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Full text of "Promethidenloos, eine Dichtung"

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EINE   DICHTUNG 


VON 


GERHART  HAIIPT3IANN. 


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BERLIN  1885. 

VERLAG  VON  WILHELM  ISSLEIB 

(GUSTAV  SCIIÜHR). 


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DEN  SIEBEN. 


Widmung. 


%,?^^.  as  wir  gefühlt,  was  wir  gewollt. 
^j^^Zu  sagen  ist  uns  Pflicht. 

In  uns'rer  Zeiten  Adern  rollt 
Statt  roten  Blutes,  rotes  Gold, 
In  unsern  Adern  nicht. 

Schlingt  Hand  in  Hand  zum  festen  Kreis 

Und  fühlt,  dass  ihr  euch  kennt, 

Dass  euer  Fuss  auf  einem  Gleis". 

Und  eine  Flamme  glühend  heiss 

In  euren  Seelen  brennt. 

Poch'  glühend  Herz  und  walle  Blut 

Für  Wahrheit  und  fih^  Licht. 

Und  du  gewalfger  Kampfesmuth 

Verlisch",  verlisch"  uns  nicht! 


An 


^\)^ch  singe  frei,  wenn  alle  Ketten  lasten: 
%Die  Kühnheit  ist  des  Sängers  erste  Pflicht. 
Und  wer  sein  Lied  verschliesst  in  einen  Kasten. 
Der  ist  ein  Feigling,  doch  ein  Sänger  nicht. 
Beim  Saitenspiele  muss  die  Waffe  blitzen, 
Und  weh  dem  Sänger,  der  den  Frieden  singt! 
Auf  seinem  Schüde  muss  die  Wahrheit  sitzen. 
Die  er  im  Kampfe  selbst  dem  Feinde  bringt. 

Ich  singe  frei,  und  schein  ich  auch  nicht  zünftig, 
Was  kümmert's  mich  und  meine  freie  Brust? 
Mag  man  verkennen  mich  so  jetzt  als  künftig. 
Ich  singe  ja,  des  Zieles  mir  bewusst. 
AVill  man  mii'  aber  meinen  Gott  erschlagen, 
Dann  führe  man  auch  Götter  in  den  Streit! 
Wer  alles  singt,  der  kann  auch  alles  wagen, 
Der  ist  zum  Tode  für  sein  Lied  bereit, 


Für  was  ich  kämpfe,  kann  ein  jeder  fühlen, 

Fasst  er' den  Puls  der  fieberheissen  Welt. 

Er  kühle  sie,  wer  meinen  Sang-  will  kühlen, 

Der  aus  der  Zeiten  Fieberadern  qnellt. 

So  lange  springt  er  feurig  durch  die  Binden 

In  unaufhaltsam  heisser,  heisser  Fluth, 

Bis  ihr  die  Funken  aus  dem  Herzen  schwinden, 

Und  bleicher  Tod  auf  ihren  Zügen  ruht. 

Nimm  weg  die  Hand.  Du  Mann,  von  meinem  Liede, 
Noch  lieben  kann  ich,  nicht  bewundern  mehr. 
Dein  Banner  ist  ein  lügenhafter  Friede, 
Mein  Banner  ist  der  Kampf  auf  wildem  Meer. 
Nimm  weg  die  Hand,  Du  Mann,  von  meiner  Zither. 
Sie  ist  nicht  Deiner  Laune  will'ges  Kind; 
Am  Himmel  stehen  finstere  Gewitter, 
Und  meine  Lieder  sind  wie  Blitze  sind. 

Du  magst  mit  Tauben  nach  Belieben  walten. 
Doch  mein  Gesang  fliegt  keinen  Taubenflug, 
Und  Deine  Fesseln  können  ihn  nicht  halten. 
Noch  Du  bemeistern  meines  Geistes  Flug. 
Nimm  weg  die  Hand  von  eines  Leuen  Mähne. 
Er  schüttelt  sie  und  schaut  Dich  dräuend  an. 
Nimm  w^g  die  Hand,  Du  Mann  der  milden  Thräne. 
Du  Mann  des  Glückes,  Du  zufriedner  Mann. 


PROMETHIDENLOOS. 


1. 
Rings  stille  Nacht.    Des  Mondes  volle  Scheibe 
Am  dunkeln  Himmel.     In  des  Hafens  Fluth 
Verstummt  des  lauten  Tages  bunt'  Getreibe, 
Es  ruht  der  Schiffer,  und  die  Woge  ruht: 
Dort  zieht  ein  Schwan  mit  hellem  Silberleibe 
Und  ruft  zu  Zeiten  nach  der  fernen  Brut; 
Auf  leichtem  Kahne  schwimmt  Selin  indessen 
Heran,  in  Träumen  weit-  und  drangvergessen. 

2. 
Er  sucht  den  Segler,  der  ihn  sollte  tragen. 
Und  findet  ihn  und  schreitet  stumm  au  Bord. 
In  seiner  Seele  kämpfen  tausend  Fragen. 
Doch  seinem  stummen  Munde  fehlt  das  Wort. 
Durch  alle  Fernen  seine  Geister  jagen. 
Und  immer  weiter  in  die  Fernen  fort, 
Er  sucht  vergebens  sie  durch  Sclilaf  zu  bannen, 
Unendlich,  endlos,  schreiten  sie  von  daunen. 


12 


3. 

Sie  schlingen  sich  gleich  ewig  langen  Seilen 

Um  jeden  Baum  und  Strauch  der  alten  Welt, 

Sie  schwingen  sich  gleich  heiss  beschwingten  Pfeilen, 

Vom  Wehmuthsbogen  zitternd  abgeschnellt. 

Sie  wollen  endlos,  ohne  Zahl  enteilen 

Ein  jeder  heimwärts,  wie  es  ihm  gefällt. 

Leer  wird  Selinens  Brust,  klein  das  Geleite, 

Was  ihm  noch  bleibt  für  die  verborg'ne  Weite. 

4. 
Er  sendet  Grüsse  aus  an  alle  Lieben, 
Vergessen  ist  kein  noch  so  ferner  Freund.  — 
Er  würde  nun.  so  hiess  es.  fortgetrieben. 
Wo  ihn  der  Gluthhauch  heisser  Thaten  bräunt; 
Bald  hätte  er  sein  Weinen  hingeschrieben, 
Und  auf  die  Blätter  lang  und  schwer  geweint. 
Und  seine  Seele  wehmuthsToll  erschlossen. 
Unmännlich  fast  in  jeden  Brief  gegossen. 

5. 

Dem  treuen  Vater,  der  ihn  hat  geleitet. 
Giebt  er  die  herben  Grüsse  in  die  Hand: 
Der  nimmt  sie  auf  und  küsst  Selin  imd  schreitet 
Dorthin,  wo  harrend  noch  der  Nachen  stand. 
Ein  Thränlein  —  und  der  kleine  Nachen  gleitet 
Mit  seiner  lieben  Last  zurück  an's  Land. 
Noch  weilt  Selin  und  starrt  in  stumme  Wogen. 
Wo  dunkle  Bahn  der  Nachen  hat  gezogen. 


13 


6. 

Nachdem  er  lange,  lange  so  gesonnen 
Und  in  der  ewig  dunklen,  stillen  Flutli 
Den  düstren  Faden  seines  Wehs  gesponnen. 
Wird  ihm  gar  müd'  imd  dämmerig  zu  Muth. 
Es  blitzt  um  ihn.  wie  Licht  Yon  fernen  Sonnen, 
Es  übermannt  ihn  eine  starke  Gluth, 
So  zieht  ihn  Weh  und  Hoffnung  mächtig  nieder, 
Und  milder  Schlaf  löst  ihre  Fesseln  wieder. 

7. 
Indess  er  schlummert,  wenden  wir  die  Blicke 
Zum  sich'ren  Lande,  das  ihn  auferzog. 
AVii'  gehen  weit  in"s  tiefe  Thal  zurücke. 
Aus  dessen  Sohle  er  sein  Wesen  sog. 
Wii'  suchen  treu  nach  dem  und  jenem  Stücke, 
Das  sein  phantasfscher  Geist  gar  oft  umflog; 
Gebii'ge.  Ströme,  Wälder,  dorn'ge  Hecken. 
Kann  rings  das  Aug*.  das  suchende,  entdecken. 


In  einem  Flecken  wai^d  Selin  geboren. 
Wo  aus  der  Ebne  das  Gebirge  steigt. 
Hier  blieb  er  lange  weit-  und  zeitverloreu 
Und  hatte  sich  in  seiner  Ai^t  verzweigt. 
Bis  man  ihm  dann  die  Krone  abgeschoren. 
Als  er  im  Park  der  Städte  sich  gezeigt. 
Was  nun  zurück  blieb,  kümmerlich,  gebrochen. 
Ist  Knieholz  gleich  am  Boden  hingekrochen. 


u 


9. 
Nun  haben  sie  gefasst  ihn  und  getreten 
Auf  manche  Art  um  seiner  Seele  Heil. 
Sie  lehrten  ihn  das  Fluchen  und  das  Beten 
Und  schössen  ihm  in"s  Mark  des  Hasses  Pfeil. 
Er  ward  ein  Teig  mit  andren  durchgekneten. 
Auf  eig'ne  Triebe  fiel  das  schärfste  Beil. 
Bis  endlich  er,  gefoltert  nnd  geschunden. 
Zu  eitern  anfing  aus  unsel'gen  Wunden. 

10. 
0  Gärtner  ihr.  mein  Singen  muss  euch  finden, 
Ihr,  die  ihr  Aexte  statt  der  Binden  tragt. 
Bei  deren  Schritten  sich  die  Pflanzen  winden, 
Die  unerbittlich  euer  Dünkel  plagt. 
0.  säh"t  ihr  das  Register  eurer  Sünden 
In  jedem  Schlage,  den  ihr  sinnlosTschlagt. 
Es  würde  sicher  eure  Rechte  zittern. 
Wär's  euch  gegeben.  Künftiges  zu  wittern. 

11. 
So  aber  geht  ihr  weiter  durch  die  Blumen, 
Zufried  nen  Wissens,  flachen  Stolzes  voll. 
Und  wühlt  zu  Schanden  Keimes  schwang're  Krumen 
Die  Hand  zersclilägt.  was  sie  beleben  soll. 
Weihlose  Priester  in  den  Heiligthumen. 
Vor  euch  versiegt  die  Quelle,  die  sonst  quoll. 
Und  unter  euren  ahnungslosen  Tritten 
Wird  KeiQi  um  Keim  verdorben  und  zersclniitten. 


15 


12. 

Und  so  auch  hier.     Es  war  ein  Parkgehege. 
Ein  wirr  Gestrüpp,  durch  das  die  Axt  mit  Müli" 
Zu  bahnen  hatte  dieser  Gärtner  Wege. 
Wo  alles  unterni  Knechteszwang  gedieh 
Zu  einer  Höhe,  eiferlos  und  träge. 
Die  längst  nicht  mehr  nach  lichter  Freiheit  schrie. 
Ein  Baum  wie  alle,  Bäume  sind  gleich  Bäumen. 
Mehr  Hessen  diese  Gärtner  sich  nicht  träumen. 

13. 

Mit  wunder  Brust  in  diesem  wüsten  Bette 

Lag  nun  Selin,  verdorrt,  geknickt  im  Schaft; 

Er  weinte,  tobte  gegen  seine  Kette. 

Bis  denn  auch  ihn  der  Dauerzwang  erschlafft. 

Da  aber  rang  aus  tief  verborg  ner  Stätte 

Es  sich  empor  wie  neue  Lebenskraft, 

Und  Töne  kamen,  die  Befreiung  brachten. 

Wie  sie  aus  Schmerz  und  herber  Qual  erwachten. 

14. 

Befreiung  —  ja!  doch  wie  sie  hoch  ihn  trugen, 

Weit  über  sich  in  ätherreine  Luft. 

Da  sah  er  nieder  auf  die  stolzen,  klugen 

Vereinten  Wärter  einer  grossen  Gruft. 

Drin  sie  sein  Wesen  ganz  in  Trümmer  schlugen, 

Die  dumpf  umwebte  feuchter  Moderduft. 

Sein  ganzes  Elend  kam  daher  geschritten 

Und  rief  ihm  zu.  was  drunten  er  gelitten. 


16 


15. 

Ein  Perg-ament  begann  es  zu  entrollen 
Von  allen  Keimen,  die  er  einst  besass. 
Von  allen  Trieben,  die  ihm  freudig  schwollen 
In  schöner  Knospe,  die  der  Moder  frass. 
Dann  zeigt'  es  nach  dem  schönen  übervollen 
Gebäud'  des  Wissens,  und  der  kaum  genas. 
Begann  zu  fühlen  erst  was  er  verloren; 
So  ward  das  Weh  von  neuem  ihm  geboren. 

16. 
Mit  Weinen  und  mit  Fluchen  eilt  der  Knabe 
Zu  retten,  zu  ersetzen,  zu  erringen: 
Ein  Blinder  so  mit  vorgehaltenem  Stabe 
Denkt  er  den  Weg  zum  Wissen  zu  erzwingen. 
Von  jedem  Baume  krächzt  des  Spottes  Rabe 
Und  kreist  um  ihn  mit  nimmer  müden  Schwingen. 
Und  keuchend  singt  der  matte  Knabe  nieder. 
Und  alte  Ohnmacht  überfällt  ihn  wieder. 

17. 
Da  tritt  zu  ihm  die  Frau  mit  Stein  und  Meissel 
Und  lockt  ihn  au  und  spricht  mit  süsser  Stimme: 
„Es  werde  dieses  Werkzeug  dir  zur  Geissei 
Und  diene  deiner  Wuth  und  deinem  Grimme. 
Und  eh'  sich  zweimal  dreht  der  Zeiten  Kreisel 
Im  kurzen  Tage,  edler  Knabe  ki^ümme 
Dich  unter  dieses  Joch.    Such  meinen  Tempel! 
Auf  deine  Stirne  drück  ich  meinen  Stempel." 


17 


18. 

Der  Knabe  geht  uud  sucht  mit  Hoflfniingsbeben ; 
Schon  krallt  im  Wahne  sich  die  heisse  Hand, 
Als  wollte  sie  Hymettos  Marmor  heben 
Aus  tiefem  Schacht,  als  hielte  sie  umspannt 
Den  Meissel  der  den  Marmor  soll  beleben 
IVIit  hohem  Geiste  hehr  und  gottverwandt,  — 
Da  tritt  er  in  des  Tempels  weite  Hallen 
Und  lässt  bestüi'zt  den  Zauber-Meissel  fallen. 

19. 
Ein  Volk  von  Krämern  schleift  des  Marmors  Decken, 
Ein  Volk  von  Bäckern  bäckt  den  braunen  Thon, 
Statt  heiliger  Priester  Lumpen  nur  und  Gecken, 
Statt  stiller  AVahrheit  Lug  und  Neid  und  Hohn. 
Da  giebfs  ein  mühsam,  ekelhaftes  Hecken, 
Geboren  wii'd,  was  längst  verstorben  schon; 
Rings  liegen  sie  die  ausgegrabnen  Leichen. 
An  ihren  Stirnen  der  Verwesung  Zeichen. 

20. 
Da  nahet  sich  die  Frau  mit  Ki-anz  und  Leier 
Und  liess  ihn  spielen  mit  der  Saiten  Gold 
Und  hüllte  ihn  in  liederschweren  Schleier 
Und  zeigte  ihm  ein  Bild  gar  lieb  und  hold, 
Und  sang  von  eüier  heiigen  ernsten  Feier. 
Dabei  zur  Liebe  Lautenstimme  rollt. 
Sie  sprach  zu  ihm  mit  lockender  Geberde: 
„Hinaus,  hinaus!  mein  Tempel  ist  die  Erde". 


II. 


1. 
iiis  knirscht  im  Grund,  und  starke  Ketten  klirren: 
Der  Anker  steigt  mit  Schwanken  aus  der  Gruft. 
Im  ganzen  Schiffe  giebfs  ein  eignes  Schwirren, 
Und  viele  Rufe  dringen  durch  die  Luft 
Und  scheinen  ohne  Sinn  sich  zu  verwirren, 
Der  schilt  und  wehrt,  ein  andrer  wünscht  und  ruft. 
Da  dröhnt  das  Schiff  von  urgeheimem  AVeben, 
Beginnt  zu  wachen  und  beginnt  zu  streben. 

2. 
Und  wie  der  Schraube  riesenstarker  Flügel 
Die  Fluthen  peitscht  und  sich  zum  Dienste  zwingt. 
So  zeigt  sich  oben  auf  dem  Wasser-Spiegel 
Ein  Silberschaum,  der  leise,  leise  klingt. 
So  ruht  am  Kämpfergrab  ein  lieblich  Siegel, 
Ein  Lied,  ein  Spruch,  den  ihm  der  Dichter  singt; 
Nicht  kann  der  Grabstein  seine  Kämpfe  spiegeln. 
Nur  sie  verbergen  kann  er  und  versiegeln. 


19 


Selin  erwacht  uiul  irrt  aufs  Deck  und  findet 
Noch  hoch  am  Himmel  Stern  um  Sterne  ziehn. 
Doch  Stern  um  Stern  versinket  und  verschwindet, 
Je  mehr  des  Ostens  bleiche  Rosen  blühn, 
Bis  dann  die  Sonne  stralilend  sich  verkündet. 
Und  rings  die  Farben  tausendfacli  erglühn. 
Und  ferne  Ufer  nur  noch  dämmernd  steigen 
Aus  dunklen  Fluthen,  die  erwartend  scliweigen. 

4. 
Ein  Schiff  auf  See!    Wie  rauscht  es  stolz  von  dannen. 
Mit  sichrem  Gange  auf  sich  selbst  gestellt! 
Wie  knarren  froh  die  segelschweren  Tannen 
Und  streben  fort  ins  uugemessne  Feld! 
Hei,  wie  sich  bauschend  nun  die  Segel  spannen. 
Vom  arbeitsfrohen  frischen  Wind  geschwellt!  — 
Ein  Mövenzug  folgt  den  bewegten  Gleisen, 
Und  hoch  in  AVolkeu  stille  Falken  kreisen. 

5. 

Ein  Festzug  isfs.    Wie  sie  bewundernd  rauschen, 
Die  Wellen  alle,  die  sein  Kiel  durchdringt! 
Der  Fische  Völker  tief  im  Grunde  lauschen 
Der  Menschenkraft,  die  Eisenflügel  schwingt. 
Und  wie  sich  thih^mend  vorn  die  Wogen  bauschen, 
Sie  müssen  weichen,  wenn  der  Seemann  winkt, 
Dem  Riesen,  dem  gewaltigen,  dem  grosse», 
Dess  Arme  Völker  durch  die  Wogen  stossen. 

2* 


20 


6. 
Schon  ferne  sieht  Selin  die  Ufer  weichen. 
Und  rückwärts  geht  er,  wo  des  Riesen  Kraft 
Unwiderstehlich  dreht  die  Eisen-Speichen 
Und  unter  krausen  Fkithen  mächtig  schafft. 
Da  fühlt  er  Mnth  durch  seine  Seele  streichen 
Und  auf  zur  Krone  dringen  Lebenssaft; 
Er  grüsst  mit  Jubel  ferner  Heimath  Dämmer 
Und  winkt  herab  des  Schicksals  starke  Hämmer. 

7. 
0.  schöner  Muth,  wie  schmeckst  du  so  nach  Dauer. 
Wie  scheinst  du  uns  bepanzert  und  bewelu-t, 
Gewachsen  jedem  Weh  und  jeder  Trauer, 
Die  Menschenhäupter  je  und  je  beschwert! 
Durch  seine  Seele  geht  ein  heilger  Schauer, 
Nach  stolzen  Höhen  war  sein  Blick  gekehrt. 
Nichts  war  zu  hoch,  die  fernsten  Wolkensäume 
Erklomm  sein  Geist  im  Zauberkleid  der  Träume. 


Ein  Dichter  sein  mit  Strahlenkranz  und  Krone, 

Bei  dessen  Tönen  lauscht  die  ganze  Welt, 

Sein  Sessel  schwergeballte  Wolken-Throne, 

Am  Firmamente  leuchtend  aufgestellt. 

In  seiner  Brust  die  Sprache  jeder  Zone, 

Von  dessen  Leier  Blitz  und  Donner  fäUt,  — 

Das  war  das  winzigste  von  seinen  Bildern, 

Die  andern  kann  keiu  Menschenwort  euch  schildern. 


21 


9. 

Ihr  wisset  alle,  wie  die  Bilder  sinken. 
Ihr  lächelt  alle  still  und  insgeheim, 
Wenn  sie  erfahrungsdüst're  Schlünde  trinken 
Und  aus  dem  Donner  wird  ein  schwacher  Reim, 
Und  wenn  die  Stürmer  heim  zum  Herde  hinken, 
Sorgfältig  ziehend  still  bescheidnen  Keim;  — 
Mich  aber  lasst  vor  diesen  Bildern  knieen 
Und  mich  vom  Nachhall  ilirer  Kraft  erglühen. 

10. 
Weit  vom  Gemeinen  werden  sie  bereitet, 
Nicht  Neid  und  Ruhmsucht  haben  sie  gemalt. 
Ureigene  Kraft  hat  solche  Frucht  gezeltet. 
Ureigne  Kraft,  die  göttlich,  himmlisch  prahlt. 
0  hielten  Götter,  was  uns  so  entgleitet 
Und  was  kein  Himmelreich  uns  je  bezahlt. 
Es  ist  dahin,  doch  einmal  ist"s  gewesen, 
Wir  sind  es  los,  sind,  —  wenn  ihr  wollt,  genesen. 

11. 

Den  Kampf,  der  ohne  Hoffnung  ist  zu  siegen. 
Ihn  hat  Selin  im  Kleinen  schon  durchkämpft, 
Wir  sahen  ihn  schon  oftmals  unterliegen 
Und  seines  Muthes  Anlauf  trüb  gedämpft. 
Jetzt  da  zur  neuen  Welt  die  Segel  fliegen. 
Hat  sich  der  Kraftwahn  neu  emporgeschnellt, 
Dess  Sturz  in  langen  Kämpfen  wird  geschehn. 
Die  allgewaltig  ihm  entgegenstehn, 


22 


12. 

Das  Land  verging-.  Die  grauen  Wogen  thürmen 
Sich  hoch  empor.     Ein  ferner  matter  Streif 
Verkündiget  das  Nah'n  von  wilden  Stürmen; 
Bald  rauscht  einher  der  gütterstarke  Greif. 
Wer  mochte  wohl  das  kühne  Schiff  beschirmen? 
Hoch  ans  den  Wogen  schlägt  des  Wales  Schweif.  — 
So  geht's  den  Tag  und  durch  die  Nacht  zum  Morgen, 
Dann  ist  die  See  in  Ruh,  das  Schiff  geborgen. 

13. 
Selin  indessen  lag  auf  seinem  Pfühle. 
Von  Finsterniss,  von  tiefer  Nacht  umhüllt. 
Er  fühlte  rings  der  Wogen  reg'  Gewühle. 
Vom  wilden  Kampf  des  Schiffes  Rumpf  umbrüllt.  — 
Wie  jauchzt  er,  als  des  Morgens  wonn'ge  Kühle 
Vom  offnen  Deck  in  seine  Kammer  quillt. 
Er  steigt  hinauf  und  sieht  von  blauen  Wogen 
Den  Horizont,  den  schwindenden,  umzogen. 

14. 
„O,  heilges  Meer,  du  Teppich  sondergleichen!" 
So  ruft  er  aus  von  Schauern  übermannt. 
Wo  Luft  und  Wasser  sich  die  Hände  reichen. 
Verweilt  sein  Blick  gefesselt  und  gebannt. 
Er  sieht  den  Windhauch  über  Wellen  streichen 
Gleich  einer  lieben,  sorglich  zarten  Hand 
Und  kann  des  Meeres  Schrecken  nicht  begreifen 
Im  Farbenheer.  das  Sonnenstrahlen  reifen. 


23 


15. 

Ihm  scheint  die  See  so  wunderbar  und  eigen, 
So  ganzer  Mannheit  unerreichbar  Bild.  — 
Wenn  zornge  Wogen  in  den  Himmel  steigen, 
AVenn  mädchenhaft  der  lichte  Busen  schwillt. 
Sei's  dass  die  Flächen  inhaltsruhig  schweigen," 
Sei's  dass  der  Inhalt  tausendzüngig  brüllt, 
AVenn  das  damast  ne,  farbenprächfge  Kissen 
Von  Sturmeskrallen  sausend  wird  zerrissen. 

16. 

Der  Kapitaiu  tritt  zu  Selin  und  schreitet 
Mit  ihm  am  Achterdecke  auf  und  ab, 
Indess  das  Fahrzeug  seine  Wege  gleitet 
Durch  das  geschmückte  ewig  off'ne  Grab. 
Er  hat  des  Knaben  Sinn  hineingeleitet 
In  seine  Brust  und  zeigt  ihm  manches  Kap, 
Um  das  das  Leben  mühsam  ihn  getragen, 
Von  Schiffen  Späne,  die  sich  dran  zerschlagen. 

17. 
Er  spricht:  „Ich  nahm  ein  Weib.  Kaum  dass  verglommen 
Des  Festes  Lust,  bin  ich  mit  meinem  Schiff 
Allein  zurück  in's  wilde  Meer  geschwommen. 
Verkehrt  hab  ich  mit  Klipp  und  Felsen-Riff, 
Statt  jener  sie  in  meinen  Arm  genommen. 
Die  frostigen.    Um  meine  Schläfe  pfiff 
Der  arge  Sturm,  statt  ihres  Busens  Wonnen 
Hat  kalter  Nord  mich  eisesschwer  umsponnen.'* 


24 


18. 
Ihn  fragt  Selin,  warum  er  denn  erwählte 
Dies  sclilimme  Loos,  das  ihn  zum  Abschied  triebe, 
Zum  ew  gen  Scheiden,  und  warum  er  quälte 
Sein  menschlich  Herz  und  nicht  am  Lande  bliebe 
Und  sich  mit  Fried  und  Freude  still  vermählte? 
Da  wandte  sich  der  Seemann  stumm  und  trübe 
Und  wies  hinunter  auf  das  lichte  Bette, 
Als  ob's  allein  die  Schuld  an  allem  hätte. 

19. 

Doch  nein,  —  was  brachte  hier  die  See  getragen, 
Als  wie  man  Leichen  trägt  zur  Leichenfeier?  — 
Ein  Körper  ist's,  tief  in  sein  Fleisch  geschlagen 
Hält  blut'ge  Krallen  ein  seekund  ger  Geier. 
Er  schaute  auf  von  seinem  seltnen  Wagen, 
Antwort  ertheilend  einem  andren  Schreier. 
Der  hoch  in  Vollki^aft  seiner  Schwingen  schwebte 
Und  helle  Lust  mit  Siegsgeschrei  belebte. 

20. 
Und  wie  es  nah  kommt,  zu  des  Knaben  Leide 
Ist's  eine  Kuh  mit  braun  und  weissen  Flecken: 
Wie  spielend  rings  am  ungewohnten  Kleide 
Die  tausendzüng'gen  salz'gen  WeUen  lecken. 
Was  will  die  Kuh  auf  dieser  seltnen  Weide, 
Wo  niu^  Polypen  schal'ge  Arme  strecken, 
Und  keine  Triften  saft'ges  Grün  gebären, 
Der  mildgewohnten  Rinder  Schaar  zu  nähren? 


25 


21. 

Der  Seemann  nickt  und  nickt  und  senkt  die  Augen 
Und  spricht:  „Hier  grast  die  Kuh  auf  salz'gem  Felde. 
Füi'  das  nur  Wale  und  Delphine  taugen. 
Wer  trieb  sie  her?    Wer  hiess  sie,  Knabe  melde 
Mii'  das,  zu  wälzen  sich  in  diesen  Laugen, 
Statt  wandeln  gehn  im  duftigen  Gewälde. 
Statt  Glöcklein  tönend  um  den  Hals  zu  tragen 
Und  Friede  blockend  saffges  Grün  zu  nagen?"  — 

22. 

Der  Seemann  geht.    Der  Knabe  bleibt  und  sinnet. 
Und  Englands  ferne  Küsten  steigen  auf. 
Der  Abenddämmer  graue  Dünste  spinnet, 
Und  still  zu  Ende  geht  der  Sonne  Lauf. 
In  lichter  Fluth  zu  imserm  Schiffe  rinnet 
Ein  goldner  Latz  von  ihrem  Feuerknauf. 
Bis  endlich  sie,  die  letzten  Strahlenfunken 
Verstreuend,  mälig  ist  in's  Meer  gesunken. 

23. 
Nun  kommt  die  Nacht  mit  ihrem  Sehnsuchtsleide, 
Und  hoch  am  Himmel  holder  Sterne  Pracht. 
Doch  auch  die  Meerfluth  hegt  ein  Goldgeschmeide. 
Das  ihre  Woge  schmückt  in  dunkler  Nacht. 
Wie  flimmert  sie  in  diesem  neuen  Kreide, 
Das  jeder  Windhauch  wunderbar  entfacht, 
Und  jede  Falte,  vor  sich  selbst  erschreckend. 
Entflieht,  nur  immer  neuen  Glanz  entdeckend. 


26 


24. 

Dort  England.    Frankreich  jene  dunkle  Masse. 

Ein  Steraenbog-en  drüber  aufgestellt. 

Und  zwiscliendurcli  die  dunkle  Wogengasse, 

Die  beide  Länder  von  einander  hält. 

Dass  dieser  Streif  das  stolze  England  fasse, 

Und  jener  decke  Frankreichs  bunte  Welt.  — 

Den  wahi^en  Werth  der  beiden  matten  Streifen, 

Selin  vermochte  kaum  ihn  zu  begreifen. 

25. 
„Nah",  spricht  der  Kapitain.  „sind  hier  die  Lippen, 
Li  denen  Tag  nnd  Nacht  die  Woge  schlürft, 
Ein  fürchterlich  Gewirr  von  Sand  und  Klippen, 
Darein  der  Sturm  des  Jahrs  manch  Fahrzeug  wirft. 
Wer  erst  geklemmt  in  diese  kahlen  Rippen, 
Der  hat  des  Lichts  zum  letzten  Mal  bedürft. 
Um  sich  in  alter  Art  durch  seine  Sünden 
Und  seiner  Menschheit  Qual  hindurchzufinden." 

26. 
„Leuchtschiffe  ruhen,  wo  vom  sichren  Pfade 
Die  Grenze  ist  am  starren  Felsenriff, 
Bewachend  jene  unheilsvolle  Lade, 
Die  manches  Fahrzeug  krachend  schon  ergriff. 
Hier  hilft  kein  Heulen  und  kein  Flehn  um  Gnade, 
Zu  tausend  Trümmern  nagt's  das  ganze  Schiff, 
Die  alle  wie  der  Leib  des  toten  Rindes 
Von  dannen  ziehen  nach  dem  Spiel  des  Windes."  — 


27 


27. 

Leuchtfeuer  blinken  her  von  Englands  Küste. 
Vom  Steuer  schaut  der  Helgoläuder  Maat 
Mit  scharten  Augen  in  die  Wasserwüste 
Und  dreht  bedacht  sein  mächfges  Steuerrad: 
Und  geht  auch  Sternenlicht  und  Mond  zur  Küste, 
Der  Kompass  weist  ihm  seinen  sichren  Pfad. 
Fahrzeuge  gleiten  rings  auf  dem  Kanäle 
Und  geben  grüssend  donnernde  Signale. 

28. 

Die  Kacht  vergeht  und  Tag  um  Tage  weichen, 
Selin  bemerkt,  beachtet  jedes  Ding: 
Sei's  des  bedrängten  Seglers  Flaggenzeichen. 
Sei"s  der  Delphine  Spiel,  die  froh  und  flink 
Der  Wellen  Häupter  staub'ge  Scheitel  streifen, 
Sei's  dass  er  sass.  wo  starr  der  Anker  hing. 
Und  in  den  Kampf  der  dunklen  Fluten  blickte, 
Die  unter  ihm  des  Schiffes  Kiel  zerstückte. 

29. 

So  hat  er  oft  des  Schiffes  nicht  geachtet, 
Ganz  zu  empfinden  einsam  nur  gestrebt, 
Und  lange,  lange  regungslos  getrachtet 
Zu  forschen,  ^xie  die  AVoge  einsam  lebt.  — 
Bis  endlich  ihn  manch  eigner  Traum  umnachtet. 
Der  Wirkliches  mit  Phantasie  verwebt; 
Und  wollen  wir  die  Mischung  ganz  erfassen. 
So  müssen  wir  die  Wellen  reden  lassen. 


28 


30. 

Die  Wellen  sprechen:    Einsam  sind  wir  alle; 

So  viel  wii^  sind,  wir  alle  sind  allein. 

Du  aber  lerne  aus  dem  regen  Schwalle 

Die  Kunst  mit  AVell'  und  Winden  einsam  sein. 

Schau  über  dich!  die  pfadlos  weite  Halle 

Des  Firmaments,  der  Sterne  milder  Schein 

Ist  Anfang  eines  ungemess  nen  Raumes, 

Und  unsre  Welt  der  Perle  gleich  des  Schaumes. 

31. 
Wie  fühlt  der  Knabe  seine  Brust  erzittern, 
Wie  will  er  saugen,  trinken  ohne  Rast 
Die  Lehren,  die  ihn  ahnungsschwer  umwittem, 
Wie  strebt  sein  Sinn  in  unerhörter  Hast 
Zu  schauen  und  zu  rütteln  an  den  Gittern, 
Die  man  vergebens  hoffnungsvoll  erfasst. 
Wie  strebt  er  nach  des  Fragenschwalls  Erwiderung, 
Die  gross  uns  macht  in  göttlicher  Erniedrung. 

32. 
Zusehends  wuchs  des  Jünglings  helle  Seele. 
Ward  gross  und  weit,  ihm  selber  unbewusst. 
Er  sah  in  manches  Räthsels  trübe  Höhle, 
Und  schaute  an  mit  immer  regrer  Lust; 
Und  dass  er  nun  zu  sammeln  nicht  verfehle 
In  seiner  regen  ewig  durstigen  Brust. 
War  er  bedacht  dem  Wind-  und  AVellenrauschen 
Und  jedem  Ton  ein  Räthsel  abzulauschen. 


29 


83. 

Doch  wunderbar!    So  oft  er  sich  bemühte 
Dem  heissen  Drang  in  Worten  zu  genügen, 
So  oft  auch  schaffend  schwer  sein  Busen  glühte, 
Er  fühlte  haltlos  jeden  Ton  verfliegen. 
Was  ihn  in  göttergleiche  Träume  wiegte, 
Das  wollte  sich  dem  schaalen  Wort  nicht  fügen, 
Dass  ihn  Verzweiflung  oftmals  übermannte, 
Und  ihm  auf  lange  jede  Freude  bannte. 

34. 

Das  Neue  kam  und  riss  ihn  aus  dem  Brüten: 
Ein  sonnig  Land,  ein  klippenreich  Gewand, 
Bald  eine  Ebne,  reich  bedeckt  mit  Blüthen. 
Die  Küste  Portugals,  die  flammt  und  brennt, 
Cap  Finisterra.  drum  die  Stüi-me  wüthen, 
Und  das  der  Seemann  nur  Cap  Finster  nennt. 
Und  all  der  Wii'bel  wechselnder  Erscheinung. 
Die  nur  vergangen  kommen  zur  Vereinung. 

35. 

Auch  jener  Groll,  der  in  des  Knaben  Herzen 
Sich  gegen  Menschen  früh  schon  eingestellt, 
Begann  zu  schwinden,  mählich  zu  verschmerzen 
Scliien  er  die  Schläge,  die  ihn  arg  gequält. 
Sein  Denken  konnte  mit  Vergangnem  scherzen, 
So  schien  verwandelt  ihm  die  weite  Welt. 
Und  Wund'  auf  Wunde  ihm  im  Busen  heilte. 
So  lang"  er  auf  dem  Wasserhause  weilte. 


30 


36. 

"Was  .süss  ist,  ist  ein  Wahn.  —  Die  weiten  Meere 

Befördern  diese  weltzufriedne  Stimmung, 

Dann  drückt  der  Erde  Qual  mit  grösserer  Schwere. 

Dann  fühlst  du  doppelt  deines  Weges  Krümmung. 

Sei  auf  der  Hut.  o  Jüngling!  wache,  wehre 

Die  Rechte,  mancher  Berg  harrt  der  Erklimmung! 

Der  Anker  fällt,  der  Hafen  ist  gefunden. 

Das  Schiff  am  Erdball  wieder  festgebunden. 


•k:^H' 


III. 

1. 
Nun  Muse  komm,  imd  lass  dich  heiss  umarmen! 
Nun  gieb  dein  Lied!    Ich  ruf*  es  laut  herab. 
Du  musst  am  Pulsschlag  meiner  Brust  erwamien. 
Der  einst  dein  Hauch  das  ew'ge  Sehnen  gab. 
Herbei,  herbei!  und  gieb  aus  vollen  Armen. 
Schmück  mir  mit  Ros'  und  Dornen  meinen  Stab! 
Mit  rüsfgem  Schritt  den  AValler  zu  begleiten, 
Das  ist  mein  Amt,  du  Muse  musst  mich  leiten. 

2. 

Stoss  in  dein  Hörn,  du  Zaubergeist  des  Traumes, 
Ruf  glühnde  Feuer,  heisse  Brände  wach! 
Fallt  in's  Geäst  des  wildverschlungnen  Baumes 
Des  kühnen  Liedes!  schmückt  des  Tempels  Dach. 
Des  Tempels  Inn'res.  des  geweihten  Raumes. 
Dass  alles  wachs"  und  bilde  sich  gemach!    . 
Du  darfst  nicht  zaudern  ^luse  an  der  Schwelle: 
Hinab,  hinab!    Ich  folge  dir  ziu-  Hölle! 


32 


3. 
Frei  ist  mein  Haupt,  der  Sclüeier  ist  genommen. 
Geduldig  kommt  die  ungeduld'ge  Schaar 
Der  Geister  wieder  in  mein  Lied  geschwommen, 
Die  lange,  lange  mir  entschwunden  war. 
Die  Fackel  flackert,  ist  mü'  neu  entglommen, 
Dass  sie  erlöscht,  ist  nirgend  mehi^  Gefahr: 
Der  Wind  des  Geistes  kommt  allein  gezogen, 
Der  sie  entfacht;  —  der  andi^e  ist  verflogen. 

4. 

In  einem  Kampf  muss  sich  Selin  bewähren; 
Mein  Lied,  zu  schildern  jenen  grossen  Kampf, 
Wo  süsse  Feinde  unsern  Sieg  erschweren 
Und  unserer  Seelen  thatenloser  Ki^ampf. 
Wohl  gegen  Ritter  gilt  es  AVaffen  kehren 
Von  Stahl  und  Eisen;  —  heisser  Pulverdampf 
Mit  Donnern  brechend  aus  Verderbensschlünden 
Kann  uns're  Flucht  nie  unsern  Kampf  verkünden. 

5. 
Du  finstres  Feuer,  Gluthstrom  ohne  Gleichen, 
Gewalt'ger  Dämon  in  verschloss'ner  Brust! 
Die  ganze  Welt  trägt  deines  Daseins  Zeichen, 
Dein  Kind  ist  Laster  und  dein  Nam'  ist  Lust. 
Du  nahst,  und  selbst  der  Stärkste  muss  erbleichen. 
Wenn  du  daherschwebst  deines  Siegs  bewusst. 
Mit  üpp  gem  Lächeln  in  den  giüh'nden  Blicken. 
Die  oft  verderben,  während  sie  entzücken. 


33 


6. 
Ich  habe  dich  geschmäht,  ich  muss  es  büssen. 
Du  forderst  Keclienscliaft.  so  folg   mir  nach!  — 
Sieh,  wie  dich  jene  dürren  Knochen  griissen. 
Die  feuerlose  Lippe,  die  einst  sprach. 
Horch,  wie  sie  wimmern  unter  deinen  Füssen, 
Die  stolzen  Geister,  die  dein  Gluthhauch  brach! 
Hörst  du  sie  alle  nicht  mattstimmig  klagen. 
Die  deine  Hand  mit  Wahnsinn  hat  geschlagen? 

7. 

Betrügst  du  nicht,  du  fluchbeladner  Scherge? 
Giebst  du  ein  bess'res  für  ein  gutes  Theil? 
Du  führst  uns  lauernd  hin  auf  goldne  Berge 
Und  biefst  die  Berge  füi-  ein  Nicken  feil. 
Doch  wenn  wir  nickten,  fallen  wir  in  Särge. 
In  uns"re  Stirnen  fährt  des  Wahnsinns  Keil, 
Und  niemand  schliesst  die  Wunden,  die  erklaffteu 
Und  uns  unnennbar  wilde  Qualen  schafften. 


„Wer  bist  du?"    Und  das  Bild  begann  zu  sprechen, 
Denn  wirklich  sah  ich  deutlich  jetzt  ein  Weib, 
Ihr  Anblick  würde  euch  die  Seele  brechen,  . 
Ein  üpp'ger,  wüster,  doch  kasteiter  Leib, 
Zernagte,  blutbelauf  ne  wunde  Flächen;  — 
Ich  will  mich  wenden,  doch  da  ruft  es:  „Bleib 
Und  höre  mich!     Das  Blatt  hat  sich  gewendet; 
Jetzt  bleib'  und  höre,  bis  auch  ich  geendet!" 

3 


34 


9. 

„Sie  glauben  noch,  ich  sei  was  ich  gewesen: 

Einst  war  ich.  —  Sänger!  —  wie  sonst  Kinder  sind; 

Am  Erlenbache  trieb  ich  hold  mein  Wesen, 

Und  mich  empfand  das  unverdorbne  Kind. 

Ich  lehrte  euch  in  Baumeski'onen  lesen 

Und  flog  euch  zu  in  jedem  frischen  "Wind: 

Da  kamen  schmutz'ge  schwachgemuthe  Buben, 

Die  mich  lebendig  in  ein  Grab  vergruben." 

10. 

„Seitdem  ward  ich  in  Menschenmund  geschändet. 

Verflucht  der  Körper,  den  ich  augeweht: 

Sie  glaubten  mich  vergangen  uud  verendet 

Und  haben  Gott  um  meinen  Tod  gefleht. 

Ich  aber  habe  mächtig  mich  gewendet 

In  meiner  Haft,  da  half  kein  Gottgebet. 

Bis  ich  des  Sarges  Eisenmund  gebrochen 

Und  angstvoll  bin  von  Haus  zu  Haus  gekrochen." 

11. 
„Nun  wollte  nimmer  mir  ein  Obdach  lachen, 
Die  Menschen  schlugen  mich.  —  sie  nannten"s  Scham;  - 
Ich  aber  stand  bei  Blitz  und  Donnerkrachen 
In  Einsamkeit  und  wurde  krumm  und  lahm. 
Mich  hat  zerfleischt  des  Wahnes  blufger  Rachen, 
Ein  jeder  Knabe,  der  gelaufen  kam. 
Spie  mich  aus  seiner  Brust.  —  So  zugerichtet 
Hat  man  mich  freilich,  aber  nicht  vernichtet." 


12. 

„Da  kam  die  List  und  half  mir  doch  zum  Siege. 
Ich  stahl  geschickt  in  jede  Brust  mich  ein. 
Aus  einem  Falter  ward  die  gift 'ge  Fliege. 
Und  wo  ich  war.  da  musst'  ich  ewig  sein, 
Und  wen  ich  stach,  der  fühlte  kein  Genüge 
Am  Guten  mehr;  er  wahrte  noch  den  Schein, 
Doch  koste  heiss  mich  bei  verschlossnen  Thüren, 
Um  endlich  mich  als  Laster  zu  erküren." 

13. 

„Nun  wuchs  der  Hass.     Der  heisse  Durst  nach  Rache, 
Der  Knechtessinn,  die  Tücke  hing  mir  an, 
Und  eine  edle  himmelsreine  Sache, 
Ward  ich  ich  zur  Metze  jedem  schlechten  Mann. 
So  kommt  es  nun.  dass  ich  die  Rechnung  mache, 
Und  wenn  ich  wo  vom  Herzblut  trinken  kann, 
Da  hang'  ich  fest.     Kein  noch  so  edles  Stöhnen 
Der  matten  Opfer  kann  mich  mehr  versöhnen." 

u. 
„So  röchelt  nun  in  meinen  wüsten  Armen 
Und  flucht,  indem  ihr  schwimmt  in  meinem  Schlamm! 
Eh"  hat  die  Höll'  im  Schattenreich  Erbarmen. 
Ich  schlag'  den  Hirten,  und  ich  schlag'  das  Lamm, 
Ich  schlag"  die  Reichen,  und  ich  schlag"  die  Armen. 
Und  Keiner  ist.  der  lebend  mir  entkam; 
Wer  je  mich  trug  auf  seines  Lagers  Kissen, 
Dem  hab"  ich  rasend  mich  ins  Herz  gebissen." 

3* 


3G 


15. 
„Sie  mögen  Kerker  wie  Gebirge  bauen; 
Jetzt  bin  ich  nicht  melir  eine  von  den  Kleinen, 
Und  hinter  meinen  Schritten  kriecht  das  Grauen. 
Und  mag  die  Welt  aus  hohlen  Augen  weinen, 
Ich  werde  lachend  auf  die  Memmen  schauen, 
Die  Welt  in  schwarzer  Fluthen  Tiefe  schlingen 
Und  Wahnsinns  Lieder  durch  ein  Chaos  singen." 

16. 
„Nun  gehe  hin  zu  meinem  glüh  nden  Herde. 
Nun  schaue,  Sänger,  mein  verfluchtes  Reich 
Und  schaudere  und  sinke  hin  zur  Erde 
Und  zittere  im  Schaun  und  werde  bleich! 
Ich  zeige  jetzt  dir  eine  bunte  Herde, 
Mein  Pfühl  sind  Weiberbusen  zart  und  weich, 
Und  Menschenschädel  meine  goldnen  Becher, 
Und  alle  alle  Opfer  mir  und  Rächer." 


IV. 

1. 

Die  Dämmerimg  umflattert  Spaniens  Küste, 
Und  Malag-a  liegt  wie  ein  träumend  Kind. 
Wie  wenn  der  Wind  des  Kindes  Locken  küsste, 
So  steigt  der  Rauch  in  Abendlüfte  lind. 
Und  alles  geht  vom  wilden  Tag  zur  Rüste, 
Der  Fischer  zieht  des  Netzes  Wucht  geschwind 
Empor,  ein  andrer  wieder  löst  die  Taue 
Und  steuert  frisch  in's  Äleer.  in's  dunkle,  blaue. 

2. 

Da  steht  Selin  am  regbelebten  Hafen 
Und  schauet  stumm  zurück  zu  seinem  Schilf, 
Dem  willigen,  dem  starken  und  dem  braven, 
Das  sicher  ihn  geführt  um  Klipp  und  Riff. 
Nun  sich  mit  Menschen  seine  Blicke  trafen, 
Ein  neuer  Geist  in  seine  Seele  griff, 
Der  bald  begann  in  eigenwill'gen  Spielen 
Ihr  tiefstes  Innerstes  zu  unterwühlen. 


38 


3. 

Und  lauer  welm  und  lauer  nun  die  Lüfte, 
Und  drückend  lastet's  um  Selinens  Haupt; 
Es  wallt  um  ihn  ein  Hauch  wie  Ambradüfte, 
Der  ihm  die  Vorsicht  und  Besinnung  raubt. 
Schlaff  stützt  sein  Arm  sich  auf  die  müde  Hüfte; 
Da  nahen  ihm.  mit  Rosen  hold  umlaubt. 
Gestalten.  —  Sind  sie  lebend,  sind's  Gebilde 
Der  Phantasie  aus  himmlischem  Gefilde? 

4. 
Sie  sind  gefahrvoll  diese  lichten  "Weiber!  — 
Ein  Schauer  sagt  es,  der  Selinen  rührt. 
Nur  der  Verderber  malt  uns  solche  Leiber, 
Durch  die  er  uns  zu  Tod  und  Elend  führt. 
0  wehi^e  dich!  der  füixhterliche  Treiber, 
Der  eine  zehrend  heisse  Flamme  schürt. 
Er  jagt  wie  mit  Oinomaos  Rossen 
Und  trifft  dein  Herz  mit  tötlichen  Geschossen. 

5. 

Und  lockender  beginnt's  ihn  zu  umwinden: 
Ein  süsses  Tönen  fördert  seinen  Wahn. 
Da  hört  er  Laute  holden  Tanz  verkünden 
Und  eine  Schaar  von  'wilden  Dirnen  nahn. 
Die  leise  lächelnd  ihm  vorüber  schwinden; 
Er  aber  steigt  in  den  bereiten  Kahn 
Und  suchet  trotz  dem  lockend  süssen  Klingen 
Zum  Scliiff  im  Hafen  sich  zurückzuzwingen. 


39 


6. 

Schlaflos  und  glühend  wälzt  er  hin  und  wieder 

Den  müden  Kijrper  auf  dem  harten  Lager; 

Zur  Wandrung  reisseu  ihn  die  regen  Glieder, 

Doch  um  ihn  reden,  fragen  tausend  Frager. 

Es  brennen  ihm  der  Augen  matte  Lider, 

Gerippe  standen  um  ihn  liohl  und  hager 

Und  warnen  ihn  und  heissen  ihn  bethören 

Den  heissen  Drang  und  sich  zum  Schlummer  kehren. 

7. 

Er  thufs.    Da  hört  er  zauberisches  Klingen 
Von  der  Muele  durch  die  stille  Fluth. 
Wie  sich  die  Töne  ihm  in's  Innre  ringen, 
Wächst  ihm  von  Neuem  die  erstorbne  Gluth. 
Er  springt  empor  und  ruft:    „Hört  auf  zu  singen! 
„Ich  habe  euch  zu  hören  nicht  den  Muth. 
„Hört  auf  zu  singen!  eure  Flammenblicke 
„Ich  fühle  sie.     0  rettet!  ich  ersticke." 

8. 
Er  geht,  er  sucht.    Da  schlägt  mit  leisem  Munde 
Beim  Lampenflackern  im  Kajütenraum 
Die  Uhre  klar  und  hell  die  zwölfte  Stunde; 
Selin  starrt  in  die  Luft  und  hört  sie  kaum. 
Sein  Auge  macht  die  fieberhafte  Eunde, 
Bald  glaubt  er  wachend  sich  und  bald  im  Traum. 
Und  wieder  fällt  er  keuchend  in  die  Kissen. 
Von  Mattigkeit  und  Schauder  hingerissen. 


40 


9. 
Da  schweigt" s  um  ihn.   Doch  bald  beginnt's  zu  reden. 
Da  kommen  Geister  und  Verwandte  her, 
Umspinnen  ihn  mit  langen  Weisheitsfäden, 
Und  ihre  Gründe  wiegen  gut  und  schwer. 
Sie  weisen  ihm  der  Menschheit  grösste  Schäden, 
ümmurmeln  ihn  und  zanken  kreuz  und  quer, 
Bis  endlich  sie  mit  einem  Male  schweigen,  — 
Und  andi-e  Geister  aus  der  Tiefe  steigen. 

10. 

Selin  erbleicht,  er  kann  sich  nicht  erwelu'en; 
Sie  reden  nicht,  sie  sind  nicht,  doch  sie  sind. 
Er  will  zur  Flucht  sich  leise  weinend  kehi-en 
Und  wird  verächtlich,  schwächlich  wie  ein  Kind. 
Nun  wachsen  sie  zu  ungeheuren  Heeren, 
Da  wird  er  machtlos  und  sein  Auge  blind. 
Sie  fassen  ihn,  sie  werfen  ilm  zu  Boden. 
Und  um  ihn  weht  ilii'  unheilschwerer  Broden. 

11. 
Noch  kämpft  er,  —  nein,  nicht  Kampf  mehi'  ist's  zu  nennen. 
Noch  unterliegt  er  den  gewalt'gen  "Weh'n. 
In  tausend  Flammen  seine  Glieder  brennen 
Und  machen  ihm  die  Sinne  fast  vergeh  n. 
Er  kann  sich  selbst  im  Bauche  nicht  erkennen, 
Er  meint  zu  fliegen,  und  er  meint  zu  stehn;  — 
Da  kommen  sie  von  neuem  durch  die  Wogen, 
Die  holden  Himmelstöne,  hergezogen. 


41 


12. 
Er  steigt  auf's  Deck.  Nicht  kann  die  Nacht  ihn  kühlen. 
Er  schaut  zum  Lande  und  er  steigt  in's  Boot. 
Die  Kräfte,  die  sein  Inn'res  jetzt  durchwühlen. 
Die  schlägt  kein  Pfarrer  und  kein  Priester  tot. 
Es  schwimmt  sein  Geist  in  brennenden  Gefühlen;  — 
Nun  thut's  zu  retten  und  zu  helfen  Noth. 
Folgt  mir  hinab  in  seine  schwanke  Barke, 
Dass  euer  Muth  an  seinem  Kampf  erstarke. 

13. 

Das  Land  erreicht.     Er  springt  die  stein'gen  Stufen 
Hinan,  da  lächelt  ihm  manch  hold  Gesicht. 
Von  rückwärts  hört  er  seinen  Namen  rufen; 
Um  treibt  es  vorwärts,  er  gehorcht  ihm  nicht. 
Das  Laster  sprengt  einher  mit  Flammenhufen, 
Er  jauchzt  ihm  zu  und  wie  es  lodernd  spricht. 
Nickt  er  und  nickt;  —  da  dankt  der  grause  Scherge 
Und  öffnet  schweigend  seine  düstern  Särge. 

14. 
Doch  was  nicht  Pfarrer  und  nicht  Priester  schaffen, 
Das  schafft  der  Born,  der  tief  im  Busen  quillt. 
Wie  sich  die  Schleier  schwebend  jetzt  entraffen, 
Die  ehedem  des  Lasters  Reich  umhüllt, 
Da  quillt  der  Quell  ihm  Harnisch,  Helm  und  Waffen 
Und  hebt  herauf  ein  himmelsreines  Bild, 
Dass  wie  ein  Gott  der  wilde  Stürmer  stehet, 
Und  Friedensodem  seinen  Geist  umwehet. 


42 


15. 

Wühl  lockt  die  Lust,  wohl  flackern  heisse  Kerzen. 
Wohl  hat  sie  üppig  sich  und  hold  bemalt, 
In  Engelsbrüsten  schlagen  Geierherzen, 
Und  Sclilangen  sind  mit  Perlen  licht  umschalt. 
Und  so  beginnt  ein  fürchterliches  Scherzen, 
Vom  grellen  Licht  des  Lasters  überstrahlt. 
Bald  ist  Selin  vom  wüden  Heer  umworben, 
Doch  aller  Drang  ist  plötzlich  ihm  gestorben. 

16. 

Ein  ungeheurer,  namenloser  Schrecken 
Hat  seines  Körpers  ganzen  Bau  erfasst, 
Er  sieht  mit  Grauen  ärgster  Fäulniss  Flecken 
Und  hohlen  Tod  in  jeder  Brust  zu  Gast. 
Und  wie  sie  ihm  den  Leib  entgegenrecken, 
Die  Opfer  alle  ohne  Ruh  und  Rast, 
Da  sucht  sein  weinend  Auge  Salben.  Binden, 
Sie  um  der  Wunden  Uebermass  zu  winden. 

17. 

Da!  —  w^elch"  ein  Weib!  ein  Haupt  voll  stolzer  Wüi'de, 
Ein  Gliederbau  so  himmlisch,  gross  und  rein. 
Die  Stirn  umfliesst  lichtheller  Locken  Bürde 
Und  scheint  ein  Strom  von  lautrem  Gold  zu  sein. 
Dies  Lamm  gehöret  nicht  in  diese  Hürde, 
So  denkt  Selin.  solch  süsser  Himmelsschein 
Strahlt  niu'  aus  Sternen,  da,  —  da  sinkt  sie  nieder 
Und  giebt  ihm  Preis  die  stolzen  Götterglieder. 


43 


18. 
liid  wie  anbetend  sclujn  sein  Knie  sich  senkte. 
Da  springt  er  auf,  von  Jammer  jäh  durclidrimgen : 
„Wer  ist  das  Weib,  das  hell  die  Cymbeln  schwenkte? 
„AVess  Stimme  ist's,  die  also  süss  geklungen, 
„Der  die  Natur  so  reiche  Gaben  schenkte? 
„Wo  ist  sie?"  —  da!  —  da  kommt  sie  schon  gesprungen. 
Ein  wildes  Lachen,  eine  Schmutzgeberde. 
Und  klatschend  fällt  sie  vor  Selin  ziu'  Erde. 

19, 
Wer  naht  sich  dort?  Ein  Kind  mit  schwarzen  Locken, 
Ein  lieblich  Kind,  so  schamhaft  wie  ein  Eeh, 
Auf  Lilienwangen  weiche  Rosenflocken, 
Ihr  Wandeln  gleicht  dem  Wandeln  einer  Fee. 
Ihr  naht  Selin  imd  seine  Pulse  stocken, 
Hier  gilt's  zu  trösten,  denn  hier  wohnt  das  Weh. 
Da  muss  er  Moderduft  und  Eäulniss  riechen, 
Und  Würmer  sieht  er  ihr  im  Auge  kiiechen. 

20. 
0  Uebermass,  o  Jammer  ohne  Gleichen! 
Er  will  erwärmen  ihre  feuchte  Hand. 
Sein  Auge  fleht:  o  gieb  ein  leises  Zeichen. 
Ob  je  ein  Menschliches  in  dir  gebrannt?  — 
Sein  menschlich  Wort  ertönt  niu'  fahlen  Leichen, 
Hier  wü'd  niu-  eine  wilde  Lust  gekannt 
Und  wird  geübt,  bis  ihre  Pfleger  fallen. 
Zerfleischt  von  eignen  bhitbedeckten  Krallen. 


44 


21. 

„Wer  ist  dein  Yater?  —  wer  die  Mutter?  sage!  — 
„Hast  Vater  du  und  Mutter?  sind  sie  todt? 
„Wer  brachte  dich  in  diese  schlimme  Lage? 
„Fehlt  dii'  ein  Obdach,  oder  fehlt  dir  Brod? 
„Du  sahst  wohl  einstens  hell're,  schön-re  Tage 
„Und  kamst  vom  Glanz  in  eine  tiefe  Noth? 
„Antworte  mir!"  —  Da  hüpft  sie,  ihren  kalten 
Zerfress  nen  Leib  wollüstig  zu  entfalten. 

22. 

Noch  steht  Selin,  doch  droht  er  fast  zu  sinken 
Vor  nie  geahntem,  ungeheurem  Graun, 
Ohnmächtige  Thränen  ihm  im  Auge  blinken. 
Das  ganz  vergeht  im  starren,  heissen  Schaun. 
Wer  wird  aus  diesen  Lustgefässen  trinken?  — 
Da  hört  er  neben  sich  ein  schwach  Geraun': 
„Ihr  seid  ein  Neuling,  junger  Mann.    Wir  beiden, 
„Wii'  grasen  lang  schon  auf  den  üpp'gen  Weiden." 

23. 

„Den  üpp'gen  Weiden?  —  AVer,  wer  kann  das  sprechen?  — 
Den  üpp'gen  AVeiden?"  Brennend  heisser  Zorn 
Will  aus  des  Knaben  Munde  zuckend  brechen, 
Und  fluthend  quillt  der  lieiVge,  reine  Born 
In  seiner  Brust.     „Den  üpp  gen  Weiden?  —  rächen 
„Will  ich  dies  Wort!     Treff'  euch  der  Leiden  Dorn. 
„Die  hier  auf  diesen  üpp'gen  Weiden  spriessen, 
„Und  die  euch  locken  ruchlos  zu  geniessen!" 


45 


24. 

Er  wendet  sich  und  sieht  zwei  Männer  stehen, 
Die  lächelnd  ihn  und  mitleidsvoll  betrachten. 
„Man  sieht's",  so  sprechen  sie,  „Kiudsmährchen  wehen 
„Um  deine  Stirne  noch.   Du  wirst  mit  Sachten 
„Die  üppgen  Wege  fester,  sich'rer  gehen, 
„Wenn  du  gebührend  wirst  den  Pfuhl  verachten. 
„Verschleud're  nicht  dein  Mitleid  in  dem  Pfuhle, 
„Nicht  zu  den  Menschen  rechnet  man  die  liuhle." 

25. 

Hoch  reckt  Selin  sich.     Seine  Augen  flammen 
Verachtung,  seine  Brust  erhebt  sich  wild. 
Und  er  erkennt  die  Schaar  der  AVundersamen. 
Die  ewig  zu  besudeln  sind  gewillt, 
Was  sie  geniessen.  stetig  zum  Verdammen 
Sich  fertig  fühlen,  und  sein  Athem  schwillt. 
Empor  zu  schleudern  in's  Gesicht  dem  Truge 
Die  ganze  Wahrheit  nun  in  einem  Zuge. 

26. 
„Ich  grüss'  euch!  spricht  er,  wollet  mir  vergönnen, 
„Dass  ich  euch  mag  beim  rechten  Zipfel  fassen, 
„Dass  ich  euch  mag  beim  rechten  Namen  nennen. 
„Ich  grüss'  euch,  die  ihr  ki^iecht  auf  allen  Gassen, 
„Ich  grüss'  euch,  die  ihr  kräht  mit  aUen  Hennen 
„Und  die  ihr  lebt  und  nehmt  aus  allen  Kassen. 
„Eur'  Nam'  ist  Fadheit,  aller  Laster  Laster, 
„Und  Menschenglück  ist  eurer  Strassen  Pflaster. 


40 


27. 
„Wer  kennt  euch  nicht,  die  alle  Farben  tragen. 
„Wie  Maden  jedes  grüne  Reis  umzieh'n? 
„Wer  kennt  euch  nicht,  die  jedes  Blatt  benagen? 
„Wen  habt  ihr  nicht  besudelt  und  bespie'n? 
„Ihr  mögt  bei  jeder  armen  Seele  fragen 
„Und  forschen,  was  aus  eurer  Saat  gediehen, 
„Die  schönsten  Keime  sind  in  euren  Horden 
„Dem  Schlamm,  in  dem  ihr  watet,  gleich  geworden. 

2S. 

„Stolzieret  weiter,  aufgeblähte  Schatten. 

„In  eui'en  Schreckensscharen  dünkt  euch  gross! 


„Die  eure  Thaten  unterwühlet  hatten. 
„Die  armen  (3pfer.  lasst  auch  jetzt  nicht  los! 
„Lasst  sich  die  Fadheit  mit  Gemeinheit  gatten 
„Und  gebt  der  Würde  so  den  Todesstoss, 
„Verachtet,  schlagt  und  würgt  in  diesen  Reichen 
„Ak  stolze  Herrscher.  —  aber  tragt  mein  Zeichen! 


29. 
„Hört  an.  ich  will  in  eurem  Sinne  lehi^en: 
„Die  Weiber  sind  nur  da  zum  Zeitvertreib, 
„Man  kann  uns  nicht  das  alte  Recht  verwehren 
„Herum  zu  wüsten  mit  der  Weiber  Leib, 
„Und  wenn  wir  fordern,  müssen  sie  gewähren, 
„Doch  keine  Rechte  hat  an  uns  das  Weib. 
„Wir  schlagen  ruhig  das  Gefäss  in  Scherben. 
„Aus  dem  wir  tranken,  mag  es  doch  verderben. 


47 


80. 

„So  hoch  wie  Sterne  stehen  über  Dünsten. 
„So  hoch  steht  jedes  dieser  Opfer  eiicli ! 
„Nie.  nie  gelingt  es.  selbst  dem  frei'sten,  kühnsten, 
„Hinauf  zu  dringen  in  ihr  Leidensreich, 
„Um  wie  viel  weniger  euren  faden  Künsten? 
„Ihr  könnt  nur  eins,  und  thut  es  immer  gleich: 
„Der  Mutter,  die  euch  trug  in  ihrem  Schoosse, 
„Verächtlich  lohnen  mit  dem  Todesstosse. 

31. 
„Nim,  sprach  ich  recht?   0  schaut  die  blassen  Wangen. 
„Die  Fiebergluth  in  eurer  Opfer  Blicken, 
„Seht,  wie  die  einst  so  hehren  Glieder  hangen, 
„Lacht  nur.  o  lacht  und  spottet  ihrer  Krücken! 
„Doch  wenn  euch  einst  beschleicht  ein  Todesbangen, 
„Mag's  euch  ein  einzig  Mal  zu  fühlen  glücken, 
„Was  sie  gefühlt  in  ihrem  ärgsten  Leide. 
„Tndess  ihr  grastet  —  auf  der  üpp'gen  Weide." 

Er  wendet  sich.    Die  beiden  aber  haben 
Sich  kaum  erholt  von  ihrem  ersten  Schrecken, 
Als  sie  beginnen  auf  den  kühnen  Knaben 
Ihr  faules  Inn"re  geifernd  auszuhecken. 
Doch  leider  sind  es  honigleere  Waben, 
In  deren  Zellen  Fliegen  sich  verstecken, 
Die  gleissend  nun  umsummen,  giftgeschwollen, 
Das  Haupt  des  Knaben,  den  sie  stechen  wollen. 


48 


33. 

Sie  stechen  ihu  an  der  und  jener  Stelle, 
Es  schmerzt,  es  brennt  ihn.  aber  stört  ihn  nicht. 
Er  kennt  ja  alF  der  Stacheln  saubre  Quelle 
Und  bietet  seinen  Leib  und  sein  Gesicht. 
Der  Ueberzeugimg  heilungskräft'ge  Welle 
Umspielt  die  Wunden,  und  die  heiVge  Pflicht, 
Die  er  erfüllte,  macht  den  Schmerz  gelinder 
Und  seinen  Körper  durch  das  Gift  gesünder. 

34. 

Und  wie's  mit  reinen  Seelen  stets  gewesen. 
So  ist  es  auch  mit  ihm.     Kaum  hat  Selin 
Den  Schmerz  in  seiner  Gegner  Brust  gelesen, 
Kaum  sieht  er  draus  des  Hasses  Blumen  blüh'n. 
So  ist  er  auch  von  seinem  Zorn  genesen 
Und  fühlt  von  Mitleid  seine  Brust  erglüh'n. 
Er  hat  im  Geiste  auch  für  ihre  Wunden 
Der  Nachsicht  mildernden  Verband  gefunden. 

35. 

Indessen  sind  mit  Schimpfen  und  mit  Grollen 
Die  beiden  Freunde  in  die  Nacht  verschwunden, 
Und  um  Selin  beginnt  das  alte  Tollen, 
Als  sei  es  jetzt  erst  wieder  losgebunden. 
Viel  tausend  Trümmer  durch  einander  rollen 
Und  stossen  sich  unzählige  tiefe  Wunden.; 
Von  Ort  zu  Ort  auf  seidenweichen  Kissen 
Wird  unser  Waller  hin-  und  hergerissen. 


49 


36. 
Und  wie  die  zarten  Arme  luu  ihn  walten, 
In  regem  Eifer  rings  um  ihn  geschaart. 
Die  Elemente  zaub'risch  sich  entfalten. 
Und  manch  Geheimniss  wird  ihm  offenbart. 
Hier  giebfs  ein  Feuer  nahe  am  Erkalten. 
Hier  loht  ein  neues  in  der  alten  Art 
Empor,  verzehrend,  wie  von  tausend  Bälgen 
Entfacht,  zu  sinnlos  ungeheurem  Schwelgen. 

37. 

All  die  Gesichter  gleich  lebendgen  Gräbern, 

Was  lebt  ist  todt.    O  namenloses  Wort!  — 

Hier  frass  ein  Geier  Herz  und  Hü^n  und  Lebern: 

Ein  hohl  Gehäuse  blieb,  im  Keim  verdorrt. 

Ein  Korb  mit  Früchten  ward  ein  Korb  mit  Trabern. 

Und  in  den  Trabern  wühlen  Säue  fort.  — 

Und  tiefer  dringt  er  in  die  Regionen, 

Wo  die  lebendgen  Todten  einsam  wohnen. 

38. 

So  wie  sie  lebten,  wurden  sie  betroffen 

Vom  Lastertod.     Noch  blüht  das  letzte  Glück 

Auf  dieser  Stü-n.    Hiei'  thront  des  Lebens  Hoffen 

Noch  hell  und  hehr,  und  Seele  strahlt  zurück.  — 

Versteinert  alles.  —  Weit  und  klar  und  offen 

Sind  diese  Bücher  jedem  Denkerblick: 

In  starren,  tiefen  Lettern  wird  er  lesen. 

Was  ilire  Blätter  einstens  sind  gewesen. 

4 


50 


39. 
Noch  sinnt  Selin.     Da  hört  er  Seufzer  klingen 
Und  sieht  ein  mattes  AVeib  und  eilt  zu  ihr 
Und  spricht:  „Was  ist  dir?  —  Deine  Seufzer  zwingen 
Zur  Trauer  mich.     0  trauere  nicht  hier! 
Sieh,  wie  sie  alle  froh  und  frülilich  springen. 
Auf  auf  zum  Tanze!  schwelgen,  singen  wir!" 
„Ich  bin  nicht  todt,  Herr'',  spricht  sie,  und  die  Blicke 
Erbebend  senkend,  schauert  sie  zurücke. 


„Ich  bin  nicht  todt".     „Nicht  todt'.'"  beginnt  Selin. 

„Beim  Himmel  deine  Hände  krampfen  sich 

Im  dumpfen  Schmerze.  Weib.  —  O  sag",  o  sag'. 

Wie  retf  ich  dich,  wie  trag"  ich  dich  empor. 

Zurück,  wo  Menschen  sind  ?"     „Ich  weiss  es  nicht". 

Giebt  sie  zurück,  „ich  weiss  nur.  dass  ich  lebe". 

„In  diesem  Grabe  leben?  jammervoll! 

0  jammervoll!  —  Ich  leite  dich  empor. 

Du  suchst  dein  Brod  mit  deiner  Hände  Fleiss. 

Du  lebst,  du  freust  am  Licht  der  Sonne  dich, 

Vergisst  den  Pfuhl,  in  dem  du  dich  verlorst. 

0  komm,  o  komm!"  —   „Das  Grab  ist  tief,  o  Herr". 

Giebt  sie  zurück.    „Mich  schmerzt  die  Stirne.    Geht. 

Ich  bitt'  euch,  geht  zu  jener,  sie  ist  todt". 

„Beim  Leben,  Weib!  ich  will  dich  nicht  verlassen. 

Ich  fasse  dich,  ich  kann  dein  Leid  verstehen. 

Wenns  Lind"rung  dir  verschafft,  dass  meine  Brust 

All"  deine  Thränen  fassen  will  und  alle 


Bewahren  wie  Juwelen.  —  wenn  es  ist. 

Dann  weine,  weine!"  —  „Herr,  icli  kann  nicht  weinen". 

„Du  kannst  nicht  v/einen  ?     Audi  nicht  weinen. 

AVenn  ich  dich  umfasse,  an  den  Basen  drücke, 

In  wahrer,  ganzer  Liebe,  heil'ger  Liebe. 

Auch  dann  nicht  Mädchen?"  —  „Xein.  aucli  dann  niclit.  Herr 

Sie  haben  mich  zu  oft  wie  du  umarmt:  — 

Mich  ekelt's!"  —  Tief  erschauernd  lässt  Selin 

Die  Arme  sinken  und  erfasst  gerührt 

Und  weich  und  zaghaft  ihre  Hand  und  spricht: 

„Hast  Eltern  du  gekannt?    Was  brachte  dich 

In  solch'  unselge  Lage?"  —  „Ja.  auch  ich 

Ich  hatte  Eltern.     Doch  icli  möchte  nicht 

An  meine  Eltern  denken:  meine  Stirne 

Schmerzt  wie  mein  Herz,  ich  darf  nicht  denken  —  o!" 

„Es  giebt  noch  Äfenschen":  spricht  Selin.  „nicht  alle 

Sind  jenen  gleich,  es  giebt  noch  Männer!  — " 

„Männer  ?" 

Erwidert  sie,  „Männer  sind  Strafen  Gottes!" 
„Nicht  diese  Männer;  andre  Männer,  ]\[ädchen. 
Die  fühlen  können,  die  ein  edles  Herz. 
Ein  grosses  Herz  besitzen,  andre  giebt  es 
Wie  jene  Schergen,  die  euch  untei-jochen. 
Es  giebt  noch  andre,  die  man  lieben  muss. 
Die  eures  Wesens  AVerth  zu  schätzen  wissen. 
Die  es  bewundern  und  verehren.  Weib! 
lind  wenn  du  nie  im  Leben  einen  sahst. 

4* 


52 


So  sieh  auf  mich,  und  achte  mein  Geschlecht. 

In  mir!"  —  „Du  bist  in  Wahrheit  wunderbar. 

Und  ich  vergass,  dass  du  ein  Mann  bist,  Herr.  — 

Willst  du  den  Dank?  — "  „Welch"  einen  Dank,  o  Mädchen?" 

„Den,  den  sie  alle  wollen:  —  nimm  ihn  hin 

Und  lass  mich  schlummern."     Sprachlos  steht  Selin 

Vor  all'  dem  Elend,  seine  Lippen  beben. 

Er  stammelt  wirre  Worte:  „Nicht  für  mich 

Hat  diese  Gabe  Werth.     Mein  Lohn,  o  Weib. 

Ist  eine  Thräne!  —  Weib,  nur  eine  Thräne!" 

Und  ihre  Hand  mit  Küssen  wild  bedeckend. 

Blickt'  er  sie  an.     Da  zuckt"  es  sonnig  hell 

Wie  letzter  Schimmer  längst  versunknen  Lichtes 

In  diesen  trocknen  Augen:  heimwärts  schien 

Ihr  Geist  gezogen  in  verfloss'ne  Zeit. 

Wo  sie  noch  reich  war.  wo  sie  geben  konnte 

Die  Fülle  ihres  Wesens,  wo  man  noch 

Zu  schätzen  schien,  was  sie  besass.     Seitdem 

Man  sie  zerstörte,  ilu'en  edlen  Leib 

Herumwarf  wie.  —  o  weltverfluchtes  Thun!  — 

Wie  einen  Brocken  Aas.  dran  jeder  Hund 

Kann  fressen,  seit  der  Zeit  zum  ersten  Mal 

Hat  sie  von  Glück  geträumt.  —  Doch  schwand  der  Blitz. 

AVie  er  gekommen,  —  und  —  sie  weinte  nicht. 


53 


40. 

/niiick  in  deine  Ufer  ausgebroch'ner 
Wildfreier  Strom,  zurück  in  alte  Fesseln! 
Nun  schweige,  schweige,  blutend  ausgespruchner 
Gesang  des  Jammers!     Zu  der  Hülle  Kesseln 
Versinke  Bild!     Hinab,  empor  gekrochner, 
Trägbeinger  Molch  von  uns'ren  sammfnen  Sesseln! 
AVir  mögen  dich,  wir  mögen  dich  nicht  haben.  — 
Die  Schaufel  her!  von  neuem  sei  begraben!  — 


-►  7lt-<— «-^«^ 


^v. 


1. 
hiin  Schauder  bleibt.     Das  Licht  des  Soimenballes. 
Das  alle  Schatten  scheucht,  verscheucht  ihn  nicht. 
Und  ewig'  dröhnt  es  ungebrochnen  Schalles. 
Wie  wenn  ein  Wesenloses  raunt  und  spricht. 
Und  was  wir  denken,  alles,  alles,  alles 
Sitzt  über  jenen  Greueln  zu  Gericht.  — 
So  liegt's  auch  schwer  und  dumpf  auf  uns'rem  "Waller 
Ihm  wird  zum  Spruch  des  Grams  das  Sprechen  aller. 

2. 

So  wird  dem  Menschen  auf  verzweigten  Pfaden. 
Indem  er  ewig  nach  Befreiung  ringt. 
Ein  Bündel  nach  dem  andern  aufgeladen. 
Bis  endlich  ihm  der  Tragegurt  zerspringt. 
Und  air  der  Ballast  nicht  zu  seinem  Schaden 
Herniederrollt,  und  eine  Stimme  singt: 
Nun  kannst  du  i'uhen  und  min  kannst  du  i-asteu: 
Nichts  folst  dir  nach  in  deinen  Schlunmierkasteu. 


55 


3. 
Gönnt  mir  ein  weui-  Zeit  zurückzugreifen: 
Mich  fällt  ein  welinuitlisvoUes  Sinnen  an.  — 
Stumpf  wird  die  Warte.  ^Yie  wir  immer  schleifen. 
Und  o-lücklich  der.  der  lange  schleifen  kann. 
Ich  lasse  suchend  meine  Blicke  schweifen, 
Wo  Freiheit  sei  von  dem  gew^alfgen  Bann. 
Der  mich  auch  jetzt,  ich  fiihrs,  zu  Boden  ringet 
Und  mir  gar  üble  nächrge  Lieder  singet. 

4. 

Wie  streifen  hin  und  wieder  die  (bedanken? 
Wer  fängt  sie  mir  m  dieses  Bauer  ein? 
Ein  unerhörtes  Flackern.  Fliehu  und  Schwanken. 
AVill  niemand  meines  Trübsinn"s  Bote  sem? 
Will  kein  Gedank'  die  Leier  mir  umranken? 
l^nd  giebt  die  volle  Traube  keinen  Wein? 
und  wäre  trotz  des  :Messers  tiefen  Scharten 
Des  Herhstens  Stimde  gar  erst  zu  erwarten.» 

5. 

Ich  sage  Herbsten,  frage  nach  der  Stunde 
Der  Ernte,  nach  der  Traube  heisser  Frucht, 
Und  doch  die  Bitterkeit  in  meinem  Munde 
Ist  mir  Beweis  von  der  vollbrachten  Zucht. 
Gebt  um  die  Traube!  mache  sie  die  Kunde! 
Und  wenn  sie  jeder  prüfend  dann  versucht. 
So  will  ich  aiu-h  vor  euer  aller  Blicken 
Viel  reife  Thränen  aus  der  Traube  drücken. 


6. 

Reif  ist  sie  also.    Und  das  Recht  zu  sclmeiden 
Hab  ich  erworben.    Doch  das  Recht  zu  klagen 
Giebt  mau  uns  schwerer  als  das  Recht  zu  leiden. 
Ob  auch  am  Busen  uns  die  Wiu-mer  nagen, 
Wir  können  uns  mit  Panzern  nicht  umkleiden 
Und  müssen  schweigend  uus"re  Leiden  tragen.  — 
Ich  fühle  wohl  mich  tief  in  Trübsal  stecken. 
Sei"s  di'um.  mein  Schicksal  wird  mich  schon  erwecken. 

7. 

Noch  kann  ich  nicht  des  Knaben  Hand  berühren, 
Indess  ich  selber  ringen  muss  nach  Kraft. 
Ich  stehe  zaghaft  an  verschlossnen  Thüi-en 
In  eigenartig  wimderbarer  Haft. 
Erst  muss  ein  Geist  mich  aus  dem  Kerker  führen. 
Wo  mir  mein  Wille  und  mein  ]\Iutli  erschlafft, 
Dann  werd"  ich  wieder  in  der  Stüi-me  Wehen 
Ein  unbesiegbar  mächfger  Eelsen  stehen. 

8. 
Ich  sollte  schweigen  und  im  stummen  Brüten 
Verrinnen  seh'n  den  Kelch  der  eignen  Schmerzen 
Und  jeden  fremden  scharfen  Blick  verhüten. 
Statt  euch  zu  quälen,  soll  ich  mit  euch  scherzen. 
Indess  im  Innern  mir  die  Stürme  wüthen. 
Aus  meinem  Liede  jeden  Windhauch  merzen. 
Doch  nein!  fahr"  hin  du  traurige  Umnachtung! 
Der.  dem  ich  singe,  ford're  meine  Achtung. 


57 


9. 

Ihr  andeni  abt'v  weicht  von  meinem  Sauge: 
Er  kennt  ench  alle  und  er  scheut  euch  niclit. 
Doch  unter  eurem  Blick  wird  er  zur  Schlange. 
Die  ihre  Gitter  zischend  mir  durchbricht. 
Nun  ist  das  Lachen  so  bei  euch  im  Schwange, 
Dass  ihr  so  lauge  lacht,  bis  sie  euch  sticht. 
Das  aber  möchte  gern  mein  Sang  vermeiden. 
Drum  lasst  mein  Gleis  von  eurem  Gleis  sich  scheiden. 

10. 

Genug  hievon  und  schon  zuviel  von  diesen. 
Glaubt  einer  niclit.  dass  ihn  der  Dichter  kennt, 
Der  sei  aufs  Lob  der  Fadheit  hingewiesen. 
Und  wenn  ihm  dann  der  Hass  im  Herzen  brennt, 
:Mag  er  der  Rache  Waffen  sich  erkiesen. 
Er  ist  es,  den  mein  Sang  beim  Namen  nennt. 
Er  stürm'  heran  und  schlag"  nach  meinen  liedern. 
Er  wird  sich  selbst,  doch  nicht  mein  [jied  erniedern. 

11. 
Die  ihn  verstehen,  muss  der  Sänger  achten, 
Und  die  ihn  nicht  verstehen,  darf  er  nicht  hassen, 
Doch  die  fiir  AVahrheit  und  für  Recht  entfachten 
Gluthflammen  muss  er  feurig  lohen  lassen. 
Die  einst  mir  selbst  ihr  Herz  entgegenbrachten. 
Die  alle  will  mein  Lied  mit  Kraft  umtassen. 
Darf  nicht  am  Boden  knechtisch  zage  schleichen, 
Muss  sein  ein  Banner  und  ein  Kampfeszeichen! 


58 


12. 
Kein  Doppelzwang  bediiicke  meine  Slinnne. 
Ich  forclere  von  enrer  Lieb"  nnd  Huld, 
Dass  sie  mit  meines  Stromes  Wellen  schwimme 
Durch  regellose  Ufer  mit  Geduld: 
Und  reiz"  ich  Aven  zum  Aerger  nnd  zum  Grimme. 
So  liegt  auf  mir  kein  Schatten  einer  Schuld. 
Denn  meine  Seele  lässt  sich  nicht  regieren. 
Noch  wie  ein  Schulpferd  zur  Parade  führen. 

in. 
Dass  ich  von  meinem  Pfade  abgewichen. 
Ist  an  der  Kunst  ein  Fehl.     An  die  Xatur 
Indess  ist  ausgetheilt.  was  hier  gestrichen. 
Zerfall'ner  Leib  braucht  falsche  Glieder  nur, 
Und  durch  die  eig'nen  Seimen  wird  verglichen 
Das  Fehlen  der  damasfnen  prächt"gen  Schnur. 
Die  sonst  jedwedes  Kunstw'erk"s  Theile  bindet 
Und  sie  zum  künstlich  festen  Ganzen  windet. 

14. 

Zu  Theilen  wird  des  Dichters  Geist  gerissen. 
"NVeini  seine  hundertfältigen  Gefühle 
Mit  andern  hundertfältig  fühlen  müssen. 
Er  selbst  vergeht  alsdann  in  dem  Gewühle 
Des  Fi-emden.     Nur  die  Flagge  kann  er  hissen 
Des  eig'nen  Wesens  über'm  fremden  Spiele.  — 
Hier  aber  ist  mein  Eigen.  Schilf  und  Fahnen. 
So  muss  Xatur  der  Kunst  die  Wege  bahnen.  — 


59 


15. 

Seliu's  b('stäii(l*ges  Denken,  maiiclier  Nächte 
Lebend'gcr  Traum  war  die  veigaug"ne  Xaclit: 
Sein  Busen  hub  sich  stets  wie  im  Gefechte, 
A^on  Kamitfhist  ward  die  rege  Brust  entfacht. 
Er  wollte  kämpfen  für  die  Schaar  der  Knechte 
Und  Freiheit  Schäften  in  gewalt'ger  Schlacht:  — 
Wohl  Averth  des  Kampfes  schien  des  Elends  Fülle. 
Der  Moderduft  in  der  krystall'ueu  HiUle. 

16. 

lud  wciui  mein  Geistesflug  ermattend  sinket. 
So  ist  es  liast.  was  mich  zu  Boden  drückt. 
Und  wenn  mein  Busen  Himmelsblitze  trinket. 
So  fühl  ich  von  den  Lasten  mich  entzückt. 
Und  da  mir  jetzt  der  alte  Leitstern  blinket. 
So  fühl*  ich  mich  mit  Hoffnung  neu  beglückt, 
Tmd  nenne,  was  Erfahrung  giebt,  gewonnen. 
Und  meinen  Flug  den  kühnen  Flug  der  Sonnen. 

17. 

So  auch  Selin.    Er  glaubt  auf  jenem  Fluge 
Zu  fliegen,  glaubt  bereichert  seine  Brust. 
Gedanken  schAveben  in  gewalt'gen  Zügen 
Dahin,  verschmähend  jede  Erdenlust. 
Die  Larve  Aveicht  vom  Angesicht  der  Ijügen. 
Und  knirschend  sieht  entlarvt  sie  den  \'erlust 
Und  schreit  und  Aveist  dem  Jüngling  ihre  Zähne 
Und  sciiüttelt  furchtbar  ihre  Sciilang'enmähne. 


60 


18. 

So  sali  Seliu  der  frenuleu  Kleider  Fetzen. 
Den  fremden  Jammer  und  das  fremde  Leid 
Und  lernte  eigenes  geringer  schätzen 
Und  trug  getrost  sein  unvollkomm"ues  Kleid. 
Er  suchte  stets  den  Dünkel  zu  verletzen, 
Wo  er  sich  ungebührend  machte  breit, 
Und  stand  für  immer  bei  den  Unterdrückten. 
Ob  auch  des  Hasses  Schwerter  ihn  umzückten. 

19. 
Er  war  erwacht  von  kreischenden  Signalen, 
Von  dannen  flog  der  Jugend  kindlich  Heer, 
Oft  sah  er  Blut  in  weingefüliten  Schalen. 
Und  keine  Lust  genoss  er  sinnlos  mehr. 
Er  dachte  stets  au  der  Geschwister  Qualen. 
Goss  Balsam,  Tropfen  in  ein  AVundenmeer 
Und  klopfte  oft  an  festverschloss'ne  Pforten 
Des  Mitleids  mit  bewegten  inn'gen  Worten. 

20. 
Doch  wie  er  gehen  wird  von  Land  zu  Landen. 
Aus  jeder  Pforte  fällt  ein  grimmer  Hund. 
Der  Menschenliebe  niemals  noch  verstanden, 
Und  seine  Meinung  giebt  mit  Bissen  kund. 
Nur  wenig  traf  ich.  die  auch  nur  empfanden. 
Was  heiss  entströmt  der  Ueberzeuguug  Mund. 
Sie  lachen  und  sie  schieben  ihn  zu  Kindern. 
Es  werde  schon  die  Zeit  sein  Toben  lindern, 


61 


21. 

Ich  aber  sage:  Gram  und  \a'u\  vor  allen. 
Dass  uns  verschnimpft  der  jugendlrische  'J'rieb. 
Schniacli.  dass  vom  Baum  im  Herbst  die  P>lätter  fallen. 
Und  dass  uns  nichts  in  dem  Geäst  verblieb 
Als  hier  und  da  der  Druck  von  Geierkrallen 
Und  was  uns  Sturmfoust  in"s  Gezweige  schrieb, 
Dass  statt  des  Saftes  an  zernagten  Stellen 
Gar  bitfre  Tropfen  aus  der  Rinde  quellen. 

22. 

Das  Laster  hat  verlockt  des  Knaben  Sinne, 
Doch  ihn  zu  halten  hat  es  nicht  vermocht. 
Er  war  am  freisten,  höchsten  mitten  inne. 
Als  ihn  der  Leiden  grauser  Pfuhl  umkochf. 
Und  ob  ein  Heer  von  Netzen  ihn  umspinne, 
Ihn  hat  nicht  Garn  und  Angel  unterjocht,  — 
Das  Laster  Hess  beschämt  von  den  Versuchen 
Und  gab  ihn  los  mit  unteriü-ücktem  Fluchen. 

23. 

Und  wieder  steht  Selin  am  Meeresstrande. 
Da  taucht  es  auf.  da  schleicht  s  zu  ihm  heran. 
Wie  einst  mit  kargem,  dürftigem  Gewände 
Und  allen  Armuthszeichen  angethan. 
Er  wartet  stumm  am  düsfren  Klippenrande 
Und  lässt  es  furchtlos  und  mit  Schweigen  nahn. 
Da  stehfs  vor  ihm.  da  kniefs  im  scharfen  Kiese, 
Ein  überwuud'ner  o:nadetlehudei-  Riese. 


02 


24. 
Er  aber  spricht,  indess  die  ]\[org"eiirütlie 
Den  Himmel  malt:    „Xim  komm  au  meine  Brust! 
Aus  einer  eklen  schlammbenetzten  Ki-öte 
Erwache  um-  zur  kindlich  reinen  Lust! 
Der  Nachtigall  still  sehnendes  Geflüte 
Sei  dein  Frwecker  I    Steig  aus  deinem  Wust 
Hervor!"  —  Da  rauscht  ein  Taubenpaar  vom  Felsen, 
Und  flüsternd  lauscht  die  Fluth  mit  Silberhälsen. 

25. 
Ein  Thränenstrom.  —  da  fällt  die  ekle  Hülle 
Und  weicht  in  Xacht.    Ein  holdes  reines  Weib 
Entwirret  sanft  der  Glieder  süsse  Fülle. 
Im  Frühroth  glänzt  ihr  edler  Götterleib. 
„Dein  bin  ich",  spricht  sie.  „und  du  bist  mein  Wille" 
Und  weiter  spricht  sie  flüsternd,  „bleib",  o  bleib 
Es  ewig,  lass  in  dir  mich  ganz  genesen. 
In  du-  mich  sein,  was  einstens  ich  gewesen." 

2Ö. 

Die  Welle  rinnt  ziu-ück  vom  stein'gen  Strande 
Und  trägt  hinaus  in's  weltvergessne  Meer. 
Was  sie  erhascht  vom  Menschenwunderlande. 
Nach  laugen  Jahren  giebt  sie"s  wieder  her. 
Um  Klippen  steigfs  aus  ihrem  Fluthgewande. 
Sie  spricht  von  vielem  und  ihr  Schatz  ist  schwer 
Und  übervoll  von  urgeheimen  Dingen. 
Die  nur  dem  Kimdigen  verständlich  klingen. 


1. 

Ein  :>[orgen  isfs.  und  gi-aner  Nebel  liegt 
Vm  :\Ialaga's  bewegter  Bucht.    Es  fliegt 
Durch"s  Takelwerk  ein  leiser  Morgenliauch, 
l'nd  über  Häusern  kräuselt  blauer  Rauch. 
Da  ist  bewegt  die  :Mannschaft  auf  dem  Schiff. 
Und  hell  und  deutlich  tönt  des  Bootsmanns  Pfiff: 
Hinaus  in"s  Meer!  —  Der  Anker  steigt  empor. 
Und  dumpfes  Dröhnen  schlägt  an  unser  r)lir. 

2. 
Die  Küste  weicht.    Die  Sonne  steigt  mit  Prangen, 
Ilir  feurig  Tagwerk  strahlend  anzufangen. 
Selin  erwacht  und  geht  aufs  Deck  und  schaut. 
Wie  rings  der  :Morgen  unter  Schleiern  graut. 
Er  überdenket,  was  er  jüngst  erfahren 
In  jenen  düstren  unheilsvollen  Schaaren. 
Doch  macht  ihn  frei  und  urgesund  das  Meer 
Und  jagt  von  dannen  das  Dämonenheer. 


64 


Und  immer  weiter  weiclit  das  Schiff  vom  Lande, 
Und  Weir  auf  Welle  trennt  ihn  von  der  Schande. 
Doch  wie  auch  ferner  rückt  und  immer  ferner 
Das  grause  Bild,  noch  tönen  ihm  die  Hörner 
Des  Kampfes,  und  er  hält  in  festen  Händen 
Die  AVaffen,  siegend  jenes  Leid  zu  enden. 
Ein  Kämpfer  sein,  das  war  sein  neues  Streben, 
Das  ihm  des  Elends  Anschau"n  eiugegeben. 

4. 
Wohl  wohnte  ihm  ein  Gott  im  Busen  immer, 
Ein  Gott.  der.  ging  sein  Haus  auch  oft  in  Trümmer, 
Allgegenwärtig  war  und  ihn  bewegte 
Und  ihm  in"s  Aug'  Begeist'rungsfunken  legte. 
Nun  aber  war  ein  neuer  Gott  mit  Prangen 
In  s  Heiligthum  der  Brust  ihm  eingegangen. 
Aus  Lasterfluthen.  die  an  ihm  zei'stoben, 
Hat  er  den  neuen  Gott  herausgehoben. 

5. 
Tief  in  der  Seele  stand  er ;  lichtumflossen 
Hat  er  in  ihren  Tiefen  sich  verschlossen, 
Und  diesen  Gott  vor  alle  Welt  zu  stellen. 
Das  war  das  Ziel  des  wandernden  Gesellen. 
Nicht  mehr  den  eignen  Leib  zum  Gott  erheben, 
Nein,  den  gefundenen  Gott  der  Menschheit  geben. 
Der  sie  hei-aus  aus  schwerem  Unheilswetter 
Zum  Lichte  führte  als  ein  Vater,  Retter. 


65 


Wie  schlug  sein  Herz  bei  diesem  Gottgedanken!  — 
Oft  lag  er  träumend  auf  des  Bordes  Planken 
Und  schaute  grübelnd  in  die  Wellenspiele. 
Die  rauschend  schäumten  uuterui  Schiffeskiele. 
Da  kam  es  oft,  dass  er  die  Fäuste  ballte, 
Dass  wilder  Kampfschrei  über  Wellen  hallte; 
Er  weiss  nicht,  dass  der  Ton  der  Menschenlungen 
Dem  Tropfen  gleich  vom  Meere  wird  verschlungen. 

7. 

0  Kraftwahn,  Kraftwalm,  Wonne  ohne  Gleichen! 
O  trüber  Tag,  wo  unter  mächt'gen  Streichen 
Hernieder  sinket  Ast  auf  Ast  zerschlagen 
Vom  Baum  des  Wahnes,  wenn  das  frohe  AVagen 
Enttäuscht  zurückkehrt  vom  gescheh'nen  Falle. 
Wir  wagen  alles  und  wir  fallen  alle 
Und  freuen  ims  noch  weinend  selbst  der  Trümmer. 
So  war  es  ewig  und  so  bleibt  es  immer. 


Der  Löwengolf!  —  Er  weckte  tausend  Leuen, 

Die  imi  das  Schiff  mit  wilden  Mähnen  dräuen, 

Gepeitscht,  zerzaust  von  Pyrenäen  winden. 

Die  darin  sausend  ihre  Freude  finden. 

Selin  schaut  lächelnd  in  das  rege  Kämpfen, 

Die  eigne  Kleinheit  kann  den  Muth  nicht  dämpfen. 

Er  lässt  sie  ruhig  tosen  rings  und  brüllen, 

Weil  Gottgebote  seinen  Busen  füllen. 


66 


9. 

Was  mag-  er  (lenken?     Dies  sind  Elemente. 
Die  nicht  ein  Gottgebot  bezähmen  könnte. 
Die  Flutli.  in  die  ich  will  bezähmend  greifen. 
Ist  wie  ein  See,  darum  die  Trauben  reifen. 
jMein  Gott  wird  ihnen  ihre  Uebel  zeigen, 
Und  alle  Menschen  werden  hörend  schweigen, 
[ch  werde  helfen  und  ich  werde  retten, 
Von  Sklavenschulteru  lieben  Eisenketten. 

10. 

Wohlan,  geh'  deiner  Prüfung  nur  entgegen! 
Du  wirst  dein  Kampfschwert  bald  zur  Ruhe  legen 
Und  schmerzlich  unter  hartgefloclifnen  Ruthen. 
Wenn  nicht  verbluten,  so  doch  lange  bluten. 

„Jetzt  aber  lass  uns  deinen  Gott  betrachten. 
Damit  wir  achten,  oder  ihn  verachten. 
Sag'  uns  in  Kurzem  deines  Gottes  Lehren!  — 
AVir  hören,  ob  sie  noch  so  kindisch  wären. 

11. 
So  spricht  der  Kapitän,  und  alle  andren  Männer. 
(Sie  alle  waren  gute  Jugendkenner) 
Bebärtet,  schartig  und  voll  Altersdünkel, 
Von  Weisheit  voll  bis  in  den  letzten  Winkel. 
Sie  hatten  lang  Selinen  schon  betrachtet 
Und  auf  sein  wunderliches  Thun  geachtet, 
Auch  schon  von  seinem  Zanken,  seinem  Zürnen 
Vernommen,  und  dem  Reden  für  die  Dirnen. 


67 


12. 

Und  da  sie  alle  sich  betroffen  fühlten. 

So  kam's,  dass  sie  geheim  ihr  Müthchen  kühlten 

An  diesem  Bürschleiu.  diesem  jungen  Laffen. 

Dem  Naseweis,  dem  Zänker  und  dem  Affen. 

Dem  Schellennarren,  jung  und  unerfahren. 

Dem  Aberwitz'gen  mit  den  Semmelhaaren, 

Der  —  nun  der  was?  —  der  Thränen  für  die  Armen. 

Verkomm'nen  hatte  und  ein  lieiss"  Erbarmen. 

13. 

Die  also  nun  vereint  zu  festem  Ringe, 
Beschlossen  ihm  zu  legen  Garn  imd  Schlinge 
Und  ihn  in  corpore  wie  einen  Sklaven 
Für  sein  unmenschlich  Mitleid  abzustrafen. 
Nichts  ahnt  Selin,  drum  hat  er  frisch  gesprochen. 
Ahnt  denn  der  Bruder,  dass  er  was  verbrochen, 
Und  dass  er  rings  von  Feinden  sei  umlauert. 
Weil  er  um  den  verlornen  Bruder  trauert? 

14. 
„Wohin  ich  lenkte",  sprach  Selin,  „die  Schritte, 
„Nie  fand  ich  Tugend  in  der  Sitte, 
„Nur  in  den  Reihen  kindlich  reiner  Jugend 
„Scheint  mir  zu  liegen  sittenlose  Tugend. 
„War'  Sitte  Walu'heit,  spreizten  sich  mit  Nichten 
„So  viele  Geier  unter  Schafsgesichten, 
„So  aber  ist  der  Trug  das  Mark  der  Sitte, 
„Und  Wahrheit  röchelt  unter  ihrem  Tritte." 


C)S 


15. 

Die  Hörer  unterdrückten  kaum  das  Lachen 

Ob  dieser  kindisch  unverständ"gen  Sachen. 

Nur  hin  und  wieder  machten  sie  Geherden, 

Als  wie:  die  Dummheit  stirbt  nicht  aus  auf  Erden. 

Dabei  empörten  sie  sich  stolz  geschwollen 

Und  Hessen  staunend  ihre  Augen  rollen. 

Als  wenn  das  Sonnenlicht  am  Firmamente 

Ob  dieser  Finsterniss  verlöschen  könnte. 

IG. 
Die  Sonne  aber  blieb  und  strahlte  weiter 
Herab  auf  jenen  kindlich  kühnen  Streiter. 
Und  seiner  Hörer  Staunen  nicht  beachtend. 
Fing  er  von  neuem  an:     „Die  Sitte  scheint  mir, 
„So  wie  ich  sie  gefunden,  geistumnachtend 
„Und  wahrer  Tugend  aller  ärgster  Feind  mir. 
„So  lange  nicht  die  Sitte  Wahrheit  worden. 
„Will  ich  sie  tödten  überall  und  morden. 

„Und  wollt  ihr  meines  Gottes  Namen  kenneu, 
„So  mögt  ihr  ihn  den  Gott  der  Wahrheit  nennen, 
„Den  Gott  der  Wahrheit  oder  Gott  der  Tugend, 
„Den  Gott  der  Sitte  oder  Gott  der  Jugend. 
„Den  Gott  des  Kampfes  oder  Gott  des  Dranges, 
„Den  Gott  des  Stehens  oder  Gott  des  Ganges, 
„Den  Gott  des  Mitleids  oder  Gott  der  Liebe,  — 
„Aus  einer  Wurzel  schiessen  alle  Triebe. 


69 


18. 

„Er  ist  hinein  in  meine  Brust  gekommen 
„Und  hat  mein  Wesen  ganz  gefangen  nommen. 
„Er  macliet  trübe  mich  und  macht  micli  selig. 
„Er  maclit  versühnlicli  mich  und  holFnungsfi-öhlich. 
Mein  Busen  schwillt  von  himnüischen  Geschenken. 
„Ich  kann  nichts  andres  sinnen  mehr  und  denken. 
„Als  alle  AVeit  au  seine  lernst  zu  hängen, 
„Dass  seine  Arme  lieilend  sie  umschlängen. 

19. 

Ich  führs.  ich  weiss  es,  stünden  seine  Throne 
„Erst  eingepflanzt  in  jedem  Erdensolme. 

Es  würde  wachsen  und  es  würde  schiessen. 
„Es  würde  duften  nnd  es  würde  spricssen, 
„Es  würden  Thräneu  auf  die  Felder  tliauen, 
„Und  jeder  würde  Heilungskränter  bauen. 
„Die  würden  kühlen  blutend  heisse  Narben. 

Man  würde  schwören  zu  der  Menschheit  Farben. 

97 


20. 
„Und  alles  würde  liebend  sich  umranken. 
„So  Körper.  Herz  und  leuchtende  Gedanken. 

Man  würde  sich  zum  Bund  die  Hände  reichen. 

Anstalt  zu  hadern  unter  blufgen  Streichen. 


n 

„AVir  würden  selig  Herz  zu  Herzen  drücken. 
„Statt  nns  zu  üben  in  der  Kunst  der  Tücken. 
„Wir  würden  nns  vf^rsühnen.  nns  vergeben, 
„In  einem  göttlicli  reinen  Frieden  leben. 


70 


21. 
„Statt  alle  Uebel.  die  uns  trüb  beschweren. 
„Anf  andre  scliwächre  Eücken  zu  entleeren, 
„Statt  schmählich  den  und  jenen  zu  bedrücken 
„Und  ohn   Erbarmen  fremdes  Glück  zu  knicken. 
„Statt  ungerecht  die  Schwachen  zu  entnerven 
„Mit  dem,  was  wir  von  uns'ren  Schultern  werfen, 
„In  einer  grossen  Ki^aft  uns  fest  verschmelzen 
„Und  auf  die  eine  uns"re  Lasten  wälzen." 

22. 
Die  Hörer  fingen  mählig  an  zu  scharren 
Und  glaubten  fast,  er  hielte  sie  für  Narren: 
So  wirbelten  die  Götter  und  die  Leiden. 
Die  Lasten  und  die  Rücken  und  die  Freuden. 
Der  wüthete  und  fülilte  sich  beleidigt, 
Nicht  einer  fand  sich,  der  Selin  vertheidigt. 
Und  alle  kamen  darin  überein. 
Es  müsste  spanisch  oder  griechisch  sein. 

23. 

Da  keiner  nun  von  allem  Avas  begriffen. 
So  griifen  sie  zu  allbekannten  Kniifen.  — 
Sie  brachten  keine  Gründe,  Gott  bewahre. 
Sie  thaten  närrisch,  rauften  sich  die  Haare, 
Ergingen  sich  in  unbestimmten  Tönen 
Und 'sprangen  schliesslich  über  zum  Verhöhnen. 
Weil  es  das  Leichteste  von  allen  Sachen: 
Unfähigkeit  verstecken  unter  Lachen, 


24. 
Daraus  entstand  .'in  Streit.    Man  griff  zum  Scliimpfen. 
Zu  diesen  allbekannten  Dunnnlieitstrümpfen, 
Man  überlud  den  unerfahruen  Knaben 
Mit  diesen  beissenden  gemeinen  Gaben. 
Selin  dagegen  liiess  mit  Flammenblicken 
Sein  eig'nes  Schwert  zum  Kampfe  sich  beschicken. 
Da  aber  riefen  seiner  Liebe  Henker; 
Er  sei  ein  Friedenstürer.  sei  ein  Zänker. 


2o. 


0  Fadheit,  Fadheit,  welche  bitfren  Schläge 

Wirfst  du  hinein  ins  blühende  Gehege?! 

Er  hört  sich  Friedensstörer.  Zänker  nennen 

Und  fühlt  sein  Tun-res  für  den  Frieden  brennen. 

Das  schmerzt,  -  das  schmerzt,  die  stolzen  Mienen  weichen. 

Man  sieht  ihn  stille  nach  der  Kammer  schleichen. 

Man  sieht  ihn  fallen  und  sein  Haupt  umhüllen. 

Weil  lieisse  Thränen  ihm  vom  Auge  quillen 

26. 
Um  euch  ihr  Würdgen.  -  die  mit  stumpfen  Sinnen 
Niu-  ihrer  Habsucht  schaal  Gewebe  spinnen, 
Die  mit  dem  Ballast  kläglicher  Erfahrung 
Uns  füttern  wollen,  statt  mit  Geistesnahrung, 
Die  Köpfe  schütteln  können.  Nasen  rümpfen. 
Die  ruhig  stampfen  in  gewohnten  Sümpfen, 
Die  ewig  di-eschen  abgebrauchte  Phrasen 
Und  nicht  hinaus  schau'n  über  ihre  Nasen, 


72 


27. 
Seliiiens  Brust  ist  wie  vom  Blitz  getroffeu 
Mit  ihrem  Selineii.  ihrem  Thim  uud  Hoifen. 
Er  martert  sich  und  wälzt  in  trüben  Qualen 
Sicli  hin  und  her  und  fragt  zu  tausend  Malen. 
Ob  er  denn  wirklich  solch-  ein  Unhold  wäre. 
Der  nur  der  Menschen  stillen  Frieden  störe. 
Und  wie's  zu  Ende  geht,  da  will's  ihm  dünken, 
Als  sei  er  werth  im  IMeere  zu  versinken. 

2S. 

Das  war  nun  eine  jener  trüben  Stunden, 
Die  er  gleich  Disteln  oft  am  Weg  gefunden, 
Davon  sein  Fuss  so  lauge  ward  gestochen. 
Bis  seine  Schnellki-aft  gänzlich  ihm  gebrochen. 
Wie  sehnt  er  da  sich  nach  der  Heimath  Fluren. 
Mit  Sehusucht  folgend  des  Gevögels  Spuren. 
Und  sah  er  sie  am  Strand  ihr  Nestchen  betten, 
Begriif  er  nicht,  warum  sie  Flügel  hätten. 

29. 
.,lhr  köinit".  so  sprach  er.  „durch  die  Lüfte  segeln. 
„Ich  wünscht,  ich  wäre  einer  von  euch  Vögeln, 
„Ich  wollte  ruhen  nicht  und  rastlos  ziehen, 
„Bis.  wo  der  Alpen  Silberzinnen  glühen. 
„Und  di'über  hin.  ich  war'  nicht  müd'  geworden, 
„Gen  Norden  immer  weiter  nur  gen  Norden. 
„Ihr  aber  baut  am  gluthumwogten  Hügel 
„Und  habt  doch  Flügel. 


73 


30. 

„Ihr  Menschen  alle  lasst  mich  ganz  alleine. 

„Damit  ich  weine. 

„Ihr  Freundesherzen  in  der  weiten  Ferne. 

„Wie  drückt"  ich  an  die  trübe  Brust  euch  gerne. 

„Du  stilles,  reines  und  geduld'ges  Lieb. 

„Wie  kam's,  dass  Thatendrang  von  dir  mich  trieb? 

„Du  stiller  Anker  in  den  Menschenlanden 

„Hast  mich  verstanden. 


31. 
„Ihr  aber,  deren  Stimmen  mich  umschwärmen. 
„Euch  kann  ich  nicht  begreifen,  nicht  erfassen. 
„Denn  wo  ihr  lacht,  da  muss  ich  trüb"  mich  härmen. 
„Und  wo  ihr  liebt,  da  muss  ich  ewig  hassen. 
„AVas  soirs?  Ich  wandre  heim  euch  zu  vergessen, 
„Zu  sitzen  dort,  wo  selig  ich  gesessen. 
„Wo  stiller  Wiesen  duffge  Blumen  spriessen. 
In  meiner  Liebe  zu  der  Ijiebsten  Füssen." 


32. 

So  steigt  die  Fluth.  die  kaum  emporgeschwollen. 
Oft  sank  sie  so.  oft  stieg  sie  neu  empor. 
Den  Himmel,  den  jetzt  Donuertön*  umrollen, 
ITmhüllet  drauf  ein  milder  Regenflor. 
Dann  kommt  die  Sonne,  und  die  nebelbleichen 
Gestalten  irren  nach  den  Schattenreichen. 
Den'  wieder  sie  uns  unsichtbar  entklettern, 
Bis  sie  von  neuem  fallen  aus  den  Wettern. 


74 


83. 

Selin  erwachte  bald  aus  seinem  Jammer 
Und  trat  gewaffnet  mutliig  aus  der  Kammer. 
Es  war  um  seinen  Mund  ein  Wort  zu  lesen. 
Das  früher  nicht  auf  diesem  Platz  gewesen. 
In  seinem  Herzen  stak  ein  scharfer  Splitter, 
Und  off  ne  Mienen  wurden  herb  und  bitter. 
Nicht  herb  und  bitter,  nur  ein  leiser  Schatten 
Von  Herbheit  schien  mit  Hochmuth  sich  zu  gatten. 

Der  Schatten  wird  zum  finstern  Nebel  werden. 
Der  Stolz  sich  hüllen  in  die  AVolkenheerden. 
Verschlossenheit  wird  steli'n  auf  seiner  Lippe. 
Verachtung  brüten  unterm  dunklen  Schild. 
Er  wird  gleich  jenem  sein,  dem  eiu'e  Sippe 
So  viel  und  wen'ger  als  ein  Staubkorn  gilt, 
Wenn  er  versteht  sich  aus  dem  Kampf  zu  retten 
Und  Panzer  sich  zu  glüli'n  aus  euren  Ketten. 


Aus  einem  Retter  wii'd  euch  ein  Verächter. 
Der  euch  geliebet,  wird  zu  eurem  Feind. 
Aus  eurem  Schützer  zieht  ihr  euren  Knechter. 
Den  lehi't  ihr  fluchen,  der  jetzt  um  euch  weint. 
Dann  aber,  wenn  er  alle  seine  Gaben 
Verschmiedet  sich  zu  Panzer.  Helm  und  Schild, 
Dann  werdet  ihr  genug  gequält  ihn  haben. 
Dann  ist  er  Jäger,  und  ihr  seid  das  Wild. 


75 


36. 

Doch  eh"  das  kommt,  wird  Jahr  auf  Jahr  vei'gehen. 
Von  tausend  Schlägen  wird  er  neu  erstehen, 
Bis  endlich  er.  verkappt  in  Stahl  und  Eisen, 
Dem  Zwerggezüchte  wii'd  die  Wege  weisen. 
Lasst  mich  in's  Spiel  der  AVeit  die  Blicke  lenken 
Und  einer  Schaar  Verschlossener  gedenken. 
Die  thatenlos  mit  besten  Kräften  feiern 
Und  mit  Verachtung  all"  iln-  Thun  umschleiern. 


•^H(^- 


1. 
\V  oliiu  ich  kam.  da  liab'  ich  sie  getroffen. 
Sie  schlössen  ab  mit  allem  eitlen  Hoffen. 
Sie  legten  kraftbewusst  zm-  ew'gen  Rnlie 
Ihr  Handwerkszeug-  in  ilires  Busens  Truhe, 
Umschalet  liegt's  da  Avie  im  Grab  der  Erde 
Als  Wächter  drauf  die  scheuchende  Geberde. 
Dort  kann  kein  fader  Blick  den  Schatz  entdecken 
Und  keine  rohe  Hand  ihn  mehr  beflecken. 

2. 
Es  geht  ein  Schatzhaus  finster  durdi  die  Länder, 
Der  Grund  erbebt,  wenn  sich  sem  Schatz  bewegt. 
AVohl  nehmt  ihr  gern  die  Spangen  und  die  Bänder. 
Die  es  in  ew'ger  Ruhe  in  sich  hegt. 
Und  würden  diese  Schätze  einst  erschlossen, 
Dann  gäb's  ein  Blühen  und  ein  herrlich  Sprossen. 
So  aber  müssen  wir  zumeist  begnügen 
Mit  Scliätzeu  uns,  die  rings  zu  Tage  liegen. 


77 


Der  mag  sich  freuen  und  sicli  glücklicli  preisen. 

Der  es  begegnete  auf  seinen  Gleisen. 

Der.  wenn  das  Herz  ihm  wuclis  vom  heissen  Selinen. 

Sich  durfte  fest  an  seine  Pfeiler  lehnen. 

Der  schauen  durfte  in  die  tiefen  Schächte. 

pdn  unverletzt  das  Gute  und  das  Rechte 

Tief  hinter  sturmzerrissnen  Vorhangsfalten 

Sich  hatte  jung  und  hehr  und  schön  erhalten. 

4. 
Gönnt  meiner  Brust  die  Ehre  euch  zu  kennen 
Und  meinem  Sang  die  Elu-e  euch  zu  nennen. 
Wie  nenn'  ich  euch,  ilir  finsteren  Offenbarer. 
Ihr  alles  Guten  göttlichen  Bewahrer. 
Die  ihr  verbergt  der  Menschheit  höchste  Güter. 
Aus  denen  ewig  schöpfen  die  Gemüther. 
Die  ihr  sie  tragt  und  wahrt  in  Freud"  und  Leiden. 
Wenn  andre  rings  das  ihrige  vergeuden? 

5. 

Der  Menschheit  Herz,  das  ewig  tief  verborgen. 
Ihr  Leben  bergend,  Leben  gebend  schlägt 
Und  über  alle  Wehn  und  alle  Sorgen 
Den  Schatz  des  Lebens  ihr  bewahrt  und  trägt. 
Ich  nenne  euch  die  tief  verschloss'ne  Truhe. 
Drein  sammelnd  der  Erwerber  legt  sein  Gut, 
Ich  nenne  euch  den  Meeresgrund  der  Ruhe 
Und  alle  Menschen  eures  Spiegels  Fluth. 


78 


6. 

Auf  Meeresfläclien  spiegeln  Sonneustralilen, 
Und  muntre  Fisclilein  schnalzen  in  der  Runde. 
Tief  unten  ruli'n  in  scliimmernden  Pokalen 
Der  Perlen  Schätze  auf  dem  finstren  Grunde. 
Lebt  wohl  ihr  edlen  Dulder  vieler  Qualen. 
Ihr,  die  ihr  wenige  lehrt  mit  kargem  Munde, 
Und  tosen  sie  um  euch  in  ew'ger  Hetze. 
Die  Stürme,  wahret  sicher  eure  Schätze. 

7. 
Euch  nenn'  ich  stark,  uns  aber  nenn'  ich  schwächer, 
Dann  giebt'  es  andre,  diese  nenn'  ich  schwach. 
Ihr  trinket  schweigend  eurer  Qualen  Becher. 
Wir  kämpfen,  jene  rufen  Weh  und  Ach. 
Sie  irren  um  mit  wildzerzausten  Locken, 
Zerrissenen  Herzens,  kraftlos,  ohne  Halt, 
Bis  endlich  sie  im  Wahnsinnshause  hocken, 
Wo  ihr  Gesang  uns  unbekannt  verhallt. 

8. 
Der  Fadheit  ungeheure  Heere  schreiten 
Gross  durch  die  Masse  auf  uns  wen'ge  ein 
Und  prallen  ab  von  euch  —  von  uns  zu  Zeiten, 
Verstampfend  jene  unter  ihren  Reih'n. 
In  Irrenhäusern  häufen  sich  die  Trümmer, 
Wenn  wir  uns  halten,  muss  es  uns  genügen. 
So  war  es  ewig,  und  so  bleibt  es  immer, 
Wir  können  kämpfen  aber  nimmer  siegen. 


79 


9. 

Selin  indessen  tränmt  von  Siegstropliäen. 
Von  Siegeskränzen,  von  der  Siegessclilacht, 
Er  glaubt  des  Schnitters  Sense  könne  mähen 
Das  Unkraut  mit  des  Waizens  gold'ner  Praclit 
Und  dann  von  neuem  seine  Saaten  säen. 
Indess  das  ist  in  Kinderart  gedacht. 
Und  neue  Lehren  werden  gleich  Gewichten 
Von  Eisen  seines  Glaubens  Korn  vernichten. 

]0 

Und  wie  der  Holm  mit  seinem  Stolz  sich  mischte, 
Ward  seiner  Gegner  Schaar  noch  mehr  ergrimmt. 
Bald  stand  er  mitten  in  dem  Kampfesgischte, 
t)er  den  umsprüht,  der  kühn  entschlossen  schwimmt 
Entgegen  dem  gewalfgen  Strom  der  Wogen. 
Den  er  vergebens  zu  bewinden  strebt. 
Er  wird  nicht  rückwärts  von  der  Fluth  gezogen 
Und  taucht  empor,  so  oft  sie  ihn  begräbt. 

11. 
Doch  vorwärts  trägt  ihn  durch  die  starke  Welle 
Nicht  seiner  Glieder  dauerhafte  Schnelle. 
So  harrt  er  aus,  bis  alle  Kräfte  weichen. 
Die  Fluth  ihn  fasst  und  wirbelnd  mit  sich  reisst 
Und  ihn  weit  unterwärts  gleich  andren  Leichen 
Im  Uferschlamme  seine  Ruhstatt'  weist.  — 
Doch  wenn  s  auch  kommt,  nur  immer  ausgeharret, 
Bis  Glied  auf  Glied  versagt  dir  und  erstarret.  — 


Vlll. 

1. 
Im  Hafen  Napels  war  das  Schiff  gelandet. 
Hier,  wo  die  Armntli  ein  zerfetzter  Leue 
Am  Thore  liegt,  hier,  wo  die  Meerfluth  brandet 
In  schmutz'ger  Lange  statt  in  lichter  Bläne, 
Hier,  wo  der  würdelosen  Menschheit  Aechzen 
Am  Boden  liegt  nnd  tief  im  Schmutz  versinkt, 
Hier,  wo  der  Habsucht  wildste  Geier  krächzen, 
Und  jede  Blume  nach  Verwesung  stinkt. 

2. 
Hier,  wo  im  himmlisch  lichtumstrahlten  Pfühle 
Ein  wunder,  beulenvoller  Kranker  liegt, 
Hier,  wo  des  Paradieses  heilge  Kühle 
Um  kahle  wurmzernagte  Bäume  fliegt. 
Hier,  wo  des  Weltentempels  schönste  Bilder 
Ergossen  liegen  in  erhabner  Pracht.  — 
Hier  tappet  eine  Schaar  verkommner  Wilder, 
Entmenschter  Krüppel  fluchend  durch  die  Nacht. 


81 


3. 

Wess  Augen  hier  sich  zaghaft  nicht  verschliessen, 
Ihr  Recht  bezweifelnd  an  dem  Gottgenuss, 
Wem  hier  die  Thränen  nicht  vom  Auge  fliessen. 
Wenn  er  empfängt  der  Schönheit  hohlen  Griiss, 
Indess  zu  Füsseu  ihm  in  tausend  Qualen 
Die  Menscliheit  lallend  sich  und  ächzend  ki'ümmt 
Und  von  den  reichgefiillten  Schönheitsschalen 
Nicht  eine  Gabe  sich  herunternimmt. 

4. 
Wess  Busen  hier,  in  eigennütz'gen  Freuden 
Vergehend,  nicht  des  Jammers  Stimme  hört, 
Wem  hier  ein  mächtiger  breiter  Strom  der  Leiden 
Nicht  seines  Freudenseees  Spiegel  stört,  — 
Der  ist  nicht  werth  den  Himmel  zu  empfangen. 
Dem  sei  vergällt  der  schmähliche  Genuss. 
Dem  hemmen  tausend  Seile,  tausend  Zangen 
Erbarmungslos  den  lustbegier  gen  Fuss. 

5. 

Ein  göttlich  Weib.  —  so  liegt  die  Welt  entfaltet. 
Mit  allen  Reizen  liimmlich  ausgeschmückt. 
Bis  hin  zum  Berge,  drin  Hephästos  waltet 
Und  sanften  Rauch  zum  blauen  Himmel  schickt. 
Wie  rauscht  das  Meer  in  schönen  Farben  spielend. 
Dem  Gürtel  gleich  um  das  erhab  ne  Weib. 
AVie  schwelgt  der  Weih  im  Himmelsgolde  wühlend. 
Herniederblickend  auf  den  Götterleib! 

6 


82 


6. 

Doch  hockend  sitzt  der  Tod  an  Weibesbrüsten 
Und  nagt  und  nagt  mit  bliitbelaufuer  Hand, 
Er  scheint  sich  fest  und  fester  einzunisten, 
Die  Wunde  glüht  im  fürchterlichsten  Brand. 
Und  weiter  gräbt  er  einen  Weg  der  Made, 
Schaut  ihr  den  Fleck,  der  diesen  Leib  entstellt? 
Schafft  mii-  den  Pilz  aus  meiner  Hochzeitslade, 
Schafft  mii'  Neapel  aus  Neapels  Welt! 

7. 
Selin  irrt  schaudernd  durch  die  schmutz'gen  Gassen. 
Und  schaudernd  sieht  er  der  Paläste  Stolz. 
Nicht  kann  sein  Busen  all  dies  Elend  fassen. 
AVenn  schier  sein  Auge  auch  in  Thi'änen  schmolz. 
Ihm  drückt's  die  Brust,  schwer  hebt  sich  seiue  Zunge. 
Und  was  sie  bebend  spricht,  ist:  Luft  und  Licht! 
Weil  hier  das  Schicksal  wie  mit  Pantliersprunge 
Sein  leichtes  Rettuno'sfaln-zeug  ihm  zerbriclit. 


Hier  giebt's  kein  Elend  aus  der  Nacht  zu  reissen, 
Aus  wilder  Tliiere  Käfig  nicht  ein  Lamm, 
Hier  füllt  die  Luft  ein  fürchterliches  Kreissen. 
Und  keine  Perlen  liegen  mehr  im  Schlamm. 
Hier  winden  Schlangen  sich  um  giftge  Schlangen, 
Und  die  Tarantel  sticht  den  schlammgen  Molch, 
Hier  giebt  es  kein  erstarrtes  Licht  verlangen, 
Hier  stirbt  der  Mörder  durch  des  IMörders  Dolch. 


83 


9. 

Das  Elend  naht  auf  dürrem  Flammengaule, 
Und  Schwefeldämpfe  rollen  vor  ihm  her, 
Es  hält  des  Lasters  Fceibrief  fest  im  Maule 
Und  sprengt  die  Geissei  schwingend  kreuz  und  quer. 
Habsucht  und  Hochmuth  führt  des  Gaules  Zügel, 
Armuth  und  Eeichthum  hüpfen  hinterdrein, 
Die  Laster  alle  mit  verfaultem  Flügel 
Bescliliessen  jauchzend  den  gewalt  gen  Reih'n. 

10. 
Das  Elend  greift  in  jeden  Menschenhaufen 
Und  fasst  mit  Kreischen  Kind  und  Manu  und  Greis: 
Den  treibt's  zum  Hängen,  jenen  zum  Ersaufen, 
Den  wirft  es  lachend  in  der  Laster  Kreis, 
Und  wo  es  schritt,  da  liegen  sie  am  Wege, 
Von  Ungeziefer  und  von  Schmutz  beschwert, 
In  einem  dumpfig-kothigen  Gehege, 
Das  hie  und  da  die  schwarze  Pest  durchfährt. 

11. 

Da  giebt's  ein  wildes,  grässliches  Getöse 

Durch  Tag  und  Nacht  und  wiederum  zum  Tag, 

Wo  sich  in  ew'ger  Brutstatt  alles  Böse 

Zur  Geiermahlzeit  zubereiten  mag. 

Und  wehe  dem.  der  mit  dem  Elend  rechtet. 

Und  wehe  dem,  der  mit  dem  Elend  ficht, 

Er  wird  dem  sclilechtsten  Opfer  gleich  geknechtet. 

Und  seine  Geissei  saust  ihm  iu"s  Gesicht. 


84 


•  12. 

Die  eigne  Waffe  muss  Selin  verliilllen. 
Das  Elend  spricht.  —  der  Knabe  lauscht  und  lauscht, 
ludess  ein  donnerähnlich  wüstes  Brüllen 
Dui'ch's  Eeich  der  Lüfte  sinnbethörend  rauscht: 
„Leer  ist  das  Feld,  verbrannt  die  letzten  Aehren. 
„Die  Wurzel  nur  steckt  faulend  noch  im  Grund. 
„Davon  sich  Würmer  nur  und  Maden  nähren:  — 
..Ihr  aber  steht  mit  aufgerissnem  Mund. 

13. 
„Weiss  nicht,  wohin  die  AVagen  mochten  rollen. 
„Ich  weiss  nicht,  weiss  nicht,  wer  sie  euch  verschlang. 
„Ich  aber  la-och  aus  den  verbrannten  Schollen 
„Und  mache  jauchzend  meinen  Donnergang." 

Da  wandte  sich  Selin  und  ging  von  dannen. 
Kaum  noch  ertragend  sein  gepresstes  Herz. 
Er  warf  sich  liin,  und  seine  Thränen  ranneu 
In  ungeheurem,  namenlosem  Schmerz. 


IX. 

1. 


Selin  erwacht,  und  mit  den  grossten  Leiden 
Zugleich  empfindet  er  der  Ohnmacht  AVeh. 
Hier  mag  ein  Gott  des  Elends  Fesseln  schneiden 
Vom  Schwall  der  Opfer.     So  wird  ew'ger  Schnee 
Im  Hochgebirge  durch  des  Blitzes  Leuchten 
Nicht  mehr  zerthaut.     So  mögt  vergebens  ihr 
Den  Sonnenball  mit  Thränenströmen  feuchten.  — 
Mit  uns'rer  Kraft  vergebens  streben  wir. 

2. 
Das  fühlt  Selin.  —  und  lange  trübe  Wochen 
Umirrt  er  einsam  nun  Neapels  Golf. 
Oft  steht  er  stumm,  wo  die  Gewässer  kochen 
Um  Felsenbi-üste.     Gleich  dem  grimmen  Wolf 
Anspringen  sie  mit  donnerndem  Geschäume 
Die  Ufer,  und  ihr  Gischt  fliegt  hoch  hinauf, 
Benetzend  Lorbeer-  und  Olivenbäume.  — 
Doch  ewig  ruhig  hält  der  Fels  sie  auf. 


86 


3. 

Nach  Woclien  aber  ist  Selin  genesen, 
Vom  Mitleid  nicht,  vorerst  vom  Rettungswahn. 
Er  hat  aus  seinen  Schätzen  sicli  erlesen 
Die  besten,  und  in  einem  schwanken  Kahn 
Sucht  er  sie  rettend  aus  dem  Stm-m  zu  bringen. 
Das  Ufer  naht,  schon  steht  er  auf  dem  Grund, 
Es  scheint  ihm  rasch  und  sicher  zu  gelingen. 
Er  athmet  frei  und  glaubt,  er  sei  gesund. 

4. 
Er  fühlt  so  mächtig  seinen  Busen  schwellen, 
Es  drängt  ihn  unauflialtsam  zum  Gesang, 
Es  will  aus  tausend  heissen  Brunnen  quellen. 
Bald  laut  und  voll,  bald  wieder  schwach  imd  bang. 
Ein  Kämpfer  sein,  so  dünket  nun  Selinen. 
Heisst  eine  Waffe  führen  in  der  Hand, 
Und  wo  es  blühend  wachsen  soll  und  grünen. 
Da  wirft  der  Landmann  Körner  in  den  Sand. 

5. 
Er  denkt  bei  sich,  es  müssen  Körner  reifen, 
Eh'  sie  zu  Halmen  neu  empor  gedeih'n, 
Und  seine  Sichel  muss  der  Schnitter  schleifen. 
Geht  er  in's  volle  Aehrenfeld  hinein. 
So  suche  nun  mit  Fleiss  die  besten  Körner 
Und  lass'  sie  keimen  still  und  mit  Bedacht, 
Dann  schleife  deinen  Stahl,  leg^  um  die  Hörner 
Des  Stiers  das  Joch  und  ernte  ein  mit  Macht. 


87 


6. 
Sind  deine  Scheuern  voll,  dann  kannst  du  geben 
Mit  vollen  Händen,  und  man  lohnt  dirs  gut. 
Erst  aus  dem  Safte  herbstlich  reifer  Reben 
Steigt  süsser  Traube  heisse  Lebensfluth. 
Und  weiter  will  es  unsren  Knaben  dünken, 
Man  müsse  alles  Weh  und  alles  Leid 
Um  sich  vergessen  und  m  sich  versinken. 
Bis  es  zu  herbsten  und  zu  keltern  Zeit. 

7. 
O   armer  Knabe,  lange  wirst  du  irren, 
Bis  sich  ein  mächfger  finstrer  Knoten  schürzt. 
Den  deine  Hände  hastig  zu  entwirren 
Versuchen  werden,  der  dich  niederstürzt. 
Wenn  du  unfähig  bist  ihn  aufzureissen. 
Und  der  dich  rings  mit  finstren  Armen  fasst. 
So  deine  Zähne  sich  darein  verbeissen.  — 
Er  bringt  den  letzten  schauerlichsten  Gast. 

8. 

Indessen  hoffe!  -  Und  du  hoffst,  mein  Knabe. 

Du  glaubst  so  sicher  dich  auf  festem  Tlmrm. 

Nicht  schi-eckt  dich  mehr  des  Schicksals  Nebelrabe, 

Du  fürchstest  keinen  Blitz  und  keinen  Sturm. 

Du  weisst  was  gut  ist.    Was  du  jetzt  erfahren 
Hat  euch  belehrt.  AVas  gilfs.  du  fehlst  nicht  mehr. 
Da  kommen  sie  mit  aufgelösten  Haaren 
Die  beiden  AVeiber  seiner  Kindheit  her. 


Sie  nahen  ilim.  sie  nehmen  ihn  gefangen. 

Die  spricht:  „Diu'ch  mich!"  Die  spricht:  „Durch  mich  sei  gross'/ 

Er  greift  nach  beiden  voller  GluthTerlangen. 

Doch  beide  winden  schnell  sich  von  ihm  los. 

Die  eine  seh  ich  Stein  und  Meissel  tragen, 

Die  andi'e  hör'  ich  eine  Laute  schlagen. 

Ihn  aber  seh  ich  bald  den  Meissel  greifen. 

Und  bald  der  Laute  goldne  Saiten  streifen. 

10. 
So  irrt  er  lange,  lange  zwischen  beiden. 
Er  kann  nicht  ruhen  bei  der  einen  Frau. 
Will  er  sich  siegend  von  der  Leier  scheiden, 
So  netzt  sie  ihn  mit  üischem  Liederthau. 
Er  eilt  zu  ihr  und  will  sie  nimmer  meiden, 
Sie  klingt  verstimmt,  sogar  oft  kalt  und  rauh, 
Und  schreckt  ihn  wieder  traurig  zu  der  andern.  — 
So  giebfs  ein  langes,  hoffnungsloses  Wandern. 

11. 
Oft  sinkt  er  müde  zwischen  beiden  nieder 
In  argen  Kampfes  übergrosser  Qual, 
Da  quellen  ihm  wohl  leise  leise  Lieder 
Vom  matten  Munde  hie  und  da  einmal. 
Doch  raubt  Erholung  ihm  die  Stimme  wieder 
Und  treibt  ihn  fort  zu  immer  neuer  Wahl. 
Er  bittet  jede  seiner  Schreckgestalten. 
Ihn  endlich,  endlich  einmal  festzuhalten. 


89 


12. 

Da  schien's,  als  wollte  eine  sich  erbarmen,  — 
Die  mit  der  Laute  winkt  ihn  zu  sich  her 
Und  nimmt  ihn  auf  in  weiten,  offnen  Armen 
Und  weist  ihn  siiniend  iiber's  blaue  Meer. 
Er  fühlt  in  Wahrheit  endlich  sich  er  warmen. 
Sein  Busen  ruht,  sein  Auge  wünscht  nicht  mehr. 
Er  will  beglückt  die  Leier  fest  umschliessen 
Und  seinen  Dank  in  ihre  Saiten  giessen. 

13. 

Da  aber  weicht  aus  seiner  Muse  Händen 
Die  Laute  sanft  und  hebt  sich  hoch  empor. 
Von  goldnen  Strahlen,  die  sein  Auge  blenden. 
Umfunkelt  sieht  er  lichter  Genien  Chor. 
Die  sich  im  göttlich  i-einen  Tanze  wenden 
Und  endlich  schwinden  in  ein  Himmelsthor. 
Darum  sie  dichte  AVolkenmäntel  schlagen. 
Nachdem  das  Kleinod  sie  hindiu'chgetragen. 

14. 
Was  thu"  ich  nun?  so  hör"  ich  schwach  ihn  sprechen. 
Wie  soll  ich  singen,  wenn  die  Laute  fehlt? 
Mag  immerhin  mein  schmachtend  Auge  brechen. 
Das  sehende  lebt  nm\  dass  man  es  quält. 
Mag  deine  Kechte  mir  den  Nerv  durchstechen. 
Der  ewig,  ewig  deine  Qualen  wählt. 
Die  Muse  winkt  und  weist  ihn  in  die  Ferne 
Und  spricht:  Begehrenswert!!  sind  nur  die  Sterne. 


90 


15. 

Drum  AValler.  walle,  sie  lierab  zu  rufen! 
Zum  Kampfe  Waller,  hoch  den  kühnen  Blick! 
Es  führen  Steige  und  es  führen  Stufen 
Zu  deinem  Sterne  und  zu  deinem  Glück, 
Mit  Pilgerfüssen  jetzt,  mit  Flammenhufen 
Legst  du  des  Weges  letzten  Theil  zurück. 
Du  lerntest  lieben  und  du  lerntest  hassen, 
Jetzt  lerne,  Jüngling,  deine  Laute  fassen! 

16. 
Wie  leuchtend  malst  du  Muse  deinen  Himmel! 
AVie  ernst  und  doch  wie  leicht  malst  du  den  Kampf! 
Hörst  du  der  Menschen  tobendes  Getümmel, 
Siehst  du  den  finstren,  schweren  schwarzen  Dampf, 
Draus  keine  noch  so  helle  Demantfirne 
Mit  ihrem  Glühen  leuchtet  mehr  hervor, 
Der  sich  wii'd  legen  um  des  Jünglings  Stirne 
Und  ihm  verhüllen  wird  das  AVolkenthor? 

17. 
Sie  schwindet,  und  Selin  starrt  in  die  Weite. 
„Ihr  nach,  ihr  nach!"  —  Dann  aber  sinkt  sein  Blick. 
Ein  Ende  ward  auch  diesem  Musenstreite, 
Nun  ist  sein  Busen  still  dank  dem  Geschick. 
Er  wandert  ruhig  in  Neapels  IMauern. 
Wo  in  dem  Hafen  noch  sein  Fahrzeug  liegt. 
Und  ihn  ergreift  ein  wehmuthsvoUes  Trauern. 
Wie  es  die  Masten  und  die  Wimpel  wiegt. 


91 


18. 

Da  tönt  ein  Eiif,  da  kräuseln  blaue  Ringe.  — 
Vom  Pflocke  löst  der  Schiffer  Seil  um  Seil. 
Der  Anker  hebt  die  schwere  Eisenzwinge. 
Verschhmg'nes  Tauwerk  kappt  das  flinke  Beil. 
Der  Schaum  zeninnt  um  die;  bemoosten  Planken: 
Ade.  ade,  du  sturmgewohntes  Haus! 
Es  segelt  stolz  aus  engen  Hafenschranken 
In"s  ungemess'ne  Wogenfeld  hinaus. 

19. 

Er  bleibt  zurück  an  diesem  heissen  Strande, 
Er  lehnt  wehmüthig  an  des  Hafens  Rand, 
Und  wieder  zieht's  ihn  nach  dem  Heimathlande. 
Und  wieder  löst  sich  seines  Trübsinns  Band. 
Kaum  noch  so  fest,  kaum  noch  so  gut  gebunden, 
Kaum  Doch  gesiegt  in  manchem  heissen  Kampf. 
Kaum  noch  den  besten  Balsam  aufgefunden. 
Und  schon  befällt  die  Brust  ein  neuer  Krampf. 

20. 

Er  lässt  die  Glieder  schlaff  herniederhangen. 
Und  keine  That  scheint  ihm  des  Thuens  w^erth. 
Er  fühlt  ein  einz  ges  schläfriges  Verlangen 
Nach  einer  Heimath.  Haus  und  Hof  und  Herd 
Und  Einsamkeit  und  einem  Ort  zum  Träumen 
Im  stillen  weiten  unbetret  nen  Wald, 
Wo  unter  dichten,  weitverzweigten  Bäumen 
Das  Lied  der  ungezähmten  Vögel  schallt. 


92 


21. 

Er  sinnt  und  sinnt  und  wird  biuweggetragen 
Weit  über  Länder  nach  der  Heimath  Flur. 
Ich  höre  seines  Geistes  Flügel  schlagen 
Und  folge  kühnlich  seiner  luffgen  Spur. 
Ich  seh  ihn  schwelgen  auf  beblumter  Wiese, 
Ich  seh  ihn  wandeln  an  sein  Lieb  gedrückt 
Und  höre  seinen  Fuss  im  Gartenkiese. 
Der  unter  leiser  Schritte  Druck  erschrickt. 

22. 

Da  wacht  er  auf.  —  Rauh  krächzt  des  Bettlers  Bitte. 

Des  Krüppels  Beulen  recken  sich  ihm  dar. 

Die  Strasse  gellt  vom  Stampfen  vieler  Tritte. 

Und  eine  schmutzige  verrohte  Schaar 

Wogt  um  Selinen.  ihre  Blicke  münden 

Gleich  düsfren  Schlünden  dräuend  auf  sein  Haupt 

Und  dringen  ein  und  lassen  neu  entzünden 

Die  Flammen,  die  er  lange  todt  geglaubt. 

23. 
„Was  wollt  ihr?"  spricht  er.  „wollet  mich  nicht  richten, 
„Ich  bin  gefangen,  bin  wie  ihr  ein  Knecht. 
„Was  fordert  ihr  mit  euren  Gramgesichten? 
„Ich  weiss,  ich  Aveiss,  ihr  fordert  euer  Recht. 
„Ich  bin  ohnmächtig!    Zeuget  grosse  Götter 
„Mir  meine  Ohnmacht!"     Doch  die  Schaar  bleibt  kalt 
Und  fordert  weiter  murrend  ihren  Retter, 
Wie  sie  in  Armuth  durch  einander  wallt. 


93 


24. 

Da  briclit  das  Band.  —  und  in  der  Brust  entbunden. 

Aufjauchzen  die  Dämonen  allesammt, 

Sie  schlagen  sich  mit  Kreischen  tiefe  Wunden. 

Indess  Verzweiflungsfeuer  sie  durchflammt. 

Der  Knabe  fällt  mit  aufgelösten  Locken 

Und  blufgen  Augen  auf  den  kalten  Stein 

Und  ruft:     „So  lasst  in  eurem  Schmutz  mich  hocken, 

„Lasst  mich  mit  euch,  mit  euch  im  Elend  sein! 

25. 

„Fallt  ab  ihr  saubren  Kleider!    Um  die  Hüften 
„Legt  Lumpen  mir,  die  Moderduft  getränkt! 
„Führt  mich  hinab  zu  euren  dumpfen  Grüften! 
„Ich  mag  die  Sonne  nicht,  die  ihr  mir  schenkt, 
„Ich  mag  die  Speise  nicht,  aus  euren  Zähnen 
„Gerissen,  aber  bei  des  Himmels  Huld 
„Noch  weniger  den  Trank  von  euren  Thränen, 
„Am  mind'sten  aber  eures  Elends  Schuld." 

26. 
Lasst  ihn  nur  ringen,  lasst  ihn  ruhig  kämpfen.  — 
So  ist  es  immer,  wenn  nach  langer  Fahrt 
Des  Seees  Toben  milde  Lüfte  dämpfen, 
Da  smkt  der  Seemann,  der  bis  jetzt  bewahrt 
Die  ganze  Kraft,  erschöpft  und  müde  nieder. 
Als  sollt'  er  nun  und  nimmermehr  erstehu, 
Doch  eh'  noch  kehren  neue  Stürme  wieder, 
Sollt"  ihr  ilm  kräftig  und  gewappnet  sehn. 


X. 


1. 
Ein  Eiland  liegt  gehüllt  in  blaue  Wellen 
Im  Golf  Neapels:  schroffe  Felsenwand 
Umringt  es  gleich  gewalfgen  festen  Wällen. 
Und  Ziegeneiland,  Capri,  ist's  genannt. 
Bis  nach  Sorrento  ist  Selin  gezogen, 
Dort  ruht  er  aus,  bis  ihn  das  leichte  Schiff 
Hinüber  schaukelt  durch  die  blauen  Wogen 
Nach  Capri's  grün  behang'nem  Felsenriff". 

2. 
Sorrento's  schroffe  Kanten  jählings  fallen 
In  s  blaue  Meer,    Hoch  von  des  Felsen  Grat 
Schaut  eine  Herberg  in  des  Meeres  Wallen, 
Herunter  steigt  ein  schmaler  Felseupfad. 
Hier  wohnt  der  Friede  unter  saffgen  gi*ünen 
Orangenbäumen,  und  hier  stört  kein  Schall 
Der  wilden,  rauhen  Menschheit  mehr  Selinen, 
Hier  tönt  allein  das  Lied  der  Nachtigall. 


95 


3. 
Die  Nacht  vergeht.     Seliu  erwacht.     Der  Morgen 
Weht  übers  Meer  iind  haucht  zu  ihm  lierein,  — 
•Vergessen  sind,  vergessen  alle  Sorgen. 
Und  drunten  leise  im  Olivenhain 
Beginnt  sie  wieder,  Philomela"s  Klage, 
So  süss,  so  wonnig  und  so  ernst  zugleich, 
Und  ihre  Töne  bringen  Sag'  auf  Sage 
Von  einem  selgen.  heil'gen  Almimgsreich. 

4. 
Halb  schlummert  er,  halb  lauscht  er  ihien  Liedern. 
Ihm  wii^d  so  frei,  ach  so  unsäglich  frei, 
Er  fühlt  sein  Sehnen  sich  mit  Licht  befiedern 
Und  aufwärts  schweben  gleich  dem  stolzen  Weih. 
In  Sonnen  badet  seine  finstre  Seele. 
Die  Erde  weicht  dem  göttlichen  Gesicht,  — 
Und  alles  das  macht  Philomela's  Kehle, 
Sie  führt  den  kranken  Mann  durch  Nacht  zum  Licht. 


„Sing'  weiter,  w^eiter.  wolle  nimmer  schweigen!" 
So  spricht  Selin  halb  schlummernd,  halb  erwacht. 
„Ich  sehe  Götter  aus  den  Wellen  steigen, 
„Kein  Licht,  kein  Licht!  —  Lasst  mir  die  sel'ge  Nacht! 
„Sprich  Oelbaum,  sprich  du  süssbeschwerte  Rebe! 
„Ich  will  euch  lauschen,  lauschen  immerdar. 
„Damit  mein  Geist  mit  eurem  sich  verwebe, 
„Und  meine  Seele  werde,  was  sie  war." 


96 


6. 

Und  Pliilomela's  Lied  durchrinnt  die  Zweige, 
Ein  Strom  von  Balsam,  lind  und  leis  und  mild. 
Und  holt  herab  auf  blum'g'er  Liedersteige 
Vom  hohen  Himmel  Bild  und  Bild  auf  Bild. 
Tief  unten  rauscht  des  Meers  krystalluer  Spiegel 
Und  flüstert  lauschend  um  den  Felsenfiiss, 
Und  leise  sprühen  dunkle  Wasserhügel, 
Sich  rings  erweckend,  ihren  Morgengruss. 

7. 

Das  Lied  verstummt.  Da  hebt  Selin  vom  Bette 
Sich  auf,  noch  trunken  von  dem  hohen  Lied. 
Am  Himmel  dämmert  eine  Strahlenkette. 
Und  wie  sie  wächst  und  immer  heisser  glüht, 
Da  scheint's  Seiinen  solch  ein  hehres  Prangen, 
Es  müsse  reich  und  überreich  zumal 
Befriedigen  der  Menschheit  Lichtverlangen. 
Wie  unaufhörlich  sich  der  Strahl  zum  Strahl 

8. 
Gesellet,  glüht  gleich  flüssigen  Kabinen 
Die  See  und  hebt  und  senkt  sich  stolz  und  hehr, 
In  Purpurfalten  hüllend  Königsmienen. 
„Heil  Königsmantel,  all  umschlingend  ]\Ieer!" 
Die  Berge  schmücken  sich  mit  goldnen  Reifen, 
Und  in  Yesuvio's  grauen  Scheitelrauch 
Beginnt  der  Morgenwind  hineinzugreifen, 
Und  holdes  Sein  erwacht  um  Baum  und  Strauch. 


97 


9. 

„Auf,  auf  zur  Fahrt!"  —  Das  Segel  fliegt  und  blinket, 
Der  Fischer  ruft,  das  Euder  trieft  vom  Schlag, 
Der  süsse  Traum  verschwindet  und  versinket, 
Und  schlimm're  Träume  bringt  der  laute  Tag. 
Voraus  mein  Lied,  steig'  auf  zu  Capri's  Klippe! 
Ergreif  das  Land,  das  deines  Pfleglings  haiTt, 
Draus  ihm  ein  Greis  mit  gramverzogner  Lippe, 
Ein  finstrer  Greiser,  bleich  entgegenstaiTt!  — 


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XI. 

1. 

„Wer  bist  du?"  fragt  Selin.  „der  du  entg-egen 
„Mii^  kommst  auf  jedem  Pfad,  von  jedem  Steine 
„Mir  winkest,  überall  und  allerwegen. 
„Wer  bist  du.  der  du  wallst  im  Mondenscheine. 
„Und  dessen  Geist  mir  jedes  Licht  verdüstert 
„Und  eine  Wolke  zieht  um  Capri's  Gipfel, 
„Von  dessen  Leben  sich  die  Pinie  flüstert 
„Und  jede  Palme  mit  bewegtem  Wipfel?" 

2. 
„Werbist  du?"  Und  er  spricht:  „Ich  bin  ein  Greiser, 
„Ein  Armer  und  ein  Reicher,  bin  ein  Kaiser! 
„Geh'  weiter,  Knabe,  lass  mein  düst'res  Walten 
„Nicht  deine  Wege  stören.     Meine  Augen 
„Sie  wollen  nicht  für  Ruh  und  Schlummer  taugen, 
„Und  meine  Rechte  muss  die  Geissei  halten.  — 
„Geh'  nur  hinab,  dort  sitzen  sie  beim  Mahle, 
„Ein  neu  Geschlecht,  geh'  nur  hinab  zu  Thale!  — 


99 


3. 

Ihm  folgt  Selin,  von  Schrecken  jäh  durchdrungen. 
Doch  wo  der  Weg  sich  wendet,  steht  er  still. 
Da  kommt's  von  oben  wie  mit  Donnerzungen 
Und  bannt  ihn  fest  so  wie  er  gehen  will. 
Und  was  er  hürt,  das  macht  das  Herz  ihm  zittern, 
Macht  ihm  erstarren  mählich  Glied  um  Glied,  — 
Bald  zephyi'gleich.  bald  stürmend  in  Gewittern 
Hört  er  das  eine  traurig-dumpfe  Lied: 

4. 
„Mich  schmerzt  mein  Haupt,  mich  schmerzen  die  Gebeine. 
„Ich  schleppe  mich  durch  Wind  und  Wind  und  Stui^m, 
„Ich  schleppe  mich  bei  Sonn'  und  Moudenscheine, 
„Fheg   wie  der  Adler,  krieche  wie  der  Wurm. 
,Tch  möchte  sitzen,  doch  die  Dornen  stechen. 
„Ich  möchte  liegen,  doch  das  wilde  Hirn 
„Reisst  mich  empor,  wenn  auch  die  Glieder  brechen,  — 
„Mich  schmerzt  mein  Haupt,  mir  brennt,  mir  brennt  die  Stirn. 

5. 

Ich  wollte  helfen,  und  ich  ward  geschlagen, 
Ich  wollte  fliehen,  und  ich  ward  erfasst. 
,Und  auf  den  Thron  den  gleissenden  getragen. 
Bei  meinen  Festen  war  der  Fluch  zu  Gast. 
Mein  Blick  war  finster  und  mein  Gang  gewaltig. 
In  starrer  Hülle  lag  mein  grosser  Geist, 


55 

n 
n 

n 

n 

„Doch  an  der  Hülle  nagte  mannigfaltig 
„Die  ekle  Made,  die  Verleumdung  heisst. 

7* 


100 


6. 

„Um  meine  Stirne  flogen  Wolkensclileier. 
„Ich  sclilng-  hinein,  sie  blieben  dumpf  und  schwer, 
„Nur  hin  und  wieder  Ivam  ein  trüber  Geier 
„Mit  schwerem  Flug  durch  das  Gewölk  daher. 
„Ich  ward  verrathen.  und  ich  ward  verachtet. 
„Sie  stiessen  in  die  Brust  mir  Stoss  auf  Stoss, 
„Ich  ward  verhärtet,  und  ich  ward  umnachtet. 
„Und  mein  Vernichter  Hess  mich  nimmer  los. 

7. 
„0  Weib.  0  Weib!  —  Ich  hab  ein  Weib  genossen. 
„Wenn  je  ein  Weib  den  wahren  Mann  beglückt. 
„An  meiner  Feinde  Brust  ward  sie  gestossen. 


„In  fader  WoUust  matten  Arm  gedrückt. 
„0,  Weib,  0  Weib!  —  Mich  schmerzen  die  Gebeine. 
„Ich  schleppe  mich  durch  Wind  und  Wind  und  Sturm, 
„Ich  schleppe  mich  bei  Sonn'  und  Mondenscheine, 
„Flieg'  wie  der  Adler,  krieche  wie  der  Wurm. 


„0,  grauser  Hass.  Du  tobst  in  heisscn  Adern. 
„Ich  peitschte  gern  in  eins  so  Land  und  See, 
„Eiss  auseinander  dieses  Weltbaus  Quadern 
„In  übergrossem  allgewalfgen  Weh. 
„Furchtbar  der  Hass,  den  meine  Liebe  säugte, 
„Fui'chtbar  die  Wuth.  die  Mitleid  mir  gebar, 
„Furchtbar  die  Flüche,  die  mein  Segen  zeugte, 
„Fui'chtbar  der  Jammer,  der  mir  Freude  war." 


101 


9. 
„0  Fadheit,  Fadheit!  meines  Weh"s  Gebilde 
„Stelin  fürchterlicli  durch  deinen  Schwärm  erhöbt. 
^Uud  meine  Blitze  zucken  in's  Gefilde. 
^Und  mein  Orkan  hat  Eucli  um's  Haupt  gewellt. 
„Und  heulend  krocliet  ihr  in  Angst  und  Nötheu 
„Tn  Höhr  und  Strauch  in  grauser  Todesnoth, 
„Da  half  kein  AVimmern.  und  da  lialf  kein  Beten.  — 
„Auf  Eurer  Fährte  folgte  grimmer  Tod. 

10. 
„Bezahlt,  bezahlt!   Das  ist  mein  einziges  Denken, 
„Bezahlt,  bezahlt!  das  ist  mein  einz'ges  Glück. 
„Die  ganze  Welt  mit  meinem  Jammer  tränken 
„Schafft  mir  —  nicht  einen  stillen  Augenblick. 
„Ich  möchte  sitzen,  doch  die  Dornen  stechen. 
„Tch  möchte  liegen,  doch  das  wälde  Hirn 
„Ueisst  mich  empor,  wenn  auch  die  Glieder  brechen. 
„Mich  schmerzt  mein  Haupt,  mir  brennt,  mir  brennt  die  Stirn." 

11. 
Und  da  erscheint  er  auf  dem  schroffen  Zacken, 
Der  überhängt  in"s  weite,  lichte  Thal, 
Zerzauste  Locken  flattern  um  den  Nacken. 
Und  seine  Rechte  hält  gezückt  den  Stahl. 
Elr  ruft  herab:  „Ich  grüss"  euch,  ihr  Gesellen 
„Der  neuen  Welt,  in  meinem  Sarkophage. 
„Noch  starb  ich  nicht;  —  und  meines  Grames  Quellen, 
„Sie  quellen  weiter,  bis  zum  jüngsten  Tage. 


102 

12. 
„Dann  aber  wii*d  der  Erde  Busen  klaffen, 
.,Und  mein  zertretnes  Leid  in  tausend  Bäclien,  — 
„Ein  Strom  von  Helmen.  Harnischen  und  Waffen, 
„Durch  alle  Spalten,  alle  Poren  brechen. 
„Schlaft  tief  im  Thal,  spielt  unter  fadem  Lächeln 
„Mit  andrer  Leid!     Ich  aber  werde  wachen 
„Und  iiTen.  —  wenn  euch  Düfte  rings  umfächeln. 
„Die  Bälge  ziehen  und  die  Flammen  fachen!  — 


XII. 


1. 


Niu'  ahnen  mochte,  was  der  Geist  gesprochen, 

Selin,  doch  was  er  ahnte,  trieb  ihn  an 

Zur  That.     Er  fühlte  heiss  sein  Herzhhit  kochen. 

Zum  Felsen  der  Vollendung  kühn  hinan 

Zog  ihn  sein  Muth.    Und  was  er  ahnte,  singen 

In  hehrer  Form,  in  heilger  Melodie.  — 

Das  war  sein  Sehnen,  war  sein  heisses  Ringen. 

Der  Kern,  der  seinen  Thaten  Kraft  verlieh. 

2. 

Eh  ich  dir  weiter  folge,  irrer  Knahe. 
Lass  von  der  AVarte  mich  hernieder  schauen. 
Du  nahst  dich  einem  ungeheuren  Grabe, 
Drauf  Lerch-  und  Amsel  ihi'e  Nester  bauen. 
Die  Lerchen  singen,  und  die  Amseln  singen. 
Bist  du  ein  Mensch,  gehörst  du  in  das  Grab. 
Draus  keine  Töne  mehr  zum  Himmel  dringen.  - 
Halt  ein  und  lenke  rückwärts  deinen  Stab! 


104 


3. 

Da  traust  mir  nicht?!   Dich  lockt  das  süsse  Tönen. 
Du  glaubst,  es  sei  auch  in  der  Menschenwelt 
Erlaubt  zu  singen,  und  das  Arbeitsfeld, 
Meinst  du,  kann  milder  Dichtersang  verschönen. 
Es  fliege  leichter  dann,  meinst  Du,  der  Spaten. 
Die  Sense  blinke  freudiger  darein. 
Sei  still!  —  sie  können  deines  Lieds  entrathen, 
Es  muss  gepflügt,  doch  nicht  gesungen  sein. 

L 
Du  sprichst  zu  mir.  du  willst  mich  überwinden 
Mit  dem,  was  du  dir  malst  vom  Menschenglück?!  — 
Ich  aber.  —  sieh  —  trotz  allen  deinen  Gründen 
Dieselbe  Warnung  geb  ich  Dir  zurück. 
Begleite  mich  durch  öde  finstre  Gassen 
Furchtbarer  Nacht!  —  Hörst  du's  den  Weg  entlang. 
Dies  Wimmern?  —  Sieh,  dich  will  ein  Grauen  fassen: 
Dies  wird,  mein  Kind,  in  unsrer  Zeit  Gesang.  — 

5. 
Du  fragst  nach  Lerchenjubel.  —  Ijercheujubel! 
Wir  haben  alles  Jubeln  längst  verbannt. 
Hörst  du  das  Kreischen  in  dem  wilden  Trubel 
Des  Marktes?  Goldgeklimper  füllt  das  Land.  — 
Das  sind  die  wahren  Sänger,  müde  Leiber, 
Die  stöhnend  singen  ihr  unserges  Lied. 
Und  ihre  Musen  sind  vergilbte  Weiber. 
Durch  deren  Miejien  sich  das  Elend  zieht. 


105 


6. 
Das  sind  die  Wahren.  —  Andre  aber  springen 
Dort  auf  dem  Markt  herum,  und  im  Tumult. 
Die  Goldbegierde  reizte  sie  zum  Singen. 
Doch  grade  deshalb  kamen  sie  in  Huld. 
Sie  weinen  nicht,  noch  schelten  sie  und  klagen, 
Denn  ihre  Werke  tragen  reiche  Frucht,  — 
Kurz,  freilich,  ist  des  glatten  Weges  Flucht. 
Den  sie  befalu-en  auf  Fortunens  Wagen. 

7. 
Sie  sind  zufrieden,  und  diu'ch  ihre  Kehlen 
Geht  ein  Gemenge  wunderbarer  Art. 
Wo  kommt  es  her?   Mit  nichten  aus  den  Seelen; 
Es  ist  Verstand,  mit  Geldbegier  gepaart,  — 
Verstand  und  Geldgier,  statt  der  heissen  Liebe 
Für  Menschenwürde  und  für  Menschen  glück.  — 
Du  aber  wandre  deinen  Weg  zurück 
Und  bleibe  fern  dem  rollenden  Getriebe. 


Du  zauderst,  und  du  schaust  nach  jenen  Sängern, 
Als  sei  ihr  Theil  begehrenswerth  und  schön. 
Weil  AVeihrauchdüfte  ihre  Brust  umschwängern. 
Ich  kenne  dich.  —  du  wirst  die  Wege  geh  n 
Der  wahren,  wenn  auch  tiefen  Nacht  entgegen, 
Du  wirst  verschmähen  diesen  falschen  Tag, 
Weil  deine  Brust  sich  nicht  verdingen  mag 
Des  leeren,  schweissbedeckten  Goldes  wegen. 


106 


9. 

Du  wirst  mit  Würde  eig  ne  Wege  wallen, 
Um  Wahrheit  singen,  nicht  um  Goldgewinn! 
Du  wirst  nicht  buhlen  mit  der  Welt  Gefallen, 
Du  giebst  die  reine,  ganze  Seele  hin. 
So  muss  es  kommen,  dass  man  sie  zertrümmern 
Wie  andre  wird,  und  du  zu  jenen  gehst. 
Die  in  den  langen,  dunklen  Gassen  wimmern. 
In  denen  du  an  meiner  Seite  stehst. 

10. 

Du  siehst  mich  an  und  jene  drauf  und  weinest, 
Und  ki-ampfen  will  sich  deine  junge  Faust. 
Ich  weiss,  mein  Knabe,  fühle  M^as  du  meinest: 
Du  denkst  daran,  wie  oft  ein  Sturmwind  saust 
Daher  im  Liede  und  die  fade  Sippe 
Herunter  streift  vom  Körper  dieser  Welt. 
Du  fühlst  dich  mächtig  wie  die  starke  Klippe, 
An  der  Jahrhunderte  die  Fluth  zerschellt. 

11. 
Ein  schöner  Wahn!  —  Ein  Wahn,  dem  alle  leihen 
Ein  ernst  Gehör.     Wie  solltest  du  es  nicht? 
Man  mag  den  Jugendirrthum  dir  verzeihen, 
Du  hast  ein  thatenmuthiges  Gesicht. 
Doch  höre,  auch  der  Fels  im  weiten  Meere 
Vergeht,  höhlt  doch  der  Tropfen  schon  den  Stein. 
Und  sicher  toben  neue  Wellenheere, 
Wenn  jede  Klippe  wird  zerfallen  sein. 


107 


12. 
Der  Stärkste  fällt!  —  Da  hebt  der  treue  Jünger 
Das  Lockenhaupt  und  spricht  bethränt  und  heiss: 
Lass  mich  nur  kämpfen  wie  ein  kühner  Ringer, 
Nicht  um  des  Oelbaum's  duffgen  Siegerpreis,  — 
Ich  will  nur  fallen  so.  wie  alle  fielen 
In  Nacht  und  Dunkel  für  der  Menschen  Heil. 
Die  üeberzeugung  siegt.  —  Den  Todespfeil 
Im  Herzen  will  ich  Götterfreuden  fühlen. 

IS. 
Kannst  du  entsagen,  Jüngling?!  —  Singe,  dichte! 
Das  ist  der  Muth,  den  wir  anjetzt  bedürfen.  — 
Die  Dichter  sind  die  Thränen  der  Geschichte, 
Die  heisse  Zeiten  mit  Begierde  schlürfen.  — 
Ström'  aus  dein  Herzblut!  Auf  die  saud'gen  Flächen 
Der  Wüste  ström'  es  hin  mit  festem  Muthe, 
Und  ohne  Jammer  lass  dein  Auge  brechen. 
Wenn  auch  kein  Gräslein  schiesst  aus  deinem  Blute.  — 


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XIII. 

1. 
oo  müssen  wir  ihn  denn  gewälireu  lassen. 
Hier  hilft  kein  Warneu.  denn  er  ist  gewarnt. 
Der  heilge  Wahnsinn  hat  ihn  ganz  umgarnt, 
Und  nirgend  kann  der  Nüchterne  ihn  fassen. 
Er  geht.  —  Schon  schwebt  er  weit  in  stolzen  Höhen, 
Kaum  noch  erblickt  mein  menschliches  Gesicht 
Die  Flügelfedern,  die  im  Winde  wehen. 
Verflieg'  im  All',  im  weiten  All  dich  nicht! 


Kehr'  um!  die  Sohlen  deiner  Füsse  hefte 

An  diese  Welt  mit  fieberhafter  Hast, 

Aus  ihr  entsteigen  alle  deine  Kräfte. 

In  jenem  Räume  kommt  der  grause  Gast 

Der  Nacht.    Des  Wahnsinns  Wahn  steigt  aus  der  Höhle 

Des  Nichts  und  spricht  zu  dir  mit  süsser  Stimme. 

Du  folgst  mit  dursfger.  ewig  trockner  Kehle. 

Und  wie  sich  auch  vor  Schmerz  dein  Körper  ki'ümme. 


109 


3. 

Er  reisst  dich  mit  liinab.  er  stiiimt  hinauf. 
:Mit  eins  durchbraust  er  alle  fernsten  Weiten. 
Du  rennst  die  Stirn  im  grausen  Wahnsiunslauf 
An's  Thor  des  Kichts,  und  an  den  Ewigkeiten 
Prallt  ihr  zurück.    Es  lacht  der  Geist  und  schmettert 
Hinauf,  hinab  dich  in  gewaltgen  Sprüngen. 
Ein  Heer  von  Weltenmaden  aber  Idettert 
An  dir  hinauf,  die  alles  dir  durchdringen. 

4. 
Du  schüttelst  dich,  sie  bleiben.    Deine  Stirne 
Deckt  Schweiss,  dein  Auge  brennt,  du  weinst  mit  Beten, 
Du  fühlst  ein  stechend  Weh  in  deinem  Hirne. 
Du  willst  den  Weg  zum  Erdenball  betreten. 
Still,  schweigend  schleichen  aus  den  kalten  Räumen.  — 
Du  irrst,  —  der  Geist,  der  Geist  hält  deine  Hand, 
Er  sagt  zu  dir:  „Mein  Freimd.  mein  Freund,  wir  träumen. 
„Ich  bin  nicht,  du  nicht,  alles  ist  nur  Tand. 

5. 
„Du  schaust  mich  an!  —  Du  nicht,  du  bist  nicht  du. 
„Ich  bin  nicht  ich.     Das  All  ist  nicht  das  All. 
„Wo  willst  du  hin,  wo  geht  dein  Streben  zu? 
„Du  steigst  hinauf  und  fürchtest  jähen  Fall? 
„O  fürchte  nichts,  hier  giebfs  kein  Steigen.  Fallen. 
„Hier  ist  nur  das.  was  du  bist,  was  du  nie 
^Erfassen  wirst.    Hier  hebt  die  schwarzen  Krallen 
„Ein  Ding,  was  du  nicht  kennst,  was  du  nicht  messen. 


110 


„Noch  schauen  kannst.  Ein  urgeheimes  Ding. 
„Nicht  urgeheim,  auch  nicht  ein  Etwas,  dessen 
„Etwas  du  fassest,  nicht  zu  gross,  nicht  zu  gering, 

6. 
„Nicht  einmal  nichts  für  dich."    Er  lacht  und  liöhnt. 
Sein  Opfer  aber  athmet  schwer  und  stöhnt. 
Es  fasst  nach  Halt,  es  fällt  —  es  fällt  —  es  fällt  — 
In"s  Haus  der  höchsten  "Weisheit  dieser  Welt, 
In's  Irrenhaus!  — 

Selin  indessen  fülilt 
Den  fremden  Strom,  der  aus  dem  All  sich  wühlt 
Und  unbekannt  um  seine  Schläfe  weht,  — 
Er  weicht  zur  Erde,  eh"  sie  ihm  vergeht. 

7. 

Bald  also  steht  er  in  den  eig'nen  Grenzen. 
Bemüht  zu  schaffen  aus  sich  selbst  sein  Lied. 
Er  sieht  ein  klares  Ziel  vor  Augen  glänzen. 
Und  ihm  zu  nahen,  ist  er  treu  bemüht. 
Vergang'ner  Völker  hohe  Heldenthaten 
Verfolgte  er  mit  Ruh'  und  stillem  Fleiss 
Und  legte  in  den  Busen  Saat  auf  Saaten. 
Und  Knospen  trug  manch  frisch  genährtes  Reis.  — 

.8. 
Doch  wehe!     Bald  gesellt  sich  zu  dem  Streben 
Die  Hoffnung  wieder,  und  wo  Hoffnung  ist. 
Da  muss  es  jähen  Sturz.  Enttäuschung  geben. 


111 


Vergiss.  wovon  du  ausgegangen  bist, 
Vergiss  es  nicht.     Kehr  stets  von  deinen  Zügen 
Auf  deinen  Fels  der  Hoffnungslosigkeit, 
Sonst  stürzest  du,  eh'  deine  Banner  fliegen, 
Eh'  du  zum  Kampfe  und  zum  Tod  bereit. 

9. 

Seht,  wie  ihm  ahnungsschwer  der  Busen  zittert, 

"Wie  strahlend  sich  sein  Blick  zum  Himmel  hebt, 

Als  habe  ihn  ein  Gottgedank'  umwittert, 

Den  er  zu  fassen,  zu  behalten  strebt. 

Sein  Inn'res  wallt  von  mächtigen  Gefühlen. 

Und  zuversichtlich,  selig  blickt  er  nieder. 

Wird  ihm  kein  Gott  das  falsche  Feuer  kühlen? 

Er  glaubt.  —  beim  Zeus,  er  glaubt  an  seine  Lieder! 

10. 
O,  Schlangen  iln-!     "Wie  ihr  in  uns  euch  windet. 
Dass  euer  Schillerglanz  uns  schier  betäubt. 
Wie  ihr  uns  Urtheil,  Vorsicht,  alles  bindet, 
Euch  gegen  jede  Kette  funkelnd  sträubt. 
Ein  Schauer  fasst  uns,  uns're  Augen  leuchten. 
Und  lachen.  —  jauchzen  will  in  uns  das  Herz. 
Und  stolze  Thränen  uns're  Blicke  feuchten. 
Wie  Thau  zerschmelzend  auf  erglülitem  Erz. 

11. 

Und  ach!     Wie  er  beginnt  zu  dichten  wieder 
im  Geist,  in  unbestimmten  Phantasien.  — 
Da  steigt  vom  Himmel  ihm  das  Bildnis  nieder. 


112 


Das  ihm  der  erste  Jugendmutli  geliehen: 
„Ein  Dichter  sein  mit  Strahlenkranz  nnd  Krone, 
„Bei  dessen  Tönen  lauscht  die  ganze  Welt, 
„Sein  Sessel  schwergeballte  "Wolkenthrone. 
„Am  Firmamente  leuchtend  aufgestellt, 
„In  seiner  Brust  die  Sprache  jeder  Zone, 
„Von  dessen  Leier  Blitz  und  Donner  fällt."  — 
Bei  aller  Liebe,  sag'  ich,  heiss  verhüllen 
Das  helu-e  Bild  um  Deiner  Rettung  willen!  — 

12. 

0,  armer  Jüngling!  Wenn  Du  heisse  Quellen 
Im  Busen  trägst,  man  wii'd  sie  Dir  verschütten, 
Ein  Heer  von  Würmern  Du'  die  Wiu'zel  fällen 
Des  Baumes,  der  Du  bist.     An  Deinen  Schritten 
Wird  hangen  blasser  Neid,  unfähig  blasser, 
und  wird  von  keinem  Drange  sein  getrieben, 
Als  Dich  zurück  in  Deine  Nacht  zu  schieben.  — 
Nicht  Deiner  That.  nur  Deiner  Urki-aft  Hasser. 

13. 

Sprich  nicht!  —  Schweig  still!  —  Indess  du  schweigst  mit  nichten. 

Da  fällt  die  Schaar,  die  schaale  Schaar  Dich  an. 

Sie  rathen  Dir  mit  Würde  ab,  zu  dichten. 

Das,  sagen  sie,  ernährt  nicht  seinen  Mann. 

Du  staunst,  Du  sprichst  von  Dem,  was  Dich  beweget, 

Von  dem  Beruf,  der  Dich  zum  Kampfe  treibt. 

0!  nicht  nach  dem.  was  Deine  Seele  heget, 

Man  schätzt  nach  dem,  was  Dir  im  Beutel  bleibt. 


113 


14. 

Du  dichtest  und  Du  flutliest  Deine  Liebe 
Hinaus  in  Treuen,  denn  Dein  Herz  ist  rein. 
Ob  auch  in  Dir  kein  Tropfen  Bkites  bliebe. 
Du  singst  um  Wahrheit,  nicht  um  Flitterschein. 
Was  fühlst  Du  nun,  wenn  Du  von  Deinem  Nacken 
Streifst  Dein  Gewand,  des  Bettlers  Blosse  deckend. 
Und  dieser  spricht,  sich  höhnisch,  hämisch  reckend, 
Indem  es  seine  rohen  Arme  packen: 

15. 
„Was  giebst  Du  mir  den  Lumpen  für  die  Glieder, 
„Der  nicht  nach  Mode  ward  und  Kunst  gefügt? 
„Hier  hast  Du  Deine  lump'ge  Gabe  wieder, 
„Die  meiner  Armutli  nicht  und  Noth  genügt."  — 
Du  fühlst,  wieviel  Du  giebst.  Du  giebst  Dein  Leben, 
Dein  Höchstes,  und  Du  bist  zum  Tod  verletzt, 
Siehst  Du  Dein  Blut  an  andrer  Sohlen  kleben 
Und  Dein  Gewand  besudelt  und  zerfetzt. 

16. 
Wohl  wissen's  Deine  Feinde  so  zu  machen. 
Dass  Du  nicht  weisst.  wo  hier  das  Recht  sich  findet. 
Ein  dumpfer  Schrei  sich  Deiner  Brust  entwindet. 
Du  könntest  weinen  und  Du  könntest  lachen, 
Nur  einzig  reden  nicht,  denn  Deine  Geister 
Sind  wirr  und  wissen  nicht,  wo  aus  noch  ein.  — 
Da  werden  Deine  Feinde  Deine  Meister 
Und  Deines  reinen  Liedes  Mörder  sein. 


114 


17. 

Ihr  saj^t:  „Warum  so  ernst  das  Ganze  nehmen? 
„Das  sind  pliantastisch  wikle  Elemente." 
Xuu,  wenn  man's  doch  so  ehrlich  meinen  könnte, 
Ihr  Herren,  wer  von  uns  muss  sich  dann  schämen? 
Ihr  habt  von  je  das  Opferblut  verhöhnet! 
Wollt's  oder  nicht,  mein  Wille  ist  zu  fallen. 
Willkommen  sind  mir  eure  feigen  Krallen,  — 
Schlagt  ein!  ich  habe  mich  mit  euch  versöhnet. 

18. 

Nicht  so  Selin.    Er  knicket  jäh  zusammen.  — 
Dat5  hat  sein  schlimmstes  Ahnen  nicht  gedacht. 
Er  fühlt  verflackern  seines  Busens  Flammen. 
Bis  sie  ein  Windhauch  wieder  neu  entfacht. 
Und  bald  beginnt  er  suchend  mit  den  Augen 
Zu  forschen,  wer  für  seines  Herzens  Schlag, 
Für  seines  Busens  Fülle  möchte  taugen.  — 
So  sucht  er  denn  vergebens  Tag  um  Tag. 

19. 
Und  wie  sie  alle  kalt  vorüber  schritten, 
Schien  er  sich  selbst  dem  ärmsten  Bettler  gleich.  — 
Dann  aber  wieder  ging  mit  Königstritten 
Er  durch  sein  eignes  selbstbeherrschtes  Reich, 
Besah  sich  rings  die  herrlichen  Paläste 
Und  im  Smaragd  der  Quelle  reine  Pracht,  — 
Er  gab  sich  selbst  betrachtend  Götterfeste 
Und  machte  so  zum  Tag  die  dunkle  Nacht. 


115 


20. 

Doch  wenn  er  dann  von  neuem  trat  ins  Freie 
Und  in  den  Kreis  der  armen  AVeit  hinein, 
Und  alles  sich  mit  wüthendem  Geschreie 
Verfol<?te.  schlug  und  wollte  Sieger  sein. 
Und  wenn  er  dann  des  Siegers  Krone  suchte. 
Da  wars  ein  gleissendes.  gemeines  Ding. 
Darum  der  Bruder  seinem  Bruder  fluchte, 
Und  der  Verbrecher  dort  am  Galgen  hing. 

21. 

Da  schien's,  als  hab"  er  eher  keine  Rechte, 
Zu  wülilen  in  den  Schätzen  seiner  Brust, 
Bis  der  geringste  aller  Mammonsknechte 
Geniessen  könnte  die  geweihte  Lust. 
Dann  warf  er  aus  den  Thüren  seiner  Welten 
Viel  neue  Schätze  in  der  Menschen  Pfad 
Und  musste  sehen,  wie  mit  grausem  Schelten 
Der  Menschentross  von  neuem  sie  zertrat. 

22. 

Genug!    Das  presste  seinen  Kampfmuth  nieder. 
Verhüllte  ihm  sein  sonst  so  klares  Ziel. 
Bald  war  er  wie  vor  wenig  Zeiten  wieder 
Des  Weltenschmerzes  ruderloses  Spiel. 
Verloren  lag  der  Kompass  in  den  Wellen, 
Zerrissen  flog  das  Segeltuch  im  AVind. 
Verstopft  von  neuem  waren  alle  Quellen 
Der  Klarheit,  und  er  schwäcliHch  wie  ein  Kind. 


8* 


116 


23. 

Er  Hess  die  Arme  matt  herniederfallen. 

Zur  thatenlosen  Klage  nur  bereit. 

Er  Hess  die  Woge  schalten  nach  Gefallen 

Und  schwamm  dahin  in  dumpfer  Müdigkeit. 

Da  griff  er  sehnend  nach  der  Göttin  Leier,  — 

Sie  röchelte,  sie  klirrte  ohne  Sinn. 

Und  gTaufeucht  fiel  ein  schwerer  Nebelschleier 

Vom  Himmel  über  seine  Lieder  hin. 

24. 
Dem  Dichter  Heil,  der  noch  in  Thränen  dichtet. 
Denn  zu  ertragen  ist  sein  herbstes  Weh, 
Doch  wehe  jenem,  dem  um"s  Haupt  sich  schichtet 
Die  schwarze  Xaclit,  ein  ungeheurer  See. 
Der  wogt  und  wächst  und  bindet  sich  und  theilet 
Und  (luillt  und  drängt  in  ewig  neuer  Nacht. 
Durch  den  nur  hie  und  da  ein  Funke  eilet. 
Der  ihm  nur  immer  neues  Leid  entfacht. 

25. 

Wie  Avand  er  sich  und  wollte  schrei'n  im  Schmerze 
Und  wusste  doch,  je  mehr  sein  Inn'res  schrie. 
Je  mehr  nur  dient  er  jener  Schaar  zum  Scherze. 
Die  um  ihn  her  in  fetter  Zucht  gedieh. 
Die  Laute  schwieg.     Das  war  des  Elends  Ki-one.  — 
AVas  man  ihm  anthat.  Idelt  sein  Herz  füi-  Schmach, 
So  plagt  er  selber  sich  mit  biss'gem  Hohne. 
Indess  sein  Herz  in  herbem  Elend  brach. 


117 


26. 

Und  immer  weiter  von  dem  Sonnenliclik 
Hinweg  verlief  Selin  sich  in  die  Höhle 
Der  Finsternis.    Ein  geiferndes  Gezüclite 
Umringelte  verderblich  seine  Seele. 
Die  falsche  Selbstverachtung  wälzte  l^ei'ge 
Auf  seineu  Muth,  und  der  Gedanken  Schaaren. 
Vergebens  kämpfend  wie  mit  Riesen  Zwerge. 
Vermehrten  niu'  die  schi-ecklichen  Gefahi'en. 

27. 
Je  finstrer  sicli  die  schweren  AVolken  ballten. 
Je  scheuer  ward  Selin.    Da  sclioss  ein  Blitz 
Hervor  mit  donnernd  feurigen  Gewalten 
Von  Jovis  himmelhohem  Göttersitz. 
.,Hass  oder  Tod!"     So  rief  Selin.  die  Locken 
Im  Winde  flogen,  glühend  ging  sein  Hauch. 
Und  vonvärts  lief  er.  ohne  je  zu  stocken. 
Mit  gelleu  Eufen  durch  den  schweren  Rauch. 

28. 

„Hass  oder  Tod!"     Er  stand  am  Meeresstrande. 

Die  Welle  gurgelte  und  fi-ass  im  Kies, 

Der  Mond  entglomm  dem  düstren  Wolkenrande, 

Beleuchtend  ein  verlornes  Paradies. 

Selinens  Busen  schwoll  von  Höllenguthen, 

Er  nahm  die  Laute  in  die  heisse  Hand 

Und  warf  sie  fluchend  an  die  Felsenwaud.  — 

Die  Trümmer  fielen  tönend  in  die  Fluthen. 


118 


29. 

Da  stieg  die  Muse  aus  dem  Silberschleier 
Des  Mondes.    Ruhig  stieg  sie  in  die  See 
Herab  und  suchte  der  zerschlagnen  Leier 
Verstreute  Trümmer.    Ihres  Busens  Schnee 
AVar  thränenfeucht.     Ein  langer  Blick  der  Trauer 
Fiel  auf  Selinen.    Dann  in  lichtem  Schimmer 
Schwand  sie  entsteigend.    Eiue  Wolkenmauer 
Bedeckte  sie,  entzog  sie  ihm  für  immer.  —  — 

30. 

Und  wollt  ihr  wissen,  wo  Selin  geblieben, 
So  fragt  der  Winde  und  der  AVellen  Schaar. 
In  die  er  seinen  letzten  Brief  geschrieben. 
Greift  in  der  Wogen  schimmernden  Talar 
Und  hebt  ihn  auf!  ~  Darunter  wird  er  schlafen, 

Der  einen  Kampf  begonnen,  panzerlos. 

Schlecht,  könnt  ihr  sagen,  waren  seine  Waffen. 
Doch  war  sein  Muth  und  seine  Liebe  gross. 


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