  Briefen  aus  jener  Zeit  ist  die  Beeindruckung  durch  die 
Zeitvorgänge  höchst  vorübergehend.  Typisch  bürgerUch  ist 
sein  Verhaken  dem  Adel  gegenüber,  dem  immer  die  Rolle 
einer  Erfüllung  und  Überordnung  des  Bürgertums  zuerkannt 
wird.  Es  ist  nicht  zufällig,  dass  Risach  ein  in  den  Adelsstand 
erhobener  Bürger  ist,  und  dass  für  Heinrich  Drendorf  die 
Aufnahme  in  die  Adelskreise  (Fürstin)  gleichbedeutend  ist  mit 
Anerkennung  und  gesellschaftlicher  Stellung.  Das  nachsom- 
merliche Leben  als  solches  ist  versteckt  adelig,  es  bewegt  sich 
genau  an  der  Scheidelinie  zweier  Gesellschaftsklassen.  Es  ist 
aber  wohl  kaum  zu  bestreiten,  dass  diese  adelige  Zersetzung 
des  Bürgertums  vor  allem  österreichisch  ist,  und  die  Parallele 
mit  der  Haltung  Rilkes  in  neuerer  Zeit  bietet  sich  unmittelbar 
an;  doch  auch  die  Geschichte  der  deutschen  Klassik  kennt 
entsprechende  Vorgänge.  —  Bürgerlich  aber  ist  vor  allem  Stifters 
völliges  Übersehen  der  materiellen  Bedingtheiten.  Ein  Leben 
ohne  die  primitivsten  materiellen  Sicherungen  gibt  es  für  seine 
Menschen  nicht,  da  die  blosse  Lebenssorge  sie  von  der  Bemü- 
hung um  das  Höhere  ablenken  würde.  Der  Besitz  ist  ein 
integraler  Teil  des  Besitzers,  wie  sein  Charakter;  auf  ihn  ist 
man  stolz,  denn  ihn  kann  man  jeden  Augenblick  vorzeigen, 
und  im  Anschauen  des  Besitzes  sieht  man  in  Wirklichkeit  den 
Besitzer  selbst.  Es  mag  sein,  dass  Stifter  auch  mit  dieser 
Unbekümmertheit  schon  in  Kremsmünster  vertraut  wurde,  sie 
ist  aber  um  so  seltsamer,  als  Stifer  selbst  sein  ganzes  Leben 
hindurch  nicht  von  den  drückendsten  Geldsorgen  frei  wurde. 
Flucht  aber  ist  seine  Dichtung  trotz  alledem  nur  insoweit, 
wie  auch  der  mittelalterliche  Künstler  von  den  äusserlichen 
Notwendigkeiten  des  Lebens  absah,  wie  seit  je  der  religiöse 
Dichter  die  Materie  dem  Geiste  unterordnete.  Diese  bereit- 
willige Unterordnung  entspricht  der  Selbstverständlichkeit,  mit 
der  der  katholische  Mensch  die  Lösung  seiner  religiösen  Pro- 
bleme der  Kirche  überlässt.  Nicht  nur  der  "Hochwald,"  Stifters 
ganzes  dichterisches  Werk  ist  nicht  eine  Flucht  aus  der  Welt, 
sondern  im  Gegenteil:  "eine  Weltschöpfung," ^^  ein  "In-Eins- 

14.  Pouzar,  a.a.O.,  S.  29. 


STIFTER  UND  DER  NACHSOMMER  243 

Schauen  der  individualistischen  und  der  geoffenbarten  Wirk- 
lichkeit."^^ 

HI.  Der  katholische  Klassiker 

Das  Gesetz  des  Stifterschen  Werkes  ruht  sicher  in  der 
katholischen  wie  in  der  klassischen  Tradition.  Das  Gemein- 
same des  Katholischen  und  des  Klassischen  ist  für  Stifter  das 
Gesetz,  welches  durch  Entsagung  erreicht  wird,  durch  die 
ständige  Überwindung  des  zerstörerischen  Prinzips  der  Form- 
losigkeit. Wieder  ist  es  der  benediktinische  Geist  Krems- 
münsters, der  "sein  bis  zur  Brutalität  leidenschaftliches  Tempe- 
rament .  .  .  bändigte,"  und  "auf  dessen  tragendem  Grund"  die 
Bildungselemente  des  klassischen  Erlebnisses  aufgebaut  werden 
konnten.^^ 

Der  Wirkungsbereich  dieses  Gesetzes  konnte  deswegen 
ungleich  grösser  sein  als  der  der  Weimarer  Klassik,  da  es  die 
Persönlichkeit  gleichermassen  im  Diesseits  wie  im  Jenseits 
verankerte.  Beide  Welten  konnte  der  Blick  in  eins  schauen 
und  in  ein  Gleichgewicht  bringen,  das  in  Weimar  unmöglich 
schien.  Christentum  und  Antike  bildeten  zum  ersten  Mal 
keine  Gegensätze  mehr,  und  in  der  Kunstanschauung  des 
Nachsommer  kommt  diese  Verschmelzung  nachdrücklich 
zum  Ausdruck,  indem  antike  und  gotische  Kunst  in  ein-  und 
demselben  Raum  zusammenstehen.^'^  Die  schöne  Form  der 
Antike  und  die  sittliche  Formschönheit  des  Mittelalters  verhal- 
ten sich,  unter  diesem  Blickwinkel  gesehen,  wie  das  Innere 
und  das  Äussere  eines  Gebildes.  Was  in  der  deutschen 
Klassik  Goethes  identisch  war  und  sich  aus  sich  heraus  wech- 
selseitig bedingte,  die  ethische  und  die  ästhetische  Form,  fiel 
in  der  österreichischen  Klassik  in  seine  beiden  Teile  auseinan- 
der, um  in  einer  höheren  Verbindung,  dem  göttlichen  Gesetz, 
wieder  harmonisch  zusammenzutreten. 

15.  Günther  Müller,  "Stifter,  der  Dichter  der  Spätromantik"  in:  Jahrbuch  d. 
Verb.  d.  Vereine  ^ath.  A\ademi\er  z.  Pflege  d.  \ath.  Weltanschauung  (Augsburg, 
1924),  S.  31. 

16.  Günther  Müller,  a.a.O.,  S.  35.  —  Konrad  Steffen  {Adalbert  Stifter  und  der 
Aufbau  seiner  Weltanschauung,  Horgen-Zürich/ Leipzig,  193 1)  weist  auf  das  "hie- 
rarchische Weltbild"  hin,  das  Stifter  in  der  Kirche  erlebte,  und  in  dem  sich  ihm 
"Ordnung,"  "Ehrfurcht,"  "Dauer"  und  "Sein"  offenbarten.   (S.  72  ff.) 

17.  Pouzar,  a.a.O.,  S.  102. 


244  CORONA 

Die  Weltfreudigkeit  der  Klassik  Goethes  wird  in  der  öster- 
reichischen Klassik  Stifters  auf  diese  Weise  in  eine  göttliche 
Weltfreudigkeit  erweitert  und  umgedeutet.  Oder  um  es  anders 
zu  sagen:  während  der  deutsche  Klassiker  die  Formlosigkeit 
durch  sein  planmässiges  Selbstabriegeln  nach  aussen  über- 
wand, überwindet  der  katholische  Klassiker  sie  durch  ein 
gleichmässiges  Ausgiessen  der  "amor  dei."  Der  Name  Jean 
Pauls  drängt  sich  dabei  als  Erklärung  auf,  und  doch  hat  dessen 
All-Liebe  wenig  zu  tun  mit  dieser  Stifterschen  Durchdringung 
des  Alls  mit  Liebe.  Trotzdem  aber  kann  man  hier  von  einem 
Münden  der  romantischen  Tradition  in  die  klassische  sprechen, 
denn  dass  Stifter  durch  die  katholischen  Romantiker  in  das 
katholische  Mittelalter  fand,  ist  nicht  zu  verkennen. 

Beinahe  seit  dem  Beginn  seiner  dichterischen  Laufbahn 
hatte  Stifter  in  Goethe  das  absolute  künstlerische  und  mensch- 
liche Vorbild  gesehen.  Hinzu  kam,  dass  beide  Dichter  viele 
gemeinsame  Neigungen  und  Interessen  hatten:  beide  hatten 
sie  lange  zwischen  Malerei  und  Dichtung  geschwankt  und 
sich  erst  verhältnismässig  spät  endgültig  zur  Dichtung  ent- 
schieden; beide  hatten  weitgehende  wissenschaftliche  Aspiratio- 
nen und  —  um  nur  auf  einiges  hinzuweisen  —  beide  liebten  das 
Sammeln  um  des  Sammeins  willen.^^  Hinter  all  diesem  aber 
stand  die  Form  klassischen  Menschentums,  die  Stifter  in 
Goethe  suchte  und  fand,  und  erst  auf  diesm  Boden  lassen  sich 
ihre  Neigungen  und  Interessen  vergleichen.  Von  Stufe  zu 
Stufe  und  von  Werk  zu  Werk  drangen  die  Anschauungen 
Goethes  tiefer  und  wesentlicher  in  das  Dichtertum  Stifters  ein 
und  drängten  das  zügellos  Romantische  in  Haltung  und 
Gestalt  zurück.^^  Die  Beziehungen  vor  allem  zwischen  dem 
Wilhelm  Meister  und  dem  Nachsommer  sind  sehr  eng; 
bis  in  den  Stil  hinein  ist  der  Roman  Stifters  von  seinem  grossen 
Vorbild  abhängig.^" 

So  weit  geht  die  unmittelbare  und  indirekte  Bezugnahme 
Stifters  auf  Goethe,  dass  man  sich  bis  heute  nicht  hat  einigen 

18.  Auch  das  Sammeln  soll  ein  typisch  biedermeierlicher  Zug  sein;  dass  Goethe 
selbst  diese  Eigenschaft  als  väterliches  Erbe  betrachtet  hat,  sollte  zu  denken  geben. 

19.  Vergl.  S.  4,  Anm.  2. 

30.  Siehe  Hüller,  a.a.O.  und  Sieber,  a.a.O. 


STIFTER  UND  DER  ISI ACHSOMMER  245 

können,  ob  und  wie  weit  Stifter  nicht  einfach  als  ein  Goethe- 
Epigone  bezeichnet  werden  könnte.^^  Stifter  ist  so  weit  und 
so  wenig  Epigone  wie  Grillparzer  es  ist.  Wenn  man  diese 
beiden  vielleicht  grössten  Österreicher  des  vorigen  Jahrhunderts 
Epigonen  nennen  will,  wird  man  die  ganze  österreichische 
Literatur  bis  zu  Robert  Musil  epigonal  nennen  müssen  und 
damit  ihre  wesentliche  Eigenart  völlig  verkennen.  Dass  eine 
solche  Fragestellung  müssig  ist  und  zur  Klärung  des  Problems 
nicht  beiträgt,  kann  deswegen  nicht  genug  betont  werden.  Es 
ist  ja  nicht  die  unbesehene  Übernahme  der  Werte,  die  zur 
Frage  steht,  sondern  die  Art,  wie  diese  in  das  Stiftersche  Werk 
assimiliert  werden  konnten.  Dass  Stifter  tatsächlich  den 
geistigen  Besitz  der  deutschen  Klassik  mit  dem  der  katho- 
lischen Tradition  zu  verschmelzen  vermochte,  zeigt,  dass  es 
sich  in  keiner  Weise  um  eine  bedenkenlose  Herübernahme 
handelt. 

Schon  Franz  Grillparzer  hatte  den  Prozess  der  Assimilie- 
rung klassischen  Gedankengutes  in  Österreich  begonnen; 
Stifter  hat  das  gesehen  und  Grillparzer  immer  als  den  reprä- 
sentativen Dichter  Österreichs  anerkannt.  Eine  solche  Assimi- 
lierung aber  war  nur  möglich  in  einer  Verschmelzung  mit 
dem  katholischen  Erbe,  und  so  war  es  auch  die  Kirche,  die 
diese  Vorgänge  mit  besonderem  Misstrauen  verfolgte.  Zum 
sichtbaren  Konflikt  kam  es,  als  die  kirchlichen  Kreise  das 
Schullesebuch,  das  Stifter  mit  seinem  Freunde  Johann  Aprent 
herausbringen  wollte,  als  nicht  katholisch  genug  ablehnten, 
ein  Konflikt,  der  aber  in  keiner  Weise  Stifters  religiöse  Sicher- 
heit berührte. 

Man  hat  Stifters  Klassik  einmal  eine  "romantisch-sentimen- 
talische  Klassik"  (Sieber)  und  ein  andermal  eine  "Klassik 
nach  der  Romantik"  genannt.^^  So  unzureichend  und  wenig 
befriedigend  diese  Umschreibungen  sind,  so  gehen  sie  doch  von 
einem  Gefühl  für  den  richtigen  Sachverhalt  aus.  Was  sich  in 
ihnen  hinter  dem  Begriff  "Romantisch"  verbirgt,  ist  in  Wirk- 

21.  Einen  Epigonen  nennen  Stifter  z.B.  Hüller,  a.a.O.,  S.  LXIX,  Pouzar,  a.a.O., 
S.  135,  Sieber,  a.a.O.,  S.  iii. 

22.  Margarete  Gump,  Stifters  Kunstanschauung,  München,  1927. 


246  CORONA 

lichkeit  das  Katholische,  das  ReHgiöse  in  seiner  österreichisch- 
kathoHschen  Prägung,  die  benediktinische  Tradition,  die  in 
ihrer  Haltung  zum  Mittelalter  mit  der  Romantik  zusammen- 
trifft.^' 

Es  ist  nun  freilich  zuzugeben,  dass  das  religiöse  Element, 
das  so  tief  zu  dem  eigensten  Wesen  Stifters  gehört,  in  seinen 
Dichtungen  niemals  an  die  Oberfläche  der  Diskussion  tritt. 
Der  Grund  hierfür  ist  darin  zu  suchen,  dass  der  Glaube  für 
den  Gläubigen  das  schlechthin  Geglaubte  ist,  und  dass  er  schon 
zerstört  ist,  wo  er  diskutierbar  wird.  Die  religiöse  Ausrichtung 
ist  bei  Stifter  von  allem  Anfang  an  da  und  wird  im  Verlaufe 
seiner  dichterischen  Entwicklung  nur  immer  offenkundiger, 
bis  sie  im  Witikp  auch  dem  Schwerhörigsten  kaum  mehr 
verborgen  bleiben  kann.  Schon  von  den  Studien  zu  den 
Bunten  Steinen  ist  ein  entschiedenes  Zunehmen  des  religiö- 
sen Kolorits  festzustellen,  und  eine  Erzählung  wie  "Berg- 
kristall"  ist  in  den  Studien  noch  nicht  möglich.  Es  ist  daher 
keineswegs  so,  als  ob  erst  der  alternde  Dichter  die  Welt  der 
religiösen  Wahrheit  entdeckt  oder  wiederentdeckt  hätte.  Eben 
darin  liegt  der  Unterschied  zwischen  ihm  und  all  den  kirch- 
lichen Trommlern,  wie  Friedrich  Schlegel  und  Clemens  Bren- 
tano, dass  er  weder  ein  Konvertit  noch  ein  in  die  Kirche 
Heimkehrender  war.  In  ständigem,  organischem  Wachstum 
gewann  er  sich  die  Tiefe  religiöser  Erkenntnis,  konnte  er  das 
kindlich  Unbewusste  in  das  Bewusstsein  der  Dichtung  führen."^ 

Das  Katholische  ist  in  Stifter  also  nicht  als  Frage  sondern 

23.  In  Stifter  einfach  einen  Romantiker  zu  sehen,  geht  seit  den  in  dieser  Hinsicht 
abschliessenden  Arbeiten  von  D.  Sieber  und  O.  Pouzar  nicht  mehr  an.  Günther 
Müllers  Deutung  Stifters  als  eines  Dichters  der  katholischen  Spätromantik  muss 
korrigiert  werden:  Müllers  Unterscheidung  von  suchender  und  im  Katholischen 
ruhender  Romantik  lässt  sich  nicht  halten,  ohne  dass  der  ganze  an  sich  schon  wenig 
greifbare  Romantik-Begriff  gänzlich  in  sich  zerfiele.  Ich  möchte  aber  betonen,  dass 
trotzdem  Müllers  Essay  eine  der  aufschlussreichsten  Arbeiten  der  Stifterforschung  ist. 

24.  Exnst  Bertram  geht  einmal  noch  einen  Schritt  weiter,  wenn  er  schreibt:  "Er 
ist  in  der  Tat  durchaus  ein  geistlicher  Typus.  Man  kann  ihn  sich  vorstellen  als  einen 
Domherren  des  18.  Jahrhunderts,  oder  als  einen  Pfarrherrn,  wie  Annette  von  Droste 
ihn  malt.  Er  hat  sein  Leben  lang  etwas  von  dem  Benediktinergeist  bewahrt,  der  den 
jungen  ländlichen  Wildling  im  oberösterreichischen  Kremsmünster  bildete.  .  .  .  Seine 
Dichtungen  haben  bei  all  ihrer  lieben  Weltlichkeit  zuletzt  etwas  von  Klosterkunst, 
im  mittelalterlich  auszeichnenden  Sinne."  Georg  Christoph  Uchtenberg  —  Adalbert 
Stifter;  zwei  Vorträge,  Bonn,  1919,  S.  58.) 


STIFTER  UND  DER  NACHSOMMER  247 

als  Antwort  gegenwärtig.  Alle  Requisiten  seiner  Erzählungen 
haben  diese  katholische  Färbung,  selbst  —  wenn  auch  weniger 
greifbar  —  im  Nachsommer.  Seine  Menschen  leben  in  ka- 
tholischer Atmosphäre  und  wären  in  einer  protestantischen 
Welt  in  solcher  Selbstverständlichkeit  nicht  denkbar.  Ohne 
dass  sie  sich  darüber  Rechenschaft  ablegen,  zentriert  ihr  Leben 
im  katholischen  Gottesdienst,  der  ein  natürlicher  Teil  ihres 
irdischen  Daseins  ist,  wie  Essen  und  Trinken.  So  sicher  sind 
sie  in  diesen  Glauben  gebettet,  dass  das  Schicksal  ihnen  niemals 
etwas  anderes  ist  als  das  "Geschickte"  —  wenn  wir  im  Augen- 
blick von  dem  der  tief  tragisch  erlebten  Kinderlosigkeit 
absehen.  Das  Schicksal  an  sich  ist  für  sie  völlig  untragisch, 
weil  sie  es  in  ihren  Lebensbereich  einbezogen  haben  und  auf 
ihm  stehen.  Der  Grund  ihrer  Haltung  ist  auch  hier  nicht 
Resignation,  sondern  Glaube,  Glaube  in  einem  allumfassenden 
Sinne,  der  auch  das  Irdische  durchdringt  und  vergöttlicht. 

Hierin  ist  der  so  unproblematische  und  undramatische 
Charakter  aller  Stifterschen  Dichtungen  begründet.  Und  das 
unterscheidet  wieder  den  österreichisch-katholischen  Klassiker 
Stifter  von  dem  deutschen  Klassiker  Goethe,  dem  das  Schicksal 
niemals  schlackenlos  in  das  Gesetz  aufging,  der  nur  für  den 
Augenblick  die  Überwindung  der  schuldhaften  Formlosigkeit 
vollziehen  konnte. 

Ebensowenig  begriff  der  protestantische  Tragiker  Hebbel 
die  Gesetzhaftigkeit  der  Stifterschen  Klassik,  wenn  er  meinte, 
dass  das  "ausartende  Genre"  des  Nachsommer  sich  "mehr 
und  mehr  vom  alles  bedingenden,  aber  auch  alles  zusammen- 
haltenden Zentrum"  losrisse.^''  In  diesem  einen  Urteil  bricht 
die  fundamentale  Verschiedenheit  der  beiden  Gesichter  deut- 
schen Geistes  auf,  denn  genau  das  Gegenteil  dieser  Feststellung 
ist  richtig,  nur  dass  das  Zentrum  Stifters  in  keiner  Weise  das 
Zentrum  Hebbels  war. 

IV,  Typus  und  Mythos 
Es  ist  einmal  darauf  hingewiesen  worden,  dass  es  in  Stifters 
Kunst  nur  einzelne  Menschen  gebe.^^    Eine   solche  Aussage 

25.  So  in  Friedrich  Hebbels  Aufsatz,  "Das  Komma  im  Frack,"  von  1858. 

26.  Ernst  Bertram,  Novellentechnif^,  S.  65. 


248  CORONA 

trifft  durchaus  zu,  solange  man  nur  die  Studien  und  die 
Erzählungen  der  Bunten  Steine  im  Auge  hat.  Man  kann 
aber  dem  Werke  Stifters  nicht  gerecht  werden,  wenn  man  es 
nur  von  seinen  Anfängen  her  beurteilt,  da  das  gewaltige 
Wachstum  seiner  späteren  Dichtung  in  dieser  Perspektive  ver- 
loren geht.  Die  Notwendigkeit,  den  Witi^o  statt  dessen  zum 
Ausgang  der  Betrachtung  zu  wählen,  ist  schon  hervorgehoben 
worden.^^ 

Wenn  wir  nun  von  diesem  Buch  aus  an  das  Gesamtwerk 
Stifters  herantreten,  erkennen  wir  in  der  Tat  einen  ganz  ande- 
ren Rhythmus  seines  Dichtertums,  das  von  Stufe  zu  Stufe 
nicht  nur  in  die  Breite  sondern  vor  allem  in  die  Tiefe  schwillt. 
Mit  fortschreitendem  Gewinn  klassisch-katholischer  Form  tritt 
das  Individuum  in  Stifters  Werk  zurück,  ohne  jedoch  jemals 
völlig  aus  den  Augen  verloren  zu  werden.  Es  gewinnt  an 
Raum,  indem  es  sich  mit  anderen  Individuen  zusammen- 
schliesst,  zu  immer  neuen,  wesentlicheren  Obereinheiten.  Von 
den  Einzelpersönlichkeiten  der  ersten  Erzählungen,  mit  ihren 
ganz  privaten  Schicksalen,  schreitet  der  Dichter  im  Nach- 
sommer zur  Einheit  der  Familie  fort,  um  schliesslich  im 
Witiko  die  letzte  Ausweitung  zur  organisch  gewordenen  und 
werdenden  Nationalgemeinschaft  zu  finden. 

Trotz  dieser  Entfaltung  aber  waren  alle  Möglichkeiten 
schon  in  den  Erzählungen  keimhaft  enthalten.  So  gehört  die 
Frage  nach  der  Familie  engstens  in  den  Problemkreis  der 
Kinderlosigkeit,  von  dem  der  frühe  Stifter  nicht  loskam.  Gerade 
diese  Abhängigkeit  aber  Hess  die  Familie  noch  nicht  zu  dem 
höheren,  harmonischen  Zusammenschluss,  dem  organischen 
Miteinander  werden,  sie  erschien  lediglich  als  die  Trägerin 
des  Generationsproblems,  als  ein  Nacheinander  und  eine  Ab- 
folge. Andererseits  aber  war  es  gerade  dieser  Einblick  Stifters 
in  das  Kommen  und  Gehen  der  Generationen,  der  Geschlech- 
terreihen von  "Nachkommenschaften,"  der  ihn  hinführen 
musste  auf  die  dem  Werden  der  Geschichte  zugrunde  liegen- 
den Kräfte.   Die  Aneinanderreihung  von  Augenblicksbildern 

27.  Günther  Müller,  a.a.O.,  S.  28. 


STIFTER  UND  DER  NACHSOMMER  249 

musste  ihm  notwendig  —  in  geradezu  filmischem  Sinne  —  die 
grossen  Zusammenhänge  der  Menschheitshandiung  offenbaren. 

Die  Ausweitung  des  Lebensstromes  von  den  Studien 
über  den  Nachsommer  zum  Witikp  steht  einzigartig  da 
in  der  deutschen  Literatur.  Sie  bedeutet  wahrhaftig  alles 
andere  als  ein  Nachlassen  von  Stifters  "poetischer  Kraft  .  .  . 
an  seinem  Lebensabend."^^  Es  ist  der  Weg  eines  bürgerlich- 
katholischen Dichters  in  den  Mythos."'' 

In  dieser  Entwicklungslinie  bedeutet  der  Nachsommer 
tatsächlich  das  Mittelstück  der  Stifterschen  Kunst.  Es  ist  jener 
Punkt  der  geistigen  Entfaltung  Stifters,  in  dem  er  sich  von  der 
rein  individualistischen  Anschauung  freigemacht  hat,  ohne 
aber  die  historisch-universelle  Schau  seines  letzten  Werkes 
erreicht  zu  haben.  Das  Mittelglied  zwischen  Individuum  und 
Geschichte  ist  die  Familie,  in  der  der  Einzelmensch  sich  in  die 
Kette  der  Geschlechter  und  Generationen  einordnet.  Das 
Problem  der  Kinderlosigkeit  ist  im  Nachsommer  zum  ersten- 
mal durch  eine  Art  Wahlverwandtschaft  ausgeglichen  wor- 
den,^*' um  dann  im  Witiko  wirklich  überwunden  zu  werden. 
Dass  die  Nachsommer-Lösung  dieses  bedeutungsvollen  Pro- 
blems nicht  genügte,  vmrde  Stifter  zu  eben  derselben  Zeit  durch 
den  Selbstmord  seiner  Pflegetochter  tragisch  in  der  Wirklich- 
keit bewiesen.  Die  Überwindung  der  Kinderlosigkeit  durch 
den  Kind-Ersatz  konnte  nur  eine  vorübergehende  sein  und 
verlangte  nach  tieferer  Schau.  Erst  dort,  wo  das  Individuum, 
unabhängig  vom  Kind  und  von  allen  Nachkommenschaften, 
in  der  Geschichte,  im  Fluss  des  Lebens  selbst,  untertauchen 
kann,  wo  es  letztlich  aufhört,  Begrenzung  zu  sein,  ist  das  Pro- 
blem wirklich  gelöst. 

Die  mythologische  Ausweitung  der  Dichtung  Stifters  lässt 
sich  aber  nicht  nur  am  Inhalt,  sondern  auch  in  der  Form  der 
Werke  selbst  aufzeigen.   Schon  früh  haben  Stifters  Menschen 

28.  Dieses  unbegreifliche  Urteil  findet  sich  in  Hüllers  Einleitung  zum  Nach- 
sommer (Prag,  1921),  S.  XVI. 

29.  Schon  D.  Sieber  sieht  im  Nachsommer  eine  Gestaltung  von  "Goethes  Leben 
als  Mythos,"  a.a.O.,  S.  38. 

30.  Pouzar  (a.a.O.,  S.  104)  sieht  den  Anbau  der  ganzen  Heinrich-Geschichte 
an  die  Risachs  "durch  das  Problem  der  Kinderlosigkeit  bedingt." 


250  CORONA 

begonnen,  sich  zu  Typen  zu  entwickeln.^  ^  Daher  mag  ein  gut 
Teil  der  unpersönlichen  Blässe  kommen,  jener  "Familienähn- 
lichkeit aller  dieser  Gestalten,"  die  angeblich  so  vollkommen 
sein  soll.^"  Die  Menschen  Stifters  gewinnen  in  immer  stei- 
gendem Masse  die  Funktion,  Schalen  zu  sein.  Schalen  für  über- 
persönliche—  nicht  aber  un-persöniiche  —  Inhalte.  Das  Aus- 
gehen Stifters  vom  dichterischen  Moment  anstatt  von  der 
menschlichen  Figur,  von  der  Lösung  anstatt  von  der  Tragik, 
hat  von  allem  Anfang  an  die  Schilderung  seiner  Gestalten 
beeinträchtigt,  aber  eben  diese  Schwäche  der  Charakterzeich- 
nung ist  vom  späteren  Stifter  bewusst  ins  Typisch-Mythologische 
umgebogen  und  ausgeweitet  worden. 

Die  Typen  des  Nachsommer  und  des  Wiükp  sind 
daher  keineswegs  mehr  die  Typen  der  frühen  Erzählungen. 
Hier  stehen  sie  auf  einem  geistigen  Hintergrund,  der  sie  mit 
Bedeutung  füllt  und  zu  wirklichen  Trägern  macht.  Was  im 
frühen  Werk  Stifters  ein  Fehlen  ist,  ein  Fehlen  an  persönlichen 
Zügen,  ist  in  den  späteren  Dichtungen  ein  Überschuss,  ein 
Überfliessen  von  überpersönlicher  Sinnhaftigkeit.  Die  Typen 
der  klassischen  Dichtungen  Stifters  sind  wirkliche  Träger  der 
Idee,  Teile  des  Ganzen,  menschliche  Einheiten,  Mikrokosmen, 
die  sich  frei  zusammenschliessen  zur  menschlichen  Gesell- 
schaft, zur  Familien-  und  Geschichtstradition. 

Die  Existenz  dieser  Mikrokosmen  beruht  in  einer  sinnvollen 
Freiheit.  Die  Haltung  Risachs  zur  Welt  ist  nicht  anders  als  die 
Witikos,  beide  wirken  sie  aus  eigenem  Antrieb  das  Gute  und 
Vollkommene,  beide  sind  sie  aber  auch  gebunden  durch  den 
Gehorsam,  die  freie  Unterwerfung  unter  die  göttliche  Ord- 
nung; auch  der  Kindesgehorsam  hat  seine  tiefgehende  Wand- 
lung erfahren.  So  wie  der  Herzog  Wladislav  im  Wiüko  die 
Königskrone  nur  als  Geschenk  von  aussen  und  oben,  durch 
den  irdischen  Stellvertreter  Gottes,  den  Kaiser,  annehmen 
kann,  so  nehmen  auch  die  Menschen  des  'Nachsommer  das 
Gesetz  nur  als  göttliches  Gesetz  hin.  Das  Verhältnis  der  Men- 

31.  Pouzar  zeigte  dies  schon  an  der  Erzählung  "Der  beschriebene  Tännling"  auf. 
(a.a.O.,  S.  55.) 

32.  Bertram,  a.a.O.,  S.  70. 


STIFTER  UND  DER  NACHSOMMER  251 

sehen  zueinander  ist,  auf  Grund  dieses  Gesetzes,  ein  durch  und 
durch  positives  Verhältnis,  und  die  Äusserungen  von  Indivi- 
duum zu  Individuum  sind  feierlich  und  formvoll.  Der  Dank 
und  seine  materielle  Form,  das  Geschenk,  sind  Riten,  in  denen 
Individuen  —  Mikrokosmen  —  sich  ehren,^^  sie  sind  der  sicht- 
bare Ausdruck  einer  mythologischen  Handlung.  In  den  langen 
Debatten  im  Witiko  —  aber  auch  schon  in  den  Unterhaltun- 
gen im  Nachsommer  —  hat  jeder  Mensch  ausdrücklich  das 
gleiche  Recht,  und  jeder  muss  gehört  werden  und  zu  Worte 
kommen.  Ohne  dass  das  Wort  jemals  fiele,  ist  doch  der 
Grundton  der  politischen  Haltung  im  besten  Sinne  des  Wortes 
demokratisch.  Eine  politische  Beratung  ist  nicht  nur  eine 
Beratung  über  den  jeweilig  zur  Diskussion  stehenden  Gegen- 
stand, sondern  eine  feierliche  Handlung,  ein  Ritus,  in  dem 
das  freiwillige  Zusammenspiel  der  Individuen  und  ihre  Un- 
terordnung unter  das  Gesetz  versinnbildlicht  wird.  Es  ist  eine 
heilige  Handlung,  eine  profane  Messe,  die  gewöhnlich  sogar 
der  Bischof  oder  der  Priester  zelebriert,  das  politische  Seiten- 
spiel zum  katholischen  Gottesdienst.  Und  wenn  es  auch  frag- 
lich ist,  ob  man  in  der  Steifheit  der  Dialogführung  (mit  ihrer 
monotonen  Häufung  von  "sagte  er,"  "erwiderte  er"  etc.)  wirk- 
lich einen  Einfluss  der  Litanei  sehen  kann,^"*  darüber  kann 
keine  Frage  bestehen,  dass  die  Vorgänge  an  sich  aus  dem 
Gottesdienst  emanieren  und  in  ihn  zurückfliessen.  Sie  sind 
durchaus  stellvertretend  gemeint  und  weisen  in  ihrer  Gleich- 
förmigkeit auf  die  ewige  Wiederkehr  der  Dinge  hin,  sie  sind 
Glieder  in  der  unendlichen  Kette  des  historisch-kulturellen 
Werdens. 

33.  Vergl.  hierzu  auch  Steffen   (a.a.O.,  S.   88.) 

34.  Wie  Günther  Müller  es  sieht  (a.a.O.,  S.  73).  Ich  glaube  hier  vielmehr  den 
alten  Chronikenstil  zu  erkennen,  hat  doch  Stifter  schon  während  seiner  Arbeit  am 
Nachsommer  sich  intensiv  mit  den  Vorstudien  zum  WitiJ^o  beschäftigt. 


FORTSCHRITTSGLAUBE  UND  KULTURKRITIK  IM 

BÜRGERLICHEN  ROMAN:  GUSTAV  FREYTAG 

UND  WILHELM  RAABE 

LUDWIG  w.  KAHN,  Bryn  Mawr  College 


EM  POLITISCHEN  Aufstieg  der  Mittelklassen  im 
achtzehnten  Jahrhundert  entspricht  auf  geistigem  Ge- 
biet das  Erstarken  einer  bürgerlich-demokratischen  und 
individualistisch-liberalen  Ideologie.  In  dieser  Ideologie  sind 
nun  bereits  die  Keime  zu  gewissen  Gegensätzen  enthalten; 
denn  einerseits  kann  die  Idee  von  der  Volkssouveränität  zu 
einer  Verherrlichung  des  Volksmässigen,  Einfachen  und  Na- 
türlichen führen,  für  die  sich  heute  (dank  der  Arbeiten  Pro- 
fessor Lovejoys  und  seiner  Schule)  der  Name  "Primitivismus" 
einzubürgern  beginnt.  (Als  ideengeschichtliche  Bezeichnung 
soll  der  Begriff  "Primitivismus"  grundsätzliche  historische 
Richtungen  benennen,  nicht  aber  sie  bewerten,  und  man  muss 
ihm  jeden  Anklang  von  Herabsetzung  oder  Zustimmung 
fernhalten.)  Andrerseits  führte  die  Überzeugung  von  der 
Würde,  Mündigkeit  und  Verantwortung  des  Individuum  zu 
dem  klassisch-humanistischen  Ideal  des  hohen  und  reinen 
Menschen  (im  Gegensatz  etwa  zu  dem  ungesitteten  und 
primitiven  Barbaren)  und  zum  Glauben  an  die  Menschheits- 
rechte; und  von  hier  führt  der  Weg  dann  weiter  zu  der  auf- 
klärerisch-optimistischen Anschauung  von  einer  fortschrei- 
tenden "Perfektibilität"  des  Menschen  und  einer  progressiven 
Geschichtsentwicklung,  gleichsam  als  Antwort  des  emanzipier- 
ten weltlichen  Bürgers  auf  die  kirchliche  Lehre  von  Sündenfall 
und  Verschuldung.   So  zeigt  sich  schon  im  achtzehnten  Jahr- 


FORTSCHRITTSGLAUBE  UND  KULTURKRITIK    253 

hundert  der  Gegensatz  zwischen  rousseauischem  Zivilisations- 
pessimismus und  Primitivismus  einerseits  und  der  Idee  des 
Menschheitsfortschrittes  andrerseits. 

War  dieser  Gegensatz  auch  systematisch  und  logisch  bereits 
in,  der  demokratischen  Ideologie  angelegt,  so  bedurfte  es  wohl 
doch  historischer  und  soziologischer  Gründe,  um  ihn  zur  Ent- 
faltung zu  bringen.  Das  stolze  Selbstbewusstsein  des  Indivi- 
duum und  der  hoffnungsvolle  Fortschrittsglaube  entstammen 
dem  Machtgefühl  einer  siegenden,  aufsteigenden,  sich  be- 
freienden bürgerlichen  Schicht.  Doch  wo  die  aufstrebenden 
Kreise  gehemmt  und  unterdrückt  werden,  da  führen  Ressenti- 
ment und  politische  Ohnmacht  zu  bitterster  Kritik  an  den 
bestehenden  Zuständen  und  damit  zu  Pessimismus  und  Primi- 
tivismus, zu  Weltschmerz  und  Weltflucht. 

Im  neunzehnten  Jahrhundert  findet  sich  noch  derselbe 
Zwiespalt:  auf  der  einen  Seite  steht  etwa  Gustav  Freytag  mit 
seiner  frohen  Zuversicht,  dass  der  Erfolg  des  Bürgertums  auch 
den  Sieg  des  Fortschrittes  bedeuten  muss;  auf  der  anderen 
Seite  steht  Wilhelm  Raabe  in  der  Nähe  der  enttäuschten  Kul- 
turkritiker, deren  Hoffnungen  besonders  nach  1848  zerfallen 
sind  und  denen  nur  noch  die  Flucht  in  eine  stille  und  schlichte 
Welt  des  Einfachen  und  Volksmässigen  möglich  scheint.  Es 
ist  wohl  kein  Zufall,  dass  Freytag  aus  wohlsituiertem  bürger- 
lichen Hause  stammt  und  schon  früh  unabhängig,  erfolgreich 
und  geehrt  ist,  während  Raabe  —  kleinstädtisch,  lange  wenig 
beachtet  und  wenig  geschätzt  und  oft  von  Geldsorgen  bedrückt 
—  einen  Ausfluss  für  seinen  Individualismus  in  fast  pietistischer 
Innerlichkeit  sucht. 

Natürlich  hat  der  Wandel  der  Weltanschauungen  vom 
achtzehnten  zum  neunzehnten  Jahrhundert  auch  hier  nicht 
ohne  Einfluss  bleiben  können:  wo  das  achtzehnte  Jahrhundert 
von  Natur  sprach,  meinte  es  damit  den  Gegensatz  zum  Ent- 
arteten und  Verdorbenen,  und  wenn  es  beispielsweise  von 
"natürlichem"  Recht  sprach,  meinte  es  damit  nicht  das  unent- 
wickelte, primitive,  rohe  Recht,  sondern  das  reine,  vernünftige, 
ewige  Recht,  das  "mit  uns  geboren  ist,"  das  göttliche  Recht  im 
Gegensatz  zum  menschlichen,  das  sich  "wie  eine  ewige  Krank- 


254  CORONA 

heit"  forterbt.  Dem  realistischen  neunzehnten  Jahrhundert 
bedeutet  dagegen  Natur  bald  nur  noch  das  Ländliche,  Bäuer- 
liche, Dörfliche,  das  Blutverbundene  und  Erdhafte. 

II 

Gustav  Freytag  sieht  im  Bürgertum  nicht  nur  den  vorläufi- 
gen Höhepunkt  der  Geschichtsentwicklung  und  das  Ender- 
gebnis eines  progressiven  Aufstieges,  sondern  er  sieht  in  ihm 
auch  die  Ursache  und  den  Träger  des  Fortschrittes.  In  Soll 
und  Haben  stehen  dem  Bürger  auf  der  einen  Seite  die  reaktio- 
nären Adligen  gegenüber,  auf  der  anderen  die  rohen  polni- 
schen Barbaren :  die  einen  v^ie  die  andern  halten  den  Fortschritt 
auf.  Der  Adel,  oder  jedenfalls  diejenigen  Vertreter  des  Adels, 
die  in  Dünkel  und  Standesvorurteilen  beharren,  müssen  hinter 
der  Zeit  zurückbleiben.  Der  Kaufmann  hat  für  sie  kein  Mit- 
gefühl und  keine  Entschuldigung: 

Und  die  Familie,  welche  im  Genüsse  erschlafft,  soll  wieder  herunter- 
sinken auf  den  Grund  des  Volkslebens,  um  frisch  aufsteigender  Kraft 
Raum  zu  machen.  Jeden,  der  auf  Kosten  der  freien  Bewegung  anderer 
für  sich  und  seine  Nachkommen  ein  ewiges  Privilegium  sucht,  betrachte 
ich  als  einen  Gegner  der  gesunden  Entwicklung  unseres  Staates. 

Die  Polen  andrerseits  sind  einer  fortschrittlichen  Gesellschafts- 
ordnung überhaupt  nicht  fähig: 

Sie  haben  keinen  Bürgerstand  .  .  .,  das  heisst,  sie  haben  keine  Cultur; 
es  ist  merkwürdig,  wie  unfähig  sie  sind,  den  Stand,  welcher  Civilisation 
und  Fortschritt  darstellt  und  welcher  einen  Haufen  zerstreuter  Acker- 
bauern zu  einem  Staate  erhebt,  aus  sich  heraus  zu  schaffen. 

Ihnen  müssen  die  Güter  der  Kultur  erst  durch  die  deutschen 
Eroberer  und  Kolonisten  gebracht  v^erden. 

Wie  in  Soll  und  Haben  vertritt  das  Bürgertum  auch  in  der 
Verlorenen  Handschrift  den  Fortschritt.  Die  Suche  nach  dem 
Tacitus-Kodex  führt  den  Gelehrten  zuerst  in  das  Haus  des 
Landmannes  und  dann  an  den  Hof  des  Fürsten.  Wiederum 
steht  hier  also  der  Bürger  zv^^ei  andern  Ständen  gegenüber. 
Wohlgemerkt,  der  Landmann  ist  hier  nicht  der  romantisierte, 
erdverbundene  Bauer  des  Primitivismus,  sondern  —  v^^ie  übri- 
gens auch  schon  im  ersten  Roman  —  ein  kluger  und  umsich- 


FORTSCHRITTSGLAUBE  UND  KULTURKRITIK    255 

tiger  Geschäftsmann,  der  verständig  sein  Gut  verwaltet.  Mit 
bürgerlichen  Augen  wird  die  Landwirtschaft  gewissermassen 
als  ein  Geschäftsunternehmen  angesehen.  Dem  anfänglichen 
Misstrauen  des  Landmannes  erwidert  der  Gelehrte,  dass  die 
Wissenschaft,  wenn  sie  zunächst  auch  nur  einem  kleinen  Kreis 
zugänglich  sei,  unsichtbar  und  in  der  Stille  doch  Seele  und 
Leben  des  gesamten  Volkes  beherrsche.  Nicht  nur  technische 
Neuerungen  und  Maschinen  liefert  der  Bürger  dem  Bauern, 
sondern  auch  die  neuen  und  fortschrittlichen  Ideen,  durch  die 
Millionen  freier  und  besser  werden.  Ganz  ähnlich  äussert 
Freytag  sich  einmal  in  einem  Aufsatz  in  den  Grenzboten: 

Das  Bestreben  an  dem  eigenen  Leben  zu  bessern,  demselben  nach  allen 
Richtungen  höheren  Inhalt,  grössere  Energie  zu  geben,  ist  gerade  das 
charakteristische  Zeichen  der  Gegenwart  im  Gegensatz  zur  nächsten 
Vergangenheit  geworden.  Dabei  hat  sich  auch  das  Verhältnis  der  Ge- 
bildeten zu  den  kleineren  Kreisen  des  deutschen  Lebens,  dem  Land- 
mann, dem  Arbeiter,  dem  kleinen  Bürger  umgeformt.  Während  man 
sich  vor  zwanzig  Jahren  noch  über  die  naturwüchsige  Kraft  dieser 
Berufsklassen  wie  staunend  freute,  so  oft  unsere  Novellisten  dieselbe 
anmutig  vorzuführen  wussten,  ist  man  jetzt  mitten  in  der  männlicheren 
Arbeit,  die  Schranken,  welche  den  kleinen  Mann  immer  noch  von  der 
Bildung  der  Begünstigten  trennen,  niederzureissen,  unsere  Bedürfnisse, 
unser  Wissen,  unsern  Idealismus  auch  in  sein  Leben  hineinzutragen. 

Die  Absage  an  den  historischen  Primitivismus,  der  sein 
Ideal  in  der  geschichtlichen  Vergangenheit  sucht,  wie  auch  an 
den  kulturellen  Primitivismus,  der  sein  Ideal  bei  den  ein- 
fachen, bodenständigen,  urwüchsigen  Menschen  sucht,  kann 
kaum  schroffer  ausgedrückt  werden.  So  wird  in  dem  Roman 
der  Gelehrte  auch  durchaus  von  dem  Landmann  und  seiner 
Tochter  als  Vertreter  des  Fortschrittes  und  der  Aufklärung 
anerkannt.  Welche  Gelegenheit  wäre  hier  für  einen  Primitivi- 
sten  gewesen,  das  Landleben  zu  verherrlichen;  doch  keine 
Spur  davon  findet  sich  bei  Gustav  Freytag. 

Aber  auch  die  Vertreter  des  Adels,  die  nicht  verblendet  und 
befangen  sind,  die  Tochter  des  Fürsten  etwa  und  der  Oberhof- 
meister, spüren,  dass  sie  einer  untergehenden  Klasse  angehören, 
dass  sie  Überbleibsel  einer  versinkenden  Welt  sind  und  dass 


256  CORONA 

Fortschritt,  Führerschaft  und  Zukunft  dem  Bürger  gehören, 
der  denn  auch  voller  Stolz  verkündet: 

Der  wärmste  Herzschlag  unserer  Nation  war  von  je  in  der  Mitte 
zwischen  oben  und  unten,  von  da  aus  verbreiteten  sich  Bildung  und 
neue  Ideen  allmählich  zu  den  Fürsten  und  in  das  Volk.  Sogar  Eigen- 
tümlichkeiten und  Schwächen  einer  Zeitbildung  steigen  in  der  Regel 
ein  halbes  Menschenalter,  nachdem  die  Gebildeten  in  der  Mitte  des 
Volkes  darunter  gelitten  haben,  auf  die  Throne,  sie  erlangen  dort  erst 
Geltung,  wenn  sie  im  Volke  durch  neue  Zeitrichtung  bereits  überwun- 
den sind. 

So  Spricht  der  Bürger  zur  Prinzessin,  und  zu  seiner  Frau 
sagt  er: 

Denn  das  ist  doch  das  höchste  und  unzerstörbare  Glück  der  Menschen, 
wenn  er  vertrauend  auf  das  Werdende,  mit  Hoffnung  auf  das  Zukünf- 
tige blicken  kann.   Und  so  leben  wir. 

Derselbe  optimistische  Fortschrittsglaube  beherrscht  Frey- 
tags historische  Novellistik.  Seine  Ahnen  sind  das  hohe  Lied 
auf  den  Aufstieg  des  Bürgertums.  Diese  Folge  von  Romanen 
ist  kein  romantisch-sehnsüchtiges  Lob  der  Vergangenheit,  kein 
Zurückblicken  nach  dem  verlorenen  Paradies;  sondern  die  Ge- 
schichte, wie  wir  sie  hier  finden,  ist  eine  fortschreitende  Auf- 
wärtsentwicklung, ein  kumulativer  Prozess,  bei  dem  jede 
spätere  Stufe  alle  früheren  enthält,  auf  ihnen  aufbaut  und  über 
sie  hinausführt.  Diese  Auffassung  von  der  Geschichte  als  einer 
Art  Pyramide,  deren  breite  Grundlage  die  Vergangenheit  und 
deren  Höhepunkt  die  Gegenwart  ist,  hatte  schon  Professor 
Werner,  der  gelehrte  Historiker  und  Antiquar,  in  der  Ver- 
lorenen Handschrift  vertreten;  Tacitus,  so  meinte  er,  erkenne 
an  seinem  Volke  nur  Verfall,  aber  der  moderne  Historiker 
"blicke  von  der  gesunden  Luft  der  Höhe  hinab  in  die  dunkle 
Tiefe."  Und  an  einer  anderen  Stelle  erklärt  er,  dass  unser 
heutiger  hoher  Stand  nur  möglich  sei,  weil  die  Menschen  ver- 
gangener Zeiten  und  ferner  Völker  für  uns  gelebt,  geschaffen 
und  gekämpft  hätten,  wie  wir  wieder  für  die  kommenden 
Generationen  kämpfen,  schaffen  und  leben  müssten.  Diese 
ausgesprochen  progressivistische  Geschichtsauffassung  bildet 
auch  die  Grundlage  der  Ahnen,  deren  Thema  somit  nicht 


FORTSCHRITTSGLAUBE  UND  KULTURKRITIK    257 

eigentlich  die  Vergangenheit  ist,  sondern  die  Gegenwart,  in 
der  die  Vergangenheit  gipfelt.  Bezeichnend  ist  wohl  die  Stelle, 
mit  der  der  erste  Band  schliesst: 

Länger  wurde  die  Kette  der  Ahnen,  welche  jeden  einzelnen  an  die 
Vergangenheit  band,  grösser  sein  Erbe.  .  .  .  Aber  wundervoll  wuchs 
dem  Enkel  zugleich  mit  dem  Zwange,  den  die  alte  Zeit  auf  ihn  legte, 
auch  die  eigne  Kraft  und  schöpferische  Freiheit. 

Mit  dieser  Fortschrittsidee  stimmt  auch  die  unverkennbare 
nationale  Tendenz  der  Romane  überein:  auch  hier  liegt  der 
Höhepunkt  in  der  Gegenwart  oder  gar  erst  in  der  Zukunft; 
denn  nicht  nur  der  Aufstieg  des  Bürgertums  wird  geschildert, 
sondern  auch  das  Werden  eines  geeinten,  freien,  bürgerlichen 
deutschen  Reiches.  Gewiss,  nach  Freytags  Ansicht  und  Dar- 
stellung sind  schon  in  germanischer  Zeit  die  Deutschen  ihren 
Nachbarn  moralisch  überlegen:  Bonifatius  kann  ihnen  ver- 
trauen, da  sie  zwar  Heiden,  aber  keine  Schacher  seien;  Mut 
und  Stolz,  Treue  und  Zuverlässigkeit  unterscheiden  sie  von  der 
Schurkerei  und  Tücke  der  Wenden  in  den  ersten  der  Romane, 
von  der  Feigheit  und  Falschheit  der  Polen,  von  der  Verant- 
wortungslosigkeit und  Verschlagenheit  der  Franzosen  in  den 
späteren.  Doch  die  guten  Eigenschaften  der  Germanen  sind 
weder  verloren  gegangen  noch  entartet,  so  dass  sie  nur  durch 
eine  geschichtlichte  Umkehr  wieder  erreicht  werden  könnten; 
vielmehr  meint  Freytag,  entsprechend  seiner  progressivistischen 
Anschauung,  dass  sie  ein  ewiger  Besitz  der  Deutschen  durch 
die  Jahrhunderte  bleiben  und  sich  noch  verfeinern  und  vervoll- 
kommnen; die  alten  germanischen  Fehler  und  Schwächen  — 
denn  auch  von  diesen  ist  viel  die  Rede  in  den  Romanen  — 
verschwinden  dagegen  allmählich:  Bruderzwist,  Kampf  des 
Deutschen  gegen  den  Deutschen,  nationale  Uneinigkeit  und 
Streitsucht,  Verräterei  und  Hinterlist  des  Volksgenossen  gegen 
den  Volksgenossen,  kurz  all  die  alten  deuschen  Erbübel  wer- 
den in  der  Gegenwart  oder  vielleicht  erst  in  der  Zukunft  über- 
wunden werden,  —  also  auch  hier  ein  Aufstieg.  Am  klarsten 
spricht  Freytags  Haltung  vielleicht  aus  einigen  Schlusssätzen 
der  Bilder  aus  der  deutschen  Vergangenheit: 


258  CORONA 

Denn  in  dem  deutschen  Bürgertum  liegt  die  edelste  Kraft,  die  Führer- 
schaft auf  dem  Gebiet  idealer  und  praktischer  Angelegenheiten.  Die 
Entwicklung  der  Deutschen  aber  ist  zugleich  die  Zeit  des  Wachstums 
und  der  Befreiung  des  deutschen  Bürgers.  Es  ist  eine  grosse  Freude  in 
solcher  Zeit  zu  leben.  Eine  herzliche  Wärme,  das  Gefühl  junger  Kraft 
erfüllt  Hunderttausende. 

Darum  liebt  ein  Volk,  welches  sich  seiner  Gegenwart  freut,  auch  der 
vergangenen  Zeit  zu  gedenken,  weil  es  in  ihr  die  geworfene  Saat  seines 
blühenden  Halmfeldes  erkennt.  Wir  meinen,  für  den  Deutschen  ist 
die  Zeit  gekommen,  wo  seine  Seele  über  die  Vergangenheit  des  eignen 
Volkes  dahinfliegen  darf  wie  die  Lerche  am  Morgen  über  den  däm- 
merigen Grund. 

Kein  Zweifel,  diese  Worte  stehen  im  schärfsten  Gegensatz  zu 
dem  Väter-  und  Sippengeist  des  geschichtUchen  Primitivismus, 
der  beklagt  und  bedauert,  dass  die  Germanen  der  Römerzeit 
und  die  Deutschen  des  mittelalterUchen  Kaiserreiches  sich  je 
zu  den  Bürgern  der  Gegenwart  entwickelt  haben. 

III 

Wilhelm  Raabe  ist  der  Gegenspieler  Freytags  in  demselben 
Sinne  etwa,  in  dem  Schopenhauer  der  Gegenspieler  Hegels  ist. 
Wenn  man  mit  einer  etwas  einseitigen  Formulierung  Freytags 
Ansicht  dahin  zusammenfassen  könnte,  dass  wir  es  zuletzt  so 
herrlich  weit  gebracht,  dann  mag  man  in  Raabe  den  Antipoden 
sehen,  für  den  die  wahren  und  echten  Werte  zwar  gleichfalls 
nicht  in  der  Vergangenheit  liegen,  aber  doch  auch  nicht  in  der 
Gegenwart,  sondern  in  einem  Reich  innerlicher  Zurückgezogen- 
heit bei  jenen  stillen  und  einfachen  und  ursprünglichen  Men- 
schen, die  abseits  von  der  Welt  bürgerlichen  Glanzes  und 
bürgerlichen  Erfolges  stehen. 

Ist  auch  Raabes  Gesamtwerk  recht  eigentlich  nur  eine  Folge 
von  Variationen  über  dieses  Thema,  so  sind  vielleicht  die 
grossen  Romane  der  sechziger  Jahre  der  stärkste  Ausdruck 
seines  Zivilisationspessimismus.  Gewiss,  Die  Leute  aus  dem 
Walde  haben  ein  glückliches  Ende:  das  Wahre  und  Echte  tri- 
umphiert; die  Sterne,  auf  die  die  Menschen  vertrauen,  bringen 
Frieden  und  Erfüllung.  Dennoch  ist  diese  Lebensbejahung 
weit  entfernt  von  jedem  Optimismus;  dass  der  Mensch  zu 


FORTSCHRITTSGLAUBE  UND  KULTURKRITIK    259 

seinen  Sternen  aufblicken  soll,  was  heisst  das  denn  anderes,  als 
dass  er  von  den  Kleinigkeiten  und  Unzulänglichkeiten  des 
Lebens  sich  nicht  anfechten  und  sich  nicht  unterkriegen  lassen 
darf?  Was  heisst  es  anderes,  als  dass  man  nicht  murren  und 
anklagen  soll,  sondern  tapfer  erdulden,  ertragen  und  entsagen  ? 
Der  Held  des  Romans,  Robert  Wolf,  fasst,  was  er  gelernt  hat. 
in  den  Worten  zusammen: 

Ich  habe  gelernt,  dass  allen  Mühen  ein  Ende  bereitet  ist.  Arbeiten  und 
schaffen  soll  jeder  nach  seiner  Art,  denn  darin  liegt  sein  Heil;  bauen 
soll  er  in  sich  und  ausser  sich,  und  was  ihm  in  der  Seele,  was  ihm  im 
Umkreis  seines  Seins  von  gegenwirkenden  Kräften  zerstört  wurde,  das 
soll  er  immer  von  neuem  geduldig  aufrichten,  denn  darin  liegt  sein 
Glück.  Wer  die  Arme  sinken  lässt,  der  ist  überall  verloren,  "er  zürnt 
ins  Grab  sich  rettungslos."  Wer  aber  jeden  Schritt  zum  Grabe  verteidigt 
und  würdig  —  ohne  feiges  Klagen,  doch  auch  ohne  ohnmächtigen  Trotz 
—  auch  die  lichtesten  Höhen  verlassen  kann,  um  in  die  dunkle  Tiefe 
hinabzusteigen,  der  hat  gewonnen.  Als  Sieger  schreitet  er  in  die  Gruft, 
nicht  wird  er  überwunden  hineingestürzt. 

Diese  Lebensbejahung  beruht  also  im  Grunde  auf  Resignation, 
auf  einem  Hinauswachsen  und  Sich-Erheben  über  die  alltäg- 
liche Welt,  auf  einem  "Besiegen"  des  Lebens.  Hierin  liegt  das 
Geheimnis:  der  Weise  erkennt  das  Schicksal  an,  weil  er  inner- 
lich über  die  gegenwirkenden  Kräfte  erhaben  ist.  Und  wer 
kann  sich  zu  solcher  Höhe  aufschwingen  .f*  Der  Titel  des  Ro- 
mans gibt  darüber  Auskunft:  die  Leute  aus  dem  Walde,  die 
Enterbten  und  Ausgestossenen,  die  Originale  und  Sonderlinge, 
die  nicht  auf  gepflasterter  Strasse  —  "alle  Viertelmeile  ein 
Meilenzeiger"  —  wandeln,  denen  nicht  das  Los  der  goldenen 
Mittelmässigkeit  zufiel,  die  behaftet  sind  mit  Schmerz,  Ge- 
brechen, Krankheit  und  jeglichem  Elend.  Diese  Flucht  aus  der 
bürgerlichen  Welt  in  eine  innere,  zeitlose  Welt  der  schlichten 
und  einfachen  Menschen  ist  die  letzte  Rettung  des  zivilisations- 
müden Primitivisten. 

Ähnlich  wie  die  Entwicklung  Robert  Wolfs  ist  auch  die 
des  Schustersohnes  Hans  Unwirsch  im  Hungerpastor:  von  der 
Kröppelstrasse  in  Neustadt,  von  der  Armenstrasse  einer  Klein- 
stadt also,  führt  der  Lebens-  und  Bildungsweg  Hans  Unwirschs 
vorbei  an  den  Häusern  der  Reichen  und  Adligen,  der  Stolzen 


26o  CORONA 

und  innerlich  Gebrochenen,  vorbei  an  Elend  und  Gemeinheit, 
vorbei  an  Eigennutz  und  Selbstsucht,  durch  die  Wirrnis  der 
Grosstadt  zu  der  Hungerpfarre  des  entlegenen  Dorfes  Grunze- 
now^,  dieser  äusserlich  armen  und  innerlich  reichen  Zuflucht- 
stätte weiser  und  lauterer  Menschen,  wohin  die  Schiffbrüchigen 
aus  der  lärmenden  Welt  des  Bürgertums  und  der  Erfolgs] agd 
zu  letzter  Ruhe  kommen. 

Bitterer  und  beissender  ist  die  Gesellschaftskritik  in  Abu 
Telfan,  der  Geschichte  von  der  Heimkehr  Leonhard  Hagen- 
buchers  aus  dem  Mondgebirge,  wo  er  über  zehn  Jahre  als 
Sklave  einer  Negerfürstin  zugebracht  hat.  Doch  bald  sieht  er, 
dass  das  freie  Leben  in  Deutschland  der  Sklaverei  unter  den 
wilden  Negern  nicht  so  unbedingt  vorzuziehen  ist;  auch  ihm 
bleibt  nur  übrig,  duldend  in  der  Welt  "auszuhalten"  und  sich 
nicht  besiegen  zu  lassen.  In  einem  kleinen  Kreis  Gleichgesinn- 
ter findet  er  ein  Asyl,  ein  "refugium,"  dessen  Mittelpunkt  Frau 
Claudine  in  der  Katzenmühle  ist.  Trotz  Raabes  Berufung  auf 
Goethes  Altersweisheit  ist  dies  aber  sehr  verschieden  von 
Goethes  tätigem  "Entsagen,"  das  ja  nicht  pessimistisch  ist, 
sondern  ein  Hinnehmen  der  Welt,  wie  immer  sie  sei.  Goethes 
Menschen  entsagen  ihren  eignen  Wünschen  und  Ansprüchen 
um  sich  der  Welt  einzuordnen,  während  Raabes  Menschen  der 
Welt  entsagen  oder  sich  entsagend  mit  der  Welt  abfinden,  es 
in  ihr  weise  und  leidend  und  duldend  "aushalten,"  um  tiefere 
und  wahrere,  innere  und  individuelle  Werte  hinüberzuretten. 

Im  Schüdderump  ist  der  Weg  gleichsam  umgekehrt;  denn 
aus  der  Geborgenheit  sicheren  Schutzes,  den  sie  im  Siechen- 
haus und  auf  dem  Lauenhof  geniesst,  wird  Tonie  Haussier  von 
ihrem  heimtückischen  und  gerissenen,  brutalen  und  rohen 
Vater,  dem  früheren  Dorf  barbier  und  jetzigen  Kriegsliefe- 
rungsspekulanten, hinausgerissen.  Aber  auch  sie  überwindet 
innerlich  die  Welt  der  rücksichtslosen  Geschäftigkeit  und 
Unehrlichkeit,  in  der  sie  äusserlich  zugrunde  gehen  muss ;  auch 
sie  "schreitet  als  Siegerin  in  die  Gruft." 

Der  Tod  Tonie  Haussiers  ist  tragischer  und  vielleicht  auch 
pessimistischer  als  die  Schlüsse  der  anderen  Romane;  im 
Grunde  ist  aber  die  Anschauung  eigentlich  dieselbe:  der  lautere 


FORTSCHRITTSGLAUBE  UND  KULTURKRITIK    261 

Mensch  kann  sich  aus  der  Welt  der  Bürger  und  Philister  nur 
auf  eine  Insel  retten,  die  abseits  von  dem  Strome  des  Getriebes 
liegt,  wobei  es  gleich  ist,  ob  diese  Zufluchtstätte  nun  die  Hun- 
gerpfarre von  Grunzenov^^  oder  der  Tod  ist;  das  eine  wie  das 
andere  ist  ein  siegendes  Sich-Erheben  über  die  Welt  der  Bour- 
geoisie. Trotz  aller  äussern  Heiterkeit  und  Behaglichkeit  ist 
das  auch  der  tiefere  Sinn  des  Stopf kuche7i.  Stopf kuchen  ist  der 
Spitzname,  den  Heinrich  Schaumann  auf  der  Schule  wegen 
seiner  Gefrässigkeit  und  Behäbigkeit,  wegen  seiner  Dicke, 
Faulheit  und  Dummheit  erhalten  hat.  Immer  schon  hat  Hein- 
rich sich  zu  der  "roten  Schanze"  gezogen  gefühlt.  Die  Welt 
der  roten  Schanze  steht  im  feindlichen  Gegensatz  zu  der  Au- 
ssenwelt  des  Dorfes,  des  Alltags  und  der  Durchschnittsmen- 
schen; jene  ist  von  dieser  nicht  nur  durch  Wälle  und  Gräben 
und  bissige  Hunde  geschieden,  sondern  auch  durch  Blut-  und 
Mordgeruch.  Heinrich,  der  die  Schanze  gewissermassen  für 
sich  erobert,  gewinnt  damit  eine  Zuflucht  vor  der  Welt,  ein 
"refugium."  Es  wird  jetzt  klar,  dass  nicht  seine  Mitschüler  ihn 
in  der  Hecke  haben  liegen  lassen,  sondern  er  sie,  "Was  blieb 
mir  anders  übrig,"  fragt  er,  "als  mich  an  meinen  Appetit  zu 
halten  und  mich  auf  mich  selber  zu  beschränken  und  euch 
mit  meinen  herzlichsten  Segenswünschen  die  Rückseite  zu- 
zudrehen?" Sein  Phlegma  ist  also  ein  weises,  abgeklärtes  Über- 
der-Welt-Stehen. 

"Vogelsang"  nennt  Raabe  einen  jener  stillen  entlegenen 
Winkel,  eine  jener  seltenen  Zufluchtstätten,  in  die  unsere  in- 
dustrielle Gegenwart  mit  Fabriken  und  Maschinen  hinein- 
bricht. Hier  wachsen  zwei  Menschen  auf,  Helene  Trotzendorf 
und  Veiten  Andres,  deren  Geschicke  in  den  Akten  des  Vogel- 
sangs  berichtet  werden.  Ihre  Lebenswege  führen  zeitweise 
weit  auseinander,  durch  mancherlei  Erfahrungen  und  Ent- 
täuschungen und  Versuchungen.  Die  selbstgefälligen  Bürger 
verstehen  nicht,  dass  Veiten,  so  reich  an  Gaben  und  Anlagen, 
dennoch  im  Leben  scheinbar  versagt  und  arm  und  besitzlos 
stirbt.  Aber  was  den  Bürgern  ein  Misserfolg  scheint,  ist  in 
Wirklichkeit  Resignation  und  lUusionslosigkeit.  Auch  Veiten 
erhebt  sich  über  das  Leben  und  —  um  diese  Worte  zum  letzten- 


202  CORONA 

mal  zu  zitieren  —  "schreitet  als  Sieger  in  die  Gruft,  nicht  wird 
er  überwunden  hineingestürzt." 

Man  kann  Raabes  Menschen  in  drei  Hauptgruppen  ein- 
teilen. Die  erste  Gruppe  ist  die  der  Erfolgreichen,  die  auf 
unlautere  Weise  es  in  dieser  Welt  zu  etwas  bringen.  Der  Jude 
Moses  Freudenstein  oder  adlige  Schurken  wie  Leon  von  Poppe 
und  Friedrich  von  Glimmern  oder  gewissenlose  Heraufkömm- 
linge  wie  Herr  Dietrich  Haussier  Edler  von  Haussenbleib 
gehören  zu  ihnen,  skrupellose  und  griffbereite  Menschen,  die 
leicht  zu  den  höchsten  Höhen  der  menschlichen  Gesellschaft 
aufsteigen  und  durchaus  nicht  immer  von  der  gerechten  Strafe 
ereilt  werden.  Die  zweite  Gruppe  ist  die  der  mittelmässigen 
Durchschnittsmenschen,  die  sich  meistens  recht  wohl  fühlen 
und  ein  glückliches  Leben  führen.  Zu  ihnen  gehören  die 
behaglichen  Realisten,  die  die  Sachen  gelten  lassen,  wie  sie 
sich  geben,  Serena  Reihenschlager  etwa  oder  Junker  Hennig 
von  Lauen;  zu  ihnen  gehören  auch  die  engherzigen  und 
selbstgefälligen  Philister,  denen  jegliches  Verständnis  für 
höheres  Leben  fehlt,  die  Bürger  und  Honoratioren  von 
Nippenburg  und  Krodebeck,  die  Bankiers,  Pfarrer,  Polizei- 
direktoren, Bürgermeister  und  Kommerzienräte.  Und  da  ist 
schliesslich  die  dritte  Gruppe  der  Einfachen  und  Echten,  der 
Stillen  und  Schlichten,  der  Ursprünglichen  und  Innerlichen, 
der  Sonderlinge,  Originale  und  Individualisten.  Sie  haben 
weder  Erfolg  im  bürgerlichen  Sinne  noch  Reichtum  und 
Macht;  sie  leben  in  entlegenen  stillen  Orten,  gleichviel  ob  dies 
nun  der  Turm  des  Klosters  von  St.  Nikolaus  ist,  die  Hunger- 
pfarre in  Grunzenow,  die  Katzenmühle,  der  Lauenhof,  oder 
ein  Zimmer  in  der  Dorotheenstrasse  in  Berlin,  oder  gar  das 
Siechenhaus  zu  Krodebeck.  Wohl  gehören  zu  ihnen  auch 
Adlige  wie  Nikola  von  Einstein,  Juliane  von  Poppe  und  vor 
allem  der  Ritter  von  Gläubigern,  aber  sie  haben  sich  losgelöst 
von  ihrem  Stande,  sie  gehören  nicht  mehr  zu  dem  Adel  des 
Besitzes  und  der  Titel,  sondern  zu  dem  Adel  des  Herzens. 
Auch  sie  sind  einfache  und  ursprüngliche  Menschen. 

Raabes  Primitivismus  ist  weder  dumpfe  Schollenromantik 
noch  Sehnsucht  nach  vergangenen  Fernen,  weder  eine  Verherr- 


FORTSCHRITTSGLAUBE  UND  KULTURKRITIK    263 

lichung  des  Bauern  noch  des  primitiven  Germanen,  sondern 
ein  Niedersteigen  zu  Letztem  und  Endgültigem,  zum  Urgrund 
der  Welt,  ein  Sich-Zurückziehen  in  eine  innerliche  Welt,  in 
der  der  Mensch  frei  sein  darf  von  allen  Stürmen  und  Fährnis- 
sen, von  allen  Anfechtungen,  Widrigkeiten  und  Unbilden. 
Es  ist  ein  Sich-Besinnen  auf  die  wahren  Werte,  die  nicht  an 
der  gleissenden  Oberfläche  liegen,  sondern  in  dunklen  und 
abgründigen  Schächten.  Es  ist  ein  Suchen  nach  den  Tiefen 
des  Seins,  das  viel  mehr  ist  als  erdennahes  Leben.  Diese  Wen- 
dung zum  Urweltlichen,  zum  Grund  der  Dinge  —  Raabe  ent- 
lehnt im  Abu  Telfan  dafür  das  Symbol  der  "Mütter"  aus 
Goethes  Faust  —  ist  gleichsam  ein  vertiefter,  ein  metaphysischer 
oder  transzendentaler  Primitivismus. 

War  es  nun  charakteristisch  für  Freytag,  dass  der  Gelehrte 
und  Wissenschaftler  eine  bevorzugte  Stellung  in  seinen 
Werken  einnahm,  so  verbindet  sich  mit  dem  Primitivismus 
leicht  eine  Geisteshaltung,  die  man  wohl  am  besten  als  Anti- 
Intellektualismus bezeichnen  könnte:  dieser  Ansicht  nach 
wäre  der  Verlust  des  Paradieses  die  Strafe  dafür,  dass  der 
Mensch  von  der  verbotenen  Frucht  der  Erkenntnis  gegessen 
hat.  Der  Intellektualismus,  gegen  den  diese  Auffassung  sich 
wendet,  ist  die  Weisheit  der  Schlange.  Diese  Verbindung  von 
Primitivismus  und  Anti-Intellektualismus  findet  sich  sowohl 
bei  Rousseau  und  der  Vorromantik  als  auch  bei  Raabe  und  — 
wahrscheinlich  am  programmatischsten  —  bei  Tolstoi,  um  nur 
einige  Vertreter  zu  nennen. 

Raabes  Misstrauen  gegenüber  erlerntem  Wissen  und  ver- 
standesmässiger  Erziehung  zeigt  sich  in  seiner  Vorliebe  für 
Menschen,  deren  Schulbildung  Lücken  aufweisen  mag,  durch 
deren  Herzens-  und  Gemütsbildung  jedoch  alle  Magister  und 
Doktoren  weit  in  den  Schatten  gestellt  werden.  Stopfkuchen 
ist  alles  andere  als  ein  Musterschüler,  und  Veiten  Andres  —  wie 
übrigens  Raabe  selber  —  fällt  beim  Maturitätsexamen  durch. 
Die  autodidaktische  Gelehrsamkeit  des  Vetter  Just  (in  den 
Alten  Nestern)  kann  selbst  einem  Durchschnittsgymnasiasten 
nur  ein  leises  Lächeln  entlocken,  und  doch  trifft  er  mit  der 
instinktiven  Sicherheit  des  ursprünglichen  und  echten  Men- 


264  CORONA 

sehen  immer  das  Richtige,  während  der  gelehrte  Privatdozent 
sich  nicht  zu  helfen  und  zu  raten  weiss.  Leonhard  Hagen- 
bucher  studiert  zwar  ein  Konversationslexikon,  um  sich  die 
nötigsten  Kenntnisse  anzueignen,  aber  seine  wahre  Bildung 
erhält  er  in  der  Negersklaverei  und  von  Frau  Claudine  auf 
der  Katzenmühle.  Im  Hungerpastor  steht  diese  Frage  sogar 
im  Mittelpunkt;  denn  es  handelt  sich  ja  nicht  nur  um  den 
Hunger,  der  nach  Essen  und  Trinken  und  einem  guten  Leben 
verlangt,  sondern  um  jenen  faustischen  Wissenshunger,  der  in 
uns  nagt,  weil  es  soviele  Dinge  gibt,  die  wir  nicht  verstehen. 
Die  wissenschaftliche,  intellektualistische  Verstandesschärfe  des 
Juden  Moses  Freudenstein  steht  hier  der  ahnenden  An- 
schauung und  dem  intuitiven  Erfassen  Hans  Unwirschs  ge- 
genüber ;  Träumen  und  Spintisieren  werden  der  von  volkhaften 
Bindungen  losgetrennten  Verstandeshelle  entgegengesetzt:  bei 
Moses  Freudenstein  haben  wir  die  scharfen  Begriffe  und  die 
Zungenfertigkeit  der  Sophisten,  bei  Hans  Unwirsch  das  Inne- 
Werden  der  Mystiker.  Dem  Deutschen  liegt  das  Grübeln  in 
einem  höchst  wörtlichen  Sinne  "im  Blute"  und  ist  ein  Teil 
seiner  Seele,  wohingegen  Moses  der  typische  Gehirnmensch 
und  Intellektualist  ist.  Raabes  Ansicht,  dass  der  Geist  der 
Widersacher  der  Seele  sei  (um  die  Klagessche  Terminologie  zu 
benutzen),  ist  nun  allerdings  weit  entfernt  von  Hinterwäldler- 
tum,  Finsternis  und  Analphabetentum,  wozu  die  Übertreibung 
einiger  seiner  Nachfolger  führte. 

Das  Ziel,  zu  dem  Kulturmüdigkeit  und  Primitivismus 
schliesslich  führen  mussten,  ist  der  begrenzte  Kreis  der  Hei- 
mat. Die  Heimatdichtung  im  engeren  Sinne  ist,  wie  übrigens 
auch  ihr  Gegenstück,  die  "proletarische"  Dichtung,  ein  Ab- 
leger des  Naturalismus  und  Impressionismus  und  keineswegs 
auf  Deutschland  beschränkt;  man  braucht  nur  etwa  an  Zolas 
La  Terre  zu  denken,  oder  an  den  Norweger  Knut  Hamsun, 
den  Franzosen  Jean  Giono,  den  Schweizer  Ramuz.  Auch 
schon  vor  der  eigentlichen  Heimatdichtung  hatten  manche 
Dichter  das  Eigentümliche  und  Absonderliche,  die  Bräuche, 
Sitten  und  Zustände  der  Landschaft  benutzt,  um  ihren  Erzäh- 
lungen Farbe  und  Stimmung  zu  geben,  die  Droste  etwa  in 


FORTSCHRITTSGLAUBE  UND  KULTURKRITIK    265 

der  Judenbuche,  oder  Keller  in  seinen  Züricher  Novellen  und 
seiner  Geschichte  von  Romeo  und  ]ulia  auf  dem  Dorfe,  oder 
Otto  Ludwig  in  der  Heiterethei.  Doch  in  dem  Bestreben,  diese 
Dichter  als  Vorläufer  des  Regionalismus  in  Anspruch  zu 
nehmen,  hat  man  oft  übersehen,  wie  negativ  bei  ihnen  das 
Nur-Heimatliche  und  Bodenständige  gesehen  wird:  das  Land- 
schaftliche bei  der  Droste  ist  ja  gerade  der  Grund,  aus  dem 
Verbrechen  und  Gesetzlosigkeit,  Gewalt,  Frevel  und  Brutalität 
wachsen;  und  auch  bei  Keller  wird  man  keine  Spur  entdecken 
von  biedermeierlicher  Liebe  für  das  stille  Wirken  im  engsten 
Kreise;  sein  Spott  gilt  ja  gerade  den  befangenen  und  klein- 
städtischen Spiessbürgern  von  Seldwyla;  und  das  erdenschwere 
Dasein  der  Bauern  Manz  und  Marti  ist  keine  Quelle  von 
Menschlichkeit  und  Lebenskraft,  sondern  von  Starrköpfigkeit, 
Trotz,  Rechthaberei,  Hartnäckigkeit  und  Leidenschaft.  Bei 
Otto  Ludwig  wird  das  Lokale  und  Provinzielle  ebenfalls  be- 
lächelt; auch  sein  Spott  gilt  den  Kleinbürgern  und  Klein- 
bürgerinnen mit  ihrem  Geschwätz  und  Geklatsch,  mit  ihrer 
Anmassung,  Wichtigtuerei  und  Hochnäsigkeit. 

Auch  Raabe  verketzert  nun  durchaus  nicht  etwa  nur  die 
geschäftstüchtigen  Bürger  von  Berlin  und  Wien,  und  nicht  nur 
die  Streber  und  Emporkömmlinge  der  Residenzstädte,  sondern 
auch  die  selbstgerechten  und  engherzigen  Philister  der  Dörfer 
und  Kleinstädte,  und  dennoch  gehen  bei  ihm  aus  dem  Kreise 
der  Kleinbürger  ohne  Herzensbildung  und  aus  dem  Kreise  der 
Philister  die  stillen  und  innerlich  grossen  Menschen  hervor, 
jene  schrulligen,  verschrobenen,  widerborstigen  Sonderlinge 
mit  dem  tapferen  Herzen  und  lauteren  Sinn,  die  über  alle 
Niedrigkeit  hinauswachsen  und  die  durch  alle  Anmassung  und 
Vorspiegelung  hindurchschauen  ohne  Hass  und  ohne  Verach- 
tung. Die  Katzenmühle  liegt  bei  Nippenburg,  und  das  Siechen- 
haus mitten  in  Krodebeck,  oder  mit  andern  Worten:  die 
Zufluchtstätten  der  schlichten  und  einfachen  Menschen  liegen 
mitten  in  dieser  kleinlichen  und  verständnislosen  Welt. 
"Wohin  wir  blicken,"  heist  es  in  Abu  Telfan,  "zieht  stets  und 
überall  der  germanische  Genius  ein  Drittel  seiner  Kraft  aus 
dem  Philistertum,  und  wird  von  dem  alten  Riesen,  dem  Ge- 


266  CORONA 

danken,  mit  welchem  er  ringt,  in  den  Lüften  schwebend  er- 
drückt, wenn  es  ihm  nicht  geUngt,  zur  rechten  Zeit  wieder 
den  Boden,  aus  dem  er  erwuchs,  zu  berühren.  ...  Es  lebe 
Nippenburg  und  Bumsdorf,  der  Bierkrug  und  die  KafEekanne, 
der  Strickstrumpf  und  das  Dintenfass!"  So  führt  in  seinen 
letzten  Folgerungen  und  Ausgestaltungen  der  Primitivismus 
allerdings  zur  Heimatdichtung. 

IV 

Wie  Primitivismus  und  Progressivismus  hat  auch  der 
deutsche  Nationalismus  durch  die  bürgerlich-demokratische 
Ideologie  im  achtzehnten  Jahrhundert  einen  neuen  Auftrieb 
erhalten.  Der  Nationalismus  wird  nicht  allein  gespeist  von  der 
Idee  der  Volkssouveränität,  sondern  in  Deutschland  war  der 
Kampf  für  nationale  Einigung  ja  zugleich  der  Kampf  gegen 
feudalen  Absolutismus  und  Partikularismus.  Ferner  kommt 
wohl  auch  noch  das  rein  wirtschaftliche  Interesse  der  kom- 
merziellen Mittelklassen  an  einem  geeinten  Reich  hinzu.  Doch 
darf  man  wohl  sagen,  dass  dieses  Reich  ihrer  Sehnsucht  ein 
bürgerliches,  demokratisches  Reich  sein  sollte,  und  dass  ihr 
Nationalismus  ein  liberaler  und  fortschrittlicher  Nationalismus 
war. 

Sowohl  Freytag  wie  Raabe  sind  von  starken  nationalen 
Tendenzen  beseelt,  doch  Hesse  sich  vielleicht  auch  hier  so  etwas 
wie  eine  primitivistische  und  eine  progressivistische  Richtung 
unterscheiden.  Der  Progressivist  ist  stolz  auf  die  Leistungen 
seiner  Nation  und  auf  die  erreichte  Kulturhöhe;  oft  wird 
dieser  Kulturstolz  zu  einem  Glauben  an  eine  Kulturmission, 
d.h.  zu  dem  Glauben,  dass  das  höhere,  fortgeschrittenere  Volk 
dem  niederen  gegenüber  eine  Sendung  zu  erfüllen  habe.  Der 
Primitivist  hingegen  wird  weniger  dazu  neigen,  die  Taten  und 
Errungenschaften  der  "Nation"  zu  betonen,  als  vielmehr  die 
Charaktereigenschaften  des  "Volkes"  und  der  "Rasse":  Kühn- 
heit und  Treue  und  Innerlichkeit  zum  Beispiel.  Diese  Eigen- 
schaften (die  im  ethischen  Sinne  natürlich  auch  Leistungen 
sind)  werden  häufig  bei  den  einfachen  Vertretern  des  Volkes, 
bei   den   seschichtlich   oder   kulturell   "Primitiven "   bei   den 


FORTSCHRITTSGLAUBE  UND  KULTURKRITIK    267 

echten  und  urwüchsigen  Menschen  gesucht;  daher  das  na- 
tionalistische Moment  im  deutschen  Regionalismus.  Der  pro- 
gressivistische  Nationahsmus  ist  also  mehr  national  und 
politisch,  während  der  primitivistische  Nationalismus  mehr 
ethnisch  oder  volksmässig  ist. 

Aus  dem  Gang  der  deutschen  Geschichte  voller  Uneinig- 
keit und  Kleinstaaterei  lässt  sich  leicht  verstehen,  warum  die 
Deutschen  —  Herder  etwa  —  zunächst  ihren  Volkscharakter, 
ihre  Eigenschaften,  ihre  kulturellen  und  geistigen  Fähigkeiten 
betonen,  warum  von  jeher  der  deutsche  Nationalismus  mehr 
ethnisch  und  kulturell  als  politisch  und  national  ist.  Der 
primitivistische  Nationalismus  ist  ja  die  einzige  Möglichkeit 
für  jemanden,  der  seiner  ganzen  geistigen  Einstellung  nach 
die  politische  Aktualität  ablehnen  muss.  Und  so  ist  es  denn 
auch  kein  Wunder,  dass  Raabes  Nationalismus  gewissermassen 
kulturell  und  a-politisch  ist;  seine  Liebe  gehört  der  deutschen 
Seele.  Auch  dies,  so  spüren  wir  ganz  deutlich,  ist  Resignation 
wie  sein  Primitivismus. 

Dagegen  ist  Freytag  der  ausgesprochene  Politiker.  Gewiss, 
er  wäre  kein  Deutscher,  wenn  er  nicht  auch  die  Charakter- 
eigenschaften seines  Volkes  verherrlichen  würde.  Die  Ahnen 
singen  ja  auch  das  hohe  Lied  des  deutschen  Charakters :  leuch- 
tend und  herrlich  stehen  die  Deutschen  neben  den  Slaven, 
Juden,  Franzosen.  Doch  daneben  sind  sie  auch  immer  wieder 
die  Fortschrittsträger  und  Kulturbringer,  die  Pioniere  und 
Kolonisten  auf  fremdem  Boden.  So  haben  wir  in  Frey  tag  den 
deutlichen  Übergang  von  dem  ethnischen  und  kulturellen 
Nationalismus  des  achtzehnten  zum  progressivistischen  und 
politischen  Nationalismus  des  neunzehnten  Jahrhunderts, 


ZWISCHEN  NATURALISMUS  UND  SYMBOLISMUS: 

EINE  STILANALYSE  EINIGER  JUGENDGEDICHTE 

RENfi  SCHICKELES 

FRANCINE  B.  BRADLEY,  Ncw  Yor\ 

DIE  GÄRUNG  und  die  heftigen  Widersprüche  unserer 
Epoche  manifestieren  sich  literarisch  durch  die  Fülle 
verschiedener  und  oft  scheinbar  ganz  entgegengesetz- 
ter Stilströmungen,  die  in  den  letzten  fünfzig  Jahren  nicht  nur 
in  raschem  Tempo  einander  ablösten,  sondern  auch  zur  glei- 
chen Zeit  nebeneinander  vorkamen. 

Wir  haben,  seit  1890,  um  nur  die  wichtigsten  literarischen 
Manifestationen  zu  nennen,  kurz  nacheinander  und  durch- 
einander Naturalismus,  Symbolismus,  Neuklassizismus,  Neu- 
romantismus,  Aktivismus,  Impressionismus,  Expressionismus, 
Realismus,  Surrealismus,  Neue  Sachlichkeit  u.a.  erlebt. 

Wie  entgegengesetzt  diese  Stile  auch  sein  mögen,  so  sind 
sie  doch  alle  Ausdrucksformen  der  Gesellschaft  einer  bestimm- 
ten Epoche  und  sind  in  dieser  Weise  untereinander  verwandt. 
Je  intensiver  daher  ein  Dichter  diese  widerspruchsvolle  Zeit  als 
Ganzes  zu  erleben  versucht,  desto  mannigfaltiger  werden  auch 
seine  Stilmanifestationen  sein. 

Schickeies  Gedichte  zeigen  ein  besonders  merkwürdiges 
Zusammenspiel  einander  scheinbar  ganz  entgegengesetzter 
Stilformen.  Er  ist  in  keiner  ganz  aufgegangen,  er  stand  viel- 
mehr, während  seiner  Entwicklung,  gleichsam  zwischen  den 
Stilen.  In  seinen  ersten  Gedichten  zwischen  Naturalismus  und 
Symbolismus,  später  zwischen  Impressionismus  und  Expres- 
sionismus, bis  er  sich  nach  dem  Weltkrieg  von  der  zeitlich 
bedingten  Wirklichkeit  abwandte,  um  im  rein  persönlichen 


JUGENDGEDICHTE  RENfi  SCHICKELES        269 

Erlebnis  nach  universaler  Wahrheit  und  universalen  Werten 
zu  streben.  Es  handelt  sich  hier  nicht  um  eine  w^illkürliche 
Vermischung  verschiedener  Stilformen,  sondern  um  das  Form 
gewordene  Erlebnis  einer  widerspruchsvollen  Wirklichkeit. 

Für  diese  Stiluntersuchung  wurden  vier  Gedichte  aus  der 
frühen  dichterischen  Periode  Schickeies  gewählt.  Diese  Erst- 
lingsgedichte können  natürlich  nicht  typisch  sein  für  den  reifen 
Schickele;  sie  sind  aber  typisch  für  das  Ringen  eines  in  seiner 
Zeit  befangenen  Dichters  um  einen  persönlichen  Stil. 

Der  Hauptunterschied  zwischen  der  naturalistischen  und 
der  symbolistischen  Lebensauffassung  kann  darin  gesehen 
werden,  dass  der  Naturalismus  die  Wahrheit  in  der  konkreten 
Erscheinung  der  objektiven  Welt  sieht,  während  der  Symbolis- 
mus die  Wahrheit  nur  in  der  Seele  des  Dichters  zu  finden 
glaubt  und  daher  das  Konkrete  nur  benutzt,  um  ihre  Schwin- 
gungen auszudrücken.  Als  Stil  gibt  der  Naturalismus  daher 
ein  Nacheinander  der  erlebten  Wirklichkeit,  er  erzählt  eine 
Episode  in  all  ihren  Einzelheiten,  während  der  Symbolismus 
die  Essenz  der  Wahrheit  in  einer  Stimmung  aufzufangen 
sucht. 

Stefan  George  und  sein  Kreis,  die,  mit  den  Symbolisten 
nah  verwandt,  ganz  bewusst  bei  ihnen  in  die  Schule  gingen, 
haben  sich  über  diesen  Unterschied  theoretisch  geäussert:  Die 
Symbolisten  wollten  "keine  erfindungen  von  geschichten,  son- 
dern wiedergäbe  von  Stimmungen,  keine  betrachtung  sondern 
eindruck."^  Oder:  "fern  liegt  es  ihnen  (den  Dichtern  der 
Blätter  für  die  Kunst)  dinge  und  ereignisse  zu  beschreiben  — 
ihnen  heisst  es  hervorrufen  und  einflüstern  mit  hilfe  wesent- 
licher worte."^ 

Man  erkennt  in  diesen  Worten  Mallarme,  den  Meister  des 
Symbolismus,  der  mit  ähnlichen  Worten  erklärt:  "nommer  un 
objet,  c'est  supprimer  les  trois  quarts  de  la  jouissance  du 
poeme  qui  est  fait  du  bonheur  de  deviner  peu  ä  peu;  le  sug- 
gerer,  voila  le  revc.  C'est  le  parfait  usage  de  ce  mystere  qui 
constitue  le  symbole:  evoquer  petit  ä  petit  un  objet  pour  mon- 

1.  Blätter  für  die  Kunst  (Auslese,  i8g2-g8),  S.  13. 

2.  Ibid.,  S.  113. 


270  CORONA 

trer  un  etat  d  ame,  ou,  inversement,  choisir  un  objet  et  en 
degager  un  etat  d  ame,  par  une  serie  de  dechififrements."^ 

Schickeies  Jugendgedichte  geben  ein  Bild  von  dem  Zusam- 
menprall dieser  so  verschiedenen  Lebensformen.  Anstatt  sich 
gegenseitig  zu  vernichten,  vereinigen  sie  sich  bei  ihm  all- 
mählich zu  einer  neuen  Form,  in  der  sich  Realität  (Impres- 
sionismus) und  Traum  (Expressionismus)  besonders  reizvoll 
ergänzen.  Diese  Synthese  charakterisiert  vielleicht  am  besten 
die  Zeit  nach  dem  Naturalismus  und  dem  Symbolismus. 

Es  sind  keine  technischen  Versuche,  Schickele  versucht  sich 
nicht  bald  in  diesem,  bald  in  jenem  Stile,  er  geht  nicht  wie 
George  nach  Frankreich  und  lernt  bewusst  von  den  Symbo- 
listen. Die  naturalistischen  und  symbolistischen  Elemente  in 
seinen  Gedichten  repräsentieren  keine  direkten  literarischen 
Einflüsse;  diese  machen  sich  anders  bemerkbar.^  Der  Natura- 
lismus und  der  Symbolismus  in  seinen  Gedichten  sind  Aus- 
drucksformen seiner  komplexen  Persönlichkeit,  beeinflusst 
durch  die  Stilströmungen  seiner  Zeit,  die  letzten  Endes  nichts 
anderes  sind,  als  der  Ausfluss  der  herrschenden  Lebensprin- 
zipien. So  manifestieren  sich  beide  Stilformen  in  Schickeies 
Jugendgedichten  als  etwas  überaus  Organisches.  Allgemein 
können  wir  von  ihnen  sagen:  sie  bringen  Geschichten  und 
beschreiben  Ereignisse,  aber  sie  geben  auch  Stimmungen  wieder, 
sie  rufen  hervor  und  flüstern  "mit  hilfe  wesentlicher  worte" 
ein.  Die  Gegenüberstellung  von  einzelnen  Ausdrucksformen, 
die  aus  verschiedenen  Gedichten  gewählt  v/urden,  kann  das 
am  besten  illustrieren. 

Einerseits  erzählt  er  sehr  eingehend  eine  Episode: 

Komm  und  folg  mir  in  die  Schatten, 
Besser  liebt  es  sich  dort  im  Jasmin,^    oder: 

3.  Stephan  Mallarme  in  der  Enquete  J.  Hurets,  S.  60. 

4.  Die  direkten  Einflüsse  in  einzelnen  Erstlingsgedichten  Schickeies  sind  Goethe, 
Heine,  Nietzsche  und  das  Volkslied.  Man  erkennt  den  fremden  Einfluss  nur  in 
Gedichten,  die  nicht  aus  einem  persönlichen  Erlebnis  des  jugendlichen  Dichters  ent- 
standen sind.  In  den  Abschiedsgedichten  z.B.,  in  denen  der  Dichter  eine  noch  nicht 
erlebte  Tragödie  behandelt,  findet  man  Reminiszenzen  aus  Heine  und  dem  Volkslied. 

5.  Rene  Schickele,  Sommernächte,  "Nocturnes  I,"  S.   11. 


JUGENDGEDICHTE  RENfi  SCHICKELES        271 

Auf  dem  Sofa  sassen  wir:  mein  Haupt  lag  still 
Auf  all  dem  weichen  Haar,^ 

Du  sitzest  neben  mir  in  dieser  weichen  Sommernacht 
Ich  weiss:  du  liebst  mich  .  .  .  und  ich  lieb  dich  nicht/ 

Aus  dem  Fenster  meines  Zimmers 

Sprang  ich  in  den  Hof  und  schwang  von  einem  Baum 

Mich  über  jene  Mauer  in  den  Garten,  wo  du  harrtest.  .  .  ß 

Da  sah  ich  dich  am  Steintisch  sitzen,  in  den  Shawl  gehüllt, 
Weisst  du?  den  mit  den  weissen  Streifen  durch  das  Schwarz.  .  .  .^ 

Bis  wir  in  eine  der  Faschinenhütten  schlüpften,  die 
Ganz  dicht  ringsum,  nur  gen  die  Fluten  offen  stehen.^*' 

Es  ist  weniger  die  Episode  an  sich  —  eine  Liebesszene  —  als 
die  eingehende  Beschreibung  der  Situation,  die  naturaUstisch 
ist:  der  syntaktische  Bau  des  Satzes,  die  Verbindung  prosaischer 
Wendungen,  der  erläuternde  Nebensatz,  der  jede  Einzelheit 
festhalten  muss,  manchmal  sogar  eine  höchst  banale  Situation 
("auf  dem  Sofa  sassen  wir").  Der  Drang  nach  objektiver 
Wahrheit,  der  Hass  gegen  alle  Hypokrisie  (ein  Erbgut,  das 
wir  noch  heute  dem  Naturalismus  verdanken),  zwingt  den 
jungen  Dichter  zu  dieser  eingehenden  Beschreibung  seiner 
Erlebnisse,  da  seine  gesunde  Sinnlichkeit  nicht  nur  im  Traum 
sondern  auch  im  Realen  das  Glück  sucht  und  findet.  Aber 
hinter  der  gegenständlichen  Welt  sucht  er  nach  einem  über- 
sinnlichen Sinn  des  Daseins  und  er  ahnt  daher,  dass  auch  die 
eingehendste  Beschreibung  die  Wahrheit  nicht  einfangen  und 
wiedergeben  kann,  ja,  dass  sogar  ein  Gegenstand  oder  ein 
sinnliches  Erlebnis,  nicht  durch  die  Beschreibung  des  Gegen- 
standes oder  des  Erlebnisses  adäquat  wiedergegeben  werden 
kann,  sondern  durch  eine  neue  Vorstellung,  die  das  Erlebnis 
als  Sensation  wiedergibt. 

So  greift  der  junge  Dichter  zunächst  nur  nach  schönen 
Worten,  Worten  mit  zauberhaftem  Klang  und  magischer 
Bedeutung  und  flicht  sie  —  nicht  sinnlos,  sondern  ihrer  sinn- 

6.  Ibid.j  "Nocturnes  II,"  S.  12. 

7.  Ibid.,  "Nocturnes  III,"  S.  13.  8.  Ibid.,  "Weisst  du  noch?"  S.  48. 

9.  Ibid.,  später.  10.  Ibid.,  "Es  müsste  sein  .  .  .,"  S.  64. 


272  CORONA 

liehen  und  transzendenten  Bedeutung  bewusst,  in  seine  all- 
täglichen, beschreibenden  Redewendungen  ein.  Worte  wie 
"silberbeperlt,"  "nächtige  Haare,"  "nachtschwül,"  "Gletscher- 
meerlicht"; Worte,  die  nicht  nur  durch  ihren  Klang,  die  Fär- 
bung ihrer  Vokale  und  ihren  Rhythmus  (Akazienwald, 
geisterhafte  Vogelflüge,  Purpurranken)  magisch  wirken,  son- 
dern auch  durch  die  Vision,  die  sie  hervorzaubern.  Mit  diesen 
seltenen  Wörtern,  die  in  der  realistischen  Umgebung  ganz 
besonders  funkeln  und  gleissen,  scheint  der  Dichter  sich  aus 
der  Nüchternheit  des  Konkreten  in  eine  übersinnliche  Sphäre 
retten  zu  wollen. 

Durch  die  Purpurrosenranken  vor  dem  Fenster 

Drang  der  Juliwind  ins  Zimmer, 

Streifte  von  dem  schweren  Gold  der  Abendsonne, 

Das  auf  den  erglühten  Rosen  lag, 

Den  Flitterstaub  und  wirbelte  ins  Zimmer  ihn  — 

Um  uns.  .  .  . 

Auf  dem  Sofa  sassen  wir:  mein  Haupt  lag  still 

Auf  all  dem  weichen  Haar, 

Das  wie  erstarrte  Flut 

Schwer  über  ihre  Schulter  hing  — 

Und  unser  Sinn,  so  übervoll  vom  Blütenrausch, 

Der  immerfort  dem  Juliwind  entquoll, 

So  schwer  von  so  viel  Liebe  — 

Zog  im  tiefsten  Traume  mit  der  "Lorelei," 

In  der  die  satte  Sommernacht  austönte.  .  .  .^^ 

Es  ist  ein  Sehnsuchtsgedicht,  obgleich  die  Liebenden  bei- 
einander sind.  Der  Hauptgehalt  des  Gedichtes  ist  nicht  die 
Liebessituation,  sondern  die  mit  sinnlicher  Schwere  erfüllte 
Sehnsuchtsstimmung  zweier  junger  Menschen,  die  noch  vor 
der  Liebe  stehen.  Die  Purpurrosenranken  vor  dem  Fenster,  der 
Juliwind,  das  schwere  Gold  der  Abendsonne  auf  den  erglühten 
Rosen,  die  erstarrte  Flut  des  Haares  und  der  Blütenrausch,  alles 
das  sind  Vorstellungen,  die  die  Schwere  der  Liebessehnsucht 
nicht  nur  suggerieren,  sondern  auch  schaffen.  Diese  intensive 
Liebesstimmung  wird  aber  nicht  als  Ganzes  erlebt,  sondern 

II.  Ibid.,  "Nocturnes  II,"  S.  12, 


JUGENDGEDICHTE  RENfi  SCHICKELES        273 

nur  in  einzelnen  Eindrücken,  die  durch  die  eindringende 
erlebte  Situation  immer  wieder  unterbrochen  werden.  "Durch 
die  Purpurranken  vor  dem  Fenster  drang  der  Juliwind  ins 
Zimmer,  streifte  von  dem  schweren  Gold  der  Abendsonne" 
den  "Flitterstaub"  und  "wirbelte  ins  Zimmer  ihn."  Die  Stim- 
mung wird  nicht  nur  durch  die  Vorstellung,  sondern  auch 
durch  die  Musik  der  Worte,  und  durch  das  Malen  mit  den 
Vokalen  geschaffen.  Der  Dichter  muss  aber  wahrheitsgetreu 
berichten,  dass  das  schwere  Gold  der  Sonne  auf  den  "erglühten 
Rosen"  lag,  als  er  diese  Stimmung  erlebte;  obschon  die  "er- 
glühten Rosen"  dichterisch  schwere  Süsse  suggerieren,  stört  die 
Konstruktion  des  erklärenden  und  beschreibenden  Nebensatzes 
die  Stimmung.  Dann  kommt  die  allzu  wahrheitsgetreue  Situa- 
tion: "Auf  dem  Sofa  sassen  wir";  die  erstarrte  Flut  des  weichen 
Haares  dagegen  gibt  wieder,  zugleich  mit  der  sinnlichen  Reali- 
tät, den  verzauberten  Zustand  der  Liebenden.  Der  Zauber 
wird  aber  durch  die  übertriebene  Ehrlichkeit  der  detaillieren- 
den Beschreibung  beinahe  wieder  aufgehoben.  Warum  "all"  das 
Haar,  wenn  "die  erstarrte  Flut"  so  viel  mehr  suggeriert,  oder 
warum  muss  er  noch  eigens  bemerken,  dass  das  Haar  über  die 
Schulter  hing?  oder  dass  der  Blütenrausch  "immerfort"  dem 
roten  Juliwind  entquoll,  und  dass  er  so  schwer  von  so  viel  Liebe 
ist,  wenn  doch  das  Wort  "Blütenrausch"  allein  diese  Atmo- 
sphäre schafft?  Noch  hat  hier  der  Dichter  den  Konflikt,  der 
zwischen  symbolisch-dichterischer  Vorstellung  und  naturali- 
stischem Wirklichkeitssinn  in  ihm  selbst  existiert,  nicht  zu 
lösen  vermocht. 

Dieser  Konflikt  zeigt  sich  nicht  in  allen  Gedichten;  natur- 
gemäss  ist  er  hauptsächlich  in  denen  enthalten,  die  auf  ein 
eigentliches  Erlebnis,  eine  Episode  im  Leben  des  Dichters 
zurückgehen.  So  geschieht  es  hauptsächlich  nur  in  Gedichten, 
die  die  Erfüllung  der  Liebe  darstellen,  dass  die  symbolische 
Stimmungswelt  durch  eine  naturalistische  Beschreibung  und 
Erklärung  durchbrochen  wird. 

In  Gedichten  dagegen,  die  einen  fremden  Stoff  oder  nur 
Seelisches  zum  Gehalt  haben,  in  Gedichten,  die  literarisch  über- 
nommen sind,  wie  z.B.  die  meisten  seiner  Abschiedsgedichte, 


274  CORONA 

und  sogar  in  einzelnen   Sehnsuchtsgedichten,  dominiert  der 
Symbolismus  nicht  nur  als  Gehalt,  sondern  auch  als  Form. 

Ein  Abschiedslied: 

"Du  gelbe  Maske!  geh  mit  mir  nach  Haus!" 
Sie  folgte  mir  stumm  auf  mein  Zimmer  — 
Die  Rosen  vor'm  Fenster,  die  glommen  grad  auf 
Im  ersten  Morgenschimmer. 

Und  als  von  der  Stirn  ich  die  Maske  ihr  nahm  — 
Wie  waren  so  bleich  ihre  Wangen! 
Die  Feuer  im  Auge  so  grundlos  und  schwarz 
Mit  bleichem  Ersterben  rangen. 

Die  nächtigen  Haare  sprachen  vom  End, 
Von  all  dem  freventlich  Lieben  .  .  . 
Sie  sah  mir  ins  Auge  und  warf  sich  an  mich  — 
So  sind  wir  geblieben  —  geblieben.  ... 

—  "Hast  du  mich  lieb,  du  mein  sterbendes  Kind  ? 
Umschling  mich  mit  all  deinem  Leben, 
Welk  an  meinem  Munde  so  langsam  hin  — 
Im  Winde  die  Rosen  beben. 

Die  Rosen,  die  Rosen,  die  Rosen  rot-weiss, 
Die  streu  ich  dir  dann  auf  die  Wangen  .  .  . 
Die  Rosen,  die  Rosen,  die  Rosen  so  heiss, 
Die  in  unserem  Morgenrot  hangen. 

Mein  ganzes  Leben,  das  bet  ich  für  dich, 
Dass  ich  deine  Seele  fand  wieder. 
So  tief  und  so  weiss  wie  das  GletschermeerÜcht, 
Im  purpurnen  Kranz  meiner  Lieder."^- 

Die  naturalistische  Tendenz  kann  in  diesem  Gedicht  nur 
im  Hang  zur  balladesken  Erzählung  gefunden  werden,  und 
in  der  eigentlichen  Situation:  ein  junger  Mann  lädt  nach  dem 
Ball  eine  Maske  in  sein  Zimmer  ein,  und  sie  lieben  sich.  Was 
macht  aber  der  Dichter  aus  dieser  Situation.^  Sie  ist,  wie  bei 
den  Symbolisten,  nur  ein  Vorwand,  um  die  Tragik  einer 
verbotenen  Liebe  und  einer  unabwendbaren  Trennung  darzu- 
stellen. Die  Tragik  wird  nicht  direkt  gegeben,  sondern  wie  es 
Mallarme  verlangt,  nur  suggeriert;  allmählich  nur  errät  man 

12.  Ibid.,  S.  27. 


JUGENDGEDICHTE  RENfi  SCHICKELES        275 

die  Bedeutung  des  Gedichtes,  nämlich,  dass  die  Geliebte  in 
Wirklichkeit  schon  tot  ist.  Aus  dem  naturalistischen,  frivolen 
Liebesabenteuer  wird  eine  symbolisch  dargestellte  Tragödie. 
Das  Naturalistische  liegt  nicht  in  der  Frivolität  der  Situation, 
sondern  in  der  Direktheit  der  Erzählung.  Die  erklärenden 
Nebensätze  und  die  störenden  Details  bleiben  hier  weg.  Die 
Liebessituation  wird  nur  benutzt,  um  das  Gedicht  zusammen- 
zuhalten. Wir  haben  hier  ein  schönes  Beispiel  für  das  Zusam- 
menarbeiten romanischen  Formgefühls  und  naturalistischen 
Wirklichkeitssinnes. 

Der  Zauber  des  Gedichtes  liegt  im  Kontrast,  ein  Mittel,  das 
sowohl  für  den  Symbolismus,  als  auch  für  Schickele  typisch  ist : 
ihre  Wangen  sind  "bleich,"  während  "die  Feuer  im  Auge"  "mit 
dem  Ersterben"  ringen,  die  verbotene  Liebe  wird  durch 
die  ''nächtigen  Haare"  ausgedrückt,  das  ''sterbende  Kind" 
umschlingt  den  Geliebten  "mit  all"  ihrem  "Leben,"  während 
sie  an  seinem  Mund  hin  wellet,  hangen  die  roten  Rosen  im 
Winde,  und  der  Geliebte  streut  die  heissen  Rosen  auf  die  kßlten 
Wangen  der  Geliebten.  Wo  hangen  diese  Rosen  ?  Im  "Morgen- 
rot" ihrer  Liebe,  d.h.  weit  in  der  Vergangenheit.  Gegen  den 
Schluss  erst  wird  eine  grosse  Liebe  angedeutet,  die  schon 
lange  tot  ist.  Das  zufällige  und  oberflächliche  Abenteuer  ent- 
puppt sich  als  eine  tiefe  und  tragische  Liebe;  denn  sonst 
würde  der  Dichter  nicht  sein  Leben  lang  beten,  dass  er  die 
Seele  der  Geliebten  wiederfände.  Und  wo  will  er  ihre  Seele 
finden,  die  "tief"  und  "weiss"  ist  wie  "das  Gletschermeerlicht"? 
Im  "purpurnen  Kranz"  seiner  "Lieder." 

Was  in  Goethes  Braut  von  Korinth  nur  angedeutet  wird: 


Gierig  schlürfte  sie  mit  blassem  Munde 
Nun  den  du?j\cl  blutgefärbten  Wein; 


.Vi 


wird  hier,  durch  den  Einfluss  des  Symbolismus,  entschiedene 
Technik. 

Diese  Liebe  für  den  Kontrast  darf  aber  nicht  als  etwas  rein 
Äusserliches,  Mechanisches  aufgefasst  werden;  sie  entspricht 

13.  Die    Braut    von    Korinth,    Gross/ierzog    Wilhelm    Ernst    Ausgabe,    Inselveiiag 
(Leipzig,  1920),  B.  14,  S.  432. 


276  CORONA 

einer  ganz  entschiedenen  Eigenart  des  Dichters,  die  eine  Eigen- 
art auch  des  SymboHsmus  ist. 

Die  Verwandtschaft  mit  dem  SymboHsmus  zeigt  sich  auch 
in  der  MusikaHtät  der  Klangmalerei  und  der  Behandlung  des 
Reimes.  Interessant  ist  es,  dass  diese  im  Grunde  französische 
Musikalität  sehr  eng  mit  dem  rhythmischen  Gefühl,  das  ist, 
mit  der  germanischen  Seite  Schickeies,  zusammenhängt. 

Die  Vokale  in  diesem  Gedicht  sind  alle  schwer  und  bedeu- 
tungsvoll und  bereiten  schon  von  Anfang  an  die  Tragödie  vor: 
Mflske  noch  Haus;  gelbe  Maske  geh 

Die  Rosen  vor'm  Fenster,  die  glommen  grad  aui 
Im  ersten  Morgenschimmer. 

Die  nächtigen  Haaic  sprachen  vom  End 

Sie  sah  mir  ins  ^uge  und  warf  sich  an  mich. 

Auch  die  Reime  und  Assonanzen  sind  schwer  und  bedeu- 
tungsvoll: "Haus"  "auf";  "nahm"  "schwarz";  "Wangen" 
"rangen";  usw.  Alles  das  sind  Mittel,  um  rein  klanglich 
Stimmung  und  Bedeutung  des  Gedichtes  wiederzugeben.  Sie 
sind  dem  Naturalismus  fremd,  dagegen  typisch  für  den  Sym- 
bolismus, und  finden  sich  nicht  nur  in  diesem  besonders  stark 
symbolistischen  Gedicht,  sondern  fast  in  allen,  sogar  in  denen, 
wo  der  naturalistische  Einschlag  am  deutlichsten  ist. 

Der  Dichter  bleibt  aber  schon  in  den  Gedichten  der  Früh- 
zeit nicht  durchweg  zwischen  Naturalismus  und  Symbolismus 
befangen.  Die  folgenden  Beispiele  werden  zeigen,  wie  einzelne 
Gedichte  unbedingt  schon  darüber  hinausweisen:  Das  Nachein- 
ander der  beschreibenden  Erzählung  wird  durch  momentane 
Eindrücke  ersetzt.  Die  konkrete  Welt  steht  nicht  mehr  im 
Widerspruch  zu  den  inneren  Regungen  des  Dichters;  sie  wird 
vielmehr  der  Spiegel  aus  dem  uns  sein  Ich  entgegentritt:  der 
Kampf  gegen  das  Chaos  im  Innern  wird  durch  Fetzen  von 
äusseren  Eindrücken  explosionsartig  vermittelt: 

Gott  5 

Schwarz  lastet  auf  den  Brau'n  der  Trotz, 
und  drunter  wie  geballte  Faust  —  die  Wut. 


JUGENDGEDICHTE  RENfi  SCHICKELES        277 

Hände  sehnen  in  die  Sonne, 

durch  die  Nacht  ein  Lied,  das  schwillt. 

Knospen  leuchten  weisser  Wasserrosen,  legen 

breiter  ihren  Glanz 
hin  über  eine  dunkle  Flut,  erblühen  .  .  .  wachsen 

in  einander  über; 
und  ein  Lied  jauchzt  auf  und  hebt  auf  weicher  Krone 
sich  zur  Sonne,  küsst  die  Stirne  ihr  — 
Die  Schauer  unerhörter  Taten  beten  in  den  Menschen, 
Schauer  einer  Freiheit,  die  den  Schmerz,  die 

Lüste  löste  — 
ohne  einen  Gott  der  Kampf,  ein  Ringen  nur 
des  Tigers  mit  dem  Tiger,  Duftakkorde, 
die  zusammenschlagen,  brennen, 
wogend  Spiel  von  Farben  .  .  .  Glut, 
die  sich  verzehrt  und  neu  gebärt, 
die  sinkt  und  steigt  .  .  . 
Und  Tod  und  Leben  in  der  Glut! 
Und  aus  der  blutgen  Heide  weit  ein  Sprung, 
weit  über  Leichen  —  der  letzte  Todesschrei 

verglüht — 
Die  Nacht  —  In  die  die  Freiheit  eingeht  .  .  . 
gross  und  einzig  in  die  Nacht 
und  wartet,  dass  mit  einer  neuen  Sonne 
jener  käme  mit  dem  Blick  von  schwerem  Gold, 
des  Licht  ein  sengend  Blühen  ist, 
in  seinen  Augen  Morgensonnen! 
Hinter  tausend  Panthern  jagt  sein  Wagen 
vor  die  Füsse  ihm!  und  drüber  fliegt  das  Rot, 
in  seine  Blitze  loh'n  die  Leben, 
die  Flammensäulen  mit  ihm  gehn, 
den  heissen  Tod  saugt  sich  ins  Mark  die  Kraft, 
wie  eine  Faust  ist's, 

die  an  glühnde  Brust  all  alles  Leben  rafft, 
das  überreif  auf  Julifeldern  niederlag  — 
Gott  schuf  den  achten  Tag.^^ 

Sinnliche  Bilder  mit  starken  Farben  werden  gegeben,  um 
rein  seelische  Kämpfe  darzustellen.  Nicht  nur  visuelle  und 
akustische  Mittel  werden  angewandt,  der  Tast-  und  der  Ge- 
ruchssinn wird  gereizt,  um  die  Einsamkeit,  Grausamkeit  und 
bittere    Schönheit    des    übermenschlichen    Kampfes    um    die 

14.  Pan,  S.  29-31. 


278  CORONA 

Wahrheit  in  einer  Welt  ohne  Gott  darzustellen.  Die  ausser- 
ordentlich bewegliche,  laute  und  farbenfrohe  Sinnlichkeit 
dieses  Gedichtes  repräsentiert  schon  den  ersten  Schritt  in  der 
Richtung  des  neuen  Stiles  zwischen  Impressionismus  und 
Expressionismus.  Nur  dass  in  dieser  neuen  Verbindung  die 
zwei  Lebensformen  sich  nicht  mehr  als  Parallele  oder  sogar  als 
Gegensatz  manifestieren.  Die  expressionistische  Gesinnung  des 
Dichters,  das  heisst  sein  Drang  sich  selbst  auszudrücken,  gibt 
sich  durch  impressionistische  Stilmittel,  das  heisst  durch  Ein- 
drücke aus  der  objektiven  Welt,  kund. 

Dem  ersten  Teile  des  Gedichtes  fehlt  aber  noch  die  straffe 
Dynamik,  die  Ökonomie  des  Ausdrucks,  die  charakteristisch 
wird  für  die  sogenannte  impressionistische  Periode  des  Dichters, 
wo  er  mit  wenigen  im  Stakkato  hingeworfenen  Worten  eine 
ganze  Welt  von  Empfindungen  und  Vorstellungen  zu  eröffnen 
vermag.  Noch  lässt  sich  der  Dichter  gelegentlich  in  der  Sen- 
timentalität eines  verschwommenen  Bildes  gehen:  "ein  Lied 
jauchzt  auf  und  hebt  auf  weicher  Krone  sich  zur  Sonne,  küsst 
die  Stirne  ihr."  Vorläufer  der  späteren  Dynamik  sieht  man 
dagegen  in  den  Sprengstücken  von  Impressionen: 

ohne  einen  Gott  der  Kampf,  ein  Ringen  nur 
des  Tigers  mit  dem  Tiger,  Duftakkorde, 
die  zusammenschlagen,  brennen, 

Einen  packenden,  einmaligen  Eindruck  dagegen  gibt  der 
zweite  Teil  des  Gedichtes  als  Ganzes.  Kampf,  Niederlage  und 
Apotheose  des  schaffenden  Menschen  wird  hier  in  ein  einheit- 
liches, mit  Elektrizität  geladenes  Bild  zusammengefasst.  Hier 
hat  sich  das  zerstreuende  Nacheinander  der  naturalistischen 
Erzählung  zur  konzentrierenden  Simultanität  des  Impressio- 
nismus verschärft  und  verfeinert. 

In  der  Umarbeitung,  die  der  Dichter  ungefähr  ein  Jahr- 
zehnt später  vornimmt,  braucht  er  nur  zwei  unwesentliche 
Verszeilen  auszustreichen  und  das  schwache  "jener  .  .  .  mit 
dem  Blick  von  schwerem  Gold"  durch  das  viel  packendere 
"jener  .  .  .  mit  dem  mörderischen  Blick"  zu  ersetzen,  um  eine 
typische  impressionistische  Vorstellung  zu  schaffen. 


JUGENDGEDICHTE  REN£  SCHICKELES        279 

Dieses  Bild  setzt  er  an  den  Anfang  des  Gedichtes  und 
dichtet  davor  zwei  neue  Verse,  die  in  knapper  Weise  das 
Thema  angeben;  die  vielen  und  daher  zerstreuenden  Bilder 
des  ursprünglichen  ersten  Teiles  fasst  er  in  ein  einziges,  immer 
deutlicher  werdendes  Bild  zusammen,  und  schliesst  damit  das 
neue  Gedicht,  das  er  wie  eine  Apotheose  ausklingen  lässt.  Die 
Symbolik,  obschon  sie  strafter,  konzentrierter  und  prägnanter 
ist,  gibt  eine  viel  weitere  Vorstellung:  das  neue  Bild  schliesst 
nicht  nur  die  Kämpfe  eines  einzelnen  Menschen,  sondern  der 
ganzen  Menschheit  ein: 

Ihr  Kämpfe  zwischen  Tag  und  Nacht! 

Die  Niederlage  am  Abend, 

aus  der  blutigen  Heide  weit  ein  Sprung 

über  Leichen,  der  letzte  Todesschrei  verglüht, 

die  Nacht  und  die  Träume  der  Nacht, 

dass  jener  käme  mit  dem  mörderischen  Blick, 

des  Licht  ein  sengend  Blühen  ist, 

in  seinen  Augen  Morgensonnen. 

Hinter  tausend  Panthern  jagt  sein  Wagen, 

vor  die  Füsse  ihm!  und  drüber  fliegt  das  Rot, 

in  seine  Blitze  lohn  die  Leben, 

die  in  Flammensäulen  mit  ihm  gehn, 

den  heissen  Tod  saugt  sich  ins  Mark  die  Kraft, 

wie  eine  Faust  ists, 

die  an  glühnde  Brust  all  alles  Leben  rafft, 

das  reif  auf  Julifeldern  lag  .  .  . 

Die  unbändigen  Träume  der  Besiegten 

in  der  ersten  Nacht! 

Am  Morgen  der  Empfang  des  Herrn 

der  Rache  geübt  und  die  Schlacht  gewonnen  hat. 

Erwartung  erst  auf  dunkeln  Plätzen  .  .  . 

Hände  im  Zwielicht  über  der  Menge 

schwanken  wie  kleine  Laternen 

und  verschwinden  in  den  Gassen, 

Raunen  eines  Herzens,  das  dumpf  anschwillt  .  .  . 

Tausend  Hände  leuchten,  werfen  ihren  Glanz 

wie  Saat  und  blühn 

und  wachsen  ineinander  über, 

ein  einziger  Schrei,  ein  einziger  Mund, 

reckt  sich,  reckt  sich 

und  küsst  wie  toll  in  die  Sonne 


28o  CORONA 

und  vergeht  strotzend 

mit  dem  einen  grossen,  versagenden  Herzen 

im  Blick  des  Herrn, 

der  unberührt 

über  die  taumelnde  Stadt 

zu  reglosen  Bergen 

hinübersieht.^^ 

An  Stelle  der  zwei  Parallelen :  naturalistische  Wirklichkeits- 
beschreibung und  Gefühlssymbolik,  erkennen  wir  in  der  neuen 
Form  einen  einheitlichen  Stil,  der  Sinnliches  und  Seelisches  in 
ein  konkretes  Bild  zusammenfasst,  in  dem  man  den  Puls  des 
Lebens  zu  fühlen  vermag. 

In  eine  noch  spätere  Entwicklungsphase  des  Dichters  weisen 
die  zwei  Liebesgedichte  "Es  sind  so  bleiche  Nächte"  und 
"Nacht,"  die  schon  einen  Vorgeschmack  geben  von  der  Vollen- 
dung, die  der  Dichter  in  seiner  reifen  Periode  erreichte,  wo  er 
nicht  mehr  Impressionen  gibt,  sondern  die  innersten  Regungen 
der  menschlichen  Seele  durch  die  Magie  einer  fast  überirdischen 
Stimmung  zum  Klingen  bringt. 

Heimlichkeiten  VI 

Es  sind  so  bleiche  Nächte, 

wie  Welken  weisser  Rosen  bleich, 

da  wollt  ich  vor  dir  auf  den  Knieen  liegen  — 

der  Trauerweide  gleich, 

die  in  den  Schoss  der  Sommernacht 

ihr  Schmerzenshaupt  begräbt, 

möcht  ich  dann  vor  dir  liegen, 

leis  und  weich 

sollt  deine  Hand  auf  meiner  Stirne  ruhn, 

und  deine  Stimme  wäre  wie  der  Nachtwind 

nur  e  i  n  Ton,  der  singt  .  .  . 

ganz  aus  der  tiefen,  schweren  Weite  .  .  . 

Deiner  Augen  Licht  stand'  über  mir 

so  heimlich  süss 

wie  Mondschein,  der  durch  Rosenlauben 
bricht  — 

und  meine  Arme  würd'  ich  auseinander- 
breiten 

vor  deiner  Jugend,  deinen  Seligkeiten, 
15.  Mein  Herz  mein  Land,  S.  8-9. 


JUGENDGEDICHTE  RENfi  SCHICKELES        281 

und  wenn  ich  weinte,  wär's  wie  Schauern 

jener  Weiden  .  .  . 
stilles  .  .  .  stilles  Klagen,  ein  Gebet.^® 

Noch  fehlt  hier  der  Widerhall  und  der  Reichtum  der 
seelischen  Schwingungen,  die  für  die  letzte  Periode  des  Dich- 
ters so  charakteristisch  sind;  die  Anfänge  dazu  sind  aber 
schon  da;  denn  der  Dichter  braucht  in  seiner  Umarbeitung 
nur  wenige  Änderungen  vorzunehmen,  um  das  blasse  Stim- 
mungsbild in  ein  von  sinnlicher  Wirklichkeit  durchdrungenes 
und  zugleich  unendlich  zartes  Liebesgedicht  von  magischem 
Zauber  zu  verwandeln: 

Nahende  Vision 
Es  sind  so  blasse  Nächte 
und  krank  wie  Welken  weisser  Rosen, 
da  wollt  ich  vor  dir  auf  den  Knieen  liegen, 
der  Trauerweide  gleich, 
die  in  den  Schoss  der  Sommernacht 
ihr  Schmerzenshaupt  begräbt, 
es  sind  so  kranke  Nächte  .  .  . 
Herweht  ein  Ton. 

Leis  und  weich 

sollt  deine  Hand  auf  meiner  Stirne  ruhn, 
und  deine  Stille  wäre  wie  der  Nachtwind 
eine  Stimme,  die  noch  nicht  klingt  .  .  . 
Anschwillt  ein  Ton. 

Deine  Augen  ständen  über  mir 

so  fern  und  nah 

wie  dieses  Licht  auf  meinen  Händen, 

dein  Blut  berührte  mich 

wie  dieser  Wind  an  meinem  Haar  .  .  . 

Aufspringt  ein  Ton! 

Suchende  Lippen  möchten  sich  meiden 

aus  Furcht,  zu  grosse  Lust  zu  leiden, 

und  singen  schon: 

"Warst  du  nicht  ich?    Bin  ich  nicht  du?" 

und  drängen  schwellend  einander  zu: 

"Bist  du  mein  Kind?    Bin  ich  dein  Sohn?" 

als  ob  das  eine  dem  andern  durch  kranke  Nächte 

16.  Pan,  S.  78. 


282  CORONA 

von  weitem  sein  eigen  Herz  nach  Hause  brächte 
in  einer  grossen  Prozession. ^^ 

Obschon  das  Gedicht  den  Leser  als  einmaliges  Erlebnis 
seelisch  und  sinnlich  unmittelbar  ergreift,  hat  es  Perspektive 
und  Resonanz;  auch  ohne  die  letzte  Strophe,  die  entschieden 
einer  späteren,  viel  bewussteren  Periode  angehört.  Durch  ein 
höchst  persönliches  und  individuelles  Erlebnis  des  Dichters 
erfährt  man  die  ew^ig  neue  Erschütterung  einer  ersten  Liebe. 

Wir  erkennen  nicht  mehr  einzelne  Kräfte,  die  durcheinan- 
der wirken:  Form  und  Rhythmus,  Sinnliches  und  Seelisches 
sind  eine  unauflösbare  Einheit  geworden,  die  als  Stil  wieder  die 
Einheit  der  Persönlichkeit  Rene  Schickele  zurückstrahlt.  Der 
Dichter  ist  nicht  mehr  Ichbefangen,  hinter  seinem  individuellen 
Erlebnis  sieht  man  die  Kämpfe  der  ganzen  Menschheit. 

17.  Mein  Hei-z  mein  Land,  S.  18-19. 


Date  Due 

Due 

Returned 

Due 

Returned 

hpQ  n  ^  *t 

--  AFR  0  5  m 

Corona:  studies  in  celebration  mein 
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