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TELL UND GESSLER
SAGE UND GESCHICHTE.
i^üC.k
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TELL UND GESSLER
IN
SAGE UND GESCHICHTE.
J
NACH URKUNDLICHEN QUELLEN
VON
RL. ROCHHOLZ,
PROFESSOR, MITGLIED DER DEUTSCHEN SPRACUGBSBLLSCHAFT ZV BERLIN,
DBS GELEHRTEN-AUSSCHUSSES AM GBRMAN. MUSEUM ZU NÜRtfBERG, DER GBSCHICHTS*
PORSCHENDEN VBRBINB IM AARGAU, ZV ULM UND OBERSCHWABBN.
4 .
HEILBRONN,
VERLAG VON GEBR. HENNINGER.
1877. c , .
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Rechte vorbehalten.
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VORWORT.
Die Namen Teil und Gessler sind geschichtlich unvereinbar ;
denn jener bezeichnet eine schon dem frühesten Mittelalter be-
kannte, über Europa hinausreichende Mythe, dieser aber erscheint
erst in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts und gehört ledig-
lich dem Schweizerkanton Aargau an. Hätte es nun aber dem
Zufall dennoch einmal beliebt gehabt, beide Namen zusammen in
die Schweiz zu versetzen und sie da an zwei zeitgenössische
Geschlechter zu vertheilen, so fiele hier gleichwohl keinem der
beider! diejenige Rolle zu , die man sie geschichtlich spielen
lässt, weil ihrer keiner hier jemals der politische Gegner des an-
dern oder gar dessen Opfer geworden ist. Dies steht nun fest
durch eintausend Urkunden aus der Familiengeschichte der schweiz-
erischen Gessler und eben so fest dadurch, dass der Name dessen,
der* da einen Vogt Gessler erlegt haben solle, auch nicht in
einer einzigen Urkunde verlautet. Somit wird durch die Ge-
schichtsforschung Gessler aus der Tellensage erlöst, sowie durch
die Sagenforschung Teil aus dem Gebiete der Geschichte ausge-
wiesen. Teil wird aus dem politischen und kirchlichen Credo ge-
strichen,' Gessler ebenso aus dem historischen Aberglauben des
Volkes und der Lesewelt. Und ist das Schicksal aller schweiz-
erischen Gessler durch ihre Stammtafel darin sicher gestellt, dass
ihrer keiner als das Schlachtopfer eines wirklichen oder eines
loss sogenannten Teil je erscheint, so ist die widersinnige
j 'Gärung einer Naturmythe mit einem politischen Abenteuer ent-
,eckt und die bisherige Zwillingsschaft Tell-Gessler hat ein Ende.
1 Diese bisher verabsäumt ' gewesene Seite der Untersuchung
ird in vorliegendem Werke begonnen und beendigt. Seine erste
' \
VI Vorwort.
Hälfte erforscht die Substanz der Teilensage, gehört der ver-
gleichenden Mythologie an, hat von diesem Fache gewürdigft zu
werden und begiebt sich darum einer eignen Bevorwortung. Ueber
seine zweite Hälfte hingegen, welche der speciellen Geschichts-
forschung angehört und hiefür eine nicht geringe Anzahl Urkunden
erstmalig zum Vorschein bringt, sei uns eine kurze Notiz ge-
stattet. Dieser Theil ist nemlich zumeist das Ergebniss eines seit
nun vollen vierzig Jahren andauernden Studiums der an unserm
Wohnorte aufgestellten Zurlauben'schen Handschriftensammlung.
Ueber ihren Umfang genüge die Bemerkung, dass schon die eine
Abtheilung der Helvetischen Stemmatographie 120 Foliobände,
diejenige der Acta Helvetica ebenso 186, die der Miscellanea
IG Folianten stark ist, u. s. w. Sie stammt her von dem ge-
lehrten General Beat Fidel von Zurlauben aus Zug, f 1799, den
wegen dieses ausserordentlichen Familienbesitzes Joh. v. Müller
den König der Schweizergeschichte zu nennen pflegte. Ausser
diesen Handschriften haben wir für die Geschichte des Gessler-
geschlechtes sämmtliche Archive des Aargau's (die der Klöster,
Stifte, Städte und des Staates), sodann ebenso die Staatsarchive
zu Luzern und zu Zürich ausgebeutet und das factische Ergebniss
unsrer Fundstücke in vorliegendem Werke zur übersichtlichen
Darstellung gebracht. Die gesammelten Gessler-Urkunden selbst,
welche von 1250 bis 1513 reichen, also var Entstehung der
Schweizerbünde beginnen und nach dem letzten Kriege der Eid-
genossen gegen das Reich schliessen, beabsichtigen wir in einem
besonderen Bande nachträglich zu veröffentlichen, und mit ihnen
möge alsdann hadern, wem es etwa missfiele, dass wir uns 'zu
ihrem Organ gemacht haben.
h.
I
INHALT.
' Erste H&lfte.
Der Sagenkreis von Teil.
S«ite
I. Die Natunnythe und die historisch gewordene Sage 3
II. Bogen und Pfeil. Apfel, Nuss, Ring und Münze. Freischützen und
Weitschüsse 20
III. Die Eigil- und Tokosage in Skandinavien und die Sage von der Ein-
wanderung der Schweizer aus Schweden 49
IV. Teilsagen der Inselschweden und Ehsten. Sage vom Apfelschuss und
der Tellenplatte bei Finnen und Lappen 83
V. Punker und Teil als Zauberschützen 95
VI. Die Vogts- und Schlosssage von Schwanau in Schwyz 117
VII, Die drei Teilen am Rütli und die drei Zauberschläfer im Azenberge 125
VIII. Geschichte der drei Tellskapellen 143
1. Die Kapelle zu Bürglen in Uri 143
2. Die Kapelle auf der Tellenplatte und die Sprungsage . . . 159
3» Die Kapelle an der Hohlen Gasse bei Küssnach 170
IX. Drei Tellenlieder von 1477, 1672 und 1633 180
X. Die Tellenschauspiele ^in der Schweiz vor Schiller 200
1. Das Umerspiel ••...... 208
2. Etter Heini von Jak. Ruoif 213
3. Henzi's Grisler und Miferre's Teil 230
4. Teilenschauspiele von Bodmer, Zimmermann, Petri und Ambühl 245
XI. Teil als Personen- und Ortsname 270
1. Der Mannsname Teil urkundlich in deutschen und fremden
Sprachen 270
2. Urkundliche Namensfälschungen zur Stütze eines historischen
Wilhelm Teil 275
3. 1^ und Däle, die Bergföhre 287
4. Teil, der Theil 290
5. Dali und Teil, Thal und Bucht 291
6. TcU der Dümmling 302
Vin Inhalt.
Zweite Hälfte.
Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
Seite
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler als schweizer Bauern, Ritter,
Landvögte und Mediatisirte, von den Jahren 1250 — 15 13 . . . . 313
1. Die Gessler von Meienberg 1250 — 1369 , 313
2. Die Gessler von Meienberg und Grüningen 1370 — 1403 . . . 332
3. Die Gessler von Brunegg 345
4. Die Gessler seit Eroberung des Aargaus. 141 5 355
5. Der Gesslerischen Erben Fehde gegen die Schweiz 1446 — 15 13 372
II. Die Gessler als schweizer Bürger und Bauern bis heute 385
III. Verzeichniss der in Deutschland ansässigen Gesslerischen Linien . . 401
IV. Konrad Gesslers apol^ryphe Schweizerchronik 420
V. Staufachers Haus zu Steinen und die hl. Kümmemisskapelle . . . 433
VI. Zwing-Uri 447
VII. Melchthals Blendung 456
VIII. Gesslers Hut auf der Stange 463
IX. Bertha die Bruneggerin 479
X. Die Mordnacht zu Rapperswil 1385 484
I.
DER SAGENKREIS VON TEIL
Roch holz, Teil und Gessler.
L
Die Naturmythe und die historisch
gew^ordene Sage.
Ich wil dir guote msere sagen;
Hin sont wir den winter iagen.
Vorstehender Spruch stammt aus dem grossen Spruchgedichte
vom Schachspiel, das Konrad von Ammenhausen als Leutpriester
zu Stein a/Rh., Kanton Schaffhausen, im Jahre 1337, verfertigt hat.
Mit der Frühlingsverkündung wird hier gleichzeitig zum Ausjagen
des Winters aufgefordert und der Kampf der zwei Jahreszeiten dar-
gestellt, in die das alte Jahr sich theilte; denn unser Sommer-
beginn war ehedem schon auf den Vorfrühling angesetzt, darnach
nennt man am Mittelrhein den ersten Sonntag im März den
Sommertag und die dabei festlich umsingenden Kinder die
Sommerkinder. Von den Fasten an bis Pfingsten begeht unser
Volk Feste, die in gleicher Wiederkehr entweder den Sieg des
Lichtes über das Winterdunkel darstellen (Zweikampf mit dem
Winter, dem Drachen, dem Bären, dem Wilden Manne, der
Räuberbande, dem Landesfeinde), oder welche die Wiederver-
einigung mit der geraubt gewesenen Geliebten feiern (Maibraut,
Errettung einer Prinzessin, Vermählung eines Götterpaares), so
dass der Frühling bei uns entweder als streitbarer oder als lieben-
der Gott auftritt und in beiden Fällen der siegreiche bleibt. Ge-
meindeweise , in festlichem Waffenschmucke , zieht da Jung und
Alt in die Wälder hinaus, dem Frühling entgegen, »weckt ihn
hinter den Hecken, holt ihn ein, empfängt ihn« (wie dies alles
das Kinderlied besagt), und führt ihn in Gestalt der Maikönigin
auf dem frischgehauenen Wagen bekränzt ins Dorf zurück. Gleich-
!♦
A I. Der Sagenkreis von Teil.
zeitig aber vertreibt man den Winter mit Waffengewalt, schlägt
ihn in die Flucht, nimmt ihn gefangen, spricht ihm das Urtheil,
lässt ihn blenden (»stecht dem Winter die Augen aus!«), in den
Bach werfen, in's Loch karren, oder in Missgestalt einer zerfetzten
Strohpuppe verbrennen. Der Winter hat dabei die Rolle des
bärenstarken Riesen, aber sein dickhaariges Fell schützt nicht vor
dem Lichtgeöchoss des Frühlings, der ihn mit dem Kinderbogen
oder mit dem Feuergewehr verfolgt. Jener wohnt verschanzt in
der Schneeburg, im Felsenschlosse oder in der Räuberhöhle ; alle
erstürmt und bricht der Lenz. Beide sind altmythische Personifi-
kationen der beiden sich ewig bekämpfenden Jahreshälften. Uralt
und gewaltig an Umfang sind die Sagen und Bräuche, die sich an
diesen Zweikampf knüpfen; doch unser hier vorliegendes Thema
gebietet Selbstbeschränkung, und da dasselbe zunächst vom
schweizerischen Teil handelt, so sollen auch nur schweizerische
Bräuche es erläutern helfen, solche, in denen der Winter die Rolle
des Burgvogtes Gessler, und der Sommer die des Schützen Teil
spielt.
In verschiedenen Dörfern des Kantons Freiburg und des Waat-
landes baute man für den ersten Sonntag im Mai ein bretternes
Schloss und umgab es mit Wall und Graben. Die Knabenschaft,
in zwei Haufen getherlt, bildete dessen Vertheidiger und Angreifer.
Auf ein gegebenes Zeichen schritten die Belagerer zum Sturme,
indem sie das Lied vom Liebesschloss anstimmten:
Chiteau d'amour, te veux-tu pas rendre?
Veux-tu rendre, ou tenir beau?
Die Belagerer trugen zwar Alle Rosen auf dem Hute, ihre
Piken und Hellebarden hatten statt des Eisens nur grüne Zweige,
und dennoch setzte es Verwundungen und Beinbrüche ab, wenn
die auf dem offnen Umgang der Burg stehenden Vertheidiger die
Ersteigung zu hartnäckig verwehrten. Nach einigen Stunden des
Kampfes legte man Feuer ans Schloss, der Tag endigte mit Tanz
und Trinkgelage und die gefangene Besatzung hatte die Zeche zu
bezahlen. Die Bemer Regierung untersagte diese Scheihkriege
bei 5 Gl.. Busse ; dieses Verbot , das schon seit 1 543 bestand,
wurde indessen in abgelegenen Ortschaften nicht beachtet, und
noch zu Anfang des (achtzehnten) Jahrhunderts ist in der Nähe
von Echallens das Liebesschloss wieder erbaut und genommen
worden ohne einen widrigen Zufall.
I. Die Naturmythe und die historisch gewordene Sage. t-
Angenehmer und weniger gefährlich wurde derselbe Frühlings-
brauch in der Stadt Freiburg in Uechtland begangen. Die höl-
zerne Frühlingsburg wurde auf dem grossen Stadtplatze aufge-
baut, geschmückt mit hundertfältigen Verzierungen und Devisen,
ihre Vertheidigung war den schönsten Mädchen der Stadt und
der Umgegend anvertraut. In Feierkleidern schritt die Knaben-
schaft zur Berennung des Thurmes und der offnen Galerien. Aber
von beiden Seiten gab's keine anderen Waffen, als Sträusse,
Kränze und Laubgewinde; war diese Munition erschöpft und in
Thurm und Gang Bresche gelegt mit lauter FrühlingsfüUe , so
riefen die Trompeten das Zeichen zur Uebergabe, und das Schloss
pflanzte die weisse Fahne auf Nun begann man von beiden Seiten
die einzelnen Artikel der Kapitulation mit schalkhafter Genauig-
keit festzusetzen. Einer der Vertragspunkte war immer, dass jede
der* gefangenen Amazonen sich einen der Sieger aussuche, dem
sie das Lösegeld bezahle. Sie übergab ihm mit einem Kusse die
Rose aus ihrem Haare. Mit dieser Blume geschmückt, bestiegen
die Sieger ihre Rosse und durchritten unter Trompetenschall die
Strassen, indessen die Frauen in ihrem schönsten Putze in den
Fenstern standen, Rosenblätter auf den Zug hinabstreuten, wohl-
riechende Wasser ausgössen. So ging Alles unter den Augen der
Väter und Mütter vor, die gemessenste Sitte blieb beobachtet.
r
Die Nacht schloss mit Illumination und Ball. ^ Pierre Bridel,
Conservateur Suisse V, 425.
Die eben erzählten Festbräuche stützen sich auf eine ältere,
gemeindeutsche Sitte. Eine auf der Wartburg verwahrte -alt-
deutsche Tapetenstickerei, abgebildet im Anzeiger des German.
Museums 1870, No. 3, stellt in zwei Bildgruppen dar i) Maikönig
und Maikönigin zum Sturm reitend gegen die Winterburg, 2) Ver-
theidigung dieser durch den gekrönten pelztragenden Winterkönig.
Die beiderseitigen Waffen sind Blumen und Sommerlatten, d. h.
Frühschösslinge. Erklärende Texte zu diesem Bilde hat man in
Adalb. Kellers Altd, Erzählungen, wo pag. 85 der Mey ein
grosses Turnier in die Lande entbietet und dazu gewappnet. auf
den Plan geritten kommt:
er fiiert in seiner hende
ein sp^r, was michel lank ^
und was eitel vögelin gesang.
Doch hier zur Stelle soll nur das dem helvetischen Boden
angehörende Material verwendet werden. Darum folgt die Er-
6 • I. Der Sagenkreis von TelL . '
Zählung eines geborenen Schaffhausers, welche ihrem Begebnisse
nach noch dem vierzehnten Jahrhundert angehört. Geiler von
Kaisersberg berichtet aus eigner Anschauung in seinem »Euangeli-
buoch«, Ausg. V, 1404, BL 2lb:
Da obnen im land, zu Keisersperg, Künssen, Amerschwiher
vnd wie sie dan heissen, es ist 52 iar, da ich es sah: da machten
sie ein bürg, ein bolwerk von beum^i vnd reiss, ein hoch dirig,
das hiesse ein weihenachtburg. So kamen dann die neben-
stettlin u. dörfer neben vmbher vnd zugen darfiir vnd gewunnen
es vnd Schüssen gegen inen mit büchssen^von papyr, vnd hatten
pfeilu. böltz gemacht von ruobenschnitzen, vnd hetten die bauren
also ein erbere freud mit einander; vnd wan es vss was, so, sassen
sie dann zesammen und assen u. trunken in aller zucht u.
erberkeit. Das was ir mumelspil. Vnd die reichen burgerss-
kind u. die edelen, die machtend ein sunderspil, sie richteten auch
vff ein weihnachthütt, da kamen junkfrauwen ü. frauwen u.
wolten es gewinnen, so wurffen sie gegen inen hübsche meylin
u. blüenüin u. zuckererbsen u. dessgleichen. Das ist ir mumel-
spil u. gat in erberkeit zuo.
Sieben Burgen des Winters müssen nach alt-indischem Glauben
gebrochen werden ; das sind die sieben von Oktober bis Mai
dauernden Wintermonate; und mit Pfeilen müssen sie beschossen
werden; das ist nach griechischer Mythe des Regenbogen-Gottes
ApoUon Blitzpfeil , der im Winter bei dem sagenhaften Volke der
Hyperboreer aufbewahrt ist und im Sommer wieder zum Schützen-
gotte zurückkehrt. Schwartz, Volksglaube, 66. So rücken auch
an der Küste von Malabar die Eingebornen zum Frühlingsfeste
gegen einander zu Felde und beschiessen sich mit hölzernen
Pfeilen. Dies Scheingefecht hat schon Fra Paolino beschrieben:
Reise nach Ostindien, übersetzt von Forster, S. 362.
Bei uns waren die Maispiele die Vorläufer der Schützen-
feste, die Maikönigin wurde darum aus jenen in diese herüber
versetzt. Das Pfingstfest 1285 feierten die Magdeburger durch
eine ritterliche Tafelrunde, wobei ein Mädchen dem Sieger zum
Preise gesetzt war, und abermals 1387 hielten sie einen grossen
»Schützenhof«, ein Bogenschiessen ab, wobei ein Bürger aus
Aschersleben das Mädchen gewann. Freytag, Bilder II. 2, S. 299.
Nach dieser kurzen Zwischenbemerkung kann die Beschreibung
der schweizerischen Frühlingsfeste ununterbrochen fortfahren.
Der Bauer Jost von Brächershausen berichtet in seiner 1653
I. Die Natunnythe und die historisch gewordene Sage. j
Über den Bauernkrieg verfassten Chronik: Die Dörfer Wfningen
und Affoitern im bemischen Emmenthale hielten zur Maienzeit
einen Schimpfkrieg ab und scharmuzierten in zwei Reiter-
geschwadern gegen einander auf dem Oberfelde. Nach dem
Kampfe zog man paar um paar, je ein Wininger und ein Affol-
temer beisammen, ins Dorf zurück, wurde da vom Ammann mit
einer Rede bewillkommt und kostenfrei bewirthet. . Ueber acht
Tage nachher ergieng es dann zu Affoitern ebenso. Melch. Schuler,
Sitt. u. Thaten etc. 3, 367.
Das Wildemanns -Spiel in den Dörfern des Oberwallis liegt
in der Hand der dortigen Dorfknabenschaften und wird um die
Fasnachtzeit aufgeführt. Kirchdorf und Ausdorf, Ober- und
Unterviertel parteit sich lange und ernsthaft voraus, wer diesmal
die Rolle des Wilden Mannes vergeben, die Festpolizei handhaben
und den Gerichtshof besetzen daff. Ist man hierüber durch Stim-
menmehr einig geworden, so wählt eine Partei das unzugänglichste
Versteck im Bergwalde, die andere sucht es mit gleichem Scharf-
sinn schon vor der Zeit zu entdecken. Am festgesetzten Spiel-
tage erscheint der gefürchtete Wilde Mann unter der versammelten
Menge am Dorfplatze, ein hohes haariges Ungethüm. Von Kopf
bis zu den Füssen ist es in die Pelze der braunen Bergschafe
gewickelt, fiir die Länge des Bartes allein hat mancher Geisbock
das Leben lassen müssen. Plötzlich bestiehlt der Wilde einen ins
Staunen verlornen Zuschauer und entrinnt behende zu Berge in
den Schlupfwinkel. Die Hetze beginnt. Von Parteigeschrei,
Pistolenschüssen, Spitzbubenpfeifen durchschallt der Berg, dass die
Tannen ihre Schneewipfel schütteln. ^Mehrere male wagt sich der
Verfolgte in den Gesichtskreis der Gegner, beschleicht Einzelne
und ringt siegreich mit ihnen. Von der Mehrzahl überwältigt,
wird er an Händen und Füssen gebunden ins Dorf zurückgebracht.
Von einem Gerüste herab verliest ihm das Gericht sein Sünden-
register (das jedoch andern, wohlbekannten Gemeinde -Sündern
gilt) und verurtheilt ihn zum Spiessruthenlaufen. Er ist unter
seinen Schaf- und Ziegenfellen schon vorsorglich ausgepolstert,
um nun fünf- bis zehnmal durch die Gasse zu laufen und gegen
alle Hiebe von Gerten oder Stricken unempfindlich zu bleiben.
Nach der Exekution wird er unter herzzerreissendem Geheule von
den Bütteln ins Gefängniss abgeführt, dies ist aber für heute das
Wirthshaus mit dem Trinkgelage für Alle.
Im Bemerlande pflegt gleicher Weise um dieselbe Jahreszeit
8 !• I^er Sagenkreis von TelL
der Moosmann, Mieschma, die Ortschaften zu durchziehen, ein in
Moos und Rinde vermummter Mann, der eine junge Tanne hinter
sich drein schleift. Er geht trotz aller Winterkälte in blanken
rothbebänderten Hemdärmeln, denn er ist der Bote des Sommers ;
sein haariger Begleiter aber ist der zottige Bär, brummend an der
Kette, weil er ungern jetzt schon sich aus dem Winterschlafe auf-
geweckt sieht. Beide Figuren künden dem Lande den Hirsmon-
tag an, dessen alte Begehung einer besondern Schilderung bedarf,
bei welcher jedoch alles hierüber sonst schon Bekannte grund-
sätzlich hier weggelassen bleibt.
Die Feier des Hirsmontags , die in der luzemer Landschaft
Entlebuch einst ein grosses und durch Franz Jos. Stalder (Frag-
mente) ausführlich beschriebenes Volksfest war, hat nun dorten
und im übrigen Luzernerlande gänzlich aufgehört. Es war da-
selbst bis zum Jahre 1782 ununterbrochen alljährlich am Montag,
der auf den Sonntag der Alten Fasnacht folgt, begangen, dann
aber durch die Obrigkeit abgeschafft worden, weil sich dabei die
politische Satire der Bauern zu unbotmässig und 'unehrerbietig
auszulassen pflegte. Nachdem der, berittene Hirsmontagsbote
einer jeden Kirchgemeinde den Absagebrief verlesen- und den
Tag des gegenseitigen Kampfes anberaumt hatte, rückte Dorf
gegen Dorf bis zu einer Grenzmarke sich entgegen, die Ge-
meindefahne, Spielleute und Trommler voran. Front gegen Front
drückend, suchten sich beide Mannschaften im Chok zu durch-
brechen, ein Manöver, das der Schwung oder Stoss hiess. Die
siegende Fronte hiess die eidgenössische, die durchbrochene die
österreichische. 'Die Entleoucher behaupteten, dies Kriegsspiel
werde bei ihnen begangen zum Andenken eines Treffens am
Entlestutz, nächst der Brücke zwischen Hasle und Entlebuch, worin
sie gegen die Oesterreicher das Feld behauptet hätten. Der älteste
Beschreiber dieses Festes aber, Pfarrer F. X. Schnider von Warten-
see, dessen Geschichte des Entlebuchs bis zum Jahre 1 782 reicht,
bestreitet dies (Th. 2, 136), weil Oesterreicher niemals als Feinde
in diese Landschaft gekommen waren. Man bezog daher später
den Brauch auf einen Kriegszug der sogenannten Gugler, die
unter Ingram von Coucy, einem Enkel Herzog Leopolds L, in die
Schweiz einbrachen und 1365 in einzelnen zerstreuten Abtheilun-
gen sowohl im Berner- wie im Luzernerlande geschlagen wurden.
Nach dem hohen Kriegshute, den diese Schaaren trugen, war
auch der Gugelhut des Hirsmontagsboten hochgestülpt und mit
I. Die Nsiturmythe und die historisdh gewordene Sage. q
Füttern und kleinen Spiegeln überdeckt. Was in Entlebuch der
Hirsmontag war, hiess im Zugefrlande der Sprengmontag, in der
Stadt Luzern der Güdismontag, beides der letzte Montag in der
Fasnacht, als an welchem man die Thaler versprengt und
vergeudet. In der Stadt Luzern hielt man diese Feier veran-
lasst durch die Mordnacht daselbst, welche von den Chronisten
auf den 29. Juli 1333 angesetzt und von den luzerner Historikern
für ein Märchen erklärt wird. Am Festtage erschienen die Mit-
glieder der städtischen Schützengilde als Repräsentanten der ehe-
maligen Adelszunft, geharnischt und behelmt, gefuhrt vom Öster-
reicher Herzog, in dessen Trabantengefolge auch die Dirne eine
stehende Rolle hatte.*) Sie spielten die Partei, welche die an-
gebliche Mordnacht angestiftet haben sollte. Ihnen gegenüber
stand die Metzgerzunft, in Rotten eingetheilt, mit Hauptleuten und
Fahnen, und unter Zuzügern aus anderen Zünften. Jenje führten
zum Abzeichen die Pfauenfeder, diese das weisse Kreuz. Nach-
dem man zuvor den See in kriegerisch ausgerüsteten Schiffen
unter Mörser- und Musketenknall befahren und die Nachen der
österreichischen Partei überflügelt hatte, verfolgte man die Ent-
fliehenden ans Land und erreichte sie an der Hofhalde, wo sie
trotz ihres starrenden Lanzenwaldes abermals geworfen wurden.
Der Rückmarsch gieng auf die Zunftstuben zu Tanz und Schmaus.
Auch dieses Fest stockte seit dem vorigen Jahrhundert. Dass
dasselbe ursprünglich nicht politischen, sondern sittengeschicht-
lichen Ursprunges gewesen war, erweist die Angabe des luzemer
Chronisten Diebold Schilling: »von alter har ist ein jarlich vas-
nachtschimpf zu Lucern gewäsen uf ein geselschaft und trink-
stuben, genant zum Fritschi: die hand ein' strowinen man (Stroh-
mann), den sie in jrem Harnasch, mit allen geselschaften der statt,
mit eim venli, trummen , jarlich uff den Schmutzigen Donstag jn-
füerend.c Dieser Bruder Fritschi mit seiner Frau entspricht, wie
sogleich weiter zu melden ist, dem Züricher Kreidenglade und
dessen Frau Else, die daselbst jährlich ihren Fasnachtseinzug
hielten; und wie bei deren Erscheinen die Zürcherknaben bis
zum Jahre 1786 ihnen in Waffen entgegen zogen und sie ge-
fangen nahmen, so war mit dem luzerner Fritschi-Umzug bis zum
*) In der Festrechnung von 1689 ist sie unter den Einzelausgaben des
Tages zu 18 Schilling Lohn mit aufgezählt. Kas. PfyfTer, D. Kant. Luzern
I» 317-
lO !• ^^ Sagenkreis von Teil.
Jahr^ 17 12 eine bürgerliche Musterung und Hamischschau ver-
bunden gewesen. Businger, Luzern und Umgebung, S. 82.
Der Züricher 'Hirsmontag fiel auf den ersten Montag nach
Aschermittwoch. Er wurde zu Stadt und Land mit Lustbarkeiten,
Jagdübungen und Kriegsspielen begangen. Man gieng maskirt und
nannte dies in Böggen -Weise laufen. Die Hauptkomödie dabei
bildeten zwei Strohfiguren, der Kreidenglade und sein Weib Else.
Auf ein Rad gebunden, wurden sie von der bewaffneten Jugend
des zunächst Zürich gelegnen Dorfes Wiedikon an das Seeufer
der Stadt gefahren, um hier ins Wasser gestürzt oder auch ver-
brannt zu werden. Ihnen kam die Stadtjugend, gleichfalls be-
waffnet, vor die Thore entgegen gerückt und machte ihnen den
Eintritt! unter grossem Pulververbrauche und manchmal so hart-
näckig streitig, dass man noch in unsem Tagen alte Stadtbürger
sehen konnte, die als Jungen damals einäugig geschossen worden
waren. Derlei hatte ernstliche Misshelligkeiten zur Folge und die
Maskerade wurde obrigkeitlich verboten. Im Neujahrsblatt der
Zürcher Musikgesellschaft vom Jahre 1786 wird dieser verlornen
Jugenderinnerung also nachgeklagt:
Lustig trollten da voran
Auf dem bunten Rade
Else und ihr stroh'ner Mann,
Meister Kreidenglade.
Abends flammten Freudenfeuer,
Rauch und Funken ungeheuer.
, Heut zu Tag geht's anders her.
Keine Böggen sieht man mehr,
Eisens Herrlichkeit ist aus,
Kreidenglade bleibt zu Haus.
Man begegnet also auch hier der zum Tode bestimmten
Strohpuppe (in Oberbaiern »tiansl und Gretl«), von welcher schon
im Jahre 1460 das Missivenbuch der Stadt Solothurn berichtet:
»Also hat sich uf gester gemacht, daz die jungen gesellen ein
vasnachtspil angefangen und einem Schöbinman*) ein alt zerrissen
graw kutten angeleit haben, daran menglich ein gefallen genomen.«
Soloth. Wochenbl. 1846, 75. Dieselben Fasnachtspuppen führte
nach alter Berechtigung das Dorf Geisboltsheim jährlich in die
*) Schaub ist ein Bündel Stroh, sc hob in strohern.
I. Die Naturmythe und die historisch gewordene Sage. I|
Stadt Strassburg, sie hiessen da der Meier Bertschi und das Wilde
Weib; gleicherweise hiess auch die aargauische Fasnachtsfigur:
»Clewe Bertschi, auf einem Meierhof bei Aarau gesessen, ein
wunderlicher Speivogel« (Spassvogel).*)
Das andere Frühlingsfest der Stadt Zürich fällt auf den ersten
Montag nach der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche und heisst,
weil alsdann die Feierabendglocke wieder um Sechse geläutet wird,
das Sechseläuten. Seinen Ursprung verlegt man in jene Revo-
lution des vierzehnten Jahrhunderts, als unter Bürgermeister Brun
die zwölf untern Zünfte Zürichs die gleichen Rechte der bevor-
zugten Herrenzunft der ConstafTel sich errangen. Darum werden
an diesem Abende auf allen Zünften zum Rüden und Widder, zur
Wage und Safran Mahlzeiten und Beglückwünschungsreden abge-
halten. Ehedem sass man da mit epheubekränztem Haupte, trank
die ausgebrachten Gesundheiten knieend, indem man sechs Gläser
auf einem Kredenzteller hinter einander leerte, den Schaubecher
kreisen Hess und ihn zum Zeichen, dass er rite leergetrunken sei,
klirrend über die Silberknöpfe des Wamses strich. Gehamischt
durchzog die Metzgerzunft die Strassen, eine Löwenbüste, den
Eisengrim, und einen Maskenbären an der Kette mit sich führend.
Die Bärenhaut^ hieng dann während des Schmauses des »Licht-
bratens« zum Fenster heraus. Auch da liefen die Jungen in
Böggen- Weise von Haus zu Haus, läuteten und klopften an und
empfiengen Geschenke, um damit Pulver und Brennmaterial einzu-
kaufen. Die Mädchen, Mareieli genannt, brachten gruppenweise
ein Maibäumchen, an dessen Wipfel ein Glöckchen gezogen wurde,
vor die Häuser und sangen unter vielerlei Knixen das Frühlings-
lied ab, anfangend:
Der Sommer ist kommen, und das ist wahr,
Es grünet jetzt Alles in Laub und Gras.
Abends wurde ein Strohmann mit bemalten Backen und
pulvergefiilltem Bauche auf einem Wägelchen vor die Stadt hinaus-
gefahren, da auf einem Reisighaufen an die Frangerstange ge-
pflanzt und Schlag Sechse angezündet. Mit zahllosen Schwär-
mern und Raketen fuhr der Butzenmann in die Lüfte, indess die
Pistolen und Kinderkanonen hundertfältig drein krachten. Dann
*) Flögel, Geschichte der Hofnarren, pag. 496, citirt obige Stelle aus Pauli's
Schimpf und Ernst.
12 !• Der Sagenkreis von Teil.
wurde ums Feuer getanzt. Im Zusammenhange mit diesem Brauche
stand gleichzeitig der andere, dass man am Auffahrtstage die ge-
sammte Schuljugend zu einem Ausflug auf den Gipfel des Uetli-
berges mitnahm und droben bewirthen Hess, ein städtisches Her-
kommen, welches schon von Theodor Collin 1557 ^^ Lateinversen
besungen worden ist. Seit Beginn der zwanziger Jahre veranstal-
ten die Zünfte zum Sechseläuten prunkhafte Maskenzüge, bei
denen die Zahl der Mitwirkenden bis auf die Tausende anwächst.
Da erscheinen z. B. die Seefischer mit einem kolossalen Fische,
dessen Bauch an zuckernen Rechlingen unerschöpflich ist, sie
werden im Vorbeimarsche an die Zuschauer verschenkt. Brode
von ähnlicher Grösse bringen die Bäcker auf Triumphwagen ge-
fahren und streuen einen Regen jener Süssbretzen aus, genannt
Simmelringe, von denen es heisst, schon Karl der Grosse habe
sie zu backen der hiesigen Zunft anbefohlen. So kommt jede
Gruppe unter eignem Panner und mit ihren Spielleuten einher, die
einen in alter Kriegstracht mit Trommeln und Pfeifen, die andern
als Grenadiere »der alten Garde« ; schon der eine Zug dieser
Grenadiere allein zählte beim Feste im Jahre 1830 volle 1700 Mann.
Gehen wir nun zu den bescheideneren Festmitteln über,
welche zur selben Zeit die Kleinstädter und Dorfgemeinden auf-
bieten. Im oberen Freiamte des Aargaues kam es in den vierziger
Jahren noch häufig vor, dass sich bei fünf Gemeinden vereinigten,
unx den Hirsmontag mit militairischem Geräusche begehen zu
können. So zogen damals die dortigen Dörfer Merenschwanden,
Jonen, Muri-Wey, Muri-Langdorf und Bünzen gegen einander zu
Felde und lieferten sich ein Scheintreffen. Da schickte man sich
vorher reitende Boten zu, welche die Glocken des Kirchthurmes
oder den Geishirten ausgeliefert verlangten,, oder auf andern gleich*
ehrenrührigen Forderungen bestanden. Doch die chikanirte Ge-
meinde verweigert's und rüstet ; von ferne her entlehnt man Mörser
und Katzenköpfe und ergänzt dieses schwere Geschütz noch durch
Brunnenteuchel, in die man Gewehrläufe steckt. Mittlerweile
werden die Unterhandlungen in solchem Tone fortgesetzt, dass
die erst nur angenommene Erbitterung auf beiden Seiten sich in
eine wirkliche zu verwandeln droht, denn jede neue Note bringt
neue Sticheleien und treibt die Parlamentäre zu den lächerlichsten
Erklärungen. So wird denn die Schlacht unvermeidlich, welche,-
trotz der Holzsäbel und selbstgeschnitzten Armbrust der Knaben-
schaar, von soldatisch geschulten Männern geführt, oft ein ganz
I. Die Natunnythe und die historisch gewordene Sage. Ij
regelrecht geleitetes Manöver ist. Die kapitulirende Partei darf
zwar mit Waffen und klingendem Spiel abziehen, allein nur des
Weges zum Schmause ins Wirthshaus.
Die in Oberdeutschland und der Schweiz auf den i. Mai
fallenden Kinderfeste tragen den alten Namen Ruthenzug.
Unter Trommel- und Pfeifenschall wurde die Stadtjugend in die
nächstgelegene Waldung geführt zum Hauen der Maienbäumchen
und kehrte, nachdem man sich den Tag über mit Wett- und
Räuberspielen vergnügt hatte, in Laub gekleidet und frische
Ruthen geschultert tragend, des Abends nach Hause. Die Ruthen
wurden dann neben jedem Stadtbrunnen aufgesteckt. Wett-
schiessen nach einer hölzernen Gabelweihe, Dätsch-schiessen mit
der Armbrust (so in Zürich), Wettrennen auf dem Schützenplatze
mit darauf folgender Preisvertheilung u. A. knüpften sich freiwillig
mit an. Der Sommer-Empfang stand also hier im Zusammenhange
mit den wieder fliessenden Brunnquellen und den darauf gegrün-
deten städtischen Wasserrechten. Darum sind die Maifeste auch
Brunnenfeste. In Neustadt a. d. Hard in der Rheinpfalz hatte
ein auf diesen Tag eigens gewählter Obrist sammt seinen Adju-
tanten mit geschwungenem Säbel den Kinderzug dreimal um den
Marktbrunnen zu führen (Bavaria 4. Abthl. 2, 358), und denselben
Zweck hatte ursprünglich auch das Naumburger Kirschenfest,
sowie der andere Brauch gehabt, Strohpuppen ins Wasser zu
werfen, wie nachher noch erhellen wird. Bei Schulfesten drängt
sich der Pedantismus mit ein, und so bekamen denn am Ruthen-
zuge die Kinder das Geschäft, im Walde jene Plagmittel sich selbst
zu schneiden, die man dann das Schuljahr hindurch verwünschte.
So geschah's zu Basel am sogenannten Sommertag, wo nahezu
gar jeder männliche Einwohner sich in einen Trommler verwan-
delte und die Stadt durchwirbelte. Der Kirchenhistoriker K. R.
Hagenbach von Basel hat diese Sitte noch mitgemacht und in
einem Trommelliede bedichtet:
Und ist nun in der Fastennacht /
Der faule Lenz noch nicht erwacht.
So fallen wir vor Tag
Rombom, romboml ihm in das Reich
Und schlagen ihm den »Morgenstreich«,
Bis er es hören mag.
In der Stadt Winterthur begieng man den Zug in die
Reckholdern; auch hiebei galt ein Nützlichkeitszweck. Unter
JA L Der Sagenkreis von Teil,
Trommeln und Pfeifen giengs auf die altheidnische . Opferstätte
des Limberges hinaus, und hier hatte jeder Knabe eine Tracht
Wachholdersträuche zu hauen, die dann das Jahr über in Schule
und Haus zum unentbehrlichen Räucherwerk dienten. Troll, Ge-
schichte V. Winterthur 2, 63. In Ravensburg und Augsburg, wo das
Kinderfest gleichfalls Ruthenzug heisst, sucht man dessen ersten An-
lass in der Pestzeit des Schwarzen Todes, 1348, wie dieselbe Pest
auch als Entstehungsgrund des Münchner Scheflflertanzes ange-
geben wird ; in bairisch Aichach heisst dasselbe der Ritten und die
Rüden und wird auf die Schwedenzeit zurück datirt. In Dinkels-
• buhl und Nördlingen galt hiefiir der Name Die Stabe. Wie wenig
die hiebei versuchten historischen Erklärungen zureichen, erweist
die Schwarze Prozession zu Evreux, abgehalten daselbst schon
im zwölften Jahrhundert am schwarzen Sonntag, d. i. Sonntag vor
Judica, der eine Woche vor Lätare fällt. Anfänglich hatten hier
die Domherren, nachmals die Kaplane und Chorschüler am i. Mai
im nahen Walde Zweige zur Verzierung der Domaltäre zu hauen.
Sitte war es dabei, dass die aus dem Walde Heimkehrenden den
Leuten Kleie ins Gesicht warfen, während die Domherren über
den 'Gewölben der Kirche Kegel schoben, mit diesem Gepolter etwa
an die Frühlingsgewitter mahnend. Flögel, Geschichte des Gro-
teskkomischen, 170. Der gleiche Sonntag Lätare oder Mittfasten,
auf Mitte der Fastenzeit fallend, heisst in früher slavisch gewesenen
Landstrichen, aber auch am Main und Neckar, der Todtensonntag,
und das Werfen der Strohpuppe ins Wasser ist da das Tod-
austragen. Die mit der Puppe umziehenden Kinder singen oder
sagen den Wettstreit zwischen Sommer und Winter, worin hervor-
gehoben ist, wie der letztere am Zaune weht, im Wasser schwimmt,
den Strudel sucht.- Der epheubekränzte Frühlingsherr wirft schliess-
lich den Pelzmärtel oder Strohwittwer ins Wasser, die Nachbar-
- orte aber wollen ihn nicht über die Grenze lassen und werden
drum mit jenen Kindern handgemein. In deutsch .Mähren ge-
schieht dies zum Andenken an »die Vertreibung der Mongolen« ;
in böhmisch Schönfeld wird »der.Türk hinter die Stadt gejagt«,
in katholischen Orten der alte Judas verbrannt, in protestantischen
der Papst. Luther und Matthesius parodierten hiefür den alten
Kinderspruch also:
Nun treiben wir den 'Papst hinaus,
Durch unsre Stadt zum Thor hinaus, u. s. w.
I, Die Natürmythe und die historisch gewordene Sage. Ig
Wenn die Kinder zu Naumburg jährlich am 28. Juli auf die
Vogelwiese ziehen, um hier das Kirschenfest zu begehen, so heisst
ihr Festruf das Hussrufen und das Schlagwort : Victoria, Hussiten-
sieg. Es ist aber durch Lepsius, Kl. Schriften i, 205 geschicht-
lich durchaus festgestellt, dass Naumburg niemals eine hussitische
Belagerung, weder unter Prokopius, noch unter einem andern
Bandenführer zu bestehen gehabt hat, dass dagegen das dortige
Kinderfest schon über 300 Jahre in den Rechnungen der Raths-
Icämmerei erscheint und da zuweilen den Namen Fontaneuniy also
Brunnenfest trägt. Mit demselben Hussrufen bezeichnet man in
fränkischen und schwäbischen Landschaften die Feierabendglocke,
weim sie die Abendzeit, wo Alles »zu Haus sein soll«, im Früh-
jahre um eine Tagesstunde später ankündet. Eben dieses Huss-
Einläuten heisst daher in der fränkischen Stadt Eichstädt der
Hu SS -aus. Sax, Geschichte des Hochstifts Eichstädt 1857, S. 54
u. 136. Somit bezeichnet hier der vermeintliche Name jenes grau-
samen Feindes der Deutschen nichts anderes als einen Festtermin.
Ganz dasselbe Wortmissverständniss und fälschliche Umdeuten
auf geschichtliche Ereignisse liegt nachfolgenden Erzählungen zu
Grunde. Wenn man zu Zofingen jährlich am Vorabend des
16. Novembers die Mordnacht feierte, d. h. einen angeblichen
feindlichen Ueberfall gegen diese Stadt, der durch Kinder ver-
eitelt worden sein soll, so durchschritten die Weibel in der Stadt-
farbe mit Fackeln die Strassen und riefen in jedem Stadtviertel
feierlich: Dohargäterld. h. dahergeht er; und Alt und Jung,
sich ihnen nachdrängend und Lichtlein in ausgehöhlten Rüben
tragend, schrie darauf einstimmig : Salat, Salat! Man erklärt nun,
den ersten Ruf hätten jene Kinder ausgestossen, welche den ersten
<ier Verschworenen nächtlich über die Stadtmauern herein steigen
gesehen, und das andere Schlagwort Salat sei eine kindische Ver-
drehung für Soldat. Die Zofinger Mordnacht kann geschichtlich
nicht nachgewiesen werden, und um so weniger Sinn hat also
auch diese Worterklärung. Da aber der Mai im Walde aufgesucht,
persönlich eingeholt und empfangen wird, da der Wächter und
Stadttrompeter auf dem Thurme schon beim Amtseide schwören
xnuss: »zu wachen, bis der Tag dahar gät, und den anzublasen
mit sechs gesatzten stucken«*), so ist beim Zofinger Feste Er,
der daher geht, das anwandernde himmlische Wesen, der Früh-
*) Rathsbuch der Stadt Bjugg vom Jahre 1493, Hds.
iß I. Der Sagenkreis von Teil.
ling selbst, wie die noch lebende Redensart zeigt, der Frühling
geht ins Land. Ihn erwartend, steckt man in jede hohle Rübe
ein Kinderlichtlein und ruft den neu beginnenden Pflanzenwuchs
mit dem Namen Salat aus. Im Städtchen Stein am Rhein (Kanton
Schaflfhausen) hatte bis vor einigen Jahren der letzte Stundenruf des
Nachtwächters zu lauten : No e Wili, nur* noch ein Weilchen, und
jeder Steiner wurde von den Ortsnachbam mit diesem Namen
gehänselt. Die zunächstliegende Erklärung, dass mit dem plötz-
lichen Anbrechen des Tages die letzte kleine Weile der Nacht
schwinde, schien dem Bürgerstolze zu ordinär und man erfand
sich folgendes Märchen. Der zum Untergang des Städtleins Stein
verschworne schwäbische Adel stand zum nächtlichen Ueberfalle
bereit am dortigen Welschen Thörlein. Eiher der Mitverschwomen
befragte einen vorfrühe des Weges kommenden Bäckergesellen, ob
es an der Zeit sei, und dieser, den Plan durchschauend, antwortete
im Tone des Einverständnisses: No e Wili. Ueber diesen Auf-
schub verrann der vorbestimmte Moment, der Feind musste ab-
ziehen, der mitverschwome Bürgermeister wurde überfuhrt und im
Rheine ertränkt.
Wie sehr frühe schon der Sinn des Naturfestes verloren gieng
und dieses darum in so mancher Orts- und Landessage auf eine
alte Kriegsbegebenheit bezogen worden ist, dies hat Uhland, Ge-
schichte der Dichtung und Sage 3, 221 umfassend nachgewiesen.
Nur eine Stelle aus dieser reichen Abhandlung sei hier angeführt,
diejenige, welche Aimoin im sechsten Jahrhundert aus den Ge-
schichten des fränkischen Königshauses erzählt. Fredegund rückt
dem Lager Childeberts, der mit Heeresmacht in ihr Reich einge-
brochen, in früher Morgenstunde so entgegen, dass sie selbst,
ihren Säugling Chlotar in den Armen haltend, vorausgeht, indess
ihre Krieger mit Baumzweigen in der Hand Und klingenden Schellen
am Halse der Pferde aus dem Walde hervorziehen. Ein feindlicher
Wächter, in der Dämmerung ausschauend, ruft seinem Gesellen
zu: Was ist das für ein Wald, den ich dort stehen sehe, wo
gestern Abend nicht einmal Gebüsch war ? Der Andere hält den
Fragenden für weintrunken und glaubt die Schellen der im Walde
weidenden Rosse zu hören. Da lassen jene die Laubzweige fallen,
der Wald steht entblättert, aber dicht mit Stämmen schimmernder
Speere, jäher Schreck kommt über die Feinde, aus dem Schlafe:
werden sie zu blutiger Schlacht erweckt, was nicht entrinnen
kann, fällt unter dem Schwerte. ^
I. Die Naturmythe und die historisch gewordene Sage. ly
Es ist aus der Tragödie Macbeth allbekannt, wie dorten auf
gleiche Weise der Wald von Bimam nach Dunsinnane gerückt
kommt und damit des Helden Schicksal besiegelt ist. Gleicher-
weise wird nach einer Sage aus Oberhessen ein König in seinem
Schlosse vom König Grünewald lange belagert, widersteht aber
muthig im Vertrauen auf die wunderbaren Gaben seiner einzigen
Tochter. Da sieht diese auf einmal bei Anbruch des Maientages
das feindliche Heer heranziehen mit grünen Bäumen, sieht, dass
Alles verloren ist und ruft :
Vater, gebt euch gefangen,
Der grüne Wald kommt gegangen!
In diesen letzterwähnten Maitagszügen liegen mythisches und
sagengeschichtliches Element, Naturmythus, Sage »und historisch
gewordne Sage noch so enge beisammen, wie im Neste die Brut-
eier. Und so gehören sie zu Dritt in die Frühzeit unseres Volkes,
gleichwie die einzelne Frühlingsfeier örtlich schon auf Lichtmess
(2. Februar) verlegt wird, wo nach ^der Volksmeinung die Lerchen
anfangen zu singen. Sie weisen zugleich auf die bewegte Periode
zurück, wo ein Zustand von Kämpfen, Zügen und Eroberungen vor-
geherrscht hatte und ein friedlich sesshaftes Leben erst im Beginnen
war. Sie feiern selbst den Maifrieden kriegerisch und beziehen
den Ursprung des Festes auf vorangegangene Kriegs- und Be-
freiungsgeschichten, weil neben dem Pfluge des Landmanns stets
noch der Spiess hieng. Daher in der einen Hälfte des Festes:
Harnischlaufen, Perchtenlaufen, Posterlilaufen, Umzüge der beil-
tragenden Metzgerzunft mit Schlachtruf und Mordiogeschrei,
Schützenmanöver, Ringkampf und Knabengefechte ; in der andern
Hälfte : Stab- und Kranztragen, Auswerfen von Schaubroden, von
Bretzeln und Funkenlcüchlein, Fackelzüge, Höhenfeuer und Zunft-
schmäuse. Die Volkslust Hess es sich dabei nicht nehmen, die
nur im Glauben umziehenden Götter sammt den ihnen geheiligten
Thieren in Vermummungen nachzubilden. Der Maiwagen für die
Flurgöttin wurde frisch gezimmert, der Schimmelreiter ritt ein,
der Wilde Mann führte den Bäreii an der Kette mit, der Stroh-
mann schwamm den Strom hinab, der pulvergefüllte Butzenmann
sprang in die Lüfte, und wo kein Drache mehr zu erlegen war,
da schlupfte der Maskenbär aus dem Winterpelze und hieng diesen
als Trophäe zum Fenster der Zunftstube hinaus: lauter sinn-
bildliche Einkleidungen des einen Gedankens, dass der Sommer
Rochholz, Teil und G«ssler. 2
lg I. Der Sagenkreis von Teil.
den Winter, der Maigraf den Reifriesen, der Hirte den Landvogt
erlegt hat.
Wem nun sollte es beifallen, in diesen kühnen Spielen der
freischaffenden Volksphantasie wirklich historische Begebenheiten
sehen zu wollen? Gliche ein solcher nicht jenen Leuten, die an
J. Grimm, den Verfasser der deutschen Mythologie, im Ernst die
Frage stellten, ob die heidnischen Götter wirklich dagewesen
seien? Er erwiderte: mir graut darauf zu antworten. Gesin-
nungen sind mächtiger als blosse Thatsachen. Der gewaltigste
Einzelheld wird sich in der Ueberlieferung stets nach der Gesin-
nung gestalten-, die in einem Volke lebt, die Lebensansicht, die
sich durch Jahrhunderte bildet, überwältigt jede einzelne Thatsache
und gestaltet sie nach sich.*) Zudem ist die Landessage älter
als die Landesgeschichte. Jene ist das vom ganzen Volke gleich-
massig Gewusste und mit religiöser Liebe Geglaubte. Diese ist
nur Einzelwissen, auf gelehrtem Wege erworben, durch Schriften
vererbt, kritisch angezweifelt, erweitert und berichtigt. Je heller
die Geschichte wird, um so dämmeriger wird die Sage, je mehr
jene zum Wissen wird, um so weniger Gläubige zählt diese. Ja
die Sage flüchtet sich zuletzt sogar in das Lager ihrer Gegnerin,
gleichsam wie auf Gnade und Ungnade, und sonderbarer Weise
geschieht es alsdann, dass ihr von der Geschichte das Leben erst
geschenkt wird. Alsdann wird so lange an ihrer Ausgleichung
mit der Geschichte gearbeitet, dass die Sage darüber entweder
sterben oder den Schein der Historie annehmen muss, und nun erst
gewinnt sie an historischer Glaubwürdigkeit unverdient so viel,
als sie an religiösem Inhalte hat einbüssen müssen.
Die schweizerische Tellenmythe hat alle diese Wege durchge-
macht ; dennoch hat sie der geschichtliche Verstand niemals ernst-
lich in seinen Begriff aufzunehmen vermocht; und dies gilt
nicht etwa von den Bestreitern der Sage, sondern von deren Gläu-
bigen. Der luzerner Professor Zimmermann hatte in reinster
vaterländischer Begeisterung sein Schauspiel Teil verfasst (Basel
1777); dennoch muss sein Teil unmittelbar nach dem Apfel-
schusse diese unväterliche Wagethat selbst verdammen und aus-
rufen: »Die Nachwelt wird es nicht glauben können, sie hat recht!«
Aehnlich ist das Urtheil seines Landsmannes Heinr. Geizer:
»Wäre der Apfelschuss wahr, so hätte Gessler ein Ungeheuer und
♦) Uhland, Gesch. d. Dicht, u. Sage, i, 135.
I. Die Naturmythe und die historisch gewordene Sage. IQ
Teil ein Wahnsinniger sein müssen. Alle Züge des Ereignisses
spielen in das Land der Wunder. Gelingen in Allem, was der
Held unternimmt! Er vollbringt glücklich den Apfelschuss; er
allein rettet das Schiff im Sturm; er allein hindert es mit einem
Stoss an der Landung ; er erlegt ungefährdet den Tyrannen. Dass
alle diese Züge, von denen ein jeder einzeln schon des Aufallen-
den und Wunderbaren genug hat, sich noch so rasch folgen, dass
sie so in ein einziges Drama verknüpft sind: das verräth für
Jeden, der vertraut ist mit der Eigenthümlichkeit der Sagenbil-
dung, dass hier ebenfalls die Hand der Sage gewaltet habe, dass
sie vielleicht Vorfälle, die ursprünglich gar nicht zusammen ge-
hörten, die in verschiedenen Zeiten und an andern Orten ge-
schahen, hier in ein einziges Gemälde zusammen gereiht hat.«*)
Wäre dies nicht ein unter grossem Vorbehalt ausgesprochenes
Wort eines strenggläubigen Theologen und zugleich patriotischen
Teilengläubigen, so stände es nicht hier mit angeführt; es liegt in
demselben mit eine Ahnung von dem Entwicklungsgange
der Sage. Ueber ihren Sinn und Gehalt dagegen haben nur
solche Geister ein bleibendes Urtheil abzugeben, an deren Wiege
Sage und Dichtkunst zusammen gestanden haben. Nicht bei
Schiller kann ein solches Urtheil gesucht werden, weU sein Schau-
spiel Teil noch durchaus in Abhängigkeit von Tschudi's und Joh.
V. Müller's Auffassung concipirt ist; dagegen von Uhland, der
über das Vermögen der Kunstdarstellung, wie über ein Gesammt-
wissen deutscher Forschung mit unabhängigem Geiste verfügte.
Nach den Worten seiner Romanze »Tell's Tode sieht der Dichter
in der Sage keinen wirklichen, sondern einen in jedem Frühjahre
sich erneuenden Naturvorgang:
Euch stellt, ihr Alpensöhne,
Mit jedem neuen Jahr
Des Eises Bruch vom Föhne
Den Kampf der Freiheit dar.
*) Die drei letzten Jahrhunderte der Schweiz.-Gesch. 1838. I, 25,
Die zwei ersten Jahrhunderte der Schweiz.-Gesch. 1840. p. 14.
2»
IL
Bogen und Pfeil. Apfel, Nuss, Ring und
Münze. Freischützen und Weitschüsse.
Stein und Holz, überall vorhanden und mühelos sich dar-
bietend, dient im Urzustände des Menschen als erstes WafFen-
material und prägt sich darum in den ältesten Benennungen der
Waffe ab. Der Feuerstein und das in den Holzgriff gefasste
Steinschwert heisst dem Germanen der Sachs und wird des
Stammgottes und des Volkes gemeinsamer Name; der scharfe
funkenträchtige Kiesel, der Fl ins, verwandelt sich in des Gewitter-
gottes Hand zum Donnerkeil und Blitzhammer und dient ebenso
dem Krieger zur Pfeil- und Lanzenspitze. Die ältesten Pfeilklingen,
sowohl in den nordischen Gräbern, wie die auf dem Schlachtfelde
von Marathon ausgegrabenen, sind gleich denen der wilden Indianer :
Feuerstein, Jaspis, Obsidian. Auf jenes älteste Menschengeschlecht,
das sich selbst ein stein-entsprungenes nannte, folgte das baum-
entsprungene, welches sich seine Wurf- und Schusswaffen aus den
Waldbäumen schnitzte. Der Germane benennt daher den glatten
Ger Esche; den leichten, mit Bast gebundenen Schild Linde;
den kurzen Handbogen Ulme und Eibe (älmr und yr). Die
Eib und der Eibenschütz hiessen der Handbogen und der Bogen-
schütze. MüUenhoff, Runenlehre 1852, S. 60. In den durch
W. Menzel untersuchten Alemannengräbern von würtembergisch
Oberlupfen (Bezirks Tuttlingen) haben sich in den Todtenbäumen
Holzbogen und Pfeilschäfte mit vorgefunden. Zeitschrift des
Würtemb. Alterth.- Vereins 1847.
2. Bogen u. Pfeil. Apfel, Nnss, Ri&g u. Münze. Freischützen etc. 2I
Der Name Bogen leitet ab von biegen und bezeichnet die
gekrümmte Form der Waffe. Alle seine Einzeltheile tragen
deutsche Namen: Sehne, Schnur, Strang, Nuss. Die Armbrust
ist erst späterer Entstehung und ihr Name eine kecke Um-
<leutschung aus dem lateinischen arcubalista. Gleichfalls aus dem
lateinischen pilum stammt der Name Pfeil ; doch statt dessen einer
fremden stehen sechs andere echt-deutsche Benennungen zu Gebote:
Strahl, Zein, Feife, Flein, Oer, Bolz. Auch Fitschenpfeil kommt
noch vor und bezeichnet im Knabenspiele den, ohne Bogen,
mittels Widerhakens aus freier Hand geschnellten Pfeil. Der Flitz
hat unter Andern dem Flitzbogenleist, einer Gesellschaft in der
Stadt Bern, den Namen gegeben. Bern.-Taschenb. 1854 u. 1857,
S. 79 — 161. Die Feife ist der befiederte, Zein der unbefiederte
Pfeilschaft. Fleiner hiessen im Mittelalter die Pfeilschifter. *)
Altdichterische, episch umschreibende Namen von Bogen und Pfeil
stehen bereits aufgereiht in der Edda ; indess jegliche Cultursprache
ist reich an solchen. Der Araber theilt den Pfeil in 24 Grade,
welche abtheilungsweise selbst wieder verschieden benannt sind;
fiir die Sehne hat er 9, für deren Handhabung 27 Ausdrücke,
und gar 188 für die verschiedenen Eigenschaften der zehn ver-
schiedenen Pfeilarten. Hammer-Purgstall, Ueber Bogen und Pfeil,
Abhandl. der Wiener Akad. d. Wissensch., März 1851. Sultan
Murat IV., selbst als Pfeilschütze berühmt, hatte die Einwohner
Konstantinopels in 600 Zünfte getheilt; bei seinen pomphaften
*) Conrad Fliner, dictus pileator. Aeltercs Jahrzeitbuch der Aarauer Leutkirche
von 1350., fol. 430, 460. August Fleiner, Stadtrath zu Aarau 1870, stammt aus
Schweigern in der schwäbischen Grafschaft Neipperg. Sein Geschlechtswappen
trägt einen zwischen zwei Sternen schräg gestellten Pfeil, Die Fleiner von Alten-
burg bei Kannstatt, stehen dorten in Grundbesitze urkundlich seit 1306 u. 1390.
Mone, Oberrhein. Zeitschr. V, 95, und XV, 358.
Der altsächsische Ortsname Flenithi leitet ab von fldn, jaculum. J. Grimm,
KU Schriften II, 15. Die Aufständischen im schwäb. Bauernkriege hielten 1525
den . ersten Rechtstag zu Böckhingen, den andern darauf zu Flein, wie der
Reimspruch besagt:
Sie waren All fröhlich bey dem wein,
legten einen andern tag gen Flein.
Senkenberg, Selecta Juris et Hist., tom. III, 685. — 1344, 26. März verkauft
Rüdiger der Schenke, Edelknecht und Schultheiss zu Brugg im Aargau, dem
Kloster Wettingen das Gut im Banne zu Bozen, das er ererbt hat von seiner
Muhme Margarete Fleiningin, um 34 Pfund 5 Schill. Zofinger Währung. Des
Amtes Schenkenberg Dokumentenbuch, pag. 263. Aargauer-Staatsarchiv, lit. y, 40.
22 I» J^er Sagenkreis von Teil.
.Festaufzügen erschienen dann der Reihe nach die Bogenmacher,
die Armbrustmacher, die Pfeilschifter, die Bogenringmacher, die
Bogenschiessmeister, die Bogenschützen, die Armbrustschützen, als
ebenso viele Zünfte, jede unter ihrem Schutzheiligen. Aehnliche
Vorliebe zur Waffe wird einzelnen deutschen Kaisem nacherzählt.
Kaiser Friedrich I. war ein tüchtiger Bogenschütze, wie er denn
bei der Belagerung von Mailand eigenhändig einen Werkpfeil in
die Stadt schoss. In den Holzschnitten Burgmayers zum Weiss-
kunig erscheint Kaiser Max I. abgebildet, wie er unter seinen
Gespielen als Bogenspanner steht, dann nach der Scheibe schiesst
und einem vor ihm auffliegenden Vogel einen Hakenpfeil vom
orientalischen Bogen nachsendet.
Zur Einleitung eines Gefechtes ward, wie heute mit Kanonen,
so in der Vorzeit mit Schuss- und Wurfwaffen gestritten. >Da
begannen die Bogen zu schnattern wie die Störche im Nestec,
sagt hierüber Wolfram von Eschenbach im Gedichte Willehalm
.375, IG. Als im Jahre 354 Constantius mit dem Heere bei Basel
über den Rhein setzen wollte, um die drüben stehenden Alemannen
anzugreifen, sandten diese einen solchen Pfeilhagel herüber, dass
die Römer die Schiffbrücke nicht zu Stande bringen konnten.
Amian. Marcellin. XIV, 10.
Vergiftete Pfeile werden frühzeitig erwähnt; Gregor von
Tours n, pag. 64, spricht von solchen mit giftigen Pflanzensäften
bestrichen, die den Tod zur Folge hatten, wenn sie nur die Ober-
fläche der Haut ritzten, und die Lex Bajuvariorum enthält eine
besondere gesetzliche Bestimmung dagegen.*)
Herör hiess in Skandinavien der Kriegspfeil,*'*) den der
Heerführer zum Zeichen seiner Gewalt nach allen Him^lel^
gegenden ausschickte, wenn ein Feind ins Land einbrach; damit
war allem Volke entboten, sich in Waffen zu versammeln. Bei-
spiele solcher Aufgebote finden sich m den skandinavischen Sagen
zahlreich; sie waren dem Orient gleichfalls nicht fremd. Der
Prophet Elisa lässt von König Joas Bogen und Pfeil herbei-
bringen, durchs offne Fenster gegen Aufgang der Sonne einen
Pfeil abschiessen und spricht: Das ist ein Pfeil des Heils gegen
*) Si qnis tum toxicata sagitta alicui sanguinem fuderit, cum XII. solle
componat, eo quod in unwan est» Tit. 2, cap. 6.
**) sagitta circumlata, convocandi exercitus causa. Biöm Lexic, s. v. B(
et Herör.
2. Bogen u. Pfeil. . Apfel, Nuss, Ring u. Münze. Freischützen etc. 23
Syrien, du wirst die Syrer schlagen bis sie aufgerieben sind.
Schlage nun die Erde mit dem Geschosse! Der König that's,
nahm die Pfeile und schlug dreimal. Hättest du, sprach hierauf
zürnend der Prophet, fünf oder sechsmal geschlagen, so hättest
du die Syrer bis zur Vertilgung besiegt, nun aber wirst du sie
dreimal schlagen. 2 Könige, 13. Der Krieg gegen Syrien wird
also durch einen nach Morgen abgeschossenen Pfeil angekündet;
das Uebrige ist hier altjüdische Belomantie, Pfeilzauberei, auf
welche gegenwärtiges Thema erst am Schlüsse zu reden kommt.
Der Vater Seldschuks, des Gründers der türkischen Seldschuken-
Dynastie, war Jakak, d. h. ein starker Bogen. Als sein Sohn
Anslan an Mahmud von Gasna, den Eroberer Indiens, abgesandt
und von diesem befragt worden, mit wie viel Mann er ins Feld
rücken könne, hielt der Befragte seinen Bogen und zwei Pfeile in
der Hand. Da nahm er den einen Pfeil in die Rechte und sprach :
Wenn ich diesen in unsere Gestüte sende, so erscheinen hundert-
tausend Mann zu Pferde, und sende ich diesen in meiner Linken
ins Gebirge, so sitzen fiinfzigtausend Reiter auf.
Auf diesen kurzen Umriss darf sich die Geschichte vom Alter
und Gebrauch des Bogens und Pfeiles hier beschränken, aus der
Einfachheit der Schutz- und Trutzwaffe folgt auch die gemeinsame
Uebereinstimmung in deren Benennung, Handhabung und Werth-
schätzung. Wird hingegen dieser primitivsten Waffe ein über-
irdisches Vermögen beigelegt, führt sie ein Gott oder Stammheld,
in dessen Hand sie zu überweltlicher Grösse und Wirkung an-
wächst ; spannt er statt des Bogens das ganze Firmament in einen
Halbkreis zusammen und legt auf diesen den femhintreffenden,
nie versagenden Pfeil des Blitzes; stimmen sodann in dieser
gigantischen Vorstellung alle Völker überein, so dass hierin deren
älteste Sage noch der scheinbar jüngsten gleicht, so muss gleich-
wohl auch diesen fast zahllosen Schützensagen dieselbe einfache
Naturanschauung zu Grunde gelegen haben und eben damit
Ursache der Sagen-Gleichartigkeit geworden sein. Denn der noch
in den engen Schranken der Sinnlichkeit denkende Naturmensch
pflegt eine Naturerscheinung als eine persönliche Handlung auf-
zufassen und gelangt auf' diesem Wege überall zu demselben
Resultate, zum Naturmythus. Von diesem Vorgange im frühesten
menschlichen Vorstellungsvermögen giebt die Sprache ein aus-
reichendes Zeugniss. Der Sonnenstrahl, der Blitz und der Pfeil
heissen in unserer Sprache zusammen gleichnamig der Strahl.
24 ^' ^sr Sagenkreis von Teil.
Selbst die kleinen Kristallstücke, die im Hochgebirge überall und
tausendfaltig den Boden bedecken, gelten im Bemer-Oberlande
für Splitter niedergegangener Donnerstrahlen und heissen Strahl.
Bem.-Taschenbuch 1855, 121. Gottes Pfeil ist der Blitzstrahl,
den er vom gespannten Regenbogen abschiesst. Wenn in dem
indischen Rig-Veda der Fromme seine Morgenspende dem grossen
Vater Dyaus (Zeus, deutsch Zio) bietet, erzittert er »in Ehrfurcht
vor dem Schützen, der von seinem mächtigen Bogen den hellen
Pfeil absendet.« Ebenso heisst es biblisch vom Regenbogen, er
sei Jehovahs Bogen, gespannt zum Zeichen, dass die Welt vor
der Wiederkehr der Sündfluth bewahrt bleibe; aber »er hat seinen
Bogen gespannt und zielet und hat darauf gelegt tödtliche Ge-
schosse, seine Pfeile hat er zugerichtet, zu verderben.« Psalm 7,
Vers 12 — 14. Zufolge der Veden und des Mahabharata ergreift
Indras Bogen uhd Pfeil gegen den Vritras, und der Regenbogen
heisst Indrayudha, Indraswaffe. Kuhn in Haupts Zeitschr. 5, 488.
Der altindische Gewittergott Rudra fuhrt gleichfalls Bogen und Pfeil.
Beides fuhrt auch der griechische Eros, weil er als Sohn des
Zephyros und der Iris aus einer Sturmgottheit heraus erst zum
Liebesgotte sich entwickelt hat. Schwartz, Urspr. der Myth. 175
und 215. Der Pfeil galt als ein Sonnenstrahl, welcher zugleich
belebt und versengt; oder als ein Blitzstrahl, der zugleich die
Luft reinigt und Lebendes vernichtet ; er wurde daher den Sturm-
und den Lichtgottheiten gleichmässig zugetheilt. In der 33.
Orphischen Hymne wird Helios als Sonnengott zubenannt: »der
Lichtbringer und Pfeilschütze, der vom unendlichen Aether herab-
scHaut mit allsehendem Auge bis in die Tiefe der Erdwurzeln.«
Dieser treffende Blick des Sonnenauges wird zum femhinzielenden
Auge des Bogenschützen. ApoUon schiesst dem Ephialtes das
linke Auge aus; tödtet der Niobe Töchter und Söhne; ist der
Pythonswürger; besitzt die Herakles-Pfeile, ohne welche Troja*
nicht erobert werden kann; schiesst von den Klippen von Thera
mit seinem Bogen ins Meer und scheucht so, den Argonauten zu
Liebe, Sturm und Finsterniss vom Himmel. Im Winter wird sein
Pfeil bei den Hyperboreern aufbewahrt, im Sommer kehrt er
wieder zu Apollon zurück. Er ist schon bei Homer Vorsteher
der Schützengilde, an seinem Festtage wird eine Hekatombe ge-
opfert und dann das Wettschiessen angehoben (Od. 21, 267). An
diesem seinem Weihetage, da eben Ithakas Edle in seinem Haine
versammelt sind, bedient er sich, um das Werk der Rache gegen
2. Bogen u. Pfeil. Apfel, Nuss, Ring u« Münze. Freischützen etc. 25
•die Frevler vollführen zu lassen, des Schützen Odyßseus, und
dieser beginnt den entscheidenden Bogenkampf (Od. 22, 7) :
Jetzo ein anderes Ziel, das noch kein Schütze getroffen,
Wähl' ich mir, ob ich es treff' und Ruhm mir gewähret ApoUon.
Dies ist der Gott, der den solarischen Bogen spannt, bald
als Sonnen-, bald als Donnergott, bald belebend, bald vernichtend,
wie der Regenbogen selbst, welcher im Winter ohne, im Sommer
mit Blitzpfeilen sich zeigt; es ist der stürmische Grewittergott,
jener Bogenschütze, welcher unter den zwölf Himmelszeichen als
herbstliches Sternbild erscheint. »Immer erhält das Aeusserliche
in Bild und Attribut im Leben jede Anwendung, die ihm an-
gemessen scheint und zur Erweiterung der Gewalt eines Gottes
natürlicherweise sich darbietet.« Welcker, Griech. Götterl. i, 542.
Zürnt der Gott, so versendet er die Pfeile der Pest und des
Sonnenstichs (Ilias i, 55). Ebenso 5. Mos. 32, 23: Ich will alles
Unglück über sie häufen, ich will alle meine Pfeile in sie schiessen.
Die Araber stellten sich die Einflüsse der sieben Planeten als eben
so viele Pfeile vor, mit denen das Schicksal nach 'den Menschen
ziele, laut folgendem Spruche: »Die Erde ist eine Scheibe, der
Mensch ist das Ziel, die Sphären sind der Bogen, die Himmels-
körper die Pfeile, und der Schütze ist Gott.c Das Bild Abrahams
mit sieben Pfeilen, als Stellvertreters der sieben Planeten, war zu
Mekka aufgestellt gewesen, bis Mahommed bei Eroberung des
Ortes es sammt den übrigen Idolen umstürzen Hess. Liebrecht,
Ausg. des Gervas. Tilbur., S. 142. Gleichwohl ist derselbe Glaube
bis auf die Neuzeit im Morgen- und im Abendlande bemerkbar
verblieben. Die heutigen Mahommedaner halten brandig aus-
sehende Wunden für tödtliche und schreiben sie schwarzen Geistern
zu, die Gott zur Strafe der Menschen mit Bogen und Pfeil aus-
sende. Unser deutsches Kirchenlied singt:
Der bittre Tod mit seinem Pfeü
Thut nach dem Leben schiessen,
Er schiesst das Leben ab in Eil'.
In Hans Sachsens Comedi von Hecastus (Ausg. des Stuttg.
Lit. Vereines, Bd. VI, 180) tritt der Tod herein, spannt seinen
Bogen und spricht:
Jetzt ist die zeit, das ich gewiss
Mein pfeyl in den Hecastum schis.^
26 I* ^^ Sagenkreis von Teil.
Thu auf, thu auf das fenster dein.
Auf dass ich schiess mein pfeU hinein 1
Hecastus: Nun mag der Todt kommen zu mir
Und in mich schiessen seinen strall
Ich furcht in nichts mehr überal.
Im neugriechischen Volksliede schiesst der Todesgott Charos
einer Jungfrau den Pfeil ins Herz. Grimm, Myth. 806. In Folge
dieses herrschenden Glaubens entstand der andere, jenem dämo-
nischen Schusse sei vorzubeugen durch gesegnete Waffen. Man
bediente sich darum geweihter Bogen und Pfeile. In Vintlers
Blume der Tugend, einem Spruchgedichte vom Jahre 141 1 (Ab-
druck in Zingerle's Tirolersitten 1857, 188) heisst es:
dannoch vindet man czu diszer vrist,
die czauberey dannoch pflegen,
etleich die wellen pheiU aussegen.
Die Kirche selbst bemächtigte sich in eigennütziger Weise
dieses Aberglaubens und fristete ihn bis auf unsere Zeit. *)
Unter den pfeilführenden Göttern Skandinaviens ist Ullr
genannt Boga-As und hat in Ydalir (Eibenthalen) sich seine Halle
gebaut. Er ist ein Mit-Odhin, eine Form des Sonnengottes.
Hönir, gleichfalls ein Sonnengott, ist nach den schiessenden
Himmelsstrahlen Pfeilkönig zubenannt. Heimdallr ist der beste
Schütze, sieht bei Tag und Nacht hundert Rasten weit und be-
wacht die Himmelsbrücke; vor Allen endlich gilt Odhin, dessen
Rolle zwischen der des Sonnen- und Aethergottes, und derjenigen
des Wilden Jägers als Sturm- und Gewittergottes getheilt ist
Er fuhrt den Todesspeer Gungnir, welcher eine Wurflanze und
zugleich ein Wunschpfeil ist. Wenn er ihn über eine Schlachtreihe
wirft, so müssen alle die fallen, über die er hinweg fliegt. Einen
solchen, aus blossem Schilfrohre gemachten, schenkt er dem
*) Das Manuale Benedictionum^ Conjurationum, Exorcismorum etc, ex diversb
ritualibus, vom Franciskaner Friz, Kempten 1737) P^> 160 enthält eine Benedictio
Sagittarum S. Sebastian!. Indem der Priester die auf den Altar gelegten Pfeile
segnet und mit Weihwasser besprengt, betet er: Omnipotens deus, te supplices
exoramus, ut has Sagittas, quibus domini nostri, in cruce pro nobis pendentis
Signum, et imago intemeratae V. Deiparae Mariae, et S. Sebastiani Martyr. im-
pressa est, benedicere et sanctiücare digneris, ut qui has secum devote gestaverint,
vel domi asservaverint, per merita Sanctissimae V. Mariae et per intercessionem
S. Sebastiani ab omni pestifera lue, ab omni morbo contagioso et ab omnibos
inimicorum insidiis praeserventur etc.
2. Bogen u. Pfeil. Apfel, Nuss, Ring u. Münze. Freischützen etc. 27
Schwedenkönig Erich, der denselben mit dem Ausruf: Odhinn a
ydur alla! (Odhin hat euch Alle) über das feindliche Heer hin-
schleudert und dieses dadurch mit Blindheit schlägt. Nachdem
Odhin den Hadding in der keilförmigen Schlachtordnung unter-
wiesen hatte, stellte er sich hinter die Reihen, zog eine Armbrust
hervor, die erst ganz klein schien, aber gespannt immer grösser
wuchs, legte zehn Pfeile zugleich auf und erlegte damit eben so
viele Feinde. Saxo Gramm. X, 479; oder I, 52 der Müller*schen
Ausgabe. Dieser Wurf und Schuss ins Blaue hinaus und immer
in weiter Feme das Ziel sicher treffend, hat sich in den Rechts-
alterthümern, in der Kirchenlegende und in den Sagen von den
Freischützen fortgefristet, von denen sogleich zu handeln sein
wird. Aber auch deutsche Göttinnen haben, ähnlich der griech.
Artemis, den Pfeil geführt. Hertha wurde (nach Arnkiel) abgebildet,
mit der Linken eine Korngarbe fassend, in der Rechten Pfeile
haltend. Die vielnamigen drei heiligen Jungfrauen, welche kirchlich
die drei Schwestern Gwerbet, Ainbet und Wilbet heissen und
gar mancherlei alterthümliche Kapellen und Weihaltäre besitzen,
sind in der Kapelle am baierischen Würmsee also dargestellt.
Die mittlere der Dreie hält Lorbeerzweig und Buch in den Händen,
die linksstehende Lorbeerzweig und einen Pfeil, die rechtsstehende
Lorbeer und Pfeil in der einen, und gleichfalls einen Pfeil in
der andern Hand. Ueber ihnen ist das Bild eines Bischofs
angebracht, der ihnen drei Aepfel darreicht; etwa der bekannte
Bischof Nikolaus von. Myra. Somit tragen die drei Jungfrauen
drei Pfeile zu jenen ihnen dargereichten drei Aepfeln, welche im
Tellenmythus das älteste Schussziel sind. Panzer, Baier. Sag. i,
S. 33. Hiermit wendet sich der Gredanke denjenigen Sagen zu,
die von der Landesbesitz-Ergreifung erzählen, welche mittels des
Pfeilschusses geschieht. ^
Der indische Vischnu verlangt vom Könige das Stück Landes
zwischen dem Berge und der Stelle gelegen, bis zu welcher er
mit dem Pfeile schiessen werde, und gewinnt damit eine ungeheure
Strecke. Die altpersische Sage erzählt von Aresh, dem besten
Bogenschützen, dass sein gezeichneter Pfeil aus Persien vom Berge
Damarend bis an den Oxus flog und hierdurch die Grenzen des
Reiches bestimmte. Grimm, RA. 68. Die Heidenjungfrau zu
Glatz hat vom Schlosse herab um den Besitz des Landes mit
ihrem Bruder um die Wette geschossen. Ihr Pfeil gieng bis zur
grossen Eisersdorfer Linde, die so alt sein soll wie der Heiden-
28 !• ^^ Sagenkreis von Teil.
thurm zu Glatz. Noch im Jahre 1625 hieng der Jungfrau gell
Haar, etliche mal aufgeflochten nach der Länge, in der Schl<
kirche an einem Nagel, dass es ein grosser Mann mit der Hj
erreichen konnte. Grimm DS. no. 318. Als zwischen den Siel
bürgischen Propstdorfem und ihren Nachbarn ein Grenzstrt
waltete, ob und wie weit der Propstdorfer Bezirk über die Kok(
reiche, verglich man sich dahin, die Entscheidung einem Pfc
Schüsse zu überlassen. So weit die Propstdorfer von ihrem
meindethore aus einen Pfeil schiessen könnten der Kokel zu,
weit sollte ihr Bannkreis gehen. Nun sandten sie ihre jung<
Knechte in den Wald, eine Bogenstange zu holen. Sie richtetet
einen jungen Eichbaum zu einer solchen zu, schnitten aus gleichet
Holze einen mächtigen Pfeil, spannten dann mit gemeinsame
Anstrengung den Riesenbogen, legten den Pfeil zurecht uni
schössen dem Flusse zu. Da hätte man schauen sollen, wie du
Nachbarn erstaunten, als sie den Pfeil über die Kokel hinübel
immer weiter fliegen und immer noch kein Ende erreichen sahei
Endlich sank er, weit auf dem linken Ufer, und seitdem treil
die Heerde der Propstdorfer herüber, sie brennen ihre Ziege
daselbst neben der Reichsstrasse, alles ohne Grenzverletzung
Müller, Siebenbürg. Sagen no. 304. Unter dem Hochaltare d<
Klosterkirche zu Prüm in der Eifel befinden sich zwei Gemälde; d«
eine stellt einen Ritter vor, der auf einem Steine sitzend, umgebet
von Gemahlin und Gefolge, einen Pfeil abschiesst ; das andere det
heiligen Ansbald, der eben vor dem Prümer Hochaltare das
hält, während ihm die Engel einen Pfeil zutragen. Diesem Gemäh
liegt folgende Legende zu Grunde. Nithart, ein fränkischer Rittet
hatte von seiner Gemahlin Erkanfriede keine Kinder und gelobte
daher demjenigen Kloster die Vergabung seiner Güter, in dessen
Nähe der Pfeil hinflöge, den er zu diesem Zwecke abschösse.
Nach einem Gebete erstieg er einen Stein und schoss den Pfeil,
an den ein die fromme Absicht bekundender Zettel befestigt war.*)
*) Einen ähnlichen Briefpfeil lässt die Schweizersage den Heinrich von Hünen-
berg abschiessen. Der Pfeil fliegt vom Ufer des Zugersees über den Thurm und
die Letzimauer des Dorfes Art und meldet den dahinter aufgestellten Schwyzer-
truppen, dass der anrückende Herzog Leopold nicht hier, sondern bei Morgarten
ins Land einbrechen werde. Hünenbergs Pfeil soll seit 1740 im Landesarchiv zu
Schwyz aufbewahrt gewesen und nachmals während der französischen Landes-
besetzung verloren gegangen sein. Zürcher-Neüjahrsbl. der Feuerwerker 181 7, 16.
Dass dies eine Sage ist, erhellt unzweifelhaft aus dem Chronisten Vitoduranus, dem
2. Bogen u. Pfeil. Apfel, Nuss, Ring u. Münze. Freischützen etc. 2Q
Eben stand- der heilige Abt Ansbald am Altare zu Prüm; Erigel
nahmen den Pfeil in Empfang und Hessen ihn zu Ansbalds Füssen
fallen; so nahm er die neuen Güter für sein Kloster in Besitz,
Schmitz, Eiflersag. 2, 133. Die Angabe dieser Rechtssagen weicht
nicht gerade 'weit ab von dem Grössenmaasse , das die alten
Gesetze aufstellen für die Bestimmung der Weite eines Land-
Erwerbes oder ein^r Abmarchung mittels eines dahin gerichteten
Pfeilschusses, und man erfährt aus solchen Satzungen, dass die
angebliche Schussweite des Teilenschusses, welcher zu Altorf
lokalisirt ist, nicht verschieden ist von der Schussweite des alt-
nord. Pfeilschusses, welche auf 240 Faden oder Schritte ermittelt
ist. Das Recht gestattete dabei ausdrücklich Anwendung auch
künstlicher Mittel. So bestimmt im Jahre 1325 die Abtei St,
Trudpert im Schwarzwalde die Marken des Schlossbezirkes von
Scharfenstein und lässt eine derselben vom Schlosse aufwärts
zum Walde reichen »so verre, so ein Armbrost geschiessen mag,
das ein man mit zwein Füssen spannet.« Mone, Oberrhein^
Ztschr. 21, 443. Ein Nachklang solcher Rechtsüblichkeiten hat
noch unsre Zeit erreicht. Alle drei Jahre fahren Major und Ge-
meinderath der Stadt Cork bis an die äussere Grenze ihres See-
hafens und ersterer wirft da zum Zeichen der Botmässigkeit,
welche die Stadt über diesen Meerestheil ausübt, einen silbernen
Pfeil ins Wasser. Allg. Augsb. Ztg. 1853, no. 280, S. 4472.
Unentscheidbare Rechtsfälle stellte das Alterthum den Göttern
anheim und schoss, indem es diese zu Zeugen nahm, Pfeile gen
Himmel. Als König Dareios erfuhr, die Athener seien es, welche
ihm seine Stadt Sardis eingenommen und verbrannt hätten, forderte
er seinen Bogen, legte einen Pfeil auf und indem er ihn in die:
Wolken schoss, sprach er: O Zeus, verleihe mir Rache an den
Athenern I Herodot 5, 105. Derselbe Autor berichtet von den
Thrakern (4, 94), dass sie gegen Donner und Blitz in den Himmel
schössen, Gott selbst bedrohend; und zwei neuere Afrikareisende
melden uns' denselben Brauch aus den von ihnen betretenen
Negerreichen. Bastian (Afrikan. Reis. 1859. i, 204) erzählt aus
der Tradition, dass die Zauberer von Mapongo Pfeile nach dem
Zeitgenossen der Schlacht bei Morgarten. Der Graf von Toggenburg, sagt er,,
•habe schon ^vorher zwischen den Waldstätten und dem Herzoge vergeblich ver-
mittelt, und habe erstere alsdann über des Herzogs AngrifFsplan in Kenntniss-
gesetzt: Praescientes autem Swicenses per revelationem Comitis (de Toggenburg),,
se in illa parte aggrediendos.
jO !• ^^ Sagenkreis von Teil.
Himmel schössen, um Regen zu machen. Werner Munzinger
(Sitten und Rechte der Bogos. Winterthur 1859, 5) berichtet aus
dem Munde der heutigen Abyssinier, dass sie ein riesenhaftes
übermenschliches Geschlecht der Vorzeit, die Rom genannt, für
ihre Ahnen halten und noch jetzt in Liedern besingen. Der letzte
dieser Rom sei mit Gott verfeindet gewesen und habe darum
seine Lanze gen Himmel geschleudert; worauf Gott zur Strafe
einen riesigen Adler sandte, der dem Erfrechten das Kopffleisch
zerfrass. Legt ein Volk den Sitten und Bräuchen seiner eignen
Vorfahren solcherlei entmenschte Beweggründe zur Last, wie hier
die Neger thun, so beweist es damit, dass seine eignen sittlichen
Begriffe noch tiefer gesunken sind, als derer, die es zu tadeln
oder zu verspotten meint.*) Mit Unrecht hat man derlei
kriegerische Sitten ältester Zeit als einen religiösen Frevel an-
gesehen; sie sind das gerade Gegentheil, sie drücken die Waffen-
bereitschaft aus, welche der gläubige Mensch seinem leidenden
Gott symbolisch entbietet. So war es Ritterbrauch im Mittelalter,
bei der Predigt vom Leiden Christi oder bei der Consecration der
Hostie plötzlich aufzustehen, das Schwert halb zu ziehen und
dann wieder auf die Knie nieder zu fallen.
Noch ist es ein Frühlingsspiel bei unsrer oberdeutschen
Dorfjugend, Haselschosse auf den Weidenbogen zu legen und sie
als »Blitzpfeile bis über das Beckenhaus hinüber € zu verschiessen.
Sie sollen das lastende Märzgewölke durchbohren und der Sonne
den Weg bahnen, dass sie die Saaten wieder erwärme und den
»Beckerwecken« reifen lasse. Diesem Jugendbrauche nächst-
verwandt ist die altnordische Sage vom Oerwandil, d. h. der mit
dem Pfeil Arbeitende, und wie Uhland (Mythus von Thorr) erkannt
hat : der aus der Saat hervorstechende, aufschiessende Fruchtkeim.
Den Knaben Oerwandil hat Thorr über die Eisströme im Korbe
getragen, jener aber hat eine Zehe hervorgestreckt und erfroren:
Der Fruchtkeim hat sich all zu früh hervorgewagt und muss es
*) Prügelt der erzürnte Congoneger seinen Fetisch, und die eifersüchtige
Andalusierin ihren Rosenkranz; oder wirft der durch Unwetter um die Wein-
und Kornernte betrogene Bauer seinen Schutzpatron in den Dorfbach, so sind
dies Ausbrüche barbarischer Verkommenheit und Dummheit, die nicht etwa dem
•
ersten elementaren Beginne eines religiösen Cultus beizuzählen sind, sondern bereits,
an dessen letztem Ende. stehen. Daher dann jene vielen Kapellen-Legenden vom
Wildschützen, der in die consecrirte Hostie geschossen, um so auf Gottes leiblichen
Schaden hin ein Freischütze werden zu können.
2. Bogen u. Pfeil. Apfel, Nuss, Ring u. Münze. Freischützen etc. 31
büssen. Simrock, Myth. 240. Dasselbe Missverständniss herrschte
schon im Heraklesmythus. Als Herakles, heisst es, auf seinem
Abenteuerzuge zum Geryon sich von den heissen Strahlen des
Helios gequält fühlte, habe er zornig seinen Bogen gegen dien
Lenker des Sonnenwagens gespannt; dem Helios aber habe dieser
Muth so Wohlgefallen, dass er dem Helden einen Goldbecher gab.
Der gütige Sonnengott verstand und gewährte mithin die an ihn
gerichtete Mahnung des verschmachtenden Helden. Eine ähnliche
Mahnung des sich verlassen glaubenden Menschen an die Gottheit
liegt in dem Schusse, welchen der Freischütze am Sommer-
Johannistage in die Sonne thut. Dieser Schuss geschieht zu der
vorbestimmten Zeit, da das Tagesgestirn immer höher steigt, er
will daher dasselbe zur Unikehr mahnen, oder er sucht den feind-
seligen Drachendämon zu verscheuchen, vor dem das Gestirn in
den höchsten Himmel hinein zu entweichen scheint. So oft es
donnerte, schössen die Gothen Pfeile in die Luft, um den von
Gregengöttern bekriegten Himmlischen Beistand zu leisten; ja sie
begannen mit schweren Erzhämmern ein Donnergepolter, um dem
Donnerer droben den schreckenden Schall zu vermehren. Auch
sie wussten wohl, dass man dem Himmel nichts abzutrotzen ver-
möge, daher ihr Sprichwort: Man soll keinen Spiess gen Himmel
werfen, damit keine Hellebarte herabfalle. Olaus Magnus, Histor.
der Mittnachtigen Länder, Hochteutsch durch Joh. Bapt. Fickler
l(Basel 1567) S. 91. Wenn man gegen das Wetter schiesst, sagt
unser herrschender Volksaberglaube, so wird eben die Hexe ge-
troffen, welche das Wetter herbei gezaubert hat. Mone, Anzeiger
IV, 309. Die vollständige Arglosigkeit des Schusses nach dem
Jiimmel wird der folgende Mythus vom Apfelschuss darthun, da
das hierbei erreichte Schussziel gleichfalls ein siderisches ist.
Als das in den ältesten Schützensagen gesteckte Ziel werden
genannt: Apfel, Nuss, Ring und Münze, und die folgende Er-
klärung hat darzulegen, dass diese vier Ziele Licht- und Sonnen-
symbole sind.
Ein nach Sonnenuntergang häufig entstehendes, astförmig
sich auszackendes Wolkengebilde trägt die Namen Adams-, Abra-
hams- und Wetterbaum; Anschauungen und Namtn, welche an
die germanische Götteresche Yggdrasill erinnern. Kuhn, Nordd.
Sagen, S. 455. Die Früchte dieses Weltbaumes sind die Himmels-
gestime, jeden Morgen und jede Nacht frischreifend in Gestalt gol-
dener Aepfel und Nüsse. Göttin Iduna bewahrt daher die unsterblich
J2 ^ ^^' Sagenkreis von TelL
•
machenden Aepfel, von deren Genuss das ewige Leben aller
Asengötter abhieng; oder Persephone verfallt dem Gotte der
Unterwelt, nachdem sie daselbst vom blossen Kern eines Granat-
apfels gekostet hat. Auf antiken Bildwerken hält Herakles ge-
wöhnlich drei Aepfel in der Hand. Man bezieht dieselben theils
auf die drei Jahreszeiten der älteren Jahresrechnung ; theils auf die
von ihm wieder gewonnenen goldenen Hesperidenäpfel, Sinnbilder
der am äussersten Himmelsrande aufleuchtenden Nachtgestime,
welche von den Nachtdämonen gänzlich hinab geschlungen zu
werden stets bedroht scheinen. Nachdem daselbst der Heros
den hunderthäuptigen Drachen Ladon (die längste Wintemacht)
erlegt hat, stampft er auf dem Kampfplatze, wo er gestanden,
neben dem Apfelbaume eine Quelle aus dem Boden, so dass also
hier der Baum des Lebens neben dem Wasser des Lebens oder
dem Jungbrunnen steht (Apollonius von Rhodus. Menzel, Vor-
christi. Unsterblichkeits-Gl.). Dass der Apfel als das Sinnbild der
Sonne und zugleich als der in diesem Gestirne enthaltenen Lebens-
quelle gedacht wird, geht aus zahlreichen Sagenzügen hervor. Im
aargauer Kinderspruche von den Drei Mareien im Goldnen
Hause (no. 273 des Alemann. Kinderl.) heisst es von ULFrau,
der Himmelskönigin:
Si sitzt ennet a der Wand,
het en Oepfel in der Hand,
göht durh- ab zu'n Sunnehös
und 16ht die heilig Sunne-n-üs.
Der Apfel ist darum die Nahrung der Geisterwelt. Der Nix
wirft der schönen Agnese, die bei ihm im See gewohnt hat, indess
sie einmal auf Besuch zu den Eltern heimgegangen ist, mahnend^
einen Apfel zu, damit sie zu ihm zurückkehre. Hoffmann von
Fallersleben, Schles. Volksl., S. 4. Die Wilden Männer im Gasteiner-
thale wohnten in einer unzugänglichen Höhle der Klamm,
dennoch standen hier in dieser Felswüste Apfelbäume, mit deren
Früchten sie nach den Vorbeiziehenden scherzhaft hinabwarfen,
Grimm, Myth. 520. In die Zwergenhöhle steigt man unter einem
Apfelbaume hinab, drunten aber scheint die Sonne noch schöner
als hier oben, und Bäume stehen da, die einen blühend, die anderen
voll glitzernder Früchte. Dem Bauernmädchen, das solche Aepfel
in der Schürze mit hinauf nimmt, sind sie in lauteres Gold ver-
wandelt. Kuhn, Nordd. Sag. no. 292. Ein Kind, das ein Jahr
lang im Berge geweilt, wird von der Mutter wiedergefunden mit
2. Bogen u. Pfeil. Apfel, Nuss, Ring u. Münze. Freischützen etc. m
einen Apfel in der Hand und erzählt, solche habe ihm seitdem
ein Fräulein alle Tage gebracht. Panzer, Baier. Sag. 2, S. 202.
Während der Christmette, also bei des Heilands Geburtsfeier,
blühen die Apfelbäume und tragen zugleich schon Früchte.
Aargau. Sag. i, no. 69.
Apfel und Nuss werden zusammen genannt als das dem
TrefTschützen wechselweis angewiesene grössere oder kleinere
Schussziel, weil diese beiden Früchte schon im Göttermythus
g^egenseitig sich vertreten und noch immer eine gemeinschaftliche
Beigabe bei unsern Jahresfesten sind. Denn beide gelten mit
ihrem verborgnen Samenkern als Sinnbilder des winterlich noch
verschlossen liegenden Naturlebens, des noch nicht geborenen
Sommers. Darum wird Idun, die Göttin der Jugend, mit ihren
Unsterblichkeitsäpfeln bald von den Riesen entfuhrt, bald ver-
wandelt dann Loki die Entführte in eine Nuss, sich selbst in einen
Falken und trägt sie so in seinen Klauen wieder in den Himmel
zurück. Nachdem Rerir, ein Ahnherr Sigurds, lange in kinderloser
Ehe gelebt hat, sendet der Familiengott Odhin einen Apfel, nach
dessen Genuss den Gatten der Sohn Völsung zu theil wird.
W, Grimm, HeldenS. 381. Der Römer streute die Nuss als
Fruchtbarkeits-Symbol bei den Cerealien, Saturnalien und jeder
Hochzeitsfeier aus; ebenso hängt die Goldnuss mit dem Apfel
an unserm Weihnachtsbaume ; freigebig streuen wir Beide aus am
Nikolausabend, zu Neujahr und an der Fasnacht, • also zur Zeit
der Winter-Sonnenwende. Da wirft man ums Loos Welschnüsse
und Kastanien ins Kaminfeuer und schliesst aus ihrem Knistern
und Krachen auf die Erfüllung eines gehegten Wunsches. Weil
die Nuss zugleich ein erotisches Symbol ist, so gewinnt ein Held
die Hand der Königstochter durch drei Nüsse, von denen die
eine die Erde mit ihren Blumen, die zweite das Meer mit seinen
Schiffen, die dritte den Himmel mit seinen Sternen darstellt.
Hahn, Griech. Märch. no. 70. Allein nicht bloss dem Liebes-
; schützen, auch dem TrefTschützen kommt die Nuss zu, deshalb
wird sie am Jahrestage der städtischen Schützenzünfte aus den
Fenstern des Zunfthauses korbweise auf die Knaben herab-
geschüttet.
Wie Apfel und Nuss bald auf die goldnen Gestirne, bald auf
die Meteore hindeuten, die in Gestalt feuriger Kugeln auf feurigen
Bahnen den Nachthimmel durchkreuzen, so ist das weiter folgende
Schützenziel, d e r R i n g , gleichfalls ursprünglich als eine Himmels-
Rochholz, Teil und Gessler. 3
«•4 I. Der Sagenkreis von Teil.
erscheinung oder Meteor gedacht gewesen. Die Finnen hielten
die Sonne für eine Feuermasse, eingeschlossen in einen Goldring.
Castren, Finn. Myth. , Petersb. 1853, 56. Als ein solcher gilt
unserm Volke der Regenbogen; der grössere und energischere
Farbenbogen heisst Himmelring, ihn macht die Jungfrau Maria;
der an Glsuiz schwächere, neben dem grossen abgespiegelt, hat
allein den irdischen Namen Regenbogen, ihn macht der Teufel
aus Neid der Maria nach. Ein Kinderspruch, bei Montanus
Volksfeste i, 88 warnt, beide Namen nicht zu verwechseln:
Sagt man »Regenbogen«,
So sagt der Teufel: Ich will's mit Dir wögen!
Sagt ms^n aber Himmelring,
So spricht Maria: Du bist mein Kindl
Auch in Böhmen darf man ihn nicht schlechthin duAa nennen,
sondern muss sprechen dosz duha, Gottes Bogen. Grohmann,
Abergl. aus Böhm, i, no. 246. Wenn Gott Indras seine Gewitter-
pfeile versendet hat, stellt er den Bogen bei Seite und zeigt ihn
den Sterblichen als Regenbogen. Bohlen, Alt.-Indien, i, 237.
Allbekannt ist der Glaube, dass der Regenbogen Geld ausstreue,
dass an seinem Fusse ein Säckchen Gold, eine Wanne voll Geld,
einzelne Münzen liegen, genannt Attelspfennige und Regenbogen-
schüsselein, und eine schöne Verkörperung dieser Vorstellung
ist das bekannte Kindermärchen die Sternthaler. Das dem-
selben zu Grunde liegende Naturphänomen ist deutlich geschildert
in Birlingers Schwab. Sag. i, no. 104: Wenn das gespenstische
Schlossweible zu Laufen den Leuten Thaler nachwarf^ so Hessen
diese in der Luft einen strahlenden langen Schweif zurück, wie
wenn eine Sternschnuppe vom Himmel fallt.
Noch ist eines altmythischen Schusszieles zu gedenken; es
schiesst nemlich der altnordische Örvarodd im Wettschusse ein
auf den Speerschaft gestecktes goldnes Täfelchen herunter,
und ebenso der norwegische König Olaf eine Schreibtafel
dem Neffen Eindridi's vom Haupte. So lange die Edda'schen
Götter im goldnen Zeitalter leben, spielen sie zusammen mit
wundersamen goldnen Scheiben, die sich im Grase finden, und
wenn dann nach der Götterdämmerung die verjüngten Äsen im
mitverjüngten Himmel wieder zusammen sitzen, so finden sich
dieselben goldnen Tafeln im Grase wieder zum Spiele vor. Unter
diesen Tafeln sind nicht vermeintliche Spielwürfel, sondern platte
Metallscheiben zu verstehen, die auf dem Wurf brette nach dem
2. Bogen u. Pfeil. Apfel, Nuss, Ring u. Münze. Freischützen etc. 35
Ziele geworfen, in der Spielsprache »geschossen« werden. Sie
selbst aber sind wiederum nur ein Abbild der in der spielenden
Hand der Götter magisch nach festen Zielen fortgeschobenen,
Goldscheiben gleichenden Gestirne. Auf die Frage, wie heisst
der Mond, wird im edda'schen Liede Alvissmal geantwortet:
»Mond bei den Menschen, Scheibe bei den Göttern.« Wie ist
man überrascht, dieselbe unterscheidende Benennung heute noch
bei uns vorzufinden; in der Glamer. Kindersprache heisst nemlich
der Mond: 's Herrgotte-Liechtli , Scheibe und Schützenscheibe.
Dieser Name kann nur aus jenem uralten Volksspiele stammen,
das sich in Ober-Alemannien vom schwäbischen Ufer des Boden-
sees an bis tief in die rhätischen und schwyzer Alpen hinein fort
erhalten hat. Da ist es nemlich Fasnachtssitte, dass man am
»Funkentage« eigens geschnittene Holzscheiben, nachdem man sie
am offnen Feuer rasch angeglüht hat, mittels Schwungstäben von
Berg zu Thal schlägt, und wirklich gewährt dieses »Scheiben-
schlagen« unter nächtlichem Himmel, wenn die kleinen Räder
wirbelnd und funkensprühend in's Thal hinunter rollen, einen*
Anblick, der an Sternschnuppenschwärme, an fallende Meteore
oder »schiessende« Sterne erinnert.
Nachdem nun diese Himmelskörper der Reihe nach als alte
Sinnbilder eines gigantischen Schützen -Zieles hier aufgewiesen
sind, können die entsprechenden Mythen von den Weitschüssen
des Treffschützen folgen und sich selbst erklären.
Die indischen Pandschawas, d. h. die fünf Götterbrüder,
werben zusammen um die Hand der Königstochter Draupati
und müssen sich deshalb in aufgegebenen Kampfspielen versuchen.
Bruder Arjuna, der treffliche Bogenschütze, durchschoss mit seinem
Pfeile das anscheinend unerreichbare Ziel, dass es herabfiel auf
die Erde, und Angesichts Aller wählte ihn hierauf die Fürstin
zum Gemahl. Arjuna heisst seitdem der Gott der Morgen-
rot he, und alle fünf Brüder zusammen Bharaja's, d. h. die
Streiter. Das Maha-Bharata, aus dem dieser Zug entnommen ist,
nennt dabei das gesteckte und getroffne Ziel selbst nicht; dass
es jedoch ein Apfel ist, erhellt aus Arjuna's empfangenem Ehren-
namen, sowie aus der gleichnamigen Erzählung in Tausend
und eine Nacht (übers, v. Weil) Bd. 3, 499: Um den Besitz
des kostbaren Kleinods eines Apfels lässt der König seine drei
Prinzen mit Bogen und Pfeil ein Wettschiessen halten, und der
Gewinnende bekommt dabei zugleich die Hand der Prinzessin.
3*
36 !• I^^r Sagenkreis von Teil.
Der persische Dichter Fand Ucjdin Attar, geb. 11 19,
f 1230 unserer Zeitrechnung, verfasste um 1175 sein Gedicht über
die Sprache der Vögel, und erzählt darin:
Ein König hatte einen Lieblingssklaven, diesem legte er
einen Apfel auf den Kopf, schoss darnach mit Pfeilen und
spaltete den Apfel stets, der Sklave aber war während dess
vor Furcht krank.
Dies theilt Th. Benfey in den Göttinger Anzeigen mit 1861, 6'jj
und bemerkt dazu, dass dieser Hauptzug der Tellsage, der hier
um II 70 literarisch fixirt erscheint, nicht von Attär erfunden, son-
dern im Orient älter sei. Es lasse sich zwar nicht verkennen, dass
möglicher Weise an verschiedenen Orten, unabhängig von einan-
der, das Schiessen eines Apfels vom Haupte einer geliebten Person
als Charakteristikum grösster Schützenkunst hingestellt sein könnte,
wahrscheinlich sei es jedoch nicht, und nach allen Erfahrungen,
welche in den neuesten leiten im Gebiete der Sagen- und Märchen-
geschichte gemacht worden, sei es bei weitem eher anzunehmen,
dass auch diese Anschauung nur an Einem Orte ihre sagenhafte
Ausprägung erhielt und, wo sie weiter vorkomme, entlehnt sei.
In diesem Falle sei aber schwerlich daran zu denken, dass der
Orient sie vom Occident empfangen habe, sondern wahrschein-
licher das Umgekehrte anzunehmen. J. Grimm berichtet in
Myth. 355: In einer Handschrift der Casseler Bibliothek, eine
Reise in die Türkei enthaltend, sah ich einen Schützen abgebildet,
der nach einem Kinde zielt, auf dessen Kopfe ein Apfel liegt.
Von hierj gehen wir zur Gestaltung der deutschen Sage
vom Apfelschusse über und geben dabei die ältesten nur sum-
marisch an, weil ihnen ein folgender Abschnitt besonders vor-
behalten ist.
Wielands, des Heldenschmiedes, jüngerer Bruder Ei gel
kommt an König Nidungs Hof und wird als ein gerühmter Bogen-
schütze vom Fürsten aufgefordert, dem eignen Söhnlein einen Apfel
vom Haupte zu schiessen. Nur ein einziger Schuss soll ihm dazu
gestattet sein. Eigel nimmt aber drei Pfeile aus dem Köcher,
legt 25weie neben sich, schiesst mit dem dritten mitten durch den
Apfel und antwortet hernach dem fragenden Könige, die beiden
zurückbehaltenen Pfeile würden ihm selbst gegolten haben, wenn
der erste das Kind getroffen hätte. So erzählte man ursprünglich
in Westfalen, bis die Sage nach Schweden und Island ge-
tragen und der Vilkinasaga einverleibt worden ist.
2. Bogen u, Pfeil. Apfel, Nuss, Ring u. Münze. Freischützen etc. 37^,
Die dänische Sage, aufgezeichnet von Saxo Grammaticus (f 1203),
berichtet, wie der Kriegsmann Toko, auch Palnatoki genannt,
seinem eignen Sohne auf den ersten Schuss einen Apfel vom Haupte
geschossen (im Jahre 912). Dazu zwang ihn der Dänenkönig Harald
Blauzahn, welchem der Schütze nach geglücktem Schusse [die-
selbe drohende Antwort ertheilt, die man bereits aus Eigels Munde
kennt. Nachmals schoss er den Tyrannen im Dickicht eines
Waldes nieder.
In der norwegischen Sage ist statt Harald der christliche
König Olaf Tryggwason, zubehannt der Heilige (f 1030), und
statt Eigel oder Toko der heidnische Bogenschütze Eindridi ge-
setzt. Eindridi verspricht dem bekehrungseifrigen König Olaf,
sich taufen zu lassen, wenn ihn der König in drei Künsten:
Schwimmen, Bogenschiessen und Messerwerfen, überträfe. 'Da Ein-
dridi's Stärke im Schiessen bekannt war, so bestimmte der König,
dass sie vom Haupte eines Knaben, den Eindridi sehr liebte, eine
Schachfigur, nach anderem Berichte hingegen eine Tafel herab
zu schiessen versuchen sollten. Man Hess um des Knaben Stirne
ein Tuch binden und von zwei Männern an den Enden festhalten,
damit er nicht zucke, wenn der Pfeil heranschwirre. Der König
schoss hierauf, traf zwischen Kopf und Tafel, ohne das Kind zu
verletzen. Andere aber sagen, er habe den Knaben gestreift, so
dass dieser blutete. Eindridi dagegen unterliess auf Bitten der
Mutter und der Schwester den Schuss und erklärte sich für be-
siegt. Weinhold, Altnordisches Leben.
Eine andere norwegische Sage schreibt einen ähnlichen Befehl
dem Könige Harald Hardrade Sigurdson zu (1047 — 66). Dieser
besuchte einst Aslak, einen reichen Landmann auf der Insel Torg,
und forderte dessen Sohn Heming zum Wettstreite im Bogen-
schiessen heraus. Als er sah, dass er dem Heming in dieser Kunst
nicht gleichkomme, zwang er ihn bei Verlust des Lebens, dessen
Bruder Biörn eine Haselnuss vom Haupte zu schiessen. Der Schuss
gelang. Obwohl hier das Bereithalten eines zweiten Pfeiles nicht
erwähnt wird, so ist doch nicht undeutlich darauf angespielt, indem
Heming den König bittet, sich an Biörns Seite an^s Ziel zu stellen,
was aber jener zu thun verweigerte. Als im Jahre 1066 Harald
einen Einfall in England machte, stellte sich Heming auf die Seite
der Engländer und bezeichnete in der Schlacht bei Stamfordbridge
durch einen abgeschossenen Pfeil den König so genau, dass ein
anderer Schütze denselben erkannte und tödtlich traf. Alf. Huber,
38 I* ^^ Sagenkreis von Teil.
Die Waldstätte (i86i) S. 117 — 18, nach den Oldnard. Sagar und
P. E. Müllers Sagabibliothek 3, 359. Vedel Simonsons Unter-
suchung über Jomsberg, übersetzt von Giesebrecht. Stettin 1827,
S. HO — 27.
In der chronologischen Reihenfolge, welche jedoch auf dem
Gebiete der ausserzeitlichen Mythe von selbst pausirt, würde nun-
mehr hier der Apfelschuss des Teil zu stehen kommen. Wir
übergehen ihn, um sogleich die holsteinische Sage folgen zu lassen.
Henning Wulf hiess der reiche Mann im Kirchspiele
Wewelsflet in Stormarn, der 1472 bei einer Empörung der Leute
in der Marsch gegen König Christiem I. deren Anfuhrer gewor-
den war. Geschlagen und [flüchtig, verbarg er sich in einem
Sumpfe, wurde hier durch seinen Hund, der ihm nachgelaufen
war, verrathen und vor den König geführt. Da dieser wusste,
dass Henning vor Allen der vortrefflichste Schütze sei, liess er
dessen einziges Söhnlein herbeibringen und befahl dem Vater
höhnisch, demselben einen Apfel vom Kopfe zu schiessen; ge-
länge es, so sollte der Empörer frei sein. Henning holte seinen '
Bogen, legte auf, nahm zugleich einen zweiten Pfeil zwischen die
Zähne und that glücklich den Schuss. Auf des Königs Anfrage
um den Zweck des zweiten Pfeiles erfolgte die uns , schon be-
kannte Drohungsformel. Der König erklärte ihn in die Acht,
Henning musste fliehen. Sein Land ward eingezogen, heisst das
Königsland und muss noch bis auf diesen Tag schwere Abgaben
tragen. Man zeigt auch noch das Haus , wo Henning Wulf ge-
wohnt hat. Eine alte Bildtafel in der Kirche zu Wewelsflet wird
schon im Kirchenbuche dieser 1 593 neu erbauten Kirche erwähnt
und zeigt auf einem freien Platze einen Schützen mit abgespann-
tem Bogen stehend, einen Pfeil quer im Munde haltend. In einiger
Entfernung von ihm steht ein Knabe mit einem von einem Pfeile
durchbohrten Apfel auf dem Kopfe. Ein Wolf oder Hund steht
zwischen dem Schützen und dem Knaben, auf ersteren blickend.
Dieselbe Sage ist auch zu Nienbarstel, Kirchspiel Hohenwestedt
in Holstein, localisirt und zwar auf der Stätte des ehemaligen
Schlosses. Hier musste der Schütze vom Kopfe seines Sohnes
eine Birne herabschiessen. Müllenhoff, Schleswig-Holstein. Sagen,
Nr. (ß\ Jahrbücher von Schleswig -Holstein 1860. III, 3. S. 444.
Der Schützenheros Alt -Englands ist Robin Ho od, der
Freibeuter und Wildschütze. Er soll vom Ausgange des zwölften
bis in die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts gelebt haben. Der
2. Bogen u. Pfeil. Apifei» Nuss, Ring u. Münze. Freischützen etc. jo
Sherwood Forest, in welchem er als ein Geächteter mit seiner
Schaar hauste, bedeckte einst die Grafschaft Nottingham. Er so-
wohl, als sein Genosse Little John, sollen einen Pfeil eine eng-
lische Meile weit zu schipssen vermocht haben. Sein Bogen nebst
Pfeilen und einer seiner Schuhe wurden noch im vorigen Jahrhun-
dert hergezeigt. Der Robin-Hoodstag ist der i. Mai und wird
oder wurde mit Armbrustschiessen, Eierlauf, Wettlauf, Wettritt
u. s. w. gefeiert. Ein ungeheurer Fels im Kirchspiele von Hali-
fax heisst Robin Hoods Pfenningstein, mit ihm habe er nach dem
Ziele geworfen. Einen andern daselbst, von einigen Tonnen Last,
habe er mit dem Spaten bein> Umgraben auf den nächsten Hügel
gelegt ; ein Felsensitz in den Kirkby Crags heisst sein Stuhl ;
auch eine Quelle bei Nottingham und eine Bucht von Yorkshire
tragen seinen Namen. In der Nähe des Klosters Kirkleys in
Yorkshire, dessen Aebtissin ihn verrieth, soll er begraben sein.
Ein Edelmann jener Gegend nahm den Grabstein weg, um ihn
zu verbauen, fand ihn aber mehrere Male wieder aus dem Bau
geworfen, bis er ihn an die alte Stelle zurück versetzte. Um
seines Gesellen Little Johns Grab streiten sich England und Irland.
A. Kuhn, in Haupts Zeitschrift 5, 472 — 494. Der Name Hood
und Hooden ist weichere Aussprache für Woden; der Name
Robin ist Robert der Rothe; Ruodperaht, der Glänzende, ist ein
Beiname Odhins.
Eine Verjüngung dieser alt- englischen Weidmannssage ist
William of Cloudesly, der mit Adam Bei und Clym of the
Clough als geächteter Wilddieb in einem Walde bei Carlisle lebte,
zuletzt sich unterwarf und auf Bitten der Königin begnadigt
wurde. Um dem Könige einen Beweis seiner Geschicklichkeit zu
geben, erbot er sich freiwillig, seinem eignen siebenjährigen Sohne
auf eine Entfernung von 120 Schritt einen Apfel vom Kopfe zu
schiessen, thafs und wurde dafür in die königliche Leibgarde auf-
genommen. Cloudesly's Schuss ist sprichwörtlich geworden und
findet sich in Shakespeare s Werken und anderen Schriften Eng-
lands häufig erwähnt (vgl. Ideler, Schuss des Teil, S. 55 ff.). Die
' Sage selbst liegt in einer alt-englischen Ballade vor, deren drei
Theile 682 Reimverse halten: Percy, Reliques of ancient English
Poetry I, 143 ff.
Der mythische Serben held Milosch wirbt um die La-
teinerbraut in der Veste Ledjan und gewinnt sie nach der be-
standenen Probe, dass sein Pfeilschuss durch einen Ring trifft und
^e ^* ^Cf Sagenkreis von Teil.
den Apfel dahinter von der Lanzenspitze herabschiesst. Grerhard,
Serb. Volksl. i, S. 148.
Das ehstnische Märchen vom Treffschützen spielt zwischen
den drei Heldenbrüdem Glückshand, Scharfauge und Langbein,
oder ehstnisch Pickjalg, Osawkäp und Terawsilm. Da war einer
Königstochter Hand Demjenigen zum Lohn versprochen, der
i) die schnellfussige grosse Elennkuh einen Tag über hüten und
bei Sonnenuntergänge wieder in den Stall zurückbringen würde;
2) Abends das Burgthor verriegeln und 3) einem auf hohem Berge
Stehenden Manne den Apfel aus dem Munde schiessen könnte,
den dieser mit den Zähnen am Stengel gefasst hielt. Das erste
Probestück erforderte Schnelligkeit, denn die Elennkuh durchlief
den Raum von Sonnenaufgang bis -Untergang an Einem Tage.
Beim zweiten war Zauberei im Spiel; denn eine Hexe hatte sich
zum obersten Thorriegel verwandelt, und war der Schliesser mit-
tels einer Leiter zum Thorriegel hinauf gestiegen, so packte dieser
die zugreifende Hand mit riesiger Kraft und Hess den armen
Mann bis zum nächsten Morgen baumeln, wie .einen Klöppel in
der Glocke. Beim dritten Probestücke galt's Schützenkunst. Da
nun je ein Einzelner alle.dreie bestehen musste, um den Preis zu
erringen, so verschafften sich die Brüder eine gemeinsame Staats-
kleidung, erschienen darin der Reihe nach, und da sie als Einer
Mutter Söhne an Miene und Gestalt sich sehr ähnlich waren, so
ward der Betrug nicht bemerkt. Langbein übernahm am ersten
Tage das Hirtengeschäft, schlang der Elennkuh einen tüchtigen
Strick um den Hals, lief ein gutes Stück mit ihr um die Wette,
und als er sich ausser dem Bereiche der nachschauenden Blicke
wusste, schwang er sich dem Thiere auf den Rücken und Hess
sich rittlings den Tag über schleppen. Erst Abends, unweit der
Königsburg, verliess er seinen Sitz und führte die Widerspenstige
in den Stall.
Das Pförtnergeschäft übernahm am folgenden Abende Glücks-
hand. Die Bewandtniss mit dem verzauberten Thorriegel war
ihm bekannt. Daher Hess er beim Schmiede eine eiserne Hand
schmieden, machte sie rothglühend und bestieg dann die Leiter,
um den Riegel vorzuschieben. Als der Hexenriegel die glühende
Eisenhand erfasste, brüllte er laut vor Schmerz. Da hatte im
Augenblicke Glückshand den Riegel gestossen und das Burg-
thor war verschlossen. >.
Am dritten Tage kam die Reihe an Scharfauge mit dem
2. Bogen u. Pfeil. Apfel, Nuss, Ring u. Münze. Freischützen etc. ai
Meisterschusse. Der Apfelhalter auf dem Berge war über das
Gelingen der beiden Werke erbost und suchte dem Schützen die
Arbeit dadurch zu erschweren, dass er jetzt den Apfel nicht mehr
am Stengel zwischen den Zähnen hielt, sondern bis zur Hälfte in
den Mund nahm. Diese Bosheit half ihm aber nichts. Scharf-
auge zielte richtig, sein Pfeil traf den Apfel in der Mitte und riss
dem Manne an beiden Mundwinkeln noch ein Stück Fleisch mit
fort. Das Glücksloos machte hierauf den Schützen zum Eidam
des Königs; die zwei Brüder, reichlich beschenkt für ihre Mit-
wirkung, wanderten in die Feme und versuchten ihr Glück ander-
wärts. — Das Inland. Wochenschrift für Liv-, Ehst- und Kur-
land. No. 39, 24. Sept. 56, S. 630.
Die bisher angeführten Beispiele zeigen, dass die Sage vom
Apfelschuss in folgenden Ländern und zwar schon in deren Vor-
zeit bekannt gewesen ist: Indien, Arabien, Persien, Westfalen,
Island, Dänemark, Norwegen (hier ist eine Haselnuss, eine Schach-
figur und ein Täfelchen das dreifache Ziel), Schweiz, Holstein,
England, Serbien, Ehstland. An der blossen Möglichkeit des
Factums ist durchaus nicht zu zweifeln ; unsere Jetztzeit sogar weist
mehrere ganz gleichnamige Tellenschüsse auf. Erich von Schön-
berg berichtet in seinem Reisewerke, Patmakhanda i, 194, von
der Schützenkunst der indischen Shyks und der Dalib-Singhs ; der
Reisende Hess je vier und fünf Orangen, an einen Faden befestigt,
an einen Stab frei aufhängen und auf eine Entfernung von sechzig
Schritt mit Pfeilen darnach schiessen; Einem gelang es, zwei
Orangen zu treffen. Hammer-Purgstall , Abhandl. in der Wiener
Akad. d. Wissensch., März 1851. Aehnliches erzählt Th. Bade's
Buch »der Skalpjäger« 1857. S. 91, 92; da schiesst ein Indianer
mit der Büchse einem Indianermädchen einen Prärie-Kürbis von der
Grösse einer Citrone so vom Haupte, dass er in Stücke fliegt,
indess die Kugel in den, Baum fahrt, an welchem das Mädchen
gelehnt steht. Pfannenschmid, Der mythische Gehalt der Tellsage,
1865, S. 25. Ein Leineweber in der Rheinpfalz wurde 1853 vom
Polizeigerichte zu Speier »wegen verbotenen Schiessens« zu sieben
Gulden Geldstrafe und fünftägigem Gefangnisse verurtheilt, weil
er seinem Knaben erst ein Blatt Papier aus der Hand und wieder-
holt dann eine Kartoffel (also einen »Erdapfel«) vom Kopfe herab
geschossen hatte. Der letztere Schuss war vor Zeugen geschehen
und des Abends, wobei der Knabe der Dunkelheit wegen eine
42 !• jDcr Sagenkreis von Teil.
Laterne hatte halten müssen. AUgem. Augsb. Ztg. 1853, No. 82.
Köln. Ztg. vom 24. Jan. 1853. Pfannenschmid 1. c. S. 25.
Es folgen nun solche Treffschüsse, deren vorgeschriebenes
Ziel durch einen Thür-, Arm- oder Fingerring zu gehen hat; sie
gehören nach Hellas, Indien, Persien, Skandinavien, an den Mittel-
rhein und nach Italien.
Sarpedon, ein aus Zeus' Geschlechte stammender Heros,
wurde als Kind zum Schussziele hingestellt und ihm ein Ring von
der Brust geschossen, eine That, welche den Erwerb des Lyrischen
Königreiches zur Folge hatte. Eustathius, Comment. in Homeri
Iliad. 12, Vers lom
Alexander d. Gr. befiehlt einem berühmten indischen
Bogenschützen , mit dem Pfeile durch • einen kleinen Ring zu
schiessen und lässt ihn, da er sich des Schusses weigert, zur Hin-
richtung abführen. Da der Verurtheilte im Weggehen äussert,,
er habe den Schuss manche Tage nicht mehr geübt und deshalb
des Königs Willen jetzt nicht erfüllt, um nicht fehlzuschiessen, so
begnadigte ihn der König sogleich und beschenkte ihn noch oben-
drein. Nach Arrian.
Alkon der Kretenser sieht, wie sein Söhnlein Phaleros
von einem feindlichen Drachen überfallen und umstrickt ist,,
nimmt Bogen und Pfeil, zielt »durch die Umringelungen« und
trifft über der Scheitel des Knäbleins in den Rachen
des Thieres. Griech. Anthologie. Auf diese Mythe bezieht sich
schon Stephanius in seinen Noten zur Tokosage, Commentar zu
Saxo Gramm. 184, pag. 204.
Ein Perserkönig trug einen kostbar gesteinten Fingerring und
liess ihn auf der Kuppel des Adhad befestigen mit der Weisung,
wer einen Pfeil durch denselben schösse, dem solle das Kleinod
gehören. Vierhundert Schützen versuchten es. Alle fehlten. In
derselben Zeit schoss ein Knabe, spielend auf dem Dache der
Karawanserai, Pfeile nach allen Zufallsrichtungen hin, und einen
derselben trieb der Ostwind durch den Ring. Derselbe -wurde
ihm ^ daher auch zugesprochen und noch eine grosse Summe
Geldes dazu. Hierauf verbrannte er Bogen und Pfeil und ant-
wortete den darüber Fragenden: Damit mein erster Ruhm mir
lebenslang bleibe, soll dies mein erster und letzter Schuss- sein.
Sadi's Rosengarten, übers, von Graf 1861, 125. Russische Er-
zählung in Elisa Kulmanns SämmtL Ged. 1857, S. 680.
Punker von Rorbach, bei Heidelberg, schiesst seinem
2, Bogen u. Pfeil. Apfel, Nuss, Ring «, Münze. Freischützen etc. ax
Knäblein auf fürstlichen Befehl einen Denar von der Mütze,
nai::hdem er einen Ersatzpfeil in's GoUer gesteckt hat, und stösst,
hierüber befragt, das schon bekannte Drohwort aus. Dies hat
sich im Jahre 1420 begeben. Derselbe schiesst dann vom Thore
der belagerten Burg Lindelbrunn den Ring ab und hängt ihn an
sein eignes Wohnhaus zu Rorbach. Das Weitere hierüber behan-
delt der nachfolgende Abschnitt: Teil als Zauberschütze. Der
Germane sah in dem am Tempelthore hangenden Ringe ein Weih-
stück des hier verehrten Gottes, darunl berichtet die Atla-qvidha,
Str. 31, dass man auf Ullr's Tempelring, »at hringi Ullar«, Schwüre .
abgelegt habe. Haupt, Zeitschr. 8, 201. Nach der schwedischen
Sage von Oedmans Bahuslän 224 erlegt der Gebirgschütze Swen
einen weissen Steinbock, der einen Ring um den Hals trug, ent-
geht dabei den Verfolgungen der Berggeister und stiftet hierauf
seine ganze Jagdbeute an die Kirche. Der Halsring bildete bis
zum Jahre 1732 den Ring an der Myklebyer Kirchthüre und ist
von unbekanntem Metall, das Bockshorn verwahrte man in der
Torpkirche, das Fell in der Langelandkirche. Grimm, Myth. 426.
Ueber die in der Märchen-Literatur auftretenden Treff-
schützen hat R. Köhler 1872 in Brockhaus' Kritischen Anzeigen
schätzbare Mittheilungen gegeben; nachfolgendes ist denselben
auszugsweise entnommen.
Die Novella dell Fortunato ist 1869 zu Livorno von Giov.
Papanti nach einem Drucke aus dem fünfzehnten Jahrhundert
herausgegeben worden. Der Inhalt ist folgender. König Ricardo
hatte sein Reich in drei Theile getheilt und es seinen drei hei-
ratsfähigen Töchtern übergeben gehabt, als er wider Erwarten
noch eine vierte Tochter bekam. Da nun diese heiraten sollte,
erklärte sie, wenn sie nicht, wie ihre drei Schwestern einen König
zum Manne bekäme, so wolle sie nur den heiraten, der sie im
Wettlauf besiege. Verschiedene ritterliche Bewerber traten auf,
jivurden aber besiegt und hingerichtet. Denn Prudentia war nicht
bur eine ausserordentlich schnelle Läuferin, sondern sie besass auch
ein wunderbares wohlriechendes Wasser, mit dem sie die, welche ihr
Im Wettlaufe nahe kamen, bespritzte, so dass sie ohnmächtig hin-
fielen. Da kamen drei Gesellen mit wunderbaren Eigenschaften
an den Hof. Der Eine hiess Tiritirante (Schiessdenschützen) und
schoss mit seinem Bogen drei Meilen weit, ohne das Ziel zu
fehlen ; der Andere hiess Vedividante (Guckhintenundvorn) und
sah fünf Meilen weit; der Dritte hiess Coricorante (Springmir-
44 !• ^^ Sagenkreis von Teil.
nichtnach) und lief so schnell wie ein Vogel fliegt. Coricorantc
unternahm es, mit der Königstochter um die Wette zu laufen.
Auch ihn bespritzte sie mit dem Wasser,' und er fiel ohnmächtig
um. Das sah aber Vedividante sofort und sagte es seinem
Freunde Tiritirante, der alsbald einen Pfeil auf Coricorante abschoss,
ihn ohne Verletzung traf und dadurch erweckte ; so dass er der Kö-
nigstochter nacheilte, sie überholte und vor ihr das Ziel erreichte.
Man vergleiche Grimm, K.-M. No. 71; Ey, Harzmärchen-
buch S. 116, und das Märchen »Belle-Belle ou le Chevalier For-
tune« von der Gräfin d'Aulnoy. Auch in diesen Märchen kommt
ein Wettlauf mit einer Königstochter vor, wobei der Läufer ein-
schläft, aber durch einen Schuss oder Wurf noch zeitig genug er-
weckt wird, um vor der Prinzessin das Ziel zu erreichen. Bei
Grimm (K.-M.) und Ey (Harzmärchen) schläft er ein, indem er
etwas ausruhen will, da er einen bedeutenden Vorsprung hat ; bei
der Gräfin d'Aulnoy in Folge eines Trankes, den ihm die Prin-
zessin vor Beginn des Laufes gereicht hat. Bei Grimm gewahrt
der scharfsehende Jäger, dass der Läufer schläft und weckt ihn
durch einen Schuss ; bei Ey weckt ihn der Starke durch einen
Steinwurf, nachdem der Scharfäugige gesehen hat, dass er schläft;
und bei der Gräfin d'Aulnoy hört Feinohr den Läufer schnarchen
und der Schütze erweckt ihn durch einen Pfeilschuss. In Basile's
Pentamerone III, 8 wird der Läufer Furgolo (Blitz) durch einen
Ring mit einem Zauberstein festgemacht, bis der Armbrustschütze
Cecadiritto (Triflfgut) ihm den magischen Stein vom Fingerring
schiesst. Es giebt noch andere Märchen, in denen ein einge-
schlafner Läufer durch einen weittreffenden Schützen oder Schleu-
derer erweckt wird, um dann binnen einer vorbestimmten Frist Etwas
herbei zu holen.
Von hier an sollen diejenigen Treffschüsse erzählt werden,
die nicht allein durch des Pfeilschützen Kunst, sondern mehr
durch das magische Vermögen seiner Zauberpfeile gelingen. Der
indische Schütze Cabdavedhi (sanskritisch vedhi ist altnordisch
veidhi. Fang und Jagd) braucht nur den Gegenstand zu nennen,
den er treffen will.J Kuhn, Westf. Sag. i,.No. 376. In den Ta-
tarischen Heldensagen (erzählt von Castren, Die Altai- Völkeri
1857, P^S- 215) besitzt Katai-Chan einen Goldpfeil, der lebend ist,!
über sieben Länder fliegt und da Alles tödtet; dann kehrt er zum
Schützen zurück, aber weder Eisen noch Stein kann ihn im Rück-
laufe hemmen und er wird auch in der Heimat noch die Leute
2. Bogen u. Pfeil« Apfel, Nuss, Ring u. Münze. Freischützen etc. At
niederschiessen , wenn Katai-Chan nicht zuvor unter den Huf
seines Lieblingsrosses einen Stein gelegt hat. Drauf stösst der
Pfeil gegen den Huf, prallt neun Klafter zurück, bleibt liegen und
kann wieder in den Goldköcher gethan werden. Des finnischen
Wäinämöinens Bogen geht von selbst zu Walde auf's Weidwerk.
Schiefner, Uebersetzung der Kalewala 15, Vers 371. Nach dem
altfranzösischen Roman des Huon von Bordeaux bedient der
jagende Eibenkönig Oberon sich eines Pfeiles, an dem augenblick-
lich, wann es der Eigner will, jegliches Wild steckt. W. Menzel,
Odhin S. 162. Für die nordische Erzählung mit demselben Inhalte
muss hier weiter ausgeholt werden.
Der Norweger Kämpe Odd ist unter dem Namen Orvarodd
berühmt geworden ; denn ör, Genitiv örvar, heisst Pfeilspitze, und
jener demnach der Pfeilodd. Sein Vater war Grimr der Lod-
wangige auf Rafnista in Halogaland. Sobald Odd laufen konnte,
liess er sich von allen Leuten Geschosse machen und stopfte sie
in den Balg eines dreijährigen schwarzen Bockes, woran Hörner
und Klauen gelassen waren. Das war sein Köcher, örvarmaelir.
So kam er ungekannt, ganz in ein Rindenkleid gehülli:, an den
Hof König Herrands und hiess hier bloss der Rindenmann (naefra-
madhr). Obschon er sich absichtlich ungeschickt stellte, verrieth
er doch auf einer Jagd seine Schützenkunst und nun wetteten
Sigurd und Siolf, die beiden vornehmsten und als Schützen nam-
haften Häuptlinge, mit Odds Bankgenossen, wer von ihnen besser
schiesse, sie oder der Rindenkerl. Die Zwei setzten einen Ring
iiron einer halben Mark ein, Odds Freunde zwei Ringe von gleicher
Schwere. Am Morgen nach dem Trinken wird vor dem Könige
das Schiessen gehalten. Sigurd hat den ersten Schuss; sein Pfeil
fliegt unendlich weit, und wo er niederfällt, schlagen sie einen
Spiesschaft ein, auf den ein goldnes Täfelchen gelegt wird.
Hierauf schiesst Siolf die Tafel herunter. Nun tritt Orvarodd vor
und schiesst den ersten Pfeil bis zur Stange ; den zweiten schnellt
er in die Luft, und als er herabfliegt, fährt er mitten in die Tafel
und heftet sie an den Schaft; dann nimmt er den dritten Pfeil
und jagt ihn so weit, dass ihn Keiner wieder sah. So gewann er
unter allgemeiner Beistimmung das Spiel. (Weinhold^ Altnord.
Leben 205.) Der Norweger Ketil Haeng hatte den berühmtesten
Bogenschützen der Finnen, den König Gusi besiegt, erschossen
und die ihn\ abgenommene Beute an Odds Vater Grimr (ein Bei-
name Odhins) gegeben. Darunter waren die drei Pfeile, deren
aQ I. Der Sagenkreis von Teil. .
Einzelname Flog, Hremsa und Fifa war, und die zusammen
Gusisnaut, Gusistod, hiessen. Es waren drei von den Zwergen
geschmiedete, mit Gold ausgelegte Zauberpfeile, die, nachdem
sie jedes Ziel erreicht und jeden schussfesten Mann weggerafft
hatten, immer wieder zum Eigner zurückkehrten. 'Auf den kalten
Inseln des weissen Meeres bekämpfte Odd mit diesen Pfeilen die
Riesen; mit einem eigenhändig im Walde gehauenen Steuerruder
erschlug er die Strandräuber und Wikinger; in . einem Seiden-
hemde, dessen Zaubergewebe gegen Feuer und Wasser, gegen
Eisen und Hunger schützte, erschlug er die Berserker, die den
Schwertkampf gegen ihn wagten. So lange er selbst nicht vor
dem Feinde wich, verlor auch das Gewand nicht die schirmende
Kraft. Nachdem er mit seinem Ruhme die weite Welt erfüllt
hatte, soll er nach Jerusalem gepilgert und ein Christ geworden
sein. Thorföus fand bei Beruri-Odhri in Norwegen noch Örvar-
Odds Grabhügel. 7— Russwurm, Nord. Sagen 322. Wedderkop,
Bilder aus dem Norden 2, 39 — 58.
Der nächste und letzte Schritt von der blindlings treffenden
Zauberwaffe fuhrt zum blinden Treffschützen, dessen Geschichte
das Alte Testament, Alt-Indien, die Edda und die deutsche Sage
kennen. Mit diesen fatalistischen Sagen erreicht der vorliegende
Abschnitt sein Ende.
Der Treffschuss des Blinden.
Als der Brudermörder Kain aus dem Lande flüchtet und
über sein Geschick seufzt, dass ihn nun erschlagen werde, wer ihn
in der Fremde finde, tröstet ihn Gott und spricht: Nein, wer
Kain todtschlägt, das soll siebenfältig gerochen werden. Hierau
wohnt Kain in der Fremde, zeugt mit zwei Weibern Kinder,
deren fünftes Lamech ist, und spricht zu den Seinigen: Höret,
was ich euch sage : Kain soll siebenmal, Lamech aber siebenund-
siqbzigmal gerochen werden.
Gleichwohl wird dann Kain von Lamech selbst erschlagen
doch warum und auf welche Weise dies geschehen, dies bleib
im Alten Testament gänzlich verschwiegen. Hierüber giebt nui
eine rabbinische Säge Auskunft, welche durch Hieronymus in di<
Glosse gekommen und auch Comestor bekannt gewesen ist. Sri
wird in der Deutschen Historienbibel (Ausg. von Th. Mer»
dorf I, S. 123) also erzählt:
Nun kund Lamech wol schiessen und was blind. Do fiii
2. Bogen u. Pfeil. . Apfel, Nuss, 'Ring u. Münze. Freischützen etc. 47
in ain kind, das sach Kaym hinder oder under ainer dicken
weckolter-stüden ligen, da hett sich Kaym hinder verborgen.
Dahin zaigt im das kind, wann es wolt wenen, es war ein tier.
Do schoss Lamech in die stüden vnd ertovt Kaym unwissent.
Do Lamech innen ward, dass er Kaym ertovt hett, do sprach er
zuo sinen frowen: »ich havn ainen Jüngling unwissent ertött, der
hiess Kaym. Die ravch ist sybenvältig, wann ich bin der sybend
man nach im, und die ravch umb die sünd, das ich Kaym ertött
jTiän, Wirt sybenzigvaltig]. Das geschah in der sündtfluot: do
verdurbent die sybentzig geschlächt, die von Lamech kament.
Zunächst ist man hier erinnert an den vom blinden Hödur
herbeigeführten Tod Baldurs. Nach der Eddaischen Erzählung
fühlen sich die Äsen durch böse Träume beunruhigt, die ihnen
des Jugendgottes Baidur Leben zu bedrohen scheinen. Die
Göttermutter beeidigt darum alle Elemente und Dinge: Steine,
Pflanzen, Erze, Thiere, Krankheiten, dass sie sein schonten.
Hierauf beruhigt, spielten die Götter mit ihm, schössen, hieben
und warfen nach ihm, und was sie auch thaten, es schadete ihm
nicht. Nur Hödur spielte nicht und blieb ausserhalb des Kreises
stehen, denn er war blind. Da fragte ihn Loki: warum
schiessest du nicht nach Baidur und erbietest ihm Ehre, wie alle
Andern thun? und jener antwortete: Weil ich nicht sehe, wo
er steht, und weil ich keine Waffe habe. Da wies Loki ihn gegen
Baidur, gab ihm einen Mistelzweig, lenkte des Blinden Hand,
dieser schoss und durchbohrte mit dem schwachen Reis den Gott,
dass er leblos hinstürzte. Denn damals, als alle Dinge schwuren,
hatte man die junge, nur im Winter wachsende Mistelstaude allein
nicht mit in Eid genommen. Obwohl Hödur unschuldig an der
That ist, muss hierauf an ihm des Gefallenen jüngster Bruder so-
gleich die Blutrache üben, allein dadurch konnten weder die
Götter noch die Menschen von dem letzten Verderben mehr ge-
rettet werden. Alle Äsen alterten von Stund an und der unver-
meidliche Untergang der Welt nahte. Die Rolle, die in der Edda
■dem Blinden zukommt, ist im Nibelungenmythus auf den Ein-
äugigen übertragen, und wie dorten das Mordwerkzeug die Mistel,
so ist es hier der Dorn. Der Nibelunge Hagen trägt seinen
Namen vom stechenden Dorn und ist einäugig, er hatte das rechte
im Zweikampfe mit Walthari verloren. Obschon Siegfried durch
das Bad im Drachenblute unverwundbar geworden ist bis auf
eine kleine geheime Körperstelle, so weiss Hagen diese gleich-
a8 I« I^cr Sagenkreis von Teil.
^
wohl zu erfragen und zu treffen; rücklings von Hagens Speer
durchschossen, endet Siegfried,
Die fünfte Erzählung des Sanskrit-Romans Vetala-pantscha-
Vintschati (übersetzt von Luber, Görz 1875) handelt von der
Tochter des Ministers Haridasa, um welche drei Brahmanen
gleichzeitig freien. Ihrer jedem wird erwiedert, nur einem solchea
könne man sie vermählen, der im Besitze besonderer Eigenschaf-
ten ist. Sogleich will ich den Beweis liefern, antwortete der erste
Werber, bestieg mit dem Minister einen von ihm selbst gemach-
ten Wagen, welcher die Eigenschaft besass, durch die Luft zu
fahren, und so fuhren sie Beide zur Tochter heim. Hier aber
trafen sie schon den zweiten Werber, einen Zauberer, der sich
unsichtbar machen konnte, und dazu den dritten, einen Tschabda-
vedhin ; dies bezeichnet einen Schützen, welcher den zu treffenden
Gegenstand gar nicht zu sehen, sondern nur die Richtung zu
wissen braucht, nach welcher er das Geschoss zu senden hat.
Allein während nun die Drei sich um das Mädchen stritten,
war dieses über Nacht durch einen Dämon auf das Vindhya-
Gebirge entführt. Nun nahm der Zauberer seine Kreide und
rechnete den Ort im Gebirge heraus, wohin das Mädchen ent-
führt war; der Schütze fuhr mit dem ersten Werber in dessen
durch die Lüfte gehendem Wagen an den bestimmten Platz und
erlegte dorten den unsichtbaren Dämon, hob das Mädchen
in's Fuhrwerk und brachte es zurück.
Der rheinische Ritter von Fürsteneck ist des von Saneck
Gefangener geworden und wird beim Gastmahl hereingeschleppt,
um als berühmter Bogenschütze dem Sanecker und den Gästen
eine Probe zu geben; mit verbundenen Augen soll er einen
Silberbecher von der Tafel schiessen. Der Fürstenecker legt an
und erlegt mit dem ersten Pfeile seinen Feind. Schreiber, Rhein.
Sagen 2, No. 33.
IIL
Die Eigil- und Tokosage in Skandinavien
und die Sage von der Einw^anderung der
SchAveizer aus Schw^eden.
Die Sage von Wieland dem Schmied und seinem jüngeren
Bruder Eigel reicht in das höchste Alterthum' hinauf, wie das
dem sechsten Jahrhundert angehörende eddische Lied Völundar-
kvidha, Lied von Schmied Wieland, und die unzweifelhaft frühe
Verbreitung desselben Mythus unter den Angelsachsen bezeugt.
Wilh. Grimm und Rassmann (Deutsche Heldensage II, 212) be-
zweifeln daher nicht, dass einst ein selbständiges Wielands-Epos
bestanden habe, von welchem jenes eddische Lied und die Er-
zählungen in der Vilkinasaga nur Ueberreste sind und dessen
Grundgedanke sein musste : dass Wielands göttliche Natur durch
sich stets steigernde Missgeschicke und Misshandlungen in immer wun-
derbareren Kunstschöpfungen allmählich zur Erscheinung kommt.
Der deutsche Ursprung ergiebt sich — so erweist Rassmann —
theils aus der nach Deutschland hinweisenden Heimat der Wielands-
sage; theils daraus, dass ihre in der eddischen und der angel-
sächsischen Bearbeitung niedergelegten Bestandtheile sich in unsern-
' mittelhochdeutschen Dichtungen wiederfinden; insbesondere aber
^us der Vilkina, in deren Prologus es wörtlich heisst: »Diese Saga
ist zusammengesetzt nach der Erzählung deutscher Männer, aber
zum Theil aus ihren Liedern, womit man vornehme Männer unter-
halten soll und die in alter Zeit gedichtet wurden, gleich nach
den Begebenheiten, welche in dieser Saga erzählt werden. Und
wenn du einen Mann aus jeder Burg in ganz Sachsland nimmst,
so werden Alle diese Saga auf dieselbe Weise erzählen : das be-
Rochholz, Teil und Gessler. 4
so
I. Der Sagenkreis von Teil.
wirken aber ihre alten Lieder.« Abermals Kapitel 394 beruft
sich sodann der Verfasser bezüglich des Nibelungenkampfes auf
die mündlich empfangnen Erzählungen westfälischer Männer aus
Soest, welche die Stätten noch unzerstört gesehen haben, wo
sich jener Kampf ereignete, sowie auf Männer aus Münster und
Bremen, deren Berichte sowohl unter einander, als auch mit jenen
übereinstimmten : »Auch ist das meist dem gemäss, was alte Lieder
in deutscher Zunge sagen, welche weise Männer über die grossen
Begebenheiten, die sich in ihrem Lande zugetragen, gedichtet
haben.«
Die Wieland-Eigelsage , nach dem Berichte der Edda und
Vilkina hier in's Kürzere zusammen gedrängt, ist folgenden
Inhaltes :
Wato, in dessen Namen derjenige Wuotans, und in dessen
ursprünglichem Wesen auch die höhere Gestalt eines Gottes ver-
borgen liegt, der das erste Seeboot baut, das erste Hom erfindet
und der Heilkunst Meister ist, sinkt in der Sage zum Riesensohne
der Meerminne Wachilt herab und lebt mit einem Meerweibe auf
Seeland. Einst von einer langen Fahrt ermüdet, hatte er sich
am Wege niedergelegt und schlief so fest und lange, dass von
seinem Schnarchen ein starker Regen entstand. Darüber löste sich
oben im Berge eine Klippe los mit Holz, Gestein und Staub und
begrub den Riesen. Er hatte mit dem Meerweibe drei Elfensöhne
erzeugt: Slagfidr (der Befiederte), der beste in der Heilkunde;
Wieland, der kunstreichste Schmied; Eigil, der berühmteste
Bogenschütze. Nach Wild jagend kamen die Dreie auf ihren
Schlittschuhen in's Wolfthal gefahren, blieben da und bauten
sich am Wolfsee Häuser. Eines Morgens früh, als sie zum
Wasser giengen, fanden sie am Strande drei Jungfrauen, die sassen
und spannen köstlichen Lein. Es waren drei Schwestern, krie-
gerische Schwanenjungfrauen, die über den Schwarzwald herge-
flogen waren und ihre Schwanenhemden eben abgelegt hatten.
Die drei Brüder bemächtigten sich dieser Gewänder, dass die
Jungfrauen nicht entschweben konnten, führten sie heim und ver-,
mahlten sich ihnen. Slagfidr nahm die Swanwit (Schwanweiss),
Wieland die AUwit (Allwissende), Eigel die Aelrun (Alraun), und
so waren die Dreie mit den Gewändern ihrer Frauen nun selber
des Zauberfluges mächtig. Nachdem sie sieben Jahre einträchtig
zusammen gelebt, begannen im achten die Frauen zu trauern und
nach ihrer Heimat in den Schwarzwald sich zurück zu sehnen,
3- Die Eigil- und Tokosage in Skandinavien etc, 5I
im neunten entflohen sie den Männern. Nun war auch diesen die
Halle leer und freudenlos und sie trennten sich. Eigil fuhr aus
nach Osten, um Aelrun, und Slagfidr nach Süden, um Swanwit
-zu suchen. Wieland aber, im Vertrauen, dass AUwit ihn nicht
•gänzlich verlassen habe, sondern wieder heimkehren werde,, ver-
blieb in Wolfsthalen , schmiedete rothe Goldringe und legte, fun-
Tcelndes Edelgestein hinein. Die Kunde von diesen Kostbarkeiten
drang an den Hof des Schwedenkönigs Nidung (der Neidische) *),
•er Hess den Kunstschmied im Schlafe überfallen, fesseln und in
die Hofburg schleppen, um die Quelle seines Goldes zu erfahren.
Auch der Schätze bemächtigte er sich, darunter waren sieben-
hundert Goldspangen an Einer Schnur, das Schwert Miming,
dessen Schärfe selbst einen auf dem Wasser schwimmenden WoU-
ik)cken zerschnitt, und ein Ring mit dem Siegstein, durch dessen
Besitz man überall siegte. Der Gefangene hatte von nun an für die
fürstliche Schatzkammer zu arbeiten, als aber die Königin ob dem
Feuer seines Blickes erschrak und Entweichungsplane argwöhnte,
liess ihm Nidung die Sehnen der Knöchel lähmen, er musste an
Krücken gehen und war übel gehalten. Doch dies Elend währt
nur so lange , bis er sich ein goldnes Fluggewand zurecht ge-
schmiedet hat ; alsdann vergilt er das Erlittene mit gleicher Grau-
samkeit. Die habsüchtige Königstochter Bödwilde lockte er mit
einem Ringe heimlich zu sich, bezechte sie mit Meth und that ihr
Gewalt an; die zwei jungen Königssöhne liess er zusammen in
seine Truhe nach dem Geschmeide schauen, dann schlug er über
ihnen den Eisendeckel zu, dass die Köpfe in den Kasten roll-
ten. Als dies Alles geschehen und in der Stille auch Bruder
Eigil davon benachrichtigt war, legte Wieland das dädalische
Flügelkleid an, schwang sich in die Luft, flog auf den höch-
sten Schlossthurm, höhnte auf Nidung herab, der aussen auf
dem Gesims der Halle sass, und enthüllte ihm den Tod seiner
Söhne. In diesem Augenblicke tritt Eigil in den S'chlosshof, erhält
Nidungs Befehl, den entfliehenden Bruder, ehe dieser sich vollends
in die Wolken erhebe, zum Schussziele zu nehmen, und zu noch
grösserer, schon voraus verabredeter Rache gehen die Gebrüder
darauf ein. Eigil schiesst nach- Wieland und trifft mit dem Pfeile
♦) Nidudr, König von Schweden, nennt ihn die Völundarkvidha ; Nithhad
heisst er in der angelsächsischen Sage; Nidung, König in dem Theile
Jütlands, der jetzt Thy heisst, nennt ihn die dänische Sage.
4*
C2 I- "^^ Sagenkreis von Teil.
in eine Blase, die Wieland mit dem Blute der Königssöhne gefüllt
unter dem linken Arme verborgen hat, und so wird der grausame
König Augenzeuge, wie seiner Kinder Blut zum zweitenmale fliesst^
er erkrankt und stirbt bald darauf. Wieland flog heim nach Seelands
[Von dieser und der nun nachfolgenden Schuss-Scene reden
nur die Wilkina- und Niflunga-Sage ; in der Edda sind die beiden
Scenen übersehen. Das nun folgende Abenteuer wird in -der
Wilkinasage vor Wielands Entweichung angesetzt.]
Inzwischen über des Bruders fortdauernde Gefangenschaft ins-
geheim benachrichtigt, erscheint Eigil an Nidungs Hofe. Er wird
dem Anscheine nach zwar wohlaufgenommen, denn sein Ruhm,
den er vor Allen voraus hatte, dass er mit dem Handbogen
besser als irgend Jemand anders schiesse, ist hier wohlbekannt;
allein er muss beschwören, des Bruders Schmach nicht rächen zu
wollen, und hat alsbald eine Probe seiner Bogenfertigkeit abzu-
legen. Damit dabei seinem Uebermuthe vorgebeugt sei, soll er
seinem dreijährigen Knäblein Orendel*) einen Apfel abschiessen,
und diesen legt Nidung eigenhändig auf des Kindes Kopf. Der
Schütze soll weder zur Linken noch zur Rechten, noch über das
Haupt weg, sondern allein nach dem Apfel zielen und nur einen
einzigen Pfeil abschiessen, nicht mehr. Den Knaben zu treffen,
war ihm nicht verboten, weil man wohl wusste, dass er es schon
von selbst vermeiden würde. Eigil verweigert erst den Schuss,
unterzieht sich aber, als ihm die am Bruder voUzpgne Strafe an-
gedroht wird. Doch nahm er nun drei Pfeile aus dem Köcher,
befiederte sie, legte den einen an die Sehne und schoss mitten in
den Apfel, so dass der Pfeil die Hälfte mit sich hinwegriss und
Alles zusammen auf die Erde fiel. Dieser Meisterschuss ist
lange hochgepriesen worden, auch der König bewunderte ihn sehr,
Eigil war fortan berühmt vor allen Männern und hiess Eigil der
*) Altnordisch örvandill, ahd. Aruwentil leitet ab von Ör, sagitta,
und Yon wanda, elaborare, mit angehängtem Suffix il, el. Der Name besagt:
Pfeilwinder, Pfeilarbeiter, und weist auf die waffenschmiedende Thätigkeit der
Elfen, deren Pfeil das Elfengeschoss heisst. Das Kind Örwandill wird von
Gott Thorr über das Wendelmeer im Tragkorbe herüber gebracht; beim Durch-
waten des Sundes schaut des Kindes Fuss zum Korbe hervor und eine Fusszehe
erfriert in der Nachtkälte. Thorr bricht sie ab und wirft sie an den Himmel,
wo sie zum leuchtenden Gestirne wird, das wir den Daumen nennen am Stem-
bilde des Wagens. Auch im Angelsächsischen bezeichnet earendel ein glänzen*
des Gestirn.
3. Die Eigil- und Tokosage in Skandinavien etc. 53
Schütze, »Örrunar Egil«. Doch Nidung richtete bald die Frage
an ihn, wozu er sich die beiden andern Pfeile zum ersten befiedert
habe, da ihm doch nur verstattet worden, einen zu verschiessen.
Eigil antwortete: Herr, ich will nicht gegen euch lügen; wenn
ich den Knaben mit dem ersten getroffen hätte, so waren euch
•diese beiden zugedacht! Die Umstehenden dachten, er habe wie
-ein Biedermann gesprochen, auch der König nahm es gut auf und
reihte ihn unter seine Mannschaft ein.
Die Eigilsage kam nach dem ausdrücklichen Beridite der
Vilkinasage zuerst aus dem Munde deutscher Männer aus Münster,
Soest und Biremen in Form von Liedern und Erzählungen an
reisende Skandinavier, wurde von diesen gegen Mitte des drei-
zehnten Jahrhunderts aufgezeichnet und gieng späterhin in dieser
altnordischen Fassung*) wieder nach Deutschland zurück; daher die
gewöhnliche Meinung,^ die Eigil- und Wielandssage sei skandina-
vischen Ursprunges. Ihre frühere Deutschheit wird jedoch ausser
den schon Eingangs gezeigten Gründen, noch durch viele Hun-
derte altgeschichtlicher Orts- und Personennamen erwiesen, unter
-denen im Nachfolgenden nur diejenigen angeführt stehen, denen
wir bei unsern eignen Urkundenstudien begegnet sind. Nicht
bloss die Wielande und Eigilone, auch der heute befremdlicher
lautende Name der Geschlechter Orendel treten in oberdeutschen
Urkunden frühzeitig und reichlich hervor.
Der altdeutsche Mannsname Agilo stammt aus einer Wort-
^wurzel, welche Schrecken bedeutet, er kennzeichnet den fiirchter-
lichen scharfen Blick des Heldenauges, lautlich verdünnt er sich
in Egilo, Eigel und entstellt sich in Eichel. In Bonn besteht
noch der Familienname Schützeichel (Simrock, Myth. 241). In
•der Rhein- und Moselgegend, sodann am Main und am Bodensee,
bis in's Ober- Toggenburg herein nennt man Felsberge, mit
Spuren von namenlosem Gemäuer, Trümmer von Römercastellen
und Burgen, Eigelsteine ; so das Drusus-Monument zu Mainz ; das
nördliche Stadtthor zu Köln und den altrömischen Igelstein bei
Trier (Eberh. v. Groote, in' Hagens Kölner Reimchronik, 234);
femer die Eilingsburg, ein Wichtelfelsen bei Kissingen (Panzer,
*) Egils-Saga, sive EgiUi Skallagrimii vita, die Sage von Egil Skallagrimson,
«Tschien im dritten Bande der vom neunten bis vierzehnten Jahrhundert gehenden
Sammlung: Islendinga Sögur, und wurde von Registratur N. M. Petersen in dän-
ischer Bearbeitung edirt: Historiske Fortaellinger etc., 4 Bde., 1839—45.
Ca I. Der Sagenkreis von Teil.
Bairische Sagen i, No. 202); die Eigelhard, ein Burgstal ob
Pfungen an der Töss, wo Karl der Grosse gewohnt haben soll
(KohJrusch, Schweiz. Sagenb. i, 300); und die kleine Burgruine
Eichelstock bei obertoggenburgisch Bütschwil. St. Galler Neu-
jahrsblatt 18 31, 10.
Wir verzeichnen im Folgenden den fraglichen Personennamen»
vom neunten Jahrhundert an und zwar vorzugsweise aus ober-
deutschen Urkunden.
Eigil war 818 aus Baiern nach Fulda gekommen und starb
da am 15. Juni 822 als Abt. (Rettberg, Kirchen-Geschichte.) In
Kozrohs Freisinger Bisthums- Urkunden (ed. K. Roth, München
1854) erscheint vom Jahre 835 die traditio Eigiloni (Heft i, 38)
und vom Jahre 926 Eigil als Zeuge (Heft 2, 95). Egil und
Eigil stehen seit dem Jahre 899 in den Passauer Bisthums-
Urkunden genannt. Freyberg, Samml. histor. Schriften I, 493.
Oberdeutsche Priester stehen unter der Namensform Aigil zwei,
und fiinfe des Namens Eigil verzeichnet in dem von Karajan
edirten Salzburger Verbrüderungsbuche (S. 40 und 48), welches-
vom achten bis in's dreizehnte Jahrhundert geführt ist. Egil
(von 985 — 994) und Aigil o (von 1196) sind urkundliche Per-
sonen in Meillers Regesten zur österreichischen Geschichte unter
den Babenbergern. Eigilwi hiess die sächsische Mutter der wei-
fischen Kaiserin Judith, Gemahlin Ludwigs des Frommen. The-
gan, Annalen, Cap. 26. Eigil steht zum 10. Januar in den beiden
dem zwölften Jahrhundert angehörenden Todtenbüchern des Bene-
dictiner - Stifts St. Lamprecht in Obersteier; Ausg. v. Pangerl,.
S. 341. Eigalmanneswert ist 1139 ein zwölf Juchart halten-
des Ackerland am Würzburger Main. Tritheim, Hirsauer Chron.
I, 406. Egil ist II 54 Abt des Klosters Brüm in der Diöcese
Trier. Tritheim i, 25. Eigils-, Eigeles- und Eglisbrunnen
heisst seit 1070 das baierische Dorf Eulsbrunn, Landgerichts
Kelheim. Bavaria II, Abthl. 2, 618. Egilspach ist 11 70 das
baierische Pfarrdorf Aigelsbach, Landgerichts Abensberg. Frey-
berg, Samml. II, 287. Im Schenkungsbuche der Propstei Berchtes-
gaden, angefangen in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhun-
derts, stehen als Hörige der Kirche verzeichnet: Ehcilo, ficili,.
iterum Ecili et Ehcilo. Quellen und Erörterungen zur Bayer.
Gesch., I, pag. 274, No. 71. Einen Egilo Archiepiscopus , in-
Hincmars Briefen erwähnt, bespricht Pertz, Archiv 7, 865.
Eigelessachsen (vom Jahre 11 87) und Eigelesdorph (1187)
3* Die Eigil- und Tokosage in Skandinavien etc. cc
sind die jetzigen zwei wetterauischen Dörfer Eichelsachsen und
Eichelsdorf, die an dem in die Nidda fliessenden Bächlein die
Eichel liegen. Weigand in Wolffs Zeitschrift f. Myth. i, S. 3.
Eigelhard von Gisenheim (Geisenheim im Rheingau) ist 11 36
Ministeriale des Mainzer Erzbischofs. Mone, Zeitschrift 2, 433.
In der Grenzbestimmung, welche 1155 durch König Friedrich L
dem Konstanzer Sprengel gegeben wird, heisst es: a villa Eig-
goltingen usque ad ortum fluminis Murge. Zeerleder, Berner
Urkunden No. 48. Dieses im badischen Amte Stockach gelegene
jetzige Dorf Eigeldingen (Mone, Ztschr. 3, 105), besitzt seit Beginn des
dreizehnten Jahrhunderts ein Dynastengeschlecht der Eigelwarte,
das sich in den Urkunden des Klosters Salem sehr häufig geltend
macht; letztere stehen in Mone's Zeitschrift gesammelt, die Eigel-
warte daselbst I, 321. II, 70. yy. 8t. 86. 486. 111,443 — ^447. 458.
463. Besonders zahlreich erscheint das Eigelgeschlecht im' Breis-
gau vertreten. Während einer zwischen 1280 — 90 gegen die Stadt
Freiburg andauernden Fehde werden einem dortigen Bürger, dem
Eigel, ein Ochse und vier Schafe geraubt. Schreiber, Frei-
burger Urkundenbuch I. i, S. 113. Jeckeli Eygel und seine
Söhne werden 1 330 für immer aus dem Freiburger Stadtrathe
ausgeschlossen, ibid. I. 2, 442. Abbildung des urkundlichen Sie-
gels Johannis dicti Eigel, 1338: ibid. II. i, S. X, No. 24. Tho-
man Eigel, Gerichtsbeisässe zu Freiburg 1390; Grimm, Weisth. I,
346; Schreiber 1. c, S. 125. Jakob Eigel wird nebst zwei An-
dern zu Freiburg rechtlos gemacht, weil er diese Stadt verrathen
wollte, ibid. 164. »In Eichel fängt das Schaf den Wolf«, ist
ein Sprichwort, das im badischen Dorfe Eichel mit einer beson-
dem Ortslegende erklärt wird. Mone, Anzeiger 1837.
Eigel war ein schwyzer Landleutengeschlecht, sesshaft im
Arter- Viertel, einer desselben, Hartmann Eigel, ist 1 386 auf dem
Kriegszuge gegen Herzog Leopold von Oesterreich vor der Stadt
Sursee umgekommen. Leu, Helvet. Lex. VI, 252. Der aus dem
Egelsee am aargauer Heitersberge nach dem Dorfe Spreitenbach
hinabgehende Bach heisst in dem 1694 gedruckten »Archiv des
Gotteshauses Wettingen« wiederholt auf S. 660, 662 und 668 der
Eigelb ach. Die Oeügli waren ein Züricher Stadtgeschlecht,
aus welchem Friedrich 1420 Chorherr am Stift zum Gr. Münster
gewesen. Leu XIV, 284. Bernhard Oeüglin (Oiglin, Oeglin),
gebürtig von elsässisch Altkirch, wurde seit 1478 — 96 viermal
Rector der Basler Hochschule. Leu XIV, 352; Supplementb. IV,
tß I. Der Sagenkreis von Teil.
386. Auch diese letzt erwähnten Namensformen gehören zum
gleichen Namensstamme; denn der genannte mythische Held
trägt im Volksbuche vom Gehörnten Siegfried den Namen Eugel
und Eugli, und im Volksbuch von Orendel mit dem Grauen
Rocke heisst er Oegel. 151 1 ist Sebastian Aigel, der edle
veste Herr zu Lindt, Pfleger zu Lebenau und Traunstein im Salz-
burgischen; 1552: David Aigel, Pfleger zu Wildshuet; nach
Wiguleus Hundt baierischem Stammbuch; bei Freyberg, Samm-
lung III, 198.
In altbairischen Urkunden finden sich neben den ältesten
Eigilonen auch die ältesten Orendel. EinOrendil erscheint am
24. Mai 824 auf dem Gerichtstage zu bairisch Ergolting (Karajan,
Verbrüderungsb. v. St. Peter in Salzburg, pag. XXXIV), und ein
gleichnamiger um 975 als bavarischer Zeuge in Scheyern. K. Roth,
Freisinger Bisthums - Urkunden pag. 180. Orendil, frater Ruo-
dolfi, testis, ao. 1013. Freyberg, Samml. I, Urkk. No. 99. Laut
den Urkunden des schwäbischen Dynastengeschlechtes Weinsberg
verpfändet 1312 Graf Rudolf von Dum dem Rhabanus von
Neuenstein um 20 Pfd. Heller das Gut Orendelsal, jetzt hohen-
lohisch Orendensall. Joh. Petr. Ludewig, Reliquiae Manuscript.
tom XII, pag. 604, No. 6.
Waren sonach Eigel und Orendel, Vater und Sohn, dem
oberdeutschen Munde geläufige Namen, so kann es der eben so
populäre Name des Kunstschmiedes und Bruders Wieland nicht
weniger gewesen sein. Goldast IIa, no weist ihn aus dem ach-
ten Jahrhundert urkundlich nach. 1259 erscheint im Stifte zu
Interlaken als gerichtlicher Zeuge H. de Wielandingen. Zeer-
leder, Berner Urkunden No. 405. Ulrich von Wilandingen,
Edelknecht, urkundet im Stifte Seckingen 16. April 1337. Nord-
östlich von Seckingen an der Schwarzwälder Murg liegt die
Stammburg Wiladingen in Ruinen. Das Wappen jener Berner
Wiladingen zeigt drei Nägel mit dicken Köpfen (Stumpf, Chronik II,
243), dasjenige der Schwarzwälder Linie drei zangenähnliche Fi-
guren. Mone, Zeitschr. 7, 439. Die mittelalterlichen Schmiede-
werkstätten hiessen Wielandshäuser. Grimm, Myth. 350.
Man wolle nun weiter selbst nachlesen, was sonst noch an äl-
terem' Namens-Material über örtliche Erinnerungen an Wieland,
Eigel und Orendel vorräthig verzeichnet steht in W. Menzels
Odin, S. 91 ; ebenso in Rassmanns Heldensage II, 258 — 261, so-
dann 267 ff.
3. Die Eigil- und Tokosage in Skandinavien etc. 57
Was besagt und erweist nun dieser reiche Namengehalt, wenn
er hier keine blosse Verschwendung heissen soll, anderes, als dass
der Mythus vom Apfelschützen Eigel nicht bloss vor Zeiten einmal
in Niederdeutschland bekannt gewesen und von dorten nach Skan-
dinavien weiter verbreitet worden ist, sondern dass dessen Vor-
handensein am Rhein und Main, am Bodensee, am Inn und an
der Donau durch Urkunden bezeugt wird, welche darüber vom
Beginne des neunten Jahrhunderts bis in das sechzehnte reichen.
Ist somit dem Mythus sein deutsches Vaterland wieder gewonnen,
so werden wir ihn als den unsrigen auch da wieder erkennen, wo
er sich in weiter Ferne niederlässt, wo er in ungestörter Abge-
schiedenheit seine Alterthümlichkeit und Reinheit beibehalten und
dadurch das täuschende Aussehen annehmen kann, als sei er ein
aus dortiger Fremde her bei uns importirtes Product. »Zweierlei
— sagt Grimm, Myth. VIII — ist hiebei festzuhalten; dass die
nordische Mythologie echt sei, folglich auch die deutsche, und
dass die deutsche alt sei, folglich auch die nordische.« Dies
fuhrt uns nun weiter auf die nordische Toko-Sage.
Wir besitzen diese Sage in der Aufzeichnung des berühm-
testen der altdänischen Geschichtschreiber, Saxo Grammaticus.
Er hatte im Jahre 1161 als Geheimschreiber des Bischofs Absa-
lon- von Lund seine Studien zu Paris gemacht und auf dessen
Anregung. die Geschichte seines Vaterlandes in der Historia Da-
nica verfasst, die er bis zum Jahre 11 86 fortführt. Er starb 1203
als Probst von Roeskilde und liegt in der dortigen Kirche begraben.
Aus dem Vordergrunde der nordischen Geschichte, da, wo diese
sich eben aus der Sage zu lösen beginnt, nach dänischen Liedern,
isländischen schriftlichen Berichten und den mündlichen der da-
maligen nordischen Hoferzähler schuf Saxo ein Werk, dessen
Eleganz und Schwung Erasmus von Rotterdam nicht minder als
unser Geschichtschreiber F. C. Schlosser bewundert haben. *) Die
ersten neun Bücher seiner Historie enthalten Sagen, die er so
giebt, wie sie ihm zukamen, allerdings dabei bemüht, das Fremd-
artige an ihnen auszuscheiden. Die sieben letzten Bücher
stützen sich auf Quellen, das zehnte beginnt mit der Erzählung
über Toko.
♦) Ausgabe von P. E. Müller seit 1839. Von eben demselben ist die be-
deutende Schrift: Kritische Untersuchung der Sagengeschichte Dänemarks. Kopen-
hagen 1823. 4. Dazu kam später: Dahlmanii, Forschungen I, 151.
c8 !• I^er Sagenkreis von Teil.
Nachfolgende Uebersetzung verfährt zwar wörtlich genau^
jedoch nur summarisch, weil dasselbe Chronik-Capitel sogleich
hernach auch in niederdeutscher Sprache vollst^indig und text-
getreu mitgetheilt werden muss.
Ein Krieger Toko hatte einige Zeit in des Dänenkönigs
Harald Blauzahn (935 — 986) Diensten gestanden, durch seine
Leistungen die seiner Gesellen überboten und sich damit viele
Neider gemacht. Als er nun einmal bei einem Gelage, schon
etwas angetrunken, sich brüstete, er sei ein so geübter Schütze,,
dass er den allerkleinsten Apfel, draussen auf einen Stock gesteckt,,
mit dem ersten Schusse herabholen wolle, brachten die Horcher
dies Wort dem Könige zu Ohren, und dieser war grausam genug,,
des Mannes vermessenes Wort zu dessen Söhnleins Lebensge-
fährdung zu missbrauchen. Er befahl, statt des besagten Stockes
solle Toko's Kind, dies theuerste Pfand der Vaterliebe, als Ziel
hinausgestellt werden, und wenn der Prahler den Apfel auf des
Söhnleins Haupte nicht mit dem ersten Pfeile durchbohre, so
habe er mit seinem Leben sein freches Reden zu büssen. Nun
nahm Toko den Sohn, stellte ihn mit dem Gesichte gegen das
Ziel und sprach ihm Muth ein; unverwandten Hauptes und un-
beweglich müsse er das Schwirren des heranfliegenden Pfeiles er-
warten, ein geringstes Zucken könnte den sichersten Schuss ver-
eiteln. Er that hierauf drei Pfeile aus dem Köcher, legte den
ersten auf die Sehne und traf den Apfel. Hätte er gefehlt und
den Knaben in's. Haupt getroffen, so wäre der Mord auf den
Vater gefallen und man hätte den Schützen dem Erschossenen
nachgeschickt. Vom Könige alsdann befragt, wozu er mehrere
Pfeile aus dem Köcher genommen habe, da doch sein Heil nur
auf einem einzigen Schusse gestanden, erwiederte Toko: Um an
dir das Fehlgehen des ersten mit der Schärfe der beiden andern
zu rächen, denn nicht die Unschuld soll gestraft sein und deine
Gewaltthätigkeit ungestraft ausgehen. Mit diesem freimüthigen
Worte gab er zu verstehen, dass ihm allerdings der Titel des
Tapfern, dem Könige aber eine herbe Rüge gebühre. Allein ver-
gebens hatte Toko diese für sein Vaterherz gefährlichste Klippe
nun umfahren, bald darauf gieng ein eben so schweres Gewitter
über ihn los. König Harald pflegte nemlich besonders jener Fer-
tigkeit sich zu berühmen, mit der die Finnen ihre verschneiten
Gebirge auf Schneeschuhen durchfahren. Als nun Toko auch
hierin seine Geschicklichkeit * derjenigen des Königs gegenüber zu
3. Die Eigil- un4 Tokosage in Skandinavien etc. 5^
Stellen wagte, ward er abermals beim Worte genommen und
musste die Probe seiner Behauptung beim Felsen Kolla bestehen.
Doch auch diesmal hatte er nicht eitel geredet und dies bewies
nun der Erfolg. Er bestieg die Höhe jener ragenden Meeres-
klippe, hatte nichts als seinen Leitstab, schnürte die glatten
Schrittplatten an die Sohlen und fuhr nun auf ihnen mit reissen-
dem Rutsch zur Tiefe. Das blosse Erblicken der grausigen Ab-
gründe würde Jeden noch vor Beginn des Wagnisses ausser sich
gebracht, mit völliger Stumpfheit geschlagen haben; er aber auf
abschüssigem Fels mit Blitzesschnelle hinabsausend, blieb beherzt
und wusste mit sicherer Hand den steuernden Leitstab zu führen.
Zwar giengen die schwachen Schneeschuhe an dem scharfen Ge-
stein in Stücke, er selbst war nahe daran, in's Meer zu stürzen,
dennoch erreichte er glücklich das Gestade und wurde von einem
Schiffe aufgenommen. Als man hernach die Trümmer der Schnee-
schuhe auffischte und dem Könige überbrachte, hielt ihn dieser,
der nichts weiter erfuhr, fiir ipdt. Inzwischen war Harald in seiner
Grausamkeit gegen die Unterthanen so weit gegangen, Menschen
und Ochsen zusammen spannen zu lassen. Darüber empörten
sich die Dänen, des Königs Sohn Sweno trat auf die Seite des
Volkes, wurde auf den Thron erhoben, Vater und Sohn rückten
gegen einander zu Felde, unter Sweno's Truppen stand Toko.
Während man zwischen beiden Heeren über einen Waffenstill-
stand unterhandelte, ergiengsich Harald im nahen Walde, und
als er hier eines Bedürfnisses wegen hinter einem Gebüsch sich
niederliess, wurde er durch Toko überrascht und von dem nach
Rache lechzenden Manne mit einem Pfeilschuss tödtlich verwun-
det. Die Seinigen brachten ihn nach Julin, wo er bald darauf
verschied.
»Des Königs Harald Tod von des Schützen Hand ist geschicht-
lich, der Apfelschuss mythisch und dem Vortrag des Ereignisses
bloss angewachsen aus älterer Ueberlieferung , die im Laufe des
zehnten und elften Jahrhunderts vorausgesetzt werden muss.c So
urtheilt Grimm, Myth. 354. Konrad Maurer (Bekehrung Norwegens
zum Christenthume i, 244) leugnet dagegen auch die geschichtliche
Existenz des Toko, und seine Gründe stehen theilweise schon bei
Stephanius angegeben, der in den Noten seiner Ausgabe Saxo's*),
*) Sorae 1644. Stephanius citirt zur Tokosage auf S. 204 den Tellenschu" —
gegen den Landvogt «Grislerus, praefectus Regis Hi spaniarum.«
6o I* ^^ Sagenkreis von Teil.
pag. 205 , Sich auf Snore Sturlesons Norweger-Chronik ^ beruft
und Nachfolgendes aus ihr anfuhrt. Der Schütze Toko ist kein
Däne, sondern ein Finnen-Häuptling gewesen und hat Palnatoko
geheissen, d. h. Toko, des Paine Sohn. Diesem Paine wird aber
im Norden schon eine ähnliche Schuss-Sage nacherzählt. An einer
andern Stelle bei Stephanius (Notae in librum X, pag. 199) be-
herrscht Palnatoke's Geschlecht eben jenes Julin, wohin man den
von Toko tödtlich getroffenen Harald geschafft hatte. Julin ist
aber das vormals wendisch gewesene Wollin in Pommern, auch
Jomsburg geheissen, eine durch die seeräuberischen Jomsvikinger
berüchtigte Veste. In der Norwegischen Kirchenlegende ist
Palnatoke sogar mit dem heiligen Paulus, gesprochen Paal, ver-
wechselt, unter dem sich der Bauer den ausserordentlichsten
Bogenschützen denkt und daher vom Paalschützen , oder vom
Paal mit dem Bogen zu reden pflegt.*) Endlich wird durch die
dänische Sage das Räthsel vollends gelöst. Odin, der in Schweden
und Schonen als Wilder Jäger Oden heisst und dessen Pfeil
alles Lebende trifft, jagt auf Fühnen unter dem Namen Palne-
jäger, und trägt hier also den Namen Palnatoki's. Thiele,
Danemarks Folkesage, i, ilo.
Schon Eutych Kopp, Gresch.-Blätter 2, 362 hat die auffallende
Aehnlichkeit erkannt, welche zwischen Saxo's Tokogeschichte und
der Schweizerchronisten Teilengeschichte in Anlage und Dar-
stellung der erzählten Begebenheit besteht. Dass wir da auf
beiden Seiten dieselbe Sage mit denselben Haupt- und Wende-
punkten haben, liegt auf der Hand. Diese sind : der waghalsige
Apfelschuss nach des Kindes Haupte; der aufgestellte Stecken;
die Zuversicht und Geschicklichkeit des Vaters; das Bereithalten
mehrerer Geschosse von Seite des Schützen und dessen freies
Wort an den Dränger; das Fallen des Drängers durch des
Schützen Hand. Aber die dänische und die schweizerische
Chronisten-Erzählung gleichen sich noch näher in ihrem Vortrage
selbst, welcher in der genauen Angabe der Einzelheiten, der
Motive, der Oertlichkeiten , der Rede und Gegenrede besteht.
Bei Saxo empört sich zuletzt das Dänenvolk und entsetzt und
*) Finn Magnusen, Lex. Myth. 798: Quum nimirum eum hodiedum rustici
illius gentis dexterrimum dicant fuisse sagittarium et fortissimum bellatorem, qui
matutino tempore proeliari soluerit .... inde Paal skyttar, Paal med
boj en.
3. Die Eigil- und Tokosage in Skandinavien etc. Qi
verjagt Harald, weil er in seiner Grausamkeit so weit gegangen,
dass er Menschen und Ochsen zusammenspannte. In der Chronik
des Weissen Buches lässt der Vogt Landenberg dem Melchthal
die Ochsen vom Pfluge nehmen und dem Beraubten sagen:
»puren solten den pflüg zien.« Die Plauderhaftigkeit bringt den
Toko zweimal in Lebensgefahr, und Teil entschuldigt dieselbe
Charakterschwäche im Verhör gegen Gessler:
War' ich vernünftig, witzig und schnell,
so war' ich nicht genannt der Teil.
Um hier diese feineren Punkte genauer bezeichnen zu können,
muss es erlaubt sein, ein paar Lateinstellen aus Saxo vergleichend
herzusetzen. Der König droht dem Schützen mit dem Tode,
wenn dieser den Apfel nicht auf den ersten Schuss träfe: Cui
nisi promissionis auctor primo sagittae conatu pomum impositum
excussisset, proprio capite inanis jactantiae poenas lueret. Diese
Stelle heisst im Tellenliede, Strophe 8:
triffstu jn nit mit dem ersten schütz,
lürwar, es bringt dir keinen nutz
vnd kostet dich dein leben.
In Saxo's Worten procellis et tempestas haben wir den See-
sturm; in vehiculum egit den Nauen; in den Ausdrücken ejus
regimen intrepida manu continere suffecit, sehen wir den uner-
schrocknen Fährmann; die Schilderung: illiso cautibus vehiculo,
cui insistebat, excussus — und hierauf: tutum cursitandi eventum
habuit, zeigt uns das Anprallen an den Felsen und die Rettung
des Steuermanns. Auch die Worte apud CoUam rupem — und
subjectum rupi pelagus können als Vorbilder des schroffien Axen-
ufers am See sowie der Tellenplatte angesehen werden. Harald
endet wie Gessler: in angustiores nemoris partes concessit; ubi
cum exaniniendi ventris gratia arbustis insideret, a Tokone sagitta
vulnus excepit. Dieser Satz erinnert an jenen in Petermann
Etterlins Chropik (Basel 1507). »Landtuogt Grissler, eyn edelman
vss dem Thurgow;« (wird erschossen durch Wilhelm Teil) »mit
eym pfyl zuo Küssnach in der holen gassen hinder eynem
poschenstuden.c Haralds Sohn Sueno kehrt die Waffen gegen
den eignen Vater: ad regnum parricidio petendum adductus, und
seine Enkel glauben selbst, um dieser alten Blutschuld willen in
üu-em dänischen Reiche schwere Heimsuchungen erdulden zu
müssen. Sueno's Grosssohn sagte darüber zum Historiker Adam
g2 !• I^cr Sagenkreis von TeU.
von Bremen, 2. Buch, Cap. 25: Das eben ist's, wofür wif Nach-
kommen zu büssen haben und wofür jener Vatermörder selbst
schon mit der Verbannung gebüsst hat! Auch hierin liegt eine
Aehnlichkeit mit den Verhältnissen zwischen König Albrecht und
Herzog Johann Parricida, aber noch mehr auch ein Wink zur
Bestimmung jenes Zeitpunktes, in welchem Saxo's Chronik den
Schweizerchronisten bekannt geworden sein kann. Saxo*s Werk
ist zwar erst 15 14 zu Paris gedruckt worden, musste aber schon
lange vorher in den Klosterbibliotheken handschriftlich cursiert
haben und von den Annalisten ausgeschrieben worden sein. So
that Thomas Gheysmer, Mönch zu Stralsund, in seinem 1431
verfassten Compendium historiae danicae. " Ein niederdeutscher
Auszug daraus erschien zu Lübeck zwischen 1480 und 1481 in
zweierlei Format, in 4° und in Gross-8<>, ohne Druckort und Jahr-
zahl, unter dem Titel: Dyt is de denscke kroneke Saxo Gram-
maticus de Poeta, ersten gescreef in dat latine, unde daer na in
dat dudesck ghesettet is. (Panzer, Annal. I, S. 40.) Hierin steht
die Tokosage erzählt und lautet wie folgt:
Harald (Blaatand) hadde ock enen rydder by syk, de heth
Tokko, de hadde vele, de ene hateden dor syner manheyt willen.
Desse Tokko zede to ener tyd to synen kumpanen, alze se to
hope seten to enem gheste-bode, wo he so behende were mit
schetende, dat men scolde enen appel, wo klene men wolde,
setten up enen stok to enem rechten schutten-male, so wolde he
enen raken yo mit dem ersten schote. Do dat de yenne horden,
de ene hateden, do brochten se dat vor den koninck. Do dachte
de koninck nicht vp sinen truwen denst vnde both bosliken, dat
men scholde des sulueh Tokkonis sone setten vor den stok vnde
legghen em den appel up dat houet. Were id zakef, dat he den
appel myt dem ersten schote nicht en-rakede, so scolde eme dat
houet afif, dorch synes römes wyllen. Mit sodanem vnrechte
setthe he beyde, vader vnde sone, in de vare des dodes. Des
nam Tokko synen mynnesten sone vnde zede, he scholde syk
nicht vruchten, vnde holden dat houet stylle, wen. he den schote
horde. Vp dat he deste myn vruchtede, so kerde he syn antlath
vam em vnde toch do dre pyle uth deme kokere to rede. Mit
dem ersten schoth he den appel entwey. Do vragede ene de
koninck, worumme he de dry pyle vth ghetoghen, na dem male
dat he men ens scheten scholde? Do zede Tokko: hadde ik den
appel nicht gheraket, so wolde ik dy mede doddet hebben, na
3- Die Eigil- und Tokosage in Skandinavien etc. 6^
<ieme dat du my alsodan vnrecht vorledest vnde bodest. Darna
sette ene de koninck noch ens in alsodane vare .*) Umme den wyllen
toghen mennighe van syner rydderschop van em, vnde sunder-
liken desse Tokko, vnde zeden, se wolden deme nicht denen, de
se vor eren d^nst setthe in des dodes vare, vnde toghen so to
synem sone Swenone. — Darna vorbodede [entbot] Harald al
syne guden lüde und vele van synem volke und toch in Jutlande.
Dar hadde he enen sten ghevunden, de was so groth, dat he dar
al dat Volk vorboddet hadde ünde nam dar ossen tho [Ochsen
dazu] und leth so beyde, lüde und de ossen, den sten up theen
[aus dem Grunde ziehen] und leth ene brynghen up syner moder
[Mutter] ghraff und zyrde dat ghrafif dar mede. Under des de,
•de mit synem sone Swenone weren, den gruwelde und verdroth
[verdross] de herscop Haraldi, darumme dat he den cristennen
loven [Glauben] hadde entfanghen und ok, dat he dat volk be-
swarde myt unbewonen borden [ungewohnten Bürden] und over-
last. Also wolborde he [willfahrte Sueno], und se makeden ene
hemeliken to koninghe, dat id syn vader nicht enwusste. Harald
de was under des bekümmert [beladen] myt dem steene. So
quam dar ein, dar se mit dem steene arbeideden, den vraghete
*<ie koninck, eft he ok alsodanen toghe er [einen sogethanen Zug
ehedem schon] gheseen hadde. Do zede he: Ya, ich hebbe in
kort enen groteren togheen seen. Do vraghede de koninck, wor
he den gheseen hedde. Do zede he: Do dyn sone Danemarken
van dy toch; richte dat sulven, eft he nicht ene grotere borde
toch. Do dat Harald horde, do vorleeth he den steen up dem
velde Kakki [in campo Bekki; Gheismer] und zeede synen
kumpanen [Kämpen], dat se syck scholden bereden to orloghe
*) Diese zweite dem Toko bereitete Todesgefahr, in der niederdeuts\:hen
Uebersetzung übergangen, wird in Gheismers latein. Original (Script, rer. Dan. II,
34S) also mitgetheilt: Paulo post in consimile periculum incidebat. Nam cum
Haraldus diceret se peritum in currendo per niyes super »rennesliith,« Tokko
^imiliter se in hoc peritum dixit. Igitur Haraldus eum compulit, ut super collem
Scanie Collaen suum magisterium ostenderet. Tokko coactus collem ascendit,
atqne exiguttm fustem in manu tenens, super dictum lubricum vehiculum in prae-
«eps descendit: et quamvis vehementissime super preruptos scopulos incideret,
nichilominus intrepida manu vehiculum lubricum dirigebat. Quod vehiculum nisi
^per frequentes lapides fractum fuisset, utique in suppositum mare demersus
fuisset. Exceptus igitur inferius a nautis dominium Haraldi, qui pericula pro
meritis sibi rependerat, reliquit, seque militise filii ejus Swenonis applicavit.
64 I* ^^^ Sagenkreis von Teil.
[zum Kriegszug rüsten]. Do zeeden se, dat se nene wapen wolden
voren dorch synen wyllen [dass sie für ihn die Waffen nicht mehr
führen wollten], de se hadde lyck [gleich] ghemaket ossen. Etliche
bleven doch by em: mit den toch he geghen den sone. Men
[aber] de sone overwan ene, und he vlo in Zeelande und sammelde
ene andere schar und sochte den sone to schepe [zur See]. Doch
overwan ene de sone echter [abermals]; do vorleeth he Dane-
marken und toch in Wentlande up de veste, de de Denen dar
buwet hadden. Under des vorboth Sweno den cristenen loven
unde lede wedder up den afgode denst. Harald de samelde
to hope [zu Häuf] wat he konde kryghen van Denen und van
Wenden, und strydede enen gantzen dach mit synem sone. Dock
konde erer neen wynnen [ihrer keiner siegen] ; so makeden se enea
ronnebom [Schlagbaum] tusschen syck beth des andern daghes.
So scholde Harald spasseren ghan in deme holte. Des nam
Tokko vorbeth [fürbass] war, umme des unrechtes wyllen, dat
he em dede, und schoth eme ene dothwunden. Und he toch
wedder in Wentlande und starff dar, und wart vort [geführt] in
Roskyld und wart de ghegraven myt groten eren in de kerken,
de he dar buwet hadde. Pfeiffer's Germania XII, 327.
Ist nun das Obwaldner Weisse Buch, die früheste unter
den Schweizerchroniken, welche der Tellengeschichte Erwähnung
thun, um das Jahr 1476 geschrieben; ist dagegen Gheysmers
Uebersetzung Saxo's schon 1431 verfasst und seit 1480 in zweierlei
Ausgaben gedruckt, so steht die gedruckte Literatur der
dänischen Tokosage von jener ersten handschriftlichen
Meldung der schweizerischen Tellensage nur noch um vier Jahre
entfernt und muss somit auf Bestand und Gestaltung der Schweizer-
sage jedenfalls einen literarischen Einfluss ausgeübt haben. Ein
solcher literargeschichtlicher Vorgang, wie wir ihn eben bloss
voraussetzen, wird sich aber sogleich zur völligen Thatsache
gestalten, ja sogar zu einer der Zeit nach älteren, als die vorhin
angesetzte Frist, wenn man auf die Streitfrage über die Abkunft
des Schweizervolkes eingeht, welche seit dem fünfzehnten Jahr-
hundert von den Gelehrten der Länder- und der Städtekantone aufs
hitzigste gegenseitig verhandelt worden ist. Diese Frage soll nun
untersucht werden.
Bei Gelegenheit des sogenannten Alten Zürichkrieges, einem
zwischen Zürich und Schwyz zwölf Jahre lang schwebenden Herr-
schaftsstreite, bei welchem die Stadt Zürich österreichische Be-
3- Die Eigil- und Tokosage in Skandinavien etc. 65
Satzung einnahm und der Belagerung durch die Eidgenossen
trotzte, erwachten unter dem gegenseitigen Parteihasise der sich
bekämpfenden Städte- und Länderkantone sflte Stichwörter über
die angebliche Fremdabkunft, mit der die Bewohner der Wald-
stätte sich zu brüsten pflegten. Den nächsten Anlass gab Johann
Fründ, f 1468. Seit 1429 Oberschreiber zu Luzem, darauf von
1437 — 53 Landschreiber zu Schwyz, hatte dieser rührige Mann
sowohl im Feldlager wie in der Rathsstube gegen Zürich gedient
und in gleicher Feindseligkeit um das Jahr 1441 seine politische
Tendenzschrift: »Vom Herkommen der Schwyzer« verbreiten
lassen. Das Ergebniss dieses Pamphletes lief darauf hinaus, dass
nur die Bevölkerung der Waldstätte nach Abkunft und Grund-
rechten eine echte urschweizerische, diejenige also der nicht
demokratischen Kantone eine ursprünglich unfreie und zwitterhafte
Race sei. Er bediente sich dazu der Materialien einer ähnlichen
Schrift, welche von Joh. Püntiner, einem Umer Landammann
verfasst war (angeblich schon um 141 4) und den ähnlichen Beweis
führte, dass die Urner gothischer Abstammung seien. Püntiners
Schrift soll 1799 beim Brande Altorfs zu Grunde gegangen sein;
diejenige Fründs galt gleichfalls für verloren, ist aber durch
J. B. Galiffe von Genf unlängst in Schwyz wiedergefunden und
von Hugo Hungerbühler in den St. - Galler historischen Mit-
theilungen 1872 herausgegeben worden. An diese Edition werden
die hier nachfolgenden Angaben öfters wörtlich sich halten.
Ueber die Urgeschichte der Schwyzer erzählt Fründ: Eine
Hungersnoth hatte 6000 Schweden und 1200 Friesen genöthigt,
mit Weib und Kind die Heimat zu verlassen und neue Wohnsitze
aufzusuchen. Sie schlugen sich tapf^ durch und kamen in die
Alpen, die damals noch unbewohnt waren. In der Umgegend
des Pilatus Hessen sie sich mit Erlaubniss des Grafen von Habs-
burg, dem das Land gehörte, nieder und machten es urbar.
Unter ihren drei Häuptern Switerus, Remus und Wadislaus ver-
theilten sie sich in die drei Landschaften Schwyz, Uri und Unter-
walden-Hasli. Nach dem Lande ihrer Abkunft Suetia nannten
sie die neue Heimat Suitia. Bald wurden sie als gute Krieger
von Papst und Kaiser gegen die durch einen abtrünnigen Priester
verführten Römer zu Hilfe gerufen, zogen mit des Gothenkönigs
Alarich Heere nach Rom, eroberten die Stadt, erschlugen die
Heiden und ernteten vielen Ruhm. Statt des ihnen angebotenen
Soldes verlangten sie, in ihrem Lande steuerfrei und einzig dem
Rochholz, Teil und Gessler. 5
6g I, Der Sagenkreis von Teil.
Kaiser unterworfen zu sein ; und da sie zum Schutze des Glaubens
aufgebrochen waren, begehrten und erhielten sie ein rothes Panner
mit dem Zeichen dies Kreuzes Christi. So kehrten sie wieder
heim. — Mit dieser Sage war der Anfang der Schwyzer-Freiheit
in das fünfte Jahrhundert hinaufgerückt und unmittelbar an das
römische Reich geknüpft. In diesem gleichen Sinne schrieb nun
der Stand Schwyz während des Alten Zürichkrieges an die Reichs-
stände, um deren drohende Parteinahme für Oesterreich abzu-
wenden, und binnen kurzer Zeit fasste dte Darstellung Fründs,
als eines kenntniss- und einfiussreichen Mannes, in den Wald-
stätten feste Wurzel, indem es ja wenig bedurfte, um sie dem
ganzen Volke einzuprägen. (Strickler, Lehrb. d. Schweiz.-Gesch,
1874, 222). Dies erregte die Galle eines gelehrten Zürichers, der
in dem damaligen Partei-Interesse seiner mit Oesterreich verbün-
deten Vaterstadt politisch völlig aufgegangen war. Der Zürcher
Chorherr Felix Hemmerlin, ein zanksüchtiger und alle Zeit 'feder-
fertiger Polyhistor, der in Erfurt und Bologna studiert hatte und
eine 500 Bände starke Büchersammlung besass (Urkundio I, 345),
war von Herzog Albrecht von Oesterreich zu dessen Titular-
Hof kaplan ernannt und aufgefordert worden, das Lob des Adels
zu schreiben. Hemmerlin that das in seinem gegen Joh. Fründ
gerichteten und dem genannten Herzog dedicierten dicken Buche :
De nobilitate et rusticitate. Dieses Werk war seit Mai 1448
entstanden und 1450, nach bereits wieder hergestelltem Landes-
frieden beendigt worden. Es wimmelt von schimpflichen Anklagen
und beleidigenden Anekdoten gegen die Urkantone. Bezüglich
der Einwanderungssage behauptet es : Die Schwyzer seien Ab-
kömmlinge der unter Karl dem Grossen in die Schweiz depor-
tierten heidnischen Sachsen und seien noch eben so roh und
gottesleugnerisch, wie vormals jene. Ihren Namen trügen sie
von dem Blut seh weisse, den sie in fremden Kriegsdiensten ge-
schwitzt hätten, und zum Zeichen dessen habe Karl der Grosse
ihnen die rothe oder Blutfahne zum Panner gegeben. Dem Grafen
von Habsburg, der ihnen das Land zur Bewohnung überlassen,,
hätten sie übel gedankt, denn sie erschlugen seinen Vogt zu Lowerz,.
zerstörten sein Schloss, fielen von der Herrschaft ab und stifteten
eine Eidgenossenschaft, welcher die Nachbarn in Unterwaiden und
Uri u. s. w. beitraten. Und so sei ihre ganze Geschichte eine
Kette von Empörungen und Freveln.
3* Die Eigil- und Tokosage in Skandinavien etc. 67
So. heftig nun damals und noch späterhin beide Gruppen der
schweizerischen Parteischriftsteller sich befehdeten, so sind sie
doch beiderseits einig über die bald schwedische, bald ' cimbrische,
bald nordsächsische Abkunft der Schweizer und diese bleibt von
da an der Knotenpunkt ihrer chronistischen Erzählungen. Hielten
sie nun selbst an dieser erträumten nordischen Abkimft fest und
stellten sie dieselbe in den Vordergrund der Volksgeschichte, so
mussten sie wahrlich mit nicht geringerer Vorliebe auch nach der
nordischen Heldensage, wo sie sich schicklich darbot, greifen und
auch diese in die Volkssage mit herüber stellen. Darin liegt der
augenfällige Grund, dass in der Tellensage die Züge der schwedisch-
dänischen Tokosage wiederkehren. Es ist dies ein so nothwen-
diges Wechselverhältniss, dass es schon im vorigen Jahrhundert
eingesehen und öffentlich, damals freilich ohne Erfolg, aus-
gesprochen worden ist. Uriel Freudenberger, berüchtigt als Ver-
fasser der Schrift Guillaume Teil, Fable Danoise , (1760) hatte
dorten mit seiner französischen Schalkhaftigkeit also geurtheilt:
»Die Völker einerlei und gemeinsamen Ursprunges haben in ihren
Geschichten Mährgen von Helden, die eine jede dieser Nationen
vorzüglich sich zueignet. Sollte die Schweiz wohl davon frei
geblieben sein ? Dies wird niemand glauben, man weiss das CJegen-
theil zu wohl : die unläugbare Nachricht von denen Einwohnern
des Cantons Schweiz, des Hasslilands u. s. w. bestätiget, dass
eben diese nordischen Völker bis in diese Gegenden durch-
gedrungen haben.« Aus damals gerechter Furcht vor den Berner
Landessatzungen, gegen deren historische Begründetheit Freuden-
berger hier indirect spricht, giebt er sich im Nachsatze den An-
schein, als ob die schweizerische Einwanderungssage eine ge-
schichtlich unbestreitbare sei.
Warum nun aber die von Hemmerlin vertretne, mit viel
mehr Erudition verfochtene These von der sächsischen Ab-
kunft damals nicht, dagegen aber diejenige Fründs durchdrang?
Weil Hemmerlins Vaterstadt in jenem Kriege unterlag; weil er
selbst den Feinden preisgegeben wurde, die ihn aus seinem Zürcher
Wohnhause nach Luzern schleppten, zur Strafe ins dortige Fran-
ziskanerkloster sperrten und da elend verkommen Hessen. Weil
das antihelvetische Element besiegt war und Fründs schwedisch-
urhelvetische Fabeln nun um so lebendiger in den Glauben des
Volkes, ja in das Staatsrecht der Länderkantone übergehen konnten.
Die folgenden Zeugnisse sind redende.
5*
6g I. Der Sagenkreis von TeU.
Am I. Mai 1531 hat die Behörde des Kantons Schwyz fol-
genden Beschluss gefasst und ihn dem Landbuche (Kantonal-
gesetzes-Sammlung) einverleibt:
Wie sich menniglich in unserem Lande, so man Mittag^
lüthet, halten soll. Zu Lob und Ehr dem allmächtigen ewigen
Gott und Unserem Erlöser zu ewigem Dank haben unsere gemeine
Landlüt auf der freien Weidhuob an einer offenen Landsgemeind
für sich genommen, bedacht und betrachtet unser frommen Alt-
fordem Herkommen, »wie die von Schweden von Hungersnoth
wegen mit dem Loos üsgetrieben; und als sie von dem Land
Schweden ausgegangen, hat man ihnen befohlen, dass sie sich
keinem irdischen Herren unterwerfen noch eigen machen, sondern
allein sich Gott, der sie erschaffen, und Christo Jesu ergeben.c
Und dem zu Ehr, Lob und Dank, und zu bekennen, dass der ihr
Herr und Behalter wäre und dass er uns erlöst, sollten sie zu
der Stund seines Tods 5 Vater-Unser, 5 Ave Maria und i
Christlichen Glauben beten. Solches haben unsere frommen Alt-
vordern an uns gebracht aus Schweden, davon sie ohn Zweifel
nit wenig Glück von Gott erlangt. Solches haben gemelt unser
gemein Landlüt angesehen und solches wiederum erneuert und
mit .einhelligem Mehr auf sich genommen : dass all unser Landlüth
und wer bei uns wohnen will, zu der Zeit, da man Mittag lüthet,
sollen aufknieen und bethen zu Jesum Christum 5 Vater-U. etc.,
wie oben vermelt. Actum, d. i. Montag 1531. Jahres.
Nach Fründs fernerer Erzählung hatte ein Theil der schwe-
dischen Auswanderer sich in Unterwaiden von den Uebrigen ab-
gezweigt; war unter den drei friesischen Hauptleuten Bruno,
Hasius und Restius über den Brünigberg in das Thal der Aare
hinabgezogen und hatte dieses bis an die Quellen des Flusses,
hinauf besetzt. Nach seinem eignen Namen benannte Bruno den
Brünig, nach der Friesenstadt Hasle benannte Hasius die ganze
Landschaft das Haslithal, und Restius erbaute dorten die Burg
Resti, deren Ruinen bei Meiringen. Dies Märchen gewann in der
dortigen Landschaft denselben gesetzgeberischen Erfolg, wie jenes
erstere in Schwyz. Gemäss Beschlusses der Landesgemeinde voi^
Meiringen-Aeschi , hatte der Bemer Notar Holzmann die fabet
hafte Chronik von Oberhasle abgefasst und ins »Landurbar v<
Hassli im Weissland« gesetzt, alsdann ein Verzeichniss der Sond<
rechte und Freiheiten von Aeschi beigefügt, dessen Entstehui
er auf den 21. Sept. 1469 zurückdatierte, und seinen Code:
j
3. Die Eigil- und Tokosage in Skandinavien etc. 60
am 15. April 1534 vollendet. Ein Abschnitt in dieser Pergament-
Handschrift handelt: »Von den Gesazen, so do zemal wass
jnn den Schwedien und Friessen.« Wie wird nun der Leser
sich verwundem, aus J. Schnells :&Uebersicht der Bemer Rechts-
quellen« (Basel 1860) zu ersehen, dass diese beiden Landrechte,
das eine am 5. Mai 1835, das andere sogar erst am 24. Juni 1843
durch Bemer Grossrathsbeschluss ausser Wirksamkeit gesetzt
werden mussten. Doch noch nicht genug. Selbst in diesen ihren
ersten Decreten über schwedische Abstammung und Ein-
wanderung kamen damals die Urkantone schon zu spät oder
waren nur Nachahmer dessen, was ihre prätendierten Vettern, die
Schweden, bereits voraus beschlossen hatten. Denn Geijer, Gesch.
von Schweden, (I, 45 — 49) berichtet, wie im Jahre 1442 ausdrücklich
verordnet wurde, dass die Behauptung, »von Schweden aus seien
die Grothen und alle anderen erobernden Völker ausgegangen,«
vome in das schwedische Landrecht aufgenommen werden musste,
und wie noch 161 1 diese Meinung auf einem Turniere verfochten
wurde.
Jedoch nicht von dem Stammvolks- Aberglauben der Schweden
ist hier zu handeln, sondern vielmehr davon, wie der Aberglaube
über angebliche Schwedenabkömmlinge sich in der damaligen
Schweiz weiter entwickelte, dann in Verbindung mit der Tokosage
trat, mittels dieser auf die Gestaltung der Tellensage eingewirkt,
und schliesslich sogar auf die schwedische Geschichtschreibung
beträchtlich rückgewirkt hat. Unter den hiefür anzuführenden
Zeugnissen sind bei der grossen Masse des Vorräthigen hier solche
bevorzugt, welche jeweilen amtlichen Charakter getragen haben.
Eine Reichenauer Papier-Handschrift aus der ersten Hälfte des
15. Jahrhunderts (in Mone's Anzeiger) giebt folgende Namens-
Erklärung: Suecia, alias Uelvicia, inde Helvici^ id est Suetones.
Im Jahre 1500 erschien gedruckt zu Sursee des Nikol.
Schradin Reimchronik vom Schwabenkrieg, wieder abgedruckt
im Geschichts-Freund, Bd. IV. Hier wird die schwedische Ein-
\ Wanderung in die Schweiz, als im Jahre 387 geschehen, bereits
unter Berufung auf hierüber vorliegende Quellenwerke erzählt:
»Nachdem etlich Hystorien werden gelesen . . . Alss man jn
denselben Hystorien fint geschriben . . . Alssdann wyter
sagt die Legend.« Dass dem Chronisten zu diesen »Historien und
Legenden« auch Saxo Grammaticus gedient hat, verräth sich.
Saxo erzählt, der Dänenkönig Frotho III. habe einen goldnen
jO I. Der Sagenkreis von Teil.
schweren Armbaug auf einen Kreuzweg hinlegen lassen, ohne
dass sich Jemand daran vergriff; Schradin aber reimt:
Denn solt einer tragen gold jn siner hand
ön gleit durch das gantz schwytzer land,
dem geschech niemer schmach noch leid,
vff min trüw vnd by geschwornem eyd.
Zwischen 15 ii und 1525 wurde »das Spiel der Urnervon
Wilhelm Thellen ihrem Landman und ersten Eydgenossen« ge-
schrieben und unter obrigkeitlicher Protektion auf dem Marktplatze
zu Altorf aufgeführt. Der Andere Herold des Stückes berichtet,
die Einwanderung in die Schweiz sei im Jahre 588 erfolgt:
Wird in allen Chronicken b'schriben.
Woher die von Schwytz entsprungen:
Auss Schweden sind dieselben kommen.
1515 erschien zu Basel bei Adam Petri Glarean's Descriptio
de situ Helvetiae etc. in erster, und 15 19 zu Basel bei Proben in
zweiter Ausgabe, letztere mit einem von Oswald Myconius von
Luzern dazu geschriebenen Commentar. In diesem heisst es
pag. 48: Traducunt Suici originem a SuediSj alio nomine Gothis.
Cujus rei testimonium non modo nostrae historiae adferunt, sed
et. ii, qui vel hodie Suediam inhabitant. Ex quibus saepe quaesi-
'tum a m£rcatoribus nostris, quique non haberent in annalibus,
quod argueret expulsos fame ex sua patria, in nostras, uti apud
nos creditur, fedes devenisse. De conformitate regionum^ morum,
naturae, ut solet, nihil minus inquisitum. Diese Kaufmanns-
Anekdote nahm Stumpf in die dritte Ausgabe seiner Schweizer-
chronik (1550) a^f und widmete das Werk dem Schwedenkönige
Gustav Erichson Wasa. Denselben Schluss sodann aus der Körper-
ähnlichkeit beider Völker a.uf deren Stammesgleichheit machte
im vorigen Jahrhundert noch Victor von Bonstetten, der in seinen
Reisebriefen aus Schweden erzählt, sogar seinem Bedienten, einem
Berner Oberländer, sei es aufgefallen, wie sehr die schwedischen
Bäuerinnen an Haut, Haar und Tracht den Berner Haslithalerinnen
glichen. *) Der Berner Patrizier und zugleich sein Bediente hätten
*) Die mythischen Abanten in Euböa hatten eine Haartracht, die auch in
Arabien gefunden wurde. Darauf gründeten die hellenischen Mythensammler den
Erweis, die Araber seien mit Kadmos nach Euböa gekommen. Otfr. Müller,
Prolegomena 177.
3. Die Eigil- und Tokosage in Skandinavien etc. yi
aber wohl wissen sollen, dass die Bemer Oberländer nicht von
den Schweden, sondern von den Ostfriesen sich herleiten, wie ihr
Landbuch und ihr Ostfriesenlied aus dem 17. Jahrhundert es be-
hauptet. Dies erweist uns in Kürze der Thuner Pfarrer Hans
Rud. Rebman in seinem dickleibigen Reim werke: Lustig und
Emsthafft Poetisch Gastmal und Gespräch zweyer Bergen etc.,
Nemlich des Niesen und Stockhoms. Bern 1606; zweite Ausgabe
Bern 1620. Hier heisst es pag. 444, 448, 478:
Der viert Hauptman, so Resti hiess,
mit seinem Völklein aus Ostfriess,
ein Land zu suchen nit sümig,
setzt sich jenseith dem Berg Brünig.
Am Brünig liegt auch vermer hin
das loblich Thal und Land Hasslin,
In Weissland gnennet vor viel Jahren,
Dahin Ostfriesen kommen waren.
Und ward dies Land genent Hasslin,
Als diese Leut kamen dahin,
Von Hassnis, einer Statt im Land,
Welches sie zuvor verlassen hand.
Am Brünig nider glassen sich.
Wie ich noch diess mag bsinnen mich(I)
Eine auf solcherlei Chronikstellen gebaute und gemachte
Sage spricht im Sanenthale vom Friesenweg als derjenigen
Richtung, in welcher dorten zu gewissen Nächten das Wilde Heer
seinen Durchzug nimmt. Wenn man daselbst die Thüre eines
Melkstalles, welcher auf dem Friesenweg gebaut steht, in solchen
Nächten verriegele, so rufe es draussen:
Thüet uf der Stal, thüet uf die Thür,
Wann d^s Friesenvolch wolt grad derdürl
lUustr. Ztschr. .Schweiz 1862, no. i. Die Sage begeht hier eine
absichtliche Entstellung, indem sie das mit Hagel und Frost
begleitete Phänomen der Wilden Jagd, also das Frostvolk
(friesen = frieren), in den Volksnamen der Frisii verdreht. Wissent-
licher Betrug und dünkelhafte Selbsttäuschung haben alsdann das
Friesenmärchen mit allerlei Namens-Etymologien weiter aufgeputzt
und so in die beiderseitige Geschichtsliteratur der Friesen und
Schweizer verpflanzt. Hiefür zwei thatsächliche Beweise. Die
72 !• I^ Sagenkreis von Teil.
handschriftliche Schweizerchronik des Wettinger Abtes Silbereisen
von aargauisch Baden, geschrieben im Jahre 1576, beruft sich
fol. I, Bogen V, bei Erzählung von der friesischen Abkunft der
Schwyzer auf die Chronik des Alpkonsus uss Friessland.
In den Niederlanden hat man zu demselben Zwecke sich ähnlicher
Beweismittel bedient. Es erzählen dorten Hamconn Frisia und
sodann, auf ihn sich berufend, in unserer Gegenwart ein Van den
Bergh: Nerlandsche Volksoverleveringen en Godenleer (pag. 48):
Die Friesen zogen unter Karl dem Grossen mit der heiligen
Fahne nach Rom, eroberten es, nahmen ihren Rückweg durchs
Schweizerland und hinterliessen an der Stelle, wo jetzt Zürich
liegt, eine Colonie. Diese nannten sie Surijck, das ist Südreich,
und davon leitet auch Zürich seinen Namen ab. Die ganze
Schweiz hiessen sie auf friesisch Haele-wey, d. i. Halbweg, von
der Hälfte des Weges nach Rom, und daraus entstand später der
Name Heluetia. Wolf, Niederländ. Sagen no. iii. Johannes
Nauclerus, vulgo Vergenhans, der berühmte erste Rector der
Tübinger Universität, f ca. 15 10, berichtet in seiner Lateinchronik
(Memorabilium etc. chronicus commentarios, TubingCB, 1516, foL)y
Karl der Grosse habe 10,000 Mann der von ihm besiegten Sachsen
mit Weib und Kind nach Uri »in's Elend geschickt.« Da hätten
sie beim Ausreuten der Stauden und Hecken in ihrem Sächsisch-
deutsch oftmals gerufen: »hie wollen wir schwittenl« d. i. schwitzen,
und davon seien sie nachmals von den Schwaben Schwitzer genannt
worden. Man vrgl. über diese Angabe Sebastian Franck, Chronica
der Deutschen. Augsburg, 1538, fol. CCVb.
Hören wir nun, wie sich dieselbe Sage bei ein paar schwe-
dischen Chronisten anlässt, deren einer noch ein Zeitgenosse von
Fründ und Hemmerlin gewesen ist.
Eric Olaus, unter der Regierung Königs Karl Canut Professor
der Theologie und Dekan der Kirche zu Upsala, starb i486 und
hinterliess unter anderen Werken eine bis zum Jahre 1464 von
ihm fortgeführte Chronica Regni Gothorunty nun gedruckt in
Band II von Fant's Scriptores rer, Suevicarutn. Gegen das Ende
seiner Chronik erwähnt Olaus wiederholt des damals schwebenden
Basler-Conciliums (1431 bis 48), weil bei diesem auch einige Ab-
geordnete der Upsaler Kirche, zum Theil aus sehr weltlichen
Gründen, mit erschienen waren. Aus dem Verkehr dieser Ge-
sandten mit oberdeutschen Gelehrten mag dem Chronisten die
angebliche Stamm- und Namensverwandtschaft des Schweden-
3. Die Eigil- und Tokosage m Skandinavien etc. 71
un4 des Schweizervolkes in jener etymologischen Erklärungsweise
zugegangen sein, wie er sie gleich zu Eingange seines (Jeschichts-
werkes, pag. 13, anstellt. Gleichwie nemlich, sagt er, die Schweden,
[ihr ursprüngliches Fünfreich in zwei vereinbart haben und nun
ihrem Regenten den doppelten Titel eines Königs der Schweden
und der Gothen geben, weshalb denn Manche nun das so verein-
barte Reich mit dem Namen Zwe-rfke, d. i. Zweireich, erklären:
so ist nicht minder übereinstimmend hiemit, dass auch die
Schweizer, die nach ihrer eignen Behauptung von den Schweden
und Gothen abstammen, ihren Landes- Vorort Zürik benennen,
d. 1. gleichfalls Zwü-rich, Zweireich, lateinisch Turegum. Denn
auch sie theilten sich anfänglich in zwei solche Reiche und nannten
das eine gegen Aufgang liegende: Oesterrtch, das andere aber
gegen Niedergang Schwyzia, ein an Suecia erinnernder Name.*)
Aehnliches schreibt Joh. Magnus Magliuson, Erzbischof von
Upsala, f 1545.**) Ihm zufolge gelangt die schwedische Aus-
wanderung zur See nach Rügen und Pommern, theilt sich hier in
drei Heerhaufen und einer derselben zieht alpenwärts. Post multos
et varios errores pervenerunt ad illa aspera alpium iuga, in
quibus nunc eorum posteritas, Suetziörum nomen
haiens, perseuerat, Magnus knüpft daran die Bemerkung,
der skandinavische Ursprung der Schweizer werde nicht bloss
durch deren Geschichtschreiber, sondern durch den wohlwollenden
freundschaftlichen Empfang dargethan, der jedem die Schweiz
besuchenden Schweden zu Theil werde, und so könne auch er
sich berühmen, diese gute Erfahrung persönlich dorten gemacht
zu haben. Sein Werk erschien abermals zu Basel 1567 fol. bei
Henricpetri , »in's Hochteutsch gebracht durch Joh. Bapt. Fickler
von Weyl vor dem Schwartzwald.« Nachdem hier im XV. Buch,
•) Nam et cum processu temporis quinque regna praedicta in duo tandem
TCgna, et in duos essent redacta regios principatus , unum Sueciae, alterum Go-
thorum Regnnm exstitit nominatum. Sed et usque hodie omnibus his regionibus
in unum contractis monarchicum principatum, Rex pro tempore sub duplici titulo
se regem nominat Sueciae scilicet et Gothorum. Unde quidam nomen regionis
koc modo interpretantur et scribunt: Zwerike, h. e. duo regna. Cui concordare
dicunt, quod civitas principalis Switensium, qui se a Suecis sive Gothis descendisse
fatentur, vocatur Zurik, i. e. duo regna, et latine Turegum. Qui et ipsi
similiter se diviserunt in duo regna, alterum quod ad orientem tendit vocantes
Oesterijke, alterum quod ad occidentem vergit Swyciam, quasi Sueciam nominantes.
•*) Joannes Magnus, Archiepiscopus Vpsaliensis, Gothorum Svenonumque
Historia etc., in XXIV libros redacta. Basilese, Isingrin 1558. 80.
*jA I. Der Sagenkreis von Teil.
Cap. 2, von der nordischen Schützenkunst gehandelt ist mit der
Bemerkung: »es seind noch viel vnder den Gothländem, welche
ein Apfel auf ein Rhuoten stecken und den treffen auf ein guote
weite im ersten schuss,« folgt die Erzählung, wie auf Harald's
Befehl Toko seinem Knaben den Apfel vom Haupte schiesst.
Der beigefügte Holzschnitt zeigt den Schützen in Anschlag
liegend; der Knabe hält den Apfel am Stecken in der Hand
empor, ein Hund, den abgeschossnen Pfeil in der* Schnauze
tragend, springt zum Schützen zurück.
Die Schweden haben also erst durch die Schweizer Kenntniss
erhalten von einer in die Schweiz gegangenen schwedischen Aus-
wanderung, wie dies aus Stumpfs schon vorerwähntem Berichte
erhellt, womach Schweden, auf Reisen und Messen mit Schweizern
zusammen treffend, immer fleissig nachgefragt hätten, ob sich in
schweizerischen Jahrbüchern von einem in's Alpenland gezogenen
Schwedenvolke eine Meldung vorfinde. Darauf hin nahmen endlich
die Schweden ' selbst diese Auswanderung in ihre Chroniken auf,
ja sie machten zuletzt den Versuch, von diesem beständigen
Nachfragen nach gegenseitiger Verwandtschaft wirklichen Nutzen
zu gelegner Zeit zu ziehen. König Gustav I. von Schweden
erwähnt in einem Edikt von 1555 der schwedischen Abstammungs-
sage der Schwyzer und folgert daraus eine vormals dichter gewesene
Bevölkerung Schwedens. Der grosse Gustav Adolph bezieht sich
in seinen diplomatischen Briefen und Sendungen an die Schweizer
abermals auf jene Sage und erinnert seine Herren Vettern in den
Alpen, gegen Oesterreich als den beiderseitigen Feind, gemein-
schaftliche Sache zu machen. Sein Gesandter, der Ritter Christoph
Ludw. von Rasche, vergass nicht, in einer der Tagsatzung zu
Baden am 10. October 1631 übergebnen höchst umfangreichen
Zuschrift und in seinem am 10. Dezember daselbst gehaltnen
lateinischen Vortrage, auf die uralten Verbindungen zwischen
Schweden und Schweizern und auf den gemeinsamen Ursprung
dieser zwei kriegerischen Völker hinzuweisen. Auch Kanzler
Oxenstierna bediente sich vielfach derselben diplomatischen An-
spielungen und Mahnungen. Allein gerade bei dem Theile des
schweizerischen Volkes, der diese Verwandtschaft am meisten in
Anspruch nahm, vermochten damals die Schweden damit am
wenigsten, und bloss bei den reformirten Kantonen, die solches
nicht betraf, erwirkten sie sich die Erlaubniss, Truppen anwerben
zu dürfen.
3. Die Eigil- und Tokosage in Skandinavien etc. yc
Nachdem die akademische Gelehrsamkeit zu Upsala seit dem
vorigen Jahrhundert mit mehrfachen Dissertationen über diese
Frage sich den Kopf zerbrochen hatte, (sie sind besprochen im
Schweizer Gesch.-Forscher VIII, 305 ff.) ist sie dorten in unsrer
Zeit neuerdings wieder hervorgeholt worden. Geijer (Schwed.
Gesch.) nimmt sie ernstlich und setzt sie in die Zeiten der Nor-
mannenzüge; Strinholm (Gresch. der Wikingszüge. Hamburg, 1839,
pag. ,190 ff.) erhebt sie zu einer Art historischer Gewissheit.
Beide Historiker stützen sich hiebei auf dieselben Quellen, welche
auch den schweizerischen Chronisten gedient haben. Sie berufen
sich auf Jomandes, welcher cap. IV ^den Ursprui^ der Gothen
nach Scanzia, Skandinavien, versetzt, dieses Nordland eine officina
gentium et vagina nationum nennt und von da aus die Volks-
wanderung nach Süden ergehen lässt. Ihre zweite Quelle ist
Paul Diaconus, der das Volk der Langobarden ebenso aus Skan-
danan, alias Skandinavia, kommen und nach Italien ziehen lässt.
Sie citieren ferner das langobardische Auswanderungslied, womach
Skanziens Bevölkerung einer andauernden Hungersnoth wegen
die Heimat verlässt und unter zwei Anführern Ebbo und Aggo
neue Wohnsitze sucht. *) Sie berufen sich auf das Ragnar Lodh.
brok-Lied, wornach der Auszug der Nordländer von Seeland aus
in's Frankenreich ergeht bis an die Ufer der Maas. Hier bauen sie
einen festen Platz Haslou, aus dem das nachmalige Ober-Hasli wird.
Der Zug erreicht den Oberrhein und dringt von hier plündernd
bis Solatra und Fivizuborg vor, das ist Solothurn und Wifflisburg ;
letzterer Ort ist der deutsche Name von römisch Aventicum und
französisch Avenche. (Diese schweizerischen Ortsnamen in einem
altnordischen Lodhbroksliede dürfen nicht befremden; sie waren
für den Isländer stabile Orte auf der Reiseroute nach Rom, wenn
ihn Wanderlust und Frömmigkeit, statt wie früher auf die Wikings-
fahrt, nun auf die Romfahrt trieben.) Die Hauptquelle aber, auf
welcher der nordischen und deutschen Chronisten Erzählung über
die Wandersage beruht, hier bis zuletzt verspart, ist Saxo Gram-
maticus. Er erzählt im 9. Buch, S. 171 (Stephanius) vom Dänen-
könig Ragnar Lodbrok : Statuit ut unusqtdsqtie paterfamilias, quem
inter liberos cantemptissimum duceret, aut si quem pigHoris
*) De exitu Longobardorum Rhythmi antiqui, lingua Gothlandica, cum
versione latiiia Viti Beringii Vibergii. In des Stephanius Saxo, Notae uberiores,
pag. 181.
76 I. Der Sagenkreis von Teil.
operae, ac minus speciatae fidei servum haberet, stipendia sibi
meriturum offerret, Quod edictum tametsi parum proposito com"
petens videretur, invalidissintos Danicae gentis aliarum nationum
fortissimis praestare docuit, magnumque juventuti profectum attuliU
delectis certatim socordiae notam abstergere cupientibus. Sodann
weiter auf S. 172: Vocata Danicorum concione saluberitnas se
populo leges laturutn promittens, ut unusquisque pateffamilias
sicut ante, quem minimi inter liberos duxeraty militatunmi exkiberet,
ita tunc valentioris operae filium, auf probatioris fidei servum
armaret, edixit Die vom Könige hier gegebene Satzung bestimmt
also, dass bei überflüssiger Volksmenge das jüngere Volk und
der jüngste Sohn der Familie kriegsgerüstet auszuwandern habe.
Die langobardische, gothische und schweizerische Wanderungssage
enthalten dieselbe Angabe.
Ist schliesslich nun noch der Standpunkt angegeben, den die
spätere schweizerische Geschichtsforschung in der berührten Frage
einnimmt, so hat vorliegender Abschnitt sein Ende erreicht.
Seit dem 16. Jahrhundert greift die . literarische Mode Platz,
dass der Autor seinem Werke ein Verzeichniss der von ihm be-
nützten Quellen voranstellt. Schon Stumpf, Ausg. v. 1548, hat
ein solches und nennt darin den Saxo Danus. Wir wissen daher,
dass dieser dänische Schriftsteller seitdem bei den Schweizern als
voUgiltige Autorität angesehen war. Stumpf hält es daruip für
seine Pflicht, Saxo's Auswanderungssage zu wiederholen, denn
»die Schwyzer halten sich je und je gerühmt, von den alten
Schwediern abzustammen;« allein sein persönliches Denken darüber
hinterhält er nicht: Er wolle zwar Jedem hierüber sein Gut-
dünken lassen, es sei jedoch »eine argwöhnische Histori, worin
die Irrthümer nicht zu zählen, aus Stempeneien zusammen gesetzt, c
Bei Tschudi vernehmen wir ein ähnliches Schwanken. In seinem
»Hauptschlüssel zu verschiedenen Alterthümern« beruft er sich
S. 174 auf eine handschriftliche Schwyzerchronik : *Gesta Sui-
tensium, worin enthalten: die Geschichte der Ostfriesen, Swedier
vnd andre, so mit jnen gereisset, vnd wie Switer dem Lande
den Namen Swiz gegeben.« Allein in seinem Briefe an Josia
Simler vom Jahre 1568 (abgedruckt Helvetia, Bd. 6, 492) steht
er schon bei der neuen Conjectur, die Urkantone seien nicht von
Schweden, sondern von Cimbern bevölkert worden, »welche ding
ein fabeldichter (Fründ), so innert hundert jaren der Switem har-
kommen beschriben, gar verfelscht. Was derselb Märrsagjer
3- Die Eigil- und Tokosage in Skandinavien etc. 77
witers irer gesta schribt und ouch mit lugen vermengt, wurd ich
ouch ex canjecturis reinigen.c Entschiedneren Urtheils ist Anton
Heinrich Pantaleon, der erste Schweizer, welcher Saxo's Tokosage
zum Zwecke geschichtlicher Vergleichung ins Deutsche übersetzt
hat. Seine geistige und leibliche Ausdauer in einem vielbewegten
Leben gewinnt uns Bewunderung ab, darum folgender kurze
Abriss. Geboren 1522 zu Basel dortigen Bürgersleuten, geht
Pantaleon aus Bildungstrieb und Vermögensmangel frühzeitig den
Schulen in Frankreich nach, wird dann zu Basel bei Bebelius
Buchdrucker, verlässt das Handwerk und vagirt an den Universi-
täten zu Freiburg, Heidelberg und Ingolstadt. An letzterem
Orte wird er Bedienter des italienischen Arztes Cesar Delphinus,
zieht mit ihm nach Wien, erwirbt hierauf zu Heidelberg das
Baccalaureat und kehrt, nun erst zwanzigjährig, nach Basel heim.
Hier promoviert er zum Magister, wird lateinischer Schulmeister,
dann Pfarrer zu St. Peter, beschliesst Medicin zu studieren und tritt,
um die Mittel hiezu zu erwerben, in der Frobenischen Druckerei
als Corrector ein. Hier verfertigt er Register und Präfationen
zur Edition der Latinisten, panegyrische Epigramme und ein 1 546
gedruckt erschienenes Schauspiel Zachäus. Nachdem er eine
wahrscheinlich vermögliche Baslerin geheiratet, durchreist er
Frankreich abermals, studiert in Montpellier, macht an den Pyre-
näen und am Mittelmeer zoologische und botanische Sammlungen
und promovirt als Dr. Med. zu Vallence. Nach Basel zurück-
gekehrt, ist er praktischer Arzt, lehrt an der Hochschule Dialektik
und Physik und entwirft die revidirten Universitäts - Statuten.
Zum Broderwerb übersetzt er der Reihe nach Sleidan, Cardan,
Paul Jovius, Nauclerus\ Conr. Gesners Evonymus und Andere.
So entsteht sein historisches Hauptwerk, die Prosographie. *)
Davon veranstaltete er eine in's Deutsche übersetzte Ausgabe,
die er selber, wegen ihrer Ergänzungen, dem Originale vorzog,
betitelt: Teutscher Nation Heldenbuch. Basel bei Niclas Bry-
lingers Erben 1567 — 15 70. 3 Thl. fol. Um die Materialien
hiefür aufzusammeln, bereiste er 1565, begleitet durch einen
♦) Ant. Heinr. Pantaleon, Physicus Basileensis: Prosographia Heroum atque
jUustrium virorum totius Germaniae. Basil. 1565. 3 Part, in fol. — Pars II,
P^« 73 — 74: »Toko miles Daniae 966, ejus sagittandi peritia. Similem fere hi-
storiam postea apud Helvetios a Vuilhelmo Tello contigisse patet. Vide Saxo
Grammaticus Hist. Daniae, lib. 10.«
yS ' I« I^w Sagenkreis von Teil.
reitenden Söldner der Stadt Basel, fast ganz Mittel- und Ober-
deutschland, durchforschte die Klosterarchive, befragte die Fach-
leute, und was diese bei ihren Bürgern, Grafen und Fürsten:
erfuhren, das wurde ihm mündlich und schriftlich zu wissen
gethan. »Dergestalt (schreibt er, Bd. III, pag. 529 in seiner dort
beigefügten Autobiographie) faret Pantaleon in diesem 1570. jar
ordenlich für.« Kaiser Maximilian II. ernannte ihn zum gekrönten
Poeten und Palatingrafen. Pantaleon starb 1595.*) Im zweiten
Theile des Heldenbuchs, pag. 105 und 386 erzählt er in zwet
verschiedenen Capiteln von »Toko, Kriegsmann in Dänemark
anno 965« — und von »Wilhelm Teil, der I. Eidgenoss 1312.«
Beiden Abschnitten ist der gleiche Holzschnitt beigedruckt: das
Brustbild eines Mannes in engem Wams, auf dem Rücken ist ein
Kreuzzeichen aufgenäht; er trägt einen vorne aufgestülpten Hut,,
setzt die Armbrust aus dem Anschlag und blickt einem eben
abgeschossnen Pfeile nach, während ein zweiter vom Halse herab
im GoUer steckt. Die Tokogeschichte, wörtlich nach Saxo über-
setzt, führt er nur bis zur Schuss-Scene, springt dann über auf
Haralds Ermordung durch den Schützen, — »desshalben Toko<
seiner mannlichen thadt halben ein ehrliche belonung entpfangen« —
und schliesst hierauf also ab: »Es hat sich fast harnoch in der
Eydgenossschafft ein gleichförmige Historien zuogetragen mit
Wilhelm Teilen vnnd dem Landvogt, als an seinem orth solle
geoffenbaret werden.«
Die nun weiter folgenden schweizerischen Chronisten werden-
deshalb hier übergangen, weil sie bezüglich des fraglichen Thema's-
ihre Vorgänger lediglich wiederholen. So ist z. B. des Basler
Pfarrers J. J. Grasser Schweitzerisches Heldenbuoch (Basel 1624..
4^) schon dem Titel nach ein an Pantaleons Werke begangenes
Plagiat und die hier ebenfalls mit enthaltene Tokogeschichte ist
Wort für Wort aus letzterem abgeschrieben. Diejenigen Geschichts^
freunde, welche Grassern, nach Joh. v. Müller's Vorgang, auch
jetzt noch citieren, scheinen nicht zu wissen, dass dieser »Diener
des Göttlichen Wortes« äusserst unchristliche Begriffe über das.
geistige Eigenthumsrecht hat. Nicht aus Mangel, sondern aus
Ueberdruss an solchem Stoffe überspringen wir daher ein ganzes
Jahrhundert, um abermals einem Basler zu begegnen, welcher es
*) Fr. Miescher: Die medizin. Facultät in Basel etc. Zur 4. Säcularfeior
1860. Basel. 40.
3. Die Eigil- und Tokosage in Skandinavien etc. 7p-
wagt, der Wahrheit Zeugniss zu geben. Jac. Christ. Iselin,
Lexicon IV, 573 (gedruckt Basel 1728) schreibt bezüglich der
Tellengeschichte : »Wie viele neue scribenten auch dieser geschieht
meidung thun, so kann man gleichwohl nicht mit stillschweigen
übergehen, dass erstlich solche in keinem gar alten geschicht-
schreiber gefunden werde, und für's andere, dass Olaus Magnus
und aus dem noch andere eine gantz gleiche begebenheit von
einem gewissen Tocho erzehlen, die sich zur zeit des Dänischen
Königs Harald, und also viel hundert jähre, ehe noch die
Schweitzer von Oesterreichischen landvögten gedränget wurden,
solle ereignet haben und doch der vorerzehlten geschieht des
Wilhelm Teilen gantz gleich ist; so dass schier nicht zu zweifeln,
dass nicht die eine erzehlung aus der andern hergenommen sey.«
Wie wird nun damals die Antwort gelautet haben, oder
vielmehr, wie lautet sie noch, wenn man die altgläubige Schule über
derlei Iselin'sche Folgerungen befragt? Sie fasst sich in folgendes
Sätzlein zusammen, das Joh. von Müller ererbt und auf die
Seinigen weiter vererbt hat. »Es verräth, sagt er in Bd. I der
Schwz. -Gesch. , eine geringe Erfahrung in der Geschichte, von
zwei Begebenheiten eine zu leugnen, weil in einem andern Land
oder Jahrhundert ihr eine andere ähnlich war.« Die zwei von
Müller hier postulierten Aehnlichkeitsfälle haben sich seither auf
! sehr viele Gleichheitsfälle vermehrt, und welcher Historiker heute
noch dießelben ignoriert, dem ist obiger Vorwurf wissenschaftlicher
Erfahrungslosigkeit in erhöhtem Maasse zurück zu geben. Seit
, dem sechsten Jahrhundert lebt der Apfelschütze Eigil in deutschen
! noch vorhandnen Liedern, und sein Meisterschuss, ein Gemeingut
der indo-germanischen Völkerfamilie, findet sich in Persien, Island,
Norwegen, Schweden, auf den Inseln Seeland und Oesel , in Eng-
land und Holstein, Verwandtes sogar bei den Ehsten, Finnen und
Lappen. Wie lange vorher, ehe eine Schweiz war, musste also
die Sage zu Völkern gedrungen sein, die heute räumlich so un-
gemein sich ferne stehen. Und welch unehrliches Handwerk
betreibt alsdann derjenige Historiker, der seinen historischen Teil
selbst nicht glaubt, ihn innerhalb der stummen vier Seiten von
Gelehrtenbriefen selbst bestreitet, dagegen im vaterländischen
Geschichtswerke ihn mittels eines förmlichen Kehrichthaufens
lächerlich ersonnener Urkunden als einen historischen Helden
erweist und preist. Müller hatte im Jahre 1785 seinem ältesten
, Schweizerfreunde geschrieben, bezüglich der Tellenbegebenheit
go I. Der Sagenkreis van Teil.
sei er mit sich selber noch nicht ini Reinen und werde sich mit
guter Manier aus der Sache zu ziehen suchen ; er erhält dann im
darauf folgenden Jahre von einem andern schweizerischen geschichts-
forschenden Freunde die Antwort: »Ich bin mit Ihnen voll-
kommen gleichstimmig, die Geschichte des Apfels
als unzuverlässig anzusehen.«*) Dieselbe Sophistenrolle
wie in der Tellenfrage spielt Müller auch in der Einwanderungs-
frage. Er hatte dieselbe im i. Bd. der Schwz.-Gesch. nicht bloss
mit allerlei historischen, sondern mit den abenteuerlichsten Mitteln
der Sprachforschung verfochten. Die »Nationalsprache« der gegen-
wärtigen Haslithaler, sagt er da, sei zwar nicht schwedisch, aber
undeutsch, und der Urstamm ihrer Wörter, wenn man sie auch
in ein Idiotikon sammeln könnte, lasse sich nicht mehr errathen.
Vor anderthalbtausend Jahren hingegen konnten die durch-
einander wandernden Völker des Nordens sich noch nicht so sprach-
fremd geworden sein. Jene durch Hemmerlin vertretne Meinung,
die Einwohner der Waldstätte seien Sachsen, welche unter Karl
dem Grossen in das innere Franken und von da in die Schweiz
verpflanzt worden, finde ebenfalls eine Unterstützung durch die
auffallende Aehnlichkeit , welche die Sprache des gemeinen
Mannes in einigen Alpenthälern mit derjenigen auf dem Thüringer-
Walde habe. Dass Müllern derlei erquälte Einfälle nicht ernst
waren, bewies er in seinem Briefwechsel mit dem Historiker
J. C. von Pfister, von dem er auf seine eben bemerkten Phan-
tasmen hin nachfolgende Zuschrift empfieng und unter lebhafter
Beistimmung entgegen nahm: »Die besondere Frage von der
Einwanderung der Schweizer hoffe ich näher erörtern zu können.
Die Hauptsache beruht auf dem Beweis, dass das ganze swevische
und alemannische Volk überhaupt nicht vom Norden her ein-
gewandert, sondern von jeher in . diesen Sitzen gewesen. Der
zweite Beweis muss zeigen, dass die Colonien, deren die alten
Lieder gedenken, in Sprache und Stammesart von den Alemannen
gar nicht verschieden sind, und dass das Mutterland, aus dem
sie ausgewandert sind, kein anderes sein kann nach der Beschrei-
bung, als Schwaben oder höchstens Thüringen.« Joh. v. MüUer's
Briefe. Schaff*hausen, 1839. 3, 261.
*) Briefe an Joh. v. Müller. Schaff hausen, 1840. Bd. 5, 16. Der hier
zuletzt Schreibende, ist der Berner Schultheiss N. F. v. Mülinen, der Brief v. 1786.
3. Die Eigil- und Tokosage in Skandinavien etc. 3l
Die hiemit zu Ende geführte Frage nimmt in den Wald-
stäften noih immer denselben Standpunkt ein, der durch den
Einfluss von Joh. Müllers Schriften fixirt worden ist, denn das
conservative Herkommen, die ihm dienende Obrigkeit und die
diesen beiden wiederum, dienstbare Presse sind die drei Gewalten,
welche den historischen Aberglauben pflanzen und erhalten. Noch
im Jahre 1789 ist auf schwyzerische Gemeindekosten am grossen
Susthause des Dorfes Brunnen am Waldstätfersee jenes Wand-
gemälde gemacht worden, die Schwedenbrüder Scheyo und Suiter
darstellend, welche dem Lande Schwyz den Namen gaben. Man
beglaubigt die Thatsache überdies durch das im dortigen Dorfe
selbst gelegene Landstück Suiters-acker*). Meyer-Knonau, Der
Kanton Schwyz, 279. Seitdem die Popularschriften in Form von
Volkskalendern, Volksbibliotheken, Schulbüchern u. s. w. die
unteren Classen ausbeuten, sind alttraditionelle Geschichts-
anschauungen auch unter jenem Theile des Volkes verbreitet
worden, der sonst nicht liest. Als in den zwanziger Jahren die
beiden Sprachforscher Schmeller und Schottky die deutschen Ge-
meinden von Verona und Vicenza bereisten, um deren Abkunft
und Mundart kennen zu lernen, erklärten ihnen die Bauern jener
isolirten Dörfer : Wir sind Cimbern : Bir saind Cimbarn!
Aehnliches mag man jetzt vielleicht in den Waldstätten auch
meinen. Wenigstens hat sie Zschokke, Des Schweizerlandes Ge-
schichten, dazu gemacht und diese Abstammung aus der Aehn-
lichkeit dortiger Geschlechtsnamen mit skandinavischen erweisen
*) Suithger, ein Adeliger Bajuvarrens, mit dem Baiemherzog Tassilo zu
König Pippin stehend. Einhart, Jahrbücher 749. Suitgar, Gaugraf über das
von Alemannien losgerissene Sualafeld, im baierischen Franken, nördlich von der
Donau. Rettberg, Kirchen-Gesch. 2, 349. Suuidger, anno 777 Zeuge in der
Urkunde der Markenbeschreibung von Hammelburg am Main. Roth, Beiträge
2, 82. Suidker, anno 827 an der altbaierischen Ammer begütert. Roth, ibid.
München 1853, pag, 38. Suitger, Bischof von westfälisch Münster. Thiet-
mar von Merseburg IV, Cap. I2." Suitger, Bischof von Bamberg, dann als Papst
Clemens II. auf dem Stuhle Petri von 1046^1047 sitzend. Laurent's Adam von
Bremen (Berlin 1S50) S. 103. Der althd. Personenname ist zusammengesetzt aus
suit: multitudo, und gir, hasta, Haupt, Zeitschr. 5, 233. Zum Ueberflusse
I erscheint 1527 der Bauer Klaus Schwitter von Meienberg, geschworner Sechser
[ daselbst, als einer der Gemeindeboten des oberen Freiamtes .im Aargau, die das
I Amtsrecht von Meienberg in schriftliche Fassung zu bringen haben. Argovia.
i Ztschr. v. 1876, S. 86.
Rochholz, Teil und Gessler.
g2 !♦ ^^ Sagenkreis von Teil,
ZU können geglaubt; als ob* es bei jener vermeintlichen Wan-
derung schon Geschlechtsnamen gegeben hätte.
Wenn nun auch der Mythus von Toko-Tell ein echter ist,
so ist doch die Vereinbarung zweier mythischer Grestalten und
Schicksale zu einem speciell helvetischen Zwecke ; ferner die
Uebertragung einer vorzeitlichen Sage auf eine chronologisch
fixirte schweizergeschichtliche Begebenheit; sodann das Herein-
ziehen der göthischen und der langobardischen Wandersage auf
das winzige und spät bevölkerte Gebiet am Waldstättersee —
zusammen nichts anderes als ein gewaltthätiges Machwerk rathen-
der und verrosteter Gelehrsamkeit, mithin das schnurgerade
Gegentheil echter Volkssage.
IV.
Teilsagen der Inselschweden und Ehsten.
Sage vom Apfelschuss und der Tellenplatte
bei Finnen und Lappen.
Erinnerungen an einen riesenhaften Nationalhelden in der
wechselnden Namensform TöUo, Töl und Teil (Genetiv Tellis)
sind an der Küste des finnischen und Rigaischen Meerbusens und
auf der benachbarten Inselgruppe an mehrfachen Orten localisirt
und zwar so lange schon, als in diesen Gegenden die schwedische
und die ehstnische Race sesshaft sind. Die hierüber genau er-
hobenen nachfolgenden Angaben gehören verschiedenen histori-
schen Publicationen an, welche in den russischen Ostsee-Provinzen
zwischen den Jahren 1846 und 1868 erschienen sind.*)
Im Kirchspiel Newe, an der ehstnischen Westküste des fin-
nischen Meerbusens, geht der Bach Jösma an einem isolirt geleg-
nen Haide-Wirthshaus vorüber, welches nach seiner Lage an einer
Brücke (silla) und nach einem vormaligen Eigenthümer Töll-silla,
TöUs Brücke heisst, denn hier hat im Jahre 1568 ein Töl Lawer
gewohnt. — Im nördlichen Theile der Insel Dago liegt das zum
Herrschaftsgute Hohenholm gehörende Bauemgesinde Tellis-Kiwwi,
*) Die uns selbst vorliegenden sind:
1) Kruse, Ehstnische Urgeschichte. Moskau )[S46.
2) Russwurm, Eibofolke: Ethnographische Beschreibung der Insel- und Küsten -
Schweden Ehstlands. Reval 1855.
3) Das Inland. Wochenschrift für Liv-, Ehst- und Kurlands Geschichte etc.
Dorpat 1856, No. 9 und No. 33.
4) Pabst, Ed., Beiträge zur Kunde Ehst-, Liv- und Kurlands, herausgegeben von
der Ehstländ. Lherär. Gesellsch. Reval 1868.
6*
gj, I. Der Sagenkreis von Teil.
. mm
d. h. Teils Stein. — Auf der Insel Osel, ehedem von Schweden,
jetzt vorherrschend von Ehsten bewohnt, hat der Riese TöUus
einen eignen Edelhof besessen, der da noch jetzt des TöUus
Edelhof oder die Burg Töllist heisst. Dieser Riese hat auf der
von Osel neun Meilen entfernten Insel Runö einen Kohlgarten an-
gelegt und ist da, so oft er Kraut kochen wollte, hinüber und
zurück geschritten, bevor das Wasser im Kessel siedend gewor-
den war, das er über's Feuer gethan hatte. — So weit schöpft
unsre vorliegende Mittheilung aus Russwurms Eibofolke, §§. 183
und 393. Was hier weiter folgt, stammt aus dem Munde eines
Ehsten auf der Insel Dagden (schwedisch Dago), die vormals Von
Schweden bewohnt gewesen, jetzt ehstnisch ist und in dieser
Sprache den Namen Hioma trägt, d. h. die Heilige. Dieses
Ehsten mündlicher Bericht steht wortgetreu mitgetheilt in
Ed. Pabsts vorerwähnten Beiträgen (Reval 1868) Bd. i, S. iii.
Als Töllo hörte, dass auf Dagden (Dago) die Kirche von
schwedisch Keinis gebaut wurde, hat sein Gemüth sich hierüber
erzürnt. Er hat drum einen grossen Stein genommen und mit
demselben von Osel aus den Kirchenthurm von Keinis nieder-
werfen wollen. Allein dieser Stein hat nicht so weit gereicht und
ist in der Nähe von Dagden in's Meer gefallen; daselbst liegt er
noch und wird des Töllus' Stein genannt. Als dann Krieg ge-
wesen ist und die Feinde gehört haben, dass Töllus auch gegen
sie gekommen, da sind sie geflohen. Töllus hat ihnen ein Wagen-
rad nachgeworfen, dass -es neun Werste weit im Laufe blieb. An
der Sandbank bei Sworbe (eine langgestreckte Halbinsel Osels
mit zwei Kirchspielen, früher schwedisch, jetzt ehstnisch bevöl-
kert) ist das Rad entzwei gegangen, die Radschiene soll noch
jetzt in Ösel vorhanden sein.
Der Riese Teil hatte zwei jüngere, ebenmässig starke Brüder
Leiger und Neider. Wie er, so zeichneten auch sie sich im Fels-
schleudern aus, durchwateten das hohe Meer und gelten zusammen
als siegreiche Vaterlandsvertheidiger."]
Der Bruder Leiger hat in Dagden nahe bei der Kapelle
Surro gelebt; daselbst sind von ihm manche Gedenkstellen, so
das Gehöfte, welches Leiger' s Gesinde heisst, und noch andere
Orte, »deren ich mich nicht mehr erinnere«. (Zu dieser persön-
lichen Bemerkung des ehstnischen Erzählers fügt der Vermittler
dieser Notiz, Heinrich Neus, bei: Die Lage der Kapelle Surro
und des genannten Gehöftes weiss man ehstnisch nicht mehr zu
4. Tellsag^ der Inselschweden und Ehsten etc. 85
bestimmen.) Die beiden üertlichkeiten daselbst kennt man dage-
gen noch schwedisch. Russwurms Lithographische Beilagen zu
Eibofolke (Reval 1855) verzeichnen auf Karte IV im nördlichen
Theile der Insel Dago (Dagden) zwei Nachbargehöfte Namens
Leigri, welche am Wege von Hütti nach Nömmerga liegen, an
westwärts weit ausgedehnten Sümpfen. Und an der Südspitze
Dagö's liegt auch die Kapelle Serro; vergl. Russwurms Karte I.
Wenn die Brüder einer den andern besucht haben, dann
haben sie einen fünf Faden langen Balken als Stecken in der
Hand gehabt und ein halbes Fass Bier in der Tasche. In dieser
Weise sind sie durch das Meer gegangen, und das Wasser hat
ihnen nicht höher gereicht als bis zu Kotse mütti (dem Heraus-
geber Neus unerklärt gebliebene ehstnische Worte).
Wenn Töllus sich Suppe gekocht, so hat er einen Kessel
aufs Feuer gesetzt und ist von Ösel fortgegangen, um aus Dag-
den erst die Kohlköpfe zu holen, ist aber schon wieder zurück
gewesen, wenn der Kessel im Sieden war.
Wie er nahe am Sterben war, hat er gesagt : .
»Bestattet mich in meinem Krautgarten, und wenn Noth und
Kri^ über euch kommt und ihr euch selber nicht helfen könnet,
so rufet mir an meinem Grabe, dann komm ich, euch zu helfen, c
Nach seinem Tode haben nun auch die Kinder dies von ihren
Eltern vernommen, und so sind einst muthwillige Hirtenknaben
zu Sworbe, nachdem sie draussen auf der Düne Krieg gespielt
hatten, an sein Grab gegangen und haben da den doppelsinnigen
Spruch gerufen:
Töllus, Töllus, touse ülles 1
Södda Sörwe säresi
[Töllus, Töllus, aufgestanden I
Krieg ist auf Sworbe's Sandbank!]
Töllus hat darauf sein Haupt erhoben und gesehen, dass es
nur ein Treiben von Kindern gewesen; das hat ihn erzürnt und
er hat nicht verheissen, annoch zu Hülfe zu kommen.
So weit der ehstnische Erzähler. Des TöU Grab wird dop-
pelt hergezeigt, einmal auf der Insel Ösel bei der sogenannten
Burg Töllist, und zugleich an der Ostküste von Sworbe, bei Tiri-
mets am Orte AnseküU. Kruse, in der Ehstn. Urgesch. (S. 1^7)
erzählt hierüber: »Bei Tirimetz wurde mir TöUs Grab gezeigt;
\
l
86 I* ^cr Sagenkreis von Teil,
es ist kein Tumulus, sondern eine runde Vertiefung, in deren
Mitte ein Baum steht, c
Verweilen wir nun vorerst bei diesen mehrfachen Trümmern
einer ehemals einheitlich gewesenen Sage.
Der Mythus von Toll ist an den Küsten und auf den Inseln
Wfest-Ehstlands schon so lange gekannt und localisirt, als daselbst
Schweden und Ehsten sesshaft sind. Er ist da aber nicht ehst-
nischen Ursprunges. Denn auf diesen Inseln des finnischen und
rigaischen Meerbusens, von Runö im Süden bis hinauf zu den Inseln
Wulf und Wrangel (bei Reval), ist die schwedische Einwanderung
älter als die ehstnische, und auf allem übrigen ehstnischen Fest-
lande findet sich TöU weder der Sage noch auch nur dem Namen
nach. Zu diesen ethnographischen Beweisen für die schwedische
Priorität des Töll-Mythus gesellt "sich noch ein besonderer sprach-
licher. Es unterscheidet nemlich der Inselschwede zwischen dem
Eigennamen Toll und dem Appellativ täl : die Teile, begrifflich und
grammatisch genau so, wie es hierin auch das Gemeindeutsch thut.
Dies erweist sich schon aus einem einzigen Falle. Der Norden
der Halbinsel Nuckö ist von unvermischt schwedischer Bevölkerung
bewohnt. Diese nun benennt eine daselbst an der nordwestlichen
Küste liegende, den Seeschiffen dienende Einbuchtung, die durch
einen Bergvorsprung gedeckt ist, Tälnäs; jetzt steht ein Strand-
wächterhaus daselbst. Dieser Localname bezieht sich also sprach-
lich nicht etwa auf den Helden Toll, sondern bezeichnet, wie wir
im örtlichen Gemeindeutsch uns ebenfalls ausdrücken, diejenige
Nase des Vorgebirges, welche hier über derTellen, d-h. über
einer besonderen Einbuchtung oder Bodenmulde gelegen ist.
Dagegen hat der Teil der Inselschweden, gerade so wie der
schweizerische seine Teilenplatte am Waldstättersee besitzt, zwei
örtlich nach ihm benannte Felsblöcke aufzuweisen, einen auf. der
Insel Ösel, den TöUus-Stein ; den andern auf der Insel Dago, den
Teils Stein: Tellis Kiwwi. Es knüpfen sich an diese beiden
zwar keine Sprungsagen; jedoch der Teils Stein dient als
Naturbrücke und liegt an der Enge des schmalen Meerbusens,
welcher auf der Westküste Dagö*s zwischen dem Adelsgute
Hohenholm und dem Kirchdorfe Roiks tief landeinwärts zieht.
Gleichwie in der Schweizersage drei Teile mit einander be-
stehen und für die Befreiung ihrer Heimat auftreten, so kennt
auch die Landessage der Inselschweden den TöU zusammen mit
seinen beiden Riesenbrüdem Leiger und Neider.
4« Tellsage der Inselschweden und Ehsten etc. gjr
Der eine dieser drei Brüder, Leiger, hat sogar eine eigne
Kapelle Surro besessen, die man in der auf der Südspitze Dagö's
liegenden Kapelle Serro zu erkennen glaubt.] Zwar bezeichnet
der Inselschwede mit dem Namen Kapelle nicht immer geweihte
Beinhäuser und Feldldrchlein, sondern auch gar manche noch
aus der Heidenzeit her als geheiligt geltende Waldplätze, Einöden
und Votiv-Bäume. Um so mehr also scheint die dem Leigir geweiht
gewesne Kapelle, «über, deren Standort der vorhin angeführte ehst-
nische Erzähler nicht im Klaren war, noch ausserhatb der christ-
lichen Periode zu liegen, mithin noch um Vieles |älter zu sein
als jenes »Heilighüslin«, welches man, wie Tschudi behauptet, dem
schweizerischen Teil auf der Teilenplatte errichtete.
Man pflegt zu Bürglen in Uri Teils Wohnhaus herzuzeigen
und versichert, dasselbe sei ursprünglich der Edelsitz des hier
amtenden Meiergeschlechtes Teil gewesen. Der Urner Teil wird
damit zum Adeligen erhöht, ja die einheimischen älteren Wappen-
bücher geben sogar sein Adelswappen zum Besten. Ebenso kennt
man auf der Insel Ösel die Burg Töllist als des TöUus gewesnen
Edelsitz. Es ist dies ein bekannter letzter Weg, um einen Un-
sterblichen zum Menschen umzuformen. Erscheint nemlich der
gewesne Naturgott nicht mehr glaubhaft und wird deshalb abge-
setzt, so lässt ihn der stille Volksglaube doch noch als einen
Riesen fortgelten ; und will auch dieses Ungeheuer dann dem Ge-
fühle zu plump und zu fremd werden, so ist die Provinzial-Eitel-
Iceit bereit, ihn seiner angeblichen Reckenthaten wegen zum
waffenfertigen Edelmann zu nobilitiren.
Wilhelm Teil soll im Harst der Eidgenossen bei Morgarten
mitgefochten haben. Gleicher Weise zieht TöUus gegen feind-
liche Kriegsschaaren mit zu Felde und schlägt sie in die Flucht.
Wilhelm Teil sitzt verzaubert und harrend im Axenberge.
Auch TöUus, obschon begraben, liegt nur im Zauberschlafe und
wird einst in den letzten Nöthen seines Volkes wieder erstehen
und die Befreiungswaflfen ergreifen.
Töllus, im Grabe liegend, wird da einmal von spielenden
Hirtenknaben aufgeweckt, ärgert sich über diese Kinderfrechheit
und legt sich abermals zur Ruhe hin. Ebenso geht ein schwei-
zerischer Weidbube einmal der verlornen Geis oder Kuh nach,
geräth • darüber in die Höhle des Axenberges , trifft und weckt
hier den Teil, erfahrt aber von ihm gleichfalls nichts Anderes,
gS ^' ^^^ Sagenkreis von. Teil.
als die mürrisehe Aeusserung über die Unzeitigkeit dieses Be-
suches.
Die Töllussage besitzt also folgende mythologische Züge mit
der Teilensage gemeinsam: Den Weitsprung über Gewässer und
Fels ; die Bergentrückung und den Zauberschlaf. Dem Andenken
Beider sind zugleich Kapellen errichtet. Aber der TöUussage
gehen ab: die zwei Treffschüsse nach dem Apfel und nach dem
Vogte und die bestandene Seefahrt im Sturmci
Allein diese ihr hier bei den Inselschweden mangelnden Sagen-
züge gewinnt die TöUussage sogleich wieder, wenn auch unter
anderem Eigennamen, bei den angrenzenden Finnen und bei den
ihnen benachbarten Lappen. Dies darzuthun, ist dem Schlüsse
gegenwärtigen Abschnittes vorbehalten. Vielleicht zählt man zu
den Mängeln der TöUussage auch den Umstand, dass ihr aller
Versuch mangelt, in eine einzelne Volksgeschichte überzugehen,
dass sie keinen historischen Ernst besitze. Darauf ist mit Müllen-
hoff* (Schleswig - Holst. Sagen; Vorrede, S. 52 ff".) zu erwiedem:
Mythen wurzeln nicht in der Geschichte, sondern in der Re-
ligion des Volkes. Sie sind häufig älter als alle Geschichte, ja
einige mögen, wie die Sprache, aus dem Ursitze der Menschheit
mit herüber genommen sein. Die Uebereinstimmung der Mythen
bei den verschiedensten Völkern mag oft überraschen, aber sie
erklärt sich sehr einfach. Je weiter man in der Zeit zurückgeht,
um so mehr nimmt die Verschiedenheit der Völker und Stämme
ab, um so grösser also muss auch die Uebereinstimmung Aller
in dem Punkte der Sagen gewesen sein. Und was ist nun die
nothwendige Folge dieses die Mythe charakterisirenden Umstandes ?
Antwort: Die mythologische Sage gewinnt an Beglaubigung, je
öfter sie gefunden wird; umgekehrt verliert die historische an
Wahrscheinlichkeit, sobald sie mehr als einmal vorkommt.
Wir gehen nun zur Apfelschuss-Sage, wie sie die Finnen dem
Karelier Lähonen Tiitta nacherzählen. Wir verdanken dieselbe dem
berühmten Sprachforscher Matthias Alexander Caströn. Derselbe be-
gab sich im Sommer 1839 auf seinen Wanderungen in russisch Kare-
lien nach den beiden finnischen Dörfern Uhtuwa und Wuoninen,
derselben Gegend, in welcher kurz vorher Lönnrot viele Gesänge
des finnischen Nationalepos Kalewa aus dem Munde des Volks-
sängers Archippa aufgezeichnet hatte. Es gelingt Cästren daselbst,
diese Lieder noch zu vervollständigen; er entdeckt aber zugleich
dabei noch andere Sagen über die alten Grenzstreitigkeiten und
4* Tellsage der Inselschwedeu und Ehsten etc. gg
Raubzüge zwischen Finnen und Russen dortiger Gegend und
theilt darunter folgende mit, welche einen Streifzug von finnischen
Grenzbewcrfinem nach dem Dorfe Alajärwi zum Gegenstande hat.
Nachdem die Finnen das Dorf geplündert, wollten sie gewalt-
samer Weise einen von ihnen lange verfolgten und gehassten Greis
entfuhren. Während sie ihn nun längs dem einen Ufer des Sees
dahinschleppten, folgte ihnen auf dem andern Ufer sein jüngster,
zwölQähriger Sohn und stiess fortwährend die Drohung aus, er
wolle sie Alle insgesammt niederschiessen , sofern sie den Vater
nicht in Freiheit setzten. Die Gewaltthäter waren jedoch nicht
im mindesten gestimmt, auf des Knaben Drohungen zu hören, sie
verhöhnten ihn nur und verfuhren um so grausamer mit dem
Vater. Allein der Knabe Hess sich nicht abschrecken, und die
Feinde versprachen endlich, seinem Begehren unter der Bedingung
willfahren zu wollen, dass er von dem entgegengesetzten Ufer aus
durch einen Pfeilschuss den Apfel (omena) zerspalte, den sie auf
den Kopf des Vaters stellen würden. Der Knabe gieng in der
That auf diesen gefährlichen Versuch ein, und der Vater gab ihm
dabei folgenden Rath : T>käsi ylennä, toinen alenna^ järwen wesi
wetää, (Jas heisst: Erhebe deine Hand, senke die andere, denn
die Gewässer des Sees ziehen (den Pfeil) an. Ganz gegen die
Berechnung der Feinde traf der Pfeil richtig sein Ziel ; der Apfel
fiel in zwei Stücken vom Haupte des Vaters herab, und dieser
wurde aus seiner Gefangenschaft befreit.
Eine andere Tradition erzählt von einer zahlreichen Schaar
finnischer Grenzbewohner, die sengend und brennend weit und
breit im russischen Kardien plünderten. Um so viel als möglich
vor Feindes Hand zu retten, hatten die Bewohner des Landes
ihre Schätze vergraben und ihre noch vorräthige Saat theils dem
Vieh vorgeworfen, theila auf dem Schnee umhergestreut, wodurch
sie, wie die Erzählung lautet, später eine gute Ernte gehabt haben.
Auf diesem Raubzuge überraschte der Feind einen Karelier,
Lähonen Tiitta genannt, im tiefsten Schlafe. Durch das Lärmen
aufgeweckt, sprang Lähonen von seinem Lager auf, ergriff schnell
seinen Bogen und Köcher, warf die Beinkleider*) über die Arme
und entfloh solchergestalt dem verfolgenden Feinde. Er war ein
schneller Läufer und würde sich wohl durch die Flucht gerettet
•) Hose, Schuhe und Wams ist aus Einem Stücke und wird am Rücken
zosainmen genestelt
jQQ I. Der Sagenkreis von TelL
haben, doch die strenge Kälte des Winters zwang ihn, an seine
nackten Beine zu denken. Als er somit einen kleinen Vorsprung
gewonnen hatte, blieb er stehen um die Beinkleider anzuziehen,
allein er hatte kaum das eine Bein bedeckt, als die Feinde ihn
einholten. Muthig und geistesgegenwärtig spannte er nun seinen
Bogen, richtete denselben bald auf den einen, bald auf den andern
der sich ihm nähernden Feinde und rief dabei: katscko,- mü
ammun: Sieh dich vor, ich schiesse dich nieder 1 Durch diese
JList brachte er eine solche Verwirrung unter den Gegnern hervor,
^dass er wieder Gelegenheit zur Flucht und zum Ankleiden fand,
worauf er in die tiefen Wälder verschwand. Die raubgierigen
Feinde setzten indess ihren Streifzug fort und gelangten endlich
nach Ausübung vieler Gewaltthäten an die Ufer eines Sees,
Tuoppajärwi genannt. Von hier aus wünschten sie seewärts nach
Pääjärwi zu fahren, aber selber des Weges unkundig, vermoch-
ten sie einen Bauer in Kiisjoki, ihr Boot an's Ziel zu lenken.
Auf dem Wege, den die Feinde einschlagen wollten, befindet sich
der grosse Wasserfall bei Niska. Als .sie sich in der Nähe dieser
Stromschnelle befanden, steuerte der Bauer hart dem Ufer ent-
lang, sprang plötzlich auf einen über das Wasser hervorragenden
Stein und stiess im Sprunge das Boot in den Flifss hinaus. Die
Feinde vermochten nunmehr nicht das Boot zu lenken oder in
seiner Fahrt aufzuhalten; die Strömung führte sie in den brausen-
den Wasserfall hinein. Später las man vierzig Mützen am Fusse
des Falles auf.
Der gefeierte Held, welcher finnisch Laurukäinen, und lap-
pisch Laurukadsch genannt wird, hatte in Lappland, das ihm treff-
lich bekannt war,' oftmals einen Wegweiser für die landesfeind-
lichen Russen abgegeben und sie bei Fahrten über Ströme und
Seen in's Verderben zu führen gewusst. Einstmals hatten sie
ihn zum Steuermann den Patjoski abwärts genommen. Als sie
in die Nähe einer Stromschnelle gekommen waren, band Lauru-
käinen ihre sieben Boote zusammen und mahnte, unter das Ver-
deck zu kriechen, um bei dem Anblicke des fürchterlichen Wasser-
falles nicht in Schreck zu gerathen. Ohne einen Betrug zu ahnen,
unterwarfen sich die Russen dem Geheisse. Nun steuerte er die
Boote dicht an dem Ufer vorbei und rettete sich selbst auf eine
Klippe, die Russen aber kamen im Wasserfalle um. Bei einer
andern Gelegenheit steuerte er der Russen Boot gerade gegen
eine Klippe im Flusse selbst. Das Boot zertrümmerte, die Russen
4. Teilsage der Inselschweden und Ehsten etc. gi
kamen insgesammt um, er aber rettete sich auch diesesmal, weil
ihm »der Zorn des Wassers« , im Finnischen der Wasser-Dämon
Weden ärimys, nichts anhaben konnte. — M. A. Castr^n, Reise -
Erinnerungen aus den Jahren 1838 — ^44. Deutsch von Schiefner.
Petersburg 1835. S. 20 — 22. Reisen im Norden. Aus dem Schwe-
dischen von Henrik Helms. 1853.
Das Hauptmotiv in den vorstehenden finnisch-lappischen Er-
zählungen wird in die Wirkung des Zaubers verlegt. Dies ist
ihre Eigenthümlichkeit, alle übrigen Züge haben sie mit der ger-
manischen Tellenmythe gemeinsam. Wenn der zwölfjährige Sohn
seinem Vater (also Verwechslung vorn Object in's Subject) den
Apfel vom Haupte schiesst, so glückt da der Weitschuss über
(üe Breite eines Sees hinüber nur durch ein Zaubermittel; denn
vorher muss der Schütze eine erschwerte Stellung annehmen und
durch diese das den Schuss anziehende Gewässer, also den Wasser-
dämon, entweder besänftigen oder bändigen. Ohne das Wissen
von Alles bändigenden Zaubersprüchen werden die seefahrenden
Russen den Dämonen der Wasserstürze zur Beute ; der sie dahin
fahrende Finne aber entspringt heil auf die Klippe. Auf diese
gleiche Voraussetzung stützt sich das finnische National - Epos
Kalevala, aus dem nachfolgende Stelle (Vers 143) nach Schiefners
Uebersetzung stammt:
Sprach der muntre Lemminkäinen :
Schon bezauberten mich Zaubrer:
Drei der Lappen, wohlvereinet
In der Nacht zur Zeit des Sommers.
Anders hatte man gedrohet.
Anders aber gieng^s von statten.
Drohten zaubernd mich zu bannen,
Drohten tief mich zu versenken
In den Sumpf, dass ich getreten,
In den Schmutz gestecket würde
Bis zum Kinn in Moderboden,
Bis zum Bart in faule Erde.
Aber ich ein Mann, wenn einer,
War dabei auch nicht in Nöthen,
Wurde selbst ein Zaubersprecher,
Fieng da selber an zu singen.
Sang die Zaubrer mit den Pfeilen,
Q2 I. Der Sagenkreis von Teil.
Sang die Schützen mit den Waffen,
Sang die Kundigen mit den Messern,
Sie, die Schützen mit dem Stahle:
Zu dem jähen Wasserfalle,
Zu dem grausenhaften Strudel,
Zu den allerhöchsten Sprudeln,
Zu den allerschlimmsten Wirbeln!
Dorten mögen sie nun schlummern.
Bis das Gras nach oben schiesset
Durch den Kopf und durch die Mütze,
Durch der Zauberer Schulterblätter!
Mittels solcher Zaubersprüche also ersäuft der finnische Boot-
führer die vierzig Russen im Wassersturz bei Niska; allein dass
er dabei schlau dem Ufer zusteuert, auf die nächste Felsenplatte
springt, das Boot noch in den Strudel hinaus stösst und sich
rettet, dies ist das Abbild von Teils Seefahrt und Sprung auf die
Platte.' Einwirkungen durch die schwedisch-dänische Sage haben
dabei unleugbar stattgehabt. Dahin ist nicht bloss der für die
Nordfinnen und Lappen fremdartige Apfel, sondern weit mehr jener
Bogenschütze zu zählen, der dem Feinde so plötzlich entfliehen
muss, dass er, eben am Lager erwachend, nicht einmal die Hosen
mehr anziehen kann, dann aber durch blosses Zielen und Drohen
mit dem Bogen die Verfolger so lange schreckt, bis er in die
Wälder entronnen ist. Ebenso ergeht der Tyrann Harald, der
den Toko nach des Kindes Haupt zu schiessen genöthigt hat,
nachmals sich in Waldesabgelegenheit, lässt sich in einem Ge-
büsche nieder ventris exaniniendi causa, und wird in dieser un-
königlichen Stellung von Toko erschossen. Auch hier verwech-
selt die finnische Sage Subject und Object. Allein welche andere
ist frei von solchen Widersprüchen. Ist nicht Toko bald ein
Däne, bald ein Finnen-Häuptling? ist nicht Teil bald ein Dümm-
ling, bald ein Zauberschütze?
Die Uebereinstimmurig der Sage höchst verschiedenartiger
und räumlich sich entfernt stehender Völker ist also vorhanden.
Wie aber diese Concordanz erklären, wie sie über den Anschein
des blinden Zufalls erheben, wie sie gegen den eigensinnigen
Widerspruch der fremden Meinung festigen? Hier giebt es nur
ein Mittel. Will man der Sagenvergleichung nicht glauben, weil
man erklärt, auch der vergleichenden Mythologie misstrauen zu
4- Tellsage der Inselschweden und Ehsten etc. Oj
wollen, so muss man die durch die Sprachvergleichung gewonne-
nen Resultate, weil sie historische sind, hören und annehmen,
oder schweigen.
Die Sprache der finnischen Völker enthält eine nicht ge-
ringe Anzahl germanischer Wörter, und zwar in einer Lautgestalt
und Formenreinheit, wie sie nur vor der gothischen Sprache
liegen kann und die älter sein muss, als selbst die ältesten germa-
nischen Sprachdenkmäler. Die Aufnahme solcher Wörter in die
finnische Sprache, und von dieser aug dann in die lappische, muss
darum in eine vorhistorische Zeit und in Länderstriche fallen, wo
vor etwa 2000 Jahren der Finnen -Volksstamm ein Grenznachbar
der- Gothen und Altnordländer war und deren Spracheinflusse
andauernd ausgesetzt gewesen ist. Sprachgeschichtliche Vor-
gänge solcher Art sind in der Neuzeit von einigen Sprachforschern
an sehr weit auseinander gelegenen Orten und auf verschiedenen
Beobachtungswegen wahrgenommen worden. Dietrich in Giessen
zeigte in Höfer's Zeitschr. f. d. Wissensch. der Sprache II, 32 ff.
ein uraltes Eingedrungensein altgermanischer Wörter in die Sprache
der Lappen, zugleich dorten in Verbindung mit solchen Theilen
der indogermanischen Mythe, dass diese den Schluss erlauben, sie
seien gleich alt mit dem Vordringen der Germanenbewegung
nach Europa. Dieselbe Wahrnehmung ist von Wilh. Thomsen
in Kopenhagen gemacht und zugleich durch eine grosse Reihe
sprachlicher Belege unterstützt worden in der Schrift: Ueber den
Einfluss der germanischen Sprachen auf die finnisch -lappischen.
Uebersetzt von Sievers, Halle i'S/o. Thomsen giebt hier ein
67 Seiten haltendes Wörterverzeichniss , das die im Titel seines
Buches enthaltene Behauptung zur Thatsache macht. Ihm hat
sich neuerlich selbständig angereiht : Weske in Dorpat. Er han-
delt sowohl in den Sitzungsberichten der Gelehrten Ehstnischen
Gesellschaft zu Dorpat (1874, S. 94), wie auch in einer akademi-
schen Antritts -Vorlesung: »Ueber die historische Entwicklung
der finnischen Sprache im Vergleich mit der indogermanischen.«
Verhandlungen der Ehstnischen Gesellschaft 1875, Band 8,
Heft 2, S. 13.
Aus den von diesen zwei letztgenannten Forschern behandel-
ten Sprachbeispielen seien hier die drei Adverbe Schön, Arm
und Arg ausgehoben, weil sie zu denjenigen Wörtern gehören,
an denen das historische Lautgesetz consequent sich vollzieht und
in denen zugleich jener abstracte Begriff, welchen sie heute noch
QA I. Der Sagenkreis von Teil.
ausdrücken, schon im Altfinnischen und im Altgermanischen vor>
handen gewesen ist.
Gothisch skauns (Stamm: skaunja, scheinen?), althd. und
alts. scani, altnord. skönr, schön — musste in der Vorperiode vor
Ulfilas gothisch skaunzs gelautet haben. Dies erweist uns das
finnische kaunis, schön. Das i ist im Göthischen nach dem be-
kannten Lautgesetze ausgefallen. Eben so ist in allen Wörtern,
welche aus irgend einer Fremdsprache in das Westfinnische älterer
oder neuerer Zeit aufgenommen sind, der eine der beiden Anlauts-
Consonanten bei darauf folgendem Vocal weggefallen. Darum
I
also musste ein vorgothisches skaunis bestanden haben und zum
finnischen kaunis geworden sein,
Gothisch qrms (für älteres armas), altnordisch armr {r laut-
gesetzlich aus s entstanden), bedeutet miserahilis, beklagenswerth.
Finnisch, ehstnisch und karelisch heisst armas geliebt; lappisch
armes bemitleidenswerth. Ableitende Formen sind finnisch armiasr
mitleidsvoll; lappisch armolas: misericors. Von der Bedeutung
beklagenswerth sind hier die finnischen Sprachen zu der
jetzigen geliebt gekommen; mithin muss ein vorgothisches
armas in's Finnische z.u einer Zeit aufgenommen worden sein, wo
es im Germanischen noch eben so lautete und eben so viel be-
deutete.
Finnisch arka: furchtsam, scheu, kommt her von einem alt-
germanischen arga, feig; altnordisch arg-r, althd. arc, arg. Die
Bedeutung auch dieses Wortes im Finnischen ist hier älter als
in den ältesten deutschen Sprachdenkmälern und zeigt, dass es in
einer Zeit aufgenommen wurde, da auch im Germanischen noch
die jetzige Bedeutung vorhanden gewesen war; denn diese ger-
manischen Wortformen kommen bekanntlich von der Wurzel ar^
her, welches zittern, beben, heftig bewegen bedeutet-
V.
Punker und Teil als Zauberschützen.
Der Bund, den die deutschen Reichsstädte seit 1385 gegen-
seitig geschlossen hatten, war eine bürgerliche Eidgenossenschaft
und hatte den Zweck, die deutsche Reichseinheit zu bewahren,
indem man Kaiserthum und Bürgerthum gegen die Ländergier
und Vielherrschaft der Fürsten beschützte. Doch schon nach
drei Jahren wurden die Städte gezwungen , ihrem Bündnisse eid-
lich zu entsagen, weil die Fürsten auf dem Tag zu Eger dem
schwachsinnigen Wenzel den Glauben beizubringen wussten, der
Städtebund sei eine gegen Gott und Kaiser errichtete Verschwö-
ning. Eben jener Zweck hatte ursprünglich auch die oberaleman-
nischen Länder und Orte geleitet, als sie ihre Eidgenossenschaft
gründeten und die benachbarten Reichsstädte allmählich ihr ein-
verleibten. Allein diese kleinen Gebirgsländer dauerten bei ihrem
Bundesschwure aus und waren auch dann nicht zu seii\er Zurück-
nahme zu vermögen, als sie derselbe Vorwurf des Abfalls von
Gott und dem Kaiser traf und schliesslich noch Acht und Bann.
Vielmehr seitdem sie erkannten, wie wenig der jeweilige Kaiser
ihre Reichsunmittelbarkeit beachtete, wenn dieselbe der Ver-
grösserung seiner Hausmacht im Wege stand, so versagten sie
ihm den Gehorsam, den er ohnedies nicht an ihre Rechtsbedin-
gungen geknüpft wissen wollte, und trennten sich nachmals zu
gelegener Zeit gänzlich von einem Reiche, das sie in den drin-
gendsten Fällen schutzlos liess. Ja als dann in ähnlicher Weise
hier zu Lande die Kirche fortfuhr, ihre Gewalt über die Gewissen
zu missbrauchen, um weltlicher Herrschaft zu fröhnen, kam es
auch mit dieser so 'gründlich zum Bruche, dass sogar der gemeine
q6 I. Der Sagenkreis von Teil.
Mann in den Bergkantonen aus persönlichem Entschlüsse der
neuen Lehre beitrat. Dafür bekamen denn die Schweizer den
Hass des Adels und des Klerus gehäuft zu tragen und waren
lange Zeit das bestverleumdete Volk, dem kein anderes als nur
die ketzerischen Hussiten an wilder Bosheit und Abtrünnigkeit
vergleichbar sein sollte. Würde daher eben damals, als sich
durch Maximilians I. kriegerische Expedifionen gegen die Schweiz
die politische Unabhängigkeit dieses Landes vollzogt hier eine
gleichzeitige Kirchenreform ausgeblieben oder hintertrieben wor-
den sein, wie stände es alsdann um die geschichtlichen Materia-
lien, aus denen das richtige Bild jener Periode erkannt wird?
Statt jenes nun so reichlich vorhandenen Schatzes schweizerischer
Richtebriefe, Grafschaftsrechte, Dorfoffnungen, Kriegslieder, Landes-
chroniken und Volksschauspiele, an deren frühzeitiger Abfassung
und Sammlung ein reger politischer Sinn zu erkennen ist, besässe
alsdann die schweizerische Litteratur des 15. und 16. Jahrhunderts
nur einen ungeniessbaren Ueberschuss mönchischer Legenden und
polemischer Pamphlete, in denen jedes geschichtliche Factum
entweder ein unter Mitwirkung der Heiligen geglücktes Kirchen-
mirakel, oder wenn ohne die Hand der Himmlischen vollbracht,
ein Werk des Teufels sein muss. Denn dieselbe Partei, die den
grossen deutschen Bibelübersetzer nicht anders als den Erzketzer
hiess; die jenen Buchdrucker, durch dessen Erfindung das Wort
Gottes seinen Weg um die Welt genommen hat, zu einem der
Hölle verfallenen Schwarzkünstler machte; die solcherlei Ob-
scurantenthorheiten damals der deutschen Vernunft gerade zu
deren Geburtstage zu bescheren wagte: sie würde auch den
ganzen Unabhängigkeitskampf der schweizerischen Demokratieen
diabolisiert haben. Zeuge dess ist eben jener Held und Schütze,
dessen Bundeswerk nun in Segen blüht, und den damals schwach-
sinnige Kleriker zum zauberischen Ketzer machten, der zur
Strafe für sein Satansbündniss auf ewig in der Hölle glüht. Denn
jedes Streben nach Licht und Luft schien ein Abfall von Gott, also
auch jeder ohne kirchliche Benediction gelungene Treffschuss ein
Werk des Teufels.
Dies erweisen zunächst einige jener kirchlichen Scribenten, die
unter der Regierungsperiode der beiden Kaiser Friedrich IIL und
Maximilian I. gelebt und Annalen ihrer Zeit hinterlassen haben.
Es sind zwar nur denkschüchterne, zahnie Stubengelehrte, denen
der ewige Mönchszwist in ihren Abteien und Chorherrenstiften
J
5. Punker und Teil als Zauberschützen. 07
mehr Plage macht als die äussere Politik; gleichwohl, während
sie mit der einen Hand um Gottes Erbarmung flehen, sind sie
stets bereit , niit der andern seine vollen Zornesschalen auszu-
giessen über ihre von Bauerngrobheit und Demokratenketzerei ange-
steckte Mitwelt. So denken und schreiben damals, unabhängig
von einander und gegenseitig sich unbekannt, der Chorherr Felix
Hemmerlin zu Zürich, der Abt Tritheim zu Würzburg unfl der
Professor Sprenger zu Köln. Von ihren auf die Schweiz bezüg-
lichen Schriften wird im Folgenden nur so weit die Rede sein,
als es unser enggemessenes Thema und der Gang der damaligen
Ereignisse bedingt. Denn unsere besondere Aufgabe bleibt hier
der Nachweis, wie während des zwischen Zürich und den Eid-
genossen 1443 ausgebrochenen Bürgerkrieges, bei dem der Adel
und Klerus vereint gegen die Demokratie das öffentliche Wort
führen, die Schweizersage von Teil theils verstummt, theils ver-
dammt ist, worauf sie dann durch die zwei folgenden Kriege,
welche die Schweiz gegen Burgund und das deutsche Reich sieg-
haft besteht, zur Nationalsage erhoben worden ist.
Der sogenannte Alte Zürichkrieg drohte die Eidgenossenschaft
schon in ihrer ersten zwischen den Ländern und Städten ge-
schlossenen Vereinbarung wieder aufzulösen. Er war veranlasst
durch die beiderseitigen Erbschaftsansprüche, welche Zürich und
Schwyz auf die Gebietsstrecken in der March und um Uznach
erhoben, die seit Erlöschen des Toggenburger Grafenstammes er-
ledigt waren. Als Zürich dieses Erbe durch eidgenössischen Schieds-
spruch verlor und überdies noch etliche seiner Gemeinden am
obem Seegebiete an Schwyz abtreten musste, glaubte es einen
politischen Rückhalt auswärts suchen zu sollen, verstiess aber
damit gegen seine beschworene Bundespflicht und seine schwei-
zerischen Mitstände. Es schloss mit Kaiser Friedrich III. ein
Separatbündniss ab, nahm österreichische Besatzung in die Stadt,
stellte sich unter deren Befehl und Fahne und rückte gegen das
intriguante Schwyz zu Felde. Doch seine Mannsphaft behauptete
sich nicht, verlor rasch nach einander die Treffen bei Freienbach,
Bar und am Hirzel, zog sich in die Stadt zurück und diese wurde
nun von den vereinigten Truppen der sechs Alten Kantone ein-
geschlossen. Ein starker Ausfall der Bürgerschaft wurde durch
die Krielgslist der Schwyzer, die zur Täuschung des Gegners das
österreichische Feldzeichen auf den Röcken trugen , mit grossem
Verluste zurückgewiesen, wobei selbst der Bürgermeister Stüssi
Rochholz, Teil und Gessler. 7
og I. Der Sagenkreis yon Teil.
mit umkam. Dies war das Treffen bei St. Jacob an der Sihl, am
22. Heumonat 1443. Die Sieger besetzten hierauf das ganze
flache Land und hausten zügellos. Namentlich überliessen sieb
die Schwyzer den gröblichsten Racheausbrüchen gegen die dorti-
gen Klöster und Kirchen, da sie wussten, dass dies die Stätten
waren, von wo aus die Hirtenkantone als ein Volk der schändlich-
sten Laster verschrieen worden waren. Hier hatte man mit kirch-
licher Beredsamkeit ihre ewige Verdammniss erwiesen, sie der
Bestialität beschuldigt und der greulichsten Gottesschändung, da
sie sich an den Gnadenbildem des (bekreuzigten und seiner
Mutter frevelhaft vergriffen haben sollten. Hier wurden femer
jene Schmachlieder geschmiedet, die den König und das Reich
aufriefen, diese Ketzer mit Krieg zu überziehen, nicht einen davon
am Leben zu lassen und des päbstlichen Ablasses hiefiir in voraus
versichert zu sein. Vom Kaiser Friedrich heisst es in einem sol-
chen Parteiliede vom gleichen Jahre (bei Tschudi II, 390):
Dess helff Im Gott vom Himmel
Mit siner Engelschaar
Und alle sine Heilgen,
Dass Eis vertribe gar
Und si vom Grund ussrüt,
Das Erdrich sölt nit tragen
Sölich schantliche Lüt.
Si hand ouch z^ Grund zerrüttet
Vil Küchen der Christenheit
Und hand da ussgeschüttet
Den, der für uns leid:
Ist der Christenheit ein Schand,
Das wirdig Sacramefite
Handys mit den Küchen verbrant.
Danimb ist wol ze raten
Mit allem Ernst und Krafft
Dem Pabst und den Prelaten,
Ouch ganzer Priesterschaft,
Dass man solch Üebel wend;
Anders Christen-Gloub und Ghorsam
Hett schier gar ein End.
5« Punker und Teil als Zauberschützen. qq
Darumb sond sie uss-schriben
In alle Christenheit,
Dass man sy vertribe
Und man nit lenger beit
Und Ir dehein lass leben.
Der Pabst und all Prelaten
Sond Aplass darumb geben.
Von gleicher Tendenz sind die Flugschriften des Züricher
Chorherm Felix Hemmerlin, namentlich sein gegen den gesamm-
ten Bauernstand gerichtetes Paniphlet De nobilitate, das er
in den Jahren 1443 bis 1450 verfasst und - des Kaisers Bruder,
dem Erzherzog Albrecht gewidmet hatte. Hemmerlin hebt hier,
seinem Parteizwecke eines Stadtpatriziers gemäss, vorzugsweise
den Rechtsbruch hervor, den die Eidgenossen an Zürich verübt
haben sollten; da sie diese Reichsstadt um das Erbe des Toggen-
burger Grafen Friedrich IV., der ein Bürger Zürichs gewesen,
erstlich verkürzt, hierauf sie als ein abtrünniges Bundesglied mit
Krieg überzogen hätten, während es doch laut Bundesbriefen in
Zürichs Vollmacht gelegen habe, mit Jedermann und allezeit
Bündnisse abzuschliessen , freilich unter Vorbehalt seiner eid-
genössischen; und wie schliesslich Zürich, trotz seiner Berufung
auf Mitstände und Reichsstädte, gezwungen worden, dem ange-
massten Schiedsgerichte dieser eben so rohen als frechen Älpler
sich zu unterziehen und ihrem Bündnisse neuerdings beizutreten.
Hier ist es dem Autor vorerst darum zu thun, den Gegner in
aller Form Rechtens vollständig zu überfuhren und schuldig zu
sprechen ; hierauf wird es ein Leichtes sein, ihn nachträglich auch
kirchlich zu verdammen. Aber mitten in seiner scholastischen
Beweisführung überwältigt ihn bereits das Odium theologicum,
statt des Juristen peroriert schon der Inquisitor. Diese Schwyzer,
sagt er an verschiedenen Stellen, sind eine gegen kaiserliches und
päbstliches Regiment wild empörte, in widernatürlichen Lastern
hinlebende, an Gott und den Heiligen frevelnde, verfluchte Secte.
Und wie daher alle Böhmen nach dem einen Ketzer Huss sich
Hussiten nennen, ebenso machen es nun diese Leute zu Glarus,
Luzem, Zug, Bern, Basel und Appenzell, sie nennen zusammen
sich gleichfalls Schweizer nach jenen Schwyzern, mit denen sie
der Reihe nach gemeinschaftlich gefrevelt haben. Sie, welche die
Gräber der Heiligen aufgerissen, die Mutter Gottes beschimpft,
7*
IQQ I. Der Sagenkreis von Teil.
das Sacrament des Altars entweiht, verwüstet und in thierischer
Wuth zerbissen haben, sie sammt ihrem ganzen Greschlechte
treffe dafür schmählicher Tod, ewige und ohne Aufhören elendeste
Verdammniss! Diesen Vorgang, wie darauf der Gegner Höllen-
sturz wirklich erfolgt, beschreibt Henmierlin in einem besondem
Tractat, den er als Anhang zu seiner vorigen Schrift unter dem
Titel verfasst hat : Processus judicarius habitus coratn ofnnipotenti
deo inter nobiles et Thuricenses ex una, et Switenses cum complici-
bus partibus ex altera. Die Schrift ist dem Kaiser Friedrich HI.
zugeeignet, der denn am Schlüsse bei Pflicht und Eid aufgemahnt
wird, die Schwyzer als Reichs- und Kirchenfeinde mit der Schärfe
des Kriegsschwertes auszurotten. Hier wird ein förmliches Gottes-
urtheil abgehalten, das wir deshalb kurz berühren, weil es zeigt,
wie die Schweizergeschichte damals sich in der Vorstellung eines
adeligen Gelehrten ausnahm.
Hunderteinundfiinfzig Bürger und Ansassen Zürichs sind im
Treffen bei St. Jacob a. d. Sihl erschlagen worden, nicht durch
kriegsgerechte Waffen, sondern durch eine im Kriege unerlaubte
Verrätherei des Feindes. Ferner sind siebenzig Mann der Be-
satzung des Züricher Schlosses Greifensee, die sich demselben
Gegner ergeben hatten, eben so kriegswidrig sammt und sonders
von ihm enthauptet worden. Nun gehen beide Schaaren in den
Himmel ein, klagen den Heiligen ihr Leid und werden durch sie
an Kaiser Karl den Grossen verwiesen, als an jenen Mitbürger,
der vormals dem geliebten Zürich die Satzungen kaiserlicher Maje-
stät zum unerschütterlichen Bollwerk verliehen hatte. Als Karl
das Geschehene vernimmt, geräth er ausser Fassung; der Tod,
ruft er, komme über diese Schwyzer! lebendig sollen sie zur
Hölle fahren! Sogleich begiebt er sich zum Allmächtigen, lässt
sie hier durch die Apostel der Reihe nach anschuldigen der
Kirchenschändung, des Klosterbruches, des Hostienfrevels, und sie
vor Gottes Gericht laden. Ein Bote wird mit ihrer Citation
beauftragt. Er findet ihre eine Hälfte vor Zürich und Farnsbui^,
eben in Belagerung beider Orte begriffen, und aus Scheu vor
dieser Leute Wildheit legt er seine Vorladungen offen und in
Menge in ihrem Lager nieder. Die andere Hälfte ist in diesem
Kriege bereits umgekommen und sitzt in der untersten Hölle, an
deren Thore er daher seine Citationen gleichfalls anschlägt. Da
aber Lebende und Todte die anberaumte Gerichtsfrist verstreichen
lassen, so werden sie in contumaciam verurtheilt ; der Allmächtige
5. Punker und Teil als Zauberschützen. {Ol
lässt die Strafsentenz verlesen aus Jeremias Cap. S, is und beauf-
tragt den Patriarchen Jacob mit der Volkiehung. Denn Letzterer,
bei dessen Kirche an der Sihl jene völkerrechtswidrige Verrätherei
gegen die Züricher Truppen begangen wurde, fühlt sich seitdem
in seinem eignen Heiligthume mitverietzt und wird sich daher zu
keiner Ausnahme der Milde mehr verstehen. Also entsendet er
die drei Schutzpatrone Zürichs, die Heiligen Felix, Regula und
Exuperantius, in die belagerte Stadt zum einstweiligen Tröste der
Bürgerschaft; ebenso schickt er Karl den Grossen gen Basel, vor
dessen Mauern ein zweites Heer der Eidgenossen gerade sich
sammelt. Der alte Frankenkaiser ordnet sich Frankreichs gleich-
namigen König bei, den damaligen Dauphin Karl (später Ludwig XI.),
dieser kommt mit einem übermächtigen Armagnakenheere heran-
gerückt, und so erfolgt hier bei St. Jacob an der Birs die grosse
Niederlage der Schweizer, zur Vergeltung ihrer bei St. Jacob an
der Sihl verübten Untreue. Es fallen ihrer mehrere Tausend.
Nun bleiben aber auch noch diejenigen zu züchtigen, die dieser
Schlacht entgangen sind. Ihrethalben erlässt Karl der Grosse
seine Missiven an den Kaiser Friedrich III. und fordert ihn zur
Beendigung des Strafwerkes auf Doch dieser antwortete mit
einer Entschuldigung, die das Urtheil des Himmels ganz in Frage
zu stellen droht: Er habe einstweilen seinen Bruder Albrecht
gegen die Schwyzer aufgemahnt, denn er selbst sei noch immer
vollauf mit den übrigen Ketzern beschäftigt, den Hussiten und
Türken.
Dies ist der Schluss von Hemmerlins Schrift und es ist, als
ob der Autor damit den Schiffbruch seines politischen Systems
andeute, wie dieser denn alsbald wirklich eintrat. Das machtlose
Reich Hess den Vorgängen in der Schweiz ihren Lauf, die Wald-
stätten blieben Sieger, Zürich fügte sich und Hess es sogar ge-
schehen, dass Soldaten aus den Urkantonen, als sie nach herge-
stelltem Frieden bei einer Festgelegenheit die Stadt besuchten,
den schroffen Reactionär hier in seinem Wohrihause überfielen
und gefangen wegschleppten in fremde Kerker, in denen er ver-
scholl und hinstarb. Das hatte er davon, dass er den Himm-
lischen jene elendeste deutsche Politik unterschob, durch welche
Friedrich III. die Franzosen als Befreier zum erstenmale an den
Rhein gerufen hatte, oder dass er an zwei so unfähige Köpfe,
wie Friedrich und sein Bruder Albrecht, den Austrag des schwei-
zerischen Bürgerkrieges verweisen hatte wollen. War's doch dieser
I02 !• ^^ Sagenkreis von Teil.
Herzog Albrecht, der sich mit der Partei des Viehhändlers Hol-
zinger verbündete und das Geschütz gegen die Wiener Hofburg
richten half, worin sein kaiserlicher Bruder vom Volke belagert
gehalten wurde. Und dieser Kaiser, der den Einfallen der Türken
nach Krain ruhig zusah, der die Böhmen und Ungarn zu selb-
ständigen Königreichen hatte werden lassen, gab atich dazu die
Einwilligung, dass Herzog Sigmund von Tirol die reichsvogtei-
lichen Rechte seines Hauses in den Waldstätten, im Breisgau und
Elsass sammt allen Habsburger Gütern daselbst gegen die elende
Summe von 80,000 Dukaten an den reichsgefahrlichen Karl von
Burgund verpfändete, dem nachmals die Schweizerwaflfen Reich
und Leben nehmen mussten. Er that dies, sägt Schlosser (Welt-
gesch. IG, 239), nicht sowohl weil er Greld brauchte, als vielmehr,
weil er seine Rechte gegen die nach Freiheit strebenden Ein-
wohner nicht geltend machen konnte und seine oberdeutschen
Landsleute lieber der Tyrannei eines Franzosen preisgeben, als
ihre Freiheit dulden wollte. So beantragte denn nachher Albrecht
auf dem Reichstage persönlich seines kaiserlichen Bruders Ent-
setzung und dieser war im Jahre i486 genöthigt, seinen ihm ent-
fremdeten Sohn Maximilian I. zum Mitregenten anzunehmen.
Auch mit Letzterem änderte sich die hier geschilderte Lage nicht ;
vielmehr haben wir sogleich den gegen die gesammte deutsche
Christenheit gerichteten Gewaltsact zu melden, mit dem der
neue Monarch sein Reich antrat.
Bekanntlich war das Alpenland von jeher ein Sitz zahlreicher
religiöser Secten und Bruderschaften, an deren Bändigung schon
der Hohenstaufe Friedrich IL vergeblich und in Unehren gearbeitet
hatte. Ihre vielerlei Verbindungsnamen erfahrt man theils aus
dieses Kaisers Edicten (Pertz Legum II, 244. 327), theils aus den
im 13. Jahrh. von Bruder Berthold in der Ostschweiz gehaltenen
Predigten; vgl. Franz Pfeiffer: Berthold von Regensburg i, S. 402.
Schon damals zählte man anderthalbhundert solcher religiösen
Volksvereine, die sich ausser der Kirche gestellt hatten und das
Recht freier Selbstbestimmung und die Unabhängigkeit des Ge-
wissens bedingungslos voraussetzten. Der allgemeine Vorwurf
der Ketzerei, den die Kirche gegen sie erhoben hatte, war ein
bloss theologisches, also zu ihrer Vertilgung unzulängliches Mittel
geblieben; nun aber paarte man damit den Vorwurf der Zau-
berei, als durch welche die weltliche Ordnung aufgehoben wird,
und konnte damit den Staat überreden, sich zum Büttel der
5* Punker und Teil als Zaubenchützen. lO^
Kirche herzugeben. Das Werkzeug dazu fand sich in Maximilian I.
und die neue Theorie lieferte der Hexenhammer, ein Buch, über
dessen Entstehung und erste Veröffentlichung hier ein berichtigen-
des Wort nothwendig ist.
Pabst Innocenz der Achte hatte den Heinrich Institor (zu
deutsch Kramer) und den Jacob Sprenger, beide Dominikaner und
Professoren der Theologie, zu Inquisitoren gegen die in Deutsch;:
land herrschende Ketzerei und Zauberei ernannt, jenen für Ober-
alemanni^n, diesen für die Rheinprovinzen. Er bezeichnet ihnen
durch die Bulle vom 5. Dec. 1484 „Summts desiderantes affectiv
bus^' sämmtliche Arten von Ketzerei und Zauberei , die sie in
Untersuchung und Bestrafung ziehen sollen, und gesellt ihnen den
* Kleriker Magister Johannes Gremper von Constanz als aposto-
lischen Notar bei. Zu dritt verfassen sie hierauf bis i486 ein
Handbuch, worin. dem kirchlichen und dem weltlichen Richter
für alle Ketzerprozesse das Normalverfahren vorgezeichnet ist.
Dasselbe wird von Kaiser Maximilian I. mittels eines aus Brüssel
unterm 6. Nov. i486 gegebenen Edictes als für alle Reichsange-
hörigen ausnahmslos verpflichtend anerkannt, erhält am 19. Mai
1487 die Approbation der theologischen Facultät von Köln, als
in Allem mit der Lehre der katholischen Kirche übereinstimmend,
und wird noch in demselben Jahre (wie Hains Repertorium II, i
no. 9242 erweist) unter dem Titel herausgegeben: Malleus Male-
ficarum, zu deutsch Hexenhammer; denn wie mit einem Eisen-
hammer soll durch dieses Werk dem deutschen Zauberwesen von
der Salzburger Diöcese an bis nach Bremen hin das Haupt zer-
schmettert werden. Die uns für gegenwärtige Arbeit vorliegende
Ausgabe dieses Buches, eine Incunabel ohne Custoden, Ort und
Jahr, von der aargau. Kantonsbibliothek (no. 201, Fol.), ist zugleich
die in Hains Repert. verzeichnete Nr, 9239. Die Verfasser lehnen
im Vorwort die Meinung ab, als ob ihr Werk die Aufgabe habe.
Neues zu erzählen oder vorzuschreiben; vielmehr sei dasselbe
schon bezüglich seiner Quellen und Urtheile ein unbedingt altes,
dem sie aus ihrem eigenen Denken so viel wie nichts beigefügt
hätten und das höchstens der Vollständigkeit des hier aufgesam-
melten Stoffes wegen neu genannt werden könnte. Und dennoch
war mit der amtlichen Giltigkeitserklärung aller in diesem Buche
enthaltenen Urtheile und Folgerungen eine unendlich weit reichende
Neuerung für ganz Deutschland eingeführt, es war nemlich die
Magie amtlich der Häresie gleichgestellt. Die Magie, besagt das.
L-
I04 ^- ^^^ Sagenkreis von Teil*.
Buch, rühre von solcherlei Menschen her, die mehr zu wissen
verlangen, als uns nöthig ist (quaerentes plura sapere, quam opor^
teat), und die hartnäckig behaupten, dass die Kirche kein Recht
habe, Jemand deshalb zur Untersuchung und Strafe zu ziehen.
Allein ein solches über das menschliche und natürliche Mass hinaus
reichendes Wissen oder Können sei eben die vom Teufel abstam-
mende Zauberei und mithin das besondere Merkmal der gleichzeitigen
Ketzerei. Somit sei auch der Zauberer als Ketzer verdammt und
der Staat habe ihn mit den vom Hexenhammer dictierten Todes-
strafen zu belegen. Hemmerlins Städterstölz würde sich geschämt
haben, unter dem von ihm als so einfältig dargestellten Bauern-
stande Zauberer annehmen zu sollen, nur ketzerische Bosheit findet
er dorten, und namentlich gelten ihm die Walliser Weiber im Bis-
thum Sitten durchschnittlich für Hexen (De nobilitate, c. 32).
Während er daher beibringt, wie die Landvögte in dea Wald-
stätten verjagt und der Jungfrauenräuber auf seinem Schlosse im
Lowerzer-See von einem Bruderpaar erschlagen worden, hütet er
sich wohl, auf die Teilensage überzugehen, weil er sich sträubte,
jenen unbegreiflichen Weitschuss eines Umer Bauern zum Zauber-
schuss zu machen, und weil der sein eigenes Kind rächende Vater
für die Rechtstheorien Hemmerlins überhaupt zu unbequem lag.
Dieses doppelte Bedenken weiss der Hexenhammer zu beseitigen.
Es giebt, sagt er, zauberische Bogenschützen, die am Charfreitag
in dem Augenblicke, da man die Messe celebriert, das Bild des
Gekreuzigten nehmen und darnach wie nach einer Scheibe schiessen.
Weil sie nun hiebei gewöhnlich drei bis vier Schüsse thun, so
vermögen sie auch eine gleiche Anzahl Menschen an jedem Tage
zu tödten. Wen sie treffen wollen, der mag sich verbergen. Wohin
er will, er ist ihnen verfallen, ihr Greschoss erreicht ihn, ohne dass
sie ihn zu sehen brauchen. Sie können aber auch, wenn sie
wollen, einem Andern einen Pfennig vom Haupt herunter schiessen,
ohne ihm Schaden zu thun, sei es mit einem Pfeile oder einer
Kugelbüchse. Um diese Fertigkeit zu erlangen, müssen sie jedoch
ein völliges Bündniss mit dem Teufel schliessen. In der Nähe
der Burg Hohenzollern steht eine neugebaute Kirche, in welcher
ein solches mit einem Pfeil durchschossenes Crucifix gezeigt
wird, dem Blut aus der Wunde gequollen ist. Ein Bösewicht, der
vom Teufel drei Treffschüsse zu erlangen suchte, hat auf einem
Kreuzwege nach diesem Bilde geschossen. Darnach erstarrte er
auf der Stelle, versank bis zum halben Leib in den Boden, wurde
5« Punker und Teil als Zauberschützen. IO5
SO vom Henker ergriffen und nach dem Geständnisse seiner That
hingerichtet*). Und so häufig und verbrdtet ist diese Ketzerei,
dass unter zehen Kfeuzfiguren an den Strassen oder in den Fel-
dern kaum eine unzerschossen ist: vix tnter decem imagines in
bivio aut in campis repositas una integra reperitur. In diesem
Zusammenhange erzählt hierauf das Buch pars 2, questio i,
cap. 16 die hier folgende Geschichte vom Zauberschützen Punker
zu Lindelbrunn in der Rheinpfalz.
Ein rheinischer Fürst, der wegen seines langen Bartes den
Beinamen der Bärtige trug, sah die kaiserlichen Ländereien, die
seinem Gebiete zugefallen waren, durch die häufigen Raubzüge
gefährdet, welche vom Schlosse Lendenbrunn aus unternommen
wurden, und begann dieses zu belagern. Es ist dies nun (fügt
hier der Hexenhammer bei) sechzig Jahre her. In des Fürsten
Gefolge war damals der Zauberschütze Punker, ein Mann, der
einst drei Pfeile in ein Bildniss des Grekreuzigten geschossen und
damit den Glauben an die Dreieinigkeit abgeschworen hatte. Da-
für standen ihm seitdem täglich drei Treffschüsse frei, so dass er
jeden Gegner, mochte derselbe noch so entfernt, oder noch so
gut geborgen stehen, unfehlbar niederschoss. Was er aber über
drei Schüsse des Tages that, das waren ungewisse Treffer. Da
durchschaute einer der Belagerten diesen Sachverhalt und rief
einst dem Freischützen höhnisch aus der Burg zu: Punker, den
Pfortenring an unserem Thore, den wirst du uns doch wohl nicht
mit wegschiessen ? Und Jener rief hinwieder durch die Nacht
hinauf: Eben den hol' ich mir eigenhändig am gleichen Tage,
wo wir die Burg erobern l Und so geschah es dann wirklich.
Denn nachdem Punker nach und nach fast die ganze Besatzung
weggeschossen hatte und es hierauf zum Sturm kam, nahm er
den Ring vom Schlossthore und hieng ihn an die Thüre seines
*) Die Zimmerische Chronik, ed. Barack, ist geschrieben im Jahre 1566. Um-
ständlich erzählt sie (Erster Theil, pag. 431—433) das Mirakel aus der Heiligen-
Kreuzcapelle bei Hechingen. Dasselbe trägt sich zu unter dem Altgrafen Jos
Niclas von ZoUem, zubenannt der Natterer. Die drei ZauberschÜssc thut sein
lieher Diener und reisiger Knecht Wilhalm (Teils Vorname!), der Graf erkennt
den un Crucifixus steckenden Pfeil als den des Dieners und lässt diesen, trotz der
Fürsprache von Edel und Unedel, vor Gericht stellen und enthaupten. Die Bild-
tafel über das Mirakel »ist bei unsern zeiten noch in der capellen gewesen, aber
sie ist mit Bewilligung des jungen graf Jos Niclasen von ZoUem von ainem grafen
von Öttingen hinweg genommen worden, Gott waist wohin.«
*) Punker leitet ab von althd. Punno und Punico, Personennamen, die nach
Förstemanns Namensbuch in den oberdeutschen Quellen des zehnten Jahrhunderts
vorkommen. Die Abkömmlinge des Punico sind die Puniker zu Bunnichoven. Ein
deutsches Geschlecht von Punk besteht noch: Pott, Personennamen, Aufl. i,
S. 147. Das Weisthum der Gerechtsame des Klosters Münsterhof zu Dreis (west-
lich von GöUheim) stammt aus dem Jalire 1357, 26. Juni; es wurde ertheilt vor
dem Abt und Convent des Klosters durch Gerlach Hersingiswiler , Namens des
Schultheissen und der Scheifen von Dreis dem Dorfe, niedergeschrieben durch den
kaiserlichen Notar Volkwin von Dieppach, Cleriker von Trier, in Gegenwart von
Burggrafen, Priestern, Rittern und Meiern. Als erster dieser Zeugen ist genannt:
der veste strenge ritter her Sifrid, genant Punker von Wartinberg. Grimm,
Weisth. IV, 642.
)06 I. Der Sagenkreis von Teil.
eigenen Wohnhauses, das zu Rorbach im Wormser Sprengel ge-
legen ist, wo man ihn noch heute hängen sieht [circu/um, sie
appensum damui suae in Rorbach y WormaHensis diocesis,^ ho-
diemum dient cemitur]. Weil aber nachmals Punker fortfuhr,
seine eigenen Bauern zu bedrücken, wurde er eines Tages von
ihnen überfallen und mit Hacken und Schaufeln erschlagen; so
starb er in seinen Sünden hin.
Der französische Jurist Jean Bodin hat in seiner zu Paris 1579
erschienenen Dämonomania diese Erzählung wiederholt und unser
berühmter Landsmann Johann Fischart dann dieses Werk 1581
zu Strassburg in Uebersetzung herausgegeben. Von letzterer
liegt uns die Strassburger Fol.- Ausgabe 1591 vor. Hier heisst
es in etwas anderer Wendung: den Punker hätten seine Bauern
zuletzt in Stücke gerissen, weil er des Mordens kein Ende mehr
machte, und dies habe sich i. J. 1420 begeben. Der
Schütze wird da Pumper genannt, vielleicht ein Druck- oder
Lesefehler*).
In wie weit nun die eben genannten Ortschaften Rorbach
und Lendenbrunn in einem wirklichen Zusammenhange stehen mit
der von einem rheinischen Fürsten, Namens der Bärtige, daselbst
unternommenen Fehde, dies erhellt aus nachfolgenden Documenten
und örtlich eingezogenen Aufschlüssen.
Das vom Hexenhammer genannte Rorbach, woselbst Punker
wohnte und der Thorring des von ihm erstürmten Schlosses
Lendenbrunn noch zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts an sei-
nem Wohnhause zu sehen gewesen, kann kein anderes als das
eine Stunde südwestlich von Heidelberg liegende Dorf Rorbach
sein. Denn dieses gehörte in die Wormser Diöcese, ist der älteste
Burgsitz der Heidelberger Pfalzgrafen gewesen, und bischöflich-
5« Punker und Teil als Zauberschützen. I07
wormsische Lehen finden sich daselbst schon im dreizehnten Jahr-
hundert [Schannat hist. episc. Worm. i , 34 s. v. Kirchheim.
Würdtwein Subsid. dipl. nova 3, 314].
Das mitgenannte castrum Lendenbrunnen ist urkundlich eben
so entschieden die in der baierischen Pfalz im Thale von Dahn
liegende Burgruine Lindelbrunn, eine ehemalige Veste und Reichs-
herrschaft, welche urkundlich Lindelbol hiess. Bavaria 4, Abth. 2,
645. Sie wurde im Bauernkriege 1525 von den Bauern erstiegen
und ausgebrannt. Ihre Vergangenheit ist vom Pfarrer Lehmann
beschrieben in dessen Urkundl. Gesch. der Burgen und Berg-
schlösser der baierischen Pfalz i, 191 bis 216. Dieser bewährte
Forscher beschenkte uns persönlich auch mit einigen der nach-
folgenden Mittheilungen, wofür er hier unsem landsmännischen
Gruss und Dank freundlich entgegen nehmen möge. Die Burg
steht in einer geschichtlichen Verbindung mit dem vom Hexen-
hammer erwähnten Belagerer derselben, jenem rheinischen Fürsten,
mit dem Beinamen der Bärtige, unter welchem kein anderer ver-
standen sein kann, als der Pfalzgraf und Kurfürst Ludwig IV.,
welcher 1410 die Regierung der Pfalz antrat und 1437 starb. Be-
reits Mone in den Schriften des badischen Alterthumsvereins 2,
250 hat dies erkannt und die Folgerung daran geknüpft: da der
Hexenhammer um i486 geschrieben und sich in der Zeitbestim-
mung des Punkerischen Meisterschusses selber auf die letzten
sechzig Jahre zurückberuft, so muss Pimker 1426 als ein Zeit-
genosse jenes Ludwig IV. gelebt haben. Letzterer hatte in dem
eben genannten Jahre eine Wallfahrt nach Jerusalem unternommen,
von der er mit einem langen Pilgerbarte zurückkam, den er sich
nicht mehr abnahm. Davon, sagt der Hexenhammer, hiess er der
Bärtige: BarbatuSy eo quod barbam nutriebat Tj^^x steht dabei
in der Ausgab^ des Bassäus, Frankf. 1582, die Beifügung, unter
jenem Barbatus sei der Würtemberger Herzog Eberhart im Bart
gemeint; allein dies ist chronologisch unmöglich. Denn dieser
Würtemberger Eberhart der Aeltere war ein Graf, der als solcher
1459 ^^ d*^ Regierung seines Landes kam, erst 1495 auf dem
Reichstage zu Worms durch Kaiser Max I. zum Herzog erhoben
wurde und am 24. Februar folgenden Jahres starb. Nun findet
sich in den pfälzischen Urkunden zwar keine Nachricht, dass
jener Pfalzgraf Ludwig IV. Antheil an der Reichsveste Lindel-
brunn gehabt hätte, die durch König Rudolf seit 1274 den Grafen
von Leiningen eingeräumt war, oder dass er sie jemals belagert
I08 I» ^^^ Sagtenkrcis Von Teil;
hätte. Wohl aber ist sie hemach durch Ludwigs Bruder, den*
Pfalzgrafen Otto von Mosbach, welcher der Vormund von Lud-
wigs minorennem Sohne Ludwig V. war, i. J. 1440 belagert wor-
den, die Fehde wurde jedoch ein Jahr später gesühnt. Somit
lässt sich aus den Angaben des Hexenhammers, vereint mit
diesen beurkundeten Verhältnissen, allerdings schliessen, dass
Punker von Rorbach ein Vasall Ludwig IV. von der Pfalz ge-
wesen ist und i. J. 1420, wie schon der vorerwähnte Bodinus an-
gab, gelebt hat.
Hierauf erzählt der Hexenhammer Punkers eigentlichen Tellen-
schuss folgender Massen. Um dieses Mannes auffallende Schützen-
kunst sicher zu erforschen, befahl ihm einer der Fürsten, sein
eigenes Knäblein zum Ziel zu nehmen und demselben einen De-
nar von der Mütze herab zu schiessen. Punker erklärte, dass
ihm dieses zwar möglich sei, wünschte aber gleichwohl damit
verschont zu werden aus Besorgniss, der Teufel möchte den
sichersten Pfeil fehllenken und ihn damit selber 'in's Verderben
stürzen. Doch da der Fürst auf dem Befehle bestand, nahm
Jener einen Bolzen und steckte ihn in's GoUer, legte einen zweiten
auf die Armbrust und schoss glücklich den Denar dem Knaben von
der Mütze herunter. Auf des Fürsten Frage, wozu Punker einen
zweiten Pfeil in's Goller gesteckt habe, erwiederte dieser: Hätte
ich, vom Teufel verblendet, mein Kind erschossen und damit mich
selbst an's Schwert geliefert, dann würde ich mit diesem andern
vorher Euch selbst durchbohrt und also meinen Tod vergolten
haben. So weit diese Sage. Weder weiss sie von einer Strafe,
die den Schützen nach seinem ausgestossenen Drohworte durch
den Fürsten betrifft, noch von einer Rache, die er nach dem
Zwangsschusse an seinem Zwänger nimmt; sondern statt des Ty-
rannen lässt sie nachmals den Treffschützen selber ermordet wer-
den, weil er durch Ketzerei den Tod verschuldet hat. Da er
aber ein mit dem Teufel verschworner Zauberer ist (maleficus),
der sich durch Höllenkünste stich- und schussfest gemacht hat^
„gefroren", so muss er von seinen meuterischen Bauern mit Karst
und Haue erschlagen werden*). Eben an dieser Stelle ist es
*) Sebastian Franck in seiner Chronica der Teutschen, Augsburg 1538, be-
spricht von Blatt CCX an den für die Schweizer so günstig gewesenen Gang
des Schwabenkrieges und erkennt die Gründe davon in der Ueberhebung des
deutschen Adels gegen die Bauern: »Was ist es dann wunder, dass wir den
ganzen krieg aus, den wir so vilfach verursachet haben, kein glück noch sig ge-
J
5- Puoker und Teil als Zauberschützen. JOO
nun, wo die Frankfurter Ausgabe, 1582 von Bassäus, die merk-
würdige Randnote beifügt, dies alles sei auf den schweizerischen
Teil gemünzt, den man gleichfalls für einen Zauberschützen aus-
gegeben: Hoc vergit in ignominiatn Vvühelfni Teil, helveücae
Ubertatts assertori, quasi quoqtie Magus fuisset. Wer hierin eine
bloss individuelle Vermuthung des späteren Herausgebers erblicken
will, irrt sehr, vielmehr ist gerade damit die Absicht des Hexen-
hammers vollkommen richtig erklärt. Dies erhellt aus pars III,
cap. 19, Quest. 34, wo eben das Verbrechen, dessen sich Treff-
^hützen schuldig machen, verhandelt und deren Strafe bestimmt
wird. Städte und Länder, heisst es da, die einen solchen Misse-
thäter bei sich aufnehmen, um mit seinem Waffenbeistande zu
siegen, und wäre es auch in einem gerechten Kriege und gegen
(He Tyrannei eines Wütherichs, müssen sammt ihrem Heere und
Volke als Helfer und Hehler der Zauberei mit Kirchenbann und
Excommunication belegt werden. Auf den Einwand, dass doch
auch ein Fall gerechter Nothwehr gedenkbar sei und dann die
Schärfe der Strafe wohl gemildert werden sollte, namentlich wenn
es sich um ein ganzes Volk handle, das bereit ist das Leben an
die Vertheidigung des Vaterlandes zu setzen, wird mit eiserner
Consequenz erwiedert: So lange ein solches Volk den Zauber-
schützen nicht von sich aus verdammt; so lange dieses Volkes
Richter und Räthe ihn nicht des Landes verweisen und an die
Inquisitoren zur Bestrafung ausliefern, eben so lange unterliegt
das ganze Volk allen Bussen, die einen Hehler treffen; es kann
nach einjähriger Excommunication auf reumüthige Bitte hin zwar
wieder losgesprochen werden, immer aber unter der Bedingung,
dass es abschwört, den Ketzer ferner zu begünstigen, und dass
es ihn dem weltlichen Arm überantwortet.
Eine masslose Forderung 1 Doch wer weiss nicht, dass das
canonische Recht damals noch mehr und Härteres als nur dieses
verlangte und es auch durchsetzte. Als es dem Angeschuldigten
keinen Vertheidiger mehr erlaubte und keine Protestation gegen
das gefällte Erkenntniss gelten Hess; als unmündige Kinder gegen
ihre Eltern, ja selbst Verbrecher und Irrsinnige ein voUgiltiges
Zeugniss ablegen konnten und nun die Scheiterhaufen mit den
Eingeäscherten ganz Deutschland durchqualmten, sollen da in dem
liabt, so gar dass der schwäbisch Bund meynet, sie (die Schweizer) weren be-
zaubert.«
\
HO I. Der Sagenkreis von Teil.
Gemüthe des Mannes, der zu diesem Greuel gewiss unbedachtsam
die gesetzgeberische Hand geboten hatte, keine nagenden, reue- i
vollen Gedanken aufgestiegen sein? Sicherlich war dies die
Empfindung Maximilians gewesen. Warum hätte er sonst im
Jahre 1 508 den gelehrten Abt Tritheim zu sich auf das Schloss
Boppart geladen und ihm achterlei Fragen über die G^isterwelt
und deren etwaigen Zusammenhang mit dem Zauber- und Hexen-
wesen vorgelegt. Ja er gieng noch weiter und beauftragte den
Abt, den Inhalt dieser Unterredung in einer Schrift auszuarbeiten
und alles Beweisverfahren darin ganz rationell zu halten, um das
Buch auch jener Leserclasse zugänglich zu machen, die der
blossen Steifgläubigkeit nicht alle möglichen Einräumungen zu
machen gedenkt. Tritheim lieferte dieses Buch, betitelte es nach
jenen acht Fragen und widmete es dem Kaiser, ein Jahr vor des
Verfassers Tode erschien es bei Johann Hasselberg in Oppenheim*).
Allein schon in den ersten Sätzen erfolgt das Geständniss, jenes
vom Monarchen gewünschte rationelle Beweisverfahren sei unan-
wendbar auf christliche Glaubenssätze, weil diese nicht aus dem
Menschenverstände geschöpft seien. Der Verfasser habe sich da-
h6r auch hier ausschliesslich an die Lehre seiner Kirche gehalten,
deren Entscheid und Urtheil er dieses wie jedes andere seiner
Werke gehorsam unterwerfe. Daher wird denn die erste Frage
des Kaisers : Warum Gott von den Menschen weit mehr geglaubt
als gewusst sein wolle, mit der gewohnten Behauptung umgangen,
dass es Irdischen unmöglich bleibe, den Allmächtigen vollkommen
zu begreifen. Von wahrer Innigkeit aber zeugt die zweite Frage:
Ob man, da heute nur erst ein kleiner Theil der bewohnten Erde
dem Christenglauben angehört, jene Meinung der Mehrheit ohne
Benachtheiligung der göttlichen Offenbarung dulden dürfe, es
könne Jeder in seinem Glauben selig werden, wobei namentlich
jene erst entdeckten Indianer Amerika'^s mitgemeint sind, von
denen die alte Welt niemals gewusst hat und die also von der
christlichen Lehre gleichfalls noch niemals gehört haben können.
Dem wird jedoch der unabänderliche Satz entgegen gestellt:
Wer glaubt und getauft ist, wird selig, wer nicht glaubt> wird
verdammt werden. Niemand kann Gottes Zorn vom Menschen
*) Joannis Tritemii Abbatis sancti Jacobi apud Herbipolim, quondam vero
Spanhemensis : Liber Octo questionum ad Maximilianum Cesarem. — Impressum
Oppenheym Impensis Johannis Hasselbergenn de Augia, Constantiensis Dyocesis.
MDXV, XX Septembris.
J
5. Punker und Teil als Zauberscfaützen. nj
nehmen, als der Mittler. Da also ohne Glauben an diesen kein
Heil ist, so ist kein Ungläubiger von der Verdammniss ausgenom-
men, wohne er nun unserm Welttheile zunächst, oder auf weit
entfernten Inseln, habe er bereits vom Mittler, oder noch gar
nicht von ihm gehört. Damit wollen wir, fährt Tritheim fort, zu-
gleich jenem schwächlichen, so oft wiederholten Einwurf begegnen^
welcher fragt, warum der Allmächtige, der die lautere Güte ist,
so viele tausend Menschen erschaffen mochte, deren ewige Ver-
danminiss er doch schon von Ewigkeit voraus gewusst hat. Als^
ob Gott uns Sterblichen den Grund seiner unerfofschlichen Rath-
schlüsse zu eröffnen hätte! Wie also einst Alle ausserhalb der
Arche Noäh in der Sündfluth ertrinken mussten, ebenso zweifel-
los müssen alle ausserhalb der katholischen Kirche Stehenden
ewig verdammt sein, Juden und Heklen, Schismatiker uRd Ketzer.
— Die fünfte und sechste Frage ist verwandt und verlangt zu
wissen, warum so ganz geringe und schlechte Leute, wie die
Hexen, den bösen Geistern zu befehlen vermögen, da doch brave
und glaubensstarke Männer weder über die guten Geister, noch-
auch nur über die bösen ein einziges Mal Gewalt haben. Oder
woher den Hexen jene Macht komme, dass sie so Vieles und"
Wundersames in einer einzigen Stunde zu Stande bringen, was
einem guten Menschen sein Leben lang nicht gelänge? Der Hof-
theologe geht nun auf das Gebiet der Magie über und hält dem
Kaiser nachfolgende Allocution. So wenig als ein zum Priester-
amte nicht Geweihter die Eucharistie zu bewerkstelligen vermag,
wenn er auch die dabei vorgeschriebene Consecrationsformel
spricht, eben so wenig kann der Teufel demjenigen beistehen,,
der sich ihm nicht verschrieben hat, selbst wenn man alle magi-
schen Zeichen und Zaubersprüche anwendete. Ergebung in^
Gottes Willen macht aus Menschen Engel, der Missbrauch des
freien Willens macht die Gottlosen zu Teufeln. In seiner Willens-
verkehrtheit verbrüdert sich der Mensch dem bösen Feinde und^
beherrscht ihn zuletzt wie ein Günstling seinen Herrn. So thun
alle Hexen und Hexenmeister. Welche Uebel dieses allergeföhr-
lichste Gezüchte in deinen Staaten stiftet, o weisester Kaiser, dies
vermag gar Niemand auszudrücken. Gott, Glauben und Taufe
schwören sie ab, ergeben sich mit Leib und Seele dem Satan,
ziehen jegliche Seuche in's Land, vergiften, verderben und tödten
Menschen und Thiere. Glaub mir, o Herr, dass dieses Geschlecht
der Lüge das allerverderblichste ist in deinem heiligen Reiche.,
i
112
I. Der Sagenkreis von Teil.
Und da geschrieben steht: In meinem Namen werdet Ihr Teufel
austreiben, und wiederum : Die Zauberer sollst du nicht am Leben
lassen, so müssen diese Zauberer zusammt jenem Aussatze der
Hexen gänzlich ausgerottet werden, weil zwischen Gut und Böse
keine Gemeinschaft sein kann, wie du ja selbst, ruhmreicher Herr,
keinen deiner Sitte und deinem Befehle trotzenden Menschen an
deiner Hofhaltung duldest.
Hier bei der eigentlichen Spitze des Gespräches angelangt,
dürfen wir uns einen weiteren Auszug ersparen. - Man sieht, die
Theorie des Hexenhammers bleibt allen Bedenklichkeiten gegen-
über aufrecht: Zauberer und Hexen stehen in gleicher Verschul-
dung, und die Justiz darf nicht müde werden, beide ausnahmslos
zu tödten. Und wenn darüber, wie Maximilian einwirft, nicht
bloss die Sünder zu Grunde gehen, sondern eben so viel Unschul-
dige und Unmündige elendiglich mit verkommen müssen, so er-
wiedert Tritheim, dass auch dies nur unter Zulassung der uner-
forschlichen Weisheit Gottes geschehe, vielleicht zum Seelenheile
jener unschuldigen Kinder, vielleicht zur Strafe ihrer sündigen
Eltern. So hat zuletzt der Kaiser alle gedenkbaren Ausnahms-
falle vorgebracht und der Abt sie alle wieder unter den gleichen
Hut des unabänderlichen Gesetzes zurückgeschoben; warum aber
schweigen denn Beide gerade von derjenigen Ketzerei allein, die
ihnen doch gleich sehr zu Herzen geht, von der Rebellion der;
Schweizer gegen das Reich? Warum ist diese nicht eine der acht
Hauptfragen? Weil diese Rebellion vor damals achtzehn Jahren'
schon in Deutschland genugsam durchgesprochen worden war und'
es jetzt damit zu spät ist. Da war der Executionskrieg gegen |
die Schweiz wirklich in Gang gewesen. Die Eidgenossen lagen i
an ihrer Ostgrenze, die Reichstruppen um den Bodensee, Maxi-
milian hielt Kriegsrath zu Ueberlingen, und Doctor Makarius pre-
digte zu Constanz das Kreuz gegen die Schweizer, »die an Frevel
und Greuel nicht ihres Gleichen hätten unter Türken, Juden und
Heiden«. Auch Tritheim trug sein Scheitlein damals mit zum
Feuer und hatte sich in seiner Hirsauer Chronik II, 572 — 74 unter:
dem Jahre 1499 folgender Massen vernehmen lassen.
Zwei Völker hat Deutschland, welche dem Reiche den Un-
tergang zu bringen drohen, wenn die Vorsehung ihnen nicht nochi
rechtzeitig den Zaum in's Gebiss legt. Jedes der beiden greift wie:
eine reissende Pest tagtäglich weiter über sein Gebiet hinaus, di
eine, indem es gegen den Kirchenglauben, das andere, indem es,
5- Punker und Teil als Zauberschützen. H^
gegen die Reichsherrschaft ^ frevelt, gegen diese zwei geweihten
Schwerter in des Pabstes und des Kaisers Händen. Das sind die
ketzerischen Böhmen und die aufrührerischen Helvetier. Diese
Schweizer, dies verschwome, unruhige, tollkühne Volk, zieht schon
seit diesem Monat März feindlich über unsre Grenze und schädigt
das Nachbargebiet des Hauses Oesterreich mit Raub und Brand.
In wie fem diese Eidgenossen zu solchem Angriff einen wirklichen
oder einen bloss angeblichen Grund haben, dies zu beurtheilen,
ist hier meines -Amtes nicht, der ich nicht an Richters Statt sitze.
Dies aber sag und schreib ich und will es der Nachwelt über-
liefern, wie auch ein Jeder, der jetzt in Deutschland lebt und der
Schweizer Verfahren kennen gelernt hat, gleichfalls es weiss und
sagt: dass es Leute sind von aufgeblasnem Charakter; aufsässig
und aufwieglerisch gegen die Fürsten und Herrschaften, und schon
von alter Zeit her widerspenstig und unbotmässig ; andere Völker
gering schätzend, sich' selbst der Gewalt anmassend; im Kriege
verschlagne Liebhaber der Hinterlist; im Frieden unzuverlässig,
ja auch den Vertrag, zu dem sie sich rechtlich verpflichten, gerade
dann brechend, wo es sich um ihre angebliche Unabhängigkeit
handelt*). Freilich muss ich mit beifugen, dass sie den Krieg
nicht bloss kühn, sondern auch klug zu fuhren verstehen, dass
sie sich in jeder Noth mit treuer Hilfe gegenseitig beistehen, dass
keiner den andern in der Gefahr verlässt, kein Reicher den
Armen verachtet. Aber nun schau einer, wie ihr. eingefleischter
Hochmut sich steift; man schaue nur, wie dies Volk seit unsern
Lebzeiten auf Kosten Deutschlands sich erweitert, wie es erst die
Reichsstadt Basel in seine Ränke mit eingesponnen, so zu sagen,
abtrünnig und eidbrüchig gemacht hat. Hätte Constanz nicht so
constant ausgeharrt bei seinem Helfer, der Kirche, die Schweizer
hätten es schon längst ebenso weggefangen. O Strassburg, sei
nun wachsam, schon lauert der Verschwörer Auge, dass du ihren
Meineid nachschwörst. Weh dir, Kolmar und Hagenau, denn
Ruffach will von solchem Treubruch nicht unbefleckt bleiben.
Und in dir, Worms, liegt auch der Keim desselben Uebels, auch
du buhlst mit der Zügellosigkeit. Und dieser Freiheitsdespotis-
mus, der nicht Mass noch Ziel kennt, der niemals ruhen kann,
•) Dieselbe Klage wird schon im Parteiliede vom Jahre 1443 gegen die
Schwyzer (bei Tschudi 2, 390) erhoben:
Si hand dem Küng dry Eid geschworn,
Deren ist nit einer gantz.
Rochholz, Teil und Gessler. 8
l
114 !• Der Sagenkreis von Teil.
er wird nicht mehr enden, bevor nicht entweder er die Reichs-
fiirsten nach einander aus dem Lande gejagt hat, oder sie ihn !
In diesem Klageliede ist das Eingeständniss enthalten, dass die
Zeit, da man ein Volk und seine Geschichte ungestraft verketzern
durfte, eben im Ablaufen war. Die Ereignisse giengen damals
rasch. Binnen drei Jahrzehnten war eine wissenschaftliche, poli-
tische und kirchliche Umgeburt vollzogen, deren einzelne Haupt-
momente gerade mit dem Tode des Kaisers und seines gelehrten
Freundes zusammentrafen. In dem Jahre 15 17, als Tritheim starb,
hatte zu Wittenberg »der Erzketzerc seine Thesen gegen den
Dominikaner Tetzel angeschlagen. Denselben Kampf gegen den
Ablasskrämer Samson und die römische Curie eröffnete 1519,
im Todesjahre von Kaiser Max, Zwingli zu Zürich, und Luther
gab auf der gleichzeitigen Leipziger Disputation die wichtige Er-
klärung ab, dass verschiedene Lehren von Huss der heil. Schrift
gemäss und also mit Unrecht verdammt worden seien; »Ketzere,
schrieb er damals, »kann man bloss durch Gründe überwinden,
nicht mit Feuer, c Der Begriff der Nationalität durchdrang die
Provinzen, so dass der Versuch, die Unabhängigkeitsgeschichte-
der Böhmen oder der Schweizer in eine Teufelsgeschichte zu ver-
wandeln, blieb was er war, eine grobe Mönchsthorheit. Hübsch
ist es daher zu sehen, wie jener pfälzische Meisterschütze Punker
sammt seiner Quelle, dem Hexenhammer, in Vergessenheit gerieth,
als eben der schweizer Meisterschütze Teil aus seiner bescheidenen
Landessage hervortrat und bald zu weltgeschichtlichen Ehren kam.
Und doch stehen sich beide Sagen, der Zeit ihrer Aufzeichnung
nach, ganz nahe. Es ist im Vorausgehenden bereits gezeigt, dass
die Erzählung von Punker dem Schützen bereits 1420 zu Rorbach
localisiert war und 1484 aufgezeichnet worden ist. Der Tellen-
schuss findet seine erste Aufzeichnung in den Jahren 1471 — 72 im
sog. Weissen Buche, dem ältesten Copialbuche des Archivs von
Obwalden und zugleich der gemeinsamen Quelle für jene drei
Schweizerchronisten, die des Teil zuerst erwähnen. Der Reihe
nach haben aus ihr geschöpft i) Melchior Russ von Luzem,
der seine Chronik bis in's Jahr 1488 fortsetzt; 2) Petermann
Etterlyn von Luzern, dessen Chronik am 24. Christm. 1507 zu
Basel gedruckt worden, und 3) Aegyd Tschudi, f 1572, durch
dessen Darstellung die Sage gegliedert, motiviert und endgiltig
abgeschlossen wurde. Denn der eigenhändige Auszug, den
Tschudi aus dem Weissen Buche und aus einer Unterwaldner
j
5- Punker und Teil als Zauberschützen. 1 1 5
Qironika [»die myr Lazarus Choli von Zug geliehen v. 1498«]
über die »Thellengeschycht« gemacht hatte, hat dem Verfasser
dieser Zeilen längere Zeit vorgelegen und ist von ihm copiert
worden; er vermag also die Entstehungsweise der Tschudi'schen
Erzählung gehauer zu beurtheilen. Das Manuscript lag ois 1850
beim Historiker Melchior Schuler aus Glarus, damals aargauischem
Pfarrer zu Erlinsbach, gieng nach dessen Tode an seine Erben
im Flecken Glarus zurück und ist, wie man weiss, beim allgemei-
nen Brande dieses Ortes im Jahre 1861 mitverbrannt. Es liegen
also zu Folge dieser so eben gemachten Berechnung die ersten
Aufzeichnungen des schweizerischen und des pfälzischen Tellen-
schusses nicht mehr als zwölf Jahre auseinander.
Trotz dieser eben erwähnten reformatorischen Ereignisse
waren doch die Nachwirkungen des Hexenhammers keineswegs
schön erloschen. Deutschland baute den Hexen bald noch zahl-
reichere Scheiterhaufen und die Schweiz Hess ihre Wiedertäufer
rituell ersäufen; so unerwartete Abwege nach kaum begonnenem
Fortschritt pflegt der Menschengeist manchmal einzuschlagen. Die
Gesammtherrschaft des Adels und der Kirche hatte man vorher
unerträglich gefunden, jetzt liess man sich dafür die noch viel
unerträglichere tausendköpfige Tyrannei der Orthodoxie und des
städtischen Junkerthums gefallen. Das bürgerliche Leben der
Schweiz wurde darüber auf zwei Jahrhunderte lahin gelegt, deren
eines das Prädicanten- , das andere das Patrizier -Jahrhundert ge-
nannt zu werden verdient. Um schliesslich zu erfahren, wie es
darüber unserm Gegenstande ergieng, der Nationalsage der Schweiz,
wenden wir uns in das damalige von Pfarrern und Stadtjunkern
regierte Zürich. Der dortige Patrizier Rudolf v. Waid war zu
Baden im Aargau mit einem Badegaste aus Uri in ein politisches
Gespräch gerathen und hatte dabei den Teil, ohne dessen ge-
schichtliches Bestehen zu leugnen, einen Mörder genannt. Doch
das Ländlein Uri wollte seine politische Unschuld unbescholten
sehen, es schickte um jener Ursache willen eigne Gesandte nach
Zürich, vor denen von Waid am 17. Heumonat 161 5 knieend
Abbitte that, worauf er in den Wellenberg gethürmt und schwer
um Geld gebüsst wurde. In eine ähnliche Streitfrage lässt sich
sodann der Züricher Pfarrer Barthol. Anhorn ein, der weder das
Factum, noch die moralische Berechtigung der That Teils fraglich
findet, dem aber die Möglichkeit Gewissensbisse macht, ob man
mit natürlichen und nicht mit Zaubermitteln auf die Distanz von
8»
Ii6
I. Der Sagenkreis von Teil.
I20 Schritt — dies war die Entfernung Teils zu Altorf beimj
Schusse nach seinem Kinde — einen Apfel mit einem Schützen-
pfeile herabschiessen könne. Dieser Bartholomäus Anhom der!
Jüngere, ein Enkel des gleichnamigen Bündner Reformators, ist
zu Fläsch in Bünden geboren und stirbt als Züricher Pfarrer zu
Elsau, 87 Jahre alt, 1700. Ausser einem Pseudo-Christianus und]
neun Bänden Predigten verfasste er die »Magiologia, das ist Be-
richt von Aberglauben und Zauberey, durch Philonem., Augustae\
Rauracorum (Baselaugst) 1675«. Indem er hier unter vielfacher]
Citierung des Hexenhammers die zauberischen, teufelsverbündetem
Loos- und Treffschützen nach ihren Arten und Thaten schildertj
erzählt er von einem solchen, Namens Bartholome Kegel, einenfl
Adeligen, den er im Jahre 1634 selbst gekannt. Dieser habe bis
auf 200 Schritt mit einem Birsrofir in einen Thaler geschossen,]
so oft man gewollt, allein bei jeder Ladung ein Kömlein zauber-
ischen Famsamens unter das Büchsenpulver gemischt. Wilhelm|
Teil dagegen hat solche verbotene Künste nicht gebraucht um
doch eben so weit geschossen mittels Kunst, Vorsicht und Er*
fahrenheit ; er ist daher dem Schleuderer David, der des Philistei
Stirne richtig getroffen, vergleichbar oder den Siebenhundert ii
Benjamitischen Heerzuge, die alle links waren und ohne zu fehlei
mit der Schleuder ein Haar treffen konnten. Nach diesem B<
weise fährt unser Autor pag.* 775 also fort: »Andere schiessei
mit einem Pfeil einem Menschen einen Pfenning ab seinem Häuptel
ohne einige desselben Verletzung. Was ist aber dieses alles an(
ders als eine verfluchte Zauberey, herstammend von einem Meistei
der seinen Dienern mit ewiger Peinigung in dem Pfuhl lohnet, ii
welchen sie sämmtlich gestürzt werden.«
Der Tellenschuss geht nach einem Apfel, der Punkerschuj
nach einem Denar; jener wird hier kirchlich gerechtfertigt, diesej
verdammt. Man sieht, wie weit der Hexenhammer sich mit de^
Theologie und dem Patriotismus verschwistert hatte.
VI.
Die Vogts- und Schlosssage von Schwanau
in Schw^yz,
Als Herzog Leopolds Heer von Winterthur aus gegen die
' aufständischen Waldstätte im Jahre 131 5 anrückte, um ihnen dann
bei Morgarten zu unterliegen, hatten diese, ungewiss wo der An-
griflf erfolgen würde, an mehrfachen Punkten Schanzen und Landes-
befestigungen errichtet. Schwyz führte die Schutzmauer mit dem
Schirnenthurm zu Hauptsee auf, einen ähnlichen sodann am
Rothenthurm auf dem Schorno, umgab das Dorf Art auf der
Zugerseite mit Verhauen, legte eine Besatzung hinein und deckte
die dortige Strasse, welche längs des Lowerzer - Sees von Art
nach Steinen gegen den Hauptflecken Schwyz führt, durch jenen
Schutzthurm, der auf der Insel des Lowerzer -Sees nun in Ruinen
liegt und mit seiner Namens- und Sagengeschichte hier seine
. besondere Besprechung finden soll. Es wird sich dabei ergeben,
dass dieser Thurm seinen jetzigen Namen Schwanau erst durch
die Schweizerchronisten des fünfzehnten Jahrhunderts empfangen
hat, welche ihn dem schon 1333 unternommenen Kriegszuge der
Strassburger gegen das rheinische Raubschloss Schwanau abent-
lehnten, die Ermordung eines angeblichen Zwingherrn und die
i Zerstörung seiner Burg daran knüpften und damit einem nie ver-
[ heimlichten Wunsche des schwyzer Kantonalstolzes entsprachen.
Am Neujahrstage 1308 hatte nemlich, der Sage zufolge, Uri die
Vogtsburg Zwing -Uri und ebenso Unterwaiden die Burg zu
. Samen gebrochen. Sollte nun Schwyz sich den Beiden ebenbür-
1 1 8 I. Der Sagenkreis von Teil.
tig anschliessen, sollte es den Dreibund der drei Länder, aus dessen
Befreiungswerke die gesammte Eidgenossenschaft erwuchs, that-
sächlich mitbegründet haben ^ so musste es seinerseits ebenfalls
eine von ihm an demselben Neujahrstage und mit gleicher Tapfer-
keit zerstörte Zwinghermburg aufzuweisen haben, und diese ist
Schwanau.
Hören wir daher in chronologischer Aufeinanderfolge den
Bericht über Schwanau's angebliche Zerstörung an, wie er bei den
Landeschronisten enthalten ist. Wie bekannt, stützen sie sich Alle
in ihren verschiedenen Erzählungen über die geschlechtlichen
Ausschweifungen der Landvögte auf eine Stelle Justingers (f 1426),
der in seiner Bemer-Stadtchronik von den fremden Vögten über-
haupt, ohne jedoch einen mit Namen zu nennen, sagt: »Auch
hieltent sie sich gar frevenlich mit frommer Lüten Wiben und
Döchtern und wolten ihren Mutwillen an ihnen mit Gewalt triben ;
das aber die ehrberen Lüte nit wolten vertragen und satztent sich
wider die Amptlüte. Also stund gross Fiendschaft uf zwischen
der Herschaft (Oesterreich) und den Ländern (den Waldstätten).«
Einige zwanzig Jahre nach Justingers Tode verfasste der Züricher
Chorherr Felix Hemmerlin seine gegen die Waldstätte gerichtete
Parteischrift Ueber Adel und Bauernthum*), und erzählt hier in
Cap. 31 (von dem Volke, welches man Schwyzer nennt) als der
Erste eine Einzelsage über die von Habsburgischen Beamten in
der Schweiz gegen öffentliche Zucht und Sitte verübten Frevel.
Ein Graf von Habsburg, berichtet er, der natürliche Herr der
Schwyzer, hatte auf einem gewissen Schlosse (im See) von Lowerz
einen Burgverwalter als Vogt des ganzen dortigen Thaies, der
von zwei Brüdern aus Schwyz erschlagen wurde, weil sie glaubten,
er stehe zu ihrer Schwester in einem verdächtigen Verhältnisse
(rem habuerit suspectam). Als der Graf sie darum strafen wollte,
verbanden sich mit ihnen zuerst zwei Verwandte, diese Viere
weiter sich mit zehn, letztere wiederum sich mit zwanzig, endlich
alle Bewohner der Thalschaft, kündeten ihrem Herrn den Gehor-
sam auf und zerstörten das Schloss, dessen Ueberreste man heute
noch im See gewahrt. Darauf bemächtigten sich auch die benach-
barten Unterwaldner, während ihr Gebietsherr, der Edle von
*) De nobilitate et rusticitate Dialogus. De Suitensium ortu, nomine, con- '
foederatione et quibusdam (utinam bene!) gestis. — Thesaurus bist. Helv., Ti-
guri 1735-
J
6. Die Vogts- und Schlosss^ge von Schwanau in Schw)'z. HO
Landenberg, in der Christnacht in der Kirche war, seines Schlosses
Samen, zerstörten dasselbe, vertrieben den Landenberger und ver-
banden sich mit den Schwyzern. Ihrem Beispiele folgten die Lu-
zemer, Bemer, Zuger, endlich auch die Urner, die unter der Äb-
tissin von Zürich standen u. s. w. So weit Memmerlin in Zürich
um das Jahr 1443 bis 1453 über die Ursachen des Aufstandes
der Schwyzer; von einem Gessler in Uri und einem Teil daselbst
weiss er noch nichts.
Einige zwanzig Jahre nach Hemmerlins Schrift macht sich in Ob-
walden die Chronik des Weissen Buches geltend, nun abgedruckt
im Geschichtsfreund, Bd. 13. Sie weiss bereits eine dreifache
Vogts- und Burgenbruchs - Sage zu erzählen, nebst einer zweiten,
dem Vogte Landenberg aufgebürdeten AI zellener- Ehebruchsge-
schichte. Erstmalig nennt sie dann auch das (angebliche Lower-
zer-) Schloss Schwandau, ohne jedoch dessen Lage, oder dessen
Besitzer mit anzugeben. Von den aufständischen Eidgenossen
berichtend, sagt sie, 1. c. S. 74: wa böse Türnli waren, die brachen
sy vnd viengen ze Uere am ersten an die hüser brechen, ein
Turn Twing-Ueren vnder steg, darnach swandöw zu Switz, vnd
zu Stans mit namen das (hüs) vf dem Rötzberg.
Die auf das Weisse Buch folgende und es ausschreibende
Chronik des Luzerners Etterlin, gedruckt 1507, verschönert den
hier gefundenen Namen Schwandau (die abgeschwendete, entholzte
Insel) in Schwanau, ebenso wie er auch den Twing Üren
Vndersteg zu einem Zwing Ury under die Stegen vergrö-
bert und den Localnamen Ze Tellenplatten in ein positives und
persönliches Des Teilen Blatten erweitert hat.
Ihm folgt hierin Joh. Stumpf, der in seiner zweibändigen
Chronik, Ausg. vom J. 1 548, lib. IV , cap. 28 , mit aller localen
Gewissheit also schreibt: Damals (in der Neujahrsnacht 1308)
haben die von Schwytz zerstört das Schlosz Ro^kenberg vnd die
guote veste Schwanow, im Seli gelegen zu Schwytz im Land, den
man nennet den Lowertzsee. Den Schlossnamen leitet Stumpf,
der wohl' bedachte, dass auf Alpenseen Schwäne nicht vorkommen,
vom Schlosswappen ab, das einen Schwan gezeigt haben solle.
Wollen wir uns vor der Hand anmerken, dass wir nun für das
eine Seeschloss schon zwei verschiedene Burgen oder Burgnamen
haben, und sogleich weiter auf Stumpfs Zeitgenossen, auf Aegi-
dius Tschudi übergehen. Sein erster Chronik-Entwurf, abgediiickt
I20 !• I)«" Sagenkreis von Teil.
im Schweiz. Archiv, Bd. 19; lautet da auf S. 403, wenig überein-
stimmend mit den Vorgängern, also:
»Des selben Tages (da in Uri und Unterwaiden die Vesten
der Vögte fielen) was ouch Hans (nachträgliche Correctur : Wemher)
Stouffacher mit sinen Puntzgsellen zu Schwitz uf , fielend jn die
Burg Lowers, die jmm See ligt, und zerbrachend's , sie was
nit werlich und ouch nit besetzt, denn sie was ab-
gände.« Allein wozu nun mit gesammter Landeskraft noch eine
Burg brechen, welche bereits keine mehr, sondern nur ein ab-
gehender Burgstall ist? eine Burg, welche zudem im berufenen
Jahre noch nicht einmal zum Lande Schwyz, sondern zu dem
damals davon noch eximirten Kreise Art gehört hatte? Dass
dem wirklich also war, dies wusste Tschudi recht wohl und be-
kennt es cm einem andern Orte selbst noch umständlicher, wie
sich dies auf folgendem kleinen Umwege erweisen wird.
Ein Fciszikel Aegid. Tschudischer Originalhandschriften war
nemlich durch die Glamer Tschudi im Jahre 1850 bei dem Ge-
schichtschreiber Melchior Schuler aus Glarus, damaligem Pfarrer
in aargauisch Erlinsbach, deponirt gewesen, kam bei dessen Tode
nach Glarus zurück, und ist bei dem Brande des Fleckens Glarus
1861 wahrscheinlich mit zu Grunde gegangen. Der Verfasser
dieser gegenwärtigen Zeilen hatte sich durch des genannten
Pfarrers Neffen, den jetzigen Dr. Med. Schuler in Bilten, das
Bedeutsamste aus jener Tschudischen Sammlung copieren lassen,
und citiert daraus hier Nachfolgendes, wiewohl etwas abgekürzt.
»Vmb Art mit ihr zugehört. Die von Art . . . Sindt vor-
zytten ouch zum theill denn Graffenn vonn Lenntzburg pflichtig
gewesenn, wie die von Steinen , Nämlich das dorff zuo • Art , der
Niderhoff oder nider dorff genanndt. So noch den Namen Art
hatt, Sampt der pfarkilch daselbs zuo Sannt Jörgen genanndt, ouch
etliche dörffli; In der kilchhöri der vnder halbtheill: Der ober-
hoff oder oberdorff ober Artenn, Sampt dem flecken Lowers am
See, ouch dem Burgstall im selben See gelegen, so
ouch Lowers wie der See vnd fleckh heist. Ist vor
altenn zytenn von Franckrychischen vnd Romischen Khünigenn
dem Gotzhuss Murbach Ini Elsass zuo eigenthumb gegeben, c
Gleichzeitig mit Stumpf und Tschudi schrieb Ulrich Hugwald
Mutz, genannt Mutius, aus Stocken, bei thurgauisch Bischofszell,
geboren 1496, gestorben als Lehrer zu Basel 1571. Seine latei-
nische Chronik war schon 1539 erschienen und wird von Sl
6. Die Vogts- und Schlosssage von Schwanau in Schwyz. 121
(II, pag. 93b) hoch angesehen: »Hugwaldus Mutz zu Basel, ein
vemampter (clarus) Bischoffzeller.« Mutius verlegt den Aufstand
der Waldstätte in s Jahr 1 3CO, lässt ihn beginnen gegen einen nach
Uri gesetzten namenlosen Präfecten der Habsburger, welcher die
Keuschheit von Frauen und Jungfrauen bedroht ; er erwähnt dann
des Brüderpaares, das den ihrer Schwester nachstellenden Vogt
erschlägt, wobei der Autor sich auf Felix Hemmerlins Bericht
allein stützt ; wie dieser Gewährsmann, nennt auch er weder Orts-
noch Personennamen, kennt auch keinen Teil und schliesst mit
dem Kampfe von Morgarten. Wie vielerlei Burgen damals ge-
brochen worden sein sollen, ist ihm zweifelhaft: duaSy aut, ut
quidam voltmt, tres arces destruxerunt. Somit wäre dieser Chro-
nist hier leichtlich ganz zu übergehen gewesen, hätte er nicht ein
besonderes Sätzlein dazu gefügt, also lautend : Die fremden Vögte
in den Waldstätten hielten kein Eigenthum der Landleute in
Ehren, machten sich hinter deren Heerden und Käse
her, tauschten sie in den Städten am Rheine gegen
Wein um und berauschten in diesem sich täglich. Dass nun
gerade dieser Umstand der geschichtliche Grund wurde, weswegen
im Jahre 1333 die schweizerischen und oberrheinischen Städte
vereint zur Belagerung und Zerstörung der Ritterburg
Schwanau bei Strassburg schritten, dies wird sich alsbald
hier näher erweisen. Einstweilen greifen wir nicht vor, sondern
schliessen erst die Reihe dieser einschlägigen Berichte mit einem
handschriftlichen Chronikbüchlein vom Jahre 1580 (MS. Bibl.
Wettingen, 12^, auf der aargau. Kant.-Biblioth.) : »Kurtze beschri-
bung der herlichen geschichten einer lobl. Eydtgnoschafft«, welches
unpaginirt ist und in seiner Abtheilung Schwyz also schreibt:
1314 zerstört Schwitz die zwey Schlösser Rockenberg vnd
schwanow im Lowertzer see, darvon daz lied:
Z wüschen zweyen bürgen
Da ligt ein tiefer se.
Es würde überflüssig sein, diese Sage nun noch bei den späteren
Chronisten weiter verfolgen zu wollen. Sie hat ihr örtliches
Local gewonnen, stützt sich auf ein angebliches Volkslied und
geht nun mit in die thatsächliche Befreiungsgeschichte der Wald-
\ Stätte über. Das eine Schloss trägt zwar dreierlei, aber sich
[ gegenseitig erklärende Namen. Schwandau heisst es nach der
l abgeholzten Insel, auf der es liegt; Rocke und Rockenberg (ahd.
122 !• I^er Sagenkreis von Teil.
rocca) nach der Felsklippe, auf welcher es steht*), Lowerz aber
nach dem See. Dieser letztere Name ist ein rhäto-romanisches,
urkundlich frühzeitig auftretendes Appellativ und bezeichnet all-
gemein den Wasserlauf**). Warum aber ist dem Schlosse letzt-
lich der eine Name Schwanau verblieben? Weil derselbe jenes
berüchtigte rheinische Raubschloss der Grafen von Geroldseck
bezeichnete, durch dessen Belagerung und Zerstörung sich die
verbündeten oberdeutschen und schweizerischen Städte im Jahre
1333 mit Ruhm bedeckt hatten. Der Bruch dieser eine Stunde
ob Strassburg gelegnen Adelsburg war eine Grossthat des Bürger-
thums, durch welche die Sicherheit des schweizerischen Verkehrs
und Handels bis an den Gotthard befestigt wurde. Nicht bloss
die Uferstädte Strassburg, Kolmar, Breisach, rheinisch Neuenbürg,
breisgauisch Freiburg, Basel und Rheinfelden hatten mit an dieser
Fehde theilgenommen, auch die schweizerischen Binnenstädte
Bern, Luzern und Freiburg im Üchtland ***) schickten ihr Contin-
gent dazu, da die durch die Raubburg verursachte Störung der
Rheinschiffahi't auch den Handel der inneren Schweiz mitbetraf,
die ihre Waaren und Transitgüter zu Basel verlud. Die besiegten
Geroldsecker blieben seit jener Fehde den Bernem und Luzemem
*) Em Geschlecht der Freien von Rogkenberg, sesshaft im Kanton Schwyz,
nennt Simler, Regiment der Eidgenossenschaft, S. 35. Der Roggenstock liegt bei
schwyzerisch Iberg.
**) II 79, 27. Febr. Pabst Alexander III. sichert dem Kloster St. Germanus
zu Moutiers-Grandval unter dessen Besitzungen auch die Zehnten zu von Lo-
verezo bei Moütiers. Schweiz. Urkk.-Register Ili No. 2391.
1308, 3. Mai. Das Capitel des Klosters Moutiers-Grandval verfügt über fünf
Mütt Kornzinse de decima in Louerasse, apud Granval. Trouillat, Monu-
ments de l'hist. de l'lSv^ch^ de Bale, III, S. 131. 132.
1327, 25. Jan. Der Kanoniker Wernher v. Tessenberg, als Statthalter des
Grandvaler Probstes Walther von Arberg, sitzt zu Gerichte ante domum Domi-
norum et conventus Monasterii Bellelagie apud Loueresce, und entscheidet den
Lauf des Gewässers der Loveresse und das Wasserrecht der daran liegenden
Mühlen, ibid. III, 371.
Avers, ein Seitenthal des Hinterrheins in Graubünden, ist urkundlich ge-
nannt: Vallis Averi et ultra aquam Luveri. 1349 heisst die Grenzbestimmung
daselbst: »Von der Lantquar vnz an die Luver.« Der Name ist gebildet aus:
sur aueria, su l'auer, ob des Baches Wasserlaufe liegend. Gatschet, Ortsforsch.
233. 238. Die Ennetbirgische Vogtei Lugano hiess in amtlicher Benennung bei der
eidgenössischen Kanzlei : L a u w i s , und gemeindeutsch Lowers ; beim Baseler Chro
nisten Frid. Ryff : Lowertz, Schloss Louwertz. Basler Chroniken I, S. 205. 208.
***) Dies sagt ausdrücklich die Zimmer' sehe Chronik, edd. Barack I, 363.
6. Die Vogts- und ScMosssage von Schwanau in Schwyz. 123
feind und nahmen aus altem Hasse auch später noch schweizerische
Kaufleute auf dem Rheine bei Ottenheim gefangen. Dafür wurde
ihnen nachmals 1473 die Burg Schuttem zum zweitenmale ge-
brochen. Alle Chronisten sprachen damals von Schwanau. Schon
der Winterthurer Mönch entwirft eine farbenreiche Schilderung
des Sturmes aus dem Munde der Augenzeugen *), und jener ano-
nyme Aargauer, welcher die von Grieshaber edirte Oberrheinische
Chronik um 1334 begonnen und mit dem Jahre 1349 geschlossen
hat, sagt von den Rheinstädten : die waren ouch alse mechtig, daz
si festenen brachen den herren. der was Swanouwe eine. In
der Lebensbeschreibung des Strassburger Bischofs Berchtold, der
ein gebomer Graf von Bucheck aus dem Solothurner Lande war,
lange als Deutschordens-Comthur zu Basel sesshaft gewesen war
und 1353 starb, wird die unter seine Regierung fallende und von
ihm persönlich mitgemachte Eroberung der für uneinnehmbar ge-
halten gewesenen Wasserburg Schwanau, »dieser stärksten Feste
von ganz Alemannien«, ausführlich berichtet. Die Burg, heisst
es hier, wurde von Grund aus zerstört, die Besatzung, sechzig
Mann stark, Edel und Unedel, bis auf sieben Personen enthauptet,
der gefangene Zeugmeister auf eine Wurfmaschine gelegt und
gleich einem Wurfsteine gegen die Mauern geschleudert**). Wie
hätte sich hiebei das rheinische Volkslied schweigsam verhalten
sollen, sogar die uralte Sage von der Weibertreue tauchte neu
auf. Niemand war salviert worden, erzählt die Zimmer'sche
Chronik, ausgenommen Herrn Walthers von Geroldseck Gemahlin,
welcher vergönnt wurde, frei abzuziehen und mit sich zu nehmen,
was sie über die Fallbrücke mit sich zu ''tragen im Stande sein
würde. Dies sollte ihr zustehen, verbleiben und gesichert sein.
»Also do name die guet fraw iren alten herren und gemahl uf
den rucken und dann ein* jungen son uf den arm, die trug sie
über die falbrucken. Die stett wolten der frawen das nit zugeben
und wolten ir den mererteil, wiewol sie das hoch versprochen,
nit halten. Aber die von Adel schampten sich übel, das in iren
handlungen von den ungeschickten paüren also sollt grüblet und
gesucht werden, also namen sie der Sachen sich an. Gemelte
*) Audivi a multis, qui videbant. Trouillat, Monuments III, 755.
**) Matthias Neoburgensis Chronica, edd. Studer (1867), pag. 230. — Hegel
Städtechroniken Bd. 9, 799.
124 ^' ^^^ Sägenkreis von Teil.
fraw mit ihrem alten Herren und jungen sone ward über Rhein
in die Herrschaft Geroltzeck gefuert und belaitet.«
Im Bündnisse mit den Österreicher Herzogen Albrecht und
Otto waren die Städte gegen Schwanau gerückt *), König Ludwig
ertheilte nach dem Bruche der drei Vesten Schwanau, Erstein
und Schuttem seinen Sühnebrief**) , und die Gerolzecker zu
Sechst beschwuren hierauf in die Hand des von Hallwil, als der
Herzoge Hauptmann und Landpfleger im Sundgau, Aargau und
Thurgau, ihren erlittnen Schaden nicht rächen und die zerstörten
Burgen nicht wieder bauen zu wollen***).
Dieser alle österreichischen Vorlande, und somit viele Städte
und Landschaften der jetzigen deutschen Schweiz politisch und
mercantil betheiligende Sturz der rheinischen Wasserburg Schwanau
im Jahre 1333 war den Schweizerchronisten nothwendig im Ge-
dächtnisse haften geblieben und half ihrer Phantasie nach, als sie
den von den Waldstätten unternommenen Bruch der österreichi-
schen Vogtsburgen erzählten, diesen ins Jahr 1308 zurück datirten
und dabei dem namenlosen Wasserthürmlein im Lowerzersee den
stolzen Namen Schwanau beilegten. Heut zu Tage knüpft man
jene ganz abgeblasste und fast den meisten älteren Schlössern anhaf-
tende Sage von der Weissen Frau auch an den Lowerzerthurm :
Jährlich in einer bestimmten Nacht jagt hier Jene den Burgvog^,
ihren Entehrer, durch die Ruine und um die Insel, bis er heulend
sich in den See stürzt f).
*) Urk. V. 15. April 1333. Hegel, Städte-Chron. Bd. 9, 1037.
**) Hegel, ibid., Urk. v. 21. Mai 1334.
***) Schreiber, Freiburger Urkundenbuch I. i, pag. 304.
t) Hisely, Essai (1839), pag. 579, No. 71. Vor Hisely's Schrift stand diese
Sage in dem französ. Sammel-Joumal : Conservateur Suisse von Bridel.
VIL
Die drei Teilen am Rütli und die drei
Zauberschläfer im Axenberge.
Jedes ausgestockte, durch Brand und Rodung urbar gemachte
Landstück heisst in Hoch-AIemannien Riüti, Riütli, GVütli, Gerüte.
Der alemannisch redende Geiler von Kaisersberg sagt darüber in
seinem Euangelibuoch vom Jahre 1404, Bl. 80: »der da einen
neuwbruch, novale^ vflfbricht, der macht in Schwaben ein neuw g e -
rüt.« Es müssen darum solche Rütinen in Ober-Deutschland überall
und urkundlich viel früher vorkommen, als jene historisch gewordene
Umer-Matte am Waldstättersee, von welcher hier gehandelt werden
soll. Gleichwohl hat auch diese ihre geschichtlichen Zeugnisse
aufzuweisen, und die frühesten darunter mögen hier folgen.
Es urkundet am 15. Heumonat 1394 Claus von Rütlin von
Unterwaiden gemeinsam mit den Eidgenossen aus vier Kantonen,
welche sich zusagen, Luzern gegen die österreichischen Ansprüche
auf Landeshoheit, einschliesslich der herzoglichen Lehen und des
Blutgerichtes, in Rath und Schutz zu nehmen. Segesser, Luzern.
Rechts-Gesch. i , 274. Das geschichtliche Rütli war Eigenthum
des Stiftes der Zürcher Benedictinerinnen ; darum verkauft die
dortige Äbtissin Anastasia von Hohenklingen am 15. April 141 8
an Äbtissin und Convent des Klosters Seedorf in Uri zwölf
Schilling Rente »uff einem gut, genant das Rütli«. Zurlauben,
handschriftl. Helvet. Stemmatographie , Bd. 5, pag. 25 u. 194.
Als dann im Jahre 1548 das Seedorfer Kloster säcularisirt und
dessen Inventar aufgenommen wird, ist da unter den Zinsgütem
namentlich die Matten Rütli mitgenannt. Zurlauben 1. c.
126 I. Der Sagenkreis von Teil.
pag. 219. Dies also ist der Schauplatz, von dem Schillers
Drama besagt:
— — links am See, wenn man
Nach Brunnen fahrt, dem Mythenstein grad über,
Liegt eine Matte heimlich im Gehölz ;
Das Rütli heisst sie bei dem Volk der Hirten,
Weil dort die Waldung ausgereutet ward.
Nahe am Lande daselbst ragt frei und eiförmig aus dem See
ein Findlingsblock, auf dem seit der Schillerfeier vom 10. November
1859 des Teilendichters Name in metallnen Buchstaben eingelassen
steht. Dieser erratische Block heisst allgemein Mythenstein. Das
Volk zwar nennt ihn auch: Alter Weiber Morgengabe, denn es
sieht in der konischen Form des Felsens einen Spinnwirtel und
scherzt darum, mit dieser versteinerten Spindel würden alte Jungfern
ausgesteuert, wenn sie sich all zu späten Liebesempfindungen
überliessen. Fragt man, woher der andere Name Mythenstein
rühre, so heisst es, dieser Felsblock sei der Namensvetter und
Abkömmling des drüben bei Schwyz ansteigenden kahlen Gebirgs-
stockes der Schwyzermythen oder Schwyzerhaken. Allein fordert
denn der letztere Name den Sprachverstand weniger heraus?
Vielleicht dass bei den .Chronisten hierüber Rath zu finden ist!
Der Obwaldner Landschreiber Schälly, der 1472 die kleine
Chronik des Weissen Buches geschrieben, sagt von den gegen die
Landvögte Verbündeten , als sie einen heimlichen Ort für ihre
Zusammenkünfte wählten: »Sy fuorend fiir den Mytenstein
nachtz an ein end, heisst jm Rüdli, und tagten der zyt niena
anders denn jm Rüdli. Du demnach du ward Stoupachers
gesellschaft also mechtig .... vnd so sy üt tun wolten, so fuoren
sy ze tagen in Trenchi.« (Sonderabdruck v. G. v. Wyss,
S. 8 u. 10.)
In der Chronik des Luzemer Gerichtsschreibers Petermann
Etterlin, die bis zum Jahre 1503 reicht, heisst es bei gleicher
Gelegenheit : So fuorent sy für den mittenstein an ein Ende
im Betlin, da taggten sy zesamen.
Der Wettinger Abt Chr: Silbereisen, der seine Chronik am
4. Heumonat 1576 beendigte, schreibt dem Etterlin hier wörtlich
nach, nennt aber dabei den Mittelstein beim Betli.
Tschudi, f 1572, nennt in seinem ersten Entwürfe zur
Schweizerchronik (aus denj der hier in Frage stehende Abschnitt
7« I^ic drei Teilen am Rütli und die drei Zauberschläfer im Axenberge. 127
nun abgedrudct steht im Archiv f. Schwz. Gesch., Bd. 19) den
Ort: Myfenstein oder Mitlenstein, an ein End, heisst
im Bätlin.
Das Umerspiel von Wilhelm Teil, erstmalig 1540 in Zürich
gedruckt, nennt den Versammlungsort das Rütlin, welches des.-
halb zuom mittelsten leit, also in der Mitte der drei-Länder
gelegen ist.
Man sieht aus diesen Stellen, wie hier der eine Name verdreht
und verändert wird, um sich seine Unverständlichkeit zu ver-
deutlichen; namentlich verwundert es, dass die dem Rütli zunächst
wohnhaft gewesenen Chronisten, wie Etterlin, den heute all-
giltigen Namen der geschichtlichen Oertlichkeit noch nicht kannten,
sondern ihn Bettlein nannten.
Was aber will nun jener Name Mythen? Er ist ein land-
wirthschaftlicher , stammt aus lateinisch meta, und bezeichnet
ursprünglich sowohl den im Hochgebirge aus Steinplatten auf-
geschichteten Wegzeiger, als auch den im Freien aufgeschoberten
Heuhaufen**). Aus der Form dieses Haufens schöpfte der Senne
zugleich den Namen für ähnlich gestaltete Berge und Felsen.
Kann man auf hoher Alp das gemähte Heu nicht rechtzeitig mehr
unter Dach bringen, so lagert man dasselbe in einen möglichst
starken Haufen zusammen und schützt ihn gegen Regen und
Schnee mit Schilf und Tannenwedeln. Der lateinische Name für
diese Vorrichtung erhielt sich in allen jenen Landschaften und
deren Sprache, welche theils durch die Römerherrschaft, theils
durch die darauf folgende des römischen Klerus in der Boden-
cultur beeinflusst waren. Darum erscheint in obigem Sinne der
Ausdruck mita schon in der Lex Bajuvariorunt IX. cap. 2, § 4;
und in Zeerleders Bemer Urkunden Nr. 3 wird vom Jahre 851 genannt :
Curtis Mietia in Algaugiensi contitatu. Die ursprünglich rhätische
Ortschaft Fidemeida (d. i. via de meida) im jetzigen Sarganser-
lande tragt ebenso ihren Namen von churwelsch meida, Heuhaufen.
Daher italienisch meta, französisch moies: kegelförmige Haufen.
Steub, Rhätische Ethnol., S. 147.
In der Neuzeit haben der Unterwaldner Historiker Businger
1816, und dann ebenso noch 1833 der Zürcher Dichter Martin
. I
*) Bei Varro i, 56 und bei Columella 2, 19: Foenum siccatum in metas
öBtrui conveniet easque ipsas in angustissimos vertices exacui; sie enim defen-
. ditur commodissime foenum a pluviis, etc.
128 ^' ^cr Sagenkreis von Teil.
Uateri in ihren Schriften jenen Rütlifelsen Wytenstein genannt.
(Staub:) Das Brot in schweizer. Volkssprache 1868, S. 98.
So drolien sogar die von der Sage genannten Localnamen
sich in Spuk- und Truggeister zu verwandeln und den Menschen-
verstand zu äflfen, bis zuletzt des berufenen Dichters Machtwort
die Schatten für immer beschwört. Während sämmtliche Schweizer-
chronisten noch nicht einmal über den Namen jener Oertlichkeit
einig geworden waren, ist das Rütli seit dem Schillerjubiläum
aus den Sparpfennigen der schweizer Schulkinder angekauft und
zum National - Eigenthum gemacht worden; abermals eine der
vielfältigen Wirkungen unseres unsterblichen Dichters.
Wenn die griechische Göttin eine Stätte sucht, um ihre Kinder
zu gebären, so bleibt die schwimmende Insel Delos stille stehen;
ist das Rütli der Chronisten erst bodenfest, so kann die sagen-
trächtige Geschichte es beziehen und mit ihren Teilen bevölkern.
Dieser Vorgang kommt nun zur Erzählung.
Unter den drei Teilen begreift die heutige Volksvorstellung
diejenigen drei Männer aus den drei Waldstätten, welche mit
einem Gefolge von dreiunddreissig *) Gleichgesinnten am Neujahrs-
tage 1 307 (auch 1 308 u. s. w.) auf der Wiese am Rütli berathend
zusammentraten und hier einen gegenseitigen Eid für die Freiheit
der drei Länder sich zuschwuren. Jene Drei werden darum auch
die drei ersten Eidgenossen **) genannt , und wo sie damals
zusammenstanden auf der Matte, ist unter ihrem Fusse die
Dreiländerquelle entsprungen. Sie heissen heute: Walther Fürst
von Attinghausen aus Uri, Wernher Staufacher von Steinen in
Schwyz und Arnold Melchthal von Unterwaiden Ob dem Kem-
wald. Ihrem Dreibunde wird als dessen heroiischer Obmann Teil
vorgesetzt; allein um selber eigenmächtig handeln zu können,
*) Dreiunddreissig zählt Fäsi, Helvet. Erdbeschreib. 2. 150. Ebenso lautet's
in Schillers Rütli -Scene: »Alle, dreiunddreissig an der Zahl, stellen sich um's
Feuer.«
**) Im ersten Bundesbriefe [der drei Länder vom Jahre 1291 , lateinisch ab-
gefasst, nennen sie sich Conjurati et Conprovinciales , die zusammen Gelobenden,
erst in der deutschen Urkunde, 9. Christmonat 1315, steht: Eitgenoze. Diese Be-
nennung ist schon der althd. Sprache geläufig. Die Kaiserchronik erzählt von
den zehn gegen Titus Verschwomen: die aitgenoze zwelfe komen wider ze
samene. Ausgabe von Diemer 1849, S. 167, Vers 3. In dem Sinne eines durch
Eidschwur mit einem Andern Verbündeten findet sich der Name in einer
von König Adolf der Stadt Mühlhausen 1291 ertheilten Urkunde. Fichard
Archiv I, 299.
7. Die drei Teilen am Rütli und die drei Zauberschläfer im Axenberge. 129
schliesst er sich freiwillig von jener Berathung aus und bringt
dann durch seine That den Aufstand an's Ziel.
Bei den älteren Chronisten herrscht nun weder über diese
Dreizahl selbst, noch über deren Personennamen Uebereinstimmung.
Der Luzerner Stadtschreiber Rennw. Cysat, der noch zu Anfange
des siebzehnten Jahrhunderts lebte, besagt in seinen handschrift-
lichen Collectaneen. (Bd. B, 3b, auf der Luzern. Kant.-Biblth.) :
Obwohl man gemeiniglich nur drei Männer als die ersten Bundes-
stifter nenne: Wilhelm Teil aus Uri, Dietrich Staufacher von
Schwyz und Erni aus dem Unterwaldner Melchthal; so seien es
doch nach Angabe etlicher Historien Vier gewesen, nemlich die
beiden Erstgenannten, dazu der Erni aus Melchthal Ob dem Wald,
als vierter sodann Kuno ab Altsellen Nid dem Wald. Dieselbe
Notiz ist aber schon im Weissen Buche von Obwalden enthalten,
die Zusammenschwörenden heissen da: (i) der Stoupacher von
Switz, (2) Einer der fürsten von Ure, (3) der usser melche von
Underwalden, bald funden die dry (4) ein' nid dem Wald, der
swur ouch zu jnen. Nachdem also für jede der drei Waldstätte
ein ständiger Mitstifter mit Namen aufgefunden war, musste auch
noch für jede der beiden Hälften von Ob und Nid dem Wald,
in welche das Unterwaldnerland kantonal sich geschieden hatte,
ein Mitbetheiligter aufgestellt werden, und so ergaben sich dann
vier erste Eidgenossen. Doch auch damit war noch kein Stillstand
gemacht; Unterwaiden schien seine eignen drei Teilen zu fordern.
Darum stehen im Personenverzeichnisse sowohl des 1 545 gedruckten
Teilenschauspieles von Jak. Ruoff, als auch im sogenannten Urner-
spiel, gedruckt im Jahre 1579, als die drei Mitbefreier genannt:
Erni vss Melchtal Ob dem Wald.
Cuno ab Alzella Nid dem Wald.
Vly von Gruob Ob dem Wald.
Und wenn dann in jenem Spiel Teil seine Mitgenossen
anredet (S. 121 des Mayer^schen Druckes), so nennt er sie zu
Viert: Vly, Cunno, Stoffacher, Ernel Wozu nun dieser neu
hinzu gekommene Uli Gruob ? Er war ein vorräthiger Name und
konnte an Luzern abgegeben werden, nachdem dieses am
13. Wintermonat 1332 den Waldstätten sich angeschlossen hatte,
womit denn der Vierwaldstättenbund gegründet war.
Am seltsamsten ist es, dass man zu diesem mythischen
Vierverein den historischen Walther Fürst nicht wählte, sondern
Rochholz, Teil und Gessler. 9
I^O !• I-^cr Sagenkreis von Teil.
amtlich sogar an dessen Stelle den sagenhaften Teil setzte.
Eine Denkmünze vom Graveur Stampfer aus Zürich, f 1585,
giebt auf dem Avers die Wappen der XIII. Kantone und der
Sieben Zugewandten Orte mit dem Eidgenöss. Kreuze. Auf dem
Revers steht: »Wilh. Teil von Vre, Stouffacher 'von Schwytz,
Erni von Vnterwald. Anfang dess Puntz im jar Christi 1296.«
Also mangelt hier Walther Fürst, wie er ebenso noch gänzlich
1579 im Urner-Spiele fehlt, das doch zu Altorf unter obrigkeit-
lichem Schutze aufgeführt wurde. Bei solchem Schwanken der
Quellen geschah es, dass in Schillers Teil Walther Fürst von
Attinghausen sogar in zweierlei Personen verwandelt worden ist,
in den Freiherrn Wernher von Attinghausen und in den Walther
Fürst. Auch da wird der Bund geschlossen, ohne dass jener
Freiherr davon weiss, ja er stirbt inzwischen mit den Worten:
Hat sich der Landmann solcher That verwogen, ja dann bedarf
es unserer nicht mehr.
Dasselbe Wachsthum und Schwinden macht sich auch in der
Zahl der Landvögte und der gebrochenen Vogtsburgen sichtbar.
Erschlagen werden der Gessler in Küssnacht, der Wolfenschiessen
auf Rotzberg und der Schlossvogt auf Schwanau. Der vierte ist
Landenberg zu Sarnen, welcher allein heil entkommt. Zu ihren
vier gebrochnen Burgen tritt noch als fünfte hinzu Zwing-Uri.
Ebenso hat man dem Gesammt-Ereignisse vier Kapellen gewidmet,
die bekannten drei Teilskapellen und die Staufacherskapelle zu
Steinen. Von den im Axenberge verzaubert schlafenden drei
Teilen wird am Ende dieses Abschnittes besonders berichtet
werden. Auch an die schweizerische Einwanderungssage ist hier
zurück zu erinnern : Schweden und Friesländer kommen 1 300 Mann
stark als erste Anwohner in die Waldstätte eingewandert unter
den drei Führern Switer, Scheyo und Rumo, und Switer giebt
dem Lande Schwyz den Namen. Tschudi, Gallia comaia.
Auch der Kanton Graubünden hält sich geschichtlich berech-
tigt, seine besonderen drei Teile aufzustellen und diesen die
republikanische Konstituirung des ganzen Bündnerlandes zuzu-
schreiben. Hier jedoch geschieht dies auf Grund der Alles ver-
einfachenden Sage, die hier sechserlei Landeshäupter auf drei
reducirt hat. Der geschichtliche Act, der hierüber vorliegt, findet
sich bei Tschudi II , 153. und ist kurz folgender : Im März des
Jahres 1424 versammeln sich und berathen unter der Linde bei
der Kapelle zu Truns nachfolgende Herren : Peter von Pultingen,
j
7« Die drei Teilen am Rütli und die drei Zauberschläfer im Axenberge. i -5 j
Abt ZU Disentis; die drei Brüder: Hans, Heinrich und Ulrich
Brun, Freiherren von Räzüns ; der Graf Hans Sax von Hohensax
und Masox ; und Graf Hugo von Werdenberg, letzterer als Eigen-
thümer des Ortes Truns. Mitanwesend sind die Gotteshausleute und
Ammänner folgender zehn Gemeinden : Saffien, Tenna, Uebersax,
Ilanz, Grub, Flimserwald, Flims, Falz, Lugnetz, Tamins.
Zusammen schliessen sie hier den Grauen Bund, der das
ganze Bündner Oberland mit dem Rh^in und dessen Nebenthälern
umfasste und nachmals dem Kanton seinen Namen gab. Zum
Grauen trat dann der Gotteshausbund, Chur, . Domletschg
und Engadin umfassend; und seit 1436 auch der Zehn ge richten -
bund, in welchen die zehn Gerichte im Prättigäu und Davos
gehörten. Wenn nun diese drei Zehnten alljährlich ihren Landtag
unter dem Baum an der St. Annakapelle zu Truns abhielten, so
hatte in allen Symbolen und Ueblichkeiten dieser Volksversammlung
die Dreizahl vorzuherrschen. An der dortigen Kirchenmauer sind die
drei Landesbefreier abgemalt : Peter von Pultingen, Abt von Disentis;
Hans Brun, Herr von Räzüns, und Graf Hans von Hohensax. Zur
Versammlung kamen drei Präsidenten, als Häupter der drei Bünde,
stellten sich unter die drei Hauptäste des Ahorns und erneuten
mit aufgehobenen Schwörfingern den Eid. Des Bundes Wahl-
spruch lautete: Omne trinum perfectum, und ihm zu Ehren
wurden dann im Tafelsaale sogar die Zechtische in*s Dreieck
gestellt. (Bridel, Kleine Fussreisen durch die Schweiz. Zürich
1797. I, 188.)
Nachdem nun dieser Schematismus durch kantonale Satzungen
durch Chroniken, Denkmäler, Schauspiele und Lieder dem Volke
zum politischen Glaubenssatze gemacht war, bildete ihn dasselbe
weiter aus, indem es ihn zu Revolutionszwecken parodierte. Im
Bauernkriege stellte sich das gegen Lüzern empörte Entlebuch
unter seine drei eingebornen Bauern-Obristen und nannte auch sie,
als Rächer der gekränkten Volksrechte, die drei Teilen. Diese
waren: i) Hans Emmenegger von Schupf heim, 1653 zu Luzern
hingerichtet. 2) Christen Schybi von Escholzmatt, 1653 in Sursee
enthauptet. 3) Kaspar Steiner, Sigrist zu Emmen in der Graf-
schaft Rothenburg, 1653 zu Luzern hingerichtet.
Auch das aargauer Freienamt hatte sich an jenem Aufstande
mitbetheiligt und stellte drei Führer auf, welche bei ihrer Partei
die Teilen, bei der Gegenpartei die Regentenfresser hiessen. Dies
waren: Jak. Hartmann von Sarmensdorf, Andr. Meier und Uli
o*
L
122 I. Der Sagenkreis von Teil.
Koch, beide von Vilmergen. Sie wurden zu dritt hingerichtet,
das Freienamt verlor seine Landesfahne und musste 24,000 Gulden
Strafgelder bezahlen.
Der Bauernkrieg, der zuerst im Luzemer Entlebuch aus-
gebrochen war, erstarb auch in dieser Landschaft zu allerletzt.
Zur gänzlichen Beruhigung hatten sich Ende Septembers 1653
der Entlebucher Landvogt Melch. Schumacher, der Luzemer
Schultheiss Ulrich Dulliker, der Zeugherr Kasp. Studer und der
Leutpriester Bissling nebst noch anderen Herren zusammen nach
Schüpfheim begeben, um hier der auf den 28. September her-
kömmlich fallenden Huldigung beizuwohnen. Nur ein Theil der
"Landschaft leistete den Huldigungs-Eid, die Gemeinden Schüpfheim
und Hasli verschoben ihn, bis man ihnen Brief und Siegel über
die vom Schiedsgerichte bewilligten Artikel gegeben haben würde.
Als die Gesandtschaft am folgenden Tage auf der Heimreise
zwischen Schüpfheim und Hasli in die Hohle Gasse geritten,
kam, fielen hier plötzlich drei Schüsse. Der erste, vier Kugeln
treibend, verwundete mit einer den Schultheissen Dulliker in den
Schenkel und gieng mit zweien dessen Reitpferde durch den
Hals. Gleich darauf knallten zwei weitere Schüsse, eine Kugel
sauste zwischen den Rathsherren Balthasar und Fleckenstein durch,
die andere traf den Zeugherrn Studer in's Herz. Die Mörder
waren drei unter dem Namen der Teilen verschworene Bauern.
So besagte eine gleich darauf in Luzern erschienene Deputation
des Landvolkes, die sich auch bereit erklärte, die Uebelthäter
auszuliefern, wenn man den Einwohnern die abgenommenen Waffen
wiedergebe und die bewilligten Friedensartikel urkundlich zufertige.
Die von der Obrigkeit schnell nach Schüpfheim entsendeten
Truppen verschanzten sich hier sorgfaltig und streiften auf die
Möfder. Hans Stadelmann von Marbach, genannt Städeli, hatte
im Drittbunde den Staufacher repräsentirt und war gleich nach
der That in's Ausland entflohen. Kaspar Unternäher, genannt:
Käspi, war im Bunde der Wilhelm Teil ; er und Ulrich Hinterwart,
genannt Hinteruoli, der gewesene Erni aus Melchthal, wurden auf
die Anzeige eines Knaben in einer Scheune unweit Schüpfheim
entdeckt.. Sie flohen hier vor den eindringenden Soldaten aufs
Dach, beide mit Schlachtschwertem bewaffnet ; der eine schleuderte
die Beschwersteine des Schindeldaches gegen die Heraufsteigenden,
der andere hieb auf sie ein. Nach umsonstiger Aufforderung sich
zu ergeben, wurden sie endlich herunter geschossen. Noch über
7. Die drei Teilen am Rütli und die drei Zauberschläfer im Axenberge. i 77
die Todten sprach das Criminalgericht Bluturtheile aus, die
Leichname wurden geviertheilt und an den vier Landeshoch-
gerichten aufgesteckt. Stadelmann wagte es, in die Heimat
zurück zu kehren, ward verrathen, gefangen und gefoltert, bekannte
den Schuss auf Dulliker gethan zu haben, wurde geköpft und auPs
Rad geflochten. Mit den drei Genannten hatte Hans Krummenacher,
der Weibel zu Schüpfheim, gemeinsame Sache gemacht, soll aber
nicht selbst bei der That gewesen sein. Auf Fürbitte der Schüpf-
heimer Kapuziner gestattete ihm der Rath 1655 die Rückkehr in
die Heimat, jedoch gegen Erlegung von 3000 Gulden Strafgeld.
Zu so grausamem Ende führte es, als das naive Volk mit dem
Spielzeug seiner Herren endlich wirklich Ernst machen wollte.
Diese Angaben sind entnommen Ulrich Dullikers Autobiographie,
betitelt: Summarische Lebensbeschreibung, abschriftl. in Zurlaubens
Miscell. Helvet., tom. II, pag. 209, auf der Aargau. Kt.-Bblth. —
Sodann: Vock, Gesch. des Schweiz. Bauernkrieges.
Es wäre blosses Ameisengeschäft, so vielerlei gleiche, monotone
Zahlenbeispiele aufzulesen und zusammen zu häufen , wenn nicht
in ihrem Grunde ein uralter Glaubenssatz läge , den sie Alle
heimlich verbergen jund mit immer neuem Schutte zudecken.
Dies ist der Heidenglaube an die Fortdauer jener mythischen
Volkshelden, welche in einen Berg entrückt und in Zauberschlaf
versenkt, dereinst in des Vaterlandes letzten Nöthen hilfreich
wieder erstehen. Bald ist es ein einziger Held: der Kaiser, der
Teil ; bald sind es ihrer drei. Auf diese alte, längst zerbröckelte
Sage, soweit sie der Mund der Gläubigen und der Ungläubigen
noch kennt, gehen wir jetzt über.
Heinrich Zschokke schrieb im Helvet. Kalender v. 1797,
S. 87 einen Aufsatz »Die Volkssage« , und machte hier folgende
übelgelaunte persönliche Mittheilung: »Als ich mich von Brunnen
(über den See) nach Flüelen führen Hess, zeigten meine Schiffer
auf die Felsen von Seelisberg im Kanton Uri, dicht hinter dem
Grütli, und erzählten mir Ungläubigen mit dem Ernste der treuesten
Diplpmatik, dass dort in einer der Höhlen die drei Teilen seit
Jahrhunderten schlafen, um dann die Freiheit der Schweizer noch
einmal zu retten. Diese Volkssage beweist nichts als etwa den
Mangel der Geistescultur, welcher noch in der Schweiz herrscht.
; Der Historiker hat keine verachtungswerthere Quelle, c So Zschokke,
I dem damals herrschenden Rationalismus gemäss ; später , einem
i veränderten Zeitgeschmacke folgend, schrieb er über dieselben
l
IZA !• Der Sagenkreis von Teil.
Gegenden und deren Volksglauben das illustrirte Werk: Die
klassischen Stellen der Schweiz. Sollte man nun denken, dass
es ein Prinz aus der Wiener Hofburg gewesen- ist und überdies
damals schon, welcher die gegentheilige Ansicht vertrat? Erz-
herzog Johann von Oesterreich urtheilt 1799 in einem Briefe an
Johannes von Müller (Briefe an J. v. M., Schaffhausen 1840,
Bd. 6, S. 19) über jene Seelisberger Sage also: yaitrouve dans
Valmanac suisse de ly^ö un passage qui ffiafrappe et que je sou-
haiterois voir accompli, Le peuple pretend que dans une des
cavemes du Seelisberg il y a les trois Teils y qui dorment jusq^au
temps oü la Suisse sera dans une grande calamite, pour pouvoir
la delivrer. Je souhaiterois bien que dans le nombre de trois Teils
nous deux y fussions compris. Das Volk, nach Thaten rechnend,
und nicht nach vornehmen Worten und Wünschen, weiss zur
Stunde noch nichts von jenen zwei briefwechselnden Persönlichkeiten,
gleichwohl aber hat es den erzherzoglichen Oheim des Einen
wirklich den drei Eidgenossen beigezählt und redet in diesem
patriotischen Sinne noch von ihm. Dies wird sich sogleich zeigen,
wenn erst das Seelisberger Thema zu Ende geführt ist. Ein
Weidbube aus dem aargauer Obern Freiamte hat uns Nachfolgendes
schon vor nun zwanzig Jahren mündlich erzählt. Als seinen
Gewährsmann nannte er einen Sennenknecht aus dem Luzerner
Entlebuch; Personen- und Ortsnamen, Teil und Axenberg, waren
ihm unbekannt, sein Histörchen hatte keinen andern Namen als
»Der Geissbube und die drei Mannen.« Buchstäblich getreu nach
der Ortsmundart theilen wir die Sage mit:
S'ist ä mol en Bueb im Entlebuech üf d' Alb gangä. Es hat
si nä Chue verirrt in äs Tobel; do ist er einist det abä gangä
und isch lang dinn ummä gloffä. Do chunt er z'letzt zue-m-enä
altä Tor und isch det inä ; er het aber bloss inä chönnä. Wu-n-er
inä chunt, sä g'seht er en grossä Tisch und a dem sind Drei mit
langä Bärtä g'legä. Wu-n-er nöcher gangä-n-isch , sä luegt
eine von enä-n-üf und frogt en: wellä Jorgang ass me zällä?
Wu-n-ers gseit g'ha het, sä frogt en Sällä do: ob men üf der
Wält der Rosechranz au no beti ? Do seit der Weidbueb wiedrum,
Jo! Do het aber da, wu-n-en g^frogt g'ha het, zue denä andrenä
g'seit : Oheie, und iez gceis no so und so lang, bis sie erlöst seigä.
Der Bueb het aber nit gehöre möge, wie lang. Er ist do wieder
fürt und häts da Lütä verzält. Wu aber die cho sind, hend se nüt
me fundä. — Vgl. Grimm, Deutsche Sagen, no. 297.
J
7. Die drei Teilen am Rütli und die drei Zauberschläfer im Axenberge. 135
Wenn im Luzemer Gebiete von den Entlebucher Bergen
Rothhorn und Enzifluh her zuweilen' ein dumpfes Donnern, rasch
abgebrochen. und wieder begonnen, Kanonenschüssen ähnlich, sich
hören lässt, so nennt man in unsrer Landschaft dies Phänomen
bald das Rothhorn-, bald das Rothenburger Schiessen. Um
luzemisch Dietwil an der Reuss im Obern Freiamte heisst es
dagegen: Prinz Karli exerziere im Berge mit seiner Armee
und werde, sobald der Antichrist erscheine, herauskommen und
ihn schlagen. (Lütolf, Fünfortische Sagen, S. 93.) Auf Seite der
Gelehrten und Belesnen gilt nun die Annahme, der hier bezeichnete
Held sei Karl 'der Grosse. Als ob das Volk Zeit hätte, sich mit
dem gelehrten Karlingischen Sagenkreise und mit der Mönchs"
chronik des Pseudo-Turpin zu schleppen! Weiss es doch über
Kaiser Karl nicht einmal die Angaben der Luzemer- oder der
Züricher Stadtchronik, welche doch schon so lange gedruckt und
Schweizer-geschichtlich verbreitet worden sind. Der eben genannte
Sagenforscher Lütolf fügt seinem Berichte ausdrücklich bei, die
Luzerner Bevölkerung denke sich unter Karli den aus der Kriegs-
geschichte der neunziger Jahre noch immer bekannten Gegner
Napoleons, durch dessen momentan glückliche Operationen die
damalige Schweiz, früherhin ausschliesslich französisch gesinnt, rasch
gut österreichisch geworden war. Sie stellte den Erzherzog dem
siegreichen französischen Konsul an Ehren und Erfolg völlig gleich.
Ein »Lied auf den Frieden«, Luzem, zu haben bei Meyer u. Comp.
1801 (Fl. BL, Aargau. Kt.-Bblth. L 385, y) sagt in seiner Strophe
23 von diesen beiden Kriegshelden:
Es läbi der fränkische Kon sei noch lang,
Prinz Karli läV mit em im glychlige Rang,
Se macht üs der Krieg eüser Läbtig nid bang.
Der Prinz Karli des Liedes ist mithin der Österreicher Herzog,
welcher aber als derselbe Prinz Karli der Sage sammt seiner
gerüsteten Armee verzaubert im Berge wohnt und da durch
dumpfe Kanonenschläge das Heranrücken der künftigen Welt-
schlacht ankündet.
Solche berg-entrückte Zauberschläfer versetzt die Sage noch an
mancherlei andere Orte der Schweiz und legt ihnen auch da bald
altrömische oder altchristliche Benennung und Abkunft bei, bald
lässt es sie gänzlich namenlos. So sitzen im Frackstein im
Prättigäu drei Männer und schlafen, wer sie sind, weiss Niemand.
I -26 I. Der Sagenkreis von Teil.
Sprecher von Berneck, in der Insbrugger Ztschr. Phönix 1851,
264. Kaiser Nero sitzt im Schlossbrunnen zu Nürnberg (Fr.
Daumer, Alterthum 1833. II, 34) und derselbe im Sodbrunnen
zu Sissery, im Kt. Wallis; so oft er drunten stöhnt, steigen
Wasserblasen auf. Reithard, Sagen aus der Schweiz 1853, S. 489.
In der Fluhwand bei der Bründlenalp auf dem Pilatusberge sitzt
im Dominikloche der heilige Dominik am steinernen Tische und
antwortet, wenn man den Namen Domili hinaufruft. Ein mächtiges
Echo giebt dann langsam und gedehnt das ausgesprochene
Wort zurück. Die dortigen Sennen aber behaupten, wer ihm
einen andern Namen zurufe, der sterbe zuverlässig in demselben
Jahre. Zürcher Neujahrs-Bl. der Musikgesellsch. 18 18, S. 2. Alte
diese Einzelzüge sind nur die missdeuteten, unkennbar gewordnen
Trümmer eines und desselben vorgeschichtlichen Volksglaubens
über einen einst weithin bekannt und vielen Völkerschaften
gemeinsam gewesenen göttlichen Helden Teil. Noch lebt er unter
dem Namen Toll und zu dem eben betonten Zwecke einstiger
Wiederkehr und Volksbefreiung im Munde der Inselschweden und
Ehsten fort, seine Burg und sein Grab werden auf der Insel Oesel
hergezeigt. Russwurm, Eibofolke §. 393. Sammt seinem Schlosse
versunken in den See Tilsgraben, sitzt da der Ritter Tils drunten
verzaubert im Rittersaäle, mit weissem durch den Tisch gewachsenen
Barte. Harry, Niedersächs. Sag. i, no. 2. Dies ist zur Strafe
des wiederholten Schusses nach einem Hirschen, der ein Crucifix
zwischen dem Geweih trug. Am Oster- und Pfingsttage kommt
die Bevölkerung der Umgegend am Tilsgraben zusammen, schliesst
aus dem Wasserstande des Sees auf den Erfolg, der kommenden
Kornernte, schlägt Ball und kocht sich Kaffe. Kuhn, Westfäl.
Sag. I, S. 316 bis 335. Die von ihren Stadtpatriziern unter-
drückten Schweizerbauern hatten bis zu Ende des siebzehnten
Jahrhunderts an dem tröstlichen Glauben festgehalten, der aus
dem Schlaf erwachende und wiederkehrende Teil werde ihrer
Noth abhelfen; sie sangen 1653:
Ach Teil, ich wollt' dich fragen.
Wach auf von deinem Schlaf!
Die Landvögt' wend All^s haben,
Ross', Rinder, Kalb und Schaf.*)
•) Zeitschr. Helvetia, Bd. 1830, S. 628, Strophe 6.
7- Die drei Teilen am Rütli und die drei Zauberschläfer im Axenberge. 1-27
Die Regenten dagegen sahen in diesem Volksglauben eine doppelte
unerhörte Ketzerei; denn man machte den Teil zum Patron der
Rebellen und versetzte ihn überdies, anstatt in den Christenhimmel
der Seeligen, in die Berghöhlen zu Gespenstern. Lieder solchen
Inhaltes Hess darum die Obrigkeit durch Henkershand verbrennen
und durch Gegenli,eder widerlegen. So geschah es in der Stadt
Zug 1735, als hier die Partei Schumachers, nach dem politischen
Sturze dieses Mannes, ein Lied singen Hess, worin der Gegenpartei
die Rache des aus dem Axenberge bald hervorgehenden Teil
angedroht war. Die obrigkeitliche Antwort darauf war ein 39
Strophen langes Gedicht: »Das entlarfte Tellgespenst oder Ent-
deckung und Zergliederung des Neuen Teil.«*) Hier wird der
christenwidrige Bauern- Aberglaube also angelassen:
Ich weiss es nicht zu sagen,
Was das sei für ein Teil?
Es will mir nicht in Magen,
Es seie der Gesell,
Der dort vor alten Zeiten
Nicht hat geehrt den Filz;
Es will mir eher deuten,
Es. sei ein Bauernrülz.
Ja, eher will ich trauen,
Es sei ein Wustgesicht,
Von einer Zuger-Frauen
Aus Endor zugericht.
Dann Er steigt aus der Erden,
Aus einem dunklen Ort,
Und redet von Beschwerden
Nur lauter Lugenwort.
Der recht Teil ist im Himmel! u. s. w.
Gehen wir nun an die Erklärung dieses gegenseitigen Wider-
spruches.
In den Höhlen der Berge wohnten die ersten Menschen, hier
bestatteten sie auch ihre Todten zur Grabesruhe. In den Berg
gehen, in den Hügel gehen, heisst dem Germanen Sterben. Die
*) Handschriftlich auf der Aargauer Kant.-Bblth.: Ms. Bibl. Mur. fol. 66;
, Blftt 267 und 274.
I
[
Iß8 I* ^^ Sagenkreis von TelL
verstorbenen Stammväter und Fürsten der Urzeit „gehen daher
in den Berg, sitzen oder liegen im Berge." Noch in Joh. Acker-
manns Gespräch mit dem Tode wird dieser angeredet: „Herr
Tot, Hauptman vom Berge." W. Wackemagel, Lesb. 1139,
Vers 18. Den ältesten Germanen wohnten selbst die Götter in
den Bergen, und erst später auf oder über deren GipfeL Lässt
daher ein Volksstamm seinen Begründer im Berge begraben sein,
so lag eine Vermischung des Stammvaters, der selber wieder
einen Gott zum Vater hat, mit dem Gotte ganz nahe, der gleich-
falls im Berge thronte. Gott Manilus ist bei Tacitus der Sohn
der Erde. Jeder einzelne Stamm hat so seinen eigenen Götter-
berg, sein eigenes Schlachtfeld, auf das der schlafende Gott her-
austreten wird zur Entscheidung und zum endlichen Weltfrieden.
Als dann das spätere Zeitalter die Leichen nicht mehr in den
Berg trug, sondern dem Feuer übergab und in Rauch gen Him-
mel schickte, da mag man sich gewöhnt haben, auch die Götter
über den Wolken wohnend zu denken. Die Chinesen schreiben
ihrem Kaiser Hoam Ti (125 1) die Erfindung des Schmiedens,
Schiffbaues, Gewichtes und Masses, der Zahl, Töpferei und Jägerei
zu, und behaupten, er lebe noch jetzt auf einem hohen Berge,
auf dem das irdische Paradies sei. Diebolt, Historische Welt,
Zürich 1715, S. 1365. Ebenso hat auch die deutsche Volkssage
das Aeltere bewahrt und verweist mit ihren im Berge fortschlaf-
enden Lieblingshelden auf die Zeiten des Grabalters und der
Hügelbestattung zurück, welche beide dem Brennalter voraus-
giengen (Simrock, Myth. 367). Leiblich im Berge und geistig in
Walhalla zugleich sein, war also Volksglauben. Der Ritter Tann-
häuser geht lebend in den Venusberg ein, der sich auf ewig
hinter ihm schliesst; dennoch wird er zuletzt ein Gott und die
Schlüssel des Himmelreichs sind ihm anvertraut. Aventinus, baier.
Chronik 45. Als dann der Gesichtskreis der Völker sich erwei-
terte und damit ein geschichtliches Erinnerungsvermögen bei ihnen
wuchs, klammerte sich dieselbe Sage noch an das Andenken und
den Namen der Verabscheuten, und darum hiess es nun, auch
solche, welche durch ihre Thaten tiefsten Hass erregt hatten,
lebten nach ihrem Tode fort. Die Schweizersage, Nero sitze
verwünscht im Brunnen zu Sissery, hatte, zu dieses Tyrannen
Zeit selbst schon, Römer und Christen in nahverwandter Art be-
schäftigt. Als Nero aus der empörten Hauptstadt floh und von
seinem Sklaven sich den Tod hatte geben lassen, begann eine
i
7« Die drei Teilen am Rütli und die drei Zauberschläfer im Axenberge. i -20
Zeit äusserster Reichsverwirrung, in welcher der Glaube entstand,
der Tyrann sei nicht gestorben, sondern zu den Parthem ent-
wichen, um mit zahllosen Reiterschaaren gegen Rom heran zu
ziehen. Begierig griffen die damaligen Christen dies Märchen auf
und versetzten es in ihre Offenbarung - Johannis , wo Nero als
Antichrist, als das Thier mit sieben Häuptern und zehn Hörnern,
zur Wiederkehr bereit steht und seinen Anhängern das Malzeichen
666 einbrennt, d. i., ausgedrückt im Zahlenwerthe der griechischen
Buchstaben: Neron Kaisar.
Nach des ersten Napoleon Tode gieng eine ähnliche Sage durch
Europa und setzte sogar die Nomadenstämme Süd-Russlands in Auf-
regung. Eine darüber erschienene Flugschrift trägt folgenden Titel :
Zehn sehr wichtige Gründe für die Vermuthung, dass Hussein
Pascha, Oberbefehlshaber der ottomanischen Heere, der wieder
auferstandene zurückgekehrte Napoleon sei. Berlin in der akadem.
Buchhdl. 1829. Ein anderes gegentheiliges Gerücht verbreitete
sich 1848 in Tirol auf die Nachricht hin, dass die österreichischen
Truppen in Italien den vereinten italo -französischen Waffen unter-
legen seien: Der Sandwirth Hofer, hiess es, lebe im Berge zu
Ilfingen oder auch in der Sarner- Scharte und werde das Volk
abermals aufbieten (Zingerle, Tirol. Sag. No. 370). Ebenso tauchte
damals in Mähren die Nachricht auf von der Wiederkehr des ver-
lorenen Fürstensohnes Jecminek, und der böhmische Landmann
erwartete den St. Wenzel und das Wiedererwachen des Helden
Zdenko von Zasnink, der mit seinen Gerüsteten im Berge Blanik
beim Städtchen Jung-Woziz ^luf einer Steinbank schläft. Ver-
wandte Sagen finden sich bei fast allen uns bekannt gewordenen
Völkern und können in mehreren Sammelwerken nachgelesen
werden*). Hat sich die Kirchenlegende mit eingemischt, so weist
sie zu ihr^r eigenen Bewahrheitung auch die bestimmte Höhle
sammt Kapelle mit vor; so z. B. beides in Ephesus zur Be-
glaubigung der dorten kirchlich verehrten Siebenschläfer, zu denen
die Griechen auch heute noch zu wallfahren pflegen. Ein kurzes
Wort Voltaire's hierüber wird genügen: • y.Aucun Grec tCen a
Jamals doute dans Ephese; ces Grecs n^ont pu etre abuses; ils
riont pu abuser personne; donc Phistoire des Septs Dormants est
*) Grimm, Deutsche Sagen, Zweiter Th. i; 28; 33; 214; 382. W. Menzel,
Odin, S. 317 — 340. Veraaleken, Oesterreichische Mythen und Bräuche (1859)
S. 109 — 116.
140 !• ^^^ Sagenkreis von Teil.
incontestable*\ Questions sur PEncyclopedie., Tome quatrieme.
Londres 1776, pag, p/. Wir selbst wenden uns zum Thema und
zur Frage zurück, woher die Dreigliederigkeit im Tellenmythus
stamme. '
Sie ist ein religiöser Abkömmling jener Trinitäten und Trium-
virate, in welche sich Götter- und Königsdynastien, Stammväter
und Heldengeschlechter zu gliedern pflegen. Der Grund hiezu
ist in der Dreizahl selbst gegeben, welche die erste Vereinbarung
der Zwei zu einem und demselben Zwecke ist und an den schon
voraus erwähnten Wahlspruch des politisch dreigegliederten Grau-
bündner-Landes erinnert : Omne trinum perfectum, ■ Es soll nun
dieser Dreiverein nicht allein nach dem Alter seiner mythischen
Abkunft, sondern als die älteste Grundlage der Tellischen
Schützensage überhaupt hier zum Ende nachgewiesen werden.
Die Begleiter der beiden indischen Aethergottheiten Indra
und Rudra sind die Ribhus, deren Name im Indischen selbst als
Sonnenstrahlen übersetzt ist und die zugleich treffliche Bogen-
schützen sind. Aus ihrer Schaar ragen drei Brüder durch ihre
Thaten besonders hervor: Ribhus, Vibhva und Vayas. Sie ent-
sprechen aber, wie Adalb. Kuhn nachgewiesen hat (Zeitschr.
Bd. 4, S. 95 u. iio), genau jenen drei von der germanischen
Mythe gefeierten Brüdern, die da heissen: Wieland, der Kunst-
schmied; Slagfidhr, der beflügelte Pfeil ; undEigil, die scharf
durchdringende Pfeilspitze. Diese drei sind Söhne des Riesen-
königs, Grewitterherm und Bootbauers Wato (eine Hypostase des
Wuotan) und vermählt mit drei Walküren : Schwanenweiss, Schnee-
weiss und Allweis. Eigil, der eine dieser drei Schützenbrüder,
muss seinem dreijährigen Söhnlein auf König Nidungs Befehl
einen Apfel vom Haupte schiessen. Das Northumbrische, auf
altenglischen Erzählungen beruhende Volkslied besinget die drei
vereinten Treffschützen Adam Bell, Clym of the Clough (Clemens
von der Klippe) und William of Cloudesly (also auch hier ein
Schütze mit dem Vornamen Wilhelm). Sie sind Wilddiebe, haben
des Königs Trabanten erschossen, sind zu Dritt gefang^i und
zum Galgen verurtheilt. Doch darf William am Wege zum
Tode vor dem Könige noch einen Meisterschuss tfaun, scbiesst
seinem siebenjährigen Sohne auf 120 Schritte einen Apfel vom
Haupte, befreit damit sich und die zwei Mitgesellen und wird
des Königs Bogenträger:
7- Die drei Teilen am Rütli und die drei Zauberschläfer im Axenberge. 141
Wilhelm schoss den Apfel entzwei,
Sein Sohn litt keine Noth;
Der König sprach: dein Ziel zu sein,
Davor bewahr mich Gottl
Die weiter nach Nordosten wandernde Sage hat sich mit
den Schweden im Rigaischen Meerbusen auf der Insel Oesel
niedergelassen, wo die drei Riesenbrüder TöU (dorten auch Teil
genannt), Leigre und Neider hausen. (Russwurm, Sage aus Hap-
sal, S. II.) Der mythische Nationalheld bei den zunächst an-
grenzenden Ehsten ist Kallewipoeg und hat seine zwei Brüder
ähnlichen Wesens Alewipoeg und Sulewipoeg neben sich*). Die
Sage wird hierauf von den Ehsten aus zu deren vormaligen Grenz-
nachbam, den Lappen, übergegangen sein, in deren Mythe dei*
Hauptheld und Riesenvernichter Päiwiö zwei Söhne hat, Wuolabba
(Olof) und Isaak. Des Letzteren Sicherheit im Pfeilschiessen war
so gross, dass er eine Flussäsche traf, wenn sie nur aus der
Oberfläche des Wassers hervortauchte. Seinen Meisterschuss voll-
führte er gegen die räuberischen Russen. Da war ein von Kopf
bis zu Fuss gewappneter Russenhäuptling so unbeweglich in seinen
Panzer geschnallt, dass ihm der Knecht die Mahlzeit in den Mund
stecken musste. Als er eben gefüttert werden sollte, erlauerte
ihn Isaak ; und während jenem der Knecht die Gabel zum Munde
führte, kam des Gegners Pfeil geflogen, traf die Gabel und trieb
sie dem Häuptlinge in den Hals. Castren, Reise - Erinnerungen
bis z. J. 1844. Petersburg 1853, S. 19. Als Lehrmeister in
Handhabung des Bogens galten den Nordgermanen die Finnen.
Unter diesen pries die Ueberlieferung den Finnenkönig Gusi als
den berühmtesten Schützen. Er besass drei Zauberpfeile Flog,
Hremsa und Fifa, die an den Norweger Ketil-Häng, der ihn er-
schossen hatte, und von diesem an Oervarodd (d. i. Pfeilspitze)
gelangten, welche beide nachmals die grössten Thaten gegen
sonst schussfestes Volk ausübten. Oervarodd erhielt zu den drei
finnischen Gusipfeilen später auch drei Steinpfeile, welche jene
an Macht und Zauberei, noch übertrafen. Weinhold, Altnord.
Leben 205. Wie alsdann Laurukadsch, der Held der Finnen und
Lappen, damit den Apfel vom Haupte schiesst, im Sturme die
*) Ueber Kallewipoeg handelt mehrfach Schott: Die ehstnische Sage etc.
Monatsberichte der Berliner Akad., Jahrg. 1859, 1862 u. 66. — Kalewipoeg, eine
ehstn. Sage, metrisch übersetzt von Reinthal; 6 Hefte. Dorpat 1857 — 61.
I
XA2 !• ^^r Sagenkreis von Teil.
Seefahrt wagt, dabei auf die Platte entspringt und zugleich den
Erbfeind in die Wellen zurückschleudert — davon ist im vierten
Abschnitte gehandelt worden.
Aber noch ein ganz anderes Geister- und Geistesverhältniss
macht sich bei dieser weitreichenden Trilogie bemerkbar und voll-
endet sie bedeutsam. Die drei grossen Sagen von Hamlet,
Faust und Teil theilen nemlich darin das gleiche Schicksal,
dass sie zu Dritt unsre drei grössten neuzeitlichen Dichter über-
rascht haben und von ihnen zur poetischen Apotheose gebracht
worden sind, noch bevor die Geschichts- und Mythenforschung
sich dieser Stoffe hatte zu bemächtigen gewusst. Die Wirkung
eines so verfrühten künstlerischen Vorgreifens dauert bis heute
im allgemeinen Urtheile fort. Denn hiemit ist nicht bloss, was
ursprünglich eine dichtende Volkssage war, als Sagendichtung für im-
mer abgeschlossen worden, sondern das künstlerische Gelingen
war ein so geistesmächtiges, vollkommenes, dass die überwältigten
Leser diese Werke auf Treu und Glauben als förmliche Geschichts-
quellen hingenommen haben.
VIII
Geschichte der drei Teilskapellen.
I. Die Kapelle zu Bürglen in Uri.
Eine halbe Stunde oberhalb Altorf in Uri liegt am Eingange
des Schächenthales das Dorf Bürglen, ein uralter Ort. Von seiner
Pfarre reden bereits die beiden Urkunden v. J. 853 und 13. März
857*), in denen König Ludwig der Deutsche dem Priester Berold,
als dem Kaplan des Züricher Frauenconventes, die lebenslängliche
Nutzung der Pfründe an der Peterskapelle in Zürich und an zwei
anderen Kapellen zu Silenen und Bürglen in Uri bewilligt: coft"
cessit . . . capellani hi villa Zürich nee non et alteras duas in
volle Uronia in locis cognominantibus Burgilla et Silana,
Hier im Dorfe auf einer anmuthigen Höhe bezeichnet jetzt eine
kleine, mit Scenen aus Teils Leben bemalte Kapelle den Stand-
ort des Hauses, das einst Wilh. Teil bewohnt haben soll. Aussen-
her ist folgende Aufschrift zu lesen :
AUhier auf dem Platz dieser Kapell
Hat vormals gewohnt der Wilhelm Teil,
Der treue Retter des Vaterlands,
Der theure Urheber des freien Stands.
Dem zum Dank, Gott aber zur Ehr,
Ward diese Kapell gesetzet her**).
•) G. V. Wyss, Urkk. zur Gesch. der Abtei Zürichs, Beilage No. 2, und
Erstes Buch, Anm. 63. Das Original der Urk, v. 857 liegt in Zürich und zeigt
Merkmale der Unechtheit. — Ein R., plebanus de Burgelon in Uronia, ur-
kundet daselbst am 15. Januar 1247 und findet sich erwähnt in Zuriaubens Helvet.
Stemmatographie (Ms.) tom. 40, pag. 354.
*•) Copirt, wohl auch modernisirt, von Fr. Meisner, Kl. Reisen. Bern 1823.
iii, 135.
IAA I. Der Sagenkreis von Teil.
Den nächst umliegenden Raum profaniert heute ein Zum
Wilhelm Teil geschildeter Gasthof und droht mit seiner Breite
das bescheidene Kapellchen zu erdrücken. Unmittelbar dahinter
ragt ein epheu-umsponnenes Thurmfragment empor, einst zu der
Zeit, da das untere Land Uri noch an's Züricher Frauenmünster-
Stift gehörte, der Sitz des herrschaftlichen Hausmeiers. Wer seit
den letzten fünfziger Jahren die hier stationirt gewesene Pförtnerin
getroffen hat, der bekam auch ihren im Tone der Zweifellosigkeit
erstatteten Bericht anzuhören, dass der Thurm zu einem Schlosse
gehört und in demselben weiland Teils Schwiegervater, der Herr
von Attinghausen, ein alter edler Ritter, gewohnt habe. Genau
so drückte die Frau sich aus. Der Fremde staunte und dachte,
woher weiss sie dies? Der Einheimische jedoch und mit dem
Landesbrauche Vertraute mochte die Angaben der Erzählerin
ganz dem Landesherkommen gemäss finden. Denn warum sollte
nicht auch diesem urdemokratischen Umervolke die allgemeine
Sucht eingeboren sein, vornehm sein und seines Gleichen vor-
nehm machen zu wollen? Da der geistige Adel für sich allein
keinen Kurs hat, wenn er nicht wenigstens auf der Reversseite
noch ein Adelswappen trägt, so hatten bereits die frühesten
Schweizerchronisten sämmtliche beim Rütlibunde betheiligt ge-
wesene Männer zu Adeligen nobilitirt, und die Folgezeit hat es
buchstäblich geglaubt. Selbst der wegen seiner Allbelesenheit
so berühmt gewesene Marschall Ficjel von Zurlauben, welchen
Johannes von Müller das lebendige Schweizerarchiv zu nennen
pflegte, verunstaltete alle seine Studien und Arbeiten durch die
grellen Spuren dieser dem Emporkömmling anhaftenden Gross-
mannssucht. In dem umfangreichen Wappenbuche z. B.,. das er
sich aus allen möglichen Urkunden, Acten und Drucken zusammen
stellte, hat er alles Ernstes ein »Verzeichniss des Uri-adelU an-
gelegt, giebt da in einem blasonirten Abbilde »Das Willem
Tellen-waapen« zum Besten und lässt dann ebenso beim
Unterwaldner Adel »Des Aerni von Melchthall-waapen«, wiederum
blasonirt, darauf folgen*). Mit demselben luxuriösen Enkelstolze
hat man bekanntlich für Längstverstorbene Grabsteine nachge-
macht**), und nicht nur für sagenhafte, sondern sogar für rein
mythische Namen Glasgemälde kirchlich nachgestiftet, wie deren
*) In Bd. 4, S. 311 u. 319 der handschriftl. Helvet Stemmatographie.
**) Heffner von Alleneck, Handb. der Heraldik I, 23.
8. Geschichte der drei Tellskapellen. jac
eines für Wemher Staufacher und dessen Frau Herlobig in
der Kirche zu Art, ein anderes für Schrutan Winkelried in
der Abtei zu Engelberg ist oder gewesen ist. Argovia, Bd. 8,
241. Man ist aber bei derlei antiquarischen Spielereien nicht
stehen geblieben; denn um einen unerweislichen Personennamen,
oder eine voraus geglaubte Thatsache der historischen Ungewiss-
heit zu entziehen, hat man sich auf das Gebiet der historischen
Diplomatik gewagt, Urkunden geschmiedet, historische Inschriften
ersonnen und selbst Kirchenbücher in Namen und Zahlen ge-
fälscht, Alles dies in der gewöhnlichen Meinung, ein spiessbürger-
licher Eigendünkel sei auch schon Nationalstolz, diesen aber
weiter auszubreiten, sei ein tugendhafter und patriotischer Zweck,
welcher darum die gewählten Mittel des Betruges heilige.
Fälle solcher Art liegen gerade in Bürglen vor. Denn hier,
als am angeblichen Geburtsorte Teils, hatte man für den Namen
und die Existenz dieses Helden Documente und Monumente
künstlich geschaffen und sie schon seit so langer Zeit zur amt-
lichen Geltung gebracht, dass zuletzt sogar noch ein Johannes
von Müller sich dadurch eingeschüchtert fühlte und mit Unter-
drückung seines besseren Wissens über Teil bekannte: Gewiss
hat dieser Held i. J. 1307 gelebt und an den Orten, wo Gott für
das Glück seiner Thaten gedankt wird, solche Unternehmungen
wider die Unterdrücker der Waldstätte gethan, durch die dem
Vaterland Vortheil erwachsen, so dass er das dankbare Andenken
der Nachkommen verdient*). Es ist darum unerlässlich , die-
jenigen Gewährsmänner und Schriftstücke hier vorzuführen, auf
welche sich die genannte Bürglener Tradition stützt, und da weit-
aus deren meistes Material sich an die Namen zweier Urner
knüpft, des Johannes Imhoff und des K. L. Müller, so ist zu-
nächst von diesen Beiden nun die Rede.
Der Berner Pfarrer Uriel Freudenberger hatte über die
historischen Schwächen der Tellengeschichte einen kleinen Auf-
satz verfasst und denselben 1752 durch seine Freunde in der ka-
tholischen Schweiz dem Urner Pfarrvikar Johannes (alias Joseph)
Imhoff zu Schaddorf in die Hand spielen lassen unter dem gut-
müthig lautenden, aber ironisch gemeinten Ansinnen, man möge
den geschichtlich unbewanderten Opponenten mittels der in Uri
So reichlich vorhandenen Tellenurkunden kurzweg widerlegen.
*) Schweiz. Gesch. I, 644 — 45.
Rochholz, Teil und Gessler. lO
146 !• ^^ Sagenkreis von Teil.
Die Intrigue war richtig vorberechnet, denn die erbetenen Docu-
mente wären wirklich auch in Uri so wenig vorhanden, dass Im-
hoff erst sieben Jahre hernach, am 30. Mai und 4. Brachm. 1759,
eine Reihe inzwischen aufgesammelter Schriftstücke*) zu über-
senden vermochte, welche sich auf den ersten Blick als höchst
abenteuerliche und erfolglose Bagatellen erwiesen. Sogleich auf
diese nichtigen Papiere hin veröffentlichte Freudenberger anonym
seine französische Broschüre: Guillaume Teil, fable Danoise.
1760. Sie musste ebenso rasch in mehreren Kantonen obrigkeit-
lich confiscirt, verbrannt, ja durch eben dieselben Männer Bal-
thasar und Haller öffentlich widerlegt werden, durch deren Hand
vorher jener Schriftenaustausch nach und von Uri gegangen war.
Nun aber fielen diese neuesten Apologeten Teils ernstlich und
zwangsweise in diejenige Rolle zurück, welche Freudenberger vor-
her nur scherzhaft gespielt hätte, denn auch sie suchten, um die
Fable Danoise zu .widerlegen, in Uri alsbald weiter nach be-
weisenden Documenten, erhielten solche ebenfalls zugeschickt,
und siehe, dieselben waren nicht weniger Träume und Fälschungen,
als vorher diejenigen von Imhoff überschickten. So geschah es
namentlich dem gelehrten Luzemer Staatsmann Felix von Bal-
thasar in seiner Schrift »Schutzschrift für Wilh. Teil,« Zürich
1760**), als er in ihr das Zeugniss der Pseudo-Klingenberger-
Chronik anrief, wie folgt: »Der verstorbene Herr Landamman
Püntener (aus Uri) . hat emsig verschiedene Archive durchsucht,
um die Beweise für das Dasein Teils aufzufinden, und fand unter
Anderem in einer alten Klingenberger Chronik folgende Worte:
Wilhehnus Tello, Uraniensis libertatis propugnator, cum suis li-
beris Guilielmo et Gvaltero^ natu minima^ vixit anno isoy. Ejus
Stemma nondum extinctum est, Fuit post belli quietem Meyerus
in Burgla ecclesice Thuricensis jure, et Walther o (!) Furstii ab
Attingkhusay sui antesignani, gener cegregius; uterque in bello
Morgartensi anno Jj/j'.***^/
*) »Gründe für die Wahrheit der Geschichte dess Wilh. Teilen, begleitet mit
15 Extracten aus Urkunden der Landesarchive.« Auf der Berner Stadtbibliothek
bezeichnet: Telliana H. II, 40.
**) Gleichzeitig auch in französischer Ausgabe erschienen: La Defense de
Guül. Teil.
***) Auf deutsch: Wilhelm Teil, der Freiheit Vertheidiger, mit seinen Söhnen
Wilhelm und Walther, dem jüngeren, hat im Jahre 1307 gelebt. Sein Stamm ist
8. Geschichte der drei Tellskapellen. \a*j
So viele Angaben diese Stelle macht, eben so viele Zeug-
nisse plumper Unwissenheit trägt sie zur Schau. Allerdings war
das Bürglener Meieramt ein Lehen der Äbtissin des Zürcher
Frauenmünsterstiftes , allein sämmtliche Züricher Schriften, die
über dieses Bürglener Patronatsrecht handeln, kennen keinen
Meier Namens Teil; erstlich einen Meyerus nicht, weil ein sol-
cher in der Amtssprache des Zürcherstiftes stabil und ausschliess-
lich villicus betitelt war; und sodann einen Teil nicht, da dieser
Personenname selbst in den vier Archiven und in sämmtlichen
Ehe-, Tauf- und Todtenbüchem der Urkantone gleichfalls mit
keiner Sylbe zu finden ist. Auch müsste obige Textstelle ^ec-
clesÜB thuricensiSy « wenn sie echt sein sollte , zu lauten haben :
Mo nasterium abbatiae thuricensis. Kopp, Geschichtsblätter I,
241. »Besonders ist das ejus stemm a nondum extinctum
est im Munde eines gleichzeitigen Schriftstellers ein Widersinn
und weist auf eine Zeit hin, wo die Urner »Näll« sich »Täll«
nannten, aber schon dem Aussterben nahe waren.« A. Huber,
Die Waldstätte etc., S. 125. Woher aber nahm Püntener diese
an Balthasar überschickte Lateinstelle? Aus der Klingen-
berger Chronik, behauptet er; dies ist unmöglich. Das Sammel-
werk, dem man fälschlich den Namen einer Chronik der Thur-
gauer Edeln von Klingenberg beigelegt hat, ist nemlich eine
deutsche Zürcher-Stadtchronik, in österreichischem Partei-Inter-
esse geschrieben, kann schon aus diesem Grunde einen lobprei-
senden Passus auf Wilh. Teil nicht enthalten und nennt auch,
wie der von Anton Henne besorgte Abdruck jetzt bezeugt, des
Befreiers Namen nicht ein einziges mal. Püntener muss also sein
Citat in einer ähnlich beschaffenen, auf die Klingenbergische sich
berufenden Chronik gefunden haben, und dies ist diejenige seines
gleichnamigen Ahnen Johann Püntiner gewesen. Letzterer, der
von den Jahren 1441 bis 1468 abwechselnd als Landesstatthalter
und als Landammann zu Uri in der Regierung gestanden, den
alten Zürichkrieg mitgemacht und dabei eine Wunde davon ge-
tragen hatte, war Verfasser einer Chronica miscella, welche
noch nicht erloschen. Nachdem der Krieg beigelegt war, wurde er Verwalter zu
Büiglen für die Kirche zu Zürich, und berühmter Tochtermann von Walther
Fürst von Attinghausen, seinem Rottenführer. Beide haben an dem Kriege zu
Morgarten 1315 theilgenommen. — Dieser Satz ist zugleich die Quelle jener
Berichterstattung, mit welcher die oben erwähnte Pförtnerin auf der Bürglener
Thurmruine die fremden Besucher zu empfangen pflegte.
lo*
1^8 !• ^^ Sagenkreis von Teil.
beim Brande des Fleckens Altorf 1799 ein Raub der Flammen
geworden sein soll. Obschon sie nun für immer verloren ist,
so kennt man sie doch nach ihrem Inhalte genugsam, theils durch
alle älteren Chronisten, welche gemeinsam aus ihr geschöpft
haben, ohne sie zu nennen, theils durch die neueren Greschicht-
schreiber der drei Länder, denen sie noch vorlag und welche
Auszüge daraus geliefert haben; so Schmid von Uri, Fassbind
von Schwyz und Businger von Unterwaiden. Sie Alle beweisen,
dass ihr Original eine fabelhafte Geschichte der Vor- oder Urzeit
enthalten hat und zwar ganz in jenem Alles durcheinander wür-
felnden Mönchsgeschmacke, in welchem die altdeutschen Welt-
chroniken geschrieben sind. Püntiner fuhrt den Ursprung seiner
Urner auf den Gothenkönig Alarich zurück, lässt sie Rom er-
obern und ihre Landespanner daselbst von dem Papste, den sie
wieder einsetzen, zum Lohne empfangen*). Dies sei i. J. 398
geschehen und stehe in der Chronik des Klosters Seedörf (ein
zunächst dem Flecken Altorf gelegenes Klösterlein). So wurde,
sagt hierüber Burckhardt (im Archiv f Schweizer -Geschichte,
Bd. IV) durch Schriften, die keine Quelle in der Volkssage hatten,
dem Volke eine Erfindung beigebracht, die dann von demselben
erst wieder auf seine Weise vervielfältigt worden ist. Und die
Forscher, die sich darauf als auf wahre Volkssage verliessen,
übersahen, dass jede mündliche Ueberlieferung , die durch viele
Jahrhunderte hindurch etwas berichten soll, immer nur- auf ein-
zelnen Begebenheiten und Umständen gehaftet und niemals auf
eine politisch zusammenhängende Geschichte sich ausgedehnt hat.
Teil aber wurde ja gerade zum Mittelpunkte der Unabhängig-
keitsgeschichte gemacht.
Wendet man sich nun auf jene ImhofTschen Telliana zurück
und fragt, ob auch in ihnen eine Kenntniss der von Püntiner auf-
gestellten Teilen-Genealogie enthalten sei, so ist zu erwiedem,
dieselben verrathen nicht nur ihre Bekanntschaft mit der vorhin
citirten Lateinstelle, sondern sie kennen dieselbe bereits in deren
Verwerthung zu einer Reihe von urkundlichen Fälschungen. Im-
hofF meldet nemlich: Im Todtenbuche der Kirchgemeinde
*) Als Papst Julius II. 15 12 den drei Ländern neue geweihte Panner schenkte^
stand auf diesen Fahnen, zur Bestätigung obiger Mythe, wirklich die Jahreszahl
398. Als ob man zu jener Zeit schon nach den Jahren der Geburt Christi ge-
zählt hätte! Archiv f. Schweiz. Gesch, IV, 75 ff.
8. Geschichte der drei Tellskapellen. 14g
Schaddorf stehe geschrieben : Wilhelm Teil, Walter, sein jüngster
Sohn; Walter de Tello, Cuni sein Sohn. Femer stehe ebenso
im Todtenbuche der Kirchgemeinde Attinghausen : »Im Jahre
1675 ist verschieden Anna Margaretha Teil. Im Jahre 1684 ist
verschieden Joh. Martin Teil, der letzte seines Stammes, ultimus
stemmaHs*).€ Femer sei zu lesen in der Copia libri vitce in
AUorf et Seedorf, anno ijöo renavati: Familiarum priscarum
ejusdem gentis liberae conditionis nomina: Der Fürst, 1307. 1315.
Der Teile, 1307.
Alle diese so keck auftretenden Angaben hat Kopp, Gesch.-
Blätter I, 314 ff., als freche Täuschungen aufgedeckt. Die aus
dem angeblichen Seedorfer Jahrzeitbuche genannten Namen und
Jahrzahlen sind dorten nicht enthalten und sind weiter nichts als
Auszüge aus der Chronik Tschudi's unter den betreffenden Jahren.
Das Schaddorfer Todtenbuch ist heute noch vorhanden, enthält
nirgends den Namen Teil, zeigt aber, dass der Name Walter de
Tello aus dem Namen Walter .de Trullo, der vorher hier an
der Stelle stand, umgeändert worden ist. Dasselbe Falsum er-
giebt sich im Attinghausner Todtenbuche, wo der Name eines
Johann Martin Näll von 1661 und seiner gleichnamigen Töchter
in Teil umgeschrieben worden, dagegen der von Imhoff behaup-
tete Beisatz nuUimus stemmaüs^. nicht mit enthalten ist. Diese
Kopp'schen Erweise sind in den Waldstätten anerkannt worden.
Der eifrigste Forscher daselbst in der Teilen -Literatur, Haupt-
mann Karl Leonhard Müller aus Altorf, hat an der zu Altorf
1854 abgehaltenen Versammlung des Fünfortischen Geschichts-
vereines in einem Vortrage über Kopps einschlägige Publicatio-
nen zugestanden, dass man in den Kirchgemeinde-Registern der
ganzen Thalschaft dem Namen Teil nirgend begegne, der Vor-
tragende habe von den stattgehabten Unterschiebungen des Na-
mens Teil an Stelle des Namens Näll im Attinghausner Kirchen-
buche sich selbst überzeugt**). (Geschichtsfreund XI, pag. VI.
Rilliet, Ursprung der Eidgen., übers, v. Bmnner, S. 354.) Der
*) Man setzte später hinzu: Der weibliche Stamm sei erst um 1720 mit
Verena Teil erloschen. Meyer-Knonau, Schweizer Erdkunde i, 310.
**) Mithin bleibt das so oft bestrittene Wort Guillimanns aus Romont, das er
am 27. März 1607 brieflich an den Historiker Goldast gerichtet hatte (in der
Sammlung ist's der I43ste Brief), ein vollkommen berechtigtes: Ipsi Uranii de
€jus (sc. Wilh. Tellii) sede non conveniunt, nee familiam aut posteros ejus
ostendere possunt, cum pleraeque aliae familiae eorundem temporum supersint.
|Co I* Der Sagenkreis von TelL
Ebengenannte ist Verfasser einer handschriftlichen Sammlung
der über Wilh. Teil handelnden Traditionsquellen;
diese ausgedehnten, mehrere Abtheilungen umfassenden Akten
haben längere Zeit hindurch uns persönlich vorgelegen und wir
werden die aus ihnen geschöpften Belege, wo wir ihrer hier be-
dürfen, stets unter dem Namen MüUeriana citiren. Schon die
nun zunächst in Betracht kommende Urkunde legt uns diese
Pflicht auf.
Frz. Vincenz Schmid hat nemlich in seiner AUgem. Ge-
schichte des Freystaats Uri (Zug, 1788 — 90) Th. I, S. 252, erst-
malig nachfolgendes Urnerdecret v. J. 1387 producirt, das seither
mehrfach, namentlich auch durch die MüUeriana kritisch beleuchtet
worden ist und darum auch nach deren textueller Wiedergabe
hierher gesetzt wird.
Im Namen Gottes, Amen. Wir Ammann und eine ganze
Gemeinde zu Altorf an der Gebreiten versammelt, haben an-
gesehen und einander ewiglich uffgesatzt: An der Kreutzfarte
nach Steina, üseren lieben Eidgnossen zu Schwize-Gebiete, so in
iren höchsten Nöten, im Jar des Herren 1307 zahlt, üseren
lieben altvorderen mit ihnen haben geordnet und getan, wie bis-
harre si auch ze uns nach Bürgelen kommen sind; und aber das
mit grossen Kosten lang nit bestan möge — (so haben Wir darum)
geordnet, ze geben den üseren einem jeden fünf Plapert, so mit-
geht, US allen Kilchhörinnen üseres Lands zu Ure ; und (verordnen)
allweg ze genn im Monat Maje mit dem Helgen Krütz und Bild-
nuss Sant Kümmerniss und einem Priester, und da ze opfern
eine Wachskerzen jährlichen. Auch han wir angesehen und üs
uffgesatzt, ze hän eine Predig zu Bürglen an dem Orte, wo
Users liebes Landmanns, ersten widerbringers der
Freyheit, Wilhelm Teilen hüs ist, ze ewigem Danke Gotte
und sinem Schütze (Schutz). Geben ze Ure am 7. Tag, war's
sontag des Monats Maji, im jar des Herren gezalt ein tusend dri
hundert achtzig und darnach im siebenten jare. Vs Gebotte der
Landlütten: ich Konrad von Unteröwen, ir Ammann erwählt.
Dieses falsche Urnerdecret, das schon in ImhofTs Tellianis
hatte Aufnahme finden sollen, befindet sich zwar nicht darin, war
aber brieflich voraus angekündigt gewesen und sollte in einer
späteren Sendung nachfolgen. Erstmalig erschien es dann in
Schmids Urnergeschichte , ohne jede Angabe des Fundortes.
Gerade diese Verumständungen erklären uns den Ursprung des
8. Geschichte der drei Tellskapellen. IJi
DatumsfeMers, an dem die Urkunde leidet. Der von ihr genannte
Ausstellungstag: »Sonntag, 7. Mai 1387« ist nfemlich kein Sonn-
tag, sondern ein Dienstag gewesen. Dagegen fiel der Sonntag,
als der Tag, an welchem die Landesgemeinden abgehalten werden,
gerade in dem damaligen Jahre 1758, da Im ho ff seine Beweis-
mittel sammelte, allerdings auf den 7. Mai, und ebenso auch im
Jahre 1786, als zu derjenigen Zeit, da Schmid am ersten Bande
seiner 1788 erschienenen Umergeschichte arbeitete. Die versuchte
Ausrede also, als ob jener Datumsfehler von einem Abschreiber
herrühren könne, muss gegenüber den Gründen, warum Schmid
hier falsch rechnete, verstummen. Ein anderes positives Zeichen
der Fälschung ist die Phrase: »Teil, unser liebe Landmann und
erster Wiederbringer der Freiheit;« denn hiemit wird eine ur-
sprüngliche Umer Freiheit vorausgesetzt, welche erst durch Teil
wiedergebracht worden sei (Schneller, in Russens Chronik, S. 63).
Aber auch der die Urkunde ausstellende Umer Ammann von
Unteröwen (auch Unteroyen geschrieben) ist ein ähnliches Mär-
chen. Denn am 6. März 1387 und am 4. Brachmonat 1388 ist
Walther der Meier von Erstfelden urkundlicher Landammann zu Uri
gewesen. Geschichtsfreund Bd. 8, 68; und Bd. 12, 29. 31. Der
Name des angeblichen C. von.Unteroyen erscheint niemals in den
bezüglichen Ammannslisten und ist einzig und allein aus Tschudi
(I, 541) entlehnt, der ihn hinwiederum aus der dem Klingenberg
fälschlich zugeschriebenen Chronik entlehnt hat. Diese sagt nem-
lich: »der aidtgenossen houptmann ze Wesen hiess Amman von
den ouwi .... die von -Uri die iren ammann och da verloren
hatten.« Darauf gestützt berichtet Tschudi, was keine andere
Quelle vor ihm zu sagen weiss, dass Conrad von Unteroyen, als
der Urner Hauptmann und Vogt zu Wesen im Gaster, dorten bei
dem nächtlichen Ueberfall vom 22. Februar 1388 sammt der Be-
satzung niedergemacht worden sei. Der vom Pseudo- Klingen-
berger genannte Amman von den Ouwi war für Tschudi un-
passend, da er diesen Personennamen in Uri nicht vorfand, er ver-
drehte ihn darum in Unteroyen, weil eine Umer Ortschaft »undir
Dien« in einer Urkunde vom Q.Juni 1284 vorkommt. G. v. Wyss,
Abtei Zürich, Beil. No. 287. Rilliet, Ursprung u. s. w., S. 355.
Die zwingende Gewalt dieser vorstehenden Grüode wird von
den Apologeten Teils schmerzlich empfunden. Die Mülleriana,
pg. 48 sagen hierüber: »Wenn diese Urkunde betreffs des Kreuz-
ganges nach Steinen, vom Jahre 1387, unterschoben sein soll,
j c 2 ^* I^«r Sagenkreis von Teil.
welche die einzige ist, die des Namens Wilhelm Teil einmal er-
wähnt und ihn urkundlich darstellt als den Befreier des Vater-
landes ; wenn Kunrad von Unteroyen nie Landaman gewesen sein
sollte, dann wäre durch die Wegräumung dieses Fundamentes
unser ganzer Bau in Gefahr, in Trümmer zu zerfallen.«
Doch noch ist ein Anhaltspunkt übrig, da die Urkunde sich
ja auf jenen andern Kreuzgang beruft, welchen gleichzeitig und
alljährlich die Schwyzer von Steinen aus nach Bürglen zu Teils
Haus zu machen angelobt hatten. Auch sie mussten doch ihre
besonderen wichtigen Gründe zu einer so weiten und keineswegs
gefahrlosen Wallfahrt über den Föhn-bestrichnen Umersee gehabt
haben. »Worin also mag wohl die Wichtigkeit bestanden haben,
welche veranlasste, zu Teils Wohnung alljährlich eine Procession
zu thun und da eine Predigt abhalten zu lassen?« So fragen die
Mülleriana, Abthl. 2, S. 18, und antworten sogleich darauf:
»Etwa weil Teil den Landvogt erschossen ? Schwerlich 1 denn
des Herrn Gebot, du sollst nicht tödten, war den Vätern auch
1 387, im Stiftungsjahre der Procession, zu wohl bekannt, sie hatten
zu grossen Abscheu vor Missethaten, als dass sie deswegen, dem
Teil zu Ehren jährlich eine Predigt zu halten, hätten geloben
können. Hatten sie ja doch an der entscheidenden Schlacht zu
Morgarten und bei einem übermächtigen Feinde jene fünfzig Ver-
bannte nicht unter sich mitkämpfen lassen, um durch deren Misse-
that nicht die Ungunst des Himmels auf sich selbst herab zu
ziehen. Deswegen also werden die frommen Väter dieses Ge-
löbniss nicht gemacht haben, nein! Wohl aber darum, weil Teil
beim Apfelschusse das Allerhärteste erduldet hatte, was einem
Vaterherzen begegnen kann, und weil ihn der blosse Gedanke an
das durch ihn Vollbrachte in seinem Innern folterte und aufs
Tiefste schmerzte. Deswegen rief er nach dem Schusse das ge-
fahrbringende Wort aus : Wenn ich mein Kind getroffen, so würde
ich den Vogt mit diesem andern Pfeil erschossen haben 1 In An-
erkennung dieses masslosen Bedrängnisses des Vaters, das er aus
Liebe zum Vaterlande und dessen Freiheit erdulden musste,
konnten die versammelten Männer Uri's einen Kreuzgang nach
Teils Wohnstätte zu Bürglen, und einen zweiten zur
Kapelle z)i Steinen in Schwyz beschliessen und abhalten.
Denn nicht der Mord an Gessler war es, den die Urner kirchlich
feierten, sondern Teils furchtbare innere Büssung, nachdem er
den Apfelschuss vollzogen; die Leiden seiner Frau, die dieses in
8. Geschichte der drei Tellskapellen. Ita
ihrer Mutterseele miteräuldet hatte; seiner Kinder Hilflosigkeit,
nachdem der Vogt den Vater ausser Landes in's Gefangniss ent-
führte. Wie also der Apfelschuss die wahre Ursache an Teils
zweiter Gefangennahme gewesen ist, die dann erst Gessler's Tod
veranlasste, so ist er auch der Anlass für die Umer geworden,
das Herzeleid des Vaters, übernommen und erduldet für des
ganzen Landes Freiheit, durch kirchliche Bittgänge zu feiern.
Denn zum Dank für eine solche Ausdauer des Vaterherzens darf
man wohl vor Gott betend die Hände falten.«
So weit diese Stelle, Sie ist mit viel Empfindung und noch
reichlicher mit Moral ausgestattet; aber darum passt sie nun um
so weniger in die angehobene kritische Untersuchung und wird
hier durch ihre eigenen Consequenzen sofort wieder lahm gelegt.
Es ist an das scharfrichterliche Wort zu erinnern, das Em. von
Haller schon i. J. 1760*) gegen ähnliche Declamationen schrieb:
iMoralischer Seits sei keine Ursache sich auf einen meuchel-
mörderischen Todtschläger viel einzubilden, "der mit seinem ver-
wegenen Betragen dem ersten heiligen Bunde der Freiheit leicht
einen fatalen Stoss hätte geben können. Das Gute der Folgen
haben wir der Weisheit Gottes, nicht dem Verbrechen zu ver-
danken. Letzteres zu rechtfertigen, müsse man dem Moralsysteme
des Jesuitenordens überlassen.«
Kehren wir also zu der hier immer noch schwebenden Frage
zurück: Was veranlasste die Umer Gemeinde Bürglen, hinab
über den Waldstättersee nach Steinen in Schwyz, und was die
Schwyzer Gemeinde Steinen, ebenso hinauf nach Bürglen, Beide
♦) (Balthasar's) Schutzschrift f. W. Teil. Sammt der Vorrede eines
Ungenannten (verfasst von Em. v. Haller), Zürich 1760. — In Jak. Ruoffs
zu Zürich 1542 aufgeführtem Teilen-Schauspiele ruft Gesslers Knecht, da er den
Herrn fallen und sterben sieht; »Wer hat's thon? Gewüss kein Biderman!«
— In Pfannenschmid's Schrift, Der myth. Gehalt der Tellsage, heisst es S. 20:
Die Tödtung des Tyrannen bleibt, nach der Schilderung der Sage, stets ein Mord,
ja sogar ein recht feiger. Teil mordet aus Rache. Von Blutrache kann man
hiebei nicht reden, weil ja das Kind nicht getroffen wird. Wäre diese That über-
haupt je vorgekommen, sie würde im Sinne des Mittelalters gewiss als eine
schwarze, strafwürdige gebrandmarkt worden sein, gewiss ihre Sühne gefunden
haben. Das Gehässige, das ihr anklebt, hat selbst im neunzehnten Jahrhtmdert
der gepriesene Dichter des Teil nicht zu überwinden vermocht. — G, Waitz, in
den Götting. Gel. Anz. 1857, II, S. 742: Ich meine, die Geschichte verliert nichts,
wenn die Freiheit eines Volkes nicht auf eine That privater Rache eines Einzelnen
zurückgeführt wird.
ItA I. Der Sagenkreis von Teil.
alljährlich und am gleichen Tage, in Kirchenprocession zu gehen?
Man antwortet, die Urner kamen in die Kapelle nach Steinen als
in Werner Staufachers, und die Schwyzer ebenso nach Bürglen
gegangen, als in Teils ehemaliges Wohnhaus. Keineswegs! denn
eine altkatholische Kirchfahrt kennt nur kirchlich anerkannte Ziele,
keine politischen. Beide Gemeinden mussten darum zwei gleich-
organisirte kirchliche Bruderschaften sein, die sich deshalb an
ihrem gemeinsamen Stiftungstage gegenseitig bewallfahrteten und
hiebei hatten sie denn weder dem Teil, noch dem Staufacher,
sondern ihrem gemeinschaftlichen Schutzpatron ihre Andacht zu
weihen, nemlich dem in ihren beiderseitigen Kapellen aufgestellten
Holzbilde der heiligen Prinzessin Kümmerniss. Gar zu lächer-
lich I wird man vielleicht sagen; freilich lächerlich, aber wahrt '
antworten wir. Oder verordnet es nicht schon jenes falsche Ur-
nerdecret von 1387, dass jeglicher Urner zu jener Sanct Kümimer-
niss in Steinen jährlich eine Kreuzfahrt mache und dorten opfere,,
weil die Leute dorten in Steinen »wie bishare auch ze uns nach
Bürgelen komen sind?«
Freilich sagt uns der Umer Geschichtschreiber Schmid nicht,,
wie er in Besitz der producirten Urkunde gelängte, und sie steht
auch sonst nirgends als nur in seinem Buche. Dennoch lässt sich
seine Quelle nachweisen und damit gelangt man auch zur Be-
stimmung des wirklichen Alters der Urkunde. Sie gehört erst
der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts an und ist veranlasst
durch den katholischen Polemiker Caspar Lang. Dieser gebome
Zuger, gestorben 1692 als Pfarrer und Dekan in thurgauisch
Frauenfeld, hatte in seinem Foliowerke »Historisch -theologischer
Grundriss der etc. Christlich Catholischen Helvetia,f Einsiedeln
1692, der Kreuzfahrt zur hl. Kümmerniss in Steinen denselben
politischen Entstehungsgrund gegeben, welchen und wie Schmid
ihn meldet; nur weiss Lang noch nichts von jenem Urner-Lands-
gemeindebeschluss, sondern erzählt statt dessen folgende Bei-
fügung: Als Staufacher 1307 sich nach Uri begeben, um sich
mit seinen Vertrauten daselbst heimlich gegen Gessler zu be-
rathen, habe seine Heimatsgemeinde Steinen, um dieser Berathung
den Schutz der Heiligen zu erflehen, zu derselben Zeit von der
Kümmerniss-Kapelle in Steinen aus eine allgemeine Kreuzfahrt
nach Uri unternommen zu dem andern in der dortigen Bürglener
Kapelle verehrten Kümmernissbilde (Lang I, S. 780, No. 12; und
S. 786, No. 18). Lang', der sonst seine Quellen immer anfuhrt,
j
8. Geschichte der jdrei Teilskapellen. irr
hat hier keine zu nennen; gleichwohl stimmen er und Schmid im
Wortlaute ihrer Erzählung überein. Schmids Urkunde betont:
>Die höchsten Nöthen unsrer lieben Vorfahren,« Lang ebenso:
»Die schweren Trangsale der lieben Altvorderen.« Aus diesen
verrätherischen Umständen hat schon Rilliet*) den Schluss ge-
zogen, dass Lang hier das Original für das von Schmid fabricirte
Landsgemeinde-Decret gewesen ist. Woher schöpfte nun Lang?
Antwort: aus der spanischen Wilgefortis- oder Kümmemiss - Le-
gende, welche zu seiner Zeit bereits in officiellem Druck erschie-
nen und durch die von den Jesuiten Ad. Walasser und Pet. Cani-
sius gefertigten Martyrologien in weite Verbreitung gesetzt ge-
wesen war. Auf die Frage um den Inhalt der Kümmemiss-
legende und wie dieselbe in den Kapellen zu Steinen und Bürglen
localisirt worden ist (auch noch an anderen Orten der damaligen
Schweiz), wird von uns nicht hier, sondern im Gesslerischen
Sagenkreise und zwar im Abschnitte: Staufachers Haus zu
Steinen, des Näheren eingetreten. Hier ist nur noch aus den Ur-
kunden zu zeigen, dass die Bürglener Tellskapelle und deren
amtlich veranlasste Bewallfahrtung erst mit! dem Ende des sech-
zehnten Jahrhunderts in Schwang gekommen ist, und damit hat
alsdann die angehobene Beweisführung ihr vorgestecktes Ziel er-
reicht.
Die Bürglener Kapelle ist 1582 gestiftet und erbaut, am
IG. Mai 1584 eingeweiht worden in honore SS, Sebastiani Mar-
tyriSf Wilhelmi et Rochi confessorum. Geschichtsfr. XX, 93. Unter
den hier nachfolgenden hievon handelnden Urkunden sind die
ersten drei Nummern MüUeriana (Erster Anhang, pag. 13 ff.), die
übrigen nennen ihre weiteren Quellen besonders.
Stiftungsurkunde. In dem Jahr, als man zahlt von der
Geburt Christi Jesu 1582 Jahr, duo hat Peter Gissler, der Zeit
Landsfendrich zu Uri, und Hans Schärer, Alt Landvegt zu Livinen,
diesere Kapellen gebüwen und mit isenen Gätteren verschlossen
in ihren Kosten. Und hat Frauw Anna Im Ried den Platz dazu
geschenkt, und Meister Franz Sermund, der Glockengieser von
Bären, hat dieses Glögli in diesere Kapellen geschenkt; und sind
diese gemelte Personen Stifter und Anfänger dieser Kapellen gsin,
so sich nämbt des Wilhelm Teilen Kapellen. Und das ist ge-
*) Les Origines de la Conf^d^tion Suisse etc. Seconde Edition. Gen^ve
1869, pag. 397.
ie6 ^* I^er Sigenkreis von Teil.
schächen Gott dem Allmächtigen zu Lob, und Maria, der reinen
Magd und Mutter Gottes, zuo Ehren, und des frommen Land-
manns Wilhelm Teilen, des ersten Eidgenossen, zuo einer Ge-
dächnuss, der dann auf diserem Platz, daruf dise Kapellen ge-
bouwen ist, sin Hus hat gehan und mit Wib und kinderen da
sässhaft gsin ist; und auch zuo einer Erinnerung allen frommen
Eidgenossen, die wollen zuo Herzen füehren, wie wir so unter
einem schwären joch der Tyrannen warent und aber
durch die Gütigkeit Gottes und durch das Mittel des Wilhelm
Teilen zuo einer hochberüemten und auch ruhwigen F;yheit kom-
men sind; und dass ein jeder flissig betracht Tag und Nacht,
dass wir die Gaben Gottes nit verschitten und die köstlig Fryheit
und gut Lob, so wir von üsern frommen Eltern empfangen,
widerum üseren Kinderen und Nachkommen mögen verlassen und
sie sich deren mögen geniessen. Amen, 1582. Landsfahndrich
Gissler.
Hernach stand die Zügen (festes) der Gloggen dieser Ka-
pellen. Pannerherr Sebast. Heinr. Kuon hat gän Gl. 6; Vogt
Heinr. Troger Gl. 2; Fähndrich Heinr. Schintler Gl. 8, 10 Dohler; ,
Heinr. Fürst Gl. 9. Witer hant andere, die nit Zügen sint gsin, j
ze hilf und Stü'r an disere Kapellen gewänt : ^Altlandamman Peter
von Pro Gl. 2, 4 Seh. ; Vogt Werner Käss Gl. 7 , 28 Seh. ; Vogt
Balliser im Ebnet Gl. 20; Heinr. Mart. Imhof Gl. 4.
Diser Glögli in Wilhelm Teilen -Capellen wigt 86 Pfd., ist
durch den geistl. Ehrw. Hr. Dächan Heinrich Heil, Kilchherr zu
Altorf, geweiht worden in der Ehr der hl. göttl. Dryfaltigkeit und
Sant Wilhelmus und alles himmlischen Heers.
Stiftung hlr. Messen. Und wann dan Hr. Mathias Käss
sich der lobl. Fryheit, so durch den frommen Wilhelm Teilen
erhalten worden, auch voUenz des türen Schweiss und Bluts, so
üsere Altfordem zu Erhaltung derselben vergossen, dadurch wir
sämmtliche dise geliebte Friheit besitzen thünd, und aber dero
wenig durch uns gedenkt wird: derohalben zuo Trost und Heil
deroselben an diese Kapelle vertestamentirt hat Guldi tusend,
daraus zu vierzähen Tagen Im eine hl. Messe gehalten werden
soll und da denne dem Priester, so solche Messen lesen wird, für
jede Schillig 30 geben werden solle. Und soll auch an der
Kirchweihung, an S. Wilhelms Tag und an S. Sebastian und S.
Rochus, und an den Jahrziten dem Priester, so das Amt hat, auch
j
I 8. Geschichte der drei , Tellskapellen. icy
I Schillige 30 geben werden, und dem Sigrist Schillig 10. Iri festo
5. Wilkehni, die 10 Febrario ao, 1S92. Landschreiber Gissler.
Dass diese Copia dem Original durchaus gleich laute, bescheint
i Job. Seb. Ant. Wipfli, d. Z. Pfarrer in Bürglen. — Dass dieses
von dem Original in Trüwen abcopirt und demselben gleichlaute,
bescheine, 25. August 1754: Joh. Franz Seb. Crivelli, zu Uri
Landschreiber.
1593, »Dem Alexander Brüntz von Orieltz wurde vfferlegt
von der Landgenieind zuo Betzlingen, an des Tällen Cappell zu
geben vnd hat zalt Gl. 200. c Auszüge aus einem handschriftl. Land-
leutenbuche von Uri, abgedruckt im Geschichtsfreund, Bd. 27,
S. 270.
Uff Pfingstmontag ao. 161 1 hat Hr. Landshauptmann Pet.
Gissler, Ritter, dem Kilchenvogt Hans Stadler, dem Hn. Vogt
Töpfer und den Käthen zu Bürglen (für die Kapelle), so er Herr
Landsfahndrich Schärer het buwen lassen in der Ehr St. Wil-
helmi, ze Gedächniss des ersten Eidgnossen Wilh. Teilen, geben
bis dato Gl. 50, 38 Seh., 2 H. Beschächen in Bywäsen Hrn.
Pfarherr Joh. Melchier Zukäss, Sextari. — Landschriber Gissler.
Wir unterschriebene bezügen, dass diese Copia der alten Ur-
kunde zu Bürglen durchaus gleich laute: Jodoc Ant. Christen,
Prespiter; Jos. Seb. Ant. Wipflin, Parochus in Bürglen; Jos. Al-
phons Imhof, Curatus in Silenen. — Vidimirt in Bürglen, 24. Au-
gust 1754.
165s, 22. Mai beschliesst die Obrigkeit des Landes Schwyz,
der Kirchgang Steinen solle für seinen Kreuzgang nach Bürglen
einen Beitrag aus dem Landesseckel erhalten, und wurden für
den betreffenden Jahrgang ip/a Gl. zugesprochen. — Dettling,
Schwyzerische Chronik (1860) S. 179.
1792. Jos. Thom. Fassbind verfasste »Geistliche Alterthümer
des Landes Schwyz« (Handschrift der Aargau. Kant.-Bibliothek,
hier bezeichnet: Nova, 43 folio) und arbeitete daran laut seiner
eigenhändigen Notiz (tom. II, pag. iS9b) »bis auf gegenwärtiges
Jahr 1792.« Er giebt darin, tom. II, pag. 141, eine Beschreibung
der Kreuzgänge, wie sie zu seiner Zeit nach Bürglen und Steinen
stattfanden und schreibt, wie nun nachfolgt.
Von Kreuzgängen nach Steina. Es geschechen wirk-
lich noch ansehnliche öffentliche Jährliche Kreuzgäng zu der ur^
alten St. Jacobs-Kirch und Kilchhöri Steina, als Erstens uon denen
von Vri auss dem Kirchgang Bürglen, uon oberkeits wegen, in^
icg I, Der Sagenkreis von TeU.
dem die Hochheit zu uri die Wahlfarter bestellt und belohnt,
einen Rathsherr mitschikt. Die kommen also nacher Steinen mit
einer zweipfündigen opferkerzen und mit der bildnuss der ge"
kreuzigten hl. Jungfrawen Wilgefordis oder Kümmernuss,
und halten da eine Anred. Dann die bittfahrt ist in Nöthen der
Eignossenschafft 1307 aufkommen [Fassbind streicht letzteres
Wort aufkommen hier wieder durch und ergänzt am Rande:
»laut urkund jm archiv zu uri de anno 1387, ist 1387 Sie auf
immer festgesezt worden.«], und wird wechselseitig entrichtet im
Maj, massen die uon Steina auch nacher Bürglen auf gleiche
weis wahlfarthen gehn. Dessgleichen kommt das gotzhus Ein-
sidlen auch jährlich im Majen mit Kreuz und fahnen und 3 prie-
Stern und bringen auch Ihre gekreuzigte Jungfraw Wilgefordis,
aber in Silber, mit. Worauss auf die Ehmalige achtbarkeit disses
uralten Kirchgangs zu schliessen ist. Seith undenklichen Zeit
befindt sich da (zu Steinen) ein hölzenes Kreuz, daran die bild-
nuss der hl. Jungfraw und Martirin Wilgefordis, Kümmernuss
insgemein genent, mit einem langen bart, hanget, ganz gleich
dero zu Bürglen und Einsidlen, deren sich die Steiner in Ihren
Kreüzgängen bedienen. Die Steiner tragen gar grosse andacht zu disser
bildnuss und war lange Zeit mitten der Kirch ob dem Kleineren
altar aufgestelt und heisset in Ihren alten Schrifften das hl. Bild.
Und hat sich einsmals gar wunderlich zugetragen, dass als man
eines Jahrs die Bittfahrt nach Bürglen unterlassen, dise bildnuss
durch übernatürliche KrafFt uon da wegkommen und morgendess
zu Bürglen in der Kirch gefunden worden. Worauf die Bittfahrt
neuerdings und mehrerem Eifer wider uor genohmen und bis auf
heutigen Tag fortgesetzt wird, ita Lang in seinem Grundriss,
und die Tradition.
Die sogenannte Tellskapelle zu Bürgein in Uri, sowie die
Staufacherskapelle zu Steinen in Schwyz waren und sind also
Kümmernisskapellen.
Quod erat demonstrandum!
{
8. Geschichte der drei Tellskapellen. ICq
2. Die Kapelle auf der Tellenplatte und die
Sprungsage.
Im siebenten Decennium des 15. Jahrhunderts wird die durch
Teils Wagesprung seither namhafte Tellenplatte als solche zum
erstemnale von einer Schweizerchronik genannt, vom Weissen
Buche. Hierauf währt es genau ein weiteres Jahrhundert, bis die
drei Chronisten Russ, Etterlin und Tschudi auf einander gefolgt
sind und die gleiche Locahradition berichtet haben. Keine dieser
vier Chroniken kennt und nennt die auf der Platte dem Teil er-
baute und bewallfahrtete Kapelle; dies thun erst etliche zweifel-
hafte Schriftstücke seit und aus dem 17. Jahrhundert. Darum stellen
wir im Folgenden die Chronisten als die älteren Gewährsmänner
wie billig voran und werden sie dabei untereinander selbst und
über jene Schriftstücke mit gutem Erfolge abhören.
Die kleine Chronik des Weissen Buches ist vom Obwaldner
Landschreiber Schälly zwischen 1467 — 1480 zusammengetragen
und von G. v. Wyss 1856 in einem Sonderabdrucke, nach welchem
wir citieren, veröffentlicht worden. Auf S. 9 wird Teils Seefahrt
und Rettungssprung erzählt : du der Tall kam untz (bis) an die
ze Teilen blatten, du ruft er sy (die SchifTsgenossen) all an
und sprach, das sy all vast (an den Rudern) zügen; kämen sy
für die blatten hin, so betten sie das böss überkon (überstanden).
Also zugen sy all vast (angestrengt), und du jnn dücht, das Er
zu der Blatten komen möchti, du swang er den Nawen (Nauen)
2u hinn und namm sin schieszüg und sprang üs dem Nawen üf
die blatten und stiess den Nawen von jmm und Hess sy swangken
a dem se, und luf dur die berg üs, so er vastest mocht, und luf
dur Switz hinn schattenhalb (nordwärts) dur die berg üs untz
gan Küsnach jn die holen gass, dar was er vor dem her-
ren (»dem lantvogt gesler«). Und als sy kämen Riten, du stund
er hinter einer stüden und spien sin armbrest und schoss ein
pfyl in den herren und luff wider hinder sich jnhinn gan Ure.
Melchior Russ, der Jüngere, Gerichtschreiber zu Luzem, be-
gann seine Chronik am i. Weinmonat als am Leodegarsabend
1482, setzte sie bis in's Jahr 1488 fort und verfasste das Vorwort
dazu zwischen 1501 — 15 13; denn in dieser Zueignungschrift an
die Räthe Luzerns werden die Städte Basel und Schaff hausen als
Glieder »des grossen Bundes« betitelt, ohne dass das erst 151 3
l6o I- ^^ Sagenkreis von Teil.
in diesen eidgenössischen Bund aufgenommene Land Appenzell
gleichfalls hier mitgenannt ist. Dies sei nur gesagt, um der
Chronik Alter richtiger zu bestimmen, als bis jetzt geschehen ist.
Etwa vier Fünftel des ganzen Werkes sind aus der um 60 Jahre
älteren Bemer Stadtchronik justingers blindlings abgeschrieben.
Bezüglich der Teilensage beruft Russ sich auf ein ihm bekannt
gewesenes Lied, theilt es aber mit keiner Silbe mit. Der Schuss
auf den Landvogt, letzterer bleibt durchaus ohne Namen, ge-
schieht schon auf dem Umersee unmittelbar von der Platte aus^
Die bezügliche Stelle, hier abgekürzt folgend, lautet:
Als sy nun uff den sew koment, als villicht ouch gott wolte,
do kam semlich ungestümkeytt von winden, das jung und alt^
wib und kindt, mit kläglicher nott zu gott und den helgen schrü-
wen. Und wan nun wilhelm thell ein boumstarcker man für
ander man, so jm schiff warent, was und ouch mit faren vast
wol (umgehen) kondt, und also mochtent die, so jm schiff warent,.
das schiff nit gehebenn und ruftent alle den landvogt an, das man
Wilhelm Teilen ledig liesze. Und wan nun der landvogt sin leben
ouch gern behalten hette, da sprach er zu jm: möchtest und ge-
trüwest uns zum landt zu schalten (stossen), so wolte er jn ledig
laszen. Da antwurte jm Wilhelm thell , Er wollte sy mit gottz
hilff wol zu landt füren, wan er dan frist und sicherheytt gehaben
möchte. Also liesz man jn ledig. Da für er in maszen und- so
manlich, das er mit gottz hilff zu einer blatten kam. Da schal-
teth er das schiff binden zu der blatten, die selb blatt heysz
noch hüt by tag wilhelm Teilen blatt, und nam sin arm-
brest, so binden uff dem bort lag, und sprang uff die blat-
ten, und spien uff unerschosz den landvogt. Unn
mochtent sy vor groszer ungstümigkeytt das schiff nit wider zu der
blatten, noch an das lanndt pringen. (Vgl. Ausg. von Jos. Sfchneller
1834, und Wurstemberger im Schweiz. Gesch.-Forscher, Bd. X, 1838.
Petermann Etterlin, Gerichtschriber zu Luzern, »Houptmann
in den Kriegen wider Herzog Karly von Burgund« ,- lässt seine
»Kronika« zu Basel 1507 in Druck gehen. Die Teilenbegebenheit
schreibt er aus dem Weissen Buche aus, nur dass er deren Aus-
drucksweise wörtlich überbietet und aus dem Vogtsnamen Gesler
einen Grissler macht*). Von der Platten, die er an den Axen-
*) Noch im Jahre 1768 wurde dieser Name Gryssler, als der des von Teil
erschossenen Vogtes, an der Inschrift der Küssnacher Tellenkapelle neu an-
gebracht.
8. Geschichte der drei ' Tellskapellen. l5l
berg situirt, sagt er emphatisch: die man sydhar.allwegen und
noch hüt by tag Tellenblatten nennet. Der bei Küssnach in
der Hohlen Gasse lauernde Schütze verbirgt sich da hinter einem
iposchenstüden und hört allerley anschlegen, so über jn gien-
gent. Mit diesem Beisatze wird der Meuchelmord entschuldigt,
und dieses gleiche Motiv erborgt und erweitert dann auch
Tschudi.
Diese drei Chronisten stehen hier wörtlich ausgezogen, um
aus ihrem Munde das Zeugniss zu haben, dass sie zu ihrer ^eit
von einer auf der Tellenplatte gestandenen Kapelle noch nichts
wissen. Von ihr redet erst Tschudi, f 1572, obschon er sonst
alle übrigen Einzelheiten der Tellensage dem Weissen Buche und
dem Etterlin treulich nacherzählt. Bei ihm heisst es von dem
entspringenden Teil: und wie Er kam nah zu einer Blatten, die
sidhar den Namen des Teilen Blatten behalten und ein
Heilig-Hüsslin dahin gebüwen ist, etc. Dieser Umstand
gab Eut. Kopp Anlass zu folgenden Schlüssen:
»Tschudi kennt die Benennung Kapelle sonst in seinen
Schriften wohl: Chronik i, 155 b, i6oa. Soll ihm dieses soge-
nannte Heilig Hüsslin eben dasselbe bedeuten, was eine
bischöflich geweihte Kapelle ist, in der ordentlicher Gottesdienst
mit Predigt gehalten und zu welcher Bittgang und Procession
vorgenommen werden konnte? Und wofern die Kreuzfahrt
am See schon zu Tschudi's Zeit in Uebung war, warum sollte
er bei dem Anlasse, da er das Heilig Hüsslin erwähnt, gerade
die Bitt fahrt als minder erheblich verschwiegen haben? Dem-
nach dürfte sich wohl der Schluss nicht abweisen lassen, dass auf
der sogenannten Tellenplatte vor Mitte des 16. Jahrhunderts noch
keine Kapelle gestanden habe. Und findet sich in ganz Uri kein
Landmann, der den Namen Teil trug, so bricht auch die mäch-
tigste Stütze der Behauptung zusammen, dass auf diesen Namen
die sogenannte Tellenfahrt der Urner zur Platte im See unter-
nommen worden sei.« Gesch.-Blätter i, 317; 2, 326.
Gegen so kühne Folgerungen rücken nun die Umer mit einer
Reihe von Urkunden heraus, aus denen das Wichtigstscheinende
hier abermals zur Untersuchung vorgelegt werden muss. Vorzu-
bemerken ist i) dass alle diese Schriftstücke zu denjenigen ge-
hören, die der Urner Pfarrvicar Joh. Imhoff unterm 30. Mai und
4. Brachmonat 1759 an Em. v. Haller in Bern übersendet hatte
und die seitdem auf der Berner Stadt-Bibliothek unter dem Namen
R o ch h o 1 z , Teil und Gessler. 1 1
l62 !• Der Sagenkreis von Teil.
Telliana, H.H. 4p, deponirt sind ; 2) dass dieselben abschriftlich
auch in jenen Sammlungen des AI torfer Hauptmanns R. L. Müller
niit enthalten sind, welche wir mit »MüUeriana« bezeichnet haben.
Für das Alter der Plattenkapelle führt man ein Zeugniss an,
welches Hans Zumbrunnen, der 1469 Umer Landammann und 1481
auf dem Stansertage Gesandter gewesen war, hinterlassen haben
soll,' folgenden Wortlautes :
»Ich habe in einer alten Schrift in dem Jahre 1460 gefunden,
dass die E r p k a pe 1 1 e *), bei Wilhelm Tellensprung am See, buwen
worden zu ewigem Dank und Gedechniss, von einer Lands ge-
meinde befolchen, im Jar ein tusend drihundert achtzig und dar-
nach im achten Jar, darby über 114 Mann gesin, die den Teil
gekänt hän. Hans Zumbrunnen, Ammann anno 1469.« — Dass
diese Copia dem Original durchaus gleich laute, das bezeugen
wir : eher. Jauch, Josepf Andreas von Mentlen und ich Jos. Ant.
Arnold von Spiringen, 1760 zu Uri geschwomer Landschreiber.
Auf die Frage, warum weder Tschudi, der doch das Urner
Landesarchiv untersucht und benutzt hatte, noch alle auf ihn fol-
genden Historijcer von dieser Urkunde etwas wissen konnten, ist
zu antworten, wieil dieselbe erst 1759 von dem vorgenannten Pfr.
Imhoflf an*s Tageslicht gebracht wurde, worauf dann sogleich 1760
F. V. Balthasar zuerst sich auf sie berief in seiner »Vertheidigung
des W. Teil«, S. 23. Das Schriftstück ist längst als eine Aben-
teuerlichkeit verurtheilt. Jene 114 Mann, welche auf der Lands-
gemeinde des Jahres 1388 für die persönlichen Bekannten des
Teil sich ausgaben, der 1315 als noch am Leben letztmalig ge-
nannt wird (Püntiner); wie alt wären sie denn damals zusammen
gewesen 1 Und sodann der hier begegnende Name Erpkapelle,
hebt er nicht den so eifrig verfochtenen Namen Tellskapelle ge-
radezu auf? »Die ganze urkundliche Aussage ist völlig unmoti-
viert; entweder hat Teil etwas Bedeutendes für seine Landsleute
gethan, dann wird er in der dankbaren Erinnerung des Volkes
fortgelebt haben: oder er hat das nicht, und dann war ein amt-
liches Zeugniss, ihn gekannt zu haben, eben so überflüssig, weil
das Land kein Interesse daran hatte. Die ganze amtliche Aus-
*) Der Personenname Erp leitet ab vom altdeutschen Arbo und Aribo ; die
letztere Namensform findet sich in Förstemanns Namensbuch; ein Erb erscheint
auch in den Zunftrodeln der Stadt Zofingen vom Jahre 1500, der gleiche Name
wird von einem im Aargau noch bestehenden Geschlechte getragen.
8. Geschichte der drei Tellskapellen. 163
«
sage sieht gerade so aus, als wenn sie Jemand gemacht hätte,
um die Zweifel an der Existenz des Teil, die sich besonders im
vorigen Jahrhundert erhoben, niederzuschlagen.« Alf. Huber, die
Waldstätte, Insbruck i86i, S. 126. — Betrachten wir nun das
über die Bittfahrt handelnde Schriftstück.
Im Anniversarienbuch der Pfarrei Altorf steht fol. 28 nach-
folgende Notiz eingeschrieben:
Ao. Dm. 1582 haben Gemeine Kilchgenossen zu Altorff ver-
ordnet das jahrzeit, wofern man des wetters halben zu dess Tei-
len Capellen nit fahren mag, zu halten jährlichen in der Pfahr-
kirch am freytag nach der Auffarth unseres Herren oder
am .....
Die hier scheinbar ausgefallene Stelle hat alsdann Megnet,
1646 Kirchenvogt daselbst, folgender Massen dazu eingetragen:
Sunst (man) beim Teilen selbenn tags dort, wie vor altem
har, mit 3 hl. Ambteren und predig haltet; ist ein feurtag.biss
man heimkombt vom Teilen. Da fart man von Flüelen, Bauwen
und den umbligenden orten mit betten zum Teil und der gross
nauwen von Altorff mit Creutz und fahnen in oberkeitlichen
Kosten, da man ordinarie von der fryheit die predig haltet und
Gott dankh sagt. —
Bezeugt ao. 1646 Kilchenvogt Megnet in Altorf.
Am Jahrzeit wird verlesen : Also heut haltet man das Jahr-
zeit unser lieben ersten Eidgnossen zu Ehr der heiligen Dreifaltig-
keit, zu Trost und Heil derer Seelen und welche ihr Leben für's
Vaterland und hochgelobten Freyheit dargegeben. So gedenket
dann um Gotteswillen Walter Fürsten von Ättinghusen, Wilhelm
Teilen von Bürglen, Werni Stauffacher von Schwiz, Erni aus dem
Melchthal, was des alten Heini an der Halten Sohn; Kuonrad
vom Baumgarten Nid dem Wald; Werner Fryherr von Ätting-
husen ze Ure, Landammann ; W^alter von Spiringen, Hans Imhof,
Uli von Gruba, Ei... N. von Rudenz von Underwalden.
(Nach dieser Formel, zu Ende der Festpredigt gesprochen,
folgt der Segen über Menschen, Thiere und Land, sowie die
Wegsegnung und Wegbeschwörung alles Schädlichen, also be-
gimiend :) Zu Ehren der heiligen Dreieinigkeit, erkennend, dass ein
jegliches geistige, thierische oder leblose Geschöpf aus dieser
erschaffenden Dreieinigkeit sein Dasein habe und seine Beschaffen-
heit, und dass von Ihr über alle Dinge gewaltet werde, wie der
heilige Augustin besagt Von der wahren Religion, u. s. w.
II»
iQa I. Der Sagenkreis von Teil.
So weit reichen die anzuführenden Schriftstücke. Ihren ver-
schiedenen Bestimmungen ist zu entnehmen, dass die Fahrt zur
Teilenplatte seit dem sechzehnten Jahrhundert bestand, eine
obrigkeitlich angeordnete Betfahrt war und je am Kreuzfreitag,,
d. i. am Freitag nach der Auffahrt, statt hatte. Die Woche-
aber, in die des He/ren Auffahrt fällt (meist im Mai; nur wenn
Ostern am 23. — 25. April fällt, ist sie im Brachmonat), wird
schon von der altchristlichen Kirche als Bitt- oder Kreuzwoche
(Rogatianum) gefeiert, um in der gefährlichsten Zeit der Frühlings-
fröste durch Bittgänge über die Felder für diese des Himmels
Schutz zu erflehen. Es finden darum an demselben Kreuzfreitage
zu Uri an dreierlei Orten solche seit Langem daselbst festgesetzte
Processionen statt. Die Landsgemeinde zu BezHngen beschloss
1566 eine solche Kreuzfahrt auf einen Tag im ganzen Lande
abzuhalten »um Erlangung fruchtbaren Wetters, Bewahrung vor
Feuersnoth und vorab dess Fönen wegen.« Das Schachdorfer-
Jahrzeitbuch bestimmt den Kreuzfreitag zu feiern: zur Behütung^
der Bucheckern und anderer Früchte vor Hagel und Ungewitter.
Das Kirchenbuch von Silinen will, dass man ihn begehe in einem
Bittzuge mit Kreuz und Fahne zu unsrer lieben Frauen, gegen
Ungewitter und Hagel. Kopp, Gesch.-Bl. i, 318. Dass also das
Urnerland auf den gleichen Kreuzfreitag einen allgemeinen Bitt-
gang anordnete, ist nicht verwunderlich, sondern nur, wie aus dem
altkatholischen Bittgange allmählich die sogenannte Tellenfahrt am
See sich herausbildete. Die f^rklärung hierüber kann nicht schwer
fallen. Die Procession zu Schiffe wird als landschaftlicher Brauch
hier gewiss sehr alt sein können, den positiven Namen aber als
eines geschichtlichen Erinnerungsfestes an Teil hat man ihr eben
so gewiss erst seit der Zeit beigelegt, welcher die mitgetheilten
Schriftstücke angehören. Altkirchliche Processionen zu Schiffe
kennt die Schweiz, die so manchen stark umwohnten See zählt,
seit frühesten Zeiten und zwar mit dem beurkundeten Zwecke,
die den Seeanwohnern, der Laien- und Priesterschaft, unentbehr-
liche »Fischweide«, als eine örtliche Nahrungsquelle, rituell ein-
segnen zu lassen. Gerade bei der fast noch ungemischt katholischen
Bevölkerung am Waldstättersee haben sich daher zwei solcher
Schiffprocessionen fort erhalten, die am Seehaupt in Uri, und die
am See-Ende in Luzern. Letztere ist die berühmte Museggfahrt,
urkundlich seit dem Jahre 1252 auf Unsrer Lieben Frauen Abend
im März angesetzt. Alljährlich umfahrt sie ausserh^ilb der Brücken
j
8. Geschichte der drei Tellskapellen. 165
«der Stadt den See in Hunderten von Kähnen, und wie da, laut
Stiftungsbriefe, jedem daran theilnehmenden Priester und zugleich
allen Armen und Kranken der Stadt sonst Fische ausgetheilt
werden mussten, so erhalten sie heute noch nach fünfhundert Jahren
»das Fischgeld« ausgetheilt. Cas. Pfyffer, Der Kant. Luzem i,
.322. Diese Fischweiden also sind wirklich jene »Felder am See«,
deren Vorhandensein bei Altorf und deren kirchliche Einsegnung
noch neulich ein katholischer 'Geschichtsforscher *) so befremdlich
hat finden wollen. Auch am benachbarten Zugersee wird noch
I eine ähnliche Schiffprocession jährlich abgehalten. Seit wann aber
die Urnerische den historischen Namen Tellenfahrt angenommen
hat, dies erhellt aus zwei sie begleitenden geschichtlichen Um-
i ständen ebenfalls, welche zusammen den Jahren 1581 bis 1583
angehören. Denn binnen dieser Frist sind die Urner Tellendenk-
mäler zu Altorf, Bürglen und auf der Platte der Reihe nach
restaurirt oder auch erbaut worden und ist zugleich die Abhaltung
-der Festpredigt auf der Platte dem Altorfer Kapuzinerorden aus-
schliesslich übergeben worden. Diese Angaben sind der Gresch.
des Kantons Uri von Dr. K. Franz Lusser zu entnehmen, Ausg. v.
1862, S. 250.
1582 beschloss Uri, die schon seit 1561 angeordnete alljähr-
liche Kreuzfahrt zur Tellenplatte mit grösserer Feierlichkeit
und mit Zuziehung der öffentlichen Beamten in deren Amtstracht
zu begehen. In eben diesem Jahre wurde in Bürglen, auf der
Stelle, wo Teils Wohnung gestanden haben soll, eine Kapelle
erbaut, weil jene daselbst, wo der Sage zufolge schon im Jahre
1387 gepredigt worden sein soll, inzwischen baufällig geworden
war. 1583 wurde dann in Altorf, ungefähr an der Stelle, von
welcher aus Teil den Pfeil nach dem Apfel abschoss, ein steinerner
Brunnen erbaut und mit des Schützen Bildsäule verziert.
Dies alles meldet Lusser; die Beisätzchen, mit denen er die so
jungen Denkmäler antikisiren möchte, brauchen uns hier nicht
aufzuhalten. Der Umstand aber, dass gerade die Kapuziner, die
nicht vor dem Jahre 1581 nach Altorf gekommen sind, seit dieser
*) Dr. Hidber, in der Allg. Augsb. Ztg. 1860, Beil. No. 201. Was konnte
öas allbekannte Fest der Republik Venedig, wobei der Doge sich mit dem Meere
vermählte, ursprünglich anderes gewesen sein, als eine kirchliche Einsegnung des
Meeres, der Speise- und Vorrathskammer jener Lagunenstadt. In der Gruftkirche
2u München wurde alljährlich ein Goldring geweiht und in den Wallersee, gegen
dessen Ausbruch geworfen. Panzer, Baier. Sag. i, No. 28.
l66 !• I^er Sagenkreis von Teil.
Zeit bis heute ausschliesslich die Festpredigt auf der Platte zu
halten haben, ist ein sehr durchsichtiger und wird, von Eut. Kopp
zu folgenden Schlüssen verwerthet. Wenn, sagt er, diese Fest-
predigt stets von einem der Kapuziner aus Altorf gehalten wird,,
so muss man fragen, warum die Pfarrgeistlichkeit von Uri, wofern
die Bittfahrt zu Ehren ihres Landsmannes Teil schon
vor Einführung der Kapuziner stattgefunden hätte,
diese Ehrenpredigt sich habe aus den Händen reissen lassen zu
Gunsten eines ursprünglich fremden Ordens. Wurden also Kreuz-
fahrt und »Ehren-Predigt« an der Platten seit der Ansiedlung
der Kapuziner in Uri aufgenommen und angeordnet, so wäre diese
Fahrt kein gewichtiges Zeugniss mehr fiir eine historische Begeben-
heit aus dem Anfang des vierzehnten Jahrhunderts. So Kopp-
Somit ist man nun der Fabeln ledig, mit denen die freie Aussicht
hat verbaut werden sollen, und es bleibt nur noch der eine Grund
anzugeben, warum die Altorfer Festfahrt gerade nach der Platte
geschehen und gerade dieserhalben auf Teil ausschliesslich bezogen'
worden ist. Der Grund liegt in der eben dorten localisirten
Sprungsage.
Der von Dämonen bekämpfte Gott, der von der Feinde Ueberzahl :
bedrängte Held, der von den Heiden zum Tod bestimmte Heilige oder
Bekehrte entschwingt sich den Verfolgern durch einen Wundersprung
und lässt auf der Erde , wo er eben noch gestanden, seine Fuss-
spuren zurück. Ganze Landstriche, wie die Inseln Ceylon und Sar-
dinien (diese hiess daher Sandaliotis) galten als Fussstapfen Got-
tes ; das Ueberspringen der Meerenge auf Rhodus war ein antikes
Sprichwort. Oder wo Phaethon, Ikarus und Vulkan vom Himmel
gestürzt kamen, da wurde Berg, Thal und Fluss nach ihnen
benannt. Glaukos-Pontios war ein Fischer gewesen, in^s Meer
gesprungen und wurde in der Böotischen Stadt Anthedon als
Gott verehrt; dorten am Meeresufer hiess eine Stelle Glaukos^
Sprung. Die Fischer nannten ihn ihren Stammvater, und bei
grossem Sturme war es sprichwörtlich zu rufen: Heraus, Glaukos I
Welcker, Griech. Götterlehre i, 646 — 648. Der Raubritter
Eppelein von Geilingen in Franken befehdet die Stadt Nürnbergs
wird gefangen und auf dortiger Burg gethürmt; doch sobald er dorten
sein Leibross bekommt, setzt er vom Walle aus über den ganzen
Burggraben, so dass seitdem daselbst die Hufspuren in den Mauern
des Wallgrabens zu sehen sind. Alsbald hernach sind ihm auch
die Würzburger auf der Ferse. Ohne Ausweg vor der Ueberzahl^
8. Geschichte der drei Tellskapellen. 167
erreicht er zu Rosse einen letzten Felsen am Mainufer, setzt hinab
und gewinnt das jenseitige Ufer. An der Stelle, wo Mann und
Ross unverletzt landeten, wurde ein Kreuz in den Stein gehauen ;
der Dichter Lorichius von Hadamar hat den Ort besucht und in
seinem Hodoeporicon besungen; da heisst es! ^
Dass im Strome der Zeit solch Wagniss nimmer verrausche,
Gruben sie dort in den Stein sorgsam ein mahnendes Kreuz.
Achtung wurde dem Felsen und ungeahnte Ver-
ehrung,
Und es verlautet: Ein Gott wohn^ in der rettenden Fluth.*)
Nun mögen einige verwandte Züge aus der Kirchenlegende
nachfolgen.
Verfolgt von Seeräubern, sprangen heilige Jungfrauen aus
dem Schiffe in's Meer und tanzten so lange auf den Wellen, bis
ein Felsen heraus getanzt war, um welchen nachmals die Insel
Helgoland (das Heiligland) entstanden. Der Frauen Fussspuren,
in den Boden gedrückt, waren daselbst so lange zu sehen, bis
das Stück Land wieder vom Meere weggespült wurde. MüUenhoff,
Schlesw .-Holstein. Sag. 128. Zur Zeit einer den Christen geltenden
»Durchächtung« entkam die heilige Aurelia dadurch den heidnischen
Nachstellungen, dass sie von Fussach aus, eine Meile vom Boden-
see entfernt, in Einem Schritte bis zur Stadt Lindau schritt.
Hievon trägt Fussach selbst den Namen, und Lindau weist der
Heiligen Fussspur in zwei Klippen auf, welche beim dortigen
Eisenbahndamm aus dem See ragen. Die Folgezeit hat dieselben
die Hexensteine genannt, eine Hexe habe ihre beiden Fusssohlen
drein getreten, als sie von hier aus, in Einem Satze den See
überschreitend, an's Schweizerufer hinüber gieng. Sebast. Münster,
Cosmographey (Basel, 1567), S. 788. Schöppner, Baier. Sagenb.
2, S. 30. Aehnlichlautendes gilt in Unterwaiden. Hier thut von
der Balm-Kapelle am Bürgenberge hinweg bis zur Brücke am
Rotzloch (über zwanzig Minuten weit) die Pfaffenkellnerin (Priester-
Concubine) einen Sprung und lässt im Brückenstein die Spur von
*) Incola, quo factum hoc aliqua ratione notaret,
In saxo pinxit signa videnda crucis.
Nunc honor accedit quaedam et reverentia rupi,
Hocque loco fluvii creditur esse deus.
Alex. Kaufmann, Nachträge zu den Quellen -Angaben zu den Rhein- und
Mainsagen. 1870, 25. — Reuss, im Anzeiger des Gennan. Museums 1854, No. 10.
l68 !• Der Sagenkreis von Teil.
Geissfiissen zurück. Lütolf, Fünfort. Sag., 35. Bei Hinter-Iberg,
im schwyzer Muotathal, liegt am Wege ein grosser Stein mit
vielen Vertiefungen auf der Oberfläche ; der heilige Sigmund hat
einst zu Pferde vom Hochgebirge herunter, ohne Schaden zu
nehmen, den Sprung auf diesen Felsen ausgeführt. Meyer-Knonau,
Beschreib, des Kt. Schwyz, 287. St. Mangs Fusstritt wird in den
Glarner Alpen hergezeigt, und an den Bergwänden im Bündner-
Pusclav ebenso des heiligen Remigius Fussspuren; die Redensart
far un salto dt S. Rometlo, bezeichnet dorten einen Riesensprung.
Fernere einschlägige Legendenzüge stehen zu lesen: Argovia
III, 62flF.
Woher die Anhäufung solcher bis in die altdeutsche Kirchen-
geschichte hinein sich erstreckenden heidnischen Sagen ? Offenbar
aus dem Respecte der Germanen vor der Kunst des bei ihnen
so sehr gepriesnen und geübten Weitsprunges. Der Heide trug
diese Kunst auf alles für göttlich Gehaltene über. Als der
angelsächsische Dichter Cynewulf (um das Jahr 1006) das Leben
Jesu paraphrasirte, bereitete er die Erzählung von der Himmelfahrt
damit vor, dass er Jesum erst sechs Wundersprünge thun lässt,
deren letzter dann der zum Himmel zurückführende ist. Haupt,
Ztschr. 9,'l 203. Und so hat denn die spätere Kirche die im
Steine des Qelbergs seit der Himmelfahrt zurückgelassenen Fuss-
spuren Christi an gar vielerlei Orten trümmerweise hergezeigt
und verehrt.
Nun wenden wir uns zur Tellenplatte zurück, deren Local-
sage in ihfem früheren Bestände gleichfalls den jetzt vergessenen
Charakter des Riesenhaften an sich getragen hatte. Teil, erzählte
man vormals, vermochte Uebermenschliches vermöge seiner
Zauberkünste zu leisten (vgl. unser Kapitel: Teil als Zauber-
schütze). Beim Sprunge auf die Platte nahm er nicht bloss
Köcher und Armbrust, sondern auch zugleich sein Söhnlein mit
hinüber. Diese Behauptung findet sich schon bei Loriti Glareanus,
dem Lehrer Tschudi's ; und steht in Glareans 1 5 19 in zweiter Auflage
erschienenen, von dem Luzerner Osw. Mykonius commentierten und
den regierenden Kantonen dedicierten Gedichte : Descriptio de situ
Helvetiae (Basel, bei Joh. Froben, 40), pag. 14. Nachdem hier
erzählt ist, wie die Leute im Schiffe den Anordnungen Teils
gehorchen und nun die Platte in Sicht kommt, heisst es : Parent^
raditur saxum. Gulielmus, filiolo, arcu et teils acceptis (kaec
omnia navi cum eo fuerant iniecta) , in hoc ipsum repentino saltu
8. Geschichte der drei Tellskapellen. 169
infertur et pedibus puppim qüantis potest viribus in altutn pro-
adcat.
Man möchte diese Stelle vielleicht für einen persönlichen
Einfall des Dichters und seines Commentators halten; allein sie findet
sich auch in einer handschriftlichen Chronik des Klosters Muri,*)
die um ein ganzes Jahrhundert später, da sie mit dem Jahre 1607
abschliesst. Hier lautet die Erzählung also : »Ettliche schribend,
das sein kind auch bey ihm sey gsein, dasselbig habe er sampt
dem schiesszüg erwütscht vnd (sei) vss dem schiff gesprungen. Er
yhlte den stotzigen berg durch wiltnus vnd gestüd, kam erstlich
vfF Morsach, da hatte er ein hassen, deren befilcht er sein
kind, darnach gienge vnd stiege er vber alle rüche vngleitsame
wäg witer, biss zur Holengassen, dardurch der Landvogt ritten
müest.c
Wirft man uns ein, dass die bisher angeführten Sagen-Parallelen
nur der Tellischen Wasserfahrt und dem Sprunge auf den Felsen
entsprechen, nichts aber von den dazu gehörenden andern Sagen-
theilen enthalten : der Stange mit dem Hute, dem Meisterschusse,
der Tödtung des Tyrannen — so weiss die nordische Wilkina-
und Niflunga-Sage auch hierauf zu antworten ; denn sie vertheilt
die Schuss- und die Sprungsage auf die an Nidungs Königshofe
gefangen gehaltenen Heldenbrüder Eigil und Wieland. Während
der erstere den Apfelschuss thut, schwingt Wieland in seinem
magischen Fluggewande sich über die Schlossmauern in die Freiheit.
Wo aber, fragt man, bleibt da der Hut auf der Stange? Dieser
hat sich in die schwedische Volkssage von König Erich, f 833, verirrt,
steht heute noch in Schweden aufgepflanzt, und sogar ein Devotions-
brauch knüpft dorten sich an ihn. Eine schroffe Klippe nemlich
im Mälarsee, im Fahrwasser zwischen Stockholm und Strengnaes
gelegen, heisst der Königshut (Kungshatt) und ist mit einem auf
hoher Eisenstange befestigten Kupferhute geschmückt. Die unter
dem Volke gangbare Sage erzählt: König Erik Emundsson,
mit dem Beinamen Wetterhut, sei bis auf diese Klippe hinaus
verfolgt worden, habe mit dem Rosse in die Fluth gesetzt, sich ge-
rettet,' darüber aber den Hut verloren. Seitdem herrscht die Schiffer-
Sitte, dass der zum ersten male an dieser Klippe Vorbeifahrende
den eignen Hut ziehen und das Haupt entblössen muss. So die
Schiffersage. Die Kirchenlegende dagegen bezieht jenen Kupfer-
*) Auf der Aargauer Kantons-Bibliothek bezeichnet: Ms. Bibl. Mur. No. 61.
ITO !• I^cr Sagenkreis von Teil.
hut auf Olaf den Heiligen , der hier den seinigen auf der Flucht
vor dem Feinde verloren habe. Afzelius, Schwed. Sag. i, 297.
Es giebt also ausser der Tellenplatte noch immer eine Zahl
ähnlicher und namhafter Sprungplatten, denen zugleich ein heid-
nischer, oder ein christlicher, oder sogar ein nationeller Cultus
anhaftet. Theils tragen sie die Zeichen kirchlicher Weihe : Helgo-
land entsteht durch heilige Jungfrauen ; der Eppelins-Sprung trägt
ein Kreuz eingehauen. Theils haben auf ihnen die missstalteten
Füsse der hier wirksam gewesenen Dämonen, Zauberer und Hexen
sich abgeprägt; der Hexenstein im See zu Lindau u. s.w. Theils
schwankt des einen Steines Ursprung und Bestimmung zwischen
zweierlei Urhebern zugleich, einem Nationalhelden und einem
Kirchenheiligen, einer frommen Einsiedlerin und einem gigantischen
Hexenweibe. Hat es sodann jenen riesenhaften Kirchenheiligen,
dem Martinus, Romedius, Sigmund, Mang und der Petronella —
welche in den Alpen die Berge und Felswände durchtraten, nirgend
an örtlichen Kapellen und diesen wiederum eben so wenig an
Bittgängen gemangelt, so wird auch die Urner Fahrt zur Sprung-
platte am Axenberge, flir die nur so späte Zeugnisse vorliegen^
schon in einer viel früheren Zeit stattgehabt haben, eben in einer
solchen Vergangenheit, da Teil noch als Riese galt, der hier
seinem Verfolger im Wagesprunge entrinnt und ihn gleich-
zeitig erlegt.
3^ Die Kapelle an der Hohlen Gasse in Küssnach.
Die j üngste Localisation der Tellensage knüpft sich an die,
Küssnacher Tellskapelle ; folglich sollte deren Geschichte darum
'auch die kürzeste sein können. Allein eben hier liegt die
Tradition von jeher in einem nicht auszugleichenden Kampfe mit
sich selbst. Sie behauptet erstlich ein ganz specielles Factum,
Gesslers Ermordung, das doch nicht einmal im Allgemeinen bis-
her erwiesen werden kann; sie knüpft sodann dasselbe an zwei
Oertlichkeiten an, durch deren topographische Lage das ganze
Factum zur Unmöglichkeit gemacht wird. Und zuletzt, ihres
Schwankens selber geständig, giebt sie dem Ermordeten die zweier-
lei Geschlechtsnamen Grissler und Gessler; während deren einer
gar nicht und niemals bestanden hat,^ dagegen der andere ge-
I
8. Geschichte der drei Tellskapellen. 171
schichtlich so deutlich und genau, dass gerade er den Irrthum
der Sage vollständig aufdeckt. Kann somit weder die Person,
noch der Ort, noch die Handlung hier zu Recht bestehen, so ist
nur das Eine noch fraglich, woher jene Tellskapelle ihren an-
spruchsvollen Namen habe; und es wird sich ergeben, dass sie
und ihre zwei Schwesterkapellen nicht nach einer. Persönlichkeit,
sondern nach einer ähnlichlautenden Oertlichkeit zubenannt worden
sind. Es sind schlechtweg Namenssagen.
Zum Beginn wird hier ein neuzeitlicher Fall aus der deut-
schen Alterthumsforschung vorangeschickt, weil die topographische
Streitfrage, welche dabei zum Entscheide kam, der Küssnacher-
Frage so ähnlich ist, wie ein Ei dem andern.
Das Nibelungen-Abenteuer, wonach Held Siegfried auf der
Jagd an einem Brunnen trinkt und darüber durch Hagen von
Tronegg meuchlings mit der Lanze durchschossen wird, hatte
unlängst den Gfeh. Rath Dr. Knapp in Darmstadt auf den Einfall
gebracht, diese Mythe könnte eine wirkliche Begebenheit sein,
deren Schauplatz sich in die Darmstädter Nachbarschaft, und zwar
in die Gegend der dortigen Spessartsdörfer Hilfertsklingen und
Grasellenbach verlegen lasse. Zu diesem Zwecke wurde nun die
Gegend durchforscht und durchfragt und dabei die Sage, auf
deren Entdeckung man auszugehen vorgab, unter den Bauern
möglichst in Umlauf gesetzt. Allein zunächst bedurfte man ört-
licher antiquarischer Zeugnisse. Knapp legte daher einem Wald-
brunnen bei Grasellenbach den Namen Siegfriedsbrünnlein bei,
obschon im Dorfe, nur eine halbe Stunde von dem Brunnen ent-
fernt. Niemand diesen Namen auch nur kannte, obschon derselbe
weder in den Flurbüchern, noch auch auf der Generalstabskarte
sich findet. Femer musste nach irgend eines Dorfschulzen Er-
zählung an diesem Brunnen »Ritter Hagen den Ritter Siegfried,
welcher Hörner gehabt habe,€ erschlagen haben, und man berief
sich auf alte Leute, die überdies gewusst hätten, wie der Held
in dem Momente, als er zum Trinken am Quell sich niederbeugte,
von seinem »Schwager« erstochen worden. Auch von einem da-
selbst liegenden Denksteine, dann wieder von behauen gewesnen,
nun aber nicht mehr vorhandenen Steinen gieng die angebliche
Volksmeinung.* Diese krausen Meldungen setzte hierauf Knapp
1853 seinen gelehrten Darmstädtem im Archiv f. Hess. Gesch.
und Alterthumskunde IV, 2 und 3 mit entsprechender Wichtigkeit
auseinander.
172 !• I^er Sagenkreis von Teil.
Durch dieses alles aufmerksam gemacht, beschloss im gleichen
Jahre der verdienstvolle Alterthums- und Sagenforscher J. W.
Wolf die Sache an Ort und Stelle zu untersuchen. Schon in
Hilfertsklingen wurde ihm die Knappische Siegfriedssage gedruckt
angeboten. Weiter in Grasellenbach erzählte man ihm von dem
neuen Denksteine, der inzwischen wirklich gesetzt und sogar mit
der bezüglichen Nibelungenstrophe beinschriftet worden war, ja auch
die plumpe Bauemspeculation war schon erwacht und wollte sich
zum Führer aufdringen nach den berühmten Waldpunkten. Der
freche Betrug lag auf der Hand, aber womit ihn entschieden und
für immer widerlegen ? Nothwendig mit dem Dokumente selbst, .
auf das er sich stützte. So geschah's; die Beweisführung war
kurz diese. Das Nibelungenlied lässt nemlich jenen Brunnen, an
welchem Siegfried erschlagen wird, gar nicht im Spessart, sondern
weit entfernt von diesem liegen; während es das Unglück wollte,
dass der Brunnen Knapps gerade im Spessart liegt. Dieses neueste
Muster zeigt, wie schiefe Liebhaberei und persönliche Eitelkeit
noch am hellen Tage Sagen in das Volk hinein fragt, um sie hier- .
auf, als aus dem Volksmunde stammend, in die Landesgeschichte
hinein verlegen zu können, und so findet sich Vorstehendes des
Weiteren erzählt in J. W. Wolffs Hess. Sag. (1853) S. 207—10.
So wenig nun, als Siegfried am Spessarter Siegfriedsbrunnen
von Hagen, eben so wenig und aus ganz gleichem Grunde kann
Gessler bei der Kapelle an der Hohlen Gasse von Teil erschossen
worden sein. Flecken und Schloss Küssnach ist erst zu Anfang
des fünfzehnten Jahrhunderts mit dem Lande Schwyz vereinigt
worden.
Was also hätte hier der Schwyzer Landvogt Gessler zu
schaffen gehabt. Doch hiezu tritt noch ein viel stärkerer Wider-
spruch. Wer die Wegstrecke zwischen Küssnach und Immensee
aufmerksam begeht, oder sie nach Düfours Karte studiert, der
wird nicht begreifen können, warum der von Uri eben nach
Küssnach heimgekehrte Burgvogt nicht hier auf sein Schloss geht,
sondern, im Bügel bleibend, noch in die stundenweit entlegne
Tellskapelle hinaus reitet und dort den Tod findet. Am Fusse
des Rigi, hart beim Flecken Küssnach, liegt die sogenannte Gess-
lerburg. Der Vogt, von Uri her in Küssnach landend, hatte nur
etliche hundert Schritte zu thun, um in seine Veste hinauf zu
steigen und von den Schrecken der Seefahrt endlich auszuruhen.
Er thut dies nicht; die übliche Geschichts-Erzählung will es nicht,
8. Geschichte der drei Teilskapellen. 17^
denn ihr ist hier nfcht die Burg, sondern die Kapelle Ziel und
Hauptsache. Soll aber diese Kapelle, welche so weit ab von der
Burg liegt, nun mit in die Begebenheit hereingezogen werden
können, so muss man Gesslem einen ganz anderen Weg ein-
schlagen lassen. Der heimgekehrte Vogt lässt darum, trotz der
Sturmnacht und den eben überstandenen Todesängsten, seine
Burg gleichgiltig bei Seite liegen und reitet unverweilt die Strassen-
strecke weiter, welche vom Küssnacher See bis an den Zugersee
fuhrt, verräth aber mit keiner Aeusserung oder Massnahme,
welches Ziel er dorten suche. So kommt er denn in der Nähe
des Zugerdorfes Immensee an jene geringe Strassenvertiefung,
welche Hohle Gasse heisst. Dorten zur linken Seite des Weges
steht jenseits, ausser Schussweite, eine Kapelle, und von hier aus
schiesst Teil den Reiter vom Rosse. Hätte er ihn doch schon
auf dem Hinwege zur Burg viel sicherer erlauem und treffen
können 1
Was folgt nun aus dieser Reiterfabel? Teil musste einen
Vogt erlegt und dafür an der Stelle der That eine Gedächtniss-
kapelle erhalten haben; und da diejenige an der Hohlen Gasse
zu weit ab von des Vogtes Schlosse lag, so musste ihr der Vogt
selber nachreiten. Dies ist der geheime Gedankengang der hie-
von berichtenden Chronisten. Betrachten wir mm deren Aessse-
rungen selbst, so sind sie alle nur unsicher, widerspruchsvoll, klein-
laut und inhaltslos, aber auf die Kapelle zielen alle.
Bei Etterlin heisst der Landvogt noch nicht Gessler, sondern :
»Landtuogt Gryssler, eyn edelman uss dem Thurgow;« Teil er-
legt denselben »mit eym pfyl zuo Küssnach in der holen gassen
hinder eynem poschenstüden.« Aus Etterlin copiert Tschudi;
in seinem handschriftlich hinterlassnen Entwurf zur Chronik nennt
auch er den Landvogt allenthalben stabil Gryssler und hat ihn
erst später daselbst in Gessler umcorrigiert. Auch das »Heilig
Hüssli ob der holen Gassen, so noch da stat,« entnimmt er aus
Etterlin. Diesen Angaben allen widerspricht Melchior Russ, als
ob er gemerkt hätte, in welche Sackgasse hier seine Mitchronisten
sich hinein erzählen. Er, ein Städter von Luzern, dessen Vater-
stadt eigne Höfe im Bann von Küssnach besass, der selbst diesem
Schauplatze der Begebenheit so nahe wohnte, er weiss von. dem
ganzen Küssnacher- Vorfall noch nichts, sondern erzählt statt
dessen über Teil : »der landtvogt vieng jn vnd Hess jm ally vier
zusammen binden jn der meynung, das erjn gon schwitz in
174 ^' ^^^ Sagenkreis von Teil.
das schloss jm sew füren wölt.« (Schwyz besitzt kein
anderes Seeschloss als den Thurm Schwanau auf dem Inselchen
des Lowerzer Sees.) Letzterer Plan kommt indess auch nicht
zum Vollzuge, weil Russ den Vogt gleich auf der Tellenplatte
selbst erschossen werden lässt. Bei solchem Durcheinander wuss-
ten nun die späteren Chronisten sich nicht anders zu behelfen,
als indem sie die beiden sich ausschliessenden Angaben mit ein-
ander paarten und so ein geographisches Ungeheuer hervor-
brachten. So verfuhr im sechzehnten Jahrhundert der Basler
Stadtpfarrer, nachmalige Stadtarzt und Professor Heinrich Panta-
leon. In seinem daselbst 1568 erschienenen zweitheiligen Folio-
werk »Teutscher Nation Heldenbuch« erzählt er (Th. 2, S. 388)
Teils Sprung auf die Platte, lässt da den Gessler gleichfalls an
der Platte landen und fährt dann so weiter: »Als Wilhelm an
das gestad kommen, hat er dess Landuogts reiss fleissig acht ge-
nommen. Wie nun derselbig auch zu land kommen vnd in einer
tieffen holen ga3sen gegen Vry zu geritten, hat Teil mit
aufgespannenem bogen oberhalb JCissnach dessen gewartet
vnd einen pfeyl in diesen geschossen, Von Christi gepurt 1312 jar.«
Gehen wir nun zur Kapelle und deren Documenten über.
F. V. Balthasar handelt hierüber auf S. 18 seiner Schutzschrift
für Teil, die er in obrigkeitlichem Auftrage gegen Freudenbergers
Fad/e Danoise 1760 veröffentlichte. Daselbst rückt er seinem
skeptischen Gegner mit folgendem pfiffigen Sätzchen zu Leibe:
»Auf ein Märchen hin Capellen bauen? das wäre ja Gottes und
der heiligen Religion gespottet. Wer wird wohl dieses von unsem
ersten Schweizern sagen dörfen, die so fromme Leuthe waren?«
Hiefür erhielt er ein huldvolles Schreiben von der Urner Regierung
nebst zwei Goldmedaillen. Balthasar meldet nun, die Kapelle sei
1644 an der Stelle einer älteren erbaut worden und ursprünglich
den vierzehn Nothhelfern geweiht gewesen. Diese Angabe grün-
det sich jedoch allein auf nachfolgende Inschriften, welche an dem
Neubau gestanden haben sollen, aber erst seit 4. Brachmonat
1759 zur Kenntniss gebracht worden sind.*)
Ein Cappelli in der hoUen gassen zu Küssnacht, wo Teil den
Tyrann erschossen, ist 1644 neuw erbauwet worden auss Consens
♦) Mittels Briefes von obigem Datum, womit Jos. Imhoff, Pfarrvikar zu Schad-
dorf in Uri »Extracte und Urkunden, auf die Teilenbegebenheit bezüglich«, an
Em. V. Haller überschickt. Telliana Hii, 40, pag. 55.
/
8, Geschichte der drei Teilskapellen. 175
dess Lands Schweitz (Schwyz), dessen Ehrenwappen daran noch
2u sehen sambt dem Jahrzahl, gemähl und Versen, wie folgt:
alss man gezelt 1644 Jahr,
War dis Capel, sag ich fiirwar,
auferbauwt zu ehren
dem höchsten Gott, unsrem Heren,
Und der hl. Märtyrin Margarithae der Jungfrauwen
weil unss erspiesslich, in unser Noth gebauwen.
Da auf diesem plan
hat Wilhelm Teil, der dapfer man,
den blutgirigen Zwingherm
mit sinem scharpfen pfeil durchschossen,
Uns aufgethan die freyheit,
dero wir vor genossen.
[»seyd anno (Jahrzahl fehlt). Copia der Zeugnuss Herrn Doctor
Sitlers zu Kissnacht.«]
So weit geht die Meldung in der vorhin von uns angeführ-
ten Quelle TelHana. Die Kapelle erhielt 1768 ein von Wolf aus
Zürich gemaltes historisches Bild, unter welchem folgende In-
schrift stand:
Hier Ist Grisslers Hochmuoth vom Thäll erschossen
und die Schweitzer Edle Freyheith Entsprossen.
Wie Lang Wird aber Solche Währen,
Noch Lang, Wenn Wir die alte währen.
Diesen Spruch schrieb sich Marschall Fidel von Zurlauben ab,
als er am 30. März 1772 die Kapelle besuchte, und bemerkt
dazu in seiner Sammlung: HeLveticae Cariae, tom, II, 497 a: La
chapelle est dediee a S. Charles Borromee et au Bienheureux
Nicolas de FHie, dont les Images en bois se voient aux deux coins
de Vautel.
Das heut zu Tage dorten vorhandene Gemälde ist von
Beutler, der obige Inschrift falsch drunter geschrieben hat.
Als die gegen die Tellensage veröffentlichten, französisch
verfassten Flugschriften in Frankreich bekannt wurden, ward am
Versailler Hofe dem Marschall Fid. von Zurlauben die Frage ge-
stellt, warum denn, wenn Teil apokryph sei, die Kapelle zu Küss-
nach Tellenkapelle genannt werde. Zurlauben antwortete hierauf
in einer ,eignen Druckschrift: Guill. Teil, Lettre a M""- le Pres,
i .
176 I» ^^^ Sagenkreis von Teil.
Henaut Paris jyöjy und sagt dorten, S. 31 : On Vapelle le grand
chemin entre Art et Kussnack encore aujourd hui Hole gass.
La chapelle au dessus de ce chemin se nomme bey dem Teilen,
Hiemit versuchte Zurlauben den Beweis zu fuhren, dass der dortige
Localname einen Personennamen ausdrücke. Ob seine Behaup-
tung damals etwa durch den Volksmund begründet gewesen war*
ist heute nicht mehr zu entscheiden; die gegentheilige Meinung
aber ist eine nicht minder berechtigte, weil sie sich auf drei
örtliche Urkunden stützt. Zu jeder der drei Tellenkapellefn lässt
sich nemlich ein urkuÄdlicher Localname aufweisen, welcher fiir
dieselben der namengebende gewesen sein kann.
Die Angabe, Teils Heimatsort sei Bürglen in Uri gewesen,
wo eine Tellskapelle steht, kann entsprungen sein aus dem Namen
des dortigen Geländes Tellingen in Ribshausen, gelegen zwischen
Attinghausen und Erstfelden. Chuonradus in Teigingen (Schächen-
thal), Urkunde vom Jahre 1294. Geschichtsfreund 3, 235. Ein
Jenni (auch Heini) von Telligon ist am 6. August 1 387 nebst
vielen andern Landleuten gerichtlicher Zeuge zu Samen in Ob-
walden. Geschichtsfreund, Bd. 20, 231 und Bd. 27, 332. Im
Attinghausner Jahrzeitbuch steht pag. 14 unter'm 27. Februar:
Richenza, die hat gesetzt ein fiertel nussen von einem Acherli^
daz heist Tellingen ze Ribshusen. (Mülleriana.) Der Name Telling
ist ein auf das Stammwort und den Localnamen Teile zurück-
weisendes Patronymikum.
Aehnliches'gilt auch vom Namen der Tellenplatte. A. Buser^
Kaplan in Brunnen, Kanton Schwyz, ist Verfasser eines hand-
schriftlichen Werkes: Etymologische Nomenclatur von Schwyz^
Uri und Unterwaiden; dasselbe stammt aus den fünfziger Jahren,
hat uns vorgelegen und wir entnehmen ihm, Blatt 28, folgende
Notiz: Die Bevölkerung von Sisikon am Axenberge leitet den
Namen der Tellenplatte nicht vom Tellensprung ab, sondern
nennt dieselbe: »An der Teilen.« Es gilt mithin dorten der Ort
nicht als eine dem Teil nachbenannte Platte, sondern als eine
See -Einbuchtung, welche man die Delle nennt. Zunächst, wo
die dortige Plattenkapelle steht, ist die Tellenrüti gelegen,
d. h. ein in einer Teile liegendes, durch Roden urbar gemachtes
Landstück. Mithin kann auch der Name der dortigen Kapelle
nur eine solche bei der Teilen liegende bezeichnen. Unsere
Voraussetzung wird nun durch die Öffnung von Küssnach zur
Gewissheit erhoben. Diese Öffnung trägt zwar keine Jahreszahl,
8. Geschichte der drei Teilskapellen/ I77
bezieht sich aber wiederholt auf die Herzoge von Oesterreich als
auf die gewesnen Grundherren in Küssnach und Art: vnsere
Herren die herzogen. Sie nennt zwei innerhalb der Küssnacher
Gemeindemarke gelegne Sonderhöfe mit der Bestimmung, dass
denselben kein Trieb- iind Azungsrecht auf jene Güter zustehe,
welche ebendaselbst das Gotteshaus Luzern besitzt. Diese zwei
Küssnacher Höfe heissen in der Öffnung die zwei Teilen: bedy
Tall. Grimm, Weisthümer IV, 359.
Haben wir nun zu Küssnach schon zwei sesshaft gewesne
Teilen, so wäre es doch ein sonderbares Missgeschick, wenn sich
dorten nicht auch der dazu unentbehrliche Gessler mit vorfinden
Hesse. Und siehe, ein solcher ist daselbst wirklich vorhanden,
zwei Urkunden führen ihn als einen Küssnacher Grundbesitzer an
Es erkaufen im Jahre 13 14 Johannes Gessler und dessen Söhne
Gotteshausgüter, welche der luzerner Stifts- Almosnerei zinspflichtig
und theils in der Pfarre Luzern, theils in der Pfarre Küssnach
gelegen sind. Darüber verzeichnet das Luzerner Probstei-Urbar
(Census Prepositure Lucernensis), eine IG Quartblätter haltende,
mir durch den Luzerner Stadtarchivar Jos. Schneller abschriftlich
mitgetheilte Pergament-Handschrift, nachfolgende Stellen:
In parrochia Küssenach: In berggeswile filii Ge sselers
et volricus goner de bona, quod ibi habent: Solidos 77« ^^ V« <i^<^^'
tale vini. Item filii g es seier s de bono ibidem, empto de petro
de Brügtal: SoL 5, (Blatt VI, 2 b.)
In parrochia Lucem: Johanyies Gessler SoL j. super orto
Ao. Dni, M-, CCC-. XIIj-. (Blatt VII, i a.)
Die hier genannten Höfe Brüggtal und Bergiswil waren beide
Eigenthum des Luzerner Leodegarstiftes und lagen, der erstere
innerhalb des Luzerner Pfarrkreises in der Richtung gegen das
Dorf Ebikon; der letztere, im Bezirke des Hofes zu Küssnach,
und besass da Sonderrechte, über welche gleichfalls urkundliche
' Zeugnisse aus dem 14. Jahrhundert in Grimms Weisthümer IV,
370 vorliegen. Der Hofname ist verschollen. Den Eigenthümer
dieser Höfe, den Vater Johannes Gessler kennt man urkundlich
seit dem 1 3. Januar 1 309. Er ist ein unfreier Bauer aus aargauisch
Meienberg, nimmt aus der Hand des habsburger Landadels Zins-
güter im Eigenamte und im Freiamte in Pacht, kauft sie von
Frohndienst und Vogtsteuer los, kommt als Rosshändler in
Verkehr mit Herzog Leopold dem Aelteren, leiht demselben
100 Pfund Pfennige, erhält statt deren Rückzahlung den Titel
Rochholz, Teil und Gessler. 12
1
178 I. Der Sagenkreis von Teil.
eines herzoglichen Küchenmeisters und stirbt als solcher 1315.
Sein ältester Sohn Heinrich vermehrt das väterliche Erbe, wird
Ritter, steht vorübergehend am Hofe der Herzoge zu Wien und
vertritt da die Ansprüche der Stadt Luzem. Dies ist jener
Gessler, aus dessen Namen die schweizerischen Chrpnisten ein
Instrument zu fortgesetztem Geschichtsbetruge gemacht haben.
War dieser beurkundete ritterliche Diener der Herzoge dem Pfeile
Teils zum Opfer gebracht, so schien ja damit der urkundlich
nicht nachweisbare Teil thatsächlich erwiesen; und dass beide,
Schütze und Erschossener, nur die zwei unentbehrlichen Hälften
einer und derselben Sagen-Composition seien, daran dachte die
arglose Vorzeit noch nicht, dies begann erst dem vorigen Jahr-
hundert zu dämmern. Als, da Freudenberger seine Schrift gegen
Teil hatte erscheinen lassen, folgt auf sie eine scheinbare Gegen-
schrift,*) vielleicht durch Freudenberger selbst veranlasst, in
welcher, S. 14, die Tellengläubigen mit folgender ironischen
Herausforderung gehänselt werden: »Ich frage die Gegner der
Geschichte des Teil, ob sie den gewaltsamen Tod Gesslers
glauben oder nicht ; eine Begebenheit, die mit dem andern Theil
der Empörung doch so genau verbunden ist, dass sie davon
nicht kann getrennt werden? Ist er nun umkommen? Warum
weigert Ihr euch dann, dass der Urheber seines Todes W. Teil
geheissen habe?« '
Schon hiemit hatte sich die richtige Einsicht ausgesprochen,
allein die Beweismittel mangelten ihr noch» Letztere sind erst
seit Eut. Kopps urkundlichen Forschungen njöglich geworden
und fassen sich nunmehr in folgende Fundamentalsätze zusammen.
Eine Person, Namens Hermann Gessler, die angeblich
bis 1 307 als österreichischer Vogt in den Urkantonen regierte und
dorten getödtet wurde, besteht in der Gessler-Sippschaft damaliger
Zeit noch 'gar nicht. Ein Hermann Gessler von Brunegg hat
bis und nach 1307 gleichfalls nicht gelebt, weil das aargauische
Schloss Brunegg damals und später, ohne Wechsel des Besitzers,
bei den Adelsfamilien von Hedingen und den Schenken von
Büttikon war und erst von diesen an Ritter Heinrich (IL) den
Gessler kam, der 1403 starb. Noch viel weniger hat je ein
*) Schreiben von M. J. an M. K., betreffend eine kleine Schrift, unter dem
Titel: W. Teil, ein dänisches Märchen. Aus dem Journal Helvetique, Mars 1760
übersetzt. MDCCLX. 8". 16 Seiten.
I
Gessler die Burg Küssnach am Waldstättersee besessen oder
bewohnt. Diese gehörte von 1296 bis 1347 dem Rittergeschlechte
der Eppone von Chussinach an, nach dessen Erlöschen dem
Edeln Walther von Tottikon, kam hierauf durch dessen Tochter
an deren Gemahl Heinrich von Hunwil und endlich 1402 durch
Kauf an das Land Schwyz, ohne jemals bei einem Gessler ge-
wesen zu sein. Von einem an den Gesslern jemals verübten
Morde wissen deren Urkunden, die wir vom Jahre 1250 bis 1530
gesammelt haben, nichts.
Das Alte hat bis zu seinem Tode das. Recht der Verthei-
digung, das Neue ebenso das Recht des Angriffes, bis es seine
feste Stellung sich erobert hat. Diese ist hier gefunden und un-
angreifbar gemacht.
8, Geschichte der drei Tellskapellen. 17g V
12*
/
IX.
Drei Teilenlieder von 1477, 1672 und 1633.
Ca. 1477.
Ein schön Lied vom Vr Sprung der Eydgnossenschafft
vnd dem ersten Eydgnossen, Wilhelm Thell genandt, auch von
dem Bundt mit sampt einer lobl. Eydgnoschafft wider Hertzog
Carle von Burgund vnd wie er ist erschlagen worden. Getruckt
zu Basel bey Johann Schröter. 1623. Kl. 8<^. ,
[Holzschnitt: Teil mit zweien seiner Kinder vor Gessler stehend, der unter
einem Baume sitzt.] Aargau. Kantons- Biblioth., hier bezeichnet: Rariora I 8°,
No. 2. — Haller, Biblioth. der Schweiz. Gesch., verzeichnet einen Druck vom
Jahre 1674. Uns selbst liegt ein fernerer vor, der als zweites zu drei Tellen-
liedem erschien: Basel im Jahre Christi 1765«
1. Von der Eydgnoschafft will ich's heben an,
dessgleichen g'hört noch nie kein Mann,
jhn' ist gar wol gelungen ;
sie händ ein' wysen vesten bundt,
ich will euch singen den rechten grund,
wie ein Eydgnoschafft ist entsprungen.
2. Ein Edel Land, recht als der kern,
das lyt verschlossen zwischen berg
viel vester dann mit muren:
da hub sich der Bundt am ersten an,
sie band der Sachen wysslich g'than
jn einem land, heisst Vry. .
3. Nun merkend, heben Eydgnossen gut,
wie sich der Bundt am ersten erhub.
9. Drei Tellenlieder von 1477, 1672 und 1633. 181
daz lönd euch nit yerdriessen:
das einer seinem liebsten söhn
ein' öpflfel von seiner scheytlen schon
mit seinen henden musst schiessen.
4. Der Landvogt was ein zornig Mann,
g'sach Wilhelm Thellen gantz vbel an:
»komm har, ich muss dich fragen,
welches ist dein liebstes Kind,
das bring mir dar gar schnell und gschwind,
von dem solt du mir sagen.«
5. Der Wilhelm Thell, der antwort schon,
ich han so gar ein' jungen söhn,
der frewt mich auss der massen,
darzuo sein Mutter, mein Ehlich Wib,
wir wurden wagen vnser beyder Lib,
ehe wir jn wolten verlassen.
6. »Was lyt mir an deinem jungen Sohn,
waz ich dir büt, must du thun,
oder dich wird es nicht nutzen,
du bist des schiessens also bericht,
das man es von dir hört vnd sieht
vnder allen Armbrust-Schützen.«
7. Wilhelm Thell herwider sprach:
Herr, sind mir vor diesem Vngemach,
solt' ich zu mei'm Sohn schiessenl
der Landvogt sprach: schweig, es muss sein,
obschon dich staltest wie ein schwein!
es that ihn sehr verdriessen.
8. Der Landvogt sprach zu Wi^lhelm Thell:
»nun lug, das dir dein kunst nit fäl*
vnd merck mein red gar eben:
triffstu jn nit mit dem ersten schütz,
ftirwar, es bringt dir keinen nutz
vnd kostet dich dein leben.«*)
*) Str. 8 wird wörtlich wiederholt in Strophe 4 des Teilenliedes, das in der
1501 von Ludw. Sterner verfassteu Chronik der Burgunderkriege steht und mit
neuen Zusätzen um das Jahr 1540 in Zürich bei Augustin Fries gedruckt worden
ist. Siehe Liliencron, Die histor. Volksll. 11, 109 — 115.
I
L
l82 !• I^cr Sagenkreis von Teil.
9. Zwentzig vnd hundert schritt, die must er stän,
ein pfyl vff seinem Armbrust hän,
da was gar wenig schertzen;
er sprach zu seinem liebsten söhn:
ich hoff, es soll vns wol ergohn,
hab Gott in deinem hertzenl
10. Da bäht er Gott tag vnd nacht,
daz er den öpffel zun ersten traff,
das that den Landvogt verdriessen;
die gnad hat er von Gottes krafft,
das er vss rechter Meisterschafft
so höflich konnte schiessen.
11. Da er den ersten schütz hat thön,
ein pfyl hat er in seim göller stön:
hett' ich mein^ Sohn erschossen,
so sag ich euch, Herr Landvogt gut,
so hat' ich das in meinem muht,
ich wölt' euch auch hän troffenl*)
12. Damit macht' sich ein grosser stoss,
davon entsprung der erste Eydgnoss,
Gott wolt die Landvögt' straffen;
sie schuhen weder Gott noch fründ',
so eim* gefiel Wyb oder Kind,
weiten* s bey jhnen schlaffen.
13. Grossen vbermut triben sie im land,
vil böser g'walt, der währt nit lang,
also findt mans g'schriben.
Es händ's des Fürsten Landvögt' thön,
drumb ist er vmb sin Herrschafft k6n
vndt auss dem Landt vertrieben.
14. Ich will euch singen den rechten grund,
sie schwuoren einen vesten Bundt,
die jungen vnd die alten;
Gott wöll' sie lenger in Ehren hän,
•) Strophe ii. Hier gilt eben das, was schon über Str. 8 bemerkt wordea.
9. Drei Teilenlieder von 1477, ^^72 und 1633. ' 183
als er bisshar auch hat gethan,
so wend wir^s Gott län walten.
*
« *
15. Die EydgnoschafFt ist aller Ehren voll,
Zürich ich billich loben soll
vor Fürsten vnd vor Heren;
dessgleichen lob' ich die Edlen von Bern
vnd auch die Weysen von Lucem,
sie leuchten all^ in Ehren.
16. Die Weysen von Vry sind vor genant,
Schwytz, das ist mir wol bekandt,
die Vesten von Vnderwalden,
Zug vnd Glaris ich hiemit preiss, .
die Acht Ort sind vest vnd weiss,
Gott wöir sie in Ehren halten 1*)
17. Solothum, du alter stamm;
von Freyburg ich nie kein böss vernam,
Biel lob' ich mit schallen.
Appenzell stät auflf vestem grund,
SchafThausen hört auch in Bundt,
mit einem Apt von Sant Gallen.**)
18. Das ist die rechte EydgnoschafFt,
darvon der Bundt soll haben krafift,
Gott wöU' sie hän in Ehren,
dz wünsch' ich jhnen auss trewen mut,
nun frewend euch, lieben Herren gut,
der Bimd, der will sich mehren.
19. Sit ich die warheit reden soll,
der Bundt, der g'falt den Leuten wol,
das mögend jr wol erkennen,
die edlen Herren sind ausserwölt,
sie händ sich selber in Bundt gesteh,
drl Hertzog will ich nennen:
*) In Strophe 15 und 16 sind die Acht alten Orte aufgezählt, deren Zahl
im Jahre 1481 auf zehen stieg.
*•) Strophe 17. Die "genannten Orte sind in den Bund eingetreten und zwar
Solothum und Freiburg anno 1481; Biel 1496; Appenzell 15 13; Schaffhausen
1501; St. Gallen 1454.
iS^ I. Der Sagenkreis von Teil,
20. Hertzog Sigmund von Oesterreich
thet eim^ frommen Fürsten gleich,
hat sich wol dar gelassen,
Leib vnd Guot vnd was er hat,
fürsach er das mit seinem Raht,
hat er in Bundt verschlossen. *)
■
21. Der Edle Hertzog von Meyland,
der hat gelobt mit seiner hand,
that sich inn Bundt verschreiben,
als seine vordem hing gethan,
damit wolt' er sein herschafft bTian,
darbey län ich's bleiben.**)
22. Hertzog Reinhart von Lottringen,
derselb thut auch nach Ehren tringen,
dem ist gross G'walt geschehen,
Burg vnd Stett wurdend jm gn6n,
das wolt er nit vngerochen 16hn,
das hat man wol gesehen.***)
23. Ich hoff*, Qx hab^ ein' guten grund,
Strassburg, das hört auch in Bundt,
sie teten als die weissen;
Colmar, Schlettstat desselben gleich,
Basel, Mülhausen im Römischen Reich,
die fünff Stett wil ich preisen, f)
*>
^) Strophe 20. Oesterreichische Erbeinigung mit den fünf Orten 1477 ; mit
den zwölf Orten 151 1.
**) Strophe 21. Zwischen Galeazzo Maria Sforza und der Eidgenossenschaft
kam 1474 ein Bündniss zu Stande. Allein im Verlauf des Burgunder Krieges
hatte man in der Schweiz Anlass, mit Galeazzo' s Haltung sehr unzufrieden zu
sein. Am 30. Januar 1475 schloss er ein Bündniss mit Burgund und während
des ganzen Krieges flössen mailändische Söldner dem burgundischen Heere reich-
lich zu. Obige Strophe kann also wohl 1474, nicht aber erst 1477 gedichtet sein;
denn ein Schweizer, der 1477 dichtete, hätte jene Thatsachen schwerlich un-
berücksichtigt gelassen, so wenig als den Umstand, dass Galeazzo mittlerweile
am 26. December 1476 ermordet worden war. Liliencron, Die histor. VolksU.,
Bd. 2, S. 112, Note.
***) Strophe 22. Vertrag mit Lothringen 1476. »'
f) Strophe 23. Evangelisches Burgrecht mit den genannten fünf Städten im
Jahre 1529.
9- Drei Tellenlieder von 1477, 1672 und 1633. 18
24. Hiemit macht' sich ein grosser Bundt,
straft Hertzog Carle von Burgund,
sein Vnglück will sich machen;
der anfang, der ist gut gesin
vor EUengurt vnd Pünterling,
das sönd wir wol betrachten.*)
25. Zu Orben geschach ein raucher stürm,
sie wurflfend die Fygend auss dem Thurn,
Plomund ward gar zerbrochen,
SafFoyerland ward gar zerstört,
dessgleichen hat kein Mann erhört,
der schad stuond vngerochen.
26. Das vernam der Hertzog von Burgund,
er sprach zum Graifen von Reymund:
den schaden will ich rechen,
sobald ich das nun fiigen kan,
solt' ich verlieren, was ich hin.
die wort hörf man jn sprechen.
27. Zu Gransee hat er ein Mordt gethan,
Gott wolt's nit vngerochen län,
da ist ein streit beschehen,
er verlohr ein Herrn von Tschetigung,
sein' liebsten Fründ, daz säg ich nun,
das hat man wol gesehen.**)
28. Das Sacrament vnd Heilthumb rein,
Silber, Gold vnd Edelgstein
must er alls hinder jhm lassen;
Büchsen vnd Zelten theten jhm zoren,
Sieg vnd Paner hat er verloren,
das klagt er auss der massen.
29. Der spott thet jhni billich wee,
vor Murten wölt er^s versuchen mee
*) Strophe 24. Die hochburgundischen Orte Ericourt (Schlacht daselbst
13. Nov. 1474) und Pontarlier. — Die in der folgenden Strophe genannten Orte
Blamont, Orbe etc. sind aus dem burgundischen Kriege genugsam bekannt.
**) Strophe 27. Tschetigung: Chateau-Guyon.
l86 I« I^er Sagenkreis von Teil.
darnach jm wämden summer;
die Eydgnossen hand^s bald vernön,
* sind gar tröstlich zsamen kön,
dess kam er in schweren kummer.
30. Sie zugend durch ein* grünen Wald,
sie waren frölich jung vnd alt,
jhre Paner theten's aufFschwingen ;
auf einer Heyden, die was wyt,
zugend^s frölich an den Strit,
als woltens an Dantz gin springen.
31.' Die Bundtsgnossen griffen d frölich an
mit mengem vnverzagten Mann,
nach ehren wolt man fachten,
zu Ross vnd Fuess, das staht jhnen wol,
wo man das von jhnen sagen sol
vor Ritter vnd auch Knächten.
32. Der Bischoflf von Sitten ist ein fürstlich Mann,
hat sein allerbestes gethan
zu denselben Zeiten;
Vnd auch die Walliser wolgemut
hand gewunnen Ehr vnd Gut
mit stürmen vnd mit streiten.
33. O Hertzog Carle von Burgund,
du hast verachtt den grossen Bundt,
das hört man von dir sagen;
so hat man dir gezelter Mann
viervndzwentzig tusend auff einem plan
ertrenckt vnd auch erschlagen.
34. Dannoch wolt er nit haben ruh,
Er meint, es war' noch nienen gnue.
Er wolt' es wieder bringen;
so mag ich mit der warheit sag'n,
er ist im veldt zu todt erschlagen
vor Nanse in Lottringen.
35. Gott, Himmels schöpffer vnd Erdrkh,
behüet vns jemer vnd ewiglich
9. Drei Tellenlieder von 1477, 1672 und 1633. 187
vor solchem grimmen Fürsten;
dann dein ist das Reich vhd die Kraflft,
o Herr, mach mich deins Tods theilhaflft,
so wird mich nimmer dürsten.
ENDE.
Vorstehendes Lied trägt in Ludw. Sterners Handschrift, geschrieben 1501,
nun im Besitze der Familie Diesbach zu Freiburg in Uechtland, nur die Ueber-
schrift »von der eidgenossen pundt«, und nach jenem Texte steht dasselbe abge-
druckt in den Histor. Volksliedern der Deutschen, von Liliencron, Bd. 2, No. 147.
Letzterer schickt über das Alter und das allmählige, stückweise Zustandekommen
des Liedes etliche Bemerkungen voraus, die auch an dieser Stelle ihren Zweck
haben.
»In seiner vorliegenden Gestalt ist das Lied nicht vor dem Jahre 1477 ge-
sungen, weil es mit dem Tode Karls von Burgund schliesst. Auch ist es nicht
später gesungen, denn der Bund mit Oesterreich und die Burgunderkriege bilden
den Inhalt seiner zweiten Hälfte. Es könnte aber allmählig entstanden sein.
Vielleicht enthielt es anfänglich nur Strophe i bis 13, denn diese letztere Strophe
Uingt nach einem Liedschluss. Dazu kam wohl zunächst die Aufzählung der
Orte, Strophe 15 bis 18. Daran wurden weiter etwa die Strophen 19 bis 24
von der Vermehrung des Bundes durch die drei Herzoge von Oesterreich,
Lothringen und Mailand und durch die Niedere Vereinigung. Strophe 23, gehängt,
was 1474 geschehen sein müsste ; und nach dem Schlüsse des grossen Krieges 1477
kamen dann noch die übrigen Strophen dazu. Das Lied selbst erregt einiger-
Blassen den Verdacht dieses Herganges, vergl. die Anmerkung zu Strophe 21. <
1672.
Joh. Casp. Weissenbach, fürstl. Einsidlischer Raht vnd
gewessner Obervogt der Herrschafft Gachnang, mit dem Dichter-
namen Dämon, verfasst: Eydgnoszsisches Contrafeth
Auff- vnnd Abnemmender Jungfrawen Helvetiae etc.
von der Burgerschafft Löbl. Statt Zug durch offentl. Exhibition
den 14. vnd 15. Sept. 1672 vorgestellt. Zug, getruckt bey Jac.
Ammon 1673. 8^ —
Actus I, Scena VI: Wilhelm Teil. Sein Sohn.
Sohn: Ach Vatter, was hab ich gethan,
Dass du mich also bindest an?
Teil : Mein Kind, schweig still, mein Hertz schonst gross.
Ich hoff, es werd mein Pfeil vnd G'schos
l88 I. Der Sagenkreis von Teil.
Kein Schaden dir nicht bringen (bereiten).
Du trägst kein Schuld vnd ich kein Sund,
Ruif nur zu Gott mit mir, mein Kind,
Gott wird den Pfeil schon leithen.
Denn sterben eh belieben thut,
Als ehren den aufFg^steckten Hut,
Ach der betrengten Zeiten!
Halt auif dein Haupt, rieht dich nur auff,
In Gottes Namen schiess ich drauflf.
Der gerechte Gott soll leben.
(Teil schiesst aus freier Hand den Apfel ab.)
Sohn: Ach Vatter mein, Gott mit vns halt,
Der Apfel von der Scheytel falt,
Gott hat den Segen geben.
Landvogt: Was ist diss für ein ploderment,
Sag mir, dein Pfeil zu was flir end
Thut noch im Kocher stechen?
Teil: Weil ich Gott hab aFs heimbgestelt.
So wüsse, hat' der Schutz gefehlt,
Wolt* ich an dir mich rechen.
Landvogt: Mit jlim hinweg vnd nur gschwind fort.
Ich will jhn setzen an ein Orht,
Dass er wird schon vergessen
Sein Duck, den Schalck, den er im Kopflf,
Hinweg mit disem schlimmen TropfF,
Ich will jhm d^ Schmach einmessen.
(Carl Wolfgang Wickart, Hauptmann und Stadtschreiber von
Zug, spielte den Teil, Carl Joseph Brandenberg den Sohn Teils,
und Christoph Petermann den Vogt Gry dl er (st. Gryssler).
Vorstehende Verse finden sich wieder in der Monatsschrift
Französische Miscellen (lo Bde.) von L. Achim v. Arnim
und Helmina v. Hastfer, geborne v. Klenck (spätere Chezy). In
Bd. III (Tübingen, Cotta 1803) S. 82 heisst <es aus Arnims Reise-
tagebuch: Gestern wanderte ich durch Art (Kt. Schwyz) und
las auf dem grössten (Haus-) Giebel neu aufgefrischt:
Teil: Zu Ury bey den Linden
Der Vogt steckt auf den Huth
Und sprach: Ich wÜl den finden.
Der dem kein' Ehr anthut.
9. Drei Tellenlieder von 1477, 1672 und 1633. 189
Ich that nicht Ehr dem Huthe,
Ich sah ihn kühnlich an;
Er sagt: du traust dem Muthe,
Will sehn, ob du ein Mannl
Er fasst den Anschlag eitel,
Dass ich nun schiess geschwind
Den Apfel von dem Scheitel
Meinem allerliebsten Kind.
Darauf folgen hier die beiden ersten Reden zwischen Vater
und Sohn aus dem vorgenannten Schauspiele Weissenbachs,
welche sammt der obigen Stelle nachmals übergegangen sind
in Des Knaben Wunderhorn mit der Bemerkung: »Abge-
schrieben von einem Hausgiebel in Arth.«
Ein schön Nev^
Lied
Von Wilhelm
Thell: Durch Hieroriimum
Muheimb von newem gebes-
sert vnd gemehret.
Im Thon, Wilhelmus von
Nassawe, bin ich von etc.
h
Der Apfelschuss in Holzschnitt.
Getruckt im Jahr 1633.
(8 Oktavseiten.)
(Auf der Beraer Stadt-Bibliothek: »Telliana Hii.<r)
I. WJlhelm bin ich der Thelle,
von heldesmuth vnd blut,
mit meinem gschoss vnn pfeile
hab ich die Freyheit gut
dem Vatterlandt erworben,
vertriben tyranney,
ein vesten bundt geschworen
händ vnser g' seilen drey.
I
[
IQO ^- I^cr Sagenkreis von Teil.
2. Vry, Schwytz, Vnderwalden,
gefreyet von dem Reych,
litten gross zwang vnn gwalte
von Vögten vnbillich,
kein Landtman dörfft nit sprechen,
das ist mein eygen gut,
man nam ihm also fräche
die Ochsen von dem Pflug.
3. Dem, der sich wolte rechen
vnd stellen in die Wehr,
thät man d' Augen auszstechen,
nun höret Bossheit mehr,
zu Altorff bey der Linden
der Vogt steckt auff sein Hut,
er sprach: ich will den finden,
der dem kein Ehr anthut.
4. Das hat mich vervrsachet,
dass ich mein Leben wagt,
den Jammer ich betrachtet,
dess Landtmans schwere Klag;
vil lieber wolt ich sterben,
dann leben in solcher schand;
dem Vatterlandt erwerben
wolt ich den freyen Standt.
5/ Den Piltz wolt ich nit ehren,
den auflfgesteckten^Hut,
verdrösse den Zwingherren
in seinem Vbermuht,
er fasst ein anschlag eytel,
dass ich musst schiessen gschwind
ein' ApfFel von der Scheitel
meinem dem liebsten Kind.
6. Ich bat Gott vmb sein güete
vnd spannet aufF mit schmertz,
vor angst vnn zwang mir blüetet
mein vätterliches Hertz,
den Pfeil kondt ich wol setzen,
bewahret war der Knab,
g. Drei Tellenlieder von 1477, '^72 tind 1633. iqi
ich schoss jhm ohn verleteen
vom Haupt den Apffel ab.
7. Auflf Gott steht all mein hoffen,
Er leitet* meinen Pfeil,
doch hett^ ich mein Kind troffen,
ich wolt* fürwahr in eyl
den Bogen wider spannen,
auch treffen an dem ort
den Gottlosen Tyrannen,
vndt rechen solches mordt.
8. Das hat der Bluthund gschwinde
gar wol an mir vermerckt (verschmeckt),
dann ich ein Pfeil dahinden
in mein Goller gesteckt;
was ich darmit thät meinen,
wolt er ein wissen han,
ich kondt^ es nicht verneynen,
zeigt jhm mein meinung an.
'9. Er hat mir zwar versprochen,
er wolt mir thuon kein leyd,
jedoch hat er gebrochen
sein wort vnd auch sein Eyd,
Ja zu derselbigen stunde
mit zom er mich angriff,
liess mich gar hart gebunden
hinführen in ein Schiff.
10. Ich gnadet meinem gsinde,
dass ich jhr musst verlan,
mich jammert Weib vnn Kinde,
mit manchem Bidermann,
ich meynt sie nit mehr zufinden,
vergoss so manchen Thran,
vor hertzleid thet mir gschwinden,
dess lachet der Tyran.
11. Er wolt mir han zur busse
beraubt der Sonnen schein,
zu Küssnach auff dem Schlosse
192
I. Der Sagenkreis von Teil.
mich ewig speren eyn.
mit trutzen vnd mit pochen
führten sie mich dahin,
das liess Gott nit vngerochen,
vnnd halfF dem Diener seyn.
12. Dem Wind that er gebieten,
der kam im stürm dahar,
der See fieng an zu wüeten,
dz Schiff stund in gefahr,
der Vogt hiess mich lossbinden
vnnd an das Ruder stän.
Er sprach, hilff vns geschwinde
mir vnnd dir selbst darvon.
13. Das thet ich gern erstatten,
ich saumpt mich da nit lang,
als ich kam zu der Blatten, *
zum Schiff hinauss ich sprang,
ich eylt^ so wunder schnelle
durch hohe Berg hind an,
den Winden vnd den Wällen
befahl ich den Tyrann.
14. Er brüelet wie ein Lcewe
vnnd schrey mir zornig nach,
ich achtet nit sein traewen,
zu fliehen ward mir gach;
Ja inn der holen Gassen
wolt rechen ich den Trutz,
mein Armbrust thaet ich fassen
vnnd rüsf mich zu dem Schutz.
15. Der Vogt kam jetz geritten
hinaufF die Gassen hol,
ich schoss jhn durch die mitten,
der schuss war gerahten wol,
zu todt hab ich jhn gschossen
mit meinem Pfeile gut,
er fiel bald ab dem Rosse,
dess ward ich wol zu muth.
9. Drei Tellenlieder von 1477, 1672 und 1633. Iqj
16. Als David auss der Schlingen
den grossen Goliat
mit einem Stein geringe
zu boden gworifen hat:
also gab Gott der Herre
mir sein Genad vnd Macht,
dass ich mich gwalts erwehret,
den Feind hab vmb gebracht.
17. Mein Gsell hats auch gewaget,
bewiesen kein Genad,
dem Landenberg gezwaget
mit einer Axt im Bad,
der sein Eheweib mit zwange
wolt haben sein Mutwill,
dess schont er jhm nit lange,
schlug jhn zu tod in eyl.
18. Kein ander Gut noch beute
suchten wir in gemein,
dann den gwalt auss zu reuten,
das Land zu machen rein;
wir funden ja kein rechte,
kein schirm, kein Oberkeit,
darumb mussten wir fechten,
Gotts gnad war vns b'reit.
19. Da fieng sich an zu mehren
ein' wehrte Eydgnoszschaft,
im angriff bald zum Wöhren ;
der Feindt der kam mit krafft,
den ernst wir da nicht sparten
vnd schlugen dapffer drein,
wol an den Morengarten
musst er erschlagen seyn.
20. Wir schlugen da den Adel
mit aller seiner Macht,
gestraufft han wir den Wadel
dem Pfaw, der vns verachtj
ein Pfeil hat vns ge warn et,
das Glück stund auff der Wag,
Rochholz, Teil tind Gessler. I3
lO^ !• Der Sagenkreis von Teil.
gar sawr hand wirs erarmet (erarnet),
zween Sieg am selben Tag.
2 1. Der Feind that vns angreiffen
mehr dann an einem ort,
den SchimpfF macht er vns reiffen,
wir mussten lauffen fort
an Brüenig zu dem streite,
zu hilfF den Freunden gut,
da gab der Pfaw die weite,
das kost vil Schweiss vnd Blut.
2 2. Da merckt, fromb Eydgenossen,
gedencket offt daran,
das Blut, für euch vergossen,
lasst euch zu hertzen gähn,
die Freyheit thut euch zieren,
darumb gebt Gott die Ehr,
soltet jhr die verlieren,
sie wurd^ euch nimmermehr.
23. Mit müeh ist wol gepflantzet,
mit ewer Vätter Blut,
Freyheit, den edlen Krantze,
den halten wol in hut,
man wirdt euch den abstechen,
besorg ich, zur selben zeit,
wann Trew vnnd Glaub wird brechen
der eygen Nutz vnd Gelt (Geit).
24. Mir ist, ich gsehe kommen
so manchen Herren stoltz,
bringen »in grossen summen
dess Gelts vnd rohten Golds,
damit euch ab zu marchen,
zu kauffen ewer Kindt,
die noch ein wort nit sprächen
vnnd in der Wiegen sind.
25. Ich thu euch dessen warnen,
weil Warnung noch hat platz,
gespannt sind euch die Garne,
f
9. Drei Tellenlieder von 1477, 1672 und 1633. loq
die Hund' sind auff dem Hatz;
gedencket an mein trewe,
kein Thell kompt nimmermehr,
euch wird kein Freunde newe
geben ein besser lehr.
26. Thut euch zusammen halten
inn Fried vnnd Einigkeit,
als ewere fromme Alten,
betrachtet Bundt vnd Eyd;
lasst euch das Gelt nit müessen,
die Gaaben machen blind,
dass jhr nit müesset büessen
vnd dienen zletst dem Feind.
27. Den Thellen sollen wir loben,
sein Armbrust halten wehrt,
das vns vom grimmen toben
der Herren hat erret (emert),
vil Staett vnd Schloesser brochen,
geschliessen auff den grundt,
erret von schwerem joche,
gemacht der Schweytxer Bund.
28. Nempt hin, fromb Eydgnossen,
die noch aufFrichtig sind,
diss Lied hiemit beschlossen,
thut schlagen nit in Wind,
der Muchheimb hats gesungen,
gedichtet vnd gemehrt,
zur Warnung g'lehrt den Jungen,
dem Vatterlandt verehrt.
ENDE.
Abdruck nach dem Fl. Bl. vom Jahre 1633 auf der Berner StaÖt-Bibliothek.
Dr. med. Schild in solothumisch Grenchen besitzt das Lied in einem Drucke von
1673; und einen andern von 1698 verzeichnet Koch, Kompend. der Literatur i, 271.
13*
igg I. Der Sagenkreis von Teil.
Anmerkung zum Muheim'sghen Tellenliede.
Unserer Ausgabe von 1633 und späteren steht am Titel vorgedruckt: Zu
singen Im Ton Wilhelmus von Nassawe. Gemeint ist damit die in Hol-
land jetzt noch lebende Volksweise des von Philipp van Mamix zwischen 1568
und 1569 gedichteten niederdeutschen Kriegsliedes, anfangend:
Wilhelmus van Nassouwen
Ben ick van duytschem Bloedt.
Der niederdeutsche Text steht abgedruckt in Hoffmanns Horae Belgicae II, 96.
Der besungene Held ist Wilhelm I., Graf von Nassau , welcher sich Prinz von
Oranien nannte, General-Capitän der gegen die Spanier insurgirten Niederlande
war und 1584 durch Meuchelmord fiel.
Schon im Jahre 1582 war Mamixens Lied in hochdeutscher Version gesungen
und damals übergegangen in das Ambraser Liederbuch, hier unter dem Titel:
»Ein schön Lied, zun ehren gemacht dem Prinzen von Uranien. Im Thon wie
der Graff zu Rom,<r Bergmann' s Ausgabe des Ambraser Liederbuchs, S. 187. Zum
Beweise, dass dasselbe durch das Muheim'sche Teilenlied ausgeschrieben worden
ist, werden diesem letzteren die aus dem Wilhelm von Nassau entlehnten Text-
stellen hier nach der Strophenzahl gegenüber gestellt.
Str. I : Wilhelmus von Nassawe
bin ich Von teutschem blut,
dem Vaterland getrawe
bleib ich bis in den tod;
Ein printze von Uranien
bin ich frey unerfehrt,
den könig von Hispänien
hab' ich allzeit geehrt.
Man sieht, dass die zwei Anfangsverse der Strophe in den beiden Liedem
von Älamix und von Muheim wörtlich sich gleichen. Welcher der beiden Autoren
ist nun in diesem Falle unser Original? Dies kann nur derjenige sein, welcher
seine Liedstrophe so richtig baut, dass sie in allen ihren Theilen mit der sie
begleitenden Melodie correspondirt. Dies thut Mamix; seine vorliegende Strophe
ist singbar, weil in ihr die logische, rhythmische und melodische Periode zu-
sammentreffen. Gegen diesen dreifachen Vorzug des wahren Volksliedes sündigt
Muheim, darum ist seine Strophe gesangwidrig ; denn sie bindet den Vers 4 und 5
in Eine grammatische Construction zusammen und zerreisst dadurch Beides: das
logische Ebenmass der zwei Strophenhälften und das rhythmische der sie beglei-
tenden Melodie. Bei Marnix ist die Strophe ihrer Melodie auf den Leib ge-
schnitten, bei Muheim ist sie ein entlehntes und darum falsch sitzendes Kleid.
Jene besteht mit und durch ihre Melodie, sie lebt mit der Volksweise im Volks-
munde fort; diese ist ein Product der tauben Schreibstube, Niemand weiss mehr
ihren »Ton« zu singen. Hiemit ist die Frage über das geistige Eigenthumsrecht
erledigt. Leichter fällt nun der Nachweis, wie ungelenk der schweizerische Co-
piste den Gedankengang des Holländers »ver-urnert«f. Er setzt schon in Vers 3
des Teilen »Geschoss und Pfeil« voran, wo Marnix mit patriotischer Vernunft das
Vaterland angesetzt hat, und lässt dieses dann erst in Vers 5 nachhinken. Er
bricht schon in Vers 6 voreilig heraus mit der Phrase »vertrieben Tyranney«f,
welche bei Marnix erst in Strophe 6 erscheint: »Die Tyrraney vertreiben«. Er
9. Drei Tellenlieder von 1477, 1672 und 1633. \^j
schliesst seine erste Strophe mit der eben so sehr verfrühten Erwähnung des 1
Bundes im Rütli: »Ein vesten bundt geschworen händ vnser g' seilen Drey«. Mar-
nix, der hier, seinen einen Helden allein zu besingen hat, schweigt darum über
den Dreimänner-Bund, über welchen hier zu sprechen auch er ganz berech-
tigt gewesen wäre. Er hatte nemlich die niederländische Compromiss-Acte ent-
worfen gegen die Einführung der spanischen Inquisition, und die zwei ihm Bei-
tretenden: Herzog Ludwig von Nassau und Heinrich von Brederode, hatten feier-
lich gelobt, »mit Leben und Gut« einander beizustehen.
Muheims Strophe 4 steht vorausgeschrieben beiMarnix' Strophe 2, Vers i — 4;
Strophe 5, V. 4 — 8 ; und Strophe 9, V. 3 — 8.
In Gottes forcht zu leben
hab' ich allzeit betracht,
darumb bin ich vertrieben,
umb land u. leut' gebracht. —
Für Gottes wort geprisen
hab' ich frey unverzagt,
als ein held sonder forchten,
mein edel blut gewagt. —
Darnach so thut verlangen
mein fürstlich gemüt.
Das ich doch möge sterben
mit ehren in dem feld,
ein ewigs reich erwerben,
als ein getrewer held.
Muheims Strophe 9, Vers 5 steht wörtlich im flämischen Volksl. von Graf
Egmond, Strophe 6: '
Bald to der sülven stunde
de graf vam Home gut, etc.
Dieses Lied, in derselben Strophen- und Versart verfasst, wie das Teilenlied,
liegt vor als Fl. Blatt vom Jahre 1568, und hochdeutsch als Fl. Blatt von 1569.
Siehe Uhlands VolksU. No. 356 und S. 1040. Dasselbe ist also gleichfalls um ein
Jahrhundert älter als Muheims Teilenlied.
Muheims Strophe 16 ist Marnixens Strophe 8, und hier also lautend:
Als David muste fliehen
vor Saulo dem tyrann,
so hab' ich müssen weichen
mit manchem edelman;
Aber Gott thet jhn erheben,
erlösen aus der not,
ein königreich gegeben
in Israel sehr gross.
I Muheims Strophe 19 wiederholt den Gedankengang und die Formeln von
Mamix' Strophe 4:
Leib und gut, alls zusammen,
habe ich nit gespart,
meine brüder, hoch mit namen,
haben euch auch verwart.
Iq8 I. Der Sagenkreis von Teil.
Graf Adolff ist geblieben
in Friesland in der schlacht,
sein seel im ewgen leben
erwardt den jüngsten tag.
Der Ton des Wilhelm von Nassaue ist ursprünglich kein anderer als der
des Nibelungenliedes; selbst die vier Hebungen in der achten Strophenzeile brechen
noch oft genug durch, um mehr als zufallig zu sein. (Soltau , VolksU. ; Zweites
Hundert, S. 45.) Nach dem Namen der mehrfachen in diesem Tone besungenen
Helden hat denn die Liedweise ihren Namen oft geändert und nennt sich der
Reihe nach:
Hildebrandston. Hierüber vergl. Jak. Grimm, Meistergesang S. 136; und
Uhland, VolksU. H. S. 1013.
Graf von Rom: Uhland, VolksU. No. 299.
Rümensatel: Uhland, VolksU. No. 127.
Der Benzenauer: Zubenannt nach dem Liede von der Belagerung des tiroler
Schlosses Kufstein im Jahre 1504- Ein hüpsch lied von dem Benzenouwer,
wie es im ze Kopfstein ergangen. LiUencron , Die histor. VolksU. IL
No. 246. Die Melodie dazu, 1. c. Bd. V, No. XIII.
D er Bruder Veit.
Das Spottlied: »Gott griiss dich, Bruder Veite«, womit die schweizerischen
Söldner während der Mailänder Feldzüge ihre Gegner, die deutschen Landsknechte
verhöhnten, ist verloren. Die landsknechtische Antwort darauf hat -sich erhalten.
Sie erfolgte nach der Niederlage der Schweiz^rtruppen bei Marignano 1515, nennt
sich »Bruder Veit wider Heini, Ain lied von den schweützeren« (Uhland, VolksU. II,
S. 1019), ist in der Strophenform des vorausgegangenen schweizerischen Liedes
gedichtet, wie aus dessen vorhandenen zwei Anfangsversen erhellt, und hält auch
denselben Ton, was sich daraus erweist, dass es gesungen worden ist nach der
Melodie :
Lobt Gott, ihr Christen alle
In teutscher Nation.
LiUencron, 1. c. Bd. 3, No. 292. Die Melodie zu letzterem Texte steht
ebenda, Bd. 5, No. XV.
»Bis zum Anfang des siebzehnten Jahrhunderts gab es Lieder zum blossen
Lesen noch nicht; Wort und Weise waren noch zwei von einander untrennbare
Seiten desselben Kunstwerkes, die erst gemeinsam mit einander ein Lied bilden.
Kein Dichter liess ein Lied ausgehen, ohne dass er ihm entweder in einer neuen,
oder in einer von einem älteren Liede entlehnten Melodie auch die Form seines
Lebens und Wirkens mit auf den Weg gab. Wählte der Dichter eine im Volke
schon umlaufende Melodie , dann wird entweder Schönheit und* Beliebtheit der
Melodie seine Wahl bestimmt haben; oder nicht minder häufig und entscheidend
war irgend eine Verwandtschaft und Beziehung seines neuen Liedes zu dem älteren.
Dadurch hatten die Liedersänger einen nicht zu verkennenden Vortheil, denn
durch die Beziehung auf das ältere Lied vermochten sie gleich mit der ersten
Zeile ihres neuen Liedes gewisse bestimmt gerichtete Empfindungen im Hörer
anklingen zu lassen.
»Nun ist es bekannt, dass die Dichter es damals liebten, wenn sie die Melodie
eines Liedes zu einem neuen benutzten, auch seine Eingangszeile entweder
ganz beizubehalten, oder sie dem Hörer durch einen Anklang daran in die
9. Drei Tellenlieder von 1477, 1672 und 1633. igg
Erinnerung zu rufen, um auf diesem Wege ihr neues Lied um so fester an die
bekannte Melodie zu knüpfen.« Liliencron 1. c, Bd. 5, S. i und 82.
Das Lied von Wilhelm von Nassau hatte seine Verbreitung und Beliebtheit
besonders seiner hübschen Weise zu verdanken. Seine Melodie ist eine so an-
genehme, schreibt Joh. Mattheson im Mithridat (Hamburg 1749, S. 12 — 14), dass
es nicht nur schon vor mehr als anderthalb hundert Jahren auf allen Thürmen
geblasen, mit den Glockenspielen geläutet, auf allen Gassen gesungen und ge-
sprungen (getanzt) wurde, »sondern dass es noch bei dem heurigen Friedensfeste,
13. Juni 1749, zu Maestricht und im Hag hat feierlich erklingen müssen.« W^ei-
marer Jahrbücher 4, 163, Nach Melch. Lusser's Bericht in der Statistik des
Kantons Uri (wiederholt in Osenbrüggens Neue Culturhistorische Bilder 1864, 119)
wird bei Eröffnung der Urner Landsgemeinde von der Musik die Arie des Tellen-
liedes aufgespielt. Diese Notiz gilt jedoch heute schon nicht mehr. Der Altorfer
Musikverein, der bei der Landsgemeinde zu spielen pflegte, hat sich vor längerer
Zeit aufgelöst, aber auch er kannte die Weise des Tellenliedes nur in ihrer einen
Hälfte und war also genöthigt, die achtzeilige Liedstrophe als zwei melodisch sich
gleiche Vierzeilen vorzutragen. Ein solches Melodienfragment kann von der Blech-
musik geblasen, nicht aber kann darnach ein Volkslied abgesungen werden. Die
Weise des Tellenliedes ist also auch im Umer Volksgedächtnisse ausgestorben.
So berichtet man uns aus Altorf von Seite eingeborner und musikalisch gebildeter
Männer, und zwar unter Beischliessung jenes Fragmentes, das weder alt, noch von
musikalischem Werthe, noch überhaupt echt ist.
s
I
X.
Die Teilenschauspiele in der [Schw^eiz vor
Schiller
(geschrieben 1863).
Erster Abschnitt.
Uebersicht der politischen Zustände der Schweiz seit Ende des fünfzehnten Jahr-
hunderts. — Die damalige Volkspoesie. — Das ältere Tellenlied und das Umerspiel
über Wilhelm Teil.
Das Vorhandensein von Volksschauspielen über den Wilhelm
t
Teil und den Tellenschuss lässt sich in der Schweiz seit vierthalb
Jahrhunderten nachweisen. Der Fluss dieser Dichtung war aus
dem Volksliede entsprungen, und erst seitdem er durch Schillers
Wilhelm Teil zum Stehen gebracht ist, hat das schweizerische
Landvolk bei den jahreszeitlichen Festumzügen um Neujahr,
Ostern und Pfingsten aufgehört, Scenen aus jenem alten Spiel
aufzuführen, wnd sich dagegen des Schillerschen Textes bemäch-
tigt. Echte würdige Volkspoesie hat bei dieser Umwandlung des
Volksgeschmackes keine Einbusse erlitten. Denn der Text des
alten Teilenspieles war allmälich bis auf die allerletzten Schlag-
wörter in Vergessenheit gerathen, die noch erinnerliche Scenen-
folge wurde höchstens als ein Rahmen benutzt, um alles Andere,
Altes und Neues, gelegenheitlich mit einzufügen. Man hat noch
in den dreissiger fahren zu Bern ein Zuschauer solcher halb im-
provisirter Aufführungen sein können. Spielte man da um Ostern
oder Pfingsten in der dortigen Marktgasse und Kreuzgasse den
Teil, so gieng dies vor allem nie ohne zwei gewaltige Theater-
bären in Scene, die man fälschlich für Berner Wappenbären an-
sah, während sie ein Ueberrest jenes traditionellen wilden Bären
lo. Die Teilenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 20I
I
waren, der im mittelalterlichen Schauspiel die Geschwätzigkeit
der zuschauenden Weiber und Kinder einschüchtern und geschwei-
gen hatte müssen. Einer von jenen beiden erschien in weissem
Pelze, d. h. in der damaligen Parteifarbe der eben an's Staats-
ruder gekommenen Weissen oder Radicalen, der andere in
schwarzem Pelze, also in der Berner Standesfarbe; abwechselnd
tanzten sie vor dem Wohnhause eines Mitgliedes des neuen
Regierungsrathes oder eines aus dem Regimente abgetretenen
Patriciers und fiengen da die paar Batzen auf, die man ihnen aus
den Fenstern zuwarf. Einige Harlequine machten hierauf Platz
unter der Volksmenge, der mitgekommene Bacchuswagen mit
seinen als Weingötter maskirten Küferknechten fuhr bei Seite,
ein Haufen Berittener in russischen Pelzen, in Ritterharnischen,
ja sogar in den Rothfräcken der damals aufgelösten französischen
Schweizergarde zog in den Ring herein und schloss ihn ab.
Immer noch kam kein Teil, dagegen einstweilen ein Männlein in
gelbledernen Hosen, immergrünem Landjägerfrack, mit einem
schwarzen Stutzhütchen. Dieser begann von einem eigenen Ge-
rüste herab dem Auditorium vorzuerzählen , er sei Napoleon, sei
von seiner Gemahlin betrogen worden und darüber auf Helena
gestorben. Nachdem er hierauf in einen besonders bereit gehal-
tenen Sarg gelegt und schonend über das Gerüste herabgetragen
worden war, sah man ihn drunten alsbald wieder auferstehen, sein
kurzes Pfeifchen stopfen und tabakrauchend unter den Berner
Lapdmädchen umherscharmutzieren. Plötzlich aber entsteht Lärm :
der Gessler kommt I Ein reichgekleideter Bauer ruft mit gebie-
terischer Stimme vom Ross herab : Tau I d. h. Teil. Ihm gegen-
über kommt hierauf ein stämmiger Kerl in geschlitztem Wamms
mit einem Büblein und einer Armbrust aus der nächsten Keller-
wirthschaft unter den städtischen Lauben heraufgestiegen und tritt
vor den Landvogt. Dieser schreit ihn an:
Tau! du trutzige Rebäu (Rebell),
Wellis isch di's liäbst Chingf
Teil zeigt stumm auf den mitgebrachten Knaben. Gessler fährt
fort:
Su gang und schiess dim Ching
Der Oepfel ab sim Chringl (Grind).
Pieser Phrase wird man nachher im ältesten Tellenspiel wieder
begegnen.) Die Trabanten machen einie Gasse gegen ein voraus-
202 !• I^cr Sagenkreis von Teil.
gesetztes Ziel, dem Kinde wird ein Apfel, in welchem ein Pfeil
steckt, aufs Haupt gelegt, unter manchen Gesticulationen drückt
der Schütze ab, und in der Freude über den gelungenen Meister-
schuss beginnt der dicke Bacchus mit dem Hanswurste sogleich
einen Fangtanz um die aufgeladenen Weinfässer. Letztere sind
inzwischen durch die Freigebigkeit der zunächst wohnenden Zu-
schauer mit Lacote gefüllt worden, Gessler und Teil stossen an
auf die hohe Regierung, auf die Freiheit, auf die Stadt Bern,
auf den freigebigen Weinkeller. Alles reitet und fährt, wie es
gekommen, wieder zum Thore hinaus, dem heimatlichen
Dorfe zu.
Dies waren während der dreissiger Jahre im Gedächtnisse des
Berner Landvolkes die letzten Ueberbleibsel vom Tellenspiel. Die
Kantone regenerirten sich damals politisch und warfen sich zu-
gleich auf die Regenerirung der Volksschule, die überaus vernach-
lässigt gewesen war. Die Berner Regierung verbreitete in den
unteren Schichten würdigere Anschauungen, indem sie unter
Anderem Schillers Teil zum Schulbuche machte und die vater-
ländische Geschichte zum Lehrgegenstand erhob. Mit ein Product
dieses Umschwunges, welcher seither in der allgemeinen Urtheils-
weise eingetreten ist, ist auch nachfolgende Untersuchung, die
sich ausschliesslich die Geschichte des dramatisierten Wilhelm
Teil vor der Schillerschen Epoche zu ihrem Gegenstande ge-
wählt hat.
Die Ursprungsgeschichte der uns bekannten ältesten Teilen-
spiele gehört selbstverständlich der Schweiz allein an, fuhrt uns
aber keineswegs auf jene literargeschichtlichen Vorfragen zurück,
wie das Volksschauspiel hier zu Lande überhaupt sich gestaltet
habe, sondern versetzt uns mitten in die Politik der fürstlichen
Cabinete und der demokratischen Kantone.
Nach den glorreichen Siegen über Burgund war die Schweiz
nahe daran, aus einem Hirtenlande in einen Militärstaat sich zu
verkehren. Mit den damaligen WafTenerfolgen erwachte gleich-
zeitig der erste Keim einer nationalen Literatur, und auch sie
war eine kriegerische. Gewesene Feldhauptleute, wie Petermann
Etterlin von Luzern, wurden Chronisten, und ihre Jahrbücher
giengen von dem stolzen Plan aus, die Schicksale des helvetischen
Landes von den mythischen Zeiten der Karolinger an bis auf die
selbst erlebten Tage von Murten und Grandson immer siegreich
wie in einer zusammenhängenden Reihe von Trophäen darzu-
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 203
Stellen. Das ältere Volkslied vom König Dietrich von Bern, vom
Tannhäuser und der Frau Verene machte gleichermassen dem
historischen Schlacht-, Spott- und Ehrenliede Platz, und dieses
wieder dehnte sich zu unförmlich grossen Reimchroniken aus.
Unwillig feiernde Söldner und Büchsenmeister, nicht minder auch
die Land- und Stadtschreiber, die Mönche und ihre geistlichen
Notare, städtische Schulhalter, Zunft- und Schützenschreiber ver-
suchten damals in meistersängerisch monotonen Reimsprüchen ihr
poetisches und politisches Feuerlein anzuzünden, kleinste Orts-
begebenheiten stabil an die mächtigsten Weltbegebenheiten an-
schliessend. Bereits hatte die älteste Befreiungsgeschichte der
drei Waldstätte ihre dichterische Verkörperung in Volksromanzen
gefunden ; dies erweist uns Melchior Russ , dessen Prosachronik
auf ein altes Tellenlied verweist. Ebenso war das Lied von
Winkelrieds Opfertod im Munde des Volkes gewesen, wie das
Fragment daraus in Tschudi's Chronik zeigt. Doch . die rasch-
gehende Zeit von den siebenziger Jahren des fünfzehnten Jahr-
hunderts an bis zu dessen Ende, wo alsbald auf den sogenannten
Schwabenkrieg die Mailänder Feldzüge folgten, stand zu der
ruhigen Einfalt des alten Volksliedes in keinem Verhältnisse mehr,
auch dieses musste sich in die beweisführende Breite und Länge
des chronikalen Pragmatismus ausspinnen lassen, abgerechnet die
eitle Weisheit des Politikers, oder die rohe Eitelkeit des Soldaten,
welche wechselweise mit in diese alten Liedertexte hineinpfuschten.
So geschah es, dass wir das Winkelriedslied hur noch in der
meistersängerischen Ausgedehntheit und Strophenmasse besitzen,
welche Halbsuter in seinem Liede von dem Streit zu Sempach
unziemlich daran gehängt hat; oder dass das Tellenlied des fünf-
zehnten Jahrhunderts nur in der politischen Parodie übrig ist,
welche ihm im siebzehnten der Urner Muheim gegeben hat. Diese
poetischen Verirrungen waren nur eine Folge der vorausgegangenen
politischen. Das Land, das durch seine kühne Selbstvertheidigung
zu einem europäischen Ruf gelangt war , liess^ sich durch einhei-
mische und fremde Staatsmänner zu dem Glauben verleiten, es
sei ihm von nun an auch eine Rolle in der auswärtigen Diplo-
matie angewiesen, und die Folge dieser Selbsttäuschung war das
Söldnerwesen, das bald jedes Oertlein der Schweiz beschäftigte
und jedem gedenkbaren Winkel des Auslandes Soldaten lieferte.
Es kam die Reformation. Die schweizerischen Kirchenrefor-
matoren sind zugleich schweizerische Patrioten; neben den Miss-
204 ^' ^^' Sagenkreis von Teil.
brauchen in der Kirche suchen sie auch die im Staate eingerisse-
nen Uebel mit einer dem republikanischen Bürger zustehenden
poHtischen Entschiedenheit auszutilgen. Dies unterscheidet einen
Zwingli um ein .Namentliches von der politischen Willenslosigkeit
Luthers. Zwingli hat die Uebel des Söldnerdienstes während der
Mailänder Feldzüge als Augenzeuge kennen gelernt und uner-
schrocken als Priester dagegen gepredigt. Bald handelte das ,
reformirte Zürcherland in dieses Mannes Sinne, die noch vorhan-
denen Capitulationen wurden mit ihrer Ablaufszeit für erloschen
erklärt, der Abschluss neuer für immer verboten. Mit seinem
Tode und der gleichzeitigen Niederlage der Züricher bei Kappel
konnte ein Zustand momentaner Erschöpftheit nicht ausbleiben,
und alsbald erschien auch der fremde Versucher wieder. Es
handelte sich darum , im Namen der gesammten Schweiz neue
Capitulationen mit Frankreich abzuschliessen ; alle Kantone sind
bereits dafür gewonnen, Zürich schwankt noch. Da tritt Zwingli's i
Amtsnachfolger, Heinrich Bullinger, vor den Züricher Rath, um
auch im Namen der Kirche Bericht zu erstatten: »Ob es einer i
christlichen freien Stadt und Land Zürich heilsam sei , sich mit \
der Krone Frankreich zu verbünden.« Er ruft dem Rath die |
Bibelstelle i. Samuel 8, in Erinnerung: »Der König wird eure
Söhne nehmen zu seinen Wagen und Reitern, eure Töchter zu
seinen Köchinnen und Bäckerinnen, eure besten Aecker und
Weinberge Wird er nehmen und sie seinen Knechten vertheilen.«
Alsdann berechnet er die Niederlagen, welche bisher die Werbe- !
truppen im Auslande erlitten, und erweist, dass man von 1512!
an bis zum damaligen Jahre 1 549, also innerhalb blosser achtund-
dreissig Jahre, mehr Leute eingebüsst habe als in allen vorherigen
Kriegen seit Entstehung der Eidgenossenschaft (die er von 13 161
datirt), also seit ganzen 233 Jahren. Sein, Schlusswort heisst:
»Die Väter band also ihre Kinder dem König (von Frankreich),
zur Metzg erzogen.« (Hds. Samml. Bd. 35, Fürträg der
Züricher Geistlichen, in der Bibliothek der Aargau. Histor.
Gesellschaft.) — Dass Bullinger hier nicht missrechnete, wird sich
sogleich ergeben; die Geschicke aber nahmen damals ihren Ge-
wohnheitsweg, und die Schweiz ergab sich fernerhin dem Aus-
lande, mochte nun ein einzelner Stand wie Zürich opponieren oder
nicht. Freilich zögerte manche regenerierte Kantonsregierung, ihre
Landeskinder hinzugeben an katholische Staaten wie Frankreich,
und sie dort zur Bekämpfung und Ausrottung der reformirten
j
lo. Die Teilenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 205
Kirche verwenden zu lassen, für deren Lehre sie selbst eben erst
gewonnen waren. Aber gerade infolge der Glaubensspaltung der
Schweiz wuchs nun auch die Reisläuferei wieder, indem man hier
protestantische j dort katholische Allianzen aufsucl^te. Mit dem
gewohnten Geldinteresse verschwisterte sich der confessionelle
Hass, man stempelte die Miethstruppen zu Stützen des Glaubens,
und, wo von nun an in Europa ein Staatsstreich im Grossen ver-
sucht wird, sind schweizerische Söldner dabei Werkzeuge gewesen.
Ein Beispiel genügt, dasjenige der Pariser Bartholomäusnacht.
Man hatte, um diese sogenannte Bluthochzeit in's Werk zu setzen,
damals die Truppen und Hauptleute der fünf kleinen oder katho-
lischen Kantone eigens nach Paris verlegt. Das Gemetzel gegen
die Reformirten dauerte nicht etwa eine Nacht, sondern sieben
Tage fort und raffte 5000 Menschen hin. Als der bekannte
Rechtsgelehrte Franz Hottomann, damals Professor zu Bourges,
mit Hilfe deutscher Studenten dem Tode entronnen war, schreibt
€r von Genf aus an Johann Haller in Bern und an Heinrich
BuUinger in Zürich: »Die schweizerische Leibwache hat bei der
Blutarbeit die Palme errungen. Martin Koch von Freiburg
(Uechtland) erstach den Admiral (Coligny) mit einem Schwein-
spiess; er hat 10,000 Kronen erbeutet und ist Lieutenant worden.
Moritz Grüner von Nieder-Urnen riss ihn aus dem Bette. Moritz
Klein von Ölten hat 2000 Kronen in Gold, 100 Kronen in Silber-
geschirr und des Admirals Röcklein. Ungefähr um die neunte
Stunde (Morgens, 24. Aug. 1572) ist man mit dem Metzgen
der (calvinistischen) Edelleute fertig gewesen.« (Escher- Hottinger^
Schweiz. Archiv 2, 449.) Die Medaille, welche Papst Gregor
; der Dreizehnte auf diesen Sieg des Glaubens prägen Hess, wird
I bis heute zu Rom fortgeprägt und vertheilt, und ein Befehl des
päpstlrchen Maestro del sacro Falazzo vom Februar 1864 schränkt
gegenwärtig den Brauch nur dahin ein, dass blosse Privatbestel-
lungen nicht femer ausgeführt werden sollen. Die Medaille selbst
verbleibt mithin in ihrer bisherigen Geltung, sowie auch die Reis-
läuferei, trotz der Einsprache der schweizerischen Bundesregierung,
bis dahin ihren letzten Schlupfwinkel im Römischen hatte. Noch
immer hat der sonntägliche Prediger von der Pfarrkanzel der
Luzemer Hofkirche herab für die katholischen Söldner folgendes
vorgeschriebene Gebet zu sprechen: »Gieb Kraft und Stärke und
glückseligen Sieg unsern christkatholischen Kriegsleuten, verleihe
ihnen kräftige Ueberwindung aller Feinde des katholischen
2c6 ^* ^^' Sagenkreis von Teil.
Glaubens, und nach dem eine fröhliche Ankunft in ihr
Vaterland.« Diese Gebetsformel steht bei Marzohl-Schneller,
Liturgia Sacra 2, 276, einem von dem jüngst verstorbenen Bischof
von Solothurn durch besondere Approbation empfohlenen Werke.
Wohin alle diese von' den Söldnern erfochtnen und von der
Kirche sanctionirten Siege für die -Schweiz selbst gefuhrt haben,
ist aus einer vorhin angeführten Berechnung des Reformators
Bullinger schon, zu ersehen gewesen. Verödung, Entvölkerung
und Armuth des Landes, politische Schwäche nach Aussen, zu-
nehmende Unterdrückung und Obscuranz im Innern mussten
unausbleibliche Folgen sein. Da aber der weniger unterrichtete
Leser dasjenige, was er selbst nicht zu erweisen vermag, gern im
Ganzen zu bezweifeln pflegt, so soll hier seiner Einsicht durch
ein drastisches Rechenexempel nachgeholfen werden. Als die
Kantone wegen der Soldrückstände, die für ihre französischen
Werbetruppen aufgelaufen waren, wiederholt und mit mehrfachen
Gesandtschaften in Paris zur Audienz erschienen, fand sich Minister
Louvois belästigt und liess endlich gegen eine abermalige Am-
bassade die übelgelaunte Aeusserung fallen, mit den bereits an
die Miethstruppen bezahlten Fünflivrethalern Hesse sich eine
Chaussee von Paris bis Basel pflastern. Sogleich erwiderte darauf
General Suppa: Mit dem für Frankreich vergossenen Schweizer-
blute lasse sich ein schiff"barer Kanal gleichfalls von Paris bis
Basel füllen. Beide hatten gleich Recht. Denn vom elften bis
zum vierzehnten Ludwig hatten die Schweizer den Franzosen
geliefert 1,110,799 Mann und dafür das Rekrut'engeld empfangen
von 1,146,868,623 Gulden. (Schlözer, Briefwechsel 4, Heft 32.)
Achtzehn elende Livres monatlich waren fast durchgehends der
Lohn, für welchen der Gemeine fremden Potentaten seinen Kopf
darbot, indess die regierenden Familien in den Städte- und Länder-
kantonen sich mit der Anwerbung der Mannschaft, dem Verkauf
der Chargen und der Regimentsverwaltung bereicherten. Man
hatte das Stichwort der französischen Gloire bereits in's Schweizer-
deutsche ' übersetzt ; mit der Unüberwindlichkeit der Schweizer-
waffen und mit deren Beruf, allenthalben die von Gott gesetzte
Obrigkeit aufrecht zu erhalten, glorificirte man dem gemeinen
Mann seine armselige Existenz. Dies blieb der amtliche Ton bis
zu Ende des vorigen Jahrhunderts. Der unter obrigkeitlicher
Censur erschienene Berner Kalender von 1761, genannt der
Hinkende Bote, theilt die gleichzeitige Begebenheit mit, wie zu
i
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 207
Lissabon ein portugiesisches Regiment darüber, dass ein straf-
fälliger Soldat fünfzig Fuchtel mit der flachen Klinge erhalten
soll, in Meuterei ausbricht und von der daselbst stehenden
Schweizergarde zu Paaren getrieben wird. Der Staatskalender
der Berner Regenten leitet nun diese Geringfügigkeit mit folgenden
Wachtmeistergedanken, ein :
»Es ist gewiss, dass unsre Nation nicht nur eine der be.
rühmtesten in der Welt, sondern auch so zu reden, eine der
nützlichsten Mitgliedern unter allen europäischen Nationen ist.
Wie oft hat sie durch ihren Beistand ganze Königreiche vom
augenscheinlichen Untergang errettet!«
Wozu nun aber dieser kriegsgeschichtliche Excurs in einer
Arbeit, welche sich die Entstehung und Fortbildung der Schau
spiele über Wilhelm Teil zur Aufgabe gesetzt hat? Die Antwort
hierauf lautet: Ohne einen Ueberblick gewonnen zu haben über
die militärischen und politischen Parteiungen der Schweiz des
fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, bleibt das damals
entstandene früheste Schauspiel Wilhelm Teil sammt seinen
gleichnamigen Nachfolgern späterer Zeit so gut wie unbegreiflich.
Das Verhältniss der republikanischen Schweiz gegenüber dem
monarchischen Auslande macht den politischen Inhalt aller Schau-
spiele über Wilhelm Teil aus, und die verschiedenartigen Auf-
fassungen, die über dieses Verhältniss in der Schweiz selbst
herrschend werden, ergeben zugleich die verschiedenen drama-
tischen Redactionen und Bearbeitungen, die hier zu Land die
Tellengeschichte erlebt hat. Hat doch sogar Schillers Teil
schliesslich ebenfalls kein anderes Ziel gefunden. Auch dort
hängt ein Ulrich von Rudenz nicht seiner Heimat, sondern dem
österreichischen Adelsprunke an ; auch er meint, mit seinem Blute
Oesterreichs Kriege zu zahlen, sei das Ruhmvolle. Allein ganz im
Sinne schweizerischer Reformatoren und Patrioten erwidert ihm
darauf (Aufzug 2) sein Oheim Attinghausen :
Nein, wenn wir unser Blut dran setzen wollen,
So sei's für uns; wohlfeiler kaufen wir
Die Freiheit als die Knechtschaft ein.
Dieses Wort Attinghausens war bereits im fünfzehnten Jahr-
hundert das Schlagwort politisch weitsichtiger Männer gewesen;
fremder Herren und fremder Pensionen müssig gehen, war der
Tagsatzungen Beschluss gewesen, und daher schärft der Herold
208 !• I^er Sagenkreis von Teil.
in jenem Tellenspiele, das nach seinem Schauplatze zu Uri unter
dem Namen Umerspiel vorhanden ist, es zum Schluss des Stückes
den Zuhörern besonders ein:
Wie Miet' und Gaben verblenden.
D^ss alles dies gegen' die Soldierer und Pensionierer unter
fremden Fahnen, gegen die sogenannten welschen »Kronenfresser«
gerichtet gewesen ist, bedarf keines Beweises. Am entschiedensten
aber singt hierüber das Teilenlied selbst, aus dessen Wortlaut
sich das Teilenspiel erst aufgebaut hat. Hier eröffnet Teil seinen
Landsleuten folgende Zukunft:
Str. 24. Mir ist, ich g'sehe kommen
so manchen Herren stolz
bringen in grossen Summen
des Gelts und rothen Golds,
damit euch abzumarkten,
zu kaufen eure Kind,
die noch kein Wort nicht sprechen
und in der Wiegen sind.
Str. 25. Ich thu euch dessen warnen,
weil Warnung noch hat Platz,
gespannt sind euch die Garne,
die Hund' sind auf der Hat^.
Str. 26. Lasst euch das Gelt nicht müssen.
Die Gaben machen blind,
dass ihr nicht müsset büssen
und dienen z'letst dem Fiend.
In seiner echten Gestalt ist uns das älteste Tellenspiel ver.
loren, nur spätere Redactionen sind davon übrig. Man nennt
dasselbe das Urnerspiel, gemäss seinem älteren Titel:
Ein schönes Spiel, gehalten zu Vry in der Eydgnoszschaft
von Wilhelm Thellen, ihrem Landmann und Ersten Eydgnossen.
Getruckt zu Basel bey Samuel Apiario 1579, repetirt 1648 und
1698. Nach dieser letzterwähnten Ausgabe, welche sich in der
gottschedischen Schauspielsammlung der Weimarer Bibliothek vor-
findet und bereits in Kochs Compendium i, 271 verzeichnet steht,
ist neuerlich das Stück abgedruckt worden in den Weimarer Jahr-
büchern von Hoffmann-Schade, Band 5, 52. Noch spätere Drucke
sind von den Jahren 1740, 1765. Mir selbst liegt wohl der
lo. Die Teilen Schauspiele in der Schweiz vor Schiller, 20Q
neueste vor: »Basel bei J. H. v. Mechel, 1830. Samt dem
Thellen-Lied.« Da dieses Stück, wie eben erwähnt, neu gedruckt
vorliegt, so darf sich der hier folgende Auszug daraus ganz kurz
fassen; er sucht besonders diejenigen Parallelstellen hervorzuheben,
die das Tellenspiel mit dem Tellenliede gemeinsam hat.
Viererlei Herolde erklären der Reihe nach in Vor-, Zwischen-
und Schlussreden die Geschichte der Waldstätte. Der erste Herold
vergleicht in gezwungener Gelahrtheit die Begebenheit des römi-
schen Sextus und der Lucretia mit der Tellengeschichte ; dabei
wiederholt er nach Motiv, Gedanken und Ausdruck den Inhalt
des Tellenliedes und der Chroniken also :
Wann einer hatt' Weiber oder Kind,
Dessgleichen Ochsen oder Fründ,
die dem Landvogt geüelen wol
so wollten sie es haben bald,
galt ihnen gleich, mit Lieb oder G'walt.
Darum der fromme Wilhelm Teil
auch musste darum schiessen schnell
ein Apfel ab dem Scheitelein
seim liebsten Sohn nicht ohne Pein.
Ich will diess jetzmals lassen stöhn,
will reden wie man in*s Land ist kon.
Die andere Vorrede des zweiten Herolds erzählt darauf, wie
Hunnen und Gothen unter ihrem gemeinsamen Könige Achalia
(Attila) nach Italien gekommen und letztlich unter Totila ge-
schlagen worden sind. Fliehend erreichten sie den Gotthard im
Jahre 588 und setzten sich »wie in alten Chroniken beschrieben
ist« in Uri. Die von Schwyz sind aus Schweden, die Unter-
waldner aus Rom hergekommen und haben das Land vom römi-
schen Reich erworben. — Unter den alten Chroniken ist:
i) die fabelhafte Geschichte gemeint, die Job. Püntiner aus Uri,
1441 Landesstatthalter und dann Landammann, als Chronica
miscella schrieb; sie soll 1799 bei dem Brande von Altorf mit-
verkommen sein. 2) Die gleichfalls verlorene Schrift von Johann
Fründ aus Schwyz, 1440 geschrieben, über der Schwyzer Her-
kommen. Püntiner nimmt eine gothische, Fründ eine schwedische
Einwanderung in die Waldstätte an, beide in dem phantastischen
Geschmacke der althochdeutschen Kaiserchronik. Tschudi hebt
Rochholz, Teil und Gessler. ^^
2IO !• ^c' Sagenkreis von Teil.
einige Stellen aus diesen Chronisten aus, um sie in seiner Gallia
comata zu widerlegen.
Der dritte Herold erzählt, dass Kaiser Karl der Grosse die
Urner von der Abgötterei zum Christenglauben bekehrt habe,
und springt schnell auf den Grafen Rudolf von Habsburg über,
der 1243 die drei Länder beredet habe, sich seiner Herrschaft
gütlich zu untergeben:
Als aber nachdem er Kaiser ward,
wurden sie bevogtet streng und hart,
welcher Vogt gross Muthwillen trieben,
es war mit Mann, Kind, Vieh und Wiben.
Hierauf beginnt das Stück selbst. Der Landvogt, er fuhrt im
Stücke noch keinen eignen Namen, redet zu der urner Gemeinde-
versammlung und erklärt, Herzog Albrecht von Oesterreich habe
ihn als Vogt in's Land gesetzt; sie sollen gehorsamen, oder er
werde ihnen sonst die Näthe noch heftiger bestreichen. »Nun
geht Wilhelm Teil an ein Ort neben sich . und ihm gefallt die
Sach nicht.« Staufacher von Schwyz und Erni aus dem Melchthal
in Unterwaiden treten zu ihm ; letzterer erzählt, wie er eben
daheim entflohen und sein Vater geblendet worden sei. Teil giebt
den Rath, man möge sich, sobald einem etwas anliege, am
»Rütlein« zur Versammlung einfinden.
Inzwischen hat der Vogt durch seinen Knecht Heinz Vögeli
den Hut am Platze aufstecken lassen. Teil begrüsst den Hut
nicht und redet sich, vor den Vogt gebracht, mit den Worten des
Tellenliedes aus:
Denselben zu ehren, war nit gut,
so es doch nur war ein Filzhut.
Dann im weiteren Verhör folgt jene etymologische Deutung
des Namens Teil, wie sie in Etterlins, Tschudi's und der unter-
waldner Chronik (Weisses Buch) sich wiederholt:
War' ich vernünftig, witzig und schnell,
so wär^ ich nicht genannt der Teil.
Als dann der Vater dem Vogt gehorchen muss und sein Kind
zum Ziele stellt, reden beide über ihr Herzeleid in den Worten
jenes Tellehspruches, den Brentano von einem arther Hausgiebel
abschrieb und im Wunderhom drucken liess. Das Tellenlied und
das Stück lassen schliesslich den Vogt fragen, was Teil mit jenem
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 211
zweiten Pfeile im Groller »meine«; da Teil hierauf seine Absicht
gesteht, spricht der Vogt abermals mit den Worten des Liedes:
Ich will dich lan verschliessen
in einen Thum, ^da musst du büssen;
dich soll b'scheinen weder Sonn noch Mon,
er muss gen Kissnacht auf das Schlossl
Nachher während des Seesturmes spricht der Vogt wiederum
in den Worten des Liedes zu Teil:
Drum lond ihn aufbinden zur Stund!
Hilf uns und auch dir selbst davoni
Als der Vogt erschossen, erzählt Teil, nach Uri zurückkehrend,
das Abenteuer genau wie der Liedtext:
Ein Pfeil daselbst ich in ihn schoss,
dass er todt abfiel von dem Ross.
Zum Ende dieser Scene tritt ein »Cuno Appenzeller von
Unterwaiden« auf; es ist dies die Verdrehung des Namens Kuno
ab Alzellen. Letzterer berichtet, er habe dem Vogt (Landenberg),
der ihm das Eheweib verführen wollen, mit der Axt das Bad
gesegnet. Mit demselben Wortlaut steht dies auch im Tellenliede.
Darauf giebt Teil den Genossen und dem versammelten Umervolk
den Bundeseid an; es folgt Schwur und Schluss.
Als Epilog erscheint der vierte Herold und führt die Erzählung
der weiteren Begebenheiten bis auf die Gegenwart fort.v^ Der
TeUenschuss, sagt er, sei 1 296 geschehen ; ein Jahr darauf hätten
sich die Länder an König Adolf den Frommen ergeben, so seien
sie aus Oesterreichs Hand wieder an's Reich gekommen. Besonders
habe sie Kaiser Ludwig der Bayer gegen der Österreicher Herzoge
Verdruss geschützt, bis Herzog Leopold 1315 bei Morgarten
geschlagen war. Hierauf folgen die weiteren Schicksale der Schweiz
bis zu der Periode der mailänder Feldzüge, wobei als letztes und
neuestes Factum der sogenannte »Winterfeldzug« genannt ist,
eine misslungene Unternehmung der Urkantone gegen Malland im
Winter 1511. Der Herold endigt wie Muheims Schlussstrophe mit
der Moral: Wie Mieth^ und Gaben verblenden.
Dies ist der Umriss des Tellenspieles, zwar nicht nach dessen
alter ursprünglicher Fassung, jedoch auf diese gestützt und im
Einklang mit den Angaben der Chronisten und mit dem Texte
14*
212 !• I^er Sagenkreis von Teil.
des Volksliedes. So wurde das Stück in den Waldstätten, nament-
lich zu Uri, bis in die Reformationszeiten fortgespielt. Es war
auf den Grundgedanken gebaut, dass die Schweiz in ihrer Freiheit
und Sitteneinfalt ungekränkt verbleiben werde, so lange sie sich
nicht ausländischen Einflüssen ergebe. Nun war die Reformations-
zeit angebrochen, ihr Licht riss plötzlich jeder Heuchelei den
Schleier vom Gesichte. Nicht bloss das herkömmliche religiöse
Schauspiel, wie es sich aus den mittelalterlichen Mysterien (Ministerien)
her vererbt hatte, nicht bloss das Kirchenlied musste sich nun in allen
deutschen Landstrichen mit reformieren, auch das Tellenspiel das einst
für die ganze Schweiz gegolten hatte, musste sich mit umgestalten»
seitdem das Land in zweierlei confessionelle Heerlager geschieden
war. Und selbst für die Waldstätte konnte das alte Stück nicht
länger gelten, insofern sie gegen die Sitten- und Staatsreform, die
man ihnen zumuthete, mit gewohnter Zähigkeit sich zu sträuben
fortfuhren. Denn wie wollten diese Söhne Teils, Staufachers und
Melchthals auf der Bühne ihres Landes den feierlichen Schwur
wiederholen lassen, aller fremden Herren und Pensionen müssig
zu gehen, während sie allen Herren und Gassen der Fremde
zuliefen. Sie, deren Ahnen schon der blosse Hut eines fremden
Vogtes in Aufruhr gesetzt hatte, trugen nun den Federhut aller
Fürsten, prunkten in allen Soldatenlivreen des Auslandes und
wussten ihre eignen Landsleute in dasselbe fremde Röcklein zu
stecken. Es war damals eine selbstbewusste freche Heuchelei
unter diesen urner Oligarchen, ähnlich, wie heute die urner Lotterie
eine solche ist, die zum Vortheil von ein paar Familien das
Publicum ausbeutet und dabei vorgiebt, »zur Unterstützung. der
Landesarmen« zu bestehen. Es ist seit 1518 in den Waldstätten
alles Hazardspiel, ausser das Spiel um Kastanien und Nüsse, bei
scharfer Busse verboten. Gleichwohl führen die Muheime,
wirkliche oder blosse Namensvettern dessen, der das Tellenlied
überarbeitete, dort seit 1825 das Lotteriegeschäft, dass der Verlust,
den das spielende Publicum jährlich dadurch erleidet, über eine
halbe Million Francs berechnet wird. So besagt es das Gut-
achten, welches hierüber Landammann Etlin aus Unterwaiden der
Gemeinnützigen Gesellschaft der Schweiz 1862 zu Samen vor-
gelegt hat, und einstimmend äusserte hierbei ein Eidgenosse aus
den Ländern: Es sei in Uri minder gefährlich, gegen die päpst-
liche Religion oder gegen die Wahrhaftigkeit der Tellengeschichte
zu reden, als die muheimische Lotterie anzufechten. (Aargauer
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 21 3
Nachrichten, 9. Oct.. 1862.) Wie heute die öffentliche Empfindung
nicht säumig ist, ein allgemeines Uebel in seiner Wurzel auf-
zuspüren und zu vertilgen, so verstand auch das sechzehnte
Jahrhundert, lügenhaft gewordene Verhältnisse und angemasste
Privilegien -zu entdecken und an dem Sonnenschein der öffent-
lichen Discussion wie blindes Gewürm hinsterben zu lassen. So
reagirte damals die Stadt Bern antipapistisch, und das Ergebniss
waren dort die mehrfachen Reformationsschauspiele von Nikolaus
Manuel, welche von der Bürgerschaft in der Kreuzgasse abgespielt
wurden. Eine ähnliche volksthümliche Reaction politischer Art
folgte zu Zürich auf die vorausgegangene religiöse ; sie bemäch-
tigte sich des Tellenspieles und formte es in ein politisches Tendenz-
stück um, in welchem die damaligen Machthaber der Urkantone
nicht als die echten Nachkommen Teils, sondern als die Pensionierer
und Soldierer aller monarchischen Fremdherm wahrheitsgemäss
dargestellt wurden.
Zweiter Abschnitt.
Jakob Ruoffs Etter Heini aus Schweizerland und desselben erneutes Spiel von
Wilhelm Teil, v. J. 15 14 bis 1545. Historischer Nachweis über die gleichzeitig
wechselnde Zahl der angeblichen drei Landvögte und der drei ersten Eidgenossen.
Der erste und der letzte bekannte Dichter, der den Stoff
Wilhelm Teil dramatisirt hat, sind beiderseits Schwaben: Ruoff
und Schiller. Lebensgang und Thätigkeit des ersteren ist wenigen
Lesern bekannt; deshalb soll hier einlässlicher über ihn geredet
werden.
Jakob Ruoff war geboren zu Konstanz, wahrscheinlich im
Beginn des sechzehnten Jahrhunderts. Nach den über ihn vor-
handenen Angaben wanderte er trst in das St. Gallische Rhein-
thal aus und von dort nach nur kurzem Aufenthalte nach Zürich.
Als Wundarzt, nach damaligem Deutsch Steinschneider und
Bruchschneider genannt, machte er die beiden Feldzüge der
Zürcher 1529 und 15 31 gegen die katholischen Kantone mit und
wurde für seine im Treffen bei Kappel bewiesene Haltung mit
dem Zürcher Stadtbürgerrecht beschenkt. Daselbst lebte er in
vertrauter Freundschaft Konrad Gessners, damals des berühmtesten .
214 ^' ^^^ Sagenkreis von Teil.
Naturforschers, und gab verschiedene ärztliche, physikalische und
kalendarische Schriften heraus. Die verbreitetste scheint sein
Hebammenbuch zu sein, das er im Auftrage der Züricher R^e-
rung zur Gründung von Hebammenschulen verfasste. Es ist
betitelt : Ein schön lustig Trostbüchlein von Empfengknussen und
Geburten der Menschen. Zürich, Froschower 1554. 4**. Dasselbe
st 1580 bei Feyerabend zu Frankfurt a. M. wieder erschienen
und 1591 in's Holländische übersetzt worden. Mehre seiner natur-
wissenschaftlichen Schriften sind nach seinem Tode durch Konrad
Gessner herausgegeben worden. Als Dichter verfasste Ruoff
sieben Schauspiele, die sämmtlich zu Zürich aufgeführt, mehrfach
im Druck aufgelegt worden und alle uns erhalten sind. Seine
geistlichen oder biblischen Stücke mögen als von minderem
Werthe hier voraus aufgezählt werden.
i) Hiob, »Jobenspiel« zu Zürich auf dem Münsterhof
durch die Burgerschaft gespilet 28. Juni 1535. Dieses Schauspiel
erlebte vier Auflagen (der erste vollständige Druck: Zürich bey
Augustin Friess o. J. (circa 1540) liegt auf der Münchner Staats-
bibliothek. Zur Aufführung gab die Stadt ausser dem Bedarf
an Wein baar 100 Pfund her.
2) Ein Spiel von des Herren Weingarten, nach 12
Lucas, 20 Cap. Gespielt zu Zürich von der löblichen Burger-
schaft 26. Mai 1539, am Pfingstmontag. Liegt handschriftlich
auf der St. Galler Stadtbibliothek. (Scherer, St. Gallen. Hss.
1859, 68.)
3) Das Leiden Christi 1545, gewidmet dem Ambrosius
Blavrer zu Konstanz. In 5 Acten, auf 2 Tage der Vorstellung
vertheilt, von 94 Personen aufgeführt, mit Musik. Liegt in
München.
4) Von Erschaffung und Fall Adams und Heva,
gespielt von der Zürcher Burgerschaft am 9. und 10. Juni 1550.
Personenzahl: 106; darunter Teufel 8, Engel 8, der Stamm
Adams mit 63 Personen, der Stamm Kains mit 16. Zwischen
den Scenen spielt Musik, zu den Aufmärschen der Riesen-
geschlechter (Nephilim) blasen die Trompeten. Zur Vertreibung
der Teufel wird das Geschütz abgelassen. Zuletzt bricht unter
Noah die Sündfluth los : man lässt drei Rasenhaufen mit darunter-
gelegtem Feuerwerk in die Luft fliegen, dann springen und rinnen
jählings die Wasser, Geschütz und Feuerwerk brennt los.
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 215
5) Von der keuschen römischen Matrone PauHne, welche
im Tempel der Isis durch Betrug der Priester geschändet worden.
Geschrieben um 1 540. Ist als Druck und Handschrift beides noch
unsicher; vgl. Kottinger XXVI: J. Ruffs Etter Heini.
Von weitaus grösserer Wichtigkeit sind durch ihren sitten-
geschichtlichen Inhalt Ruoffs historische Stücke; mit ihnen lenkt
unsre eigne Arbeit wieder in ihr Thema ein.
6) Eyn nüwes spil vom wol- vnd übelstand eyner
löblichen eydgnoschaft. Zugleich in zwei Handschriften
vorliegend, deren eine dem Stück den Titel giebt: Etter Heini
vss dem Schwyzerland. Unter letzterem Namen hat es Kottinger
in Quedlinburg 1847 herausgegeben. Es soll, wie Ettmüller
(Handb. der Lit.-Gesch. 313) angiebt, Ueberarbeitung eines schon
15 14 vorhandenen älteren Schauspiels sein und ist 1542 von
Ruoff verfasst worden. Es hat 5 Acte, jeder mit Musik schliessend,
und 31 spielende Personen. Darunter sind 5 Teufel: Luzifer,
Sathan, Beizebock, Bell, Runzifall; ferner die 7 Weisen, die 6
Eidgenossen und 2 junge Knaben.
Inhalt. Der alte Eidgenoss und sein Vetter Heini gewahren,
wie im Schweizerland die alte Ehrenhaftigkeit und Treue vergehe,
und berathen deshalb die sieben weisen Meister. Gegen deren
guten Rath, so zu handeln, wie das Leben der Altvordern es als
Muster vorzeichne, intriguiren nun sämmtliche Teufel der Hölle,
und als es dem ungeachtet nach langer Säumniss gelingt, die
Landsgemeinde zur Entscheidung einzuberufen, stellen sich dabei
auch die Teufel mit Blasebälgen ein, soufliren damit ihren
schweizerischen Gesinnungsgenossen, und suchen die Versammlung
in deren schlimmen Gewohnheiten weiter bestärken zu lassen. Als
sodann Vetter Heini den Antrag an die Gemeinde bringt, aller
Fürsten, Herren und Fürstenpensionen müssig zu gehen, so er-
heben sich hiergegen, mit Ausnahme des Wilhelm Teil selbst,
alle diejenigen Helden, welche im alten Tellenspiel in der Rolle
der Landesbefreier aufzutreten haben: Hans Staufacker, Haupt-
mann Emi von Unterwaiden, Rudi ab Alzellen, sogar Junker
Fridli Teil, Teils eigener Sohn. Sie alle stimmen fiir Beibehaltung
der fremden Dienste und Militärcapitulationen. Allein gegen die
Teufel und die von ihnen vollgeblasenen Pensionierer erscheint
zuletzt der warnende getreue Eckart.. Durch seinen guten Rath
wird die ' Landsgemeinde überzeugt, und mit Stimmenmehrheit
wird die Söldnerei abgeschafft.
2i6 !• ^^ Sagenkreis von Teil.
Man hat hier eine der frühesten politischen Komödien unsrer
Literatur vor sich. Der Etter Heini ist der Repräsentant der
damaligen Gesinnungen des Zürcher Landes; sein Name beweist
dies, bis in unsre Jahre pflegte man in der deutschen Schweiz
jeden Zürcher apellativ einen Züri-Heiri zu nennen. Seine Gegner
sind die damaligen Pannerherren »und Kriegshauptleute aus den
Urkantonen, die sich ebenso heftig brüsten, die allein echten
Abkömmlinge Teils zu sein, als sie hier und in Wirklichkeit für
die Fortdauer des Söldnerdienstes und für die Anbetung des
fremden Filzhutes sich ereifern. Dies ist die Ideenverbindung, in
welcher der Etter Heini mit dem folgenden und letzten Schauspiel
Ruoffs steht.
7) Ein hüpsch vnd lustig Spyl, vorzyten gehalten zuo Vry
in dem loblichen Ort der Eydgnoschaffl, von dem frommen vnd
ersten Eydgnossen Wilhelm Thellen, jrem Landtmann. Jetzt
nüwlich gebessert, corrigiert, gemacht vnd gespilt am nüwen
Jarstag von einer loblichen vnd jungen Burgerschaft zuo Zürich
im Jar MDXLV. Per Jacobum Ruef, urbis Tigurinae chirurgum.
getruckt zuo Zürich bei Augustin Friess.
Ruoffs Teilenschauspiel hat 35 Personen, solche mit activen
Rollen dagegen nur folgende:
Landvogt Grisler.
Heinz Vögeli sammt dem andern Knecht des Landvog^es.
Landvogt Landenberg zu Samen, sammt zwei Schlossknechten.
Die Vögtin zu Sarnen und ihre Jungfrau.
Wilhelm Teil von Uri, das Haupt der 4 Eidgenossen.
Dessen Frau und seine drei Kinder, sämmtlich ohne Namen.
Stoffacher von Schwyz, Erster Eidgenosse.
Erni vss Melchthal, von Unterwaiden ob dem Wald, Zweiter
Eidgenosse.
Vly von Gruob, von Unterwaiden ob dem Wald, Dritter
Eidgenosse.
Cuno ab Alzella, von Unterwaiden nid dem Wald, Vierter
Eidgenosse.
Zwölf Bauern der Landsgemeinde.
Drei Schiffknechte.
Erster Herold, als Prolog und in den Zwischenacten aut-
tretend.
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 217
Zweiter Herold, ein Stadtschüler Zürichs, spricht das Argu-
ment des Stückes und den Epilog.
Der Platznarr, stumme Person.
Musik in den Zwischenacten.
Die Bühne war ein Theil des Züricher Münsterplatzes. Die
Mitspielenden sitzen rings im Kreise, erheben sich und treten vor,
wenn an sie die Reihe kommt. Der Herold leitet die Bühnen-
Ordnung. Die Zuschauer sind durch Schranken abgesperrt und
werden durch die Pritsche des Platznarren in Ruhe gehalten. Der
hier nächfolgende wort- und sachgetreue Auszug wünscht dem
Leser einen Einblick in jene Wirkungen zu gewähren, die dieses
Stück mit seinen naiven Empfindungen und politischen Schlag-
schatten einst unbezweifelbar hervorgebracht hat. Auch über die
allinähliche Bildung und schliessliche Feststellung der Tellentradi-
tionen, über die Bildung des Bundes und über die ursprüngliche
Zahl der Bundesglieder giebt dieses Schauspiel bedeutsame Auf-
schlüsse.
Vorspiel.
Der erste Prolog erzählt das Schicksal der vier Welt-
monarchien, weil gleich ihnen jegliches Reich zu Grunde geht,
welches statt einig zu sein, sich parteiet durch die Laster von
Geiz, Neid, Gehässigkeit, Sucht nach zeitlichem Gute, Uebermuth
und Verachtung des Rechtes. Durch diese Sünden zerfielen die
vier Weltreiche: das assyrische unter Nebukadnezar , das persi-
sche unter Cyrus, das des macedonischen Alexanders und das
Römerreich.
Vf das jetz dan, so ist min Bitt
An jung vnd alt hie, wyb vnd man,
Ir lassind üch das z^herzen gan,
WöUind den frommen Wühelm Thellen
Zum Byspü üch für d'ougen stellen,
Wie jn der Adel vnd der Gwalt
Hab gekestiget (kasteiet), pyniget manigfalt,
Ouch all sin gsellen nebend, bsyts
Die zu Vnderwalden warend vnd ouch z'Schwytz.
Hier wendet sich der Wappenherold mit seinem SchUd zu
dem neben ihm stehenden Knaben, einem Züricher Stadtschüler:
Dem jungen hie gib ich gewalt,.
Vor üch ze reden was jm gYalt.
l.
21 8 !• I^er Sagenkreis von TeJl.
Der wirt üch buchten vss sim mund
Des anfangs trom (Trumm), End vss dem grund,
mit hilf vnd trost göttlicher Kraft, *
Von einer loblichen Eydgnoschaft.
Drum Knäbli, nimm von mir den schilt,
Das Argument sag, wann du wilt!
Jetzt giebt der Herold dem jungen Knaben den Schild. —
Dieser beginnt mit dem Gebete: Gott wolle dieses Schauspiel
gut von statten gehen lassen, das zu Ehren der Landesobrigkeit
über Ursprung und Anfang der Eidgenossenschaft verfasst ist.
Gleichwie vorher von dem Ursprung und Verfall der vier Welt-
monarchien die Rede war, so handelt nun dieser zweite Prolog
vom Ursprung der drei Waldstätte. Die Erzählung scheint wohl
aus Püntiners und Friinds verlornen Schweizerchronikeh entlehnt,
soweit wir dieselben durch Tschudi's Auszüge kennen, und lautet:
Das Volk der hunnischen Gothen zieht aus Scythien erobernd
bis Rom im Jahre (5) 72 und wird 588 aus Italien vertrieben.
Es zieht über den Gothard in's Urnerland, wird unter Karl dem
Grossen zum Christenthum bekehrt und zum Reiche geschlagen.
Ein zweites Volk von schwedischem Stamme kommt nach
Schwyz und Unterwaiden eingewandert und verbindet sich poli-
tisch mit der ersten Waldstatt. Diese drei beredet (ein) Graf Ru-
dolf von Habsburg (historisch der sogenannte Aeltere), sich in
seinen Schirm zu begeben ; doch sobald er (historisch der Jüngere)
Kaiser geworden ist, setzt er ihnen, statt ihrer Reichsvögte seine
Landvögte. Jetzt bricht also auch in den drei Ländern dieselbe
Zeit des hoffärtigen Regentenübermuthes an. Jedoch im Jahre
1 296 erledigten sich die Länder dieser Vögte und ihres Stammes,
und traten unter König Adolf (»dem Frommen«) gefreit wieder
an das Reich. Doch dies verdross Oesterreich, es setzte den drei
Ländern abermals Vögte: (den Landenberg zu Sarnen, den
Wolfenschiess zu Alzellen, den Grisler zu Altorf und zu Küssnach).
Mit letzterem schliesst der Prolog:
Der Landtvogt ist yetz vfF der fart,
vnd stond die Landtlüt vfF der wart.
Was er wöU sagen mit sinr stimm:
Allsand wir hie wend losen jm.
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 210
I AQtus primus.
I Die Musik bläst auf; unter ihrem Schall kommt der Land-
|vogt Grisler selbdritt (mit seinen zwei Trabanten) zu Uri in die
Landsgemeinde und eröffnet ihr : Herzog Albrecht von Oesterreich
habe ihm die Leute hier in Gehorsam gegeben; soferne sie ihm
nicht Ranzung (Lösegeld, Fallgeld), Steuer und Zins willig ent-
richten, so werde er ihnen das Leder besser beschneiden, ihnen
die Näthe besser bestreichen und sie von hinten aufnesteln.
Dreierlei Bauern nehmen das Wort, erbieten Steuerzahlung, ent-
ischuldigen sich aber mit der Gemeinde Armuth, mit den übel-
zeitigen Jahrgängen und mit des Landes Rauheit. Ein einziger
iürner stimmt diesem Ergebenheitstone allein nicht bei; es ist
^ilhelm Teil, der unter einem solchen Landvogt keinerlei Ab-
änderung der Uebel mehr erwartet: *
i
Nit darf kein Landtman änderst denken,
Dann das Er (Grisler) vns wirt wenig schenken.
Gott will ich d'sach befolhen han.
Der vns dann wol erretten kan.
Der Vogt wiederholt seine Bedrohungen und zieht unter dem
Spiel der Musik ab, die Gemeinde zerstreut sich.
»Yetz gadt Wilhelm Thell mit der Landtsgmeind hinweg vnd
[falt jme die sach nüt vnd redt allein mit jm selb:
Von unserm Vogt nüt kan ich sagen 1
Dann Gott allein, dem wil ichs klagen.
Sol's darru kon in unserm Land,
Das wir z'recht bracht vnd buwen hand
mit grosser sorg vnd übelzyt: ,
dass mutwill, bracht vnd s'Landtvogts gyt (Geiz) .
Vns gwaltigklich vnd wider rächt
Bezwingen wü grad eben schlächt?
So helflf Gott vns vnd allen armen,
der wöU sich vnser thun erbarmen!
dann dieser Vogt hochprächtig man,
gwüss kein erbarmd wirt er nit han
mit vns, den armen schlechten lüten,
Er wirt vAs vs dem land verhüten (verweisen).
Ich hör wol, gValt wirt syn das rächt,
Nüt gilt by jm, (als) das sine gmächt.
Auch was er täglich sinnt vnd macht
220 I- ^^^ Sagenkreis von Teil.
vss mutwil vnd sim öden bracht,
das muss mit gwalt den furgang han.
Er sieht nit Gott noch Billichs an,
Noch das wir hand ein hartes laben
mit wenig spyss, tranck, vnd damäbeh
Hand wir sunst gnug der angst vnd not,
In vnsern hüsern wenig brot.
Und münd darby gross arbeit lyden,
Noch will er's vns vorm mul abschnyden!
Drumb rufF ich Gott von herzen an 1
(Pausando.)
Von wytnuss g^sen ich dort ein man.
Wer er doch syge, das wundert mich.
Von wann%n lands, vss welchem rych,
Das ich vast gern dann wüssen wett;
Gon wil ich, jn fragen vff der stett.
Der Staufacher von Schwyz tritt auf und klagt seine Lage
Er komme eben von Brunnen über den See nach Uri, um sich
hier Raths zu holen, denn der schwyzer Vogt habe ihm sein neu-
gebautes hübsches Haus genommen und drohe ihn sammt det
Familie auszutreiben.
Auf diese Geschichte hin bricht Teils Unmuth neuerdings los:
Der Tüfel steckt in disem g^sind.
In vnsern Vögten vnd regenten !
Sy bringend vns vmb näpf vnd brenten (Milchbütte),
Von hab vnd gut in vnserm land,
Vmb ku vnd kalb, vmb sack vnd band.
Das sy allsand angang der ritt (Fieber)!
Das sy der Katzen siechtag schütt (schüttle)!
Aber Teil mahnt zugleich jetzt zu vorsichtiger Verchwiegeft
heit, da man diese Gewaltthätigen nicht alsbald schon aus defl
Lande zu verdrängen vermöge, sondern erst dann, wenn d
gleichgesinnten Freunde viele sich zu demselben Zwecke in d
Stille verbänden.
Erni aus Melchthal tritt zu ihnen und erzählt auf Befrageft
Er sei aus dem unterwaldner Lande entronnen. Der dortig
Landvogt habe ihm die Ochsen vom Pfluge nehmen lassen; al
Erni sich dem widersetzt habe, sei sein eigner Vater geblend
und um Haus und Hof geschätzt worden.
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 221
Schon der Staufacher erklärte, er sei im Unmuth über den
Schwyzervogt »unbsinnter Weise« von Brunnen bis Uri um Hilfe
gelaufen; Emi behauptet, er sei nahe daran, über sein Leiden
toll und irrsinnig zu werden. Teil beruhigt den Klagenden mit
[dem vorhin schon gegebenen Rath und warnt noch einmal vor
allzurascher Gegenwehr. Man müsse erst die Majorität (ein
Imichle zal) des Volkes gewinnen, eher führen Aenderungen in
einem Lande nicht zum Guten. Mit einem Handschlag geloben
sich die Drei Verschwiegenheit, jeder wolle in seiner Heimat sich
mit den Freunden zum Zwecke des gesetzlichen Widerstandes
verbünden und von dem Erfolge sich gegenseitig Bericht geben.
Schliesslich hierauf Teil :
Drumb so wir heim gond widerumm,
So lug ein yeder, dass ein summ
Ein michle (grosse) zal doch vnser werd,
Verschwigen, still, mit keiner gferd;
Verheissend das einanderen b'hend,
All thüend mirs geloben in min hend.
Wo aber eim etwas lig an,
Der sol hieher ins Rütli gan.
Welches im Land ze mitlest ist.
Da klag ein yeder was jm prist (gebricht).
Sie bieten sich die Hände und scheiden. Schluss des Actes. —
Actus secundus.
Grisler, im Begriffe, aus Uri wegzureiten, beauftragt seinen
Knecht Heinz Vögeli, den Vogthut an einer Stange unter der
Marktlinde aufzustecken und diejenigen anzuzeigen, die vorüber-
gehend dem Hute nicht Reverenz thun. Der Diener verspricht's,
der Vogt geht.
Erni von Melchthal, der auf dem Heimwege ist, begegnet
hier seinen beiden Landsleuten, dem Kuno ab Alzellen und dem
Uli von Gruob, beide aus Unterwaiden. Er fragt sie um den
Grund ihres Hierherkommens. Kuno ab Alzellen berichtet: »Unser
Herr Landvogt« habe sich bei des Erzählers Eheweibe ein Bad
bestellt und sie zu sich in die Wanne sitzen heissen. Der aus
dem Walde mit der Axt heimgekehrte Ehemann habe ihm mit
der Axt Warmes also zugegossen, dass der Vogt darüber auf
I dem Platze geblieben , — er selbst sei aus der Mark vor des
L
222 I« Der Sagenkreis von Teil.
Vogtes Anhang hierher entronnen. Uli von Grub, gleichfalls um
sein Erscheinen befragt, hat keinen besonderen Fall zu melden,
aber das Bleiben daheim unter vögtischer Bedrückung verleide
ihm das Leben. Darauf erzählt Emi Melchthal diesen Beiden j
zum Tröste , er sei zu Uri beim Staufacher und Teil gewesen, |
habe sich mit ihnen auf einen bestimmten Tag in's Rütli bestellt |
und nehme auch sie Beide hier in das Bündniss gegen die Vögte i
auf. Hierauf gehen diese Drei von einander und heim.
(Wir haben also nunmehr fünf Eidgenossen, fünf Stifter des
Bundes.)
Zweite Scene: Die Musik spielt, Heinz Vögeli setzt den
Vogthut auf die Stange und verkündet der Gemeinde den neuen
Erlass. Drei Bauern der Landsgemeinde erklären dieses Gebote
zwar als einen Gewaltsmissbrauch, fügen sich aber, um nicht
unter die unruhigen Köpfe gezählt zu werden. Während sie und
viele ihres Gleichen sich verneigend an dem Hute vorübergehen,
tritt Teil auf ohne Reverenz zu thun. Auf des Knechtes Drohung,
ihn deshalb beim Vogt zu verzeigen, spricht Teil:
Was eeren wärt ist dieser hut?
Füm frost vnd ragen ist er gut,
Darumb ich jn nit änderst kan,
Denn für ein groben filzhut han.
Inzwischen ist der Landvogt wieder' erschienen, hört detf
Vorgang, befiehlt seinen beiden Knechten, den Teil gefangen zu
nehmen und gebunden zur Stelle zu führen, und lässt den Ge
fangenen sehr hart an:
Du grober filz, du öder pur,
Die hoffart muss dir werden sur!
Was ist dich nun der not angangen.
Das Du der erst bist min Gefangner?
Vnd dich hast gstelt vSs argem mut
Gar wider mich vnd minen hut,
Vnd nit wilt halten was ich büt,
Darzu nit thust wie ander lüt?
Zudem, du wilt mit dinen sachen
Ander mir ouch vnghorsam machen?
Darumb yetzdan in Sonderheit
Wirst du mir gäben guten b'scheidtl
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 223
Teil entschuldigt seine Unterlassung erstlich mit seiner bäueri-
schen Einfalt und zweitens mit dem göttlichen Gesetze, worin
vom Filzhut sich nichts geschrieben finde; so habe er denn nichts
gegen Gott und das Gesetz gethan. Der Vogt nennt diese Ent-
gegnung ein Schwätzen und ein Tanten und schickt den Knecht
ab, um Teils sämmtliche Kinder herbeizubringen. Teil entschul-
digt nochmals seine Unzucht mit seinem Unverstand, will wegen
des Filzhutes nicht streiten, sondern wünscht vielmehr Verzeihung
und Vergebung: -
Ich wil's nit mee thun hin fürbas,
Dess müsst jr, Herrvogt, werden innen.
Ich wil mich warlich änderst bsinnen,
in üwerem Willen allzyt laben,
Drumb bitt ich, Herr, thund mir vergäben I
Der Landvogt verbleibt in seiner Aufregung und Ungnade:
Ee wett' ich drumb werden erstochen,
Ee du mich müsstest überbochenl
Wie bald yetz kommend dine kind.
Ich temmen wil all dine fiind.
Grislers ICnecht kommt inzwischen zu des Teilen Frau und
verlangt ihr die Kinder ab:
Die wil ich einswägs von üch haben,
Es syend meitle oder knaben.
Das erste Kind, wie es der Knecht nimmt:
War Witt vns fiiren, lieber man,
Das solt vns kinden zeigen an.
Das andere Kind:
Nit wend wir dich vns füren Ion,
Du sagist vns, war münd wir gon.
Der Knecht:
Zu üwerem vatter münd jr hin.
Der ist lang üwer wartend gsin.
In der ersten Ausgabe des Tellenspiels findet sich ein Nach-
trag zu dieser Abschiedsscene der Mutter von ihren Kindern bei-
gedmckt, »von zier wegen diss Spyls darzu gemacht«. Des
Teilen Frow, so die kind von jr gond vnd jr genommen werdend,
spricht:
224
I. Der Sagenkreis von Teil,
Muss ich min frommen biderman,
ouch mine kind also Verlan,
So muss es Gott im Himmel erbarmen;
ich trostloss, eilends, angsthafts wyb,
damit ich nit kein vnfür tryb,
anfach, ald bruche selb gen mir,
vnd ich im leid nit gar verirr I
Der Landvogt, wie die Kind vor jm stond, spricht:
Vf das sag mir, Wilhelm, yetz nun,
welches ist dir der liebste sun?
Teil: Herr, so ich üch dann d' Wahrheit sag,
Glych sinds mir lieb gsyn all min tag,
Vogt: Schlecht kurzum, Thell, das will ich han.
Welchen sun hast am liebsten ghan?
Teil: Min Herr, so jrs parfort (gewaltsam) wend wüssen
Den jüngsten ich am meisten küssen. '
"Vogt: Das kindle sol hie blyben stan,
die andern lond all heim yetz gan,
so wil ich lugen, lieben knechten,
ob ich jm mög glegen sin prechten (prahlen).
Actus tertius.
Musica. Platz bei der Linde. Teil soll dem Kinde dei
Apfel vom Haupte schiessen:
Vogt: Din schiesszüg han ich dir lan reichen,
Wilhelm, din Herz wil ich erweichen
vnd dich hie leren, das d^ solt sin
gehorsam den gebotten min.
Hast du din gschoss dann wol bereit
vnd kanst wol schiessen, wie man seit,
bist du der kunst gewärt vnd so geschwind,
so mags nüt schaden dinem kind.
Darumb so gib den willen dryn.
Denn schlecht kurzumb, grad muss es syn.
Und wer' dir noch so lieb din kind,
so must jn (den Apfel) schiessen ab sim grind.
Dies ist jener Schlussreim, übrig geblieben in dem Teilen]
spiel, das die Bauernschaft herkömmlich am Hirsmontag in de^
Kreuzgasse zu Bern aufzuführen pflegte.
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 225
Teil beschwört den Landvogt bei Natur und Unnatur, bei
Gott und Recht, bei Mass, Milde und Barmherzigkeit.
Landvogt: Nun schwyg, nun schwygl din red nit gilt.
Den keiben (das kleine Aas) nemend, fiirend hin,
Das vnd kein andres muss nun sin!
Damit legt er eigenhändig den Apfel auf des Kindes Haupt.
Teil fleht zu Gott :
Leit mir das pfyl mit diner wyssheit.
Send mir din gnad vnd heiigen geist.
Das ich keinswägs zu keinen stunden
Ein keib (Verbrecher^ an mim kind ward g'funden.
Temm, straff der Herren Übermut,
Den trengten halt in diner hut!
Das Kind spricht zum Vater:
Ach vatter, liebster vatter min,
Dir bin ich lieb vnd ghorsam g^sin,
Wilt du mich des lön also gniessen
Und mich darumb zHodt erschiessen?
So sich doch an mins müterlin,
min schwösterlin all vnd brüderlin,
die du mit müy vnd schwerem last
in armut vferzogen hast.
Teil: Ach sun, min allerliebstes Kind,
Dass ich dich nienrin bschulden künd,
Nit kan ichs in der Wahrheit min,
Du bist mir allwäg ghorsam gsin,
Darumb so lass din herz gestillen,
Es bschicht alls wider meinen Willen I
Vf das, so knüw yetz nider, sun,
vnd hilf mir Gott anbäten nun.
Teil betet mit dem Kinde ein in Reimen gefasstes Vater-
unser, ohne den Zusatz des englischen Grusses, dann heisst
er das Kind in Gottes Namen sich zum Schusse stellen. Pause.
Der Apfel ist getroffen. Teil bricht in einen Preis Gottes aus.
Ueber dieses Wort der Frömmigkeit spottet der Vogt :
Geloub ich recht im Herzen min.
So bist, Wilhelm, ein priester gsin,
Aid in eim Closter vferzogen?
Nit hast's von diner mutter g' sogen,
Das d' so viel seh wetzest vnd reden magst.
Rochholz, Teil und Gessler. 1$
226 !• ^^^ Sagenkreis von Teil.
Jedoch lobt er den Meisterschuss und verlangt nun den Zweck
des zweiten Pfeiles , den Teil in's GoUer gesteckt, zu erfahren.
Teil entschuldigt dies mit eineni allgemeinen Schützenbraache.
Landvogt: Nit wirst mich, Thell, also betriegen,
Dann ich mich ouch verstan vf liegen!
Er schwört ihm Sicherheit des Lebens zu; Teil gesteht,
dass ihm selbst der zweite Pfeil gegolten hätte, wenn der erste
das Kind getroffen hätte. Der Landvogt beruft sich auf seinen
eben geleisteten Eid, ihn am Leben zu schonen, und verurtheilt
ihn daher zum ewigen Gefängniss im Thurm zu Küssnacht. Er
wird gebunden in das Schiff gefuhrt, um gen Küssnacht gebracht
zu werden. Abschiedsworte an Mutter und Kind und an die Land-
leute. — Musik fällt ein.
Seesturm; das Schiff füllt sich mit Wasser, der Wind ist
entgegen, die drei Schiffer bitten, man möge den Teil entfesseln
und an*s Ruder stellen. Der Vogt gewährt's und verspricht, ihn
nach glücklicher Landung ledig zu lassen. Bei der Platte springt
Teil mit der Armbrust ans Land und stösst das Schiff in den
See zurück, der Vogt ruft ihm Drohungen nach.
Monolog Teils oben auf dem Berge. Weib und Kind treten
ihm vor Üie Seele, sein Entschluss steht nun fest:
Sollt es mich kosten lyb vnd laben.
Den Ion dem landtvogt wil ich gäben,
Hie wil ich mich nit län verdriessen,
jn selber wil ich z'lodt erschiessen.
Der Landvogt" gewinnt das Ufer; in einem Monolog ist
auch er entschlossen, den Teil sogleich aus dem Wege räumen
zu lassen:
Wie bald ich heim gen Küssnacht kumm,
So muss er sterben schlecht kurzum.
Ich wU jm nacbgän vff pantoflFlen,
Wie er im schiff mir. ist entioffen.
:& Thell verbirgt sich in die Holgassen, erschüsst den Landt-
vogt z'todt und flucht.«
Die beiden Knechte sind bemüht, die Leiche hinwegzutragen;
der Eine, dem Morde nachsinnend, fragt:
War hats thon? Gwüss kein Bidermanl
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 237
Der Andere ist sogleich darüber entschieden:
Der Thell hats thon, das sol mich kränken! —
Teil tritt vor und dankt Gott für das Gelingen. — Musik
schliesst.
[Auch Schillers Gessler wird in dem Augenblick, da er er-
neute Drohungen gegen das kecke Volk ausstösst, vom Pfeil
durchbohrt, und wie hier Ruoffs Lanzenknecht fragt: War hats
thon? so rufen bei Schiller viele Stimmen: Wer hat die That
gethan?]
Actus quartus.
Teil erklärt in einem Monologe, er sei entschlossen abzu-
stellen »den Übermut, mutwill, hoffart der Vögte vnd Edellüt«, und
sie alle zu Unterwaiden, Uri und Schwyz auszutreiben. Er trifft
auf. Uli von Grub und erzählt ihm den ganzen Verlauf seines
Schicksals vom Apfelschuss an bis zum Vogtschuss:
Ich han in heimlich z'todt erschossen,
von der thaat grad kumm ich harl
Als Kuno ab Alzellen und Stoffacher ebenfalls hinzugetreten
sind, macht er sie mit dem Plan bekannt, sogleich einen Bund
der drei Länder zur Vertreibung der Vögte aufzurichten. So
lange auch nur einer, wie jener im Schlosse zu Sarnen, noch vor-
handen ist, werden die Länder nicht zu ihrem Rechte kommen.
Die drei stimmen ihm zu, erheben die Hände und sprechen ihm
sogleich den Eid nach:
Ich verheiss, versprich vss mim verstand,
Das ich kein' wütrich mee im land
Wonen, dulden wil 16n blyben.
All wil ichs vss dem land vertryben.
Somit begeben sie sich zusammen hinweg zur Landsgemeinde.
Scene auf dem Schlosse zu Samen.
Der Landvogt meldet seiner Frau Vögtin, er wolle am heu-
tigen Weihnachtstage mit den beiden Knechten zur Kirche gehen.
Inzwischen solle Sie das Schloss gegen die listigen Bauern behüten
und heute keinen, der die Weihnachtsgabe überbringen werde,
bewehrt eintreten lassen. Er geht ab, die Vögtin lässt das Thor
schliessen und die Brücke aufziehen. — Mußica.
15*
228 ^- ^^^ Sagenkreis von Teil.
Actus quintus.
Wilhelm Teil steht vor versammelter Landsgemeinde sammt
seinen vier Mitgesellen. Jeder von ihnen ergreift der Reihe nach
das Wort zur Aufrichtung des Bundes und zur Vertreibung aller
Vögte, besonders aber zum heutigen Sturm gegen das Schloss
Samen. Die 12 Bauern (entsprechend den 12 epischen Pairs der
Tafelrunde) stimmen einzeln bei. Alle bilden einen Ring, erheben
die Hand, Teil spricht ihnen den Eid vor:
Zu Gott streck ich die finger min,
Willig wil ich mich h'g^n dahin
Mit lyb vnd gut in all gefar,
Alls wil ich wagen, stellen dar
Für d'Eydgnoschaft vnd vnsers land.
Das d' Vogt vnd der Adel b'herschet hand,
Dass wir sy all vnd jrn anhang
Verderben wollend vnd vssrüten,
Ir thürn vnd Schlösser z'allen zyten ■
Stumpen, stil, keins vfrecht 16n,
Gott verheiss ich das in sinem thron I
Der Plan duldet keinen Aufschub, damit keiner der Gegnei
gewarnt werde. Vom Platze weg begiebt man sich zum Stun
gegen Samen, doch nicht ohne List. Teil nämlich ertheilt folgen-
den Rath. Die Hälfte der zwölf Bauern überbringe dem Voi
die Weihnachtsbescherung, Uli von Gmb soll sie anführen; wäl
rend die übrigen schleunig sich rüsten, vor dem Schlosse siel
aufstellen und auf einen Hornstoss warten, mit welchem Teil di
Zeichen zum Angriff geben wird. So geschieht's, der Anschk
gelingt, das Schloss wird gebrochen. Die entronnenen Schlei
knechte melden dem vom Kirchgang heimkehrenden Vogte dj
Ereigniss. Er ergrimmt und bricht in die bekannten Worte aus
welche das Junkerthum gegen die Leibeigenen so oft wiederholj
hat: Diese Bauern erfrechen sich gegen unsre Oberherrschal
sie, die mit Hab und Gut, mit Weib und Kind unser Eigenthi
sind I Bis auf die Speise in ihren Eingeweiden , ihre Eingeweide
und das Blut ihres Körpers sind sie mein und meines Herrn v<
Oesterreichl Aber ich schwöre, sie gänzlich auszurotten und
vertilgen :
Nit sol es jn nachgelassen sin.
Als gwüss als ich ein Schwäbli bin!
10. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 22Q
(Er entweicht aus dem Lande. — Der Stichelname Schwab
bezeichnet in der Schweiz seit dem sogenannten Schwabenkrieg
den deutschen Eindringling.)
Der Herold beschliesst das Spiel mit einer Anrede an die
Zuschauer, er hebt den Sinn und Gang des Stückes noch einmal
hervor:
Wie d^Eydgnoschaft nach gross verlangen
Mit mtiy, arbeit hab angefangen,
Was Thell vnd sin gsellen allsand hand
Erlitten, vnd das wider Gott,
Mit mutwill, vntrüw, schand vnd spott
Vom Adel, Vögten mit gewalt,
Ee sy kommen sin vss angst zu ruw:
Das hand jr ghört vom Vly von Grub,
Vom landtman Stoflfacher von Schwytz,
Vom frommen Emy vss Melchtal.
Die Obrigkeit wird auf diesen Muthwillen der Vögte zurück-
verwiesen und ermahnt, nun ihrer Leute, besonders der Armen,
mit Barmherzigkeit sich anzunehmen; denn mit Milde, mit Ab-
legung der Hoffart, der Ueppigkeit^ des Geizes und Wuchers
werde das Land in seiner Freiheit behauptet werden.
Der junge Ehrenhold macht mit einem Nachspruch den
Schluss. Dabei wendet sich dieser Bürgersknabe an seine liebe
Vaterstadt Zürich, an die beiden Bürgermeister und den ver-
sammelten Rath. Ihnen allen wünscht er im Namen des Wil-
helm Teilen und dessen Knaben ein glückhaftiges seliges Neu-
jahr an.
Den Schlussworten des Ehrenholds ist zu entnehmen, dass
Ruoffs Tellenspiel zur Züricher Neujahrsfeier 1545 aufgeführt
worden ist. Darunter ist der dort sogenannte Berchtoldstag
(2. Januar) verstanden, der schweizerische Stellvertreter des im
Norden zur Feier der Wintersonnenwende begangenen Julfestes,
.welcher zu Zürich bis heute mit Umzügen, Versammlung der
Zünfte, mit Zunftschmäusen und öffentlichen Gabenvertheilungen
Jortbegangen wird. Auch L. Ambühls in der Folge noch näher
jZu besprechendes Tellenschauspiel wurde für diese Züricher Fest-
feier geschrieben und aufgeführt. Nicht zu übersehen ist der
spielende Zufall beim Schiller'schen Teil; derselbe trägt in der
ersten Ausgabe folgenden Titel: Wilhelm Teil, Schauspiel von
i
n
230 I. Der Sagenkreis von Teil.
Schiller. Zum Neujahrsgeschenk 1805. Tübingen, Cot-
ta'sche Buchhandlung. 1804. Mit 3 Kupfern. —
Dritter Abschnitt
Die Zeiten des kirchlichen Schauspiels und des gelehrten Schuldramas. Letzteres
arbeitet in der Schweiz dem französischen Eunstdrama vor, und solcher Ent-
stehung sind: Grisler, Tragödie 1762 (vom Bemer Samuel Henzi). — Guil-
laume Teil, Tragödie par le Miferre 1767. — Nachtrag über die Namen Grisler
und Gessler.
Bereits am Schlüsse des sechzehnten Jahrhunderts^ war im
deutschen Drama an die Stelle des Volksthümlichen , Gesunden
und Thatsächlichen verschrobene Gelehrsamkeit, grobsinniger Pe-
dantismus und wundersüchtiger Zelotismus getreten. Auf katho-
lischer Seite dramatisirten die Mönchs- und Jesuitenschulen ihre
Legenden, Ortsmirakel und theologischen Controversen ; auf refor-
mirter Seite die gleich -ledernen Prädiöanten und Präceptoren ihre
Zehn Gebote und ihre Katechismusfragen. Dies war das so-
genannte Schuldrama, welches Possen und Dogmen, Sittencasuistik
und grammatikalische Casuslehre, Armseligkeit und Prunk zu-
sammen in endloseste Allegorien verwebte. Wenn da der Abt
Augustin von St. Urban sein Bürgerrecht mit Solothum erneuerte,
so führten seihe Klosterschüler ein Singspiel auf: »Homerus, der
Siebenfache Bürger.« (Gedruckt 1752, 4®. Aarauer Bibliothek.)
— Oder wenn die Bürger der Stadt Lenzburg spielten, wie Josua
trocknen Fusses durch den Jordan geht und Jericho einnimmt
{Basel bei Apiarius 1579), so mahnen dabei vier verschiedene
Masken die Zuschauer zu andächtigem Stillschweigen: ein Narr,
ein rother Engel, ein grasgrüner Engel und ein Bär:
Ich bin ein wilder rücher Bär,
vss der Wilde kommen här.
Für diese Schuldramen öffnete Magistrat und Pfarramt die Orts-
kirchen ungebeten, die historischen Stücke dagegen mit politischem
Charakter verwies man auf die verregnete Gasse oder stellte sie
als staatsgefahrlich unter Censur. Denn in Folge der Religions-
kriege waren die schweizerischen Republiken, ziemlich ebenso
frühe wie die monarchischen Staaten, auf das neue Institut der
lo. Die Tellenscbauspiele in der Schweiz vor Schiller. 23 1
Büchercensur gerathen und übten es mit nicht geringerer Strenge.
Das Staatsschreiben der katholischen Kantone an die reformirten
v.J. 1585 (gedruckt München bei Ad. Bei^, 1588) beklagt sich
wörtlich über »die hochschmächlichen zu Bern gehaltenen vnd
gedruckten Comedien, zu geschweigen auch anderer in ewern
Stätten, gehaltenen Spilen, Comedien, vnverschambten eixiichten
Redem vnd Predigen, so man bei euch vff der Cantzlen thut der-
gestalt, dass auch die kleinen Kind vffgewiesen wendent, vnsre
Priester vnd Ordensleut an offnen freyen Strassen vff der Gassen
vnd vss den Häusern zu verspotten vnd zu beschreyen.« So
sah sich die Tagsatzung genöthigt, schon im 16. Jahrhundert die
Büchercensur auch auf Lieder und Schauspiele auszudehnen. Den
kirchlichen Spielen dagegen leistete man allen möglichen Vorschub.
Ein paar Beispiele hierüber theilt Hidber mit in seinen Gesam-
melten historischen Aufsätzen. (Bern, 1864). Der römische Legat
zu Luzem verlieh 1597 der Schauspielergesellschaft daselbst
sammt deren Musikanten und zukünftigen Zuschauem auf volle
sieben Jahre Sündenablass. Diese Gesellschaft bildete damals
eine besondere kirchliche Bruderschaft, welche nicht bloss gegen
Juden und Ketzer, sondern auch ganz erstaunlich gegen Hunger
und Durst ankämpfte. Bei ihrer Vorstellung des Sündenfalles im
Jahr 1583 ass sie um 196 Fl. 33 Schilling und vertrank 222 Fl.
32 Schilling, jene weiteren 140 Mass Elsässerwein nicht mit ge-
rechnet, welche Schultheiss und Rath beim blossen Zuschauen
consumirten. Die Stadtschüler hatten in diesem Schauspiel um
die Altäre zu tanzen und ein eigens componirtes jüdisches Opfer-
lied zu singen; wahrscheinlich zur Verspottung des Judenthums,
I wobei folgende geistreiche Strophe mit vorkommt :
I Hiber heber, gabel gobel.
Wir opferent Cuntz von Tobel.
Kykrion und übenvitz,
Cuculus und spillenspitz,
Nespelnstein und fliegenbein,
Haselnüss und löchlein drein, etc.
Während dem gieng das Wunder des Mannaregens vor sich,
indem man aus den Estrichen der Häuser 800 Küchlein und
20,000 Himmelsbrodpartikel (Oblaten) auf das zuschauende
Strassenpublicum herunterwarf.
Dass auch das Schauspiel der reformierten Schweiz gleicher-
232 !• I^cr Sagenkreis von Teil.
weise in den Händen der Collegiatgeistlichkeit und ihrer Schüler
war und um nichts besser beschaffen, lehrt ein Vorgang zu Bern.
Dort gaben 1692 die Berner Studenten unter Anleitung ihrer
geistlichen Professoren ein allegorisches Stück, worin Ludwig der
Vierzehnte von Frankreich als Charaktermaske auftritt, mit seinen
Dragonern und Jesuiten gegen die Hugenotten wüthet, die dann
von König Wilhelm von England beschirmt werden. Auf die
Klage des französischen Gesandten Amelot entschuldigte sich die
Regierung, es sei jüngsthin auch zu Freiburg im Uechtland König
Wilhelm von England als Vatermörder öffentlich gespielt und
das Stück in den Kauf gegeben worden. Nach dieser Ausrede
prozessierte man gleichwohl »die Geistlichen mit ihrem unbedachten
blinden Eyffer wegen dieser schantlichen Commedj oder vielmehr
farce^y strafte sie mit Gefangenschaft und entzog ihren Komödien-
spielen die Kirche.
i In dem eben Entwickelten liegen die Gründe, warum ein
neues Tellenschauspiel in der Schweiz oder in Deutschland erst
in sehr entfernter Zeit wieder und nur unter einem gänzlich ver-
änderten Zeitgeschmack hervorgebracht werden konnte. Erst
musste die alte Gattung unsrer Volksschauspiele und Komödien
an ihrem eignen Missbrauch absterben; erst musste dann das
Schuldrama uns langsam zur Regelhaftigkeit der französischen
Bühne hinübergeleitet haben ; eine Stadt, auf der deutsch-welschen
Sprachgrenze liegend, wie Bern oder Neuenburg, musste ihr
Bürgergeschlecht an französischer Sprache und Literatur erst auf-
geschult, zugleich aber auch zur verwegensten Opposition gegen
die einheimische Despotie grossgezogen haben, damit beim Eintritt
der neuen Weltereignisse die deutsche Schaubühne wieder er-
stehen, den nationalen Gehalt des Tellenstoffes neu empfinden
und zu künstlerischer Darstellung frisch aufnehmen konnte. Bern
und Neuenburg sind daher wirklich die beiden Städte der Schweiz,
in denen nach langer Pause Wilhelm Teil neuerdings seine dra-
\ matischen Bearbeiter findet. Henzi und Mi^rre werfen daselbst
j diesem Stoffe das Costüm der französischen Koniödie um.
I Henzi's Leben und Schicksal ist so massgebend für unsem
ganzen Zweck, dass wir dasselbe hier der Analyse seines Schau-
spiels voranstellen. Unsre Angaben über diesen ungewöhnlichen
Mann stützen sich auf Leonhard Meister (Helvet. Gesch. 3, 256),
Balthasar (Helvetia i, 401.), Fetscherin, RR. (Aufsätze in den
Blättern des Berner Literar. Vereines.)
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 233
Samuel Henzi, der Sohn eines unbemittelten Berner Pfarrers,
that seit seinem vierzehnten Lebensjahre Schreiberdienste bei der
Salzverwaltung. Dieses frühzeitig getragne Joch hielt ihn nicht
zurück, eifrig an seiner geistigen Bildung zu arbeiten. Er erlernte
alte und neue Sprachen, so dass er seinen Briefwechsel französisch
und lateinisch, ja aus Vorsicht vor polizeilichen Spürem sogar
griechisch zu führen wusste. Er war eine kleine wohlgestaltete
Figur von geistreichem Gesichte. Fortdauerndes Missgeschick
trieb ihn in die Fremde. Es war ihm geglückt, sich die Stelle
eines Compagniechefs in modenesischen Diensten kaufen zu
können; allein nach kurzer Zeit hatte er seine Hauptmannsstelle
wieder aufgeben müssen und dabei einen Theil seiner Ersparnisse
eingebüsst. Heimgekehrt unterzeichnete er im März 1744 mit
etlichen zwanzig unzufriedenen Stadtbürgern eine Bittschrift,
worin die Regierung in bescheidenem Tone angegangen war,
weniger schroff auf der Scheidung in regierende und regierte
Stadtbürger zu beharren, auch der letzteren Classe das Recht der
Stellvertretung im Rathe einzuräumen. Das damalige Bemer
Regierungssystem liess nicht mit sich markten. Sechs von den
Urhebern der Bittschrift wurden mit Verbannung aus der ge-
sammten Eidgenossenschaft, Henzi mit fünfjähriger aus dem
Kanton bestraft. Er gieng nach Neuenburg und ergab sich hier
der französischen Literatur, die er nach dem damaligen Geschmack
der gebildeten Stände auf's höchste schätzte. Der deutsche
Schweizer verwandelte sich in einen französischen Autor, rasch
nach einander schrieb er hier Couplets, Oden, Epigramme, den
Misodem und die Messagerie du Finde, wahrscheinlich zugleich
auch seine Tragödie Grisler. Als ihm ein Strafjahr in Gnaden
» geschenkt war, kehrte er heim und bewarb sich um ein Biblio-
thekarsamt, musste aber diese Stelle einem jungen Patricierssohne
überlassen. Er war rathlos, seine Vermögensverhältnisse hatten
sich während des Exils abermals verschlechtert; in seiner miss-
lichen Lage immer mehr sich verbitternd, sann er jetzt auf eine
Staatsumänderung. Er entwarf dazu einen ausführlichen Plan,
eine Denkschrift, die in der oben erwähnten Zeitschrift Balthasar's
abgedruckt ist. Hier beklagt er sich namentlich über das damals
zu Bern herrschende Familienregiment, in dessen Händen auch
I das ganze holländische Capitulationsgeschäft als Monopol lag.
I Blutkram hiess dasselbe beim Volke. Henzi sagt darüber: »keine
I Obersten, keine Hauptleute, als nur die, so von den Usurpatoren
«
234. I. Der Sagenkreis von Teil.
ein Patent haben, dürfen ein Landeskind auf die Schlachtbank
fuhren; ein Bürger darf nicht einmal für seine Person, ohne
Specialerlaubniss der Bemischen Recrutenkammer , sich in einen
uncapitulirten Solddienst begeben. Das will so viel sagen, als
sein Blut sei ein Eigenthum der May, der Wattenwyl, der Tscharner,
der Stürler u. s. w., die allein das Recht haben, es um hollän-
dische Ducaten zu verkaufen. Dieses Seelengewerb hat einigen
Familien einen ausserordentlichen Reichthum abgeworfen. ' Mit
dem Blute' vieler tausend Landeskinder haben die May und
Stürler foliantengrosse Zinsbücher vollgeschrieben, die Tscharner
und Wattenwyl gassenlange Paläste aufgeführt. Im holländischen
Dienst stehen 24 Bürgere ompagnien, deren jede jährlich 12 — 15,000
Pfund einträgt; es kommen also von dem Blut des Landes un-
gefähr 2 bis 300,000 Pfund in die Familiensäcke. Und wenn
ein holländischer Oberst oder Hauptmann sein Regiment oder
seine Compagnie gegen 30 Jähre benutzt, sich ein Kapital von
2 — 300,000 Pfund gemacht hat, so kommt er endlich heim und
spricht ein Amt an von jährlich 30,000 Pfund Einkommens. Ein
Wattenwyl, ein Steiger kann den Grisler (Gessler) spielen, und
wir, weit entfernt, an die Regierung nur zu sinnen, sollen uns
noch glücklich schätzen, wenn sie uns nur bei Haus und Hof
lassen. Gott gebe uns Stärke, dieses Joch zu zerbrechen!«
Dieser Herzenserguss eines gewesenen Werbhauptmanns ist
nicht bloss instructiv über den Bestand des damaligen schweizer-
ischen Capitulationswesens , er dient vielmehr auch dazu, die
historische Wahrheit jener schon besprochenen Scenen in Ruoffs
Etter Heini zu bekräftigen, in denen der von den Urkantonen
militärisch betriebene Menschenhandel persifliert ist. Drehte sich
nun Henzi's Verschwörung ausfuhrlich um solcherlei Soldaten-
wesen, so war sie keineswegs demokratisch gemeint oder hatte
die bemische Landesfreiheit nicht im mindesten zum Zwecke.
Henzi suchte, wie Lessing höchst richtig ihn beurtheilt (Sämmt-
liche Werke 3, 344), nichts als die Freiheit der Vaterstadt bis zu
ihren alten Grenzen wieder zu erweitern. Dabei gieng er, wie ein
Docent der Rechtsantiquitäten, streng conservativ zu Werke und
verlangte folgerecht, dass statt der Geschlechterherrschaft, statt
der patricischen Oligarchie, die Gesammtbürgerschaft der Stadt
Bern regiere. Die Landschaft Bern war dabei noch gar nicht mit
eingerechnet, vielmehr sollte diese künftighin wieder, wie vor
Alters, allein der Stadt Bern zu huldigen haben und nicht mehr
'»
;.'
' V
lo. Die Teilenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 235
dem ungeschichtlichen Stand Bern. Eine nicht geringe Anzahl
Unzufriedener war für diesen Plan gewonnen^ neben Subaltem-
beamten, Soldaten und Studenten auch der Sohn des Thorberger
Landvogtes. Die beiden Hauptagenten waren der damalige
Bemer Polizeilieutenant Em. Fueter und ein verarmter Geschäfts-
mann Wemier.
Am 13. Juli 1749 sollte der Schlag gefuhrt werden, man
wollte Räthe und Schultheiss gefangen nehmen, bereits hatte
Fueter sich der. Schlüssel zu den Stadtthoren bemächtigt. Doch
schon am 2. Juli vorher hatte ein mitverschworener Geistlicher,
' sein Name ist unbekannt geblieben , den Plan verrathen , am
dritten befanden sich die drei Häupter im Gefängniss. Fueter
war durch einen Pistolenschuss betäubt, Henzi in einem Strassen-
kampfe gegen Viele förmlich entwaffnet worden. Ein Verzeichniss
der Mitverschworenen trug Henzi im Kleide verborgen, er zerriss
es und verschluckte die Stücke Angesichts der Richter. Auch
die Folter ertrug er, ohne einen Namen zu nennen, seine eignen
Plane läugnete er nicht ab. Sobald die Untersuchung mehr
Theilnehmer ergab, als die Regierung zu hören wünschte, sprach
man den drei Hauptangeklagten rasch das Todesurtheil und
vollzog es schon am 17. Juli vor dem Obernthor. Werniers
Haupt fiel erst mit dem dritten Hiebe. Henzi war verurtheilt
Augenzeuge zu sein. Auch ihn verwundete der erste Hieb nur.
Darauf soll er sich zum Scharfrichter gewendet und gesagt haben :
Du richtest, wie deine Herren urtheilen! Nicht einmal der zweite
Streich trennte den Kopf, mit einem Messer musste er vollends
abgeschnitten werden. Fueter erschien als gewesener Stadt-
Keutenant der Schuldigste, deshalb wurde ihm vor dem Tode die
rechte Hand abgehauen. Er blieb standhaft. Als ihm aber der
erste Schwerthieb in die Schulter fuhr, schrie er laut auf, der
zweite machte seinen Leiden ein Ende. Die Mitverschwomen
und einen Theil ihrer Familien traf lebenslängliche Landesver-
weisung. Als der Zug der Verbannten am Ufer des Rheines
ankam, soll Henzi's Wittwe, eine Italienerin, den einen ihrer beiden
unmündigen Söhne in den Strom geworfen und an den Haaren
wieder in's Schiflf hereingezogen haben, auf dass er nicht vergesse,
das Blut des Vaters zu rächen. Einer dieser Söhne fand in den
Niederlanden eine Stelle bei der Leibwache des Prinz Statthalters
und starb dort. Die ihm aufgetragne Rache übte er dadurch,
236 I. I^er Sagenkreis von Teil.
dass er von seinem Wohlstand armen Bemerbürgem in der
Fremde edelmüthig mittheilte.
Ein Enkel des Enthaupteten wurde der Baron von Henzi,
der im Jahre 1848 als österreichischer Oberofficier eine Zuschrift
an die schweizer Bundesregierung richtete, worin er sich die
Restitution seines Bemer Namens und Bürgerrechtes erbat. Er
ist tapfer fechtend für seinen Kaiser auf den Festungswällen von
Ofen gefallen gegen die unter Görgey stürmenden Ungarn. Ein
anderer Enkel siedelte sich später im Aargau an und erbaute
das Henzigut, rechts an der Heerstrasse gelegen, die von dem ;
Dorfe Entfelden nach Suhr und Aarau führt. Unser Dichter
Lessing fühlte sich, wie er sagt, von keiner Begebenheit der
neuesten Geschichte mehr gerührt, als von diesem Schicksal
Henzi's. In seinem Gerechtigkeitsgefühle drängte es ihn, diesen
trostlos lassenden Schatten zu beruhigen. So sich Horazens
Wort zurufend: T^placantur carmine manesU begann er das
Trauerspiel Samuel Henzi zu schreiben. Allein die Regierung
von Bern rief die deutsche Censur gegen den Dichter auf, dann
befahl sie ihrem Em. Haller, des grossen Albrecht Hallers Sohn,
in der Bibliothek der Schweizer Geschichte Lessings Plan anzu-
bellen, und das Trauerspiel Henzi blieb Fragment. Auch über
den Mann selbst ist mit Sicherheit nicht mehr, als hier steht, zu
erfahren. Auf damaligen Regierungsbeschluss wurden die Ver-
höre und Verhandlungen des Hochverrathsprocesses aus dem
Rathsmanuale herausgeschnitten und mit den übrigen Acten vertilgt.
Hier folgt nun ein Auszug aus dem von Henzi geschriebenen
Trauerspiel. Das Stück ist anonym erschienen. Dass Henzi der
Verfasser ist, wurde durch Regierungsrath B. R. Fetscherin un-
umstösslich nachgewiesen in den Blättern des Berner Literarischen
Vereins; vergl. auch Sinner, Schweiz. Bibliographie S. 141.
Grisler, ou tambition punie, Tragedie en cinq actes. (Anonym,
o. O.) 1762. 8°. T^ Seiten, durchweg in gereimten Alexandrinern.
Acteurs.
/. Grisler, Gouverneur cPUri et de Schwitz.
2, Leinhard, Conseiller secret de Grisler.
J. Werner, Baron dAttinghauss,
4, Adolphe, fils de Grisler,
5. Teil, Gentilhomme Helvetieii.
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 237
6. Edwige, fille de Teil,
7. Rosine, Confidente d" Edwige.
Le Conseil Aulique. Deux pages d Adolphe. Troupe dHel-
vetiens Gardes de Grisler, —
La Scene est ä Altorf.
Act I, enthält 7 Scenen, spielt im Schlossgemach.
Leinhard, Grislers Rathgeber, bewundert seines Herren Plan,
durch einen blossen Hut alle Widerspenstigen und ihr Complot
ausfindig zu machen. Wemher Freiherr von Attinghausen theilt
nicht den Glauben an diesen Erfolg und suchPt vielmehr zur Milde
zu rathen. Ebendahin neigt sich Adolph, Grislers Sohn, er
bittet, den Hut aus den Augen des gekränkten Volkes ganz
hinwegzuräumen. Dies reizt nur den Landvogt, und als ein Bote
mit der Meldung eintritt, dass ein Mann Namens Wilhelm Teil
ohne Verbeugung eben am Hute vorübergeschritten sei, freut sich
der Vogt und schickt jenem Aufrührer eilends Häscher' nach.
Act II, enthält 10 Scenen, spielt am Schlossplatz.'
Grislers Sohn Adolph erzählt seinem Bekannten, dem Frei-
herm Werner v. Attinghausen (mit Gefolge) die Geschichte seiner
Liebe, er habe Hedwig, Teils Tochter, in der idyllischen Schön-
heit ihres Hirtenlebens kennen gelernt, ihre Abkunft erforscht
(denn ihr Vater ist von gutem Adel) und sich mit ihr verlobt.
Um sie nun Grislers etwaiger Missgunst zu entziehen, wünscht er
sie in die Verborgenheit zu flüchten. Dafür empfiehlt ihm Werner
ein befreundetes Haus, und Adolph geht dahin ab. Werner
überlässt sich der Hoffnung, dass Hedwig durch die Sanftmuth
ihrer Sitten vielleicht einst noch Grislers Härte zügeln könnte.
Zu ihm tritt Teil (ein Edelmann) und begrüsst ihn als einen
wackem Vorkämpfer der Freiheit. Dieser zeigt ihm eine Wahr-
sagung vor, worin der »heilige Nikolaus«, ein wegen seiner Sitten-
reinheit in ganz Helvetien berühmter Einsiedler, den Sieg der
Schweizer über die Tyrannei verkündet. (Ein doppelter Ana-
chronismus; der hier berührte Einsiedler Nikolaus von der Flühe
gehört in die Zeit der Burgunderkriege, seine angebliche Weis-
sagung über eine allerletzte Weltschlacht ist noch unter dem
katholischen Volke der Urkantone verbreitet.) Teil wendet sich
mit begeisterten Worten an das Gefolge Werners und verliest
ihnen des Eremiten Schreiben. Unter Versicherung* ihrer Treue
gehen sie ab.
Während nun Teil Grislers neu erbaute Zwingburg mit den
238 !• I^cr Sagenkreis von Teil.
Blicken misst, ist ihm der Vogt mit den Trabanten auf die Spur |
gekommen und nimmt ihn gefangen. Teil betheuert, einem
Vater kindlich unterthan zu sein, nie aber einem Despoten
schmeicheln z^ wollen.
Hierauf berathen Grisler und Leinhard, wie Teil und dessen
Tochter Hedwig auf die Seite geschafft werden können. Leinhard^
räth : der* berühmte Schütze solle gehalten sein, seiner Tochter
Hedwig auf 200 Schritte einen Apfel vom Haupte zu schiessen.
Verfehle er den Apfel, so habe er das Leben verwirkt ; treffe er
die Tochter, so werde der Rasende sich selbst das Leben nehmen.
Von diesem Plan aber erfahrt nun auch Werner und theilt ihn
an Adolph mit.
Act III, hat 9 Scenen, spielt in Hedwigs Versteck.
Hedwig hat bange Ahnungen, und ihre Freundin Rosine ver-
grössert diese noch durch Meldung von des Vaters Gefangen-
nahme. Alsbald stürzt Werner herbei mit . der Nachricht von
dem Beschlüsse gegen ihr und ihres Vaters Leben. Da erscheint
Adolph zum Tröste, er betheuert, alles Landvolk aufbieten zu
wollen, um ihren Vater zu befreien. Allein dies ist kaum gesagt,
so zeigt sich auch der böse Leinhard, der den Adolph schon aus
weiter Feme zwingt, sich hier schnell zu entfernen. Da nun
Leinhard erschienen ist, um die Hedwig in's Gefängniss abzuführen,
so wirft sich der lauernde Adolph mit gezogenem Degen zwischen
beide; Hedwig aber weist ihn zurück und folgt freiwillig und auf
ihr Recht bauend, des Vogtes Befehlen. Nun wird Adolph von
allen Rathgebem zugleich bestürmt. Rosine will, er solle sogleich
alle Gewaltthat für die Rettung der beiden Gefangenen wagen;
Werner will, er solle für sie beim Vater den Gnadenweg versuchen,
und da Adolph, um letzteres zu thun, hinweggeht, bedauert
Werner doch noch, dass dieser Liebende mehr für Hedwigs als
für des Landes Rettung bedacht sein werde.
Act IV, mit 7 Scenen.
Hedwig, vor Grisler gefuhrt, beruft sich auf ihren Rang:
La famille des Teils a produii des grands homtnes,
Meme ils sont encore grands dans le silcle 6ü nous sommes,
Du moins si la vertu donne la qualiti.
' »Die Familie des Teil hat grosse Männer hervorgebracht,
ihr Adelsgeschlecht lebt selbst noch in unserem Jahrhundert fort,
insofern nämlich die Tugend adelt.« Fussfallig bittet sie für den
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 239
Vater und für ihren Adolph. Grisler schwankt zwischen Liebe und
Grausamkeit, befiehlt bald das Mädchen in den Kerker zu werfen,
bald sie hier zu lassen, und muss erst durch Leinhard zu einer
dem Herrscher mehr gebührenden Haltung gemahnt werden. Da
aber nun Adolph mit unberufenen Fürbitten sich einmengt, lässt
Grisler den vorwitzigen Sohn einthürmen. Dann auf's neue von
des Mädchens Schönheit hingerissen, giebt er ihr die Wahl, ihr
Vater solle frei sein, wenn sie die Liebe des Landvogts gegen
die seines Sohnes eintauschen wolle. Mit einem gezückten Dolch
weist sie die Umarmungen des alten Sünders zurück:
Arrete, bouc infame l o cieux! permettez-vous ?
Mais quoil vois-tu ce fer prtt a lancer ses coups?
Dies genügt; er lässt sie in den Kerker werfen und erfüllt
sich mit Racheplanen.
Schlussscene des 4. Actes. Adolph kommt (er ist eben vorhin
eingethürmt worden I) zum Freund Werner und fordert ihn zur
schleunigen Befreiung des Vaterlandes auf, von welcher dieser
schon so oft gesprochen habe. Werner vertraut ihm an, dass
hiefür bereits ein Geheimbündniss in den drei Ländern bestehe,
und dass man nun den einen Mitverbündeten, den in seinen Ketten
schweigsam bleibenden Teil, befreien werde.
Act V, hat sieben Scenen.
Hedwig erhält im Kerker Rosinens Besuch. Durch das
Gitter hindeutend auf den Lindenbaum am Schlosse, schildert sie,
wie ihr dort der Vater den Apfel vom Haupte geschossen habe,
wie er sogleich darauf, wegen des zweiten Pfeiles im GoUer, nach
Küssnach, sie aber wieder in diesen Kerker abgeführt worden sei.
Leinhard überbringt dem Mädchen einen Labetrunk. Arglos will
sie diesen Giftbecher ansetzen, da entsteht draussen Tumult, und
da Leinhard hinauseilt, stürzt er todt unter Adolphs Dolch nieder.
Die Mädchen vernehmen vom Geliebten, Grisler fahre entfernt
auf dem See, die drei Länder ständen verbündet, das Volk sei
im Losbruch, der Sieg gewiss.
Nun folgt Bote auf Bote. Der eine meldet den Seesturm
und Teils Entspringen, der andere Grislers Landung bei Küssnach
und wie ihn dort Teils Geschoss vom Rosse geworfen hat. Der
letzte meldet, der Vogt sei noch nicht todt, er werde als Gefan-
gener hieher nach Altorf gebracht. Da erscheint vorauseilend
Teil, jubelnd begrüsst von den Freunden, und hält eine Anrede
240 !• I^er Sagenkreis von Teil.
an's Volk. Hedwig und Rosine stehen ihm zunächst — aber
auch Grislers Sohn, Adolph.
Schlussscene.
Der todtwunde Grisler wird herbeigetragen, bekennt die Irr-
thümer des Despotismus, segnet ohne Racheempfindung Adolphs
und Hedwigs Bündniss und stirbt. Teil, zur Leiche gewendet,
spricht das historisch bekannte trop-tard:
Ah! tardive vertut Quelle est ton triste sortl
Ton Premier rayon meurt dans Vombre de la mort
Wir haben es hier auf keine ästhetische Beurtheilung der
mitgetheilten Dramen abgesehen, sondern nehmen die literar-
historische Wirkung aller zum Ziele. Auch ohne.unsre Beihilfe
leuchten jedem Leser die dichterischen Schwächen ein, an denen
Henzi's Stück leidet. Der Zufall treibt das Ganze, nicht die ur-
eigne Bestimmtheit des Charakters, weder eines Teil, noch eines
Grisler; es ist nicht eine Kette von sich bedingenden und dadurch
nothwendig sich steigernden Handlungen, sondern eine Reihe zu-
fälliger Ereignisse, unabhängig von dem Entschlüsse der Personen.^
Die Scenen gehen nicht aus einander hervor, weil nicht treibende
nicht geistig active Personen hinter ihnen stehen, sie folgen nur
bilderbogenartig nach einander. Dieser Leinhard, Werner, Adolph
und Rosine sind lauter Schattenbilder; auch die Hauptpersonen
Teil, Hedwig und Grisler haben keinen Knochenbau. An di^
Stelle von Teils Knaben ist eigenmächtig ein Mädchen gerückt,
und der Apfelschuss wird ^n ihr nur zu dem eiteln Zwecke voll-
zogen, um mit ihr dem Landvogtssohne eine um so interessanter^
Geliebte geben zu können. Welch ein Sohn, dieser Adolph, der-
während sein erschlagener Vater herbeigeschleppt wird, demo
kratisch jubelnd sich an die Seite von dessen Mörder stellt, jJ
Teils Tochter gleichzeitig zum Weibe nimmt. Und dennocl
hat ein grosser Vorzug an diesem Stücke gehaftet und mua
einmal von Wirkung gewesen sein, wenn schon unsre Zeit beide
nicht mehr darüber zu empfinden vermag. Darum musste ö
anonym und ohne Angabe des Druckortes erscheinen und bliel
auch so noch der damaligen Censur ein dermassen gefürchtete!
Libell, dass man auf der Bemer Bibliothek kein Exemplar mehi
davon besitzt, und auf der noch reicheren Züricher Stadtbibliothei
nur dieses eine uns vorliegende Exemplar unter langem Nach
suchen zuletzt ausfindig gemacht hat.
lo. Die Tellepschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 24 1
Der Name Grisler, unter welchem Henzi's Stück erschien,
musste damals für das schweizerische Publicum ein allgemein
verständlicher sein; das bedingt schon des Verfassers oder seines
nachherigen Herausgebers Zweck. Heut zu Tage verstände unser
Publicum diesen gleichen Namen nicht mehr, also bedarf es hier
einer Erklärung, wie aus einem früheren Landvogtsnamen Grisler
der nun allein geltende Gessler hervorgegangen ist.
Im Tellenliede und im urner Tellenspiel führt der Landvogt
noch gar keinen Eigennamen. Ruoffs Tellenschauspiel nennt ihn
Grisler; ebenso thut Henzi's Tragödie. Dieser Name zeigt sich
bei den Chronisten lange Zeit als der allein giltige Vogtsname.
Eine Zusammenreihung der Quellen soll dies darlegen.
Petermann Etterlin von Luzem, um 1507^ schreibt Grissler,
obschon sein Luzerner Vorläufer Melch. Russ (1488), auf den
Etterlin sich stützt, den Vogt ungenannt lässt. Sebastian Frank,
Chronica der Teutschen (Augsb. 1538) Fol. CCVIIIb schreibt
»Grissler in Uri und Wilhelm Teil.« Stettier von Bern, dessen
Chronik 1627 zu Bern gedruckt ist, schreibt Gryssler. Joh. Leop.
Cysat, Stadtschreiber von Luzern, in seiner Beschreibung des
Luzemer Sees 1659, bespricht Seite 207 »die hole Gass, alwo
Wilh. Teil ermelten Vogt Grissler mit einem Pfeyl über das
Pferdt hinabgeschossen.« Caspar Diebolt, Züricher Pfarrer, in
seiner 171 5 erschienenen Historischen Welt, schreibt S. 1173:
der Geissler oder Gessler zu Ury. Gotth. Heidegger, Professor zu
Zürich, in der zweiten Auflage der Acerra philologica 1735, pag.
1015 erzählt die Geschichte von Grisslers Hut und von des Teilen
Armbrust. — J. C. Steiner in seinem zu Zug 1684 gedruckten
»Spartier, d. i. Schweitzerland« nennt S. 60 den »Ritter Grissler
Urnerland und den von Landenberg in Underwalden.« Josias
•imler, Regiment der Eydgnossenschaft, Zürich 1722, S. 49 sagt
usführlicher : der erste der Vogt, so König Albrecht den drey
änderen gegeben hat, war Hr. Grissler, Ritter, Landvogt zu
hweiz und L[rj. Grysler, oder wie ihn verschiedene andere
utores nennen, Gessler, deme soll das Schloss Küssnach zuständig
ewesen seyn. Von dem Geschlecht der Grisler findet sich weiteres
icht, wol aber von dem der Gessler, welche das Schloss Brunegk
i Hellingen eingehabt und die Herrschaft Grüningen 1409 an
ürich verkauft haben. — Fäsi, in der Helvet. Erdbeschreibung
(Zürich 1765) Bd. i, 120. Bd. 2, 149: der bekannte Grissler,
Vogt im Land Schweiz ; Grissler, der Tyrann von Uri und Schwyz.
Rochh<^lz, Teil und Gessler. 16
242
I. Der Sagenkreis von Teil..
— Die Kapelle in der Hohlengasse zu Küssnach wurde 1644.
erneuert, im Jahre 1768 erhielt sie ein von Wolf (aus Zürich)
gemaltes Bild, unter dem eine Inschrift mit folgendem Vers'J
begann:
Hier Ist Grisslers Hochmuoth vom Thäll erschossen etc.
Uriel Freudenberger, berner Pfarrer zu Ligerz am Bielersee,,
verfasst die berühmte Schrift Guillaume Teil, Fable Danoise 1760]
und sagt irrthümlich daselbst S. 16: Petermann Etterlin, dei
Chronist, sei der erste, welcher den von Teil erschossenen Land-
vogt Gessler nenne, et non Grrissler, comme an le nomme com-
munement '
Aus vorstehenden Citaten erhellt, dass die Chronisten um
Schriftsteller katholischerseits und in den drei Ländern ebensowohl,
wie ihre gegnerischen Landsleute reformierterseits Jahrhunderte
lang den tyrannischen Landvogt nur unter dem Namen Grislei
gekannt haben und ihn erst dann fallen Hessen, als die historische
Kritik erwachte und einen urkundlich nachweisbaren Namen ver^
langte. Einmüthig acceptirte man hierauf den schon durcl
Tschudi's Ansehen empfohlenen und durch zahlreiche Urkunde
beglaubigten Namen Gessler, bis nun auch dessen Unhaltbarkeil
für die Teilenbegebenheit durch Kopps Untersuchungen dargethi
worden ist, indem ein Landvogt Hermann Gessler weder zu Ui
noch zu Küssnach je regiert hat und weder vor noch nach d<
Tellenbegebenheit urkundlich in den Waldstätten nachgewie«
werden kann.
Wir gehen über zu dem anderen dramatischen Zwillingsstück<
das über Teil die französische Schweiz im vorigen Jahrhundei
hervorgebracht hat.
Im Jahre 1767 erschien, gedruckt zu Neuenburg, und zu Parif
verlegt bei Vallat la Chapelle, unter Genehmigung des französische
Staatskanzlers: Guillaume Teil, Trage die par Ant Marin
Mi^rre. Dieser Teil war bereits ein Jahr zuvor zu Paris durcl
die königlichen Schauspieler aufgeführt worden; »den mit anzuj
schauen, für einen ehrlichen Schweizer ein wahrer Bussartikel ist,<
heisst es darüber in einem damaligen Briefe, gedruckt in de
Monatsschrift Isis, Zürich 1805. i, 213.
Die Personen des Stückes sind : Gessler, Statthalter von UriJ
Ulrich sein Vertrauter. Die vier verschwornen Schweizer : WemerJ
Melchthal, Fürst und Teil. Cleofa ist Teils Gemahlin, sein Sol
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 343
spielt eine stumme Rolle. Die Scene ist zugleich im Gebirge,
in Altorf und am flüelener Seegestade. Es ist ein funfactiges
Alexandrinerstück, dem aller dramatische Zuschnitt fehlt, nicht
minder schwach ist Personenzeichnung, Handlung und Verwicklung,
Fortschritt der Begebenheit und Zweck. Um so schwieriger fällt
es, in Kürze einen Auszug davon zu geben, der nicht ganz über-
flüssig erscheinen und doch die Scenenfolge einhalten soll.
I Act. Melchthal , auf Besuch bei Teil zu Altorf, erzählt
diesem das Missgeschick , das er sich und seinem alten Vater zu
Uri bei dem jüngsten Zusammentreffen mit Gesslers Trabanten
zugezogen habe. Teil beschwört den Freund, nicht bloss den
misshandelten Vater zu rächen , sondern auch das Umerland zu
befreien, er ruft seine beiden Mitverschwornen herbei, Fürst und
Werner, und so leisten sich die Viere den Eid gegen den Despoten
Albrecht und dessen Landvogt. Teil schärft den Abgehenden
ein, ihre Weiber ja nicht in ein unnützes Vertrauen über den Plan
zu ziehen und macht davon gegen seine eigne Cleofa sogleich
eine sehr unhöfliche Anwendung.
n Act. Gessler macht seinem Vertrauten Ulrich eine
geschichtliche Auseinandersetzung in aristokratischem Stil. Er
hat Anzeichen, dass eine grobe Bauembande von Unzufriedenen
sfch um den Flecken Altorf sammle. Allein diese jetzigen
Schweizer sind nicht mehr jenes Volk der Helvetier, das seiner
Freiheit zum Opfer alle seine Ortschaften niederbrannte und die
Heimat verliess, einem Cäsar zum Trotze. Dieses schwächliche
fVölklein bedarf eines nur kleinen Schreckmittels, um zu gehorsamen,
[dies wird der Vogtshut sein, den Ulrich von Stund an in Altorf
auf die Stange pflanzen soll. Da Ulrich weg ist, tritt dem Vogt
ein Unbekannter in den Weg, Melchthal, der die Freunde suchend
an deren Platze Gesslern findet. Beide kennen sich nicht. Der
pLandvogt forscht ihn über die Volksstimmung aus und erfährt,
dass man nicht sowohl über den Kaiser als über dessen Vogt
laufgebracht sei. Darüber hat sich Melchthal selbst verrathen,
wird gefangen gesetzt und darauf im Kerker noch durch den
Vertrauten Ulrich weiter ausgeholt. Die Kunde hiervon verbreitet
sfch, Teil mit den Landsleuten beschliesst, die Burgen aller Vögte
Zu stürmen.
III Act. Gesslers Wachen haben einen neuen Verräther
gefangen eingebracht ; da man ihn nicht kennt und seine Kühnheit
Erstaunen erregt, wird Melchthal herbeigeführt und gewahrt den
16*
244 ^" ^^' Sagenkreis von Teil.
Teil. Nun ist das Complot entdeckt, dieser gefesselte Unter-
waldner hatte bei dem kühnen Urner Hilfe und Rath gegen den
Landvogt gesucht, und die Beiden pochen auch hier noch trotzig
auf ihr Recht. Werden auch , sagt Melchthal, mein Vater, mein
Freund und ich dein Opfer, dennoch bleiben die drei Länder
unsre Gresinnungsgenossen. Cleofa's bittere Klagen unterbrechen
diesen Männerstreit. Sie bittet mit ihrem Sohne um des Gemahls
Freiheit. Gessler gesteht ihr diese zu, aber gegen die Aufgabe,
dass Teil den Probeschuss thüe nach dem Apfel auf des Sohnes
Haupte. Während der Schütze von den Wachen hinweggefiihrt
wird zu seinem Standplatze auf dem Markte, wendet sich Cleofa's
Schmerz vergebens gegen die Soldaten, und Gessler schleppt den
gefesselten Melchthal mit auf den öffentlichen Platz hinab.
IV Act. Cleofa, allein in den doppelten Bekümmernissen
der Gattin und Mutter, erhält von Fürst die Nachricht, dass Teil
den Schuss gethan; noch, bevor er ausgeredet hat, sieht sie den
geretteten Knaben ihr entgegenspringen. Inzwischen aber hat das .
verhängnissvolle Gespräch zwischen dem Vogt und Teil stattge-
funden über den Zweck des zweiten Schützenpfeiles, in Folge
dessen der Schütze abermals Gefangener wird. Doch der Jubel
des Volkes über den gelungenen Apfelschuss schallt dem Vogt
zu heftig im Ohre nach, und er fühlt, dass die beiden gefangenen
Aufrührer hier zu Lande nicht wohl verwahrt werden könnten.
Sie sollen daher schleunig nach Küssnach übergeschifft werden,
und er selbst macht sich reisefertig.
V Act. Cleofa verwünscht den Walter Fürst, dass er ein
stillschweigender Zuschauer geblieben, da ihr Mann und ihr Sohn
erst von Gesslers Grausamkeit missbraucht und nun zum zweiten
Male gefangen hinweggefuhrt worden sind. Sie vernimmt zur
Beruhigung, dass Werner bereits über den See vorausgeeilt sei,
um die Eingeschifften zu befreien. Auf ihre zweite Frage, warum,
Fürst sich nicht selber dabei betheilige, hört sie, dass eben in
dieser heutigen Nacht während Gesslers Abwesenheit die altorfer
Burg gestürmt werden solle. Inzwischen wird die Frau mit
Schrecken des Gewitters gewahr, das sich immer drohender über
dem See zusammenzieht, will aber ihren Augen kaum trauen, da
sie alsbald den athemlosen Melchthal eintreten sieht, der ihr vom
Sturm am See, von Beider Sprung aus dem Schiffe und von des
Gemahles baldiger Rückkehr berichtet.
Während Cleofa und Melchthal nun dem Ufer zueilen, um
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller, 245
den kommenden Gemahl aufzusuchen, ist auch dem Gessler die
Landung gelungen, er hat die nächste Felswand erklettert und
schreit von der Höhe' herab, dass man ihm den Teil einhole.
Dieser aber erscheint auf dem entgegengesetzten Felsen und
schiesst den Landvogt nieder. Das Volk empfängt den Schützen
als Si^er und Eroberer der Freiheit, die Zwingburgen lodern in
diesem gleichen Augenblicke empor, alles ruft Sieg oder Todl
Teil jedoch ist mit diesem Schlagwort nicht befriedigt ; er mahnt
das Volk vielmehr zur Beharrlichkeit, mit ihr allein sei selbst
einem Kaiser Trotz zu bieten. Dies fasst er zusanmien in das
epigrammatische Schlusswort:
Qui veui vaincre ou pirir^ est vaincu trop souvetit;
Jurons d^itre vainqueurs, noiis iUndrons le serment
Vierter Abschnitt.
Die bodmerische Periode der schweizerischen Bühnendichtung. — Bodmers vier
Schauspiele von Teil und vom Schweizerbund, 1775. — J. Ign. Zimmermanns
Trauerspiel Wilhelm Teil, 1777. — Der Dreibund von Petri, Basel 1791. —
Johann Ludwig Ambühl; sein Lebensabriss. Aus seinen Jugendliedem. Seine
verschiedenen Schriften. Entstehungsart seines Schauspiels Wilhelm Teil 1791,
Skizze desselben. — Rückblick auf die Persönlichkeit, das Schicksal und die
poetische Leistung sämmtlicher Tellendichter von RuofT bis auf Schiller.
Johann Jakob Bodmer, geboren 1698 zu Greifensee, gestorben
1783 als Professor zu Zürich, ist durch seine langdauemden
Fehden mit den Leipzigern und Berlinern und durch sein Freundes-
bündniss mit den Dichterjünglingen Klopstock und Wieland be-
rühmter geblieben, als durch seine fast zahllosen poetischen
Producte. Keines derselben hat sich lebensfähig erwiesen. In
allen Gattungen und Formen hatte er sich versucht, seine epischen,
dramatischen, lyrischen und didaktischen Arbeiten sind zusammen
vergessen. Ueber die Befreiungsgeschichte und den Befreier der
Schweiz allein hat er fünferlei Bühnenstücke geschrieben. Alle
fünf sind in demselben Jahre 1775 gedruckt, vielleicht auch in
derselben Zeitfrist von ihm verfertigt, lauter rohe Fabrikarbeit,
lauter eilfertige Nachahmung bekannter Originalwerke der eng-
lischen Literatur, sämmtlich in nachlässiger Prosa geschrieben, oft
nur wenige Druckseiten haltend. Eine Analyse ihres Inhaltes
I
L
246 !• ^^^ Sagenkreis von Teil.
mitzutheilen oder sie nach ästhetischen Grundsätzen bemessen
wollen, wäre überall unnütz. Bodmer begnügt sich mit dem
historischen Rohstoff, das Geschehene allein befriedigt ihn, nicht
der Geist der Geschichte giebt ihm künstlerisch zu gestaltende
Ideen ein, und insofern steht er mit seinen übrigen Compatrioten,
die sich damals poetisch an der Schweizergeschichte versuchten,
sogar dem Erzählungstalent des Chronisten Tschudi nach. Das
Widerwärtige dieser dramatischen Arbeiten liegt in der Gemüths-
kälte und Empfindungsarmuth ihrer Autoren. Sie bringen ein
von Gott für die Freiheit voraus bestimmtes Volk auf die Bühne
mit lauter unverwundbaren Freihe^iskämpfern und Siegesriesen;
die Gegner sind lauter Scheusale und Sklavenseelen, angefüllt mit
kindischer Albernheit, drachenhafter Mordgier und stinkend von
Gotteslästerungen. Durch dieses Heer von Bestien lassen sie die
Schweiz als ein Paradies der Menschenunschuld bekämpfen, bis
der von der Vorsehung berufene Märtyrer oder Sieger hervor-
tritt und jene Widersacher durch eine That vertilgt, die dem
Zuschauer theils unsichtbar, theils unbegreiflich bleibt. Bodmers
hier einschlägige vaterländische Schauspiele sind betitelt:
Gesslers Tod, oder das erlegte Raubthier. Schauspiel. 1775.
8°. Seiten 14.
Der alte Heinrich von Melchthal, oder die ausgetretenen
Augen. Schauspiel. 1775. 8^. Seiten 18.
Der Hass der Tyranney und nicht der Person, oder Same
durch List eingenommen. 1775. S. 24.
Wilhelm Teil, oder der gefährliche Schuss. 1775. S. 15.
Das letztgenannte Stück hat sieben Auftritte. Der Schuss
nach dem Apfel geht hinter der Bühne vor sich. Ein kurzer
Dialog zwischen Gessler und Teil folgt hier als eiiie Probe alles
Uebrigen, wobei nicht zu vergessen, dass auch dieses Gespräch
nichts ist als eine rohe Nachahmung des bekannten Dialogs
Falstaffs und des Prinzen in Shakespeare's Heinrichen.
Gessler: Was kannst du?
Wilhelm: Das Steuer halten, mit der Armbrust schiessen.
Gessler: Was schiessest du?
Wilhelm: Enten, Auerhahnen, Rehe.
Gessler: Das sind meine Thiere; du bist ein Wilddieb und
hast das Leben verschuldet.
Wilhelm: Herr, ich habe für eure Küche geschossen, wenn
der fette Mann, der in derselben regiert, es mir befohlen hat.
lO. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 247
Gessler: Bist du verheirathet ?
Wilhelm: Ja, lieber Herr, mit einem Weibsbilde. Es sind
itzt acht Jahre, dass ich das Joch trage.
Gessler: Mit einem Weibsbilde? Wunderbari — Hast du
Kinder ?
Wilhelm: Mein Weib ist nur einmal in die Wochen ge-
kommen, mit einem Knaben; sie sagt, dass ich sein Vater sei,
und ich glaube es auf ihre Ehre.
Gessler: Was that dir die Mütze, dass du das Knie nicht
bögest ?
Wilhelm: Ich gieng daher und pfiff, unterm Pfeifen vergass
ich, dass die Mütze Augen hätte. Befehlet ihr, so geh' ich den
Augenblick und scharre vor ihr so viel Knickfusse, als wenn ein
grosser Kopf in der Mütze sässe u. s. w. —
Würdiger gedacht, obwohl nicht mit besserer dramatischer
Einsicht behandelt, ist:
Wilhelm Teil. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von
Joseph Ignaz Zimmermann. Basel 1777. 8^ . Seiten 92.
Zimmermann, 1737 zu Luzem geboren, war daselbst Jesuit
und verfasste sein Trauerspiel wahrscheinlich für das Luzemer
Schultheater. Die bemer Regierung belohnte ihn für sein vater-
ländisches Schauspiel Petermann von Gundoldingen , er trat aus
dem Orden und wohl auch über zur reformierten Kirche; denn er
wird Professor der Rhetorik und Poesie zu Bern und stirbt
daselbst 9. Januar 1797.
I Sein Teil hat nur sieben Personen. Der Schauplatz ist
[nächst Altorf zwischen Bergen am Waldstättersee. Folgende
kurze Inhaltsangabe, nach Acten geordnet, lässt erkennen, dass
r Verfasser noch gänzlich unbeeinfiusst war von der antiken
ichtkunst, über die er doch lehrte, und dass er statt englischer
uster, wie Bodmer theilweise that, französische Bühnenstücke
nachzuahmen suchte.
Erster Aufzug. Teil hat sich vor dem Hut auf der Stange
nicht gebeugt und ist darüber gefangen genommen worden. Auf
den Rath des Urners Meinhart, der Gesslers Werkzeug und
Teils persönlicher Feind ist, wird Teil unter der erniedrigenden
Bedingung losgegeben, dass er knieend vor der Stange öffentliche
Abbitte thue. So hofft sich der Urner Meinhart dafür zu rächen,
dass einst Hedwig, Wernher Staufachers Schwester, seine Liebes-
248 !• I^er Sagenkreis von TelL
Werbung ausgeschlagen und statt seiner den Teil zum Mann
genommen hat.
Zweiter Aufzug. Hedwig, Teils Frau, schickt ihren Knaben
Walther zu Gessler, mit der Bitte, dem Gemahl die verhängte
Demüthigung zu erlassen. Da der Knabe hübsch ist, schliesst
der Vogt auf die Schönheit der Mutter und verfugt, diese habe
ihm ihr Gesuch persönlich vorzutragen. Nun aber wird Meinhart
auch noch auf Gesslers Nebenbuhlerschafb eifersüchtig.
Inzwischen haben die drei Eidgenossen ihren Bundesschwur
geleistet: es sollen die Burgen der Vögte überrumpelt und
gebrochen, die Vögte zwar am Leben geschont, aber ausgetrieben
werden. Hierzu ist das Volk der drei Länder vorbereitet,
der Landesadel, vom Vorhaben noch ununterrichtet, wird der
gelungenen Thatsache freiwillig beitreten.
Dritter Aufzug. Hedwig und der Knabe Walther bitten
Gesslern fussfällig, dem Teil die entehrende Strafe zu erlassen.
Auf Gesslers Frage, warum der starrköpfige Mann nicht selbst
mit erscheirfe, geht der Knabe ab, ihn herbeizuholen. Inzwischen
wagt der Vogt, die Frau um ihre Gunst zu bitten, so liege Teils
Schicksal in ihrer Hand. Sie verweist ihn keck an jenes Bad,
in welchem jüngst der Vogt Landenberg seine Lust gebüsst hat.
Darüber bringt Walther den Vater herbei. Der Vogt verfugt,
der Gemahl einer so frommen Frau, der Vater eines so vorlauten
Sohnes, dieser als Schütze so berühmte Mann müsse durch ein
besonderes Strafmass ausgezeichnet werden ; gleich jetzt solle er
dem Sohne einen Apfel vom Haupte schiessen. Um dies auf dem
Marktplatz zu veranstalten, begiebt der Vogt sich hinweg und
überlässt die drei ihrem Schrecken.
In der nun folgenden Scene ist das verschiedene Mass der
Empfindung dreier gekränkter Herzen nicht ohne Glück aus-
gedrückt. So spricht der Vater dem Knaben zu, der in der'
Angst vor dem bevorstehenden Ereigniss auf den Knieen liegt;]
»Bester Sohn, viel tausend liebe Kinder, die wirklich leben ode
die lang nach dir in künftigen Jahrhunderten geboren werde
müssen einen Gessler fürchten, der sie und ihre Eltern grausa
verfolgt. Sag mir, wenn du alle diese frommen Kinder, ihr
bekümmerten Mütter, ihre im Elend schmachtenden Väter all
auf einmal erretten könntest — — hättest du Muth genug, z
sterben?« Walther, ihn umhalsend, antwortet: »Wenn nur d
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 24O
leben bleibst, sterb ich mit Freuden!« und zur Mutter gewendet:
»Weine doch nicht, den Apfel trifft der Pfeil, nicht mich.«
Hedwig: Ach, ich bin's, die dieses mörderische Gebot dem
Wütherich abgepresst hatl der Lasterhafte machte mir Ver-
sprechen, bot mir Geschenke an . . .
Teil: der Fluchwürdige! dies entscheidet imser Glück, Grott
krönet deine Treue, besorge nichts.
Hedwig blickt den Abgehenden nach, dann mit wieder
erwachender Mutterzärtlichkeit: Halt! es ist ja auch mein Blut!
(wieder sich fassend) Es fliesse! Zum Heil des Vaterlandes hab
ich ihn geboren! O, ihr Mütter alle, eilet her! u. s. w.
Vierter Aufzug. Der Schuss ist bereits geschehen. Noch
sind die Verbündeten auf dem Marktplatze zurückgeblieben , den
Hergang, die Angst des Volkes schildernd, den Aufschrei nach
der That. Gessler und bald darauf Teil erscheinen abermals auf
dem Platze; letzterer verwünscht sich selbst über seine unväter-
liche Wagethat; er ruft (S. 69): »Die Nachwelt wird es nicht
glauben können; sie hat recht 1« Er erbittert sich und dringt
heftig redend gegen Gessler vor. Dieser erblickt iA Teils GoUer
den andern noch übrigen Pfeil, fragt um den Zweck dieser
Bewaffnung und erhält in der Hitze des Wortwechsels den be-
kannten Aufschluss. Da lässt er ihn sogleich nach Küssnach ab-
führen. Im Abgehen spricht der Gefangene: »Gebunden bleibet
Teil noch Teil; dies sei der Gattin Trost!« Dies Wort ist
endehnt aus Lavaters Tellenlied, Strophe 14:
Gebunden bleibt der Held ein Held,
In Ketten Teil noch Teil.
Gessler geht mit nach Küssnach ab, inzwischen übergiebt er
seinem Statthalter Meinhart die Gewalt über das Umerland.
Dieser hofft sie sogleich gegen Teils Frau anzuwenden.
Fünfter Aufzug. Der Knabe Walther meldet der Mutter die
Nachricht, die ein heimgekehrter Schiffer verbreite, der Vater sei
entweder im Seesturm ertrunken oder zu Küssnach vom Vogt
hingerichtet. Dies hat Meinhart ausstreuen lassen; nun erscheint
er bei der bedrängten Frau, bedauert ihre Wittwenverlassenheit,
aber als neue Gattin eines Urners seien ihre Reize vor Gesslers
Absichten beschützt, und sie könne noch Segen über das Land
verbreiten. Die Verbündeten treten plötzlich ein, überbringen
Teils Gruss nebst der Kunde von seiner Befreiung und von des
Vogtes Tod. An diesem heutigen Tag schon sind die drei
250 !• Der Sagenkreis von TelL
Schlösser Lauwerz, Samen und Rossberg angegriffen und zerstört
worden. Meinhart wird von seinen Landsleuten ausgestossen und
seiner ewigen Schande überlassen.
In Begleitung des Volkes tritt Teil ein. Sein Schlusswort
heisst: Nur der erste Schritt zur Freiheit ist gethan. Sie wird
noch viele Kämpfe kosten, erst die spätem Enkel werden die
Frucht unsrer Treue gemessen. —
Wohl das misslungenste unter den gleichen Stücken des
vorigen Jahrhunderts, roh in Anlage, Scenenfolge, Stoffbehandlung
und Ausdrucksweise ist nachfolgendes anonym erschienene:
Der Drey-Bund. Ein vaterländisches Original - Schauspiel
in vier Aufzügen. 1791. 8°. S. 78.
Was nützet der Väter Tugend
Ohne Nacheifer?
Der Verfasser ist Joh. Balth. Petri (vgl. Gödeke, Gnind-
riss, S. 1076), der nicht angegebene Dmckort ist Basel. — Teil
erscheint nicht im Personenverzeichnisfee, dagegen tritt sein Weib
Therese in der sechsten Scene des Schlussactes auf als stunune
Person. Das Volk reisst die Stange mit dem Hute nieder, ver-
brennt Gesslers Wappenschild, da kommt sie mit ihren Kindern
über den Platz gegangen »bitterlich weinend« ; denn ihr ist Teils
glückliches Entkommen noch unbekannt. Einer aus dem Volks-
haufen spricht zu ihr: »Was weinest du, Therese? Siehe, dein
Mann ist der Edelste unter uns. Ihm verdanken wir es, dasswir
frei sind. Glaube mir, Schweizer vergessen nie, dass er ihr Retter
war. XJnd wenn dein Mann nicht mehr ist, so wollen wir dich
und deine Kinder erhalten.« Die Menge nimmt Weib und Kin
der in die Mitte und ruft, mit ihnen abgehend: Es lebe Teil, es
lebe die freie Schweiz, es leben Teils Nachkommen! — Schluss.
Joh. Ludwig Ambühl ist 1750 zu Wattwil im Toggen-
burg geboren, in jenem Dörflein, in welchem gleichzeitig jener
Leineweber Ulrich Bräker lebte, der seine eignen Schicksale in
dem vielgenannten Buche: Der arme Mann im Toggenburg, so
bleibend schön beschrieben hat. Ambühls Vater war ein über
nächtlichen Schreibereien geschichtlicher Compilationen erblindeter
Dorfschulmeister, der seinem zwölfjährigen Sohne das Schulamt
abtreten musste. Der junge Gehilfe hatte von nun an täglich
sechs bis sieben Stunden Unterricht zu geben, dann die laufen-
den Geschäfte in Haus und Stall mit zu besorgen, um schliesslich
die etwa noch übrige Zeit an seine eigene Ausbildung zu wenden.
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 25 1
So lernte er frühzeitig Mass und Werth seiner Kräfte kennen,
steigerte sein Selbstvertrauen und bildete sich jenen männlichen
Unabhängigkeitssinn , welcher der anerkannteste Charakterzug
Ambühls gewesen ist. Er rastete in seinem geistigen Trachten
niemals. Schon als Kind hatte er auf der Cither der Mutter, dann
auf der Flöte und Geige des Vaters spielen gelernt. Dann wurde
ein um geringen Preis erstandenes Klavier sein Lieblingsinstru-
ment; obgleich er keinen Unterricht genossen, brachte er es im
Oi^elspiel zu einer nicht geringen Stärke. Beim Pfarrer erhielt
er nebenher einige Anweisung in alten Sprachen, so dass er noch
in späteren Jahren seinen lateinischen Autor zu lesen wusste, und
so erwarb sich sein Thätigkeitstrieb alle übrigen Kenntnisse in
Nebenstunderi. Als er in seinem zwanzigsten Jahre den erblinde-
ten Vater und die an der Schwindsucht leidende Mutter verloren
hatte, verblieb ihm die Sorge für den Unterhalt und die Erziehung
zweier minderjährigen Geschwister, und die Deckung der Schulden,
die in einem von der Mutter imglücklich betriebenen Kleinhandd
erwachsen waren. Sein fixes Einkommen betrug wöchentlich je
vier Kreuzer von jedem Schulkinde, deren er wechselnd zwischen
20 bis 50 hatte. Gutgesinnte Menschen mögen ihm damals seine
Lasten etwa erleichtert haben, das Meiste that jedenfalls seine
eigene Anstrengung. Schon vor Morgen that er die Dienste der
Hausmagd, während des Schulhaltens wies er die Geschwister zu
den laufenden Arbeiten an, in den Zwischenstunden fertigte er
Copiaturen für die Landschreiberei des Nachbarstädtchens Lichten-
steig und ass oft Wochen lang statt Brod nur Kartoffeln. So
gelang's die Schulden abzuzahlen und des Bruders Lehrjahre zu
bestreiten, der ein tüchtiger Schlossermeister wurde. Aus dem
Tagebuche dieses letzteren erfahren wir Ambühls erste Liebe, die
zugleich auch seine letzte blieb. Sie verzweigt sich mit einigen
seiner Jugendlieder und lässt tief in sein bescheidenes Herz blicken;
mit den Worten des Bruder Schlossermeisters stehe hier ein
Einzelzug.
»Einer von unsern Nachbarn hatte eine Tochter, die von
einem herumziehenden Dorfschulmeister die Orgel schlagen lernte.
Mein Bruder, jünger als sie, besuchte sie in ihren Unterrichts-
stunden, sie kam in ihren Freistunden ebenso in unser Haus.
Elise war von feinem Körperbau, ihre Rede anmuthig, ihre Sing-
stimme silberrein. Als der Musiklehrer abgeschafft war, hielten
die Zwei ihre Uebungsstunden zusammen und begeisterten sich,
252 I- ^®r Sagenkreis von Teil.
wenn ihre Stimmen zu Zweit ihr Spiel begleiteten. Doch die
Harmonie beider Kinder war nicht auch der beiderseitigen Eltern.
Des Mädchens Eltern hatten von dem Vermögen der unsrigen
eine schlechte Meinung und sahen es ungern, dass Elise oft in unser
Haus kam. Als eine gutartige Tochter mässigte sie ihre Besuche;
wie geflogen und leise kam sie, auf gleiche Art verabschiedete
sie sich, allemal so rührend, als ob es das letzte Mal wäre. Auch
bei diesem beschränkten Umgang waren Beide zufrieden, aber
nun wurde ihr Glück plötzlich vernichtet. An einem Abend spät
kam das Mädchen in unser Haus, nicht so munter wie sonst, mit
langsamen, leisen Schritten, als ob's an einen Leichenzug gienge.
Schluchzend verbarg es sein sonst so heitres Gresicht in die
Schürze, setzte sich, als ob es sich müde gelaufen, auf die Bank,
liess dann die Hand mit der Schürze sinken und wollte erzählen.
Sobald sie aber den Namen eines ihr bestimmten Bräutigams ge-
nannt, konnte sie vor Weinen nicht mehr seinen. Wohnort mit-
sagen. Mit gefalteten Händen trat sie vor unsem Vater und
Mutter unter einem Stroni von Thränen hin und bat, sie möchten
es doch als ihr Kind aufnehmen. Der Vater, der ihr Lehrer ge-
wesen, machte ihr alle möglichen Vorstellungen, dass es auf diese
Art nicht angehen könne, versprach ihr aber, daheim eine Fürbitte
einzulegen. Der Bruder stand neben der Mutter und sah mit
nassen Augen in die ihrigen, um drinnen zu lesen, ob sie auch
so wie der Vater gesinnt sei. Es gelang der Mutter, das Mäd-
chen ein wenig zu beruhigen und es zu bewegen, wieder heim zu
gehen. Dies war sein letzter Besuch, bald darauf musste es sich
ungeachtet seiner zarten Jugend verheirathen.«
Mehrere Lieder in An\bühls lyrischen Gedichten beweisen
den tiefen dauernden"^ Eindruck, den diese Jugendliebe auf sein
Herz gemacht hat. In seiner Phantasie behielt Elise eine heilige
Stelle, er starb unbeweibt. Nach seinem Tode sind seine lyrischen
Gedichte durch seinen Freund Gregor Grob herausgegeben wor-
den: St. Gallen und Leipzig, 1803, und dieser Ausgabe sind so-
wohl unsre Angaben über den Dichter als auch nachfolgende
Verse entnommen.
An den Mond. S. 58.
Sieh, da träum' ich wieder. Aus der kleinen Hütte
Lächle, lieber Mond, Blickt sie. nun nach dir!
In das Thal hernieder, Mit der Liebe Sitte
Wo mein Mädchen wohnt! Träumt sie auch von mir;
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 253
Denket im Gebete
Vor dem Schöpfer mein:
Gute Nacht, Lisette,
Ewig bin ich deini
Das Hirtenmädchen. S. 65.
Vergnügt mit meiner Herde Und schmeichehi mir und scherzen
Im Hirtenthal, Um mich im Drang,
Sitz' ich auf grüner Erde Das macht mir dann im Herzen
Am Sonnenstrahl, So wohl und bang:
Und singe weide, weide I Als säss' er selbst hieneben,
Da kommen fer Der gute Mann,
Die Schäflein, meine Freude, Mit dem ich einst soll leben.
Aus Büschen her; Und sah* es an!
Der Mond geht auf und über
Wie selig 1 OhI
Komm bald, komm bald, du Lieber,
Und mach mich frohl
Meine Freuden. S. 86.
Ich schliess mich gern in's Kämmerlein
Und spiele mein Klavier,
Bald still und bald gejubelt drein.
Da ist so wohl dann mir.
Kein König hat so Freuden viel!
Und kommt mein Mädchen her,
Dann ist mir, ob kein Weltgewühl,
Ob ich im Himmel war'.
Ich schmiege mich in seinen Arm
Und drück's an meine Brust
Mit keuscher Liebe treu und warm.
Und athme kaum vor Lust,
Und seufze: Vater, Gold und Geld
Verlang' ich nicht von dir!
Vertheile deine ganze Welt,
Nur lass mein Mädchen mir!
2154 !• ^cr Sagenkreis von TelL
Ambühls sich selbst genügende Zurückgezogenheit missfiel
den Leuten seines Dorfes, sein gerechtes Selbstvertrauen hiess
ihnen Bettelstolz. Die Bauern damaligen Schlages verlangten für
die paar Kreuzer, die man dem Schulmeister wöchentlich bezahlte,
kriechenden Dank, der Ortspfarrer ebenso knechtische Unterwür-
figkeit. Toggenburg war ein Unterthanenland , die Pfarrämter
wurden durch die regierenden Orte' besetzt, der Pfarrer war also
meistens ein Fremder, das Glied oder der stolze Schützling eines
vornehmen Städtergeschlechtes. Ambühls Lehrmethode , sein
Kirchenbesuch, seine Zurückgezogenheit und Anderes sollte sich
dem herrischen Zwang des Pfarrers und der Kirchenvorsteher
fügen. Zwanzig Lebensjahre lang hatte er dies erduldet, als ihn ein
glücklicher Fall aus solcher Lage befreite. Jakob Laurenz Custer
im Löwenhof bei Rheineck, ein reicher Industrieller, suchte einen
Lehrer für seine kleine Stieftochter und nahm Ambühl ins Haus.
Hier fand sich nun alles nach Wunsch, Liebe zur Musik, kleine
Hausconcerte, Kenntniss der modernen Literatursprachen, Bücher-
und Kartensammlungen, ein freundschaftlich liberaler Ton und
Verkehr. Custer war im Philanthropin zu Haldenstein erzogen
worden und hatte sich als Chef der alten Handelsfirma Heer in
Verona in der Fremde gebildet. Seine grossen Reichthümer
widmete er mit opferbereiter Liebe seiner Heimat; er gründete
Schulgenossenschaften, Lesebibliotheken, Unterstützungscassen für
Lehrer, regelte das Armenwesen und hinterliess bei seinem 1828
erfolgten Tode den Schul- und Armenfonds der rheinthalischen
Gemeinden ein Vermächtniss von 58,500 Fl. (Vgl. Steinmüller,
Pfarrer in Rheineck: Zum Andenken an J. L. Custer 1828. 4°).
Hier lernte Ambühl die Sprachen und Werke der Franzosen und
Italiener kennen, musicierte, zeichnete und malte, besah auf Lust-
reisen die Schönheiten der Schweiz und begann seine historischen
und statistischen Schriften, zu denen Custer seit Jahren schon die
Urkunden und Hilfsmittel vorgesammelt hatte. Dahin gehört
Ambühls Geschichte des St. Gallischen Rheinthaies. St. Gallen,
ZoUikofer 1805. Custer Hess zu dem Werkchen eine Specialkarte
stechen, die er nach eignen Ausmessungen mit beträchtlichen
Kosten hatte aufnehmen lassen. Drei Jahre begleitete Ambühl
seinen Zögling nach Strassburg und Genf, später noch in Gesell-
schaft des Vaters nach Italien. Nach der Heimkehr war seine
pädagogische Thätigkeit beendigt, sein Herr überwies ihm ein
schönes Gut zu Altstätten und setzte ihn grossmüthiger Weise in
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller, 255
■
Stand, ein gemächliches und unabhängiges Leben zu führen. Sein
einziges Geschäft, Custers Einkünfte in dieser Gegend zu verwalten,
Hess ihm alle Müsse zu seinen mehrfachen Producten übrig. Bei
der nachmaligen Unabhängigkeitserklärung des toggenburger und
rheinthaler Landes entzog sich Ambühl den Wahlen und Stellen
nicht, zu denen ihn das Vertrauen seiner Landsleute berief. Als
Statthalter war er nachlässigen Unterbeamten und Districtsvor-
ständen ein unerschütterlich strenger Gebieter. Als Erziehungs-
rath des Kantonö St. Gallen versäumte er bei schon andauernder
Kränklichkeit und auch in der schlimmsten Jahreszeit keine Amts-
sitzung, trotz der weiten Entfernung seines Wohnortes vom
Regierungssitze. Er starb 1800. Sein Erbe fiel dem Bruder, seine
hübsche Büchersammlung der rheinthaler Lesebibliothek zu. Noch
am Grabe des Freundes Hess Custer den Armen schöne Geld-
spenden vertheilen.
Ambühls Schriften sind ausser den beiden schon genannten,
(Gedichte und Rheinthaler Geschichte) nachfolgende:
Der Schweizerbund, ein Schauspiel. Zürich, 1779.
Angelina, Schauspiel. Zürich, 1780.
Brieftasche aus den Alpen. (Reisebeschreibungen) 4 Liefe-
rungen von 1780 — 1785.
Die Mordnacht in Zürich, Schauspiel. Zürich, 1781.
Briefe einer befreiten Nonne. St. Gallen, 1783.
Hans von Schwaben und Kaiser Alberts Tod, Schauspiel.
St. Gallen, 1789.
Wilhelm Teil, Schauspiel. Zürich, 1791.
Der Neujahrstag, oder die Eroberung von Sarnen (ungedrückt).
Zwei Romane; beide vom Verfasser im Manuscript vertilgt.
Vor der französischen Revolution schien in schweizerischen
Unterthanenländern der Druck eines Buches für Verfasser und
Herausgeber etwas Bedenkliches, wo nicht Gefahrliches zu sein;
damals erschienen daher Ambühls Schriften theils anonym, theils
nannte er sich pseudonym J. J. Altdorfer, hindeutend aufsein
zu Altorf spielendes Theaterstück Wilhelm Teil. Die Ent-
stehungsgeschichte dieser besten dramatischen Arbeit Ambühls
knüpft sich an die Feier des Züricher Berchtoldtages und ist
folgende.
Die Vorstände des Carolinumgymnasiums in Zürich hatten
1791 im schweizerischen Museum (Sechster Jahrgang, Heft 4, 289)
eine Prämie von 12 holländischen Ducaten ausgeschrieben für ein
l
2s6
I. Der Sagenkreis von Teil.
schweizerisches Nationalschauspiel, das nach Inhalt und Form sich
zur Darstellung durch die dortigen Schüler eignen sollte. Die
besondem Anforderungen waren daher folgende:
Der Stoff des Schauspiels muss aus der Schweizergeschichte
genommen sein, wobei nur die Geschichte der einheimischen Feh-
den ausgeschlossen ist. Poetische Wahrscheinlichkeit, nicht minder
aber auch historische, müssen diesem der Jugend gewidmeten
Stücke Strengweg eigen sein. Der Unschuld der Jugend gebührt,
und das feine moralische Gefühl des Dichters verlangt, dass die
Behandlung rein sei von moralisch schlimmen Eindrücken, (wor-
unter jedoch nicht die Entfernung aller schlechten Charaktere
verstanden ist.
Es dürfen keine Weiberrollen vorkommen, weil man weder
Knaben in Mädchengewänder stecken, noch Mädchen aufs Knaben-
theater bringen kann.
Das Stück soll vielen Knaben zugleich Gelegenheit zum Spiele
geben und darf also keine kleine Zahl von Rollen enthalten; die
spielenden Knaben sind zwölf- bis vierzehnjährig.
Diesem Alter entspricht es, dass das Stück viel Handlung
und desto weniger Declamation habe.
Ein Stück ohne Scenenänderung oder Decorationswechsel
wird einem mit drei oder mehren Theaterveränderungen vor-
gezogen.
Das Stück soll in der Auflfijhrung weniger nicht als zwei, und
mehr nicht als drei Stunden spielen.
Zum Behuf der Schauspieler und Zuschauer wird von dem
tauglich befundenen* Stück eine kleine Auflage gedruckt, aber
nur innerhalb der Stadt abgesetzt. Dem Verfasser bleibt es also
überlassen, sein Werk zu seinem Vortheil zu publiciren.
Auf diese Ankündigung hin wurden fünf Stücke eingesandt,
darunter entsprach nur dasjenige Ambühls der Preisaufgabe, wurde
von den Zürichern gedruckt, mit dem Preise gekrönt und am
2. Januar 1792, als an dem allgemeinen Freudenfeste des Züricher-
Berchtoldstages, vor dem Publicum aufgeführt.
Die damaligen Herausgeber beurtheilen das Stück in einem
kurzen Vorwort folgendermassen :
Dasselbe bedarf nichts von scenischem Glanz und Bühnen-
zuüiat, es schmiegt sich an die Geschichte an und charakterisirt
das bedichtete Zeitalter, es überstürzt sich nicht in gigantischen
Freiheitsphrasen , sondern geht anmassungslos in bescheidener
lo. Die Tellenschattspiele in der Schweiz vor Schiller.
257
Sprache auf dem kürzesten Wege seinem Ziele zu. Jeder neue
Moment der Handlung entwickelt sich natürlich aus dem Vorher-
gehenden, der Hauptgegenstand wird nie aus dem Gesichte ver-
loren, die Aufmerksamkeit bleibt gespannt. Nur die Charakter-
zeichnung wird matt befunden. Teil zwar ist lobenswerth, weil
er als das Bild einer mannhaften Einfalt aufgefasst ist, der lako-
nisch spricht, ohne Verbissenheit, und entschieden, ohne sententiös
zu werdea; aber auch ihm wird mehr Feuer und Raschheit ge-
wünscht. Gessler ist energielos, Attinghausens Rolle bleibt eine
ganz allgemeine, die Führung des Dialogs ist gedehnt, die Aus-
drucksweise nicht immer würdevoll. ,
Nachfolgende Skizze des Stückes hebt drei kurze Scenen
wörtlich aus, um damit eine Probe von der Dialogenfiihrung und
der dramatischen Sprache des Verfassers zu geben.
Wilhelm Teil, ein schweizerisches National-
schauspiel.
Eine Preisschrift von Herrn am Bühl. — Bnäus erat nobis. —
Zur Aufliihrung durch die Zürchersche Jugend am Berchtoldstag
bestimmt.
Zürich bei Orell, Gessner, Füssli u. Comp. 1792.
Personen:
Hermann*) Gessler »von Brauneck«, Reichsvogt,
von Ospenthal, österreichischer Vogt im Urserenthal.
Wolf, Gesslers Landsknecht.
Wilhelm Teil und sein Knabe. Bundesgenosse.
dammann zu Attinghausen in Uri, steht nicht im Bunde.
Walther Fürst in Uri
StaufTacher von Schwyz
Arnold von Melchthal
eter Spiringer von Altdorf
)hannes im Hof von Altdorf
[ühn
, Bundesgenossen.
Loses
(ans
laus
Bauern, nicht im Bunde stehend.
*) Der Vorname Hermann, hier lediglich Ambühls Erfindung, und hier zum
sten male genannt, mag von da in Müllers Schweizergeschichte übergegangen
in. Vischer, Die Sage von der Befreiung etc., S. 202.
Rochholz, Teil und Gessler. 17
2C8 !• ^cr Sagenkreis von Teil.
Erster Aufzug.
Platz zu Altdorf. Erster Auftritt. Zwei Söldner.
Erster Söldner: Mach doch, so werden wir einmal fertig!
sonst kommt der Vogt und flucht uns etwas vor.
Zweiter Söldner: Landvogt musst du sagen, so will er's
haben.
Erster Söldner: Oder gnädiger Herr.
Zweiter Söldner: Recht so, das hört er noch lieber, das g^ebt
uns ein gewisses Ansehen. Aber der Hut muss angenagelt werden,
sonst hält er nicht, der Wind wirft ihn herab.
Erster Söldner : Die Bauern werden grosse Augen machen» j
wenn sie das' sehen. i
Zweiter Söldner: Gelt, das war ein Einfall 1 Er sei ihm die
Nacht über in den Sinn gekommen, sagt er.
Erster Söldner: Wenn unser Vogt bei Nachtzeit etwas aus-
brütet, das lässt sich bei Tage schon sehen.
Zweiter Söldner: Nimm dich in Acht, was du redst.
Erster Söldnet: Da kümmre ich mich viel darum. Er kamd
mich fortschicken; lieber heut noch, als morgen. ]
Zweiter Söldner: In die Keller zu Küssnach!
Erster Söldner: Er macht es zu arg! das thut nicht gul
denk an michl .
Zweiter Söldner: Das überlassen wir ihm. Wir sind um d<
Sold.
Erster Söldner : Ein rechter Sold, wo man weder Ruhe no<
Frieden hat ! Tag und Nacht müssen wir auf der Fahrt sein,
Leute aufzuspüren, die ihm verdächtig sind.
Zweiter Söldner: Wenn du ein so zartes Gewissen hast, h
sie laufen, schwätz ihm eins vor.
Erster Söldner : Alle Augenblicke sind wir nicht sicher, wei
wir auf einem nächtlichen Zug erschlagen werden.
Zweiter Söldner: Du hast gewaltige Furcht.
Erster Söldner: Ich gehe bei keinem Bauern vorüber,
ich nicht den Kopf in die Schultern ziehe und denke: jel
jetzt kommt er hinten nach und versetzt mir mit seinen Knochi
eins in's Genick.
Zweiter Söldner: Das lassen sie wohl bleiben. Die
schichte vom alten Melchthaler hat sie schon mürbe gemacht.
Erster Söldner: Der Landenberg ist ein Ungeheuer. Wa
einem alten achtzigjährigen Mann die Augen ausstechen, weil
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 259
I
I Sohn nicht, will die Ochsen vom Pflug sich wegnehmen lassen ?
'Das ist unmenschlich 1
Zweiter Söldner: Was brauchte aber der Bengel mit dem
Stecken so drein zu schlagen?
Erster Söldner: Was brauchte aber auch des Vogts Diener
zu sagen, dass die Bauern in Zukunft den Pflug selbst ziehen
könnten. Er hat ihn gereizt. ,
Zweiter Söldner: Du würdest anders sprechen, wenn er dir
die Finger so zerquetscht hätte.
Erster Söldner: Wenn wir nur noch so davonkommen I
Zweiter Söldner: Ah! was wollten diese Bauern, sie dürfen
ja kaum mehr schnaufen.
Erster Söldner: Glaubst du? die Brüder von Art, die den
Burgvogt von Schwanau erschlugen, und der Baumgartner, der
dem Wolfenschiess mit einem Beil den Kopf entzwei spaltete, die,
dünkt mich, haben's gezeigt. Landenberg wird es wohl auch
Boch erfahren.
Zweiter Söldner: Wohl mag es ihm nicht sein. Er spürt
dem jungen Melchthaler gewaltig nach.
Erster Söldner: Der soll sich hier herum versteckt halten.
Zweiter Söldner: Das würde ein Trinkgeld absetzen, wenn
tir den ausspähen könnten I*
Erster Söldner: Du denkst nur an das.
Zweiter Söldner : Das ist jetzt unser Beruf.
Erster Söldner: Leute unglücklich zu machen.
Zweiter Söldner: Man merkt dir's an, dass du noch neu
Wovon willst du denn leben ? Und was hast du zu klagen ?
1er macht es doch wahrhaftig lange nicht so arg, als der
denberg.
Erster Söldner : Nein, er schickt die Leute nur nach Luzern
Rothenburg, damit man sie im Lande nicht schreien, ihre
essein nicht schütteln hört.
Zweiter Söldner: So muss man mit den Bauern umgehen,
enn's helfen soll. Gessler war im Anfange so freundlich und
linde . . .
Erster Söldner: Um Schnepfen zu fangen.
i Zweiter Söldner: Eine Obrigkeit will doch Respect haben.
Erster Söldner: Höre, davon verstehen wir Beide nichts,
ilf dafür die Stange aufrichten, so kommen wir einmal hier weg.
eh, da kommt der Landvogt schon.
17*
26d !• I^er Sagenkreis von Teil.
Zweiter Söldner: Hurtig. Das ist bald gescheHbn. Halt
da! Fest, nur fest!
(Sie richten den Hut im Hintergrunde auf, gehen ab. Gessler
und von Ospenthal treten auf mit Wache.)
Hier ist dieser Söldnerdialog erfolgreicher und fiir den Zweck
des Stückes mehr aufklärend, als dasselbe Zwiegespräch zwischen
Friesshardt und Leuthold in Schillers Teil, 3. Act, 3. Scene.
Schillers Friesshardt ist hier Ambühls zweiter, an Waffenwerk
und Subordination hängender Söldner; während Ambühls erster*;
Söldner, wie Schillers Spiessknecht Leuthold, müde ist dieses i
Aufspürerdienstes , der eines Reitermannes unwürdig , so wenig ;
Lohn beim Vogte und so viel Lebensgefahr unter dem Volke miti
sich bringt.
Zweite Scene. Gfessler erscheint am Marktplatz mit denä
Ritter von Ospenthal, welcher zugleich Thalvogt in Urseren ist
Man erfahrt Gesslers Plane. Die Burg Zwing-Uri steht fertig ge-_
baut und hat bereits Besatzung, welche man bei der nächstea
Gelegenheit gegen das Volk losschlagen lassen wird. Nur set^
dieses allen Reizungen und Neuerungen bisher einen alles lähmett^
den, alles verzögernden passiven Widerstand entgegen. Es be^
zahlt die alten und neuen Abgaben, jedoch unter stetem ProtesI
am kaiserlichen Hofe und vor dem Vog^sgerichte. Man mui
daher einmal den Stolz der Massen durch Spott reizen, um di<
Stärke der Opposition kennen zu lernen. Wenn am heutigei
Kirchweihfeste die Leute von überall her auf diesem Platze
sammenströmen, werden die Köpfe beim Anblicke dieses aufg
pflanzten Hutes sich erhitzen, die Unzufriedenen, die heimlich V(
bündeten werden sich laut machen. Die Wachen haben gemesi
nen Befehl, leicht kommt es zu einem Conflict. Ein solcher lä
sich zum Aufruhr stempeln, dies giebt ein Recht, Privilegien ui
Gesetze zu suspendiren, kaiserliche Kriegsvölker in's Land
ziehen. Ist man nur einmal im Namen des deutschen Reiclu
hier eingerückt, so ninmit man morgen schon im Namen di
Österreicher Herzogs vom Lande Besitz ; Schwyz und Unterwald<
gehen dann mit in die allgemeine Rechnung.
Dritte Scene. Sobald der Vogt hinweg ist, erscheint
Trupp Bauern bei der Stange. Sie drücken ihr Erstaunen ai
man beginnt unzufriedene Reden über fremdes Gericht, neu<
Zoll, über den Schlossbau; Landammann und Räthe hätten dei
längst Einhalt thun sollen. Ein Ausrufer unterbricht sie; er v<
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 201
kündet, man habe den hier aufgesteckten Hut ebenso zu beehren,
als ob der Kaiser oder sein Landvogt persönlich zugegen seien.
Dieser Titel Landvogt empört die Zuhörer, Gessler ist nur als
Reichsvogt hier, sonst wäre Uri nicht Reichsland, sondern öster-
reichisches Unterthanenland. Man bedroht bereits die Wachen
und den Hut. Wahher Fürst beschwichtiget, an das Beispiel der
Ahnen erinnernd, die so weislich der Uebergewalt auswichen und
darüber doch zuletzt ihre Rechte gewahrt hatten. Sein Wort
verfängt nicht, der Tumult wächst. Attinghausen, der Landammann,
erscheint und verspricht, dieses öffentliche Aergerniss solle vom
Platze geräumt werden; aber er gebietet allen bei ihrem geschwor-
nen Eid, ruhig hier hinwegzugehen. Alle gehorsamen. Inzwischen
ist Teil dazu gekommen und sagt auf die Warnung der Abgehen-
den: »Ich habe schon alles vernommen, der Landvogt hat euch
nur zum Besten, er wusste im Voraus, dass ihr Alle davonlaufen
würdet. Er ist nur furchtbar, weil man ihn fürchtet; hätten die
Leute Muth, so würde er zittern. Nein, das soll man nicht sagen,
idass er mit seinem Hute die Männer wie Spatzen wegscheucht U
Teil geht seines gewohnten Weges über den Platz, unterlässt die
febotene Begrüssung, wird festgenommen und von der Wache
abgeführt.
Zweiter Aufzug.
Des Vogtes Verhör mit Teil bleibt ohne Ergebniss, man
tesst deshalb Teils Knaben heimlich herbeiholen. Inzwischen
hildert ein Waffenknecht die waghalsigen Thaten des Grefange-
n bei Seestürmen und Ueberschwemmungen, berichtet von
ichtlichen Zusammenkünften der Bauern, -auch die Flüchtlinge
tauffacher und Melchthal aus den Nachbarländern seien dabei
erkt worden. Teil, zum anderen Male in's Verhör geführt,
ausser Stand, über das angebliche Complot und die Ver-
hworenen Aufschluss zu geben. Gessler stampft mit dem Fusse,
uf dieses Zeichen wird Teils Knabe hereingebracht und dem
hützen schliesslich die bekannte Aufgabe gestellt. Um nicht
Gefangener zu bleiben, entschliesst er sich zum Schusse und wird
heimgeschickt, seine Armbrust zu holen, der Knabe verbleibt als
Pfand bei der Wache zurück.
Dritter Aufzug.
Altdorfer Marktplatz, neben dem Rathhaus der Brunnen,
hinten der Hut auf der Stange , quer über die Bühne Schranken.
262
I. Der Sagenkreis von Teil.
Die Verbündeten Stauffacher, Fürst und Melchthal beklagei
Teils voreilige Kühnheit; denn durch sie ist der Landvogt um
das Volk zur Unzeit gereizt. Ein wilder Volksaufruhr wäre jet2
zwecklos. Erst diese Nacht kann die allgemeine Zusammehkunl
am Rütli stattfinden, erst nach der dort getroffenen Abrede k
man sich zugleich in den drei Ländern erheben. Also muss mi
während nun der Schuss geschehen soll, ^ier am Platze bleil
und die Leute zur Ruhe mahnen. Teil kommt mit seiner Ai
brüst frei über den Platz her und stellt sich in die Schrankei
Einige bemitleiden ihn, er beruhigt sie mit seinem Schützenglüc
und seiner Entschlossenheit; Andere drängen sich schaulustig hei
und wissen keinen andern Rath als zu beten. Gessler weist d<
.Schussziel an.
Gessler: Nun, Teil, wie es scheint, bist du entschlossen, de
Schuss zu thun?
Teil: Ich muss. Ihr zwinget mich dazu.
Gessler : Du sagtest, so lange man Muth hat, giebt es keii
Grefahr. Jetzt hast du Gelegenheit, deinem Weidspruch Ehre
machen.
Teil: Ihr sollt hernach spotten, Herr. Wo ist mein Jung^
Gessler: (zum Spiessknecht Wolf) Hieher I (Wolf tritt
dem Knaben hervor.) Dort soll er sich an die Rathhausmai
hinstellen, das Gesicht gegen den Vater. (Zu Teil) : Und hi
am Brunnen ist dein Stand, da sollst du schiessen.
(Wolf will den Knaben hinführen.)
Teil : Zurück, rühr' meinen Knaben nicht an ! Ich will
schon stellen. Komm, Wilhelm!
Knabe: Warum sind so viel Leut da, Vater?
Teil: Sie wollen sehen, wie ich dir einen Apfel vom K<
wegschiessen kann. Du musst jetzt recht fest stehen.
Knabe: Ich will schon stehen.
Teil: Du darfst dich nicht fürchten.
Knabe: Ich fürchte mich nicht.
Teil: Aber nur fest und gerade! den Kopf nicht bewegt
Knabe : (macht mit dem Finget eine unmerkliche Beweg^ui
Nicht so viel!
Teil: Komm, in Gottes Namen.
In Schillers Teil, 3. Act, 3. Scene soll sich Teils Knabe
dem Schuss die Augen verbinden lassen, und spricht etwas
vorlaut und gebrüstet:
lo. Die Telleoschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 263
Warum die Augen 1 denket ihr, ich fürchte
Den Pfeil von Vaters Hand? Ich will ihn fest
Erwarten und nicht zucken mit den Wimpern.
Frisch, Vater, «eig's, dass du ein Schütze bist,
Dem Wüthrich zum Verdrusse schiess und triff 1
Die Empfindung hätte hier dem Dichter vorzuschreiben, den
grausamen Schuss nicht vor den Augen des Zuschauers abdrücken
zu lassen. Schiller lässt daher in diesem Momente den Landvogt
durch Bertha's Fürbitte bestürmen und zugleich durch Rudenz in
einen heftigen Wortwechsel verwickelt werdeii, inzwischen dann
den Schuss ungesehen fallen. Selbstvergessen aber giebt hier
Ambühl die Handlung folgendermassen an: »Teil fuhrt den
I Knaben auf die Seite des Theaters, wo er nicht gesehen werden
j kann. Der Spiessknecht Wolf geht mit dem Apfel nach. Das
' Volk ist still in banger Erwartung. Teil kommt zurück, drückt
den Hut in's Auge, stellt sich an den Brunnen, spannt, zielt und
schiesst; ein allgemeines Ah! und Geklatsch hinten nach.« Nach
dem Schusse will Teil ohne Weiteres heim. Der Vogt hält ihn
auf mit der Frage um den Zweck des in's GoUer gesteckten
zweiten Pfeiles. Er erhält darauf die bedrohliche Antwort und
lässt den Schützen abermals gefangen abfuhren. Der Volkshaufe
macht Miene, vor- die Burg zu ziehen und den Gefangnen mit
Gewalt herauszuholen. Landammann Attinghausen hält die
Masse zurück und verspricht, auf der Stelle selbst in's Schloss
zu gehen.
^ Vierter Aufzug.
Teil in Ketten soll Geständnisse über seine Mitverbündeten
^ablegen, trotzt und wird nach zwecklosem Wortwechsel wieder
in's Gefängniss zurückgebracht. Attinghausen verlangt im Namen
des Gesetzes des Gefangenen Loslassung, das vor dem Schlosse
stehende Volk warte darauf Gessler verweigert's, unter Drohungen
; entfernt sich der Landammann. Auf .die Warnungen des Ritters
von Ospenthal besinnt sich Gessler und lässt den Teil durch eine
LHinterpforte des Schlosses hinaus zu Schiffe bringen. Die Ruder-
knechte deuten dem Vogt auf den vom Föhn zu hohen Wogen
aufgejagten See. Doch um sein Opfer dem Aufruhr des Volkes
nicht freigeben zu müssen, überliefert er lieber sich selbst dem
Sturme und schifft sich mit ein.
L'
264 ^' ^^ Sagenkreis von Teil.
Fünfter Aufzug.
Platz zu Altdorf. Das Volk, das dem Schiffe nachgelaufen
war und von den Anhöhen es eine Strecke weit beobachtet hat,
wird von dem entstehenden Gewitter in den Flecken heimgetrie-
ben. Hier stehen die Verbündeten noch im Grespräche. Unter
dem Eindruck des» frischen Vorfalls und bei des Vogtes Abwesen-
heit sind die Aeusserungen weniger zurückhaltend, dem Atting-
hausen wird enthüllt, dass ein Geheimbund in den drei Ländern
bereits bestehe. Um diesen wichtigen Mann in jedem Falle dem
Lande zu erhalten, habe man ihm das Bündniss verborgen und
nur sich persönlich aussetzen wollen. Mit Leib und Seele tritt
Attinghausen ihnen bei, heut Abend noch wird er mit ihnen zur
letzten Feststellung des Planes aufs Rütli ziehen. Spiringer^
Imhof, Stauffacher erscheinen, endlich auch vom Seeufer her alles
übrige Volk. Sie berichten, wie ihnen das Schiff in der Gegend
des Axenberges aus dem Gesicht verschwunden, dort müsse es
gescheitert sein, Teil werde mit ertrunken sein.
Teil kommt hastig über den Platz her, auf die Hutstange zu
und will sie niederwerfen. Alles läuft rufend ihm entgegen.
Walther Fürst: Wie? du bist gerettet, Wilhelm?
Teil : Wir Alle. Gessler ist todt. Wir sind frei.
Kuhn : Hört ihr^s ? Er kam in den Wellen um.
Teil: Nein. Er kam an's Land.
Arnold : Du sagtest, er ist todt ?
Teil: Er ist's I er ist's! Ich habe mich und euch gerächt!
(Folgt die Erzählung über den Sprung aus dem Schiffe, über
das Auflauern in der Hohlen Gasse: »Und wie er kam, schoss
ich ihn vom Pferd, c)
Walther Fürst: Alles wie durch ein Wunder!
Attinghausen: Du hast uns von einem Tyrannen befreit,
Wilhelm! der Segen unsres Landes ruhe ob dir und deinem Gre-
schlecht !
Imhof: Wir wollen eine Kapelle geloben zu ewigem Ange-
denken auf den Platz, wo Teil sein Leben gerettet.
Spiringer: Und eine dahin, wo er den Tyrannen erlegte.
Moses: Dahin sollen unsre Söhne wallfahrten, neue Treu
dem Vaterland schwören.
Kuhn : Und Hass der Unterdrückung, Rache jedem Tyrannen.
Arnold: Und hier (auf die Stange deutend) wollen wir
schwören, keine Vögte mehr in unsem Grenzen zu dulden.
lo. Die Tellenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 265
Wilhelm Teil: Weg mit dem Denkmal unsrer Schande!
Attinghausen : Lass es stehen, Wilhelm! . Es sollte ein
Zeichen unsrer Unterdrückung sein, durch dich ward es ein Zeichen
der Freiheit.
Stauffacher : Und für die künftigen Zeiten wird es ein Denk-
mal unsres Bundes*).
Walther Fürst: Kommt! der Wind hat sich gelegt; die
Nacht rückt heran, wir wollen uns zur Abfahrt in's Rütli fertig
machen.
Attinghausen: Geht, werdet die Stifter eines glücklichen
Volkes!
Alle: Wir sind frei, sind frei! (bieten sich die Hände).
Teil: Sind frei! Unsre Nachkommenschaft wird es sein, so
lange sie der Freiheit würdig bleibt.
Ambühls Teil enthält ausdrücklich keine Frauen-Rollen, weil
er zur Aufführung für Schulknaben geschrieben war. Er musste
also auf die Frauenweisheit der Stauffacherin , auf die Mutter-
güte in Teils Weib verzichten und diesen Stoffmangel ersetzen
durch herzgewinnende Gespräche zwischen Vater und Kind.
Dasselbe that auch Ruoffs Teilenspiel, in welchem Frauenrollen
nur nebenher als eingelegt vorkommen. Im Personenregister des
Schillerschen steht ein Ambühl aus Unterwaiden mit genannt, er
opponirt am Rütli dem Pfarrer Rösselmann, als dieser vorschlägt,
sich zum Schutze gegen den Vogt lieber unter Oesterreichs Ober-
hoheit zu stellen. In dieser Namenserwähnung liegt freilich ein
blosser Zufall, und doch ist es ein schöner und treffender; denn er
charakterisirt zugleich Ambühls kirchlich ghibellinische Denkweise.
, So steht nun des schweizerischen Schauspieldichters Namen in
Schillers Teil verewigt, wie auf mittelalterlichen Grabsteinen zu
Füssen der Ritterfigur ein Symbol der Treue, des Begrabenen
Knappe, mit ausgehauen liegt.
Der Vollständigkeit des Stoffes wegen seien hier noch zwei
•) In Schillers Teil, 5. Act, i. Scene:
Mehrere Stimmen:
Zerstört das Denkmal der Tyrannenmacht 1
Ins Feuer mit ihm!
Walther Fürst :
Nein, lasst ihn aufbewahren!
Der Tyrannei musst' er zum Werkzeug dienen ;
Er soll der Freiheit ewig Zeichen sein!
206 !• I^cr Sagenkreis von Teil.
dramatische Arbeiten erwähnt, die unmittelbar vor und nach Er-
scheinen von Schillers Teil aufgetreten sind. Die eine fällt nicht
in unsre Beurtheilung, sondern trifft auf Preussen ; die andere hat
einen schweizerischen Verlagsort nur fälschlich auf den Titel
gesetzt.
Leonhard Wächter (pseudonym Veit Weber), geb. zu
Uelzen. 1762, gest. zu Hamburg 1837 als Inhaber eines Er-
ziehungsinstituts, folgte als Romanschriftsteller der durch Göethe's
Götz angeschlagenen Richtung und gab heraus (nebst den Sagen
der Vorzeit, 7 Bde. 1787) Wilhelm Teil, ein Schauspiel in Jam-
ben. Berlin 1804. S°. Letzteres ist unabhängig von Schiller,
dessen Teil später erschienen. (Gödeke, Grundriss 1133.)
A. C. Nieman schrieb eine Satire:
Wilhelm Teil der Tausendkünstler, oder auch der travestierte
Teil, nach Gefallen. Ein heroisch -komisch -historisch -lyrisch-
und poetisches Schauspiel mit Gesang, Tanz und Spektakel in
drei Abtheilungen. Mit einem illum. Kupfer. Uri (Kratzsch in
Hamburg) 1805. 8°. 16 Groschen. —
Bei dem zu Bern gefeierten Schillerjubiläum 1859 meinte der
Festredner Howald, obiges Spottgedicht sei zu Altorf und um
Schillers Schauspiel dort zu verspotten, erschienen. (Die Schweiz,
lUustrirte Monatsschrift des Bern. Litt. Vereines 1859, November-
heft 267.)
Rückblick und Abschluss.
Die vollständige Entfaltung eines Gedankens, welcher ein na-
tionaler, dem ganzen Volke angehörender werden soll, bedarf
nicht bloss der Geistesarbeit etlicher Generationen, sondern mehrer
Jahrhunderte. Wie es edle Pflanzen giebt, die ein Mensch in
seinem Leben nur einmal blühen sieht, weil ihnen der Lauf eines
Jahres nicht Sonnenschein und Regen genug' zu liefern vermag für
den unendlichen Hergang ihres reichen Lebens : ebenso hegt auch
die Präformation einer Idee, eines Kunststoffes lange in der Seele
der Vorzeit da, still und reizlos. Erst wenn die Länge der Zeit
ihre epische Weihe darüber gesprochen hat, wenn schon mancher
Patriot davon geredet, mancher Dichter und Denker seine poetische
oder wissenschaftliche Gestaltungskraft daran erprobt hat, und
jeder erneute Versuch immer noch nicht für voll galt, immer noch
lo. Die Tellenschauspiele in der. Schweiz, vor Schiller. 207
nicht national durchschlug; dann einmal kann das Wunderkind
erscheinen, jener Rechte, der nach der zeitigen Frucht den nur
einmal erlaubten glücklichen Griff thut. So ist Schillers Teil
durch einen einzigenv Schöpfungsact entsprungen, nachdem der
progressive Process in den Seelen seiner poetischen Vorläufer der
Gestaltung seines Werkes sowohl als auch der Empfänglichkeit
der Gemüther für das neue Werk lange Zeit schon vorgearbeitet
hatte. Bei allen Vorgängern wird die poetische Form für den
allgemein anziehenden Stoff gesucht, aber bei keinem wird sie in
dem Masse aufgefunden, dass sie dem Masse aller darüber vor-
handenen Vorstellungen gleichkommt. Immer noch konnte das
Volk oder der Einzelne von dem Stoffe feuriger erfüllt sein und
allseitiger ihn fassen, als es bisher die Dramen aussprachen ; denn
diese waren erst Stufen und Grade des zur poetischen Vollendung
heranwachsenden Stoffes. Erst von Schillers Teil ist des Künst-
lers und des Volkes Seele gleichmässig erfüllt, so dass diese
Kunstgestalt in jedermanns Vorstellung schwebt und alle nun
davon wissen können, ob das Bild dem Wesen entspricht. Ja
schon liest das Volk diesen Teil nicht mehr als ein Product des
willkürlich erschaffenden Dichtergeistes Schillers, sondern als fac-
tische Geschichte, man liebt ihn nicht bloss in jedem Wort und
Verse, man glaubt ihn wie einq historische Urkunde. >Der
Glaube ist des Wunders liebstes Kind.«
Doch selbst zu dieser nun herrschenden Stimmung der Geeister
bedurfte es gleichfalls noch einer dafür vorbereitenden Zeit. Nicht
sogleich war Schillers Teil ein Volksliebling, noch weniger ein
Schosskind der Kritik. Diese Reihe prächtiger Erzählungen,
epischer Standreden, schimmernder Episoden, an denen das Stück
reich ist, war unter Schillers Zeitgenossen nicht ganz vermögend,
über andere Mängel der Composition hinwegsehen zu lassen.
Manche von Schillers historischen Dramen hatten sich in der An-
lage des Stoffes motivirter erwiesen, gewandter in der Durch-
führung, individueller in der Zeichnung der Charaktere. Daher
sagte damals der Brief eines Schweizers in der Monatsschrift
Isis vom Jahre 1804 (Zürich, Erster Band 1805, 212), man
habe Schillers Teil damals zwar nicht ohne Beifall gesehen, aber
doch hin und wieder etwas flüchtig gearbeitet gefunden; das Stück
springe von Teil auf die Landesbefreiung über, voq dieser auf
die Liebschaft zwischen Rudenz und Bertha, von Teils That auf
den Kaisermörder Johann von Schwaben, beginne lyrisch und
268 -^« ^^^ Sagenkreis von Teil.
schliesse historisch nüchtern vae ein Auszug aus Johannes Müller.
Letzteres schien Schiller selbst noch zuzugeben; bei der ersten
Aufführung Teils zu Weimar, 17. März 1804, Hess er den ganzen
fünften Act weg und wollte also des Kaisermordes nicht mit er-
wähnt wissen. Alle diese Missstände der poetischen Composition
im Einzelnen zugegeben, wie sich denn auch das allgemeine Ur-
theil der Literaturgeschichte hierüber längst geeinigt hat, so
haben sie doch nicht hingereicht, den ethischen Werth des
Werkes zu vermindern. »Man kann«, sagt Gervinus, »ästhetisch
einen andern Teil und in einem Tone denken, der dem Naturalis-
mus mehr schmeichelt; allein ich zweifle, ob die Schweizerjugend
einen solchen mehr lieben würde, und ob Schillern ein kritischer
Bewunderer lieber würde gewesen sein, als ein patriotischer«.
Denn jugendfrischer, dem Idealismus der deutschen Jünglings- und
Jungfrauennatur verwandter, mithin volksthümlicher ist Schiller in
keinem andern Stücke als im Teil. Hier bewegte ihn die Idee
mannhafter nationaler Freiheit noch einmal und kam unsrer eignen
Empfindung entgegen geeilt, er begeisterte sich an unsrer ein-
müthigen Zustimmung, wir uns an dem Adel und der moralischen
Würde, die er unsrer zustimmenden Erwartung lieh. Eben durch
diese gegenseitige Uebereinstimmung ist er ein Liebling aller
demokratisch gesinnten Nationen, und die Landsgemeinde, die er
zuerst auf die Bühne brachte , hat seitdem allenthalben , in der
Presse, in den Ständekammem und den Volksvereinen zu debattiren
begonnen.
Wer sind nun die Dichter des Teil vorzugsweise gewesen?
Politisch und religiös unterdrückte Deutsche und Schweizer. Mit
ihrer Zeit in Fehde liegend, suchte ihr nach innen zurückgedräng-
tes Freiheitsstreben durch die Bearbeitung der Tellengeschichtc
einen Ausweg:
Ruoff verlässt die faule Priesterstadt Konstanz, wandert nach
dem geistig bewegten Zürich aus, ficht hier für die neue Kirche
zwei Glaubensschlachten mit und schreibt dann sein politisch-
religiöses Tendenzstück Teil für seine neuen Mitbürger. Der
Berner Stadtburger Samuel Henzi hat seinen Geist ein halbes
Leben lang gezeitigt und erntet dafür bei seinen Bemer Oligarchen
nichts als die Landesverweisung. In dieser Zeit des Exils schreibt
er sein Trauerspiel Grisler, kehrt heim, um sich gegen seine
politischen Feinde zu verschwören, und wird von ihnen auf's
SchafTot geschickt. Als dann um Mitte des vorigen Jahrhunderts
lo. Die Teilenschauspiele in der Schweiz vor Schiller. 269
das Licht der Vernunft sogar in die Klöster dringt, als sogar der
Papst die Feder ergreift, um die Aufhebung des Jesuitenordens
zu unterzeichnen, da überlässt sich der Luzemer Priester Joh.
Ign. Zimmermann den Schwingungen der Neuzeit, tritt aus dem
Orden, bezieht die protestantische Stadt Bern und verfasst seinen
Teil. Ambühl ist von allen Uebeln des Jahrhunderts zugleich
heimgesucht; zu Hause von der äussersten Armuth, von der
Hartköpfigkeit seiner Bauern, von der Herrschsucht der Orts-
pfarrer, von dem Kastenstolze der regierenden Herren gegenüber
dem geknechteten toggenburger Unterthan. Die kühne Antwort
des armen Schulmeisters an seine bald darauf verjagten Landvögte
ist sein Teil. Nicht anders waren Schillers erste und letzte
Dramen ein öffentlicher Protest gegen geistliche und weltliche
Despotie. Mit dem Schauspiel Die Räuber gieng Schiller flüchtig
aus Schwaben, mit dem Schauspiel Teil sinkt er zu Weimar in
sein Grab. Das Umerspiel war eine vorfrühe Weissagung des
poetisch zu Erfüllenden, Schillers Teil ist ihre patriotische und
künstlerische Erfüllung. —
XL
Teil als Personen- und Ortsname.
I. Der Mannsname Teil urkundlich in deutschen und
fremden Sprachen,
Teil als historischer Personenname ist in unbezweifelt echten
und alten Urkunden noch immer eine grosse Seltenheit. Er findet
sich zwar schon in Quellen des 6. und des 8. Jahrhunderts, diese
aber sind in ihrer Abfassung zum Theil sehr unsicher, zum Theil
gehören sie drei verschiedenartigen Sprachkreisen an, dem kel-
tischen, dem rhäto-romanischen und deutschen. Bei solcher sach-
lichen Entlegenheit und sprachlichen Fremdheit der Documente
wird es rechtgethan sein, sich hier auf die genaue Angabe des
Namensmateriales zu beschränken, auf eine Namens-Erklärung
hingegen, welche zumal in den Keltismus hinein nöthigen würde,
ganz zu verzichten. Den ältesten Tellonen werden sodann hier
noch solche angereiht, welche theils vom 12. bis ins 15. Jahr-
hundert urkundlich bestanden haben, theils in gleicher oder gleich-
scheinetider Namensform noch heute bestehen. Sie alle sind,
soweit sie sich erkennen lassen, blosse Beinamen, und sollen in
möglichster Kürze den Erweis liefern, dass ein Jäger, der auf den
blossen Eigennamen pirschen geht, seinen Teil bis ins heutige
Rumänische hinein erjagen kann.
Anno 576. Dieses Jahr fällt in die Lebenszeit des Sanct
T e 1 1 i u s , welcher dem locus F e c h - T e 1 1 e , einem süd-irländischen
Orte, den Namen gegebeii hat. Colgan, Acta SS. Hibemiae /,
15 und 713; und ebenda in der Vita S, Ceroe, Äbtissin von
Kiscreen. — Eine andere Chronologie über den fraglichen Namen
II. Teil als Personen- und Ortsname. 27 1
hält die ICirchengeschichte Portugals ein ; nach deren Erzählung der
vtia S, Tellonis ist der erwähnte Heilige um das Jahr 1131
Archidiakon an der Kathedrale zu Coimbra gewesen, und es wird
dies daselbst aus der Gründungsgeschichte des heiligen Kreuz-
klosters zu Coimbra erwiesen, welche gedruckt ist in PortugalicB
Manum. I, 63 — 75. (Potthast, Wegweiser 900.) In dasselbe
zwölfte Jahrhundert versetzen diesen St. Tello auch die BoUandisten,
tom. /, ad diem 6. Februarii. Er heisst bei ihnen der heilige
Telerich, »wie ihn das Volk insgemein nenne,« sonst auch
Adelrich und Alderich, ist ein entlaufner Fürstenknabe, kommt
umherirrend in der Gegend von Köln und Zülpe, an das dortige
Frauenkloster zu Fussenich, Sti. Norberti, verdingt sich da als
Schweinehirte, stirbt 21 jährig und liegt daselbst begraben. Aus-
führlich erzählt über ihn der Jesuiten-Pater Jac. Schmid: Leben
der heiligen Hirten und Bauren; 2. Aufl., Augsb. und Würzb.
1750, 4^, Abthl. 2, S. 58.
741 — 44. Tallo, ein Leibeigner, wird von Beata, Tochter
Rachinberts und Gemahlin Landolts, im Zürichgau, an das Kloster
Lützel- und Uffenau im Zürichsee vergabt. (Cod. trad» S. GalL,
no. ig; Wiederabdruck durch G. von Wyss, No. 6; Neugart
Cod. D. I, no. 13; Zürich. Antiq.-Mittheill. 2, 29.) Die von
Historikern gestellte Frage, ob obiger Tallo tmjure tallionis
Verschenkter und etwa erst davon zubenannt worden sei, er-
ledigt sich damit, dass dieser verschenkte Tallo der erste und letzte
seines urkundlichen Namens unter den übrigen unzähligen Leib-
eignen ist, welche sein gleiches Schicksal zu theilen, nie aber
seinen Namtn zu führen hatten.
758 — 784. Tello, Bischof von Chur und Abt von Dissentis,
t 24. Sept. 784. ^ Tello episcopus, Coera diddo^ [dictus de Coira,
Chur in Bünden], unterzeichnet 765 unter Pippin die Convents-
beschlüsse von Attigny in der Champagne. Pertz, Legum I, 30.
Sein Ttlestamentum^s^ vom Jahre jf^^ handschriftlich im Archivo
Desertinensi, erschien zuerst gedruckt bei Mabillon, Annal. Bene-
dict. II, 707 — 10; neuerdings bei Mohr, Graubündner Urkk. i, 10.
Er ist der letzte einer rhätischen Grafenfamilie aus dem Hause
der Victoriden, die mit erblicher Präses- Würde und zugleich mit
bischöflicher Gewalt über Rhätien herrschte. Tello war 748 als
Mönch in's Kloster Kazzis getreten (Dorf im Bündner Domleschg),
wurde Abt in Dissentis, erhob dies Kloster aus den Trümmern
und vermachte demselben, unter Zustimmung seines Vaters, des
272 !• I^cr Sagenkreis von Teil.
Präses Victor IL , im Jahre ^66 ' ausgedehnte Besitzungen im
Bündner -Oberlande und im Sarganserlande, bestehend in Höfen,
Mühlen, Dorfschaften, mit Alpen, Wäldern, Obstgärten, Wein-
bergen, Zinsbauern und Leibeignen. Als Bischof gab er dem
Dom zu Chur dessen jetzige Gestalt. Sein Stammbaum, im
3> Testamentum^ mit aufgeführt, enthält weder unter den genannten
Zeugen {jnilites)^ noch unter den mit aufgezählten Eigenleuten
(coloni) einen deutschen Namen und ist bis auf zwei Frauennamen
undeutsch; diese sind seine Mutter Teutsuinda, und seine beiden
Nichten Teutsuinda und Odda.
Sowohl diesen Bischof Tello, als auch den erstgenannten
Leibeignen Tallo verzeichnet Förstemann^s Personen-Namensbuch
und reiht an sie einen Telo aus dem 8. Jahrhundert, der in die
Freisinger Bisthumsgeschichte gehört (bei Meichelbeck, no. 26),
und einen gleichnamigen Telo aus der vita S. Severini, ed. Pez,
Allein Förstemann lässt es unentschieden, ob diese Namen zum
Wortstamm tal, vallis, oder zu tail, portioy zu stellen seien,
vergleicht übrigens damit angelsächs. deall, {clarus, superbus)
und. geräth so auf die eddischen Namensformen Heimdallr und
Dellingr. Diese beiden aber machen in der Edda selbst schon
zweierlei Wortstämme aus. .Denn Dellingr ist assimilirt aus
Deglingar und wird in Wafthrudnismal der Vater des Äsen-
gottes Dagr genannt, was ersichtlich eine genealogisch um-
gedrehte Reihenfolge ist. Heimdallr dagegen scheint benamit
nach der Heimdäle (Fichte), schwed. tall, Schweiz, däle.
Die nun zunächst folgenden drei Urkunden sind oberdeutsche,
sie bezeichnen den Mann lediglich nach dessen Wohnorte in der
Teilen, oberdeutsch eine Bodenmulde, und stellen darum diesen
Beinamen zum Vornamen.
1147, 4- Ju^J» Wien. Eberhardus de teile ^ urk. Zeuge,
da K. Konrad IIL die Vergabung eines Theiles des Beinwaldes
an das Kloster Waldhausen (bei Regensburg) genehmigt. Meiller,
Babenberger Regesten S. 34, no. 18.
1373, 9. März, Freiburg i. Br. Heini Grennenbach, Vogt zu
Laufen (Badisch. O.-Amt Mülheim im Marggrafenlande) urkundet,
von den Klosterfrauen zu Sulzberg (desselben O.-Amtes) eine
Juchart Reben im Laufener-Banne i empfangen zu haben, welche
gelegen ist im Altenberg neben dem Rebstücke, welches »waz
etvvanne Heintzen Teilen seligen. c Graf Ego v. Freiburg
besiegelt. Mone, Oberrhein. Ztschr. 16, S. 463.
II. Teil als Personen- und Ortsname. 273
14. Jahrh. »Chuenrat der Teile in dem Teuffenpach«
ist genannt in dem Fürstenbuche von Oesterreich, verfasst von
Johann dem Enenchel. Rauch, Scriptor. rer. Austriac. i, 419.
Die niederdeutsche Namensform Telo stellt sich zu ahd.
Thilo. Das Hasborner Weisthum vom Jahre 1 545 nennt unter
den Gerichtsschöffen den Meier Theel von Medeloissen und den
Thelen von Rodda, beider Geschlechtsnamen aber lauten eben-
daselbst zugleich Thiel. Grimm Weisth. II, 95 und 96. Tello
Vetten ist 1404 Sprecher der adeligen und der bürgerlichen Ge-
richtsbeisässen, als die Rechte der Grafschaft Hülchrath (südlich
von Neuss) geöffnet werden. Grimm Weisth. VI, 698. Telo
Schurgijn van Bergheym, Schultisse upp dem vroenhoue zo
Reyde (Reidt, rechtsrheinisch unterhalb Bonn, nordwestlich von
Siegburg), hält daselbst mit 21 Geschwomen das ungebotne Hof-
gedinge. Unter den Gerichtszeugen sind: Telo meister van
Cassel, lantbode in dem Nederlande van Lewenburgh; Telo
Hunnenbergh van Mundorpp. Grimm ibid. III, 873. Der nord-
deutsche Geschlechtsname T e 1 1 k a m p f (Dr. T e 1 1 k a m p f , Reichs-
tagsabgeordneter, Prof. der Staatswissenschaften, f 15. Febr. 1876
zu Berlin) ist entstanden aus Teigen- und Tilgenkamp, und dieses
aus dem Kamp, der F^eldmarke, welche mittels der telge, im
Mittellatein telia, dem grünen Zweige als dem Pfandzeichen
eingefriedet ist; der niederdeutsche Name Teiger und Telgter
ist der eben so verbreitete oberdeutsche Zeiger und Zeltner.
Zum Jahre 1575 steht im Luzemer Thurmbuche (no. 3, fol.
449, Luzern. Staatsarchiv) als Gefangener eingezeichnet: »Wilhelm
von Mülhusen (Ob.-Elsass) , genant Teil, eines kesslers son.c
Pfeiffer's Ztschr. Germania 8, 216. Hier ist also Teil schon der
ersichtliche Spitzname eines elsässischen Vaganten. Noch un-
gewisserer Abkunft sind die zwei folgenden Namensträger vom
Jahre 1589 und 1669. Ex S. Tellii traductione emendata:
Macckiavellus N,, Princeps.s, L 1589, 8^ — No. 325 im 11. Ver-
zeichnisse von Heinr. Lessers Antiq.-Handlung in Breslau, 1875. —
Jac. Tellius edirt Ausonit opera, Amsterdam, Blaeu, 1669.
Die nachfolgenden Namensträger gehören in die Mark Bran-
denburg, nach Schlesien und nach Sachsen. Wilhelm Teile
ist der Componist folgender in »Das singende Deutschland« auf-
genommenen Liedermelodien. No. 26: Ich wollt', ich war' ein
Vogel; no. 35: Es sprach dereinst dein falscher Mund; no. 39:
Wenn ich euch, ihr Blumen, sehe; no. 46: Liebes, liebes Auge
Rochholz, rell. und Gessler. 18
274 ^ ^^^ Sagenkreis von Teil.
du. — »Valent. Ludw. Teil oder Dell zu Salzui^en« wird
Seitens der herzogl. sächs. Kreisgerichts-Deputation am 2. Febr.
1854 vorgeladen als Erbberechtigter am Nachlasse des ver-
schollenen Metzgermeisters Joh. Matth. Teil von Salzungen.
AUg. Ausgsb. Ztg. 1854, no. 59, Inserate. — Als preuss. Profes-
soren und Verfasser von verschiedenen Gymnasial-Programmen
sind in Langbeins Pädagog. Archiv von 1861 genannt: Teil
schrieb über Hyperidis oratio fimebris; ebenda, Jahrg. 1863,
Heft 4 : Teile, Prof. am Potsdamer-, und T h e e 1 , , Prorector
am Hirschberger Gymnasium. Der preuss. Prediger Teile schrieb
in den »Märkischen Forschungen,« Ztschr. der Mark Brandenburg
(Berlin 1865), über die Geschichte der Ukermark. Ein Dr. Alb.
Teil in Innsbruck steht als Contribuent an das Nürnberger
German.-Museum mitverzeichnet in des letzteren Jahresberichte
vom I. Jan. 1872, Blattseite 3, Spalte 4. Ein M. J. B. Teil ist
als Erfinder einer neu construirten Locomotive genannt in der
Leipziger Illustr. Ztg. v. 30. Jan. 1864, S. 82.
Den Schluss machen die welschen Teile. Teile, Michel
Constant, Kunsttänzer aus Paris, starb als Balletmeister zu Berlin
1846. — Capitain Dell war, als Commandeur des französ. Forts
der Insel St. Marguerite bei Antibes, seit December 1873 der
Kerkermeister des zu lebenslänglicher Haft verurtheilten und
sodann entsprungenen napoleonischen Marschall Bazaine gewesen.
Hier mag der Personenname etwa ableiten vom Ortsnainen Delle
sur la Halle, Hauptort des gleichnamigen Kantons im Bezirk
Beifort. Denn dieser Ort heisst inTrouillat's Monum. anno 1226
Daile (I, pag. 507); 1219 Daele (I, 477); 1272 Dala (II, 227);
1282 Deyle (II, 352), lauter contrahirte Formen des urk. Namens
Datira (vom Jahre 728) und Dadila (vom Jahre 913), Trouillat I,
pag. 71 und 128. Der deutsche Name dieses Delle ist daher
Dattenried. Mone, Ztschr. 4, 359.
General Teil zu Bukarest, ursprünglich ein walachischer
Pandur, war 1848, während des von der Russenpartei in den
Donau - Fürstenthümern angezettelten Aufstandes , Minister ge-
worden, floh, nach dem Abmärsche der russischen Truppen, in
die Türkei und wurde auf die Insel Chios internirt Wieder heim-
gekehrt, wurde er 1859 unter Fürst Cusa General-Inspector der
Milizen, 1873 Justizminister, 1874 Unterrichtsminister und gab
damals mit Rücksicht auf seine Gesundheit seine Entlassung.
Allg. Augsb. Ztg. 15. April 73; und 24. Jan. 74.
II. Teil als Personen- und Ortsname. 275
2. Urkundliche Namensfälschungen zur Stütze eines
historischen Wilh. Teil.
Das schweizerische Adelsgeschlecht Vom Teil ist ein
Namensgespenst, das von der Wortspielerei der ostschweizerischen
Chronisten ausgesonnen, hierauf von Gilg Tschudi's Wappen-
und Titelsucht in geschichtlichen Umlauf gesetzt und erst von
der Quellenkunde der Neuzeit nach vieler Mühe zur verdienten
Ruhe gebrächt worden ist. Ein doppelter Aberglaube musste
dabei vertilgt werden, derjenige, dass je ein schweizerisches
Adelsgeschlecht Teil bestanden, sodann dass es jemals eine
Klingenberger Schweizerchronik gegeben habe. Der Sachverhalt
ist beiderseits nachfolgender.
Das Jahrbuch des Zürcher Ritters und Schultheissen Eberhard
Müller, herausgegeben von der Zürcher Antiq.-Gesellsch. 1844,
reicht von den Jahren 1336 bis 1386; dasselbe notirt den ersten
Bund der Dreiländer 1306 und die Schlacht am Morgarten 1315,
erwähnt von der Teilen- und Gesslergeschichte nichts, sondern
setzt an deren Stelle den Auflauf zu Zürich 1336 und Zürichs
Eintritt in den Bund 1350. Gleichwohl erzählt derselbe Eberhard
Müller von jenem historischen Ritter Heinrich Gessler, welcher
1385 der Österreich. Herzoge Rath und Landvogt des Amtes
Grüningen war und von seinem dortigen Burgsitze zu Grüningen
der Stadt Rapperswil erfolgreich zu Hilfe kam, als letztere durch
Zürich in einem Handstreich eingenommen werden sollte. Der
Chronist verzeichnet sodann (auf S. 65) die Ritter- und Edel-
geschlechter im Aargau, ohne dabei die aargauer Gessler mit zu
nennen, geht S. 66 über auf die Adelsgeschlechter im Thurgau
und dortigem Umkreise und nennt hier, unter den wild durch-
einander geworfenen Adelsnamen aus dem Algau, dem Thur-,
Aar- und Zürichgau, unvermittelt die vom Teil. Irgend einen
Aufschluss über diesen Namen und dessen Beziehungen giebt
er nicht.
Ganz dasselbe unklare Verhältniss zeigt sich bei Eberhard
Müllers unmittelbarem chronistischen Nachfolger Ludwig von
Helmsdorf. Dieser ist von dem gleichnamigen Schlosse bei
Immenstadt (bairisch AUgäu) gebürtig, wird Conventuale zu St.
Gallen und verfasst hier neben mehreren vom Jahre 1436 datie-
renden Schriften, die auf der St. Galler Stiftsbibliothek verwahrt
i8*
270 !• I^cr Sagenkreis von Teil.
liegen, eine Weltchronik, welche auszugsweise in des St. Galler
Bürgermeisters Joh. Vadian Collectaneen und in dessen Grössere
Chronik übergegangen ist. .Helmsdorfs Werk selbst galt als ver-
loren. Der neueren Forschung aber und namentlich Gustav
Scherrers Untersuchungen [in der Schrift: Kleine Toggenburger
Chroniken 1874; hier von S. 69 bis 81] ist der Beweis gelungen,
dass Helmsdorfs Werk dasselbe ist, welches seit längster Zeit
Hüpli's oder Sprengers Chronik hiess, dann aber seit Tschudi
und erst neuerlich noch durch Ant. Henne den Namen der
Klingenbergerchronik annehmen musste. Dieser Hergang ergiebt
sich aus folgendem Sachverhältnisse. Ritter Ludwig von Helms-
dorf in Zuckenried, welches Gut er 1504 von den Mundprat
gekauft hatte, vermählt mit einer Freiin von Klingenberg, 15 30
Vogt zu Bischoffszell , Hess durch den St. Galler Pater Hans
Konr. Haller von Wil (genannt Obolus, f 1525) die Helmsdorfer
Familienchronik in's Reine schreiben und lieh sie im Febr. 1530
auf etliche Monate an den vorgenannten Vadian; des letzteren
Brief hierüber ist noch vorhanden. Dass dieselbe alsdann zu
Frauenfeld in der Locher'schen Familie aufbewahrt worden und
dass in diesem frauenfelder Exemplar der Helmsdorfer Chronik
der vollständige Text der sogenannten Klingenbergerchronik ent-
halten gewesen ist, dies erweisen uns die mehrfachen hinter-
lassnen Zeugnisse, welche hierüber in dem handschriftl. Nachlasse
des St. Galler Bibliothekars Jodok Metzler, f 1639, gegeben sind.
Aus der Helmsdorferchronik haben Tschudi und Vadian gleich-
lautend den Catalogus des Thurgauer Adels copiert (welchen
Katalog aber nur Tschudi , und sonst Niemand »Klingen-
bergius« benannt hat), und dem Wortlaute der Helmsdorfer-
chronik nach beginnt Tschudi's Wappenbuch die Liste der thur-
gauisch-toggenburgischen Adelsgeschlechter also: Nota; aliqd,
Toggenburg; Vom Teil. Eben daher rührt es nun, dass in
der von Ant. Henne 1861 edierten sog. Klingenberger Chronik
unter dem gleichen thurgauer Adelsverzeichnisse S. 56 die
vom teil angeführt stehen.
Dieses Vom Teil ist übrigens nichts anderes* als ein etwa
sechs Bauernhäuser zählender Weiler, der zwischen zwei Höhen-
zügen in einer kleinen futterreichen Aue gelegen ist auf dem Wege
von toggenburgisch Hemberg nach appenzellisch Urnäsch; diese
Häusergruppe wird in Leu 's Lexikon 18, S. 65 und 74 benannt:
II. Teil als Personen- und Ortsname. 277
Auf dem Thäller, und In der Theel;*) und heisst in der
Statistik des Kantons Appenzell, von Rüsch, S. 237 : Der Weiler
Teil.
Ein zweites Namensgeschlecht Teil, das in den Urner-Jahr-
zeitbüchern genannt sein sollte, hat sich in diesen zuletzt gleich-
falls als eine Täuschung erwiesen.
Wilhelm Franz Willimann von Romont im Kt. Freiburg, als
Franciscus Guillimanus zu »Ende des sechzehnten Jahrhunderts
Professor an der Hochschule zu Freiburg im Breisgau, unter Kaiser
Rudolf II. kaiserlicher Rath und Reichshistoriograph , stützte
seinen Zweifel gegen den historischen Teil auf den Umstand, dass
dieses Helden Landsleute, die Umer, unter sich selbst in Zweifel
seien über dessen Wohnsitz und Geschlecht, und über dessen
Nachkommenschaft nichts anzugeben vermöchten.**) Man fühlte
in Uri das Gewicht dieses Einwurfes und suchte es auf verschie-
dene Weise zu entkräften. Der Urner Landschreiber Hess hielt
entweder, oder veröffentlichte am 7. December 1680 einen »Dis-
cours«, welcher abschriftlich enthalten ist in dem aus Uri nach
Bern überschickten Sammelbande, auf dortiger öffentlicher Biblio-
thek bezeichnet „Telliana H. II. 4°". Hier heisst es: »Der Ein-.
Wurf, dass von dem Tellengeschlecht kein gedechtnus mehr vor-
handen, und desselben Heldenthat mit keiner gemässen recompens
zur nachfolg vorgestellet worden seye, wird kürtzlich beantwortet,
dass vielleicht diesses geschlecht nit gross noch volkreich gewesen,
dahero aber niemand davon übrig.«
Gab man nun in Uri schon 1680 obrigkeitlich zu, von Teils
Nachkommen daselbst nichts zu wissen, woher konnte dann Joh.
von Müller seine so späte und so zweifellos ausgedrückte Angabe
geschöpft haben : Wilhelm Teils Mannsstamm sei zu Uri mit Joh.
Martin 1684, der weibliche um 1720 mit Verena erloschen?
Eben aus gefälschten Urner Kirchenbüchern. Den Hergang hat
J. E. Kopp in den Geschichtsblättem aus der Schweiz 1854. i,
315 nachgewiesen, und die nun folgenden Documente sind von
ihm aufgefunden. Es war ihm im Jahr 1832 zu Altorf erzählt
worden, eine im Jahr 1806 verstorbene 86jährige Altorfer Frau
♦) Die Theel ist mundartl. Form für Dähle, Kiefernwaldung; die Teil
heisst hier und anderwärts eine kleinere Thalfläche.
*•) Brief vom 27. März 1607: Ipsi Uranii de ejus sede non conveniunt, nee
familiam aut posteros ejus ostendere possunt.
"278 ^' ^®' Sagenkreis von Teil. •
habe sich noch genau erinnert, den letzten Tellensprössling selber
gesehen zu haben; dies sei die Verena Teil gewesen, ledig und
blödsinnig, welche von Attinghausen nach Altorf bettelnd herüber
zu- kommen pflegte. Kopp begab sich daraufhin nach Atting-
hausen, untersuchte die dortigen Ehe-, Tauf- und Sterbebücher
und legte hernach deren Ergebnisse vor, wie folgt:
A. Ex libro Matrimoniorum.
i66i, 20. Nov. nuptias celebrarunt Jo. Martinus Näll et Anna
Mar. Albert.
Ä Ex libro Baptizatorum.
Aus vorstehender Ehe sind, nebst einem im Jahre 1663
geboriien Sohne Johannes Näll, noch folgende Töchter ent-
sprössen :
1664, 26. Oct. nata: Anna Maria Neil,
1666, 26. Mai „ Maria Magdalena Näll,
1667, 7. Oct. „ Anna Maria Näll,
1669, II. Juli „ Maria Verena Neil,
1678, 5. Mart., getauft ein Söhnlein Mariae Täll, der Erst-
genannten Tochter.
C Ex libro Defunctorum.
1675, 22. April obiit infans Anna Margarita Täll,
1675, 24. April „ Anna Maria Täll,
1684, 10. Dec. „ Joh. Martin Täll,
. 1741, 27. Mart. „ Virgo Maria Verena Neil,
Omnibus sacramentis munita, aetatis suae 72.
Es ist leicht einzusehen, wie verschieden in diesen Büchern
der Geschlechtsname Johann Martins und seiner Kinder geschrieben
ist. Heiratet der Vater als Näll und werden die Töchter als
Näll oder Neil getauft, so sterben sie nach wenigen Jahren als
Täll. Es hat daher in neuerer Zeit Dekan Gissler zu Attinghausen
in sein wohlgeordnetes Geschlechterbuch den Namen Täll gar
nicht, wohl aber obigen Neil aufgenommen. Soweit Eutych Kopp.
Nach der Hand hat Hauptmann Müller von Altorf die Atting-
hauser Pfarrbücher abermals nachgesehen und Kopps Befund durch
öffentliche Beistimmung bestätigt. Allerdings, erklärt Müller, findet
sich dorten in den Tauf-, Ehe- und Sterberegistern der Familien-
name Näll von sämmtlichen Attinghauser-Pfarrherren gleichmässig
eingetragen, bis auf den Pfarrer Joh. Barthol. Megnet, der hier
von 1672 — 1691 im Amte stand. Jede Person des unter seinen
Vorgängern als Näll eingeschriebnen Geschlechtes setzte dieser
II. Teil als Personen- und Ortsname. 27Q
als Teil in die Register^ so dass die unter ihm. gebomen und als
Teil in die Geburtsregister eingetragnen Künder, nachdem sie ihn
überlebt hatten und gestorben waren, wieder als Näll im Sterbe-
register erscheinen.
Neil ist wirklicher Geschlechtsname in Uri und steht als
solcher im »Alten Ammannbuchc, einem aus dem Ende des vier-
zehnten Jahrhunderts stammenden Verzeichnisse derjenigen, die in
Uri das Landrecht erworben haben. Der erste Neil daselbst
kommt aus dem ennetbirgischen Bomatt (Formazathal) anno 1400
um 20 Pfd. Pfenn. in's Umer Landrecht, ein zweiter mit dem Vor-
namen Martin anno 1447 ebenso um 4 Gl. Diese und deren
Abkömmlinge sind es, deren Namen im Attinghauser Pfarrbuche
vom Pfarrer Megnet radiert und in Teil umgeschrieben worden
sind. Neil ist Namenskürzung aus Petronell: die Nellenbalm am
Rande des untern Gletschers von Grindelwald ist zubenannt nach
dem dortigen Kirchlein zur heiligen Petronella, das seit 1577 zer-
stört liegt. «
Da Schatdorf die ehemalige Filialkirche Bürglens ist, letzteres
aber als Teils Geburtsort angenommen wird, so lag in diesem
Zusammenhange die Versuchung, ähnliche Namensfalschungen zu
Gunsten Teils auch hier vorzunehmen. Das Schatdorfer Jahrzeit-
buch ist von dem Zürcher Predigermönch Jakob von Aegeri be-
gonnen und am 28. Weinmonat 15 18 vollendet. Hier heisst es
zum 21. Januar: »Walter trullo, Cueni sin sun.« Eine nach-
künstelnde blassere Hand hat aus dem Worte trullo, durch Ver-
änderung der ersten drei Buchstaben, ein de tello gemacht. Allein
der Augenschein und die dorten weiter sich wiederholenden Trullo
(der spätere Geschlechtsname Dryll) lösen die Täuschung ohne
Mühe auf. Auch dies hat E. Kopp aufgedeckt und bekannt
gemacht.
Zu Ende des vorigen Jahrhunderts begann der Familienname
TeU als ein aargauischer vorübergehend von sich reden zu machen.
Der Watländer Bridel *) berichtete damals in seinem »Spaziergang
durch einen Theil des Aargaues«, wie er das Pfarrdorf Kirchberg-
Biberstein, zunächst bei Aarau gelegen, besucht habe und von
dem dortigen Bemer Landvogt zu der sehr zahlreichen Bauem-
familie Teil in Biberstein gefuhrt worden sei. Dieselbe, fügt er
bei, nimmt übrigens wenig Kunde von der Rolle, die ihr Name
*) Kleine Fussreisen durch die Schweiz. Zürich 1797. Th. 2, S. 125.
28o !• ^c' Sagenkreis von Teil.
seit einiger Zeit spielt. Sie weiss nichts davon, dass ihr erster und
einzig berühmter Wilhelm zu Schauspielen, Dramen, Opern und
Pantomimen Anlass gegeben hat; dass vor kurzem seine Lebens-
beschreibung, mit vielen in seinem eignen Vaterlande ganz un-
bekannten Anekdoten geziert, erschienen ist; dass man sein Por-
trät, »nach der Natur gemalt,« in allen Grössen, und selbst seine
Büste in Alabaster haben kann. Bridel deutet mit diesem neuen -
Tellencultus auf die politische Erregtheit hin, die damals in den
schweizer Unterthanenländern, ein solches war der Aargau, gegen
die regierenden Kantone herrschte und dann im nächstfolgenden
Jahre die ganze Schweiz gewaltsam umgestaltete. Nachdem der
französische General Brüne am 5. März 1798 die Stadt Bern zur
Uebergabe genöthigt hatte, dachte er daran, statt der bisherigen
18 Schweizerkantone und ihres aristokratischen Verfassungs-Misch-
masches, grössere Schweizergaue zu errichten, auf Volksrace und
Nationalsprache gestützt, und beauftragte seinen Commissair Le
Carlier, dieses Project auszuarbeiten. Schon am 16. März darauf
wurde das Reglement zur neuen Gebiets-Eintheilung veröffentlicht,
wonach die Schweiz nunmehr aus folgenden vier Gauen bestehen sollte,
i) Rhätien, mit dem ganzen rhätischen Sprachgebiete.- 2) Rho-
_ danien, mit dem welschen Sprachgebiete der damaligen Kantone
Leman, Freiburg, Oberland, Wallis und den italienischen Vogteien.
3) Helvetien, mit dem deutschen Sprachgebiete voii Basel, Bern,
Luzern, Solothurn, Aargau, Schaff hausen, . Zürich, Thurgau, St.
Gallen mit Sargans, und Appenzell. 4) Tellgau, Tellgovie,
enthaltend die demokratischen Kantone Uri, Schwyz, Unterwaiden,
Zug und Glarus. Vgl. Correspondence du General Brune etc.f
1859. AUg. Augsb. Ztg. 1859, ß^iJ- ^o. 57. Dieser Plan fand
weder in der Schweiz, noch beim französischen Directorium Zu-
stimmung und wurde am 29. März wieder zurück genommen;
statt seiner wurden die achtzehn Kantone unter das gemeinsame
Helvetische Direktorium gestellt, welches den Schützen Teil in
sein Amtssiegel nahm, und aus dem beabsichtigten Tellgau ent-
stand nun der neue Kanton Waldstätten. .
Die lange Reihe vofi hierauf folgenden Kriegs- und Noth-
Jahren gab nicht Anlass, der Bibersteiner Namensanekdote weiter
nachzufragen; als dieselbe aber im Beginn dieser Siebenziger Jahre
von den politischen Journalen wieder hervorgezogen wurde, fand
sie ihr plötzliches Ende. Der Verfasser dieser Blätter veröffent-
lichte damals einen Bericht : die Familie des Wilhelm Teil in Biber
II. Teil als Personen- und Ortsname. 28 1
stein, *) und wies dieselben Namensialschungen, welche zu Gunsten
eines vermeintlichen Tellengeschlechtes in den Urner Pfarrbüchem
enthalten sind, auch im Bibersteiner Pfarrbuche nach. Hier steht
unter den Ehen eingezeichnet, August 1588: Jörg Täller mit
Margarethe Burkart; beider Kinder sind: Hans Ulrich, geb. 1590;
Jakob 1591; Elisabeth 1598, alle des Geschlechtes TäUer.
Allein der Erstgeborne Hans Ulrich Täller verehlicht sich 1614
mit Verena Bott und steht nun in der Reihe der Getrauten ein-
geschrieben als Hans Ulrich Teil, ja er lässt seine in den Jahren
1616 bis 1627 erzeugten fünf Kinder alle unter dem Teilen-Namen
ins Taufbuch eintragen. Auf diese folgen dann noch vier weitere
Däll als Täuflinge von 1696 bis 1700, und so sind im Ganzen
53 Gebome, Verehlichte und Gestorbne dieser Sippschaft im
Kirchenbuche enthalten, eine Namensreihe, die vom Jahr 1588 bis
1861 reicht. Erst mit dem Jahre 1777 erscheint unter den Getauf-
ten ein Wilhelm, des Hans Rud. Teil; alsdann 1804: Wilhelm,
des Kasp. Teil Söhnlein; letztlich 1842 Wilhelm, der Wittwe
Elisabeth Teil, gebome Styner, Söhnlein. Daraus ist ersichtlich,
dass die bestimmte Beziehung auf den historischen Teil hier erst
in allerletzter Zeit erfolgte. Ganz denselben Vorgang entnimmt
man aus dem Tauf- und Todtenrodel des berner Dorfes Rogg-
wil im Emmenthale, wohin zu Anfang dieses Jahrhunderts Wilhelm
Teil von Biberstein ausgewandert war. Letzterem werden dorten
geboren, 1819, 21. Februar: Wilhelm, ehlicher Sohn des Wilh.
Teil von Biberstein und der Verena Lanz von Roggwil; f 1821;
sodann am 12. April 1820: Wilhelm, Eltern die nemlichen.
Auch hier legte also der Vater seinen beiden Knaben denselben
Vornamen aus historischer Vorliebe bei. Diese Anführungen alle
sind genommen aus den amtlichen Mittheilungen, welche zu Kirch-
berg-Biberstein der dortige Ortspfarrer J. Pfleger am 6. Mai 1861,
und im gleichen Jahre zu Roggwil dex dortige Pfarrer Stooss dem
Verfasser vorliegenden Werkes übersendet hatten.
Der Geschlechtsname Teller entspringt aus einem Flurnamen
und ist in den deutschen Kantonen ein stark verbreiteter. Teller
nennt man den kleinen beweidbaren Hang eines Bergrückens, es
ist also einer der mehrfachen Werkzeugsnamen, welche sich in
den Bergnamen zu wiederholen pflegen: Wanne, Mulde, Kratte,
*) Aarauer Nachrichten, 8. Dec. 1871.
I
t
282 ^' ^^^ Sagenkreis von Teil.
Kiste, Kessel, Pfanne, Pfannenstiel. Oertliche Fluren und urkund-
liche Sippschaften des Namens Teller sind nachfolgende.
Eine Zehenteinschreibung im Jahrzeitbuche der Kirche von
Schatdorf in Uri lautet: »Toni Künen kind sol l. Schilling von den
gutem zu Teueren vnder der Gass, stossend bis an den Schachen.
(Beisatz:) ist abgelösst 1605.« Hds. Hefte zur Gesch. Teils, ver-
fasst von Hauptmann Müller zu Altorf in Uri.
Teller, Gemeindeweitung des aargauer Dorfes Kirchleerau.
Tellermättli, eine kleine Hauswiese, mitten im aargauer Dorfe
Birmensdorf und hier an der Tellermättli - Gasse gelegen; diese
Matte enthält einen Wassersammler oder Theiler, von dem die
Brunnenteucheln für die Hausbrunnen jenes Dorfviertels ausgehen.
Südöstlich von der Burg Strättlingen gegen den Thunersee liegt
nahe beim Dörfchen Ghey das Gut Im Teller. Archiv des
Bemer historischen Vereins IV, S. 80. — Telleri liegt z,wischen
Oberwil und der Stadt Zug; Tellern ist eine Flur der Gemeinde
Wäggis am Waldstättersee ; Tellern und Teilerle sind appen-
zellische Localnamen; über diese und über den Tellernsee
siehe Berlepsch, Schweizerkunde 1864, S. 60. 73. 190.
Aus der sehr grossen Reihe der Urkundspersonen Namens
Teller seien hier nur die ältesten und die neuesten ausgehoben.
1386, Wemh. Teller zu Langnau im Emmenthal. Archiv für
Schw.-Gesch., Bd. 17, 132.
1401 bis 1500 sind die Teller ein Bürgergeschlecht zu Win-
terthur, welches dorten vom Jahre 1601 an Deller und Dalier
heisst. Troll, Gesch. v. Winterth., Bd. 7, S. 17. 18.
1407, I.September, zu Zürich. Hans Theiler ist Kaplan des
Altars und der Pfründe St. Jost in der Kapelle auf Schloss Bal-
degg. Urkunden des Klosters Frauenthal, in Zurlaubens Stemmato-
graphie. Ms., Bd. 80, 369.
1414 stirbt Joh. Teller, JDecanus in Hochdorf. Gesch.-Freund
Bd. S, 113.
1479, 9. August, schwört Rudi Teller Urfehde, nachdem er
im Wild- und Freibade zu Pfeffers sich mit Ehebruch vergangen
und darüber in des dortigen Abtes gefängliche Haft gerathen war,
und vergütet die erlaufenen Gerichtskosten. Regesten der Schweiz.
Archive und der Abtei Pfeffers, I. no. 700.
ijfoö obiit Magaritha Tellerin^ tixor Petri RosenschiU, pagi
Beranensis Ammannu Fol. 349 des Jahrzeitbuches des Stiftes
Beronmünster , einst im Klosterarchiv Muri, nun im aargauer
II. Teil als Personen- und Ortsname. 283
Staatsarchiv, F. i. — iß^o, die 30. Apriliis obiiiDm, Joannes Teller y
sive Teillerj ecclesia Beronens. canamais, capitult Hochdorfiensis
decanus; ibid. Fol. 89 b. — /jrpi* obiit Eberhardus Teller, Beronen-
sis; Fol. 269. Dieselbe zwischen Teller und Teiller schwankende
Namensform kehrt daselbst wieder: Fol. 361 und 376.
1532 ist Petrus Theller Meier des Zehntens Raron in Wallis.
Furrer, Gesch. v. Wallis II, 254. Aus diesem gleichen Greschlechte
ist 1565 Nikol. Theller Domherr zu Sitten. Leu, Lex. 18, 75.
Die weiteren Urkundspersonen dieser Sippschaft verzeichnet Furrer
1. c. III, 324 u. 326.
Von den Neuzeitlichen dieser Namenssippe genügen folgende.
Teller, Romanus, Biblia germanice. Lpz. 1749. Teller, Joh. Friedr.,
Wörterb. des N. Testamentes, Lpz. 1775. Peter Teller v. Zwei-
brücken, Studienrector zu Augsburg, stirbt daselbst 1865. (Eos,
Süddeutsche Gymnas. - Ztschr. 1865, Heft 2, 312.) Kohler und
Teller, Buchdruckerei in Offenbach a./M., 1868.
Den bisher erwähnten Personennamen liegen die drei Local-
namen zu Grunde a) die Teil, eine kleine Thalfläche, nhd.
Delle und Dälle, kleine Vertiefung; b) die Teile, der Theil,
die Zahlungsquote, die Mautstelle; c) der Teller, die beweid-
bare Mulde eines Berghanges. Letzterer Name aber ist eine
sinnbildliche Entlehnung aus Essteller, der in der lateinischen
Bauemsprache taleare, italienisch il tagliere, französisch tailloir
heisst, weil er ursprünglich ein Rundbrett, oder auch ein Brod-
fladen war und dazu diente, die darauf zerschnittnen Fleisch-
portionen an das Hausgesinde au s zu th eilen. Ist demnach das
Zerschneiden und Vertheilen der Sinn des Wortes Teller, so muss
auch der davon ableitende Personenname einen ähnlichen Begriff
enthalten. Lateinisch taleuy mittellateinisch taUiay altfranzösisch
taille^ italienisch taglia, englisch talley' \msst Schnitt und Kerbe,
bedeutet in rechtsgiltiger Anwendung die Steuer und »Accise«,
und führte zu den mittellateinischen Wortformen telonium, die
Teile, Kopf- und Grundsteuer; ielonearius, der Teller, Steuer-
einnehmer; lauter wörtliche Belege des ursprünglichen Brauches,
den Betrag der Zölle, Steuern, der Umlagen und des gegen-
seitigen Privat-Guthabens auf Kerbhölzer zu schneiden und nach
deren Ausweis zweimal des Jahres, auf beide Jahreshälften ver-
theilt, die Summe einzufordern. Käufer und Verkäufer, die über
den in ihrem Handel fixirten Werth gegenseitig einig geworden
waren und darüber untrügliche Buchführung halten wollten, nahmen
284 ^» ^^' Sagenkreis von TelL
ein vierkantig gehobeltes, in zwei gleiche Hälften gespaltenes
Stäbchen und schnitten quer über dessen Spalt den Betrag und
Preis der bezognen Waaren in einerlei Kerben hinein, worauf
jeder von Beiden eine Hälfte des gekerbten Steckens als Quittung
mit sich nahm. Am Zahltage wurden beide Hälften wieder ver-
einigt und aus ihren auf einander passenden Kerben ergab sich
das gegenseitige Soll und Haben: eine in duplo ausgestellte und
ebenso bei der Bezahlung in duplo quittierte Rechnung. Es ist
hier nun der sprachliche Einwurf vorauszusehen, dass wir taka
und telonium fälschlich unter Einem Wortstamm vereinbaren, da
doch jenes nun die Teile, dieses aber der Zoll heisse.
Allerdings schreibt schon eine ahd. Glosse aus dem achten
Jahrhunderte: telonariusy zollanari, Graff, Diutisca i, 269b.
Allein obschon Lehen- Wörter , die von der gothischen Lautstufe
auf die althochdeutsche rücken, ihr griechisch-lateinisch T in Z
wandeln (Tavernae Zabem; Metae Metz; Strataburc Straszburg),
so kommen diejenigen Wörter, welche zweimal entlehnt
sind, sowohl mit Z als mit T vor: tegula, Ziegel und Tiegel
(Tegel ist mundartlich der Lehm); cuttis, Kutte und Kotze;
porta, Pforte, Pforzich (atrium) und Pforzheim; teloneum, Zoll
und Teile. W. Wackemagel, Umdeutschung fremder Wörter
1861, 12. Für die Richtigkeit des letztgewählten Beispieles dient
als Erweis die Namensgeschichte des noch bestehenden Bemer
Geschlechtes der Thellung von Courtelary. Seine urkundlichen
Namensförmen seit dem fünfzehnten Jahrhunderte stehen ver-
zeichnet bei Blösch, Geschichte der Stadt Biel, i, 179. Dies
Geschlecht, bei welchem das Amt eines bischöflich Baslerischen
Meiers und Amtmanns der Stadt zu Biel beinahe erblich war,*)
war aus dem welschen Theile des Berner Jura unter dem Namen |
Taillon**) nach Biel gekommen, nannte sich hier später Tellikoa
und heisst jetzt Thellung, d. i. Steuermeier und Steuerzahler.
Die Thellungen nennt Pater Sigismund Furrer, Gesch. desj
Kant. Wallis 2, 115 sachlich die Steuerzahlungea
Die Teilrodel und Teilbücher, enthaltend das Ver*
zeichniss und den Ansatz aller Gemeindesteuerpflichtigen, gehören]
mit zu den ältesten Provinzialurkunden über die ehemaligen
*) Haberer, Schweizer-Regiments-Ehrenspiegel. Zug 1706. I, 70.
*•) Bischof Peter von Basel erwirbt 1295 thelonium oppidi de Bielle^j
Trouillat, Mon. II, No. 456.
II. Teil als Personen- und Ortsname. 285
Bevölkerungsverhältnisse der Schweiz. Die ältesten Teilrodel im
Bemer Staatsarchiv sind von 1384, ein »Tellbuch uflf dem land
in allen kilchspilen« vom Jahre 1395. Schweiz. Statist.- Archiv
1860, no. 5. Als in dem erstgenannten Jahre die Stadt Bern
durch Kriege verschuldet war, legte sie eine Steuer von 4 Procent
auf das Bürgervermögen, und der Stadtchronist Konr. Justinger
(Ausg. V. Studer, 1870, 159) erzählt dies unter der Ueberschrift :
»Von den grossen teilen, so die von Bern anleiten.« Dieser Name
der Steuer besteht dorten noch und giebt zur gleichen Namens-
missdeutung Anlass, die uns hier beschäftigt. Als im Jahre 1855
die in Bern domicilierenden eidgenössischen Bundesbeamten dem
kantonalen Teilgesetze unterworfen werden sollten und darüber in
langem Streite Bericht und Gegenbericht erschien, meinten
öffentliche Blätter, jene Beamten sollten sich der neuen Steuer
gutwillig unterziehen »schon aus Anhänglichkeit an Vater
Teil, dessen Namen ja dieselbe trage«. Handelscourier vom
3. April, 1868.
Wir zeigen nun die Teil als örtliche Benennung der Grenz-
maute und schicken die Bemerkung voraus, dass der zwischen
E und 0 wechselnde Stammvocal des Wortes hier abhängig ist
von der vielgestaltigen Lateinform tholoneum, tollenium; denn schon
bei Hincmar VI, 525 heisst der Vorstand der Reichszollverwaltung:
Mercati Palatii tolonearius. Henschel, sub voce tolon.
Zweierlei Namensformen für dieselbe Sache begegnen hier.
Die vorarlberger Ortschaft Thöll, Landgericht Schlanders,
heisst in Lateinurkunden Teiles, infra Teiles, Von diesem Orte,
und über die Teil, eine Zoll- und Mautstelle bei der Feste
Bybeneck im tiroler Innthale, wird in nachfolgenden Urkunden
gehandelt.
1288, 23. November, Gries in Tirol. Albert Graf von Görz
überlässt seinem Bruder, dem Herzog Meinhard von Kärnten,
Grafen von Tirol, käuflich auf ein Jahr die Zölle zum Lug,
Passeier, Sterzing, Insbruck, Nauders, Ruckschein, Bozen und in
der Teile. Chmel, Fontes rer, Austr. I. Abth. 2, S. 238.
1319, 16. Januar, Tirol. Herzog Heinrich von Kärnten
urkundet in St. Zenoberg theloneariis apud Tellam et Lar. Kopp,
Eidg. Bünde IV. 2, S. 320.
^305i 7- Januar. König Albrecht belehnt die herzoglichen
Brüder Otto, Ludwig und Heinrich, als Grafen von Tirol, mit den
I
L
286 I* ^cf Sagenkreis von Teil«
Zöllen zu Bozen und an der Thöll. Lichnowsky II, Urkk.
no. 461.
1403, 21. September, Bozen. Herzog Friedrich verpfändet
dem Friedrich Hauensteiner, Münzmeister in Meran, den Zoll an
der Teilen. Lichnowsky VI, Urkk. pag. XVII.
1404, 6. August, Graz. Herzog Leupold bestätigt dem
Kloster Stambs Zollfreiheit und meldet dies dem Hauptmann,
Amtmann und dem Zöllner an derTeel. Lichnowsky VII, Urkk.
pag. 241 römisch.
1446, 2. April, Wien. Hans an der Teil, Machtbote der
Gerichte und Aemter der Grafschaft Tirol, vereint mit des Landes
Adelschaft, Bürgermeistern und Abgeordneten, stellt dem König
Friedrich III., als dem Vormund Herzog Sigmunds von Tirol,
einen Schuldbrief auf 30,000 Gulden aus. Chmel, Materialien z.
österr. Gesch. I, S. 202, no. ^(> römisch.
1460. Hans Töller ist des Rathes zu Winterthur während ,
der zwölfwöchentlichen Belagerung dieser Stadt durch die Eid-
genossen. Troll, Gesch. v. Winterth. i, 40. Das Luzerner
Barfüsser -Jahrzeitbuch enthält unterm 15. Wintermonat die Ein-
zeichnung: »Wir sond jarzit begän mit vigil Her Hansen toellers
des Dechen (Dekans), und Hensly toellers sins bruders, Anno
1473.« Gesch.-Freund, Bd. 13, S. 21.
Die Tellenburg, eine Stunde hinter dem Dorfe Frutingen
im berriischen Kanderthale gelegen, ist ein viereckiger gewaltiger
Steinthurm, der bis auf die Gegenwart als Amtslocal benutzt
wird. .Der Ortsname hat sich seit dem vierzehnten Jahrhundert
nicht verändert. Mit Urkunde v. 24. Mai 1352, actum Bemo, über-
giebt der Freiherr Johann zu Weissenburg an die Stadt Bern
auf 5 Jahre alle seine Einkünfte im Frutinger- und Kanderthale,
et nominatim castrum dictum Tellon,\ Thal und Schloss giengen
bald wieder an den Freiherrn zurück. (lurri-Laubiani stemmatis
cartae genealogicae , tom. IV, pag. 201, 21S. Ms. der Aargauer
Bblth.) Am 10. Juni 1400 verkauft Ritter Antoni von Thum an
Bern um 6200 Gulden die Schlösser von Velsen und Tellon
(primo castra de Petra et Tellon, sita in Frutingen), ibid. Stent-
matographia Helv, , tarn, p , 5. 874.. Die Tellenburg auf ihrem
kegelförmigen Bühl bildet ein kleines Vorgebirge, das vom
Fusse des Mittagshomes auslaufend, an dem hier endenden
Scheidungsgebirge des Engstelen- und des Kanderthales liegt und
das ganze Frutingenthal dominiert. Sicherlich war hier die Zoll-
II. Teil als Personen- und Ortsname. 287
Stätte, wo das Geleitsgeld für die Saumthiere und Fussgänger
{pedagia seu theUmea) erhoben wurde. Am Fusse des Schlosses
liegt das Tellenfeld und die Häusergruppe Teilen, beide zur
Kirchgemeinde Frutingen gehörend. Aus dieser Sach- und
Namensähnlichkeit ist wohl auch die bekannte Sage entsprungen,
Wilhelm Teil sei Meier (also auch Zollner) zu Bürglen in Uri
gewesen. Das Saumross, auf welchem die Güter über den Gott-
hard nach der Lombardei gesäumt werden, heisst nach der Zoll-
Last des Waaren-Bündels das Theilross, und sein Säumer der
Theiler; beides nach dem italienischen taglia. Stalder i, 277.
Pfeiffer, Habsb.-östereich. Urbarb. 360.
Der lombardische Flecken Teglio in der Provinz Sondrio,
rechts an der Adda, leitet seinen Namen von der Burg ab, die
■ in lateinischen Urkunden Telium , Teglium und Tilium heisst,
; und hat der Provinz Veltelin, Vallis Teilina, den Namen gegeben.
; Dieser Ort und die ganze Provinz hiess in der deutschen Schweiz
^Auf der Teil; vgl. Fortunat Sprecher, Rhetische Cronica v.
1672, S. 214, 215. Und so wird dem Dr. Gatti aus Veltlin 161 1
;zu Händen des Rathes zu Winterthur bezeugt, er sei adeligen
(Geschlechtes und ab der Teil in Veltlin gebürtig. Troll,
Gesch. V. Winterth., Bd. 8, S. 320.
3. Tall und Däle, die Bergföhre.
Die nordisch gemeine Kiefer, pinus silvestris, benennt sich
im Althochdeutschen und Altnordischen mit dem Wortstamme
tal, der dann im Neudeutschen verloren geht, jedoch in ober-
bairischer, schweizerischer und, auffallender Weise, auch in der
rhäto-romanischen Mundart mit wundersamer Ausdauer bis heute
fortlebt. In mehreren Gebirgskantonen der Schweiz heisst die
Föhre und Kiefer, die da die Baumgrenze der höchsten Berg-
Jnippen bildet und z. B. an der Grimsel bis 6000 Fuss hinauf
vorkommt: Däl-e, Dälle und Thel, und die aus diesem Holze
gehauene Haglatte heisst Teile und Delle. Stalder i , 275.
Es lässt sich diese Benennungsweise vom Entlebuch und Emmen-
thal an hinüber in's Berner Oberland verfolgen, von da nach
Oberwallis und Graubünden, von hier geht sie östlich in's
Sarganser- und Appenzellerland und verräth sich selbst in einigen
V
288 !• I^cr Sagenkreis von Teil.
Thalschaften von Welschtirol. Denn hier allenthalben ist jener
Baumname namengebend geworden für Ortschaften und Geschlechter.
Wir beschränken indess unsem Nachweis zunächst auf die Kantone
Wallis und Bünden, weil allbeide zweisprachig sind.
In Wallis ist das Geschlecht Theler und Zer Telen, laut
Furrers Urkunden zur Geschichte des Wallis, in den Bezirken von
Leuk und Raron alteinheimisch. Gertscho zer Telen ist 1434
einer der Landschafts -Bevollmächtigten, welche zu Raron einen
politischen Vertrag abschliessen (Furrer, Th. 3, S. 210). Eben
daselbst erscheint 1525 zu gleichem Zwecke Antillo zer Telen
(3> 313)» ebenso ist 1552 unter den Ausschussmännern der Sieben
Zehenten des Landes : Joannes Thaeler (3, 342), und einer desselben
Geschlechtes, Heinrich Theler, ist 1627 Pfarrer zu Sitten (i, 355).
Walliser Ortschaften, nach diesem Wortstamme zubenannt, sind
I m T he e 1 , ein Berggut mit Wallfahrtskapelle bei Leuk. Ruppen-
Tscheinen, Walliser Sagen 1872, S. 143. 172. Der Theelwald,
bei Oberstalden im Nikolaithale (ibid., S. 182); Güter zur Oberen
und Unteren Thele bei Zermatt, im Ausserorte Findelen; ibid.,
S. 157. Diese Namensformen zeigen, dass ihr Stammvocal
zwischen E und Ä mundartlich schwankt;*) und nach diesem
gleichen Lautwerthe sind auch einschlägige Eigennamen in den
Nachbardistricten zu verstehen. So besteht in Appenzell - Inner-
Rhoden das Landleutengeschlecht Thal er. Eugster, Die Ge-
meinde Herisau 1870, S. 97 u. 192.
Talinne nennt man in Graubünden jedes Heuhaus auf der
Alpe und zugleich jene in die Quere über einander gespreizten
Rundhölzer (sonst Tristen genannt), auf welche der Aelpler die
Heuschober und die Habergarben aufhängt zum Austrocknen inl
Freien; denn jene Heuhäuser und diese Gerüste sind aus un*
geschälten Fichten- und Föhrenstämmen zusammengefügt, di6
romanisch Talin heissen. Daraus haben sich im altrhätischerf
Sprachbezirke mancherlei Ortsnamen gebildet, aus denen hier nur
etliche auszuheben sind. Dalin, Dorf am Heinzenberg in Bünden;
U. Campell's Rhät. Geschichte, Ausg. v. Mohr 1851. I, S. 2
Tallin, Ortschaft bei Trimmis ; Dorf Dehl, Gerichtes Tiefencastell
Campell, ibid. S. 50 u. 56. Talinnes und Talenz, Ort bei Sarga
Kant. St. Gallen. Steub, Rhät. Ethnographie, 208. Teilina
Tesino, Nebenthal von Valle Sugana in Tirol. Teiles, deuts
*) Furrer i, 296 schreibt: Ihre, der Walliser Häuser sind von Thälenhol:
I
■ ri. Teil als Personen- und Ortsname. 280
Teil, bei Taufers im tiroler Pusterthale. Steub, ibid. S. 209.
Eine Bergbreite auf der Höhe des oberen Pilatusberges, zwischen
den Felshörnern des Steigle und des Rossberges hinabliegend
gegen den Bowald, heisst Teilenpfad, und eine der vielen Fels-
spitzen Teilenpfadlucken (Businger, Beschreib, von Luzern) ; allein
in Capeller's 1767 zu Luzern gedruckter Historia montis Pilati
lautet jener Name Tale fad und scheint sich auf die Dähle zu
beziehen.
Betrachtet man nun denselben Baumnamen nach seinen
ältesten Namensformen, so darf man sich nicht daran stossen,
dass er da gewöhnlich nicht die bestimmte Gattung der Kiefer,
sondern nur die allgemeine bezeichnet und also Fichte heisst, wie
alles Nadelgehölze vom Ununterrichteten auch heute so benannt
\ wird. Der Name ist isländisch thöll , heisst in der Skaldenpoesie
; Dallr, ist da männlichen Geschlechtes, als ein Bild des dem
Winter trotzenden, ihn frisch überdauernden Lebens des Nadel-
holzbaumes, uhd dient darum zur gleichnissweisen Bezeichnung
des an Frische und Kraft ausdauernden Mannes. Nach einer von
Grimm (Myth. 213) und von Uhland (Sagenforsch, i, 224)
gegebenen Andeutung lässt sich der Name des Asengottes
Heimdallr, gleich Himinndallr, hieher stellen und als Himmelsbaum
und Weltstamm erklären. Tall ist schwedisch die Fichte; die
Klinta-Tall bei. Badelund in schwedisch Westmanland war ein
örtlich geheiligter Fichtenbaum, dessen Aeste Niemand anzurühren
wagte, weil er dem im nahen Mälarsee hausenden Meerweibe
jangehörte. Afzelius, Volkssag., übers, v. Ungewitter 2, 368.
Derselbe Fichtenname Tall hatte in schwedisch Pommern noch zu
lEnde des vorigen Jahrhunderts allgemein gegolten; s. Schlözer,
I Briefwechsel 2, 38. Scherz schreibt in seinem Glossar Taell,
paart dies Wort aber irrig mit Taedel, Kienbaum, einer aus
lateinisch taeda entspringenden Form.
\ Der ahd. uiid mhd. Name ist mantala (Graff 2, 817), mantel
jund mantlachy Föhrenwald, (Ziemann Wörtb.); Mändelbaum
pimis silvestr., Schmid Wörtb. Baierische Ortsnamen sind im
Jahre 1004 eine villa Mantalahi, und 1031 ad Mantalaha;
Schmeller, Wb. Heutige baierische Ortsnamen sind Mantel,
Marktflecken bei Weiden, Mänteln bei Neunburg, Mantel au
bei Bodenstein, Mantelkam bei Landshut, M an t lach, eines
im Landgericht Parsberg, ein zweites im Landgericht Greding.
Verzeichniss der Gemeinden des Königreichs Bayern 1863. In
Rochholz, Teil und Gessler. I9
L
1
2go !• I^cr Sagenkreis von Teil.
diesen Namen erblickt man ein Compositum man-tal, die männ-
liche Föhre. t> Abtes mas vocatur picea (Föhre), abies
femina vocatur weisstanneribaum, weiblein.« Georg
Frank, Flora franc. Schmeller-Frommann, Wörtb. 2, 1631.
4. Teil, der Theil.
Wird in den oberalemannischen Mundarten das Wort Theil
in collectivem Sinne angewendet, so lautet dasselbe tel, so z. B.
aargauisch tel, portio; tels, tels, partim partimque; also
ähnlich den neuhochdeutschen Compositis mit tonlos gewordner
Endsylbe: Urtel, Vortel, Mittel etc. Spricht man neudeutsch
vom Theilstock, als von jener Säule des Gemeindebrunnens,
von welcher die Theilungsröhren ausgehen für die übrigen Haus-
brunnen, so heisst dieselbe in der schweizer Mundart Teilstock.
Nähert sich diese Mundart im Schaff hauserlande der schwäbischen,
und im Appenzellerlande der altbairischen Sprachgrenze, so wird
hier Theil lautlich zu tal, Plural tael, und der daraus ableitende
Personenname ist Thäler; vrgl. Zellweger, Appenzell.-Gesch. i,
231. Zu Ulm urkundet 1293 Ritter Gerwig Güss von Güssenberg
und übergiebt dem Kloster Söflingen diu zwae tael (Theile)
des claenen zehenden da ze Sevelingen. Pressel, Ulmer Ur-
kundenbuch I, S. 207. Dieme von Gomaringen (Würtemberg)
einigt sich im Jahre 1 300 mit seinem Bruder Friedrich und dessen
Erben über die Verleihung der Gomaringer Kirchenpfründe: vnd
suln sie denne der genanten kirchen diu drie tael lihen, vndj
ich den vierden mit in. Möne, Oberrhein. Ztschr. 15, 105. Einl
unter mehrere Lehensleute zu gleicher Zins-Entrichtung abgegebenes]
gleichvertheiltes Lehensgut ist das Theilland [in rure, quod diciiur\
Taillant^ *) und der einzelne Mitbeständer trägt davon den Namen
Tailo (bei Neugart, 47). Von diesen Theilgenossen rühren die
verbreiteten Geschlechtsnamen her: Teiler, Teilung, Teilig, Teilung.]
Frischhans Teilung von Luzern, namhaft durch seinen Anth<
am Siege bei Giornico, wird, wegen übler Nachreden gegen di<
Züricher Waffenehre, 1487 auf Befehl des Züricher Bürgermeistei
*) Urk. V. J. II33, Meiller, Babenberger Regesten. Wien 1850. S. IW
No. 35 ; S. 20, No. 49 und S. 131. ^
II. Teil als Personen- und Ortsname.
291
Waldmann verhaftet, gefoltert und enthauptet. Jakob Telhut,
Burger zu Augsburg, gewinnt daselbst 1508 unter 916 Wett-
schützen den ersten Preis. Paul von Stetten, Augsb.-Gesch. 266.
Am II., Juni 1872 veröffentlichte die Bemer Ztg. »Der Bund«
ein Inserat, womach damals ein Teilkäs von bemisch Köniz
wegen gemischter Ehe auf Trauungshindemisse gestossen war;
die darauf am 14. Juni ebenda erfolgte Berichtigung besagte, der
Betreffende heisse nicht Teil-, sondern Th eil käs.
5. Dali und Teil, Thal und Bucht.
Dali, Tall, Teil bezeichnet eine furchenartige oder wannen
förmige Vertiefung des Erdbodens, eine kleine Fläche und Ein-
buchtung, im Gegensatze zum umliegenden höckerichten oder
steilen Gelände, und geht durch die deutschen und slavischen
Idiome: goth. adj. dal, niedrig; althd. tal, tuola; ags. dell; altfries.
del; dänisch däl; altnord. dalr, dela, dala; wendisch dele ; poln.
dol; böhm. dolina; neuhochd. die Dälle (Eindruck); aargau.
die Talle; luzern. die Dula. Auch mitteldeutsche Ortsnamen
wie Tülen oder Dülen fugen sich hier ein und stammen aus ahd.
tuola, tuillili : vallicula. Aus dem Begriffe des Ebnen, im Gegen-
satze des rauhen und wilden Bodens, entwickelt sich, in der
Uebertragung aufs Handeln, die Bedeutung von angemessen und
geziemend: goth. gatils, mhd. getelle, ags. til (gut), altnord. dcell,
mild und gut ; bairisch ' undell , undill : ungeschickt, täppisch.
Dietrich in Haupt's Ztschr. 13, 207.
Das hier folgende Namensverzeichniss bietet durchschnittlich
schweizer Orts- und Personennamen dar und geht auf ausser-
schweizerische dann ein, wenn solche zum Zwecke der Namens-
vergleichung dienen und urkundlich vorliegen. Die Dala ent-
springt auf der Gemmi und mündet aus dem walliser Leukerthale
in die Rhone. Dali, Dörflein der Bündtner Pfarrei Obervatz.
Leu, Lexik. VI, 9. Thall, Menigo, 1759 Landammann des
Gerichtes Val Tasna in Unter-Engadin. Leu, Lexik. 18, 71.
Dallau, Bez.-A. Moosbach in der bair. Rheinpfalz, urkundl. 1371,
heisst in der Zeitfolge Dali- und Talheim, jetzt Dalla. Mone,
; Oberrhein. Ztschr. 24, 296. Kirchdorf Thalau, baier. LG. Weihers,
liegt am DöUbach, der urk. 852 Delbach, und im 12. Jahrhundert
I Telbach heisst. Karl Roth, Tauschverträge der Abtei S. Emmeram.
i9»
^
2Q2 !• ^^^ Sagenkreis von Teil.
München 1865, 15. Thale heisst jene Bodensenkung zu Halle
a. d. S., worin die dortige Saline liegt. Unam paratam (eine
Gebraite) ad Tallun jacentem, Urk. von 830 bei Neugart, Cod.
Alem. I, 203. Dali, zwei Siebenbürger Dörfer, das eine in der
Hiermannstadter-, das andere in der Solnoker-Gespannschaft, jenes
mit walachischer , dieses mit magyarischer Bevölkerung. Der
Ortsname lautet walachisch Dalia, Daja, deutsch Dallen. Windisch,
Geographie von Siebenbürgen 3. Theil, 1790. Dallacher, pluraliter,
um einen Hügel liegende Ackerbreiten in der aargau. Gemeinde
Safenwil. Hans Dalcher hat i$53 am Schweiz. Bauernkriege sich
mit betheiligt und muss darum zu Basel Henkersdienste thun.
iPet. Ochs, Gesch. Basels VII, S. 35 und 37. Talchen, aargau.
Gem. Brittnau, ein Thälchen mit Fischweiher, in der Nähe der
Parzelle Steinrain. Die Dallis-acher der luzem. Gem. Sulz sind
Lehensäcker vom Schlosse Heidegg am Baldegger-See. Boden-
zins-Bereinigung der Herrschaft Heidegg vom Jahre 1771; Hds.
im Kanzleiarchiv des ehemal. Klosters Muri, pag. 14, 34 und 70.
Tallisbrunnen wird 1115, 10. Febr., in der Einweihungs-Urk.
der Pfarrkirche von Weikendorf im Marchfelde als Grenzpunkt
des Kirchengutes bezeichnet. Meiller, Babenberger-Regest. (Wien,
1850) S. 204. Der Ort heisst nun Thaiesbrunn und macht urk.
folgende Namenswandlungep durch. 1246: Hainricus tniles de
Thelesprunn et Femoldus, f rater Hainrici^ de Teleins-
prunne. Fräst, Stiftungsb. des Klosters Zwetl (Wien, 1851)
S. 391. Hainricus de Taulinsprun\ no. 445 in Fischers Codex
ClaustO'Neoburgensis, Wien, 1851. In gleicher Weise, wie hier,
wandelt sich der Geschlechtsname des berühmten Strassburger
Kanzelredners und Vor -Reformators Tau 1er. Er entstammte
einem städt. Geschlechte daselbst, aus welchem urk. 1336 Taler,,
sartor Argentinens., verzeichnet ist. Mone, Ztschr. 6, 487. Hier
ist also der Stammvokal ebenso diphthongirt worden, wie in
jenem Namensgeschlechte, welchem der Konstanzer Reformator
Blarer angehörte: »1425, her Aulbrecht Blaurer, thuomherr
zuo Costentz.« Mone, Ztschr. 7, 323. Dallenwil, Filialdorf von
Stans in Nidwaiden, liegt am rechten Ufer des Flüsschens Aa
und hat den cyklopenäugigen Steinibachhund zum Ortsgespenste.
Lütolf, Fünfortische Sagen, 343. Der Ort heisst 1150: Teile-
wilare; 1262 Tellewile. Buesinger-Zelger, Gesch. v. Unterwaiden |
I, 79. Ein Heini von Tellenwile erscheint in einer Klost. -Engel-
berger-Urk. 1327; Kopp, Eidg. Bünde V, 381. Tschudi will i,
( _
II. Teil als Personen» und Ortsname. 293
236 vorgeben, ein unterwaldn. Adeliger von Tallenwil sei mit
dem dortigen Landvolke gegen die Vögte Gessler und Landen-
berg verbündet gewesen. Zu Reinheim im Dorfe (gegenüber dem
aargau. Flecken Zurzach) sitzt 1439, ^9- Octbr. zu Grerichte
Hans Gutjar, geschwomer Weibel in dem Daelle zu Küssenberg;
J. Huber, Die Urkk. des Stift. Zurzach, S. 38. »Drei Juchart
Däliken-, jetzt aber Mörder- Acher genannt,« gehen in der luzern.
Gem. Hemikon zu Lehen von der Schlossherrsch. Heidegg;
Bodenzins-Berein, dieses Schlosses v. 1771, Hds. im Kanzleiarchiv
des ehemal. Klost. Muri, S. 14. Thällmoos, Hof in der Frei-
burger Pfarrei Plaffeyen. Leu, Lexik. 18, 65. Dällenmanns, Hof
zu Escholzmatt im Entlebuch. ibid. 6, 4. Der Tälliboden. mit
den Tällibördern (strichweise begrasten Felskanten) liegt in der
zur walliser Gem. Saas gehörenden Distelalpe, unterhalb der
Passhöhe des Monte Moro. Ruppen-Tscheinen , Wallis. Sag.
(1872) S. III. »Die Dällimatt (zu aargau. Gauenstein), darin ein
abgegangener Weiher liegt, wird 1690 an die Schlossherrschaft
von Kastelen um 400 Gl. verkauft, und heisst gleichzeitig auch
In der Telli. Documentenb. von Schloss und Dorf Kastelen I,
104 1 und 1045 ; aargau. Staatsarchiv.
Die hier zunächst folgenden Localnamen gehören sämmtlich
in den Aargau.
Dell, i) Ackerfeld in der Zeige Oberfeld zu Ober-Frick;
2) Vereinigungspunkt der Landstrasse und der Dorfgasse in
Münchwiler, hier ist der Ueberrest einer wahrscheinlich römischen
Wasserleitung. — Von einem »bongarten Im teil zinset Ruotsch-
man vörster zu Windisch i mütt roggen an das Kloster Königs-
felden.« Zinsbuch des Kl. Königsf. vom Jahre 1432, Blatt i b,
Hds. der aargau. Kant. - Biblth. — Christen Hitz in der Telia,
Zinsbauer zu Trummensberg (letzteres liegt ob Kirchdorf im aar-
gauer Bez. Baden). Hds. Zinsrodel der Klingnauer-Probstei Sion
von 1663; aargau. Kt.-Bblth. — Die Matten in Telli, gelegen
beim Gelände In der Stapfen zu Windisch. Kaufbrief von 1468
in des Kloster Königsfeldens Gewahrsame i, S. 144; aargauer
Staatsarchiv. — »Ein akker in Teilen, oder auch In der Telli,«
gelegen in der Zeige Im Bol, Gem. Wohlen, zinset dem Kloster
Muri. Muri^s ältestes Urbarbuch, Blatt 67 b, Hds. Gross -4°, B. i
im aargau. Staatsarchiv. Dies Landstück ist noch 1555 zehent-
pflichtig an das Stift Muri und heisst 1733 der Telliacher.
Archiv Muri, Dokumentenbuch L, pag. 198. 203. 303, aargau.
2Q4 !• I^er Sagenkreis von TelL
Staatsarchiv, — Die Telli, der Schul-Tumplatz im Ausgelände
von Aarau, war im Mittelalter Rebland und steht als solches
im ältesten Leutkirchenbuche dieser Stadt oft genannt: de
torculari, sito uff der Telchi, werden im Jahre 1378 Zinse
vergabt (fol. 12b); Dm. RudolfuSy decanus, dedit 7 soL de prato
suo, dicto Telhmatta (fol. 49). Die hier aspirirt erscheinende
Namensform entspricht nachfolgenden Ortsnamen: Deichana ist
im II. Jahrh. der Name der bei Paderborn fliessenden Dalcke.
Förstemann Ortsnamensb. Dolche, Flurname der schaff hauser
Gem. Bibern. Ztschr. Unoth i, 197. Bertold von Hirsingen,
Kirchherr zu Mülberg im badischen Wiesenthal, bezeugt 1342
Güterauflassungen an die dortige Kirche, worunter: difnidium
juger. in teilen^ Klost.- Wettingen Documentenb. A, no. 6, fol.
.233, aargau. Staatsarchiv. Der Telligraben in der Käppeli-Zelge
der Gem. Möhlin wird bei Regenwetter von einem Wildbache
angefüllt, welcher der Böse Telli heisst. Dellreben heissen Güter-
parzellen im Gemeindebann von frickthalisch Mägden.
Ausseraargauische Flur- und Personennamen gleicher Art.
Das Anniversarienbuch der Pfarrkirche Sarnen in Unterwaiden
gehört dem Ende des 13. Jahrh. an; unter dem 28. Wintermonats
enthält es die Einzeichnung: »H. de T.«, und von einer späteren
Hand steht hier beigeschrieben: H. von tellun. Geschichts-Fr. 21,
190. Das Jahrzeitbuch der Kirche von Tuggen, Kanton Schwyz,
aus dem Ende des 15. Jahrh., abgedruckt in Bd. 25 des Geschichts-
freundes, schreibt: Des Trachlers Rüti in der Teilen (S. 132);
ein Gut stosst an Heini Faders Tell-Egerten (S. 140. 157. 158.
169); auf den Gütern der Ratlinen auf Bach-Teilen (S. 181).
Der Zinsrodel der Michaelskirche in Zug vom Jahre 1527 ver-
zeichnet fol. 13 und 14 unter steuerpflichtigen Gütern zu Ober-
wil diejenigen an der Teilen. Zurlauben, Monum. Tugiensia 11,
298b, Hds. der aargau. Kant.-Bblth. — Delle, ein Flurname der
schaff haus. Gem. Wilchingen; Dellgraben, ein solcher der Gem.
Bibern; Ztschr. Unoth 1868. i, S. 63 und 197. Ein Tellengraben
bei Kloster Rheinau. Meyer, Zürich. - Ortsnamen no. 132. Teilen
sind Flurnamen in den Luzerner Gemeinden Rain, Geuensee und
Schupf heim; die Telli liegt in. der Gem. Weggis. Brandstädter
im Gesch.-Freund und in den Beilagen zum Luzem. Tageblatt.*)
•) Aus diesen luzerner Orts- und Gutsnamen erledigt sich die vermeintliche
Wichtigkeit, welche man nachfolgender Urkunde hat beischreiben wollen. 154^1
r
II. Teil als Personen- und Ortsname. 295
Die Dell lag zu Würzburg auf dem äusseren Thore und hier
war beim Bauernkriege J525 das Geschütz der belagerten Stadt
aufgepflanzt. Hievon heisst es in Liliencrons Histor. Volksll. Bd. 3^
S. 478:
Sie fiengen an mit ganzem
Gemüt und unverzagt
Die Teil auf her zu schanzen;
Wer plündert' auch zu Zelle,
Wer schoss dann auf der Teile?
Die Teile, Bodensenkung am Hainfeldsberg bei Stolberg.
Pröhle, Harzsagen 2, 196. Im Teil, Flur zu baier. Enzendorf,
mittelfränk. Bez. Hersbruck. Anzeiger des Germ. Mus. 1874,
S. ^6, Heinricus am Telacher ist 1283 sesshaft im Unterwaldner
Kirchspiel Stans und ein Theil seiner Güter wird durch die Ge-
brüder Philipp und Jakob von Ringgenberg an das Stift Engel-
berg verkauft. Zurlaubens Stemmatogr., Bd. ^^, pag. 146. Jenni
Tellacher von Unterwaiden und Hans von Talächern aus Uri
sind unter den Gefallenen in der 1422 bei Arbedo erfolgten Nieder-
lage der Waldstätte gegen Herzog Philipp von Mailand. Tschudi
2, 149. Tellacher, Flur in der luzern. Gem. Schupf heim;
Brandstätter, im luzern. Tageblatte. — Teile als Flussname.
Die Weiss-Emme ent3teht aus den zwei Gewässern der Ha§len
Und der aus dem Enzenberge entspringenden Teilen, woran daä
in die Pfarre Escholzmatt gehörende Dorf Teilen liegt. Scheuchzer
Schweizerlandes Naturgesch. 2, 34. Tellenbach und Tellenmoos
sind zerstreute Hofgüter in der Entlebucher Pfarre Escholzmatt,
deren einige in einem moosigen Thalgrunde liegen. Pfyffer, Der
Kanton Luzern 2, 357. Der Dällenbach, bei Willisau fliessend,
woselbst die Tellenbach-Mühle, wird im Tellenbach-Graben durch
das Willisauer Stadtthier, den sog. Strassenhund, unsicher gemacht.
Lütolf, Fünfort. Sag. S. 5 und 519. Zurlaubens Helvet. Stemmato-
graphie, Bd. 4, pag. 304 führt sogar ein ritterbürtiges Geschlecht
dieses Namens aus dem Entlebucher Adel an und verzeichnet
dessen Adelswappen, beides selbstverständlich nur imaginär.
Dasselbe Namensgeschlecht ist im Bemerlande verbreitet: 1465,
Dienstag vor Katharina, urtheilen die Räthe der Stadt Luzern über einen In-
jurienhandel *zwüschen Jak. Dell und Fridly Lüttisshofer , beide von luzernisch
Sempach.« Hidber, Forsch, über W. Teil, Separatabdruck o. O. u. J. Derselbe
I in der Augsb. AUg. Ztg. 1860, Beilage Juli, S. 3352.
L
2q6 !• I^c'f Sagenkreis von Teil.
28. Aug. erkennen Schulth. und Rath zu Bern, Heini Teilenbach
habe zu den Gütern und Zinsen der Herrschaft Wile in vor-
bestimmtem Masse an Korn, Hühnern und Eiern zu steuern.
Amiet, Regest, des Kl. Fraubrunnen (185 1), S. 104. Das »Kriegs-
Hed für die zum heiligen Kriege verbündeten deutschen Heere,
von Zacharias Werner,« erschien gedruckt zu Bern beim Buch-
drucker Dellenbach, /813. Dällenbach, ein Bauerngeschlecht zu
Äschlen, Pfr. Diessbach im bem. Amt Konolfingen. Alpenpost,
Ztschr. von 1872 (III. Bd^) pag. 308. Thälmbach, Gewässer in
der Pfr. Mülenberg, bern. A. Laupen. Leu 18, 65. Dällibach,
ein am Lägernberge ob Zürich. Sünnikon entspringendes Bächlein,
in die Glatt mündend. Leu 14, 516. Telli und Tellibach ent-
springt in der Gem. Nuffenen im Graubündner Rheinwald und
geht bei Planura in den Hinterrhein. Leu, 18, 48. Tellistock,
Tellihorn sammt " Telligletscher finden sich beiderseits im Ober-
wallis hinter dem obern Gemmi-Passe, und im Bündner Davos,
in diesem letztern bezeichnet die Kehrentelli einen die Wegscheide
bildenden Berghang. Sogar in der Lebensbeschreibung des heiL
Audomar, der im 7. Jahrh. im südwestl. Frankreich beim Volks-
stamme der Moriner den Glauben verkündete, ist ein Gewässer
jener Landschaft Tellbach genannt. Vita S, Audomari, BoUandisten
tom. VII, Oct., 981 seq. Zum Jahre 1188 schreibt der von
R. Kink (Wien 1852) herausgegebene Codex Wangianm, pag. J^'.
Telli, flumen in volle Venusta, d. i. im Vinsgau. Diese rhätische Telli
ist dort deutsch der Zielbach, der vom Zielferner herabkommend,
bei der Thöll in die Etsch mündet. Vier Juchart Weide, genannt
Tellenberg, liegen zu Wallenschwil , aargau. Bez. Meienberg.
Freiämter Urbar v. 1574; Hds. im aargau. Staatsarchiv, Abthl.
Muri, no. 30, S. 207 bis 217. Ein Telliberg, ob Amsteg in Uri,
steht verzeichnet in Dufours Karte; ein gleicher liegt in der
Luzem. Gem. Uffikon. Bairisch Dellenhausen ist urk. 827: i»
loco Tellinhusir, woselbst ein Cundpald ad Tellinhusun mit genannt
ist. K. Roth, Kl. Beitr., München 1853, pag. 38; 1857, V^- ^^*
Die M(m. Boica verzeichnen 1095 : Eberhart de Tellenshmen, nobiUs
(IX, 375). II40: Tegenhart de Tellenshusen, I165: Conrad^ nobilis M^
Tellensh, ibid. 400. 440. Die Tellenmatte, gelegen bei Seedorf in
Uri, steht genannt in einem Urner Meieramts-Rodel vom Anfang
des 14. Jahrh.; Gesch.-Freund, Bd. 22, 464. Ein Schiedsgericht
von Bürgern zu Brugg im Aargau spricht 1420 dem Barfusser«
kloster Königsfelden ajs Eigenthum zu: Die am Hofe Iberg a
II. Teil als Personen- und Ortsname. 207
dem Bözberge gelegene Teile nmatt, Königsfeldner Document.-
Register, Bl. 173. Dieses eben genannte Gut wird 1568 von der
Bözberger Gem. Linn als die Toll enmatt versteuert. Schenken-
berger Documentenb. Y, pag. 316, aargau. Staatsarchiv. Die
aargau. Gem. Oberflachs verkauft 1688 von der Schlossherrschaft
Kastelen ein Mattland im Mötschenholz, das an Tellmattboden
stösst. Kasteler-Docum.-Buch I, 763 im aargau. Staatsarchiv.
Auf Dellenmatt, ein Bauernhof der aargau. Gem. Ober-Zeihen,
, Bez. Laufenburg. Dorf Dellfeld, an der Erbach in der bair. Pfalz,
heisst urk. 1295 Dellenvelt. Mone, Ztschr. 14, 61 ; 19, 193.
Tellheim bei Würzburg heisst urk. 1210 Teleheim; Mone, Ztschr.
II, 299. 303. »Man sollte es Dälheim schreiben, denn es liegt
auch in einer Vertiefung, nach einer fränkischen Spracheigenheit
Dälle genannt.« Schmeller-Frommann Wörtb. i, 498. Albertus
de Talheim urkundet 1277 als Propst zu Würzburg, sein Guts-
besitz ist das jetzige Dorf Dallau bei Moosbach im Odenwalde.
Mone Ztschr. 9, 52. Dieter von Dalheim, Zeuge 1323, stammt
aus demselben Dallau. Mone 13, 428. Ein Kemptner Bürger
Teil ho SS leitet 1405 die Rüstungen und Befestigungen dieser
Stadt gegen die Kriegslust des dortigen Stiftsabtes, aber sein
Geschlecht nennt sich im 16. Jahrh. Dälhos; es ist also nach
der niedem oder Dalhasel zubenannt. Haggenmüller, Gesch.
Kemptens i, 225. 572. Dass die Formen Tal und Teil in einem
und demselben Namen gleichzeitig bestehen, zeigt sich am Prä-
monstratenser Stifte Marchthal in der Diöcese Konstanz, das
schon 1185 seine FröpstQ praepostH de Martello zu betiteln pflegt.
i Mone, Ztschr. 9, (36 ff". Würtembergisch Dellmensingen , O A.
[ Laupheim, ist 1092 vüla Dalmaszingen. Mone Ztschr. 9, 212;
I ebenso ist bairisch Thalmessing, Pfrd. im LG. Stadtamhof, 1184
[ Tallmazzingen. Freyberg, Samml. II, 324. Ein Tellenmoos liegt
in der luzem. Gem. Escholzmatt; ein Burkart von Telenmos ist
i 1386 Burger zu Burgdorf. Archiv f. Schwz.-Gesch., Bd. 17, 132.
I Eine Tällrüti liegt am Emmenthaler Brunsberg ; A. Jahn, Emmenth.
i Alterthümer 1865, 42. Eine Tellenrüti liegt ob der Tellenkapelle
r bei Sisikon , und dies führt auf die Benennung der bekannten
• Tellenplatte.
Die Sarnerchronik des Weissen Buches schreibt vom Sprunge
• Teils aus dem Schiffe auf die Platte also: vnd du der Tal 1 kam
'r. vntz an die ze Teilen blatten ... du swang er den Nawen zü-
,^ hinn vnd namm sin schieszüg vnd sprang vs dem Nawen vf die
2o8 !• ^^ Sagenkreis von Teil.
blatten. Gresch.-Freund, Bd. 13, S. 73. Der Qironist macht hier
den sichtbaren Namensunterschied zwischen dem Namen des ent-
springenden Tall und demjenigen der Platte, auf die er entspringt^
welche die Platte ze Teilen ist. Diese jetzt noch ebenso geheissene
Teilen in der Umer Gemeinde Sisikon bezeichnet daselbst zweier-
lei zusammen gehörende Oertlichkeiten, den Berg Teilen und die
an dessen Fusse liegende Seebucht. Der sogenannte Tellen(-berg)
ist ein steiler Felsberg der Buggiwald-Egg am Axenberge.
Alte Felsstürze haben hier stattgehabt, der letzte, der im Mai
1801 niedergieng, riss Wohnungen, Mühlen, Schiffwehren, Menschen
und Thiere in den aufgewühlten See hinaus. Die Tellenrüti, ober-
halb der dortigen Tellenkapelle, ist mit erratischen Granitblöcken
bedeckt, und ihrer einer wird die Tellenplatte selbst sein. Dass
diese letztere erst der Anlass war, Teils Sprung bei ihr zu locali-
sieren, sagen uns die Leute in Sisikon unfreiwillig, indem sie die
Teilenplatte An der Teilen benennen, mithin den Ort auch
heute noch nicht als eine Platte des Wilhelm Teil, sondern als
eine solche an der See-Einbuchtung bezeichnen, welche die Delle,
Genitiv der Dellen, heisst. Diesen Umstand entnehmen wir dem
handschriftlichen Werke von A. Buser, Kaplan in Brunnen, Kan- /
ton Schwyz: Etymologische Nomenclatur von Schwyz, Uri und
Unterwaiden, Blatt 28. Uebereinstimmend mit dieser Sachlage
schreibt Goethe auf seiner Schweizerreise von 1797: »Wir kamen
dem Axenberg näher ; man kommt an eine Halbbucht, dann folgt
eine zweite, etwas tiefere, dann die Teilen-Platte«. Bd. 43, 201..
Ein Dellestein, benachbart beim Unterwaldner Kloster Engel-
berg liegend, mag etwa wegen auffalliger Vertiefungen und ;
Schrunden seinen Namen tragen. Businger, Der Kanton Unter- -
walden 125.
Dorf Delling im bairischen L.-G. Stamberg ist 1244 castrum'
Telingen, Quellen und Erörterungen zur bair. u. deutsch. Gesch.
I, 391. — II 39 und 1160: Theling, Bert, et Wilh., nobile s. Man,
Boica V, 34.1. 3S4. Henselinus de Telingen^ ein elsässischer Edel-
knecht um 141 3. Schöpflin, Alsat. lUustr. 11,672. Rudi Husheer,
genannt Tellinger in der Stadt Wyl, Kanton St. Gallen, wird
1431 als des St. Galler- Abtes Leibeigner gegen einen andern
ausgetauscht. Bd. II. der Schweizer Regesten, no. 83. Tellingen
in Uri, ein Flurname in Ribshausen, zwischen Attinghausen und
Erstfelden. Hermann Liebenau, Ursachen etc. S. 24, no. 2.
Chuonradus in Teigingen (Urner Schächenthal) urkundet 1294.
r
II. Teil als Personen- und Ortsname. 2QQ
Gesch. -Fr. 3, 235. Zu Delligen im Obwaldner Melchthal soll
Arnold Melchthals Haus gestanden haben. Businger, Der Kanton
Unterwaiden, 137. JHeini von Telligon, 1387 Zeuge in Unterwai-
den; Gesch.-Fr. 20, 231. Zürcherisch Dällikon, Bez. Regensberg,
ist urk. 870: Tellinghovon, 11 30 Tellinchoven, 11 89 Tellinchon.
Meyer, Zürch.-Ortsn. no. 1054. Weitdelliken, zwei Höfe in der
zürch. Pfarrei Zollikon, Bez. Küssnacht. Leu, Lexik. 19, 272.
Johann Telliker, 1380 Zunftmeister in Zürich; Erh. Dürsteier,
Genealog. Auszüge in Zurlauben's Mon. Tug. IV, 302 b. und
V, 181.
Tellingstedt, Kirchspiel im Ditmarschenlande, in den Fehden
seit 1319 von Seite der Holstengrafen gewöhnlich das erste Ziel
des feindlichen Angriffes. Thalwil, am linken Ufer des Zürich-
sees, heisst 1159 Tellewilare (Schweizer Urkk. - Register II, No.
2069) und noch 1328 in den Steuerrodeln gleichnamig Tellewyl.
Zürch. Antiq. Mittheill. 8, 377. Das unterwaldner Dallenwil
heisst im Engelberger Urbar von 1178 Telliwilare. Gesch.-Fr.
17, 250; dazu besteht noch ein solothumer Telwyl vom Jahre 1399
(Urkk. des Soloth. Wochenbl. 1825, 145), und ein Bemer Tellwil
yon 1458; Bd. II der Schweiz.-Regesten, no. 421.
Die allermeisten der bis hieher aufgezählten Orts- und Per-
sonennamen drücken eine und dieselbe Ableitung vom Stamm-
worte Thal aus, oder lassen doch eine solche Ableitung unge-
«wungen zu. Selbst da, wo im Stamm bald ein E und O, bald
ie Doppelconsonanz LL erscheint, erklärt sich diese Lautschwan-
ng aus mundartlichen Gründen. Süddeutsche Urkunden schrei-
n: 1490 der Telerin Lehen zu Heitersheim. Mone, Ztschr.
5, 158. In Zeerleders Bemer-Urkk. no. 832: »Personen und guter
ent und usrent den Tellern; dies ist beschlossen und bestärkt
it den Insiegeln der eegenannten drei Gemeinden und Tellern.«
jDrückt Meissnisch die Dölle eine Niederung im Ackerlande aus,
mo bei nassen Jahrgängen Wasser sich sammelt; so ist in schwei-
zer Berggegenden das Thälti eine gebräuchliche Diminutivform
fiir Thäli, Kleinthal, und die weitere örtliche Mundart bildet dar-
laus Namen wieDöltihorn, eine Bergspitze am Triftgletscher zwi-
^hen dem Umer- und Bemerlande. Gatschet, Ortsnamenforsch.
Ö3. Das umlautende A des Stammes Thal wird von oberdeut-
ischen Scribenten in ai diphthongirt; daher schreibt Kesslers Sab-
Ibata (Ausg. 1866) statt lUerthal Ilertail (i, 327), statt Rhein-
thal Rintail (i, 102. 2, 278), statt Rheinegg und Thal im St.
i
^OO ^' ^^^ Sagenkreis ron Teil.
Gallischen: Rinegg und Tail (2, 438). Die gleichen Namens-
formen und Lautentstellungen verzeichnet das Topogr.-statist.-
Handbuch des Kg.-R. Bayern, Bd. V der Bavaria 1868: Dallen-
auch Thalendorf (Bez. Lindau) ; Dalling, auch Thailing (feez. Ebers-
berg); Thall (3 Orte in den Bez.-Aemtern: Brück, Erding und
Griesbach); Thaller und Thallern: vier Orte in den Bez.-Aemt:
Müldorf, Pfaffenhofen und Roding; Dalking (Cham); Delkenmühle
(Dillingen) ; Dellel (Wasserburg) ; Dellendorf (Eggenfelden) ; Deller-
hof (Bamberg) ; Dellern (Bamberg und Pfarrkirchen) ; Delling
(München); Döhlau (Baireut); Thölau (Wunsiedel); die Döllau,
auch Thalau, fliesst in die Lutter (Bez. Weihers) ; Dölwang (Neu-
markt); Töllern (Weilheim). Drei kleine Thalschaften im Blies-
gau der baierischen Rheinpfalz heissen Drachendäll, Teufelsdäll,
Nebelkappendäll (Panzer, Baier.-Sag. i, S. 205); ein seit 1872
genannter Dramaturg aus preussisch Kettwig an der Ruhr hei
Herkendell; während an unserm luzern. Baldegger - See eine;
drei Juchart haltende Ackerbreite Dampentäller (Heidegger
Schlossbereinigung 1664) und Dampendeller (Heidegger-Bodenzi
Berein, von 1771) heisst. Hdsch. im Kanzleiarchiv des Kloste
Muri. Ebenso heisst 1424 ein Lehensträger des aargauer Stift
Königsfelden »Cuoni Zeissenthäll (d. i. Zinsenthal), genembi
Haberthürr von Culm.« Königsfelder-Documenten-Register, pg
131 b, aargau. Staatsarchiv.
Wohl alle diese eben bezeichneten Lautschwankungen
sammen wiederholen sich in den urkundlichen Formen des Ni
mens Delsberg, Stadt im berner Jura. Nach französischer Spra
heisst dasselbe: 728 Delemonte. Trouillat, i, pag. 72.
1,131 Telsperc. Zeerleder, Bem.-Urkk. No. 32. — 1161 Th
lisperc. Trouillat i, 347. — 1239 Tei Isper c. Matile, Mo
No. 112. — 1247 Delinsberg. Schöpflin, Alsat. Dipl. i, 484.
1257 Deleimont. Trouillat 1,649. — ^4^^ Dalamonte. ibi
S> 735 u, 738. Der hier zu Telsperg amtende villicus oder h
schaftliche Meier ist 1321 ein Waltherus dictus Telscher (d.
Telsberger) — Trouillat 3, 707 u. 710 — und wird in der deutsc
Urkunde von 1357, ^9- April als Bürgermeister daselbst
nannt. ibid, 4, 668 und 726. Ein von jenem Meiergeschle
abstammender Hans Delsperg ist 15 19 zu Lenzburg Stadtschrei
(Vorstell. Hallwylischer Stammsachen. Bern, 1742, 25) und h
1532 Hans Tällsperger, Schultheiss zu Lenzburg. Kesslers
II. Teil als Personen* und Ortsname. ßOI
bata (St. Gallen 1866) 2, 351. So wird also aus dem Stadtnamen
Delsberg zuletzt ein Personenname Telscher.
Ist Teile der zweite Theil zusammengesetzter Namen, so ver-
kürzt dieser sich oft bis zur Unkenntlichkeit einer scheinbaren
Ableitungssylbe. Aargauer Flurnamen dieser Art sind die mehr-
fachen Rindelen, das ist Rinnitellen. Rindel heisst i) ein
tiefliegendes Ackerland bei Muri-Egg, im Zusammenhange stehend
mit dem dortigen Heiterech-See. 2) eine Bergwaldung der Stadt
Arburg. 3) eine wasserdurchronnene Kluft des Achenberges bei
Zurzach. 4) Rindelen ist ein Bergland auf der Wasserscheide des
Staffelegg-Passes ob dem Dorfe Küttigen. 5) eine Wiesenstrecke
bei Schupfart im Frickthale, ^ mit dem gespenstischen Schweine der
Rindelen-Moore; vgl. Aargauer Sagen no. 234. Aehnlich gebil-
dete Flurnamen aus dem Schafifhauserlande sind aufgeführt in der
Ztschr. Unoth i, S. 194 bis 199 und heissen: Alistel (des Aloys
Telli), Chüetel, Diezedel, Grofedel, Huotistel, Rüdistel. Hiebei
werden die mit dem Genitiv -j Auslautenden mit mundartlich
gezischtem seht und einem stummen Stamm --£ gesprochen,
.also z. B. Allischt'l. Aus dem Zürcherlande liegen nachfolgende
rBeispiele vor : Marthalen, Bez. Andelfingen, ist schon in der Urk.
von 858 gekürzt in Martelle. Meyer, Orfsnam. no. 1551. Unda-
len wird jetzt gesprochen Undele (Meyer, Ortsnam. no. 1 560) ;
Zweinthalen heisst Zweidlä (ibid. no. 1565); Reuenthal: Reutel und
Rötel (ibid. no. 1554). Ein bernisches Rudthalen wird schon 1257
.zu Ruethelen. Zeerleder, Bern. Urkk. no. 364 ; Bachthalen, die Ar-
••menanstalt bei Bern, am Rinnsale eines das Thälchen durchziehen-
den Baches, heisst nun amtlich Die Bächtelen. Gleiche Kürzung
erlitten auch Geschlechtsnamen. Ein Chunrat Finssdeller ist
, 1384 des Rathes zu Zürich, als da am Mittwoch vor Palmtag
Eberhart Manesse seine Rebgüter zu Meilen gegen seiner Ehefrau
i Heimsteuer vor Rath fertigt. (Archiv Muri, Documentenb. P I
r und II, pag. 768). Aus diesem Namen Finsthaler scheint sich
} letztlich die Verkürzung F ins 1er, Name eines jetzigen Zürcher
^ Stadtgeschlechtes, ergeben zu haben. Schliesslich wird der zweite
[ Theil zusammengesetzter Namen ganz abgeworfen. Das würtem-
^ bergische Kirchentellinsfurt, OA. Tübingen, gelegen am
\ Einflüsse der Echaz in den Neckar, begegnet unter der erwähnten
t Namensform in einer Urkunde vom 27. Aug. 1473 (Lichnowsky
^ Vn, Urkk. S. 425 römisch), heisst aber heute schlechtweg auch
Kirchen. Mone, Oberrhein. Ztschr. s. h. v.
202 !• ^^ Sagenkreis von Teil.
6. Teil der Dümmling,
Die obwaldner Chronik des Weissen Buches, abgedruckt im
Geschichtsfreund, Bd. 13, lässt S. 72 den vom Landvogte Gessler
inquirirten Teil zur Entschuldigung seiner Unfolgsamkeit sagen,
wäre ich bei Vernunft, so würde man mir nicht den Namen Teil
geben: denn were ich witzig, vnd ich hiessi anders
vnd nit der Tal 1. Die auf das Weisse Buch nächstfolgenden
Chronisten Etterlin und Tschudi schreiben dieses Wort unverändert
nach, und selbst das umer Tellenspiel, welches zwischen den
Jahren 1511 und 1525 verfasst und vor der Bevölkerung Uri's,
also vor Teils angeblichen Mitlandsleuten, und unter obrigkeit-
licher Protection zu Altorf auf dem Marktplatze aufgeführt worden
ist, drückt denselben einen Greistesmangel , der in den Namen
Teil verlegt wird, mit verdreifachtem Nachdrucke aus:
Wer' ich vernünftig, witzig und schnell,
so wer' ich nit genannt der Thell.
Da Friedrich Schiller an dieser angebomen Albernheit seines
Bühnenhelden künstlerischen Anstoss nehmen musste, so deutete
er sie in die Tollkühnheit des Heissspoms um und lässt den
Befragten antworten: »War' ich besonnen, hiess' ich nicht
der Teil.«
Einen ähnlichen Ausweg hatte bereits J. J. Spreng versucht,
indem er in seiner Ausgabe von Etterlins Chronik (Basel 1752)
an der heikein Stelle beifügte : Teil habe, auf seinen Narrennamen
sich stützend, gegen den ihn ausforschenden Landvogt Verrückt-
heit vorgeschützt, und eben wegen dieser frechen Simulation sei
alsdann der falsche Narr zu der ungewöhnlich scharfen Strafe
verurtheilt worden, auf das eigne Kind zu schiessen. Denn Täll,
fährt Spreng fort, oder wie einige noch sagen, Teile, heisse
buchstäblich ein Einfältiger und leite ab von talen, einfältig oder
kindisch thun. Habe doch auch Odysseus, um sich vom Kjiegs-
zuge gegen Troja loszumachen, Wahnsinn vorgeschützt und unter
dieser Maske Ross und Rind zusammen in den Pflug gejocht;
als aber dann der Abgesandte Palamedes ihm das Söhnlein
Telemach vor den Pflug legen lassen, sei der Vater gezwungen
gewesen, vorsichtig neben dem Kinde vorbei zu ackern und somit
seine Verstellung selbst zu entdecken. Solcherlei Mythenzüge
müsse man daher denjenigen in Erinnerung bringen, welche die
1
II. Teil als Personen- und Ortsname. 303
Glaubwürdigkeit der Tellengeschichte aus dem einen Grunde
bestreiten, dass der Landvogt unmöglich habe so unvernünftig
sein und dem Blödsinnigen einen Kindesmord gebieten können.
So weit Spreng. Den andern und gewichtigeren Einwurf übergeht
er hiebei, nemlich dass Teil in seinem bloss vorgegebnen Blöd-
sinn alsdann noch weit unvernünftiger handelt als der Landvogt
und den anbefohlnen Schuss wirklich thut; indess Spreng ist dort
zunächst nur mit der Beweisführung beschäftigt, der Name Teil
sei kein Geschlechts-, sondern ein blosser Beiname gewesen.
Gleicher Meinung war Sprengs jüngerer und gelehrterer Zeit-
genosse, der General F. B. Zurlauben aus Zug. In den hinter-
lassenen Sammelpapieren zu seiner nachmals um vieles verkürzt
erschienenen Druckschrift: Guillaume TelL Paris lyöy ^ erklärt
er: Teil etoit originairement un sobriquet; on appel-
loit ainsi en Allemand un komme balourd, peu sense,
le foly rimprudent. (Stemmatographia Helvet., tarn, 21, Ms.
der Aargauer Kantons -Bibliothek.) Mit dieser Behauptung steht
man nun bei jenen verspäteten etymologisirenden Namenssagen,
die überall erst dann auftauchen, wenn der ursprüngliche Sinn
eines historischen Namens sprachlich bereits erloschen ist. So Er-
zählt Livius I, 56 die den gleichzeitigen Begebenheiten wider-
streitende Anekdote, es habe Marc. Jun. Brutus (brutum i. e.
turpe pecus) sein Leben vor dem meuchlerischen Könige Tar-
quinius Superbus nur dadurch gerettet, dass er sich närrisch
stellte. Und wirklich gieng schon der Glarner Loriti in seinem
lateinischen Panegyrikus über die Schweiz (1515) auf dieses Gleich-
niss zwischen Teil und Brutus ein: Brutus erat nobis Ura
Guilielmus in arvo, Assertor patriae, vindex ultorque
tyrannüm. Da aber derselbe Brutus unter eben diesem Tar-
quinius Superbus bereits tribunus celerufn gewesen war und
dann der erste Consul der neuen Republik wurde, so ist seine
fingirte Albernheit doch auch nur ein grammatikalisches Histör-
chen, das zur nachträglichen Erklärung des Zunamens Brutus^
der Dümmling, ausgesonnen worden war. Sehen wir nun, in wie
weit dem Namen Teil dasselbe Prädicat der Albernheit sprachlich
zukommt.
Talen heisst reden, telligen sich streiten, telling der Rechts-
streit. Aber mit dem Nebenbegriffe der albernen und lallenden
Redeweise entstehen die zahlreichen Verbalformen : dalen unnützes
Zeug plaudern , tallen , talmen , telfen , dellelen , talfern , talken>
204 ^* ^^^ Sagenkreis von TelL
tälschen; und aus ihnen die ablautenden Verba: tillen-, tillazen,
dilledellen; sodann der Tross von Schimpf- und Spottnamen:
Dallmann (Hampelmann), Dalerin (feminin), Dalap, Dalewatsch,
Tallsack, Talk, Tolk, Tollpatsch, Talpi, Tölpel. Die Tallespforte
heisst zu Utrecht das Thor b^eim städtischen Tollhause. Der Dilpe
und Tilman ist bei Sebast. Franck (Sprichwörter), der Dillhelm bei
Schmeller (Baier. Wörtb.), der Dilldapp bei Schmid (Schwab.
Wörtb. 162), der Dilledälle bei Birlinger (Augsburger Wörtb. 117)
gleichmässig der vernagelte Dickkopf. »Tillem^tallem I Tall-Tall
hat Hölzel feil!« sagen schlesische Neckformeln in Kinderreimen;
siehe Holtei's Roman, Die Eselsfresser II, Heft 2, 217. 225. Und
ebenda I, Heft 2, 196 heisst es: »Eh' ich nicht weiss, warum wir
Schlesier »Eselsfresser« sind, geb' ich mich nicht zufrieden, und
sollt' ich taelsch (närrisch) darüber werden.« Im Lübecker Kinder-
reim (Firmenich, Völkerstimmen 3, 151) wird zwischen dem
Schneider Wuppauf und seiner dummen Gertrude über die Haus-
wirthschaft also verhandelt:
Snieder Wüppup,
sett Schinken bi t' Fü'rl
»Teil e Gädrut,
»dat Holt is te dü*rl«
In Goethe's' Singspiel Jery und Bätely spricht Bauer Thomas
zum liebebetrübten Jery: »Nun, wie ist denn dir, alter Teil?
Du siehst nicht frisch drein,, was hast du?« Dies scheint zu
besagen: Alter Plauderer, warum denn nun so einsylbig? In
den munda'rtlichen Adjectiven undill, undell, mhd. ungetelle:
ungeschickt, täppisch — scheint die Sylbe Un nicht etwa eine
Negation, sondern im Gegentheile eine Verstärkung des auszu-
drückenden Geistesmangels zu sein; vgl. Schmeller - Frommann,
Wörtb. I, 500. Doli und Löll hiess jener Strohmann, den man
im baierischen Hochstifte Eichstädt zur Fasnacht durch die Gassen
schleppte und dabei aller ungereimten Streiche beklagte, deren
sich das Jahr über die Einwohner schuldig gemacht hatten.
Bavaria III. i , 297. Wie hier landschaftlich ein Doli aus Tall
wird, so auch in der schweizerischen Mundart ein Täll zu Toll.
Es liegt uns unter den Zurlaubenschen Handschriften der aargauer
Kant.-Bblth. (Ms. Bibl. Zurl.,^no. 71, pag. 190) eine Chronik des
Stiftes Engelberg vom Jahre 1639 vor, in deren »Verzeichnus
wirdiger geschieht en einer Lobl. Eidtgnosschafft« geschrieben
r
II. Teil als Personen- und Ortsname. 305
steht: »dess Willhelm Tölly Schutz (Apfelschuss) geschach auf
Simony vnd Judae.« In der gleichen Lautform lebte derselbe
Name als der eines unterwaldner Geschlechtes bis auf die Neu-
zeit fort. »Remigi Niderberger Tollen von Wisiberg« steht
in dem Verzeichnisse der von den helvetischen Truppeft gefangen
genommenen unterwaldner Insurgenten und wird als ein weniger
Gravirter auf Befehl des helvetischen Vollziehungs-Directoriums
mit 6 Gulden 30 Kreuzer Prozesskosten gebüsst; vollzogen vor
dem Districtsgerichte Stans, 8. August 1799. Actenstücke des
helvet. Reg.-Commissärs Heinr. Zschokke, auf der aargau. Kant.-
Bblth. bezeichnet: MS. Bibl. Nov. fol., I. Bd.
Auch in den keltischen Sprachen hat das Wort dal dieselbe
eben besprochene Form und Bedeutung, und Diefenbach Celtica /,
152 hat nachfolgende Belege hiefiir gesammelt: Dalivum supi-
num ait esse Aurelius ; Aelius stultum; Oscorum quoque lingua
significat ins an um. In der Kymrischen Sprache ist delf^ ein-
facher del: stubbom, a stupid fellaw. In Bas-Breton ist dalif
(dessen Umlautsform das eben erwähnte delf ist) mente captus
und posthumus. In den Serbischen Heldenliedern (übersetzt von
W. Gerhard, Leipzig 1828. II, 294) ist der Tale jener mythische
Dümmling und starke Hans, welcher blindlings drein zu schlagen
pflegt und jetzt noch bei den bosnischen Türken besungen wird.
Es stimmen also diese zahlreichen Sprachbeispiele und deren
WortbegrifT genau mit dem Berichte der ältesten Schweizer-
chronisten überein, wenn diese letzteren mit dem Namen Teil
einen Thorenzustand bezeichnen. Allein plötzlich gereut sie ihr
Zugeständniss, und indem sie ihren Helden aus einer ihm so
gefährlichen Dümmlings-Sippschaft lossagen wollen, verwickeln
sie ihn und sich in Selbstwidersprüche. Teils geistige Unmündig-
keit, erklären sie, war nur eine List, eine in der Angst erdachte
Nothlüge des Inquisiten, denn unmittelbar darauf hat er mit aller
selbstbewussten Energie des Heroismus zu handeln vermocht.
Alsdann war, muss man ihnen entgegnen, der auf seinen Thoren-
namen hin lügende Inquisit vielleicht ein verschmitztes Bäuerlein
gewesen, aber gewiss nicht ein für Wahrheit und Recht offen
einstehender Held. Allerdings, fahren sie fort, ist der Name Teil
ein ursprünglicher Spitzname, war aber schon damals zum bürger-
lichen Namen eines alten urner Landleutengeschlechtes geworden,
dessen Abkömmling eben Held Wilhelm ist. Letzteres ist auch
aus dem schon erwähnten Tellenspiele zu entnehmen, in
R o c h h o 1 z , Teil und Gessler. 20
^o6 *• ^^' Sagenkreis von Teil.
dessen Personenverzeichnisse »Wilhelm Thell von Ury« mit auf-
gezählt steht, und woselbst der Schütze nach dem geleisteten
Probeschusse vom Landvogte also angeredet wird:
Lieber Wilhelm, sag mir aber an,
Was hast mit dem pfeil im geller than?
So weit die Chronisten. Ihre vorgebrachten Gründe sind
längst widerlegt. Das angebliche Mannsgeschlecht Teil ist in Uri
geschichtlich nicht nachzuweisen. Das Tellenspiel ist ein gereimter
Auszug aus vorhergegangnen bekannten Chroniken; und die
angebliche Namensform Wilhelm Teil ist eine für Sprache und
Geschichte des vierzehnten Jahrhunderts unerhörte Missgeburt,
weil sie zum Narren-Cognomen noch ein christliches Pränomen
hinzufügt und also um nichts besser lautet als heute ein
etwaiger Wilhelm Dummerjan. Eben an diesemi unzeitig gesetzten
Vornamen hat die neueste Kritik mit Recht ein Aergemiss
genommen, gieng aber insofeme zu weit, als sie behauptete, dass
derselbe in den Urkantonen selbst jetzt noch unüblich sei und
in den Urkunden der drei Länder während des dreizehnten und
vierzehnten Jahrhunderts vielleicht nicht ein einziges mal vor-
komme. Das Gegentheil zeigt im Vorbeigehen unsere Note.*)
Mögen nun die Schweizer-Chronisten jenen Vornamen Wilhelm
entweder dem englischen Volksliede des fünfzehnten Jahrhunderts
abentlehnt haben, worin der Apfelschütze Wilhelm von Cloudesly
gefeiert wird ; oder haben sie ihn dem niederdeutschen Volksliede
Wilhelmus von Nassaue entnommen, nach dessen Text und Weise
auch das Muheim'sche Tellenlied geschrieben und gesungen worden
ist; so bleibt der Vorname eben untergeschoben und ist für die
Zeit, in welcher er gelten soll, nichts als ein ungeschickter
Anachronismus. Weit empfindlicher aber fallt der im Zunamen
Teil schon ursprünglich enthalten gewesene Begriff eines angebornen
Geistesmangels. Denn ob man beim Namensträger wirkliche
*) Georg V. Wyss stellte jene Meinung auf: lieber die Geschichte der drei
Länder etc. in den Jahren 1213 bis 1315. Zürich 1858, S. 31. — Das urkund-
liche Verzeichniss der Landammänner und Amtleute von Nidwaiden , gedruckt
im Geschichts-Freund Bd. 26, giebt dagegen zu lesen: 1367, i. Mai, Wilhelm
von Stein, aus Stein in Wolfenschiessen. — 1388, 6. Christmon., Willi Wolfent,
— 1396, 20. Jan., Wilhelm an Steinen, Ammann. — 1399» 16. Mai, Ulr. an
Stein besiegelt einen Verkauf von Wilhelm an Stein von Wolfenschiessen. —
140O; 15. Brachmonat, Wilhelm an Stein, Landammann. U. s. w.
r
II. Teil als Personen- und Ortsname. jo?
brutale Bornirtheit annimmt, oder nur das knechtisch verschmitzte
Erheucheln und zur Schautragen einer solchen voraussetzt, so ist
beides gleichsehr das Gregentheil jenes geistigen und sittlichen
Heldenvermögens, das doch dem Mitbegründer der Eidgenossen-
schaft zugedacht sein sollte. Wie wird da dem Schaden abzuhelfen
sein.^ Auf ganz herkömmliche Weise, mittels des bekannten
Paragraphen des bürgerlichen Gesetzbuches: man setzt dem
Geistesschwachen Vormünder; Teil erhält deren Drei, die soge-
nannten drei ^Teilen, den Wernher Staufacher, Walther Fürst und
Arnold Melchthal. Während diese drei zusammen auf dem Rütli
berathen und den Schweizerbund stiften, schliesst Teil sich selber
von ihren geheimen Versammlungen aus,*) liegt mittler Weile
in der Hohlen Gasse auf der Lauer und schiesst aus dem Ver-
stecke den Vogt vom Rosse. Bei diesem Punkte angelangt,
haben darum sogar solche Traditionisten, welche einen historischen
und damit auch einen moralisch zurechnungsfähigen Teil ertrotzen
möchten, das Zugeständniss gemacht, Teil sei in das Schauspiel
der schweizerischen Unabhängigkeitsgeschichte so ganz äusserlich
mit eingeflochten, dass keine seiner Handlungen eine nothwendige
Stelle in dieser Begebenheit einzunehmen vermöge.**) Und L.
Uhland fügt diesem endlich historisch gewordenen Satze mit
fühlbar erkälteter Stimmung bei: »Darinn liegt ein offenbarer
Widerspruch, dass Teil wirklich existirt und gegen die Dränger
des Landes etwas gethan hat ; dass der Mann und die That durch
Lied und Sage verherrlicht und ihnen eine religiöse Feier gewidmet
worden sein soll; gleichwohl aber Beiden der Charakter der
Bedeutungslosigkeit von Anfang an zugekommen sei.« Schriften
zur Geschichte der Dichtung und Sage, Bd. 8.
So ist nun zwar die Mythe in ihrer Mangelhaftigkeit erkannt,
aber damit noch nicht die Genesis dieser Mangelhaftigkeit. Spüren
wir auch dieser nach.
Nach lang andauerndem Zweikampfe zwischen dem winterlichen
Tyrannen und dem Schützen Lenz erliegt der böse Winterriese
dem ersten scharfen Sonnen-Pfeile. Dies ist der Inhalt des Natur-
mythus in seiner poetischen und logischen Folgerichtigkeit. Wird
*) Was ihr thut, lasst mich aus euerm Rath!
Ich kann nicht lange prüfen oder wählen.
Schillers Teil.
**) »Sans que les faits de sa biographie aient aucun lieu necessaire avec ce
drame.« H. L. Bordier: Le Grütli et Guill. Teil etc. Genfeve 1869, pag. 62.
20*
L
308 !• üef Sagenkreis von Teil.
aber derselbe mythische Gedanke in eine historische Thatsäx:hlicli-
keit umgewandelt, so verliert er den zähen, überzeugenden
Zusammenhang seiner Theile und bekommt dafür bedenklich
klaffende, unvereinbare Fugen. Der geschichtliche Tyrann erliegt
dem meuchelmörderischen Pfeilschützen, ohne dass ein Zweikampf
zwischen beiden vorausgegangen wäre. Es hat der Meisterschütze
das ihm gesteckte Ziel bereits getroffen, er lässt jetzt den zweiten
Pfeil, dem drängenden Vogte im Falle eines Fehlschusses voraus
zugedacht, schadlos im Groller und bekennt freimüthig, wem
dieser zweite vorbestimmt gewesen wäre. Und dennoch thut er
wenige Stunden hernach den meuchlerischen Schuss. Diese feige
That sucht nach . einer Entschuldigung , allein die vorgebrachten
Gründe wollen nach keiner Seite ausreichen. Der Mord geschieht
ja nicht aus Nothwehr, denn der Schütze ist bereits aus
seines Gegners Hand und frei ; er geschieht auch nicht als Folge
einer zu vollziehenden und vom Land&sgesetze gebilligten Blut-
rache, denn nicht des Schützen Söhnlein, sondern allein der
Apfel ist getroffen. Was bleibt also bei solchem Morde Anderes
übrig, als die Rachethat eines in seinem Blödsinne zur Unzeit ge-
reizten Thoren, ein blinder Wuthausbruch, der eben so unzu-
rechnungsfähig ist, wie der Treffschuss jenes Erblindeten (geschil-
dert auf S. 46) , welchem der Gott selbst erliegt. Auf diesem
Gedankenwege ist die Dümmlingssage in die Tellensage gekom-
men; im Volksgewissen ist sie ausgedacht worden zum Noth-
behelf, um eine moralisch nicht zu rechtfertigende That doch vor
der Vernunft mindestens zu entschuldigen, und der Volksmund
hat aus seinem Wortvorrathe den redenden Eigennamen Tall
dazugegeben. Einen Thoren zum Schützenkönig und einen Mörder
zum Nationalhelden zu erheben, dies konnte dem schüchternen,
vor dem politischen Morde tief zurückscheuenden Volke niemals
beifallen, aber dieser Volksglaube musste verstummen und ster-
ben, seitdem die regierenden Herren und deren Chronikschreiber
zusammen den schweizerischen Nationalstolz gepachtet hatten.
Sie, die nun selbst die Tyrannen im Lande spielten, Hessen in
Teil das Recht des Tyrannenmordes nach Kräften verherrlichen.
Tschudi, bald dieser Magnaten Werkzeug, bald ihr Mitregent,
kam dem bekannten Moralsystem des Jesuiten Busenbaum lange
sogar zuvor und vertheidigte in seiner Chronik den Fürstenmord
offen. Viel klüger, sagt er, würden die Eidgenossen gethan haben,
sich mit den fünf Mördern des Kaisers Albrecht zu verbünden,
II. Teil als Personen- und Ortsname. ßOQ
anstatt sie von sich zu weisen. Sei es ja doch der Ermordete
gewesen, welcher deh drei Ländern die Bestätigung ihrer Frei-
heiten verweigerte, so dass'sie alsdann von Oesterreich angegriffen
und zur Schlacht bei Morgarten gezwungen worden seien. Darum
habe es nachmals die drei Länder auch zu reuen begonnen, dass
sie sich des Herzogs Johann und seiner Mitverschwornen nicht
angenommen, ihm nicht geholfen hätten, der doch so treulich an
ihnen gehandelt und ihnen es vorgesagt habe, wie es ihnen er-
gehen werde. Hätten sie dieser Warnung gefolgt, so würde es
ihnen wol möglich geworden sein, Albrechts Söhne ganz aus den
oberen Landen zu vertreiben. So lauten diese erdichteten Rache-
gedanken, welche Tschudi den Waldstätten in den Mund zu legen
die politische und historische Frechheit hatte. Die Folgen dieser
Staatssophistik Hessen hier zu Lande nicht lange auf sich warten.
Schon sieben Jahre nach Tschudi's 1572 erfolgtem Tode erschien
zu Basel (bei Samuel Apiarius 1579) ^^ Urner Tellenspiel in
neuer Auflage und trug jetzt, trotz der in der damaligen Schweiz
schon scharf gehandhabten Büchercensur, auf dem Titelblatte das
herausfordernde Motto: ,
Tyrannen und ein Hund, der tobt,
Wer die erschlägt, der wird gelobt.
Teil war von nun an der obrigkeitlich autorisirte Tyrannen-
schlächter, und in diesem seinem Amtsgeschäfte ein Verbrechen
zu sehen, galt jetzt selber schon als eines. Knieend und mit dem
' Strick um den Hals musste der Zuwiderredende Abbitte thun.
Nachwehen hievon haben noch in unserer Zeit sich verrathen.
Sogar jener hochpatricische Reactionär Carl Ludw. v. Haller, der
berüchtigte Verfasser der »Restauration der Staatswissenschaft«,
worin alle modernen Despoten apotheotisirt und alle Liberalen
zur Hölle geschickt werden, bot im Solothurner Amts- und
Wochenblatte von 1833, auf S. 357 demjenigen die Summe von
: 400 Schweizerfranken an, welcher aus seinen, Hallers, Schriften
die Stelle nachzuweisen vermöge, worin Teil »ein Meuchelmörder«
genannt sein solle.
[
II.
DIE GESSLER VON BRÜNEGG
IN GESCHICHTE UND SAGE.
Glaubst du denn: von Mund zu Ohr
Sei ein redlicher Gewinnst?
Ueberliefrung, o du Thor,
Ist auch wohl ein Himgespinnst !
Nun geht erst das Urtheil an;
Dich vermag aus Glaubensketten
Der Verstand allein zu retten,
Dem Du schon Verzicht gethan.
Göthe 5, X09.
I.
Familiengeschichte der aargauer Gessler
als Bauern, Ritter, Landvögte und Mediatisirte, von 1250 — 1513.
I. Die Gessler von Meienberg 1250 — 1369.
Der Geburtsort der weltbekannt gewordnen Gessler ist das
noch immer sehr unbekannte aargauer Dörflein Wiggwil, gelegen
in den Obern Freiämtern des Aargaus, heute noch wie bei seinem
erstmaligen geschichtlichen Vorkommen eine Filiale der alten
Pfarrei und Wallfahrt Beinwil. Der Ort war bis zum Jahre 1415
Privateigenthum der Österreicher Herzoge gewesen und hatte, laut
dem Habsburger Urbar von 1303, zur herzoglichen Herrschaft
Meienberg gehört. Bei der in jenem erstgenannten Jahre erfolg-
ten Eroberung des Aargaus durch die Eidgenossen musste der
Bezirk Meienberg an diese abgetreten werden, und wurde dann
deren gemeinsam regierter Vogtei 'der Obern P'reiämter einver-
leibt. Die ursprüngliche Herrschaft war hier Grund- und Leib-
herr, aller Bodenbesitz beruhte auf Pacht und Lehen und zwar
seit so lange schon, dass Beides meist Erbpacht und Erblehen
geworden war. Die Bevölkerung scheint ausnahmslos aus Leib-
eignen und Hörigen bestanden zu haben. Der Leibeigne, seinem
Herrn und dessen Hofgute mit Leib und Gut angehörend, konnte
i persönlich verkauft werden ohne den von ihm bebauten
[Grund und Boden; der Hörige war zwar persönlich frei und
waffenfähig, blieb aber wegen seiner Ansässigkeit auf grundherr-
lichem Boden grundhörig, an die Scholle gebunden und konnte
daher mit Grund und Boden vertauscht und verkauft werden.
Unter einem dieser Abhängigkeitsverhältnisse stand in den her-
zoglichen Freiämtem wohl Jedermann. Denn selbst die dortigen
^lA II. Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
Untervögte und Ammänner, sie und ihre Söhne, gleichviel, ob
zur Stadt-' oder zur Dorfgemeinde zählend, bekennen in den Ur-
kunden ihre Hörigkeit, und. auch solche, die als Novizen in I
ein Kloster eintreten, erklären, dass sie in ihre ursprüngliche Un-
freiheit wieder zurückfallen müssen, sofern sie den beschwomen
Orden selbstwillig verlassen wollten. Solches liest man in den
Urkunden des dortigen Benedictinerklosters Muri. Laut einem
solchen Murenser Documente verkauft da Junker Heinrich von
Reussegg vier zu Beinwil gelegne Schuppossen dem Gotteshause
Kappel im Namen Johann Peters, Sohnes des Ammanns der Stadt
Meienberg, und dieser letztere erklärt in der Entschlagungsurkunde
von 1348: »Ich Johannes, Peters sei. des Ammans von Meienberg
Sühn, vergich offenlich . . . mit gunst und willen miner gnedigen
frowen, frow Adelheit von Rüssegge, der ich von eigenschaft
anhörre,« u. s. w. Dasselbe Verhältniss hat hier auch nach
der eidgenössischen Besitzergreifung unverändert fortgedauert, ja
missbräuchlich sogar noch weiter sich ausgedehnt, denn der ganze
Landstrich hiess von nun an unterschiedslos ein Unterthanen-
land und hat als solches das -Ungeschick und die Härte der eid-
genössischen Vögte vier ganze Jahrhunderte lang zu ertragen
gehabt.
Unter diesem an die Scholle gebundnen Völklein macht sich
im Dorfe Wiggwil seit Mitte des dreizehnten Jahrhunderts die
Sippschaft Gessler bemerkbar. Sie wächst an Zahl und Besitz,
so dass sie in den Nachbarorten Meienberg, Auw, Alikon, Muri,
Butwil, Reussegg, Wolen u. s. w. haushäblich niedergelassen ist.
Sie kommt mit den Deutscho'rdenshäusem Hitzkirch und Hohen-
rain, mit den Klöstern Muri, Hermetswil und Frauenthal in Pacht-
und Kaufverhältnisse ; dem Habsburger Adel auf den umliegenden
Burgen Grünenberg-Lieli, Reussegg, Baldegg, Aristau, Büttikon-
Arburg weiss sie geschäftlich sich zu verpflichten. So treten ein-
zelne der Sippschaft in den Stand der Ministerialen über, einer
zwischen Knecht und Kriegsknecht schwebenden Classe, die in
den Urkunden servi, minores, milites wechselnd benannt
werden, und sind nun schutzbefohlne Halbfreie kleiner Landdynasten.
Dies Gelingen hat jedoch für ihre übrigen Sippschaftsgenossen
nicht etwa ähnliche Folgen, sondern dieselben verbleiben nach
wie vor Unfreie. So stehen nicht bloss in dem Klosterurbar
Muri's, das noch zur Zeit der herzoglichen Landesverwaltung ver-
fasst ist. Hörige aus der Gessler-Sippschaft verzeichnet; sondern
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. ^If
als die Landschaft bereits an die Kantone gekommen ist und
deren Landvogt hier Kundschaft aufninlmt über Zahl und Namen
der Eigenleute , sind alö solche in dem neuen schweizerischen
Rodel mitgenannt: »Hensli Gessler, dessen Vater und Hermann
Gessler, sämmtlich von Meienberg, Leibeigne der Herrschaft zu
Reussegg.« (Regest von 1434, Sonntag vor S. Johann zu Sonn-
gichten.) Nach einem Menschenalter kluger Rührigkeit gelingt es
einem aus jener strebsamen Meienberger Linie in dreien herzog-
lichen Aemtern Lehen zu übernehmen, im Habsburg-Eigenamt
(Kt. Aargau), zu Neu-Habsburg (Kt. Luzern) und zu Kiburg (Kt.
Zürich), femer sodann in persönliche Beziehung zu einem der
Herzoge zu kommen und schliesslich in dessen Gefolge gezogen
zu werden. Von nun an bleibt das Geschick dieser Linie mit
demjenigen der Herzoge, als der Herren des Aargaus, auf's
engste verknüpft, einerlei Stern, steigt und sinkt hier für beide.
Als 131 5 bei Morgarten die junge Eidgenossenschaft ihren
ersten Waffengang gegen Oesterreich versucht, stehen die Gessler
bereits als Diener in der Hofburg zu Wien; und gerade hundert
Jahre nachher, als der Aargau den Herzogen für immer entrissen
wird, sind auch die Gessler durch die gleiche Unbill übermannt
und beraubt, unfreiwillig verlassen sie Heimat und Besitz, nachdem
sie ihrem Lande eine grosse Zahl Hauptleute, Herrschaftsräthe,
Richter und Vögte geliefert hatten, deren Amtsführung bald von
den Herzogen selbst, bald von deren Feinden, den Schweizern,
in gerichtliche Untersuchung gezogen und makellos befunden
worden ist.
Diesen Verlauf nimmt die Geschichte der aargauischen Gessler.
In einer Anzahl von etwa eintausend Urkunden liegt sie verbrieft
vor. Nichts enthält sie von jenen abenteuerlichen Ereignissen,
nichts von jenen Tyrannen-Grausamkeiten, an die man nun beim
Namen Gessler zu denken pflegt. Und auch die herkömmliche
Ausflucht, dass nicht alles Geschehene in den Urkunden nieder-
gelegt worden sei, oder dass die Urkunden selbst unvollständig
seien, muss nun verstummen, weil dieselben wirklich so weit
lückenlos vorhanden sind, dass sie die baare Unmöglichkeit der
den Gesslemamen entstellenden Chronistenmärchen geschichtlich
erweisen. Denn ob nun jener Tellenschuss schon zur Zeit der
Aufrichtung des ersten Bundesbriefes der drei Länder 1291 ge-
schehen wäre, so waren damals die Gessler noch aargauische
Leibeigne und konnten also in den Waldstätten nicht schon als
I
i
ßlß II. Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
Vögte amten , zumal König Rudolf, am 19. Februar des genami-
ten Jahres den Schwyzem es verbriefte: »dass ihnen kein unfreier
Mann — aliquis servilis conditiohis — zum Richter ge-
geben werden solle« ; eine für so wichtig gehaltene Rechtsbestim-
mung, dass sie auch noch im Schillerschen Teil (Act 2, Scene 2)
ausdrücklich wiederholt steht: »Kein eigner Mann kann Richter
sein in Schwyz.« Oder setzt man die Tellenbegebenheit nach
herkömmlicher Annahme gleichzeitig mit dem Rütlischwure 1 306,
oder auch als zusammentreffend mit der Zerstörung der Vogt-
schlösser 1307, so liefern die Gessler eben auch fiir keines dieser
Jahre dem Teil sein erforderliches Schussobject ; denn selbiger
Zeit leben und sterben sie alle noch als simple Meienberger
Lehensbauem, wie sie denn als solche andächtig eingeschrieben
stehen in den Todtenbüchern der dortigen Nachbarstifte, ja sogar
in dem Nekrologium des Umerklosters. Seedorf, zunächst gelegen
bei Altorf, wo die Chronistenphantasie den Landvogt bereits an
Zwing-Uri bauen, den Teil verhaften und den Schuss auf das
Kind anbefehlen lässt. Das Emporkommen der Gessler aus der
Hörigkeit in den Stand der Freien geschah überhaupt nicht sprung-
weise oder glückpilzartig , sondern verlangsamt und passiv me-
chanisch, gleich aller übrigen Bauernarbeit. Siebenzig uns be-
'kannte Jahre dauert es, bis einer aus ihnen Ministeriale wird und
damit erst befugt ist, bei amtlichen Güterverkäufen als rechtsgiltige
Person aufzutreten; bis 131 5 währt es sodann, bis ein Hans Gess-
ler zu Herzog Leupolts Küchenmeister ernannt wird, worauf 13 19
dieses Küchenmeisters Sohn Heinrich zur Ritterwürde gelangt,
als solcher seines Geschlechtes der erste. Imnier steht es sodann
noch bis 11. Januar 1375 an, dass. Heinrich Gessler von Meien-
berg urkundet als Herzog Leopolds Landvogt zu Grüningen und
Rapperswil. Wie wenig entspricht ein solcher Stufengang jener
aufgeblähten Machtrolle, die den Gesslern der Fabel schon ur-
anfänglich zugedacht ist. Ja wie haltlos, um nicht zu sagen kin-
disch, wird damit namentlich der erst neuerlich gemachte Noth-
versuch: in diejenige Lücke, welche zwischen den Jahren 1304
bis 1308 im Namensregister der Urner Landammänner be-
steht, einen Gessler als Urner Landvogt aushilfsweise hinein-
zuschieben, ohne dass man dabei seinen urkundlichen Namen und
Vornamen, geschweige die Jahrzahl einer einzigen von ihm her-
rührenden Umer-Acte anzugeben vermöchte.
Es sind die über die Gessler noch cursirenden Meinungen be-
I. FamilieDgeschichte der aargauer Gcssler etc. ^i't
reits auf S. 178 des vorliegenden Buches in drei Fundamentalsätze
zusammengefasst und widerlegt worden. Letztere wiederholen
sich hier etwas erweitert. Eine Person Namens H e r m a n Gessler^
die angeblich bis 1 307 als österreichischer Vogt in den Waldstätten
regiert hätte und dorten getödtet worden wäre, besteht in der,
Gessler-Sippschaft damaliger Zeit noch gar nicht. Das demselben
beigelegte Amt des Reichsvogtes der drei Länder war da-
mals für diese Länder gleichfalls noch kein vorhandenes, weil in
der ganzen Zeit Albrechts, als Herzogs und als Königs, Uri und
Unterwaiden kein Reichsland waren, im Lande Schwyz aber die
Landesverwaltung durch die Ammänner geführt wurde, über welche
ein Landammann als Richter gesetzt war. Ein solcher Richter
aber, als Verweser der Vogteigerichtsbarkeit, schliesst das Zugleich-
sein eines Landvogtes aus. [Eutych Kopp, Urkunden II, Einlei-
tung.] Ein Hermann Gessler von Brun egg hat bis und nach
1307 gleichfalls noch nicht gelebt, da diese Burg erst zu Ende
des vierzehnten Jahrhunderts an Ritter Heinrich (II.) den Gessler
kam, der 1403 starb. Ein Vogt Gessler auf der Burg Küss-
nach ist eine gleiche Unmöglichkeit, da diese Schlossvogtei ur-
kundlich von 1296 bis 1347 dem Rittergeschlechte der Eppone
von Chussinach, dann als herzogliches Erblehen dem Walther von
Tottikon angehört (Urk. v. 23. April 1379. Geschichtsfreund
Bd. 27, 326), hierauf durch dessen Tochter an deren Gemahl Hein-
rich von Hunwile und endlich am 24. August 1402 durch Kauf
an das Land Schwyz kommt, ohne je bei einem Gessler gewesen
zu sein. (Kopp, Urkunden I, S. 63.) Somit wird durch die Ge-
schichtsforschung Gessler aus der Tellensage befreit, wie durch
die Sagenforschung Teil aus dem Gebiete der Geschichte ausge-
wiesen ist. Teil wird aus dem politischen und kirchlichen Credo
gestrichen, Gessler ebenso aus dem Aberglauben des Volkes und
der Lesewelt. Ist Gessler der pragmatischen Geschichte sicher
anheimgestellt, so ist Teil um sein bürgerliches Schlachtopfer ge-
bracht, so endet die bisherige Zwillingsschaft dieser beiden Namen.
Politische Bosheit eines von welschem Solde lebenden und das
deutsche Stammland hassenden Magnatenthums war's, die das
Märchen von Gessler auf die Bahn brachte und es durch eine
welschdenkende Priesterschaft sogar kirchlich sanctioniren liess.
Dieses aufzudecken, ist Aufgabe der historischen Gerechtigkeit^
und mit der Verbreitung der historischen Wahrheit wird sich auch
die sociale Gerechtigkeit weiter ausbreiten. »Was mag doch
^l8 II. Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
grösser und mächtiger sein, denn so viel Todten
das Leben, dem Vergessnen das ewige Gedächtniss,
dem Verfinsterten das Licht wieder schaffen und
gebenl« So schrieb der baierische Historiker Joh. Aventin im
Jahre 1534; und Eutych Kopp hat einen nahe verwandten Gre-
danken an mehreren Stellen seiner Eidgenössischen Bünde (2, 241)
und seiner Urkunden (2, S. VIII) berührt, der zusafmmengefasst
wörtlich also lautet:
»Wenn versucht wird, die Glieder des Geschlechtes der Gess-
ler in möglichster Vollständigkeit zu sammeln und sie der Zeit-
folge nach zu ordnen, so kann dieses eine sehr verdienstliche Ar-
beit werden. Es bedarf nur eines Schrittes, und der Enkel tritt
aus einem schweren Irrthum heraus. Man nehme einmal an, es
habe in den Waldstätten keine österreichischen oder Reichsvögte
gegeben; man nehme an, es haben die von den späteren Zeit-
büchem erzählten und vielfach ausgemalten Greuelthaten der an-
geblichen Vögte in den drei Ländern gar nicht stattgefunden:
welches menschliche Gemüth wird nicht bei diesem Gedanken er-
leichtert? Muss nicht der alte Hass und Widerwille,
in welchem wir gegen Oesterreich und alles Deut-
sche auferzogen werden, zur Ehre der Menschheit
allmählich schwinden?«
Der in den Urkunden erstgenannte des Gesslergeschlechtes
ist Uolricus dictus Gessylarius de Wicwile, Er erkauft
am 17. Januar 1250 einen bei den Ortschaften Auw und Reussegg
(jenes ein Dorf zunächst Meienberg, dieses ein Burgdorf bei Sins
an der Reuss) gelegenen Gütercomplex , übergiebt denselben als
Stiftung und zu dessen Rechtsschutze um den Preis von 13'/» Mark
an die benachbarte Johanniter-Commende Hohenrain (im luzemer
Amte Hochdorf) und empfängt ihn von dieser um den Jahreszins
von 1 2 Pfennig als Erblehen zurück. Es werden dieser Ulr. Gess-
ler und sein erstgeborner Sohn R[udolf] ferner beigezogen als
Unterhändler bei verschiednen Verträgen der Deutschherren-Com-
mende Hitzkirch afti Baldegger See, des Klosters Frauenthal im
Zugerlande, des Stiftes St. Urban im luzerner-, und der Edeln von
Stein und von Büttikon im aargauer Lande, und hiebei steht der
Beiden Zeugschaftsname schon neben demjenigen von Ordens-
leuten, Adeligen und Stadtbürgern. Der Grund dieser Bevor-
zugung wird zu suchen sein in des Geschlechtes damaliger Um-
bürgerung aus Wiggwil in das herzogliche Burgstädtlein Meien-
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. 3 IQ
berg, wie denn schon am 15. Mai und 12. Nov. 1251 jener Ulrich
sich als Gessilerius de Meginberc urkundlich betitelt.
Das österreichische Amt Meienberg am linken Ufer der Reuss
mit seinen siebzehn verschiedenen Ortsbürgerschaften hält gegen
5000 Juehart Bauland und Wald, deren heutiger Werth über
6 Millionen Francs veranschlagt ist. Der ehemalige Hauptort
Meienberg, jetzt ein zu Sins pfarrgenössisches Dorf, liegt auf einer
Landstaffel gegen den langgestreckten Lindenberg hin, gehörte
in den Privatbesitz König Rudolfs, besass Municipalrechte und
fuhrt daher in der königl. Urkunde vom 3. Mai 1278 den Titel
oppidum, Lichnowsky I, S. 472. In demselben Range wird es
1303 vom Habsburg-österreichischen Urbar, S. 88 aufgeführt : »die
statt ze Meienberg, die der gräven von Habsburg eigen ist.«
Der Ort besass Marktrechte, Zollvergünstigungen und das An-
recht auf Wunn und Weid, Holz und Feld, Weg und Steg
in den Nachbar - Gemeinden Aegtenschwil, Abtwil, Alikon und
Auw. Segesser RG. 2, 65. Argovia 9, 102. Allein von den
Luzemern und deren Verbündeten hartnäckig befehdet, zweimal
geplündert und verbrannt, war der Ort schon unter seinem letz-
ten herzoglichen Landvogte Heinrich Gessler so herabgekommen,
dass er auf seine Sonderrechte, und Gessler ebenso auf seine per-
sönlichen y ogts-Einkünfte fünf Jahre lang verzichten , um so zu-
sammen den erlittnen Kriegsschaden vergüten zu helfen (Regest
von 1403). Zwölf Jahre nachher nahmen die Eidgenossen die
ganze Landschaft weg, unter ihrer Verwaltung sank der Ort vol-
lends zum Dorfe herab. Der Sandsteinhügel, auf dessen Rücken
dasselbe liegt, endet südwestlich in einem steilen, von einem Wald-
bache umflossnen Abhänge, nordöstlich in einer Halde mit zwei
steilen Böschungen, an deren Fuss einst gleichfalls ein Waldwasser
vorüber gieng ; oben laufen zu beiden Seiten die Wallgräben, auch
jetzt nur zum Theil erst ausgefüllt. So ist also Lage und Ueber-
bauung des Hügels die Ursache, dass weder das Burgstädtlein,
noch das jetzige Dorf eine weitere Ausdehnung nehmen konnte.
Die äussersten Häuser stehen mit ihrem Unterbau auf der alten
Ringmauer und bilden zusammen ein Viereck, in Länge und
Breite kaum 300 Ellen haltend. Der höchstgelegne Platz heisst
Stadt und ein Sodbruraien dorten der Stadtbrunnen. Auf diesem
Punkte, sagen die Einwohner, habe das Schloss Scharfenstein ge-
standen, bewohnt von dem Freiherm Konrad Gessler, Schloss-
herrn auf Reussegg, der im dreizehnten Jahrhundert eine aargauer
2 20 II« I^ic Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
Adelschronik verfasst habe. Eine dem Stadtgraben gegenüberj
liegende Anhöhe heisst Altenburg und soll zubenannt sein nach
dem gleichnamigen Schlosse , das Graf Radobot von Altenburg
(bei der Stadt Brugg) hier angelegt habe. Diese Angaben stam-
men indess lediglich aus der Klosterchronik Acta Murensia und
sind der Bevölkerung erst durch die Ortsgeistlichkeit beigebracht
worden. Dieselbe Mönchs- und Schulphantasie ist es, die hier
im Dorfe ein altes Gewölbe , das durch Schuttmassen ebenerdig
gemacht worden ist und das man nachträglich mit Balkenwerk
durchschlagen hat, für ein unheimliches Burgverliess ausgiebt und
an den Gesslernamen knüpft. Denn das» der berüchtigte Urner
Reichsvogt ihr spezieller Mitbürger gewesen sein soll, wissen die
Meienberger recht wohl, meinen aber diese unangenehm lautende
Landsmannschaft mit dem begründeten Umstände abzulehnen,
dass im Nachbardorfs Auw einst gleichfalls Gessler sesshaft ge-
wesen sind.
Hieher war von Wiggwil Ulrich Gessler gezogen. Da er
und die Seinigen die Neigung der Zeit zu frommen Stiftungen
theilte, so wird man eben hiedurch über ein so entlegnes Klein-
geschlecht frühzeitig aus den Jahrzeit- und Todtenbüchern der
Kirchen und Klöster unterrichtet, an welche dasselbe Vergabungen
macht. So steht ein Rudolf Gessler (Sohn des erwähnten Jo-
hannes vom Jahre 1279) in den drei Nekrologien der Stifte Muri,
Hermetswil und Hitzkirch unter dem gleichen Tage eingezeichnet;
er ist Mönch zu Muri und vermacht das später noch oft er-
wähnte Gesslergut Zum Gutenbrunnen an die Hitzkircher Com-
mende. Zugleich erscheint eine Anna Gässleria als Conveht-
schwester zu Hermetswil und ist Anlass, dass unter den dortigen
Klostergütem ein Gessleracker mit aufgezählt steht. Der Ver-
wandte und Zeitgenosse Beider ist ein nicht näher bestimmbarer
Conrad Gessler von Meienberg, f ca. 12-79, der im Nekro-
logium des Lazaritenhauses Seedorf in Uri verzeichnet steht
Sein in diesem Ritterhause so frühzeitig auftretender Name
hat wohl auf jene Gründungssage Meienbergs durch einen Ritter
Conrad G. eingewirkt, zum gelehrten Verfasser aber der ältesten
Schweizerchronik hat man denselben etwa dann gemacht, als
auch ein Mönch Conr. G. bekannt wurde, welcher 1470 Conven-
tuale zu Reichenau und Bürger Zürichs gewesen ist. Näheres
hierüber folgt im »Gesslerischen Sagenkreise«.
Des vorgenannten Murenser-Mönches Rudolf jüngerer Bruder
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc, 32 1
ist jener Johannes G., welcher bei einem am 13. Januar 1309 auf
Schloss Arburg getroffnen Verkommnisse zwar noch ohne Bei-
fügung einer Standeswürde, aber neben aargauer Adeligen amtend
mitgenannt ist. Aus diesem Umstände ist zu schliessen, dass der
gciwesne Hörige inzwischen zum Range eines Ministerialen, d. h.
zum waffenfähigen dienten irgend eines Landedelmannes vorgerückt
ist und somit eme Stellung einnimmt, die zwar immer noch eine
vom Schutzherm persönlich abhängige ist, aber die Uebergangs-
stufe bildet von der Unfreiheit zur Freiheit. Aus diesem Stande
wählten sich die Herren die Verwalter, Meier und Kellner ihrer
Güter, die Beamten ihres Haushaltes; und insoferne das Dienst-
mannsgut der Ministerialen befreit wurde von der Vogtsgewalt,
von den Vogtsteuern und Frohnen, so lag hierin eine mitwirkende
Ursache, dass der Stand selbst lehenrechtsfähig, schildbürtig und
rittcrmässig werden konnte; er leistete den mit d^r Lebensfähig-
keit zusammenhängenden Ritterdienst und durfte darum das Ab-
zeichen der Ritterwaffe, das Wappen (arma, armes) y Schild und
Helm im Siegel fuhren. Und dieses Standesrecht, wenn auch
nicht der Ritterstand, vererbte sich vom Vater auf die Söhne.
Johannes ist Mitbesitzer am Hofgute und Hofzehnten zu Staufen
bei Lenzburg, (131 1, 18. Febr.) und tritt im gleichen Jahre neben
einer Zahl von Adeligen und Klerikern bei einem Gutskauf des
Klosters Muri auf Sein Sohn Heinrich ist hiebei mitwirkend,
also volljährig. Die Beiden zusammen 'erwerben 13 14 mehrfache
Zinsgüter, welche zerstreut liegen zu Bergiswil in der Pfarre
Küssnach, und zu Brüggthal in der Pfarre Luzern; vgl. S. 177
vorliegenden Werkes. Dem Vater Johannes ist Herzog Leopold
der Aeltere erst 20, dann weitere 38 Mark für gelieferte Rosse,
dazu eine ungenannte Summe für Dienstleistungen schuldig ge-
worfen; dafür versetzt er ihm unterm 9. und 12. Mai 13 15
Zehentantheile zu Oberwil (Pfrd. Bezirks Bremgarten), zu Butwil
(Pfr. Muri), Hofzinse zu Alikon (Dorf bei Meienberg) und Zinse
auf die Steuer der Stadt und des Amtes Zug. Diese herzoglichen
Pfandbriefe werden bei Johannes nicht mehr ausgelöst, derselbe
verbürgt vielmehr seinem Herrn bei Basler Geldmaklern weitere
100 PfA Pfennige, gelangt durch derlei Ergebenheitsbeweise zum
Amt eines l\erzoglichen Küchenmeisters, wird Edelknecht Y^^rw /-
gtr) und kann sich nun das Prädicat Junker, doinicellus^ beilegen.*)
•) Das Oberstküchenmeister-Amt war aus dem des Truchsessen (des Schüssel-
Rochholz, Teil und Gessler. 21
322 IL ^ic Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
Da Johannes um 131 5 gestorben ist, am 15. November dieses
Jahres aber die Schlacht bei Morgarten geliefert wurde, so hat
dies zufallige Zusammentreffen den stehenden Glauben veranlasst,
als habe Johannes dorten mitgefochten und sei für seinen Herzog ;
gefallen.*) So erzählen es die Chronisten, und scheinbar bestä-
tigen es auch die zwei Jahrzeitbücher der Kirchen von Brem-
garten und Rüeggeringen. Entschieden ist jedbch hiemit die
Thatsache noch keineswegs. Denn das Rüeggeringer Kirchenbuch
ist längst verloren, der Untersuchung entzogen und nur in einem
vom Luzerner Stadtschreiber Rennwart Cysat gefertigten Auszuge
vorhanden. Auf Cysat's Treue aber ist kein Verlass; im Gegen-
theil haben seine ähnlichen Auszüge aus dem Jahrzeitbuche der
Luzerner Barfüsser so grundverschieden in Namen und Jahres-
zahlen sich erwiesen gegenüber dem wirklichen, nun im Greschichts-
freund, Bd. 13, gedruckten Original, dass Cysats eigne Lands-
leute bekennen, er müsse das ganze Opus nach eignem Belieben
»fabrizirt« haben. Aus dem manierirten Wortlaute jener von
Cysat aus dem Rüeggeringer Kirchenbuche citirten Stelle, sodann
aus der offenbar fälschenden Anticipation, wornach hier Johannes
G. als Edelherr und Ritter (dominus^ Miles) aufgezählt ist,
während derselbe doch erst Edelknecht und Junker { armiger ^
Domicellus) war, hat Kopp (Eidg. Bünde IV. 2, 150 und Ur-
kunden II, 49) die historische Nichtigkeit des Ganzen 'gezeigt.
Ganz ähnliche Willkürlichkeiten entstellen auch die andere der
beiden genannten Quellen, das Jahrzeitbuch der Pfarrkirche der
Stadt Bremgarten. Dasselbe ist erst ein volles Jahrhundert nach
der Morgartnerschlacht von einem darinnen sich nennenden Wilh.
Reider geschäftlich geschrieben und zeigt bei der bezüglichen
Stelle zum 15. November, als dem Morgartner Schlachttage, dass
hier das entscheidende Stichwort »am Morgarten« erst nachträg-
lich, ausser der Zeile und mit blasserer Tinte hinzugesetzt worden
ist. Auch dieses Buch giebt dem unter den Gefallenen mitge-
und Speisenträgers) entsprungen und bedingte das Geschäft der Leitung dtf Hof-
feste, war mithin ein nicht unbedeutendes Verwaltungsgeschäft« Die damit ver-
b.undnen Einkünfte und Emolumente sind nachmals in ständige Geldrenten ver*
wandelt worden, welche bis auf unsere Tage in bairischen Verordnungen Küchen-
dienst genannt sind. Siehe das Baierische Regierungsblatt, Verdrdn. v. i8. Nov.
18 14, pag. 348, G. L. Maurer, Fronhöfe II, 268.
*) Nicht zufrieden mit Einem, lässt Businger (Gesch. von Unterwaiden i, 250)
bei Morgarten »zwei von Gessler« unter den Schwyzer-Morgenster^en fallen.
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. ^23
nannten Johann G. den unberechtigten Titel Dominus und
nennt unter den femer Umgekommenen auch einen Kleriker Jo-
hannes Bonstetten, während dieser nebst seinen beiden Brüdern
Hermann und Ulrich 13 15 doch noch fortlebt, ohne dass damals
noch andere Bonstetten desselben Vornamens vorhanden gewesen
sind. Und so begegnen alsbald nach jenem Treffen auch des
Edelknechtes Johannes G. drei Söhne: Heinrich, Ulrich und Ru-
dolf in solch geschichtlicher Deutlichkeit, dass sinistre Sagen und
feindselige Chronisten eben darum um so rascher ertappt und
entlarvt werden konnten, wenn sie weitere Schleichwege zur po-
litischen Verdächtigung des Gesslemamens einschlagen wollten.
Der älteste jener drei Brüder, Heinrich (I), ein im Gessler-
geschlechte besonders beliebt gewesner Vorname, urkundet seit
131 1 mit und neben seinem Vater, erwirbt weitere Liegenschaften
zu Neuenkirch (luzerner Bezirk Hochdorf) und zu Tägerig (Bez.
Bremgarten), steht sammt den Brüdern in Kaufgeschäften mit der
Hofhaltung zu Wien (24. März 13 16) und sendet mit jenen am
4. Heumonat 13 19 das vom Schaff hauserkloster Allerheiligen ge-
tragne Erblehen Schaffisheim, im Kirchspiel Staufen bei Lenzburg,
zu Gunsten der herzoglichen Stiftung des Klosters Königsfelden
bei Brugg auf. Diese bis jetzt genannten Güternamen deuten
auf den Zuwachs von Besitzthümern hin , die von der Familie in
den drei Thälern der Reuss, Aa und Aare, schliesslich über den
Aargau hinaus auch im Zürichgau erworben werden ; denn auch
im Kiburger Amte sitzen, seit dem Jahre 1 300, Gessler und über-
tragen ihren Namen auf dortige herzogliche Zinsgüter, wie das
Habsburgisch-österreichische Urbar S. 218, 329 es ausweist. Für
Beschaffung von Turnierhengsten versetzt Herzog Leopold an
Heinrich eine am Fischmarkte zu Luzern gelegne Hofstatt, deren
damaliger Schatzungswerth 140 Mark betrug. Kopp, Gesch.-Bl. 2,
171. Dieses herrschaftliche Eigenhaus, gelegen auf der alten offnen
Gerichtsstätte in der Mehreren Stadt (Schneller, Ausg. der Chronik
von M. Russ, S. 20, Note 29), ein Absteigequartier des Hofes
bei dessen Reisen in den Vorlanden, erhält von da an seine eigne
kleine Hauschronik; es ist seit 13 17 bewohnt von der Geslaria,
die wohl des Johannes Gemahlin war und identisch sein mag mit
der im Eschenbacher Nekrolog erwähnten Domina Gutta Gess-
lerin. Der Werth von Haus und Hofstatt ergiebt sich aus der
Urkunde vom 17. März 1362, da Johannes Ribin von Lenzburg,
Klanzier und Landvogt der Herzoge und Bischof zu Brixen und
21»
^24 ^^* ^^^ Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
Chur, diese Liegenschaft um 140 M. Silbers verkauft. (Kopp,
Gesch.-Bl. 2, 171. Segesser RG. i, 142). Obschon Heinrich da-
mals zu Luzern weder eingebürgert noch niedergelassen ist, son-
dern am Wienerhofe lebt, so hat er gleichwohl, mittels seiner
Lehen im benachbarten Amte Rotenburg, Einfluss auf die Luzemer
Bürgerschaft und macht ihn bei nachfolgendem Falle auf be-
merkenswerthe Weise geltend.
Die Luzerner Schultheissenwahl war am 25. Christmonat 1328
auf Johann von Bramberg gefallen, jedoch ohne Genehmigung
des herzoglichen Vogtes zu Rotenburg, Hartmann von Ruoda, vor-
genommen worden, weshalb dieser die Wahl für eine Anmassung
der ihm opponirenden demokratischen Fraction halten durfte und
suspendirte. Das Recht der erhobnen Einsprache war klärlich
enthalten in der schon unter den Murbacher Aebten der Stadt
ertheilten Öffnung.*) In dieser Verlegenheit wendet sich der
Magistrat an zwei zu Wien lebende Luzerner mit dem Auftrage,
dieselben möchten ein den Vorgang erklärendes Bittschreiben
beim Herzog Otto überreichen und befürworten. Der eine von
ihnen ist Magister Heinrich aus luzernisch Freienbach, früherhin
Domherr zu Passau, dann mit Willen des dortigen Bischofs seit
1323 Stadtpfarrer bei St. Stephan zu Wien. Die Herzoge
Albrecht und Otto schulden ihm 225 M. Silbers, »darumb hant
si im (dazu seinem Bruder Rudolf von Freienbach und dessen
ehlicher Wirthin, sodann auch Josten von Moos und dessen ehe-
licher Wirthin Cäcilien, sammt der beiden Letzteren Leibeserben)
gepen vnd versetzt ir guot vnd gült ze Malters vnd ze Gersaw
mit vogtein vnd mit gerichten vnd mit allen den rehten, die da
zuo gehörent. Den nützze kan man nicht wizzen. Datum Wien
am Mentag nach St. Marcustag anno Dm. 1333. Item aber
schluogen im Herzog Albrecht und Herzog Ott dar vff 50 mark
Silbers. Wien an dem wienacht abent anno Dm. 1333.« (Diese
in Fr. Pfeiffers Ausg. des Habsb. - Österreich. Urbarbuches noch
nicht enthaltnen Originalbruchstücke jenes Gesammtwerkes sind
zu Bern durch Bibliothekar v. Steiner aufgefunden und theils in
Kopp's Gesch.-Bl. 2, 173, theils in Segessers RG. i, 483 abge-
druckt worden). Dieser Wiener Pfarrer, als der eine von Luzern
*) Es sint ouch die burger von Lucerron mit dien vögten von Rotenburg
also harkomen, das die burger einen rat hant in der stat, den sol man ze zwein
malen in dem iare enderen, ze Sant Johans mes unz zem zwel(f)ten dag, mit
des vogtz wüssende oder des, den er derzu sendet. Grimm, Weisth. IV, 367,
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. 125
damals Beauftragte, hat zu seinem politischen Mitagenten daselbst
den Ritter Heinrich Gessler, dem die herzoglichen Brüder nicht
minder verpflichtet waren. Beide unterziehen sich dem Geschäfte.
Gesslers Rückantwort hat sich erhalten. Er meldet 1329 dem
Luzerner Stadtrathe, dessen Bittschreiben sei eingereicht und freund-
lich angenommen worden, das mit übergebene Schultheissendiplom
liege bereits zur Besieglung bei Herzog Otto. Man möge jedoch
zu Luzern ja nicht ferner auf eine zwischen den herzoglichen
Brüdern und Vettern bestehende Spannung rechnen, selbst das
Zerwürfniss mit dem Könige von Böhmen sei soeben ausgeglichen
worden. Vielmehr sei für jetzt von ferneren bürgerlichen Neuerun-
gen abzumahnen und die schwebende Sache in des Fürsten Ent-
scheid zu legen, der seine gute Gesinnung ohnedies ausgedrückt
habe. — Allerdings genehmigte Otto hierauf unterm 13. Nov.
1330 jene Ernennung Brambergs, bestätigte und bestimmte jedoch
dem Rotenburger Landvogte von Ruoda abermals das Recht, die
Schultheissenwahlen zu beaufsichtigen und die Gewählten zu cen-
siren und zu sichten. Ganz vergeblich I Denn schon am 27. Christ-
monat darauf fasste die Gemeinde den umständlich formulirten
Beschluss: Wer gegen das Stadtrecht, das der von Ruoda jüngst
entkräften hat wollen, spricht oder handelt und dessen, auch wenn
er ableugnet, mit der Mehrheit überführt wird, der wird nicht
mehr mit Verbannung, sondern an Leib und Leben bestraft,
sein Vermögen wird eingezogen, um daraus die Kriegskosten zu
bezahlen. Der gewesne Stadtschultheiss Johann von Malters und
seine drei Mitgesandten, welche mit dem Herzog über die
Punkte des fürstlichen Sendschreibens überein gekommen waren,
wurden zu Luzern öffentlich verrufen und der Stadt verwiesen.
Es währte noch zwei weitere Jahre, und Luzern schloss sich am
13. Wintermonat 1332 dem Bunde der Waldstätte an, die durch
König Ludwig den Baiern von Oesterreich losgesagt und reichsfrei
erklärt worden waren. Luzern verweigerte die Annahme der all-
jährlich sich verschlechternden Landmünze und wagte darüber
einen Angriff gegen die herzogliche Zollstätte in Rotenburg.
Hartmann von Ruoda schlug die Angreifer zurück, sie Hessen
85 Mann auf dem Platze. Abermals suchten die Bürger die
Gnade der Herzoge, wiederum trat Vermittlung ein; die gericht-
lich Verschrieenen wurden befriedet, die abgewiesene Münze be-
hielt ihren Curs; auch Luzems Bund mit den Ländern, welcher
unter dem gleissnerischen Vorbehalt der »Rechte und Gerichte
326 n. Die Gessler von Bnmegg in Geschichte und Sage.
unsrer Herren der Herzoge« geschlossen war, und jedes andere,,
ohne der Herrschaft Einwilligung inzwischen geschlossene Bund-
niss, sei's von Eidgenossenschaft oder von Burgrecht wegen, sollte
todt und ab sein. So blieb der Stand der Dinge bis 1336, als
die höfischgesinnte Partei zu Luzem es an der Zeit hielt, sich
gegen die demokratische verstärken zu können und das Begehren
stellte, den Ritter Heinrich Gessler ins Stadtbürgerrecht aufzu-
nehmen. Ihr Antrag fiel nicht bloss durch, sondern Gesslers
Name war damit örtlich zum politischen Stichwort gemacht und
reichte jetzt für sich allein schon hin, heftige Injurienprozesse
zwischen den Herzoglichen und den Eidgenössischen anzustiften.
Regest vom* 12. Mai 1336, Zofingen. Der Hauptanlass zu solcher-
lei Vorgängen lag in der politischen Schwäche der Herzoge, die
mit den drei Ländern eine zeitweilige Waffenruhe abgeschlossen
und bis zum 25. Christmonat 1338 verlängert hatten, sodann
während dieser Zeit drei Rotenburger Vögte (Hartm. v. Ruoda,
Ulrich von Ramswag und Bruder Peter von Stoffeln) gewechselt
hatten, und also eben so lange die unbotmässige Stadt dem auf-
regenden Einflüsse der Waldstätte ausgesetzt Hessen. Damit war
hier auch Heinrich Gessler preisgegeben und sein Bemühen ver-
eitelt. Noch viel weiter aussehend war der herzogliche Plan, in
der Kabinetspolitik der damaligen Grossmächte eine Rolle mit-
zuspielen; wiederum wurde er in Gesslers Hand gelegt und aber-
mals misslang er vollständig.
Der englische König Edward III. hatte den Entschluss gefasst,
mit König Philipp VI. von Frankreich um den Besitz der franzö-
sischen Krone zu kriegen und suchte die Fürsten des deutschen
Reiches durch Verträge, Subsidien und Ehebündnisse an seine Politik
zu fesseln. Bereits war er mit dem Grafen Wilhelm von Hennegau
und mit König Ludwig dem Baier verschwägert; nun stellt er
dem stets geldbedürftigen Wienerhofe sein Töchterlein Johanna
als den reichen Heiratsgewinn für eine mit ihm abzuschliessende
Allianz in Aussicht, und seit 2. Sept. 1337 ist Ritter Heinrich
Gessler designirt, als Gesandter nach London zu gehen und
förmlich um die Prinzessin zu werben. Sie ist 1333 geboren,
mithin jetzt erst vierjährig. Der ihr zugedachte Gemahl Herzog
Friedrich IV., Sohn Otto's des Fröhlichen und der Frau Elisabeth
von Baiern, ist 1327 geboren, zählt also gleichfalls erst zehn
Jahre und ist bis jetzt seiner Muhme in aargauisch Königsfelden,
der vielgenannten ungarischen Königswittwe Agnes, zur Erziehung
I. Familiengeschichte der aargaaer Gessler etc. y2,J
übergeben. Bekanntlich ist bei Geldheiraten, sei's unter Fürsten
oder Bauern, das Kindheits- oder Greisenalter kein Verhinderungs-
grund. Hingegen sind damals des englischen Königs übrige Plane
noch nicht reif und so weiss er theils die Ankunft Gesslers, theils,
da dieser dennoch in London erscheint, die Verlobung der Tochter
zu verzögern, indeiti er vorerst über die Terminsbestimmungen
zur Auszahlung der Heimsteuer umständlich tractieren lässt. Nach-
dem er aber 1338 das deutsche Reichs- Vicariat erhalten hatte —
auch dies als Folge eines Geldgeschäftes — kommt er nach Ant.
werpen herüber, schlägt hier zwei Jahre lang — bis 1339 — sein
Hoflager auf, schickt Johanna zu ihrer kaiserlichen Base nach
München und lässt inzwischen das Geschäft zu Wien durch den
Unterhändler Johann von Montgomery weiter fuhren. Die
40,000 Gl. Heiratsgut sind zur Zeit in der Münchner Hofburg,
als an neutraler Stelle deponiert, und hier ist Kaiser Ludwig vor-
sichtig genug, eine so hübsche Sumn^e nicht in die Hand seiner
Wiener Rivalen gelangen zu lassen.*) Jetzt tritt Edward be-
stimmter heraus. Mit Urkunde aus Antwerpen, Febr. 1339, er-
richtet er einen Schutz- und Trutztractat mit den herzogl. Brüdern
Albrecht und Otto. Beiderseits verbündet man sich gegen alle
Widersacher, den römischen König allein vorbehalten; ein Sonder-
artikel bestimmt, dass während Edward den König von Frankreich
' bekämpft, die Herzoge einen Einfall in das Herzogthum Burgund
machen und dieses besetzen sollen, wozu ihnen 200 Reisige in
brittischem Solde gestellt werden.**) Das Lockmittel war die
Gründung eines habsburgischen Fürstenthums in burgundischen
Landen, ein damals seit hundert Jahren von Oesterreich verfolgter
' Plan. Allein dieser missrieth jetzt in allen Stücken, die Ereignisse
überholten sich , der Kampf, welcher in Burgund ausgefochten
I hätte werden sollen, fand sein Schlachtfeld vorfrüh in der Schweiz
und die österreichische Partei unterlag.
Den äusserlichen Anlass zur Feindseligkeit, der zugleich den
Einfall in Burgund maskiren sollte, bot das kleine Städtlein Laupen,
*) So urtheilt De Roo, Annales. Oeniponti 1592, pag. 102.
**) Rymer, Foedera II. 3,42. Lichnowsky III, Urkk. No. 1188. Ein
I^eisiger wurde zu je fünf bis sechs Mann Söldner gerechnet. Ein Jahrhundert
später kosteten sechs Reisige jährlich 2CX) Gl., mithin 200 Reisige 6666*/, Gl.
Um solchen Lohn dient im Jahre 1423 Ritter Hermann Gessler der Öster-
reicher Herzogin Anna in Tirol ; vergl. Regest zum genannten Jahre.
128 I^* ^ic Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
^
um dessen Alleinbesitz die üchtländischen Schwesterstädte Freiburg'
und Bern bereits schon länger sich gestritten hatten. Freiburg machte
die ihm vom König Ludwig bewilligte Wiedereinlösung des an Benr
verpfändeten Laupens geltend; Bern aber verweigerte die Abtretung
beharrlich, zu deren Decretirung Ludwig, als im päpstlichen Banne
liegend, nicht befugt gewesen sei. Der Adel der burgundischen
Lande hingegen sah seine Zukunft in der Westschweiz durch Berns
wachsenden Einfluss gefährdet und unterstützte darum Freiburgs
Ansprüche. Zu der nun geschlossnen Coalition traten darum in
der romanischen Schweiz die Grafen von Greyerz, von Waat,
Neuenburg, Valangin; in der deutschen die Grafen Eberhart von
Kiburg, Peter von Arberg, Rudolf von Nidau, Imer von Strass-
berg und die drei Bischöfe von Basel, Lausanne und Sitten.
Sogar König Ludwig, dem Bern bis dahin die Huldigung noch
immer verweigert hatte, hiess mit Urk. vom Febr. 1338 das
welsche Bündniss gut. Während das Bundesheer die Belagerung
Laupens begann, dessen Besatzung unter Schultheiss Joh. von
Bubenberg hartnäckig trotzte, rückte der österreichische Succurs
unter dem Grafen Heinrich von Fürstenberg verlangsamt aus dem
Aargau heran. Ehe sich diese Schaaren geeinigt hatten, erschienen
die Berner zum Entsätze, verstärkt durch die Mannschaft der
Solothurner, Oberländer und Waldstätte, und erfochten am
21. Juni 1339 einen glänzenden Sieg. Das Heer des welschen'
Adels war dahin. So rettete Bern bei Laupen seine eigne
Zukunft, aber auch zugleich den Bestand des Herzogthums
Burgund. Wenige Wochen hernach war die ganze Coalition
gesprengt. König Ludwig zerfiel mit Oesterreich und begnadete
Bern mit wichtigen Privilegien; die Habsburger mussten zum
Schutze ihrer oberen Lande hier neuerdings Freunde suchen. Die
Königin-Wittwe Agnes, diese alte Penelope am Webstuhle der
österreichischen Hauspolitik, hatte das Knäblein Friedrich zu Kö-
nigsfelden umsonst zur politischen Schau ausgestellt, Hess durch
Ritter Burkhard von Ellerbach eine vorläufige Waffenruhe unter-
handeln und vermittelte darauf ein zehnjähriges Bündniss mit
Bern.*) Dem Wiener Heiratsprojecte endlich setzte der Tod
ein Ziel. Herzog Otto starb 1339,**) rasch folgten ihm seine
*) Der Laupenkrieg ist hier nach der AufTassungsweise des Geschichts-
forschers Urs Jos. Lüthy dargestellt, und zwar nach dessen Ztschr. : Solothurner
Wochenblatt, Jahrg. 1826, S. 370 ff.
*•) Mailath, Gesch. v. Oesterr. I, 136 nennt dafür den 14. Febr. 1340.
r
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. i2Q
Söhne: Leopold am lo. Aug. 1344, Friedrich achtzehnjährig am
II. Dec. gleichen Jahres. König Edward liess sein Töchterlein
Johanna aus München nach* Antwerpen zurückkehren und schiffte
sich mit ihr nach England ein ; die deutschen Fürsten hatten sich
für seine Plane zu machtlos und zu geldarm gezeigt. Noch ist
sein damals geführtes Haushaltungsbuch vorhanden, das die bei
diesen Verhandlungen ausgegebenen Summen sammt den Namen
der Empfänger enthält. Daraus sind die während des Königs
Aufenthalte am Continent vertheilten reichen Gratificationen und
Ehrengeschenke publicirt worden in den »Quellen und Erörterungen
zur deutschen und baierischen Geschichte,« Bd. 7, S. 410 ff.
Gesslers, des Brautwerbers und Gesandten Name begegnet hiebei
nirgend. Er scheint seit 1342 gestorben zu sein.
Im Todtenbuche der Kirche von aargauisch Beinwil steht
Heinr. Gessler unter dem 15. Mai mit einer auf den dortigen
Weiler Marienhalden lautenden Stiftung eingetragen, und ebenda
auch der Leibarzt des Herzogs Leopold. Heinrich war Patronats-
herr der Kirche von Rüeggeringen gewesen, wohin das luzemer
Städtlein Rotenburg pfarrgenössisch gehörte, und hatte durch
, Urkunde, dat. Rotenburg, 2i.Brachm. 1334, die Rotenburger des
Kirchenbannes, in den sie wegen Zehentverweigerung verfällt
waren, bedingungsweise enthoben. Diese Urkunde ist verloren,
eine späte Copie derselben in der Rotenburger Kirchenlade schreibt
abbre viert: »Der ehrbare Her H. der Gessler.« Ganz derselbe Um-
stand ist es mit dem gleichfalls verlornen Original des Rüeggeringer
Jahrzeitbuches ; man hat auch von diesem nur einen abschriftlichen
Auszug, welchen der Verdacht erregende Rennwart Cysat in
seinen Collectaneen A. pag. 176 zu Luzern hinterlassen hat. Darin
nun steht jener H. Gessler in Her man ausgeschrieben, und in
dieser Namensform hat ihn hernach Felix Balthasar in den »Denk.
Würdigkeiten« in weiteren geschichtlichen Umlauf gesetzt. Hinter
dieser kleinlichen Silbenstecherei »lag indess der Chronistenplan
versteckt, jenen sagenhaften Landvogt Gessler, der für das Be-
freiungsjahr 1307 urkundlich nicht aufzutreiben ist, irgend anderswo
hervor zu holen und als Schreckgestalt geschichtlich rückwirken
zu lassen. Versetzte man den berüchtigten Namen Her man
Gessler in die Rotenburger Geschichte, so liess sich dadurch ein
von Luzern gegen den Rotenburger Vogt verübter Verrath sogar
zu einer Volkserhebung steigern, welche gegen Gesslerische
Grausamkeiten patriotisch vollberechtigt heissen konnte. Trotz
J90 II* I^i^ Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
des Torberger Friedens hatte nemlich zwischen Luzem und dem
herzogl. Vogte zu Rotenburg die Fehde heimlich fortgedauert,
weil des Krieges früherer Anlass ungehoben geblieben war. Denn
Luzem fuhr fort, die Rotenburger Unterthaneri unberechtigt in
sein Bürgerrecht aufzunehmen, und der Landvogt unterliess eben
so wenig, auf die ihm Entronnenen zu fahnden und die luzemischen
ZoUdefraudanten scharf abzustrafen. Die Gebüssten sannen auf
einen Handstreich. Während der Vogt Hemmann von Grünen-
berg, damaliger Pfandherr des Amtes, am 28. Christm. eben auf
dem Kirchwege nach dem eine halbe Stunde entfernten Rüegge-
ringen war, erstieg das junge Luzernervolk das Schloss und
schleifte es. Die gleichzeitige Züricher Stadtchronik brandmarkte
diese mitten im beschwomen Frieden verübte Gewaltthat mit
dem Vorwurfe der Eidbrüchigkeit: »Am kindlintag zuo wichen-
nächten zugent die von Lucern heimlich uz und nament Rotenburg
in, ungewarnoter sach.« Dies von den übrigen Städten mit-
vertretne Urtheil wurmte die waldstättisch Gresinnten, ihre Scri-
benten dachten auf eine Ehrenrettung und meinten, sie gefunden
zu haben, wenn man den in der Rotenburger Urkunde von 1334
genannten H. Gessler in einen Hermann G. umschrieb. Hatte
ein Gleichnamiger seine Unthat gegen Teil nicht mit dem Leben
gebüsst? Hatten die frommen Unterwaldner das Vogtschloss zu
Samen und Rossberg nicht genau auf dieselbe Weise beschlichen
und zerstört? Was kümmert sich das Volk um den chrono-
logischen Unterschied von 1307 und 1385 I So dachten die Partei-
schriftsteller und' hielten es für unmöglich, dass man noch in
späteren Tagen einmal ihre kecken Angaben auf den Buchstaben
der Urkunden prüfen und widerlegen werde.
Heinrich und seine zwei Brüder Rudolf und Ulrich Urkunden
zusammen am 4. Heum. 13 19 über Aufsendung eines ihrer Lehen
und erwerben mehrere Güter zu Rigoldsrüti, Wölhausen, Butwil
und Göslikon, Ortschaften im teerner Lande und im angrenzenden
Freiamte. Ulrich ist Mitkäufer des Kirchensatzes zu Göslikon,
dann seit 10. Nov. 1328 Rector oder Kirchherr zu Engstringen,
einer zwischen Baden und Zürich gelegnen Gemeinde, so dass
also den drei Brüdern bereits eine dreifache Kirchen-Patronatschaft
zusteht. Sie üben hierin einen zu ihrer Zeit allgemein gewesnen
groben Missbrauch. Der mit dem Gesammtertrage einer im
Lehennexus stehenden Pfarrei belehnte Laie oder Priester bezog
die Temporalien der Ortskirche und überliess die Seelsorge einem
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. 33 1
Vikar oder Leutpriester gegen meist dürftigen Sold. *) In diesem
Verhältnisse stunden alle diejenigen Ortskirchen der Österreich.
Vorlande, deren das Österreich. Urbar unter der Formel gedenkt:
die kilchen lihet diu herschaft; und unter dieser gleichen
Form giengen dieselben nach Eroberung des Aargaus an die
Xehensherrliphkeit der Kantone über. Segesser RG. II, 806.
Ulrich verschws^ert sich mit \lem aargauer Edelgeschlechte von
Mülinen, sesshaft auf der gleichnamigen Burg bei Windisch an
der Reuss, und eröffnet damit die nachmals weiter greifende
Verwandtschaft seines Hauses mit den Adelshäusem von EUer-
bach, Hedingen und Freiberg. Jene Ehe kam auf ungewöhnlichem
Wege zu Stande. Ritter Albrecht von Mülinen war des Kom-
plottes mit dem Kaisermörder Johann von Schwaben schuldig,
hatte seine Güter durch Confiscation verloren, und ein Theil der-
selben war an die Gessler übergegangen.**) Des Geächteten
Tochter Anna stand als Hofjungfrau in Diensten Katharina's von
Savoyen, Wittwe Herzog Leopolds des Aelteren, verlobte sich
1334 mit Ulrifch Gessler und erhielt, da die Landesherren gegen-
über ihren Dienern und Amtleuten den Brauch übten, die Heim-
steuer für deren Töchter zu übernehmen, zu ihrer Ehe 100 Mark
Silbers auf das Amt Zug angewiesen, ***) wobei wir uns erinnern
werden, dass ein Theil dieser Amtssteuer den Gesslem schon
früherhin pfandweise versetzt war. Der Gemahl Ulrich ist sesshaft
I auf Schloss Neu-Krenkingen und Gerichtsherr im Amte Erzingen,
' beides im Kletgau , und steht in Geschäftsverkehr mit der Abtei
St. Blasien und den Grafen von Habsburg-Rapperswil. Unterm
9. März und i. Brachm. 1359 treten er und sein damals voll-
jähriger Sohn Heinrich die schon erwähnte Familienbesitzung des
Hofes Gutenbrunnen und des dazu gehörenden Göslikoner Kirchen-
■ •) Berchtold ron Regensburg predigt im dreizehnten Jahrhundert von der
I Kirchenkanzel gegen solche Regenten, welche das Kirchengut, die Zehnten und
I Widern zu ihren weltlichen Händen nehmen: der habet ir iuch so gar
i nnderwunden, daz man küme uf vier pfarren ein armez pfeffelin
vindet. Ausg. v, Pfeiffer, S. 450.
**) Familiengesch. u. Geneal. der Grafen v, Mülinen, Berlin 1844, S. 7.
***) Das Sprichwort Nobilis non dimittit sine munere, hat bis auf die
Zeit unserer deutschen Classiker seine höfische Geltung behauptet. Charlotte von
Lcngenfeld ist Hoffraulein der Herzogin Amalie von Weimar und erhält von
Herzog Karl August zu ihrer Ehe mit Friedrich Schiller 200 Thlr. Nadelgeld
stipulirt. Gödeke, Grundriss, Zweite Hälfte S. 938.
332
II. Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
Satzes käuflich um 60 Mark Silbers an die Königin Agnes ab^
welche die Besitzung »zu der Verkäufer Seelenheile« dem Spit<
der Stadt Baden schenkt. Nachdem Vater und Sohn ebenso dei
Besitze von Neu-Krenkingen entsagt und dieses Lehen an Herzog
Rudolf IV. aufgesendet haben, wird ihnen diese Vasallen-Ergeben^
heit damit gelohnt, dass ihnen Stadt, Amt und Vogtei voi
Meienberg, nebst einigen Gütern im Kiburger Amte übertragei
werden, wogegen die Belehnten freilich auch die auf dem Meiei
berger Amte ruhende Pfandschaft mit der grossen Summe voi
157 Florentinergulden, 225 Mark Silbers und 579 Pfund Zofingei
Pfennige einzulösen sich verpflichten. Nachdem Ulrich zehnjahr(
lang als Meienberger Vogt geamtet und hier die politische Kui
rechtzeitiger Nachgiebigkeit gegen die Gewaltthätigkeiten bald de^
Luzemer, bald ihrer waldstätter Verbündeten noch mehrfacl
erprobt hat, verstummt mit 1369 sein Name in den Urkunde^
und der des Sohnes Heinrich (II.) tritt an die Stelle. In diesei
beiden Männern ist das Gesslergeschlecht wohlbegütert, schil(
bürtig und gerittert worden, ist verschwägert mit Edelgeschlechtei
und verwaltet im Lande das höchste Amt. Nun kehrt es mi|
solchem Rang und Besitz zurück in jenes Meienberg, aus dei
es vor damals hundert und acht Jahren in bäurischer Leibeigei
Schaft hervor gegangen war. In solchem Sinne eines natui
gemässen Freiwerdens von der Scholle, eines stufenweisen Voi
rückens aus der Niedrigkeit zur Namhaftigkeit behält de
Sprichwort recht: Adel ist von Bauern her.
2. Die Gessler von Meienberg und Grüningen.
1370— 1403.
Der Glücks- und Ehrenstand des Gesslerischen Hauses gipfelt
in Heinrich II. Es liegt in diesem Manne ein ritterlich-rührigej
Sinn, der die ehrliche Fehde nicht scheut; dazu eine Lebens
klugheit und Geschäftsgewandtheit, welche Frieden zu stiften unc
Besitzthümer zu erwerben versteht ; aber auch ein stolzer Standes
geist, der den Baarbesitz über dem edleren Streben nach Nam^
und Ehre wieder in die Schanze schlägt. Solche Charakterzüg^
I. Familiengeschichte der aargauer GessW etc. ßij
erwerben ihm das • dauernde Vertrauen jener österreichischen
Herzoge, denen die Geschichte selbst die Eigenschaften der
Ritterlichkeit beigelegt hat. Er ist Leopolds, Albrechts und
• -deren Neffen allseitig verwendeter Kammermeister, Erb-
'schenke,- Rechtsrath, Gesandter, Brautwerber, Feldhauptmann und
Landvogt. Und er ist auch gerade darin ein absonderlicher
Mann, dass er sich in seinen oft sehr ausgesetzten Stellungen
unter mehrfachem Regierungswechsel bis an sein Lebensende
sicher behauptet hat, während man blosse Günstlinge zwar ohne
Verdienst erhebt, aber auch ohne Grund wieder fallen lässt. So
ist ihm allerdings das Glück, auf das er baute, treu geblieben.
Allein die bürgerlichen Neuerungen, die ihm in seinem Alter
beijrohlich entgegentraten, gegen die er als Landvogt immer
häufiger und mit immer geringerer Wirkung anzukämpfen hatte,
werden ihm schliesslich gesagt haben, dass er einer sinkenden
Herrschaft diente, deren Fall, obwohl er ihn nicht selbst mehr
sieht, schon . denjenigen seiner Kinder und seines ganzen Hauses
mit veranlasst.
Die von Heinrich H. gemachten Gebietserwerbungen im
Aargau, Zürichgau und Frickgau; die Mittel, mit denen er sie
gewann und gegen Anfechtungen behauptete, sind der Gegenstand
nachfolgenden Berichtes. Da es aber hiebei an landschaftlichen
und örtlichen Besonderheiten ohnedies genugsam zu melden giebt
und jeder neue Fund aus seiner eignen Urkunde beglaubigt sein
will, so darf man dem Leser nicht auch noch jene Masse gleich-
namiger Fälle von Kauf und Tausch, Zeugenschaft, Bürgschaft,
Geiselschaft und sonstige Herkömmlichkeiten aus dem Privatleben
eines ^Ritters aufbürden wollen. Sie fallen mit allem Andern
in unsere Regesten-Sammlung. Darum muss hier die blosse
Nennung der Ortschaften genügen, wo Gessler als herrschaftlicher
Rath amtet und mit zu Gericht sitzt; innerhalb der heutigen
Schweiz geschieht dies zu Zürich, Grüningen, Winterthur, Schaff-
hausen, Nidau, Baden, Liechtensteig ; ausserhalb der Schweiz zu
Seckingen im Schwarzwalde, Tann im Elsass, Feldkirch in Vor-
arlberg, Graz in Steiermark. Damit ist der weite Umkreis seiner
richterlichen Praxis gezeigt. Ebenso ist es hinreichend, Gesslers
politische Missionen in einer einzigen Notiz hier zusammen zu
fassen. Für Herzog Leopold IV. hat er in zweien Gesandtschafts-
reisen 1378 um die burgundische Herzogstochter Margaretha
'geworben; 1380 zu Avignon bei Papst Clemens VII. um Sub-
^^A II. Die Gcssler von Brunegg in Geschichte und Sage.
1
sidien unterhandelt; ist Schiedsmann gewesen bei der zwischen
den Österreicher Herzogen vorgenommenen Theilung ihrer Erb-
länder, hat mit vorarlberger Truppen das belagerte Treviso
entsetzt und darauf mit der Republik Venedig Frieden abge-
schlossen. Ueber den Zweck und Erfolg dieser auswärtigen i
Missionen mag man die bekannten Werke über die Hausgeschichte 1
der Österreicher Herzoge nachschlagen. Uns dagegen liegt ob,
den Umfang und die Verwaltungsweise der verschiedenen Land- |
vogteien zu schildern, die jetzt in Heinrichs, nachher in seiner
Söhne Hand kamen, unter letzteren aber grösstentheils an die
Eidgenossen wieder verloren giengen: Die Vogteien Meienberg,
Grüningen, Rheinfelden, Feldkirch. Als Heinrich Gessler die i
Verwaltung dieser Landschaften antrat, waren sie durch Krieg !
und Misswirthschaft in schon zerrütteten Verhältnissjen , herab- :
gekommen in Seelenzahl und Steuerkraft; um so nothwendiger :
ist es, gegen die irrigen Ansichten, die von der Populargeschicht-
schreibung heute noch über die Machtsphäre eines damaligen I
herzogl. Landvogtes verbreitet werden, gleich hier eine kurze !
Erklärung voraus zu schicken. Der Vogt sollte die Personen und
ihre Güter schützen. Also war er Strafrichter über Criminalfalle
(genannt Frevel und Diebstahl), seine Untervögte und Meier
handhabten die Polizei über Zwing und Bann. Für das Gericht
bezog der Vogt die Steuer in Geld, für den Schutz der Güter
Naturalien, für seine Verköstigung am Gerichtstage den Vogt-
Haber. Diese dreierlei Abgaben wurden mit dem Namen Vogt-
recht und Vogtsteuer bezeichnet und waren sein ^imtlicher Gehalt;
vgl. das Habsb.-österreich. Urbar, S. 46 und 48. Die Grundsteuer,
die ausserdem zu diesen Abgaben kam, galt nicht dem Vogte, !
sondern der Herrschaft, war eine nach Werth und Ertrag des
steuerbaren Vermögens steigende und sinkende und wechselte 1
somit jedes Jahr. Dies aber ist eben der Punkt, über den sich
die herkömmlichen Vorstellungen täuschen. Im Jahre 1 303 erklärt
das Habsb.-österreich. Urbar, dass die Herrschaftsleute kaum den
niedersten Steueransatz (40 Procent) ertragen könnten, wenn sie |
nicht ganz verderben sollten; und dass die Herrschaft mit der
neuen Steueranlage auf die Treue des Vogtes sich verlassen
müsse (Mone, Ztschr. 10, 299).*)
*) Das österreichische Urbar der Landgrafschaft Elsas^ (bei Trouillat III,
pag. 72) besagt ebenso: die liute mugen ieze kvme Äne verderbnüst die minsten
J
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. 33 §
Trotzdem, dass durch solche Beweisstellen die humane Rück-
sichtnahme der Obrigkeit gegenüber den Unterthanen deutlich
genug ausgesprochen ist, g^ebt man sich noch immer die Mühe,
eben diese Stellen als ein Zeugniss ausserordentlicher Bedrück-
ungen anzurufen.*) Aber indem wir die von Heinrich Gessler
übernommenen Vogteien nun verzeichnen, findet sich auch Ge-
legenheit, die patriarchale Genügsamkeit der herzogl. Landvögte
kennen zu lernen, gegenüber dem von ihren Amtsnachfolgern,
den eidgenössischen Landvögten, befolgten Ausbeutungssystem,
Das im Habsb.-Urbar S. 86 beschriebene Offitium Meien-
berg hatte sich seit 1303 in die Landschaft zwischen dem Albis
und der Reuss, also in die dorten angrenzenden Gebietstheile der
heutigen Kantone Aargau, Zürich, Zug und Luzem hinein erstreckt.
Als dies Amt am 5. Sept. 1359 an Ulr. Gessler und dessen Sohn
Heinrich IL verpfändet wurde, hatte es zwar schon eine Gebiets-
schmälerung erfahren, da etliche seiner Ortschaften zu den drei
Nachbarämtem Muri, Hermetswil und Richensee geschlagen worden
waren; allein seit 1379 giengen diese drei Aemter als neue Pfand-
schaft abermals an Heinrich über und somit war dieser nun Herr
jener ganzen Landschaft, welche das Obere Freienamt heisst.
Als nachmals die Eidgenossen das Land einnahmen, Hessen 6ie
zum Zwecke der kantonsweisen Verwaltung das Freienämter-Urbar
revidiren, das uns in dem Murenser- Archiv in amtlicher Fassung
und zugleich in Zurlaubens Acta Helvetica^ tom, XIX ausführlich
vorliegt. Bei der Revision durch die Eidgenossen wurde nur das
kleine Amt Hermetswil aufgehoben, alles Uebrige blieb in der
Steuer- und Mannschafts-Skala unverändert, wie es unter österreich-
ischer Verwaltung bestanden hatte. Daraus nun ergeben sich nach-
folgende statistische Daten über den Bestand dieser Gesslerischen
Vogtei nach deren drei Hauptämtern. Amt Meienberg zählt
damals 17 Dorfschaften; Amt Righensee-Hitzkirch 16;**) Amt
Muri 1 5 ; Gesammtsumme aller Ortschaften : 8 Pfarreien, 45 Dörfer^
15 Einzelhöfe. Summe der feldpflichtigen Mannschaft : 1300 Mann.
Hier besass Gessler in Folge der herzogl. Pfandschaft theils
stüre tragen^ als mir, meister Burchart von Vricke, dez Roemeschen kvniges schri-
ber, wol kvnt ist in allem sinem ampte.
*) £. de Muralt I Les Origines de la Confed^ration Suisse et la tradition de
Guill. Teil (Lausanne 1870) pag. 10: Dans Tlnventaire autrichien m^me on trouve
l'aveu d'impositions exorbitantes et d'abus de pouvoir qui devaient Stre redress^s.
**) Segesser RG. II, 68 zählt für dai Amt Richensee 21 Ortschaften.
^^6 II. Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sjage.
den ganzen, theils den halben Twing, war nicht bloss Gerichts-,
sondern auch Kirchherr und bezog in seinem Nutzeh sämmtliche
Steuern.- Alle Fronwälder, Hochjagden, Fischenzen, alle ehhaften
Tafemen, Schmieden und Mühlen waren herrschaftlich, mithin
ihm zinspflichtig. Jegliche Haushaltung in Stadt und Amt ent-
richtet das Fasnachts- und das Vogthuhn, jegliches Lehensland in
Feld und Garten verzehntet Korn und sonstige Frucht. Alle in
hohen und niederen Gerichten über drei Schilling reichende
Bussen gehören dem Landvogt, was darunter ist, dessen Unter-
vögten. Aber die jährliche Grundsteuer war so gering, dass
deren ganze Summe, welche die Gessler noch im Jahre 141 5 in
den drei Aemtern zu ^erheben hatten, wozu Vilmergen noch als
viertes gekommen war (dasselbe umfasst nach dem Österreich.
Urbar nahezu 40 Ortschaften) jährlich nur 62 Francs 3 Ctm.
unsrer Währung betrug. Dies ergiebt sich sowohl aus dem
Österreich. Urbarbuch S. 88, als auch aus dem »Rechnungsbuch
der luzerner Vogteien,« ausgezogen in unsem Gessler-Regesten
unter gleichem Jahre. Sogar auf diese bescheidenen Ansätze ver-
zichtet der Landvogt H. Gessler am 3. Juni 1403 fünf Jahre
hindurch gänzlich, damit er der Landschaft aus damaligen Noth-
ständen heraushelfe. In der schon vorhin genannten Zurlauben'-
schen Sammlung liegen uns nun aber auch die Jahresrechnungen
in zahlreichen Bänden und vollständig specialisirt vor, welche nach-
mals von den hier gesetzten eidgenöss. Landvögten an die mit-
regierenden Kantone abgegeben worden sind. Welch ein greller
Abstand! Diese neuen Landvögte haben an directem Jahres-
einkommen zwar nur bis auf 500 Gl. zu verrechnen, aber den-
noch lautet ihre Totalsumme stabil auf 5000 Gulden; so hoch
hatte man nach dem Jahre 1415 die Taxen in Handel und Wandel
und besonders die polizeilichen Geldstrafen hinaufgeschraubt.
Uebergehend auf die Landvogtei Grüningen, so sind hier
dieselben wirthschaftlichen Erfahrungen zu machen. Die Steuer,
welche Gessler hier zu erheben hatte, betrug jährlich 20 Pfd. Heller.
Es war ihm dieselbe auf 20 Jahre verpfändet, allein da die Herzoge
sie bereits voraus verpfändet und an den versprochenen Terminen
nicht wieder zurück gelöst hatten, so zählte dieser Einzelposten
bloss zu dem übrigen Gesslerischen Guthaben und war bis zum
Jahre 1400 auf 400 Pfund aufgelaufen. Die Gesammtsumme,
welche die Herzoge ihrem Vogte auf dieses Amt allmählich ge-
schlagen hatten oder auch baar schuldig geworden waren, betrug
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. 317
zuletzt 8000 GI.^ jetzigen 29,000 Reichsgulden entsprechend, und
um diesen Verkaufspreis wurde das Amt schliesslich von den
Gesslerischen Erben im Jahre 1408 an Zürich abgetretien. Es
zählte schon vom Jahre 1 300 an über ein halb hundert Orte und
Höfe, deren Namen im Habsburger Urbar enthalten sind, nicht
ohne Beifügung der besondem Zeugnisse, dass auch hier die
Herrschaftssteuern nach Billigkeit erhoben, zu Zeiten ganz er-
lassen wurden.*) Unter Züricher Verwaltung war Grüningen,
ausser der Vogtei Kiburg, die beträchtlichste des Kantons, hielt
5 Meilen in der Breite, 3 in der Länge, zählte 13 Kirchspiele
und eine Burgstadt, und das im Jahre 1668 verfasste Verzeichniss
seiner Marktflecken, Ortschaften, Dingstätten und Höfe ist 332
Ortsnamen stark. Wir entnehmen sowohl diese Notiz als auch
die nachfolgenden Steueransätze dem »Grüninger Amtsrechtc (pag.
\ 62 bis 65), einer Handschrift, die auf der aargau. Kt. -Bblth.
bezeichnet ist: MS. Bibl. Nov. 33, folio. Unter Züricher Ver-
waltung blieben hier die Leibeigenschaftsverhältnisse eben die-
selben, wie zu Gesslers Zeit; es bestand also Todfall, Erbschatz
und Erbfall, Grosser und Kleiner Zehnten, nasser und trockner
Zehnten, Weibelgarbe, Fasnacht- und Herbsthuhn, Schafgeld,
Rebzins, Vogtkemen, Schirmgeld, Tagwen-Zins, Herdsteuer u. s. w. ;
aber nun wurden überdies die Einzellasten auf eine heute ganz
unglaublich scheinende Höhe hinaufgetrieben. Laut der vor-
liegenden Grüninger Amtsrechnung betrug die dorten vom Jahre
1762 bis 1792 erhobene Leibeigenschaftssteuer für sich allein:
i) Hauptfall: 19,560 GL, 10 fi.
2) Ledig-Erbfall : 28,002 Gl. 20 /3,
Erst zu Ende des Jahres 1796 war die früher schon zweimal
gestellte Petition des Grüninger Amtes, das Fallrecht in einen
jährlichen Zins an das Aerar umwandeln und diesen durch die
Gemeinden um 20,000 GL abkaufen zu lassen, zwar für erheblich
erklärt und dem Senate zur Berathung überwiesen worden, aber
auch damals noch unerledigt geblieben. Amtsrecht, 1. c.
pag. 58—59-
Die dritte Vogtei Heinrichs IL war die Grafschaft im Frick-
*) Die üssidelinge ze ReUinkon gesessen, gaben eines jdres XIII pfunt
(Grundsteuer), unde beschach das nie mßr unde mag ouch niht wol m^r beschehen,
want die liute möhten ez niht erliden äne verderbnüsse. Die andern üssidelinge
bl dem S6we hant geben eines järes V. pfunt, und mag ouch wöl niht mör be-
schehen, want die liute möhten ez niht erliden. Habsburger Urbar, S. 125.
R o ch h o I z , Teil und Gessler. 22
ij8 II' I^ic Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
thal, ein aus mancherlei, ihren Herrn rasch wechselnden Theilen
zusammengesetzter Bezirk. Der Hauptort war die Stadt Rhein-
felden mit dem Stein, einem Felsenschlosse im Rheine; sie war
seit 1331 von König Ludwig dem Baiern den Herzogen Albrecht
und Otto mit dem Vorbehalt der Wiedereinlösung um 20,000 Mark
verpfändet worden. Ausserdem lagen hier die Aemter Möhlibach
und Homberg. Letzteres, zubenannt nach der dortigen Stamm-
burg der Grafen von Homberg, beim Frickthaler Dorfe Wegen-
stetten, wurde von den Grafen von Habsburg-Laufenbürg seit
1364 an Herzog Lupoid käuflich abgetreten, kurz darauf von
diesem an Basel verpfändet und bildete seitdem in der Titulatur
der Herzoge bloss einen verlornen Posten, den sie jedoch sammt
andern dortigen links- und rechtsrheinischen Strecken gelegentlich
immer ansprachen und beim Erlöschen der Linie Habsburg-
Laufenburg 1408 bis 9 wieder in Besitz nahmen. Damals kam
auch die Stadt Laufenburg rechts und links des Rheines an
Oesterreich.
In diesen vorgenannten drei Vogteien übte Heinrich das
Recht der Heeresfolge, war in zweien der Pfandschaftsinhaber,
vieler Orten auch der Grundherr und vererbte diese Lehenämter
zum grösseren Theile , zusammt seinen eignen Besitzthümem
ungeschmälert auf seine Söhne.
Der Vollständigkeit wegen sind auch die beiden Vogteien
mit zu nennen, in denen er bloss zeitweilen regierte. Seit 1387
ist er Vogt auf dem Schwarzwalde. Diese Herrschaft begriff,
ausser den vier oberrheinischen Waldstädten: Seckingen, Rhein-
felden, Laufenburg und Waldshut, die nachfolgenden Aemter und
Unterämter: Den Hauensteinischen Bezirk, St. Blasien, Wehra,
Schönau, Totnau, Bräumlingen, Villingen, Triberg, Furtwangen,
Elzach, Waldkirch, St. Peter, St. Märgen, St. Trudpert, Staufen.
Hier erkaufte Gessler die Schlossherrschaft Gutenburg zu seinem
Privateigenthum.
Die Vogtei Feldkirch, gelegen im Rheinthale zwischen
der Schweiz, Tirol und Oberschwaben, war von Herzog Leopold
dem Grafen Rudolf von Werdenberg um 36,000 Gl. abgekauft
worden; Gessler übernahm sie seit 1397. Sie umfasste nach der
Verkaufsurkunde vom 22. Mai 1375*) nachfolgende Orte und
Districte. Burg und Stadt Feldkirch nebst den dazu gehörenden
*) P. Kaiser, Gesch. des Fürstenth. Liechtenstein, S. 177.
I. FamüieDgeschichM der aargauer Gessler etc. ^jp
Höfen und Gütern; das Landgericht Rankwil; die beiden Vesten
Alt- und Neu-Montfort, nebst der zwischen Klus und Feldkirch,
sodann der zwischen Rhein und 111 gelegnen Landstrecke ; die Veste
Fussach mit den drei Gütern zu Brugg, Höchst und Birnbaum,
sammt den Leuten, die der Verkäufer bis zum Einflüsse des
Rheines in den Bodensee besessen hatte ; die Veste zu Tosters ;
den hintern und vordem Bregenzer-Wald , die halbe Achlösi in
der Bregenzer Ach und in deren Nebengewässem ; das Gut
Langenegg; Veste und Gut zu Staufen; die Güter zu Dombirn,
Knien (Kauwen, schreibt hier Lichnowsky 4, 197) und Stig-
lingen; die Kellhöfe zu Lindau.
Die von Heinrich erworbenen Privatgüter und herzogl. Lehen
sind folgende : Die zwei Vesten Karneid und Steineck bei Bozen ;
die Herrschaft Welschenofen eben daselbst; Schloss Gutenburg
im Schwarzwalde; die Schlösser Greifensee, Rietsee, Grünenberg
und Rapperswil im Zürcherlande ; sodann im Aargau : Die Twing-
herrschaft zu Stetten, den Dinghof zu Niderlenz und die Hälfte
desjenigen zu Sur, die Burg Schenkenberg mit der Herrschaft auf
dem Bözberge, und noch 1395 das Schloss Brunegg.
Die bedeutenderen herzogl. Vergabungen an Gessler fallen
in das Jahr 1375, als in jene gefährliche Periode, da Ingueram
von Coucy mit einem starken Söldnerheere in die österreichischen
Vorlande einfiel. Dieser normannische Graf war der Sohn Katha-
rina's, einer Tochter Herzog Leopolds IL, des Glorreichen, der
bei Morgarten gestritten. Coucy's Mutter hatte bei ihrer Ver-
ehelichung das Elsass und den Aargau als Aussteuer und Kunkel-
lehen verliehen erhalten, .die bisher noch nicht ausgerichtete
Heiratssteuer der Mutter sprach nun der Sohn als Erbe an. Sein
Heer bestand zum Theil aus Bretonen, die man seitdem Eng-
länder nannte, die Namen Bretagne und Britannien mit einander
verwechselnd. Ihr anderer Name Gugler rührte von ihren hohen
stählernen Sturmhauben her, zu deutsch Gugelhauben. Der den
Habsburgern abgeneigte Kaiser sah dieser Invasion unthätig zu,
die Reichsfürsten zauderten, die Städte schlössen sich ab, die mit
Vertheidigung des Hauenstein-Passes beauftragten Kiburger- und
Nidauer-Grafen gaben diese Position preis, so betrat der Feind
die Schweiz und hatte sie vom Bielersee bis zur Mündung der
Aare inne. Nur Leopold III., Herzog Albrechts II. Sohn, über-
nahm und führte den Vertheidigungskampf, bis der Feind, welcher
der Heeresverpflegung wegen sich in drei Heerhaufen hatte spalten
22*
34^ ^^' ^^^ Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
müssen, an verschiednen Orten vom Landsturm überfallen und
hart mitgenommen wurde, worauf diese Raubschaaren am Stephans-
tage des gleichen Jahres sich in die Vogesen zurück wendeten.
In den ausgesogenen Vorlanden aber begann nun erst eine neue
langdauemde Fehde zwischen der Oesterreicher- und der Kiburger
Herrschaft. Welcherlei Nothstand darüber ausbrach, dies ist in
einer Urkunde derselben Zeit auf erschreckende Weise ausgedrückt.
Der Twingrodel des Dorfes Roggwil im Ober-Aargau ist unter
dem St. Urbaner-Abt Nikolaus geschrieben, der von 1349^ — 1356
regierte, und besagt über die Kriege dieses Zeitraumes : do haben
sich zu den ziten gross krieg vf erhaben, besunder da die Engel-
sehen, der herre von Cussin in unserem gotzhus lag XVIII tag.
do wart es verbrönt mit dem hof ze Roggwil. darnach in kurzen
jaren do erhuob sich ein krieg zwüschent der herschaft von
Oesterrich und zwüschent der von Kyburg in semlicher mass,
das in siben ganzen jaren kein phluog nie in daz
ertrich gestossen wart. Grimm, Weisth. I, 176.
Mit und nach diesen den Aargau erschöpfenden Kriegen
dauerten hier die Orts- und Amtsfehden fort, welche das Pfahl-
bürgerthum veranlasste. Jeder Grundhörige, der in eine fremde
Herrschaft auswanderte, bedurfte hiezu der Erlaubniss seines Grund-
herrn oder dessen Beamten und verblieb auch deuin der alten
Herrschaft dienst- und abgabenpflichtig, soferne nicht entweder
er sich selbst, oder ihn die ihn aufnehmende fremde Herrschaft
beim gewesnen Herrn losgekauft hatte. Wer sich dieser Pflich-
tigkeit entzog, wurde, weil er Leib und Gut heimlich der Herr-
schaft zu entfremden gedachte, als förmlicher Dieb behandelt und
an Leib und Gut gestraft (Segesser RG. I, 416. II, 320). Die
dem Schlossadel abgeneigten Städte achteten dieses Rechts-
verhältniss nicht, sondern unterstützten die betrügliche Absicht
fremder Unterthanen, nahmen diese um ein Geringes in den eignen
Schutzverband auf und raubten sie so recht eigentlich der recht-
mässigen Obrigkeit. Hierin lag ein stets fortdauernder Anlass zu
Störungen des Landfriedens. Ein Spruch der Schiedsleute zwischen
Herzog Albrecht und den Eidgenossen, vom 12. Okt. 1351, ver-
fügt bezüglich der beiden Städte Zürich und Luzem folgendes:
»Swaz die von Zürich — vnd von Lutzem — vnseres vorge-
nanten Herren des Hertzogen von Oesterreich Lüten, die vf dem
Lande gesezzen sint, ze bürgern hant enphangen, daz sie sich
der vzzern (sich derselben entäussern) vnd von irem burgrecht
r
I
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. \Ai
ledig lazzen sullen vnuerzogenlich, vnd sullen ouch fürbazzer dez
selben vnsers Herren dez Hertzogen Lüten noch siner Diener
Lüten enkeine ze burgern niemer me emphahen, als ez ouch vor-
malz von der egenanten von Lutzerren wegen har getegdinget
ist.« Eidg. Absch. I, Ausg. 2, S. 266, 267. Luzem band sich
nicht hieran, sondern nahm schon 1352 das herzogl. Städtchen
Sempach in's Bürgerrecht auf; es wusste den Herzog Rudolf IV.,
laut Decret vom 6. März 1361, sogar zum Befehle an dessen
Amtleute zu vermögen: die herzoglichen Angehörigen, wenn sie
nach Luzern ziehen und da eingesessne Burg er werden
wollen, ohne Hindemiss an Leib und Gut fahren zu lassen, gemäss
der zwischen seinem Vater und den Luzernem gemachten Richtung
(Segesser RG. III, lOi). An diese unbegreiflich lautende Weisung
hielten die Städter freilich sich jeder Zeit, um so weniger aber
die herzogl. Amtleute, die darüber ihres persönlichen Vermögens
verlustig gegangen wären. So nahm Luzern 1385 die Leute des
Amtes Wolhusen, 1386 die des Amtes Entlebuch und des Städtchens
Meienberg, und um dieselbe Zeit auch die von Richensee in's Burger-
recht (Tschudi I, 521). Die Landschaft Entlebuch aber war dem Ritter
Peter von Torberg verpfändet, dortige Zinse und Steuern waren den
Gesslem zugewiesen, Meienberg war gleichfalls eine Gesslerische
Pfandschaft. Und dennoch wagte Luzern diesen letzteren Ort zu über-
rumpeln (30. Jan. 1386) und 200 waldstätter Söldner hinein zu legen.
Nun rückte der gewaltthätige Johann von Ochsenstein, Titular-Dom-
probst zu Strassburg, ein Verwandter der Herzoge und ihr Land-
vogt im Elsass, zum Entsatz heran, lockte die Söldner in einen
Hinterhalt und • Hess sie da zusammenstechen : »mer denn
viertzig vnd hundert. Vnd sint die gewesen von
Lutzern, von Zug, von Switz, von Vnderwalden, vnd
ist ouch derselben von Vnderwalden offen paner da
gewesen, die wir ab dem veld bracht hant,« so melden
am 6. Febr. darauf Ochsenstein und Heinrich Truchsess-Walburg
von Baden aus dem Herzog. (Schreiber, Urkundenb. II. i, S. 46.)
Die Gegner zauderten nicht; in der Meinung, sie seien von den
Meienbergem verrathen worden, kehrten sie zurück, erstiegen die
Mauern und verbrannten den Ort gänzHch, die zuger Mannschaft
nahm eine Glocke mit fort, die heute auf dem Zeitthurm der
Stadt Zug hängt. Stadiin, Gesch. von Zug 4, 117. Noch einmal
übt Ochsenstein Wiedervergeltung. In seinem Briefe vom 29. Febr.
1386 berühmt er sich: In zwei Kriegshaufen getheilt, sei er mit
oj_2 II- I^ic Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
i
dem' einen Theile durch das Thal von Beromünster, mit dem
andern über Richensee bis auf eine halbe Stunde gegen Luzem
gezogen, »vnd hantwir bedenthalb gebrentwaz anvns
komen ist, vnd ist noch nye keins tags als gröslich
gebrent als gester, vnd ouch die rechtschuldigesten,
die der sach gewesen sint, (haben wir so mit Kriegsbrand
bestraft).« Eilf oberdeutsche Reichsstädte vermittelten eine Waffen-
ruhe bis 22. Juni, während welcher das von den Eidgenossen
besetzte herzogliche Gebiet in der Hand der Angreifer blieb.
Zwei Wochen nach Ablauf dieses Termins kam der erzürnte
Herzog Leopold mit seinen Rittern bis Sempach herangerückt,
um an Luzem Rache zu nehmen, und verlor hier bekanntlich
die Schlacht und das Leben. Die Sieger überzogen noch einmal
die nächstgelegnen herzogl. Orte und Burgen. Meienberg, schon
vorher eingeäschert, konnten sie nicht neuerdings verbrennen,
obschon dies die unersättlichen Chronisten behaupten und selbst
der sonst nicht inhumane Heinr. BuUinger mit unziemlichem Spotte
beifügt: »vnnd ist Meienberg diser zeit nit mee, dann ein dorff
mit bössen Pauren.« *)
Die Schweizerchronisten haben die Gewohnheit, bei Erzählung
der ersten Siege der Eidgenossen gegen Oesterreich immer etwas
Gesslerblut mit vergiessen zu lassen, und setzen auch bei der
Sempacher Schlacht einen Ritter Gessler mit auf die Österreicher
Verlustliste. Unser Regest vom 9. Heum. 1386 zeigt unwider-
leglich, dass daselbst kein aargauer Gessler, namentlich kein
solcher des Namens Heinrich gefallen ist, sondern ein Burkhard
Gessler aus der vorder-österreichischen Stadt und Landgrafschaft
Breisach. Die Frage, warum bei der Sempacher Adelsniederlage
gerade die aargauer Linie verschont geblieben sein solle, wird
schon durch den einen Umstand beantwortet, dass das damalige
aargauer Aufgebot, zur Deckung Zürichs gegen die Eidgenossen
bestimmt, als Nachhut unter dem Ritter von Bonstetten an Limmat
und Aare aufgestellt blieb und gar nicht in's Treffen kam. Dies
hebt bereits Hans Konrad RoUenbutz in seiner Zürcherchronik, **)
pag. 85 hervor: »Vss dem Ergouw sind darvmb so wenig vmb-
kommen, dass der Merteil daniden zu Brugg by dem von Bon-
stetten gesyn.« Zugleich erledigt sich hier die andere Frage,
*) Chronik I, Bl. 360 b, Handschrift der aargauer Kt.-Schulblth.
**) Hdschr. der aargauer Kt.-Bblth.: *Ms. Bibl. Nov. 31, fol.«
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. 743
warum bei den vorerwähnten Fehden um Meienberg Heinrich
Gessler gleichfalls nicht genannt wird. Er war seit 30. April 1379
Vogt der Grafschaft Feldkirch, unterfertigt daselbst am 3. Nov.
1386 herzogl. Urkunden, führt aber im folgenden Jahre wieder
die Landvogtei im Aargau, Thurgau und auf dem Schwarzwalde.
Von jetzt an hat er sich der Uebergriffe immer häufiger zu
erwehren, die von den Eidgenossen in seine Herrschafts- und
Privatrechte gemacht werden. Seine in acht Punkten articulirte
Klageschrift von 1388 besagt: man habe ihm schon seit Jahren
die falligen Steuern im Zürcher- und im Zugerlande vorenthalten;
man störe den Landbau seiner Vogteileute in den Aemtem
Grünenberg und Meienberg durch bewaffnete Einfälle und Hand-
streiche ; Luzern verweigere ihm die von der Herrschaft zu Lehen
gegebnen Zinse und Zehnten im Entlebuch; dasselbe mache den
Gesslerischen Vogteileuten zu Rotenburg das verbriefte Frei-
zügigkeitsrecht streitig und vergreife sich auch an der Handels-
waare der Leute aus der Grafschaft Baden, u. s. w. Die gleiche
Friedlosigkeit herrscht damals ringsum. Während der Fehde
zwischen den Städten Bern und FrÄburg i. Ü. haben sich räube-
rische Freischaaren gebildet, die den Namen Blutabzapfer tragen;
einige von ihnen gefangen gehaltene Johanniterbrüder und Welt-
priester werden auf Heinrichs Vermittlung erledigt, Regest vom
19. Jan. 1387. Seinen eignen Amtsangehörigen zu Meienberg
muss er den Besuch der Kirchweihen und Tanzplätze im benach-
barten Rotenburger Amte bei hoher Strafe verbieten, um dem
unter der Bauernschaft eingerissnen politischen Todschlag zu
steuern. Allein nachdem er auf einmal siebzig Söldner zusammen
wegen solcher Gewaltthaten gerichtlich hat verrufen lassen, muss
er es mit ansehen, dass dies Urtheil durch seine eignen Schiedsleute
wieder aufgehoben wird (1400, 29. Jan.).
Heinrich ist seit 1375 mit Margaretha von Eilerbach ver-
ehelicht. Sie stammt aus einem schwäbischen Adelsgeschlechte,
das sich frühzeitig in Baiern, Oesterreich und Kärnten ausbreitet,
dem Reiche namhafte Feldhauptleute und Statthalter liefert und
für die Turnierbahn überdies drei Waghälse, welche von ihrem
Zeitgenossen, dem Wiener Spruchdichter Peter Suchenwirt, in
dreierlei ' Lobsprüchen besungen sind. Ein Jahr nach seiner
Heirat verburgrechtet sich Heinrich zu Zürich und hofft dadurch
seiner zunächst an Zürich grenzenden Vogtei Grüningen den
Frieden zu sichern. Er strebt aber auch nach dem Frieden
L
344 n. Die Gcsslcr von Brunegg in Geschichte und Sage.
des Gemüthes; Zeuge dessen sind eine Reihe kirchlicher Stiftungen
und Denkmäler, deren zum Theil kunstvolle und prächtige Aus-
stattung seinen eignen Kunstsinn und den Namen seines Geschlechtes
historisch verewigt haben. Erstlich schenkt er der Cisterzer-Abtei
Kappel werthvolle Liegenschaften, um aus deren Ertrage das
Jahresgedächtniss seiner Eltern Ulrich Gessler und Anna v. Mülinen
kirchlich begehen zu lassen. An diese Stiftung knüpft sich die
in der Kirche jener Abtei als Erbbegräbniss von ihm erbaute
sog. Gesslerkapelle. Sie lag am Schlüsse des südlichen Kirchen-
flügels, waf dem hl. Stephanus geweiht und verherrlichte dieses
Blutzeugen Tod mit lange bewundert gewesnen Glasgemälden.
Kapelle, Altar, Wandbilder und ein Theil der Fensterbilder sind
längst zerstört, nur die Malereien an Pfeilern und Decke, die den
Händen der Bilderstürmer unerreichbar blieben, sind noch übrig:
lauter an einander hängende Quadrate, in deren Mitte je der
Schild oder die Helmzier des Gesslerwappens mit einander ab-
wechseln. Das Wappen selbst zeigt einen Dreieckschild mit drei
Parallelfeldern: zwei komblaue Felder mit silbernem Mittelbalken,
das obere mit zweien silbernen Sternen, das untere mit einem.
Die Helmzier ist eine Pfauenbüste mit aufrecht gestelltem Pfauen-
busche. Die Grundfarbe der Helmdecke ist azuren, das Helm-
visir und der Schnabel des Vogels silbern. — Eine ähnliche
Stiftung machte Heinrich 1394 in der Probstei Embrach am
Ircheiberge, Kantons Zürich. Eine uns bis jetzt unbekannte
Schwester Heinrichs, vermählt mit einem Edeln von Wagenberg, *)
war daselbst begütert und hatte dem Bruder ihr Erbe hinterlassen,
aus welchem er die neue Donation bestimmte. In seiner Burg
zu Grüningen führte er die Schlosskapelle neu auf, bewidmete sie
mit zwei Altären und Hess sie am Fronleichnamstage 1396 ein-
weihen. Seine zweite Schwester Eufemia, Gemahlin des Ritters
Ruman von Küngstein (Bergschloss im Jura bei Aarau), hatte
ihren Wittwensitz in der Stadt Rheinfelden, in dem dortigen
Sesshause am Hermannsthore genommen, welches der Herzoge
Erblehen war. Gemeinsam mit ihr weist er dem dortigen Dom-
herrnstifte Zinse an auf diese Hofstatt und lässt daraus den Chor
*) Gleichnamige Burg in der Zürch. Gem. Embrach, seit 1284 urkundlich
genannt. »Her Bilgri von Wagenberg was dis 1306. Jars Landtam^ann
der Hertzogen von Oesterrich ze Glarus und ouch jn dem Nidemampt Gastem.c
Aeg. Tschudi's handschriftl. Chronik von 1298 bis 1308; Archiv f. schw. Gesch.
XIX, S. 381.
r
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. ^^c
der Rheinfeldner Martinskirche mit Glasgemälden schmücken,
1399, Freit, nach St. Hilarien.
Derlei öffentliche, gemeinnützige oder wohlthätige Stiftungen,
an sich human, sind bei einem Rittersmanne dieser Zeit dadurch
neu, dass sie sichtlich in das Gebiet der Kunstliebe übergehen;
sie treffen bei Heinrich noch mit der andern edelmännischen Lieb-
haberei zusammen, eine nicht kleine Zahl landschaftlich hübsch
gelegner Schlösser anzukaufen und baulich zu verschönem. Solcher
hatte er allein in seiner schweizerischen Vogtschaft sieben erworben
und nicht wieder veräussert. Mitten in Verwaltungsgeschäften
starb er. Seine letzte Urkunde vom 3. Juni 1403 ist ein Gross-
muthsact gegen seine Freiämter Landsleute und Unterthanen.
Nicht aus übelgefiihrter Oekonomie ist es darum abzuleiten,
sondern aus edelsinnigem Vertrauen des Beamten zu seinem
Fürsten, wenn Heinrich statt grosser Reichthümer Schulden
hinterliess, weil er als Bürge der Herzoge Pfandschaften übernahm,
welche dann durch die späteren Kriegsereignisse seinen Erben für
immer entrissen wurden.
3. Die Gessler von Brunegg.
Das Schloss Brunegg im untern Aargau liegt auf dem öst-
lichen Vorsprunge des stundenlangen bewaldeten Kestenberges,
seitwärts zwischen den zwei Städtchen Mellingen und Lenzburg,
umgeben von dem Kranze der Schwesterburgen Lenzburg, Wildegg,
Wildenstein, Gauenstein, Habsburg, Kasteien,- Schenkenberg. Auf
gefundene Legionsziegel, vor allem aber der mächtige Felsdurchhau,
der auf dem Grat des Berges dem Schlosse eine sturmfreie Lage
gab, bezeugen,, dass die Römer hier eine Warte hatten zum
Schutze des nach dem benachbarten Vindonissa (Windisch)
führenden Strassennetzes. Auch der Name Kestenberg entspringt
aus lateinisch castrum, gleichwie welsch - Chätenoy urk. 1333
verdeutscht Kestenholz heisst. *) Auf dem Schutte des zer-
störten Römercastells errichtete die Feudalzeit eine Ritterburg
und nannte sie nach der altrömischen Brunnenleitung, welche von
•) Trouillat, Mon. III, pag. 758 und 911.
346
IL Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
dieser Bergecke hinab bis in das entfernte Stift Königsfelden geht,
Brunegg. Als älteste Inhaber der Burg kennt man die Sehen- 1
ken, die den Titel ihres im Habsburger Grafenhause bekleideten
Hofamtes als Familiennamen führten; auf sie folgten hier die
Freien von Hedingen, von Trostberg und von Büttikon, diese
letzteren abermals zubenannt Die Schenken. An Ritter Heinrich
(II) den Gessler kam die Burg vor dem I8. Aug. 1395, da ihm
vor diesem Termin bereits das ganze Amt Eigen, worin Brunegg
gelegen, als der Herzoge Pfand gegeben worden war. Nach der
Occupation des Aargau 's durch die Berner wurde das Schlossgut |
zum Berner Lehen gemacht, zerstückelt und der Reihe nach ver-
liehen an Wilhelm Gessler, dann an den Ritter Johann von Alt-
wis (1450) und an die Segesser von Hellingen seit 1473. Diese |
verkauften bald wieder, der vielen Massregelungen satt, denen sie
unter den eifersüchtigen berner Landvögten ausgesetzt waren. Von
Bern 1528 zurückgekauft und dem Hofmeisteramte zu Königsfelden
einverleibt, wurde bei dieses Stiftes Säcularisirung das Schloss als
solches aufgelassen und Bauern übergeben, welche es der berner
Domänen Verwaltung zu verzinsen hatten, die Güter ausnutzten und
die Gebäude verfallen Hessen. Seit der Losreissung des Aargaus
vom Kanton Bern dient es als Hochwacht,, von wo aus bei
Feuersbrünsten Lärmzeichen durch Kanonenschüsse gegeben
werden. Eine Lenzburger Familie, deren Eigenthum es jetzt ist,
hat den noch immer trotzenden Bau des Schlossthurmes wieder
bewohnbar gemacht und das Gut freundlich hergerichtet. Ein
getreues Landschaftsbild davon findet sich in Wagners An-
sichten schweizer. Ritterburgen, Bern 1840, 8<>.
Nach des Ritters Heinrich Gessler 1403 Erfolgtem Tode ver-
bleibt das Schloss seiner Wittwe Margaretha, gebornen v. EUer-
bach, und deren Kindern. Sie vertheidigt dasselbe 141 5 gegen
die den Aargau überziehenden Bemer und weigert sich nach der
bedingungsweise erfolgten Uebergabe, den von den Eroberern ver-
langten Huldigungseid zu leisten. Diese mütterliche Entschlossen-
heit steht aber dem Geldgeschäfte im Wege, mit welchem der
habsüchtige Kaiser Sigmund die Landschaft an die Eidgenossen-
schaft zu verschachern strebt, dieser sog. Reichsvermehrer opfert]
darum die Burgfrau, beraubt sie ihres herzoglichen Erblehens und
Eigenthums und giebt dasselbe unter dem erlognen Titel eines
Reichslehens an die Berner hin. Vergebens dringt die Gesslerin
vor mehreren reichsstädtischen Schiedsgerichten auf Wiederher-
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. j^7
Stellung oder Entschädigung. Sie wird an die Tagsatzung der
Kantone zurückgewiesen, von denselben mit dem geringfügigsten
Leibgedinge abgefunden, stirbt arm und hinterlässt ihre Rechts-
ansprüche ihren drei Kindern Hermann, Wilhelm und Margarethen.
Aus dieser vom Kaiser und den Eidgenossen gemeinsam ver-
übten Spoliation entspringt hierauf der von den Erben gegen die
Kantone angehobene Prozess und, weil derselbe durchaus kein
Ende finden will, eine Fehde, welche lange Jahre hindurch von
den Gessler'schen Enkeln, von deren Verwandten und Standes-
genossen an der schweizerischen Nordgrenze fortgeführt wird und
schliesslich durch den Schwäbischen Bund und die Reichsarmee
unterdrückt werden muss. Schon vor diesem Ereignisse, das in
den Anfang des sechzehnten Jahrhunderts fällt, hatten sich die
Brunegger Gessler expatriirt und in Deutschland ansässig ge-
macht.
Unter Ritter Heinrich's IL drei hinterlassnen Kindern ist Her-
mann der Erstgeborne, hat seit 1 1 . Juni 1 399 mit dem Vater ge-
urkundet und tritt nach dessen Tode die Herrschaft an. Da der
Gesslerische Hauptbesitz aus Erblehen besteht, diese aber nach
dem alten Rechtssprichworte unsterblich sind, so ist Hermann des
Vaters unbeschränkter Amtsnachfolger in der Grafschaft Frickthal,
in den Aemtern Meienberg, Grünenberg und zu Rapperswil. Da
aber durch des Vaters allzuweit reichende Geld- und Güter-
geschäfte Finanzverlegenheiten erwachsen sind, so gehört es unter
Hermanns erste Amtshandlungen, sich der vom Vater für die
Herzoge übernommenen Pfand- und Bürgschaften zu entledigen,
indem er sie an Basler- und Züricher Gläubiger weiter verpfändet.
Er versetzt dazu nicht nur Theile von seinen verschiednen Am-
teien und Lehen, sondern er tritt am 17. August 1406 mit allen
seinen Grüninger Gütern und Unterthanen auf achtzehn Jahre in
das Bürgerrecht der Stadt Zürich, und sein Herzog Friedrich ist
dadurch genöthigt, gegen Hermanns Ansprache auf eine diesem ver-
fallene Schuldsumme, von 1200 Gl. den Ritter Hans von Bon-
stetten als Bürgen zu stellen. Dies geschieht in demselben Zeit-
punkte, da Hermann herzoglicher Vogt der Veste Rapperswil
ist und während die dortige Besatzung noch gegen Zürich in
Fehde liegt. Der Herzog weiss einem so schreienden Missver-
hältnisse nicht anders abzuhelfen, als dass er unterm 24. Juli 1407
nun auch Rapperswil an Zürich versetzt. Hierin wird aber der
Anfang einer Spannung zwischen dem Herzoge und seinem Vogte
348 ^^* ^^^ Gesder von Brunegg in Geschiclite und Sage.
ZU suchen sein, die bald nachher zu amtlichen Untersuchungen, zuletzt
sogar zu offnen Rache- Ausbrüchen gegen den letzteren führten. Die
Ursache lag jedoch nicht in dem Diener, sondern im Leichtsinn des j
Herrn und in dem heillosen Schlendrian der herzoglichen Domänen-
kammer. Die hieraus fiirdieBrunegger erwachsnen ökonomischen Be-
drängnisse mussten schleunig gehoben werden. Darum wird, sogleich
nach Ritter Heinrichs Tode ein Familienrath aufgestellt, zusammen
gesetzt aus Adeligen, herzoglichen Räthen und Stiftsherren, wel-
cher den Erbstreitigkeiten vorbeugen soll. Man beginnt mit einer
Art Vermögenstheilung. Die Mutter übergiebt Brunegg an die
zwei Söhne und diese verpflichten sich, die darauf haftenden
Schulden bis auf 1000 Gl. gemeinsam abzuzahlen. Sie selbst ver-
kauft dortige Burggüter an den Frauen-Convent zu Königsfelden,
wählt den Ritter Hemmann v. Mülinen, ihren Schlossnachbar auf
Kastelen und Wildenstein, zum Vormund und wird Bürgerin zu
Bremgarten, um mittels des Rechtsschutzes dieser Stadt die Gess-
lerischen Gülten im Amte Muri zu behaupten. Zu gleicher Zeit
geben ihre Söhne den grössten Theil des Amtes Grüningen an
Zürich in Versatz und decken damit ein bei dieser Stadt vom Vater
gemachtes Baaranlehen von 8000 Gl. Bei alledem hat Hermann
wegen seiner Meienberger Vogtei-Cjefalle bald mit dem Rathe
von Luzern, bald mit luzemer Privaten Prozesse auszufechten und
entbehrt dabei nicht bloss des nachdrücklichen Schutzes seines
Fürsten, sondern zieht sich dessen persönliche Ungnade zu und
wird durch ihn vor den Landesgerichten in skandalöse Händel
verwickelt. Ein Wort über diesen Sonderling wird daher zunächst
am Platze sein. Herzog Friedrich IV., geboren 1 382, war der
Sohn des bei Sempach gefallnen Leopold III., und Bruder der
Herzoge Wilhelm, Leopold und Ernst des Eisernen. Der letztere
rettete ihn später aus Acht und Bann, brachte ihm aber den
Spottnamen auf: Friedel mit der leeren Tasche. Als Bruder
Leopold IV. am S.Juni 141 1 kinderlos gestorben war, veranlasste
sein Tod die Herzoge zu einer neuen Gebietsvertheilung, in Folge,
deren die gesammten österreichischen Vorlande: Tirol, Bregenz,
Thurgau, Aargau, Ober -Schwaben und Ober-Elsass an Friedrich
kamen. Der für die Vorlande mit den Eidgenossen am 16. Juni
1394 abgeschlossene zwanzigjährige Friede hatte nun schon neun-
zehn Jahre angedauert und sollte erneut werden ; zugleich brachte
der Regentenwechsel eine neue Belehnung aller in diesen Pro-
vinzen sesshaften herzoglichen Lßhensträger mit sich. Der neue
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. \aq
Landesherr, von launenhaftem, jähem, zu Waghalsigkeiten ge-
neigtem Temperamente, durch Befriedigung wilder Liebhabereien
tief verschuldet, sah sich mit einem Male im Besitze grosser Pro-
vinzen mit verhältnissmässigem Wohlstande und dachte wohl
kaum weiter, als sie für seine Finanzoperationen auszubeuten.
Ein momentanes Mittel hiezu war jetzt die fürstliche Confirmation
aller Gnaden und Rechte, den Landschaften, Städten, Stiften und
Lehensträgem ertheilt, woran sich dann neue Sportein, Kanzlei-
und Siegeltaxen und die fernere oder auch erhöhte Uebernahme von
Bürgschafts- und Pfandschafts-Summen zu knüpfen pflegten. Die
Eintreiber waren die Landvögte. Als sich damals die Vorlande
nach Landschaftskreisen in politische Schutzvereine mit einer ge-
meinsam besendeten Tagsatzung gliederten, berief der Herzog
die Abgeordneten derselben im Juni 141 1 zu einer Versammlung
ein, Hess aber durch seinen Badener Landvogt Burkhart von
Mannsberg eine besondere Anfrage an alle Aemter voraus gehen,
womach dieselben über die Geschäftsführung ihres letztgewesneti
Vogtes besonders einzuberichten hatten. Siebenzehn von den
damals eingereichten Beschwerdeschriften haben sich erhalten und
stehen nun abgedruckt im Archiv f. Schweiz, Gesch. VI, 127 — 157.
Sie erweisen u. A., dass der Herzog seine aargauer und Züricher
Aemter als Mittel gebrauchen wollte zur Amtsentsetzung und
Lehensentwehrung des ihm nicht mehr genehmen oder vielleicht
verdächtigen Hermann G. Allein indem nun diese Schriftstücke
das gerade Gegehtheil des Erwarteten erklären, sind sie ein Zeug-
niss der Amtsredlichkeit zweier Landvögte Gessler, des Vaters
und des Sohnes, und zwar aus dem Munde des von ihnen zwei
Menschenalter hindurch beherrschten Volkes selbst.
Vogt und Rath zu Frauenfeld erwiedern auf jene Voranfrage :
»Si hant och mit uns geret von des Gesslers wegen; darumb ist
uns nüt ze wissen« (1. c. 149 des Archivs). Das Amt Seckingen
erklärt. I.e. 144: »Derselb unser gnediger Herr der Landvog^
hat uns sust in allen anderen Stucken und Sachen früntiich und
tugenlich gehalten, und wüssent (wir) ouch nützet an Jm denn
Alles Gute.«
Auch verdächtigende Stellen sind in diesen Adressen mitent-
halten, brauchen aber nicht verschwiegen zu werden, da wir ihren
Ungrund eben so gut wissen wie damals der Herzog selbst De^
damalige Kleinbürger, der von den Herzogen schon so oft als
Pfand hingegeben worden war, namentlich an die um sich greifen-
^CQ ^* ^ic Gessler von Brun^g in Geschichte und Sage.
den Eidgenossen, sieht darin ein Werk Gesslers und hält ihn für
des Herrn treulosen Rathgeber; auch urtheilt der Brodneid des
Ortsphilisters mit und denuncirt den Landvogt, weil oder wenn
derselbe nicht in der Stadt Baden, sondern in Rheinfelden und Secldn-
gen wohnt und zehrt : idavon so kan Er nit verzert haben
zeBaden;€ und hierauf fahren dieselben guten Badener also fort:
»Her Hermann der Gessler hat geben Grüningen das Sloss
und das Ampt in der von Zürich band, die doch Nacht und Tag
niemer Ruw gebent, won daz sie Uech (den Herzog) bringen umb
Lib und Gut, als Uech des die Ueweren von Rapreswil wol
underwisen kunnen. Hans Grünenstein ist etwe lang Zit unser
Stattschriber gewesen, daz er aller unser Heimliche wusst; der
gab nach Uewer Stattrecht sin Burgrecht uff, darnach kam er
och zu dem Gessler und wart sin Knecht, und griff der Gessler
Jwer Land und Lüt an. Da kam uns für, wie daz derselb
Grünenstein Rat und Hilf darzu gebe mit grossen Uffsetzen und
Listen, daz die Niderburg ze Baden ingenomen wurd und von
Jwem Händen keme, darzu wir öch umb Lib und Gut komen
werin« (S. 141).
Die Stadt Rapperswil klagt, S. 153: »Als der Gessler denen
von Zürich das Ampt ze Grüningen, das sin Pfand ist von unser
Herschaft, versetzt hat, damit trengent und übersetzent Sy uns
(die Zürcher mit ihren Söldnern), das wir für die Statt niena sicher
getürren WcUidlen. Und sunderlich trengent Sy die, so in dem
Ampt gesessen sint, denan Sy ander Dienst und Rechtung ufT-
setzent, denn sie sullent oder denn sie joch (anders als demge-
mäss die Amtsleute auch) dem Gessler versetzt sint. Das tunt
Sy (die Zürcher) umb das, daz sy (die Amtsleute) unwillig wer-
dint- und sich, von Unser Herschaft und uns kerint.«' Die Klage
hebt alsdann ferner hervor, Gessler habe, nachdem er Zürcher-
bürger geworden, die Burg zu Rapperswil ohne Wissen dortiger
Bürgerschaft heimlich mit Truppen besetzt, welche im Einverständ-
nisse mit den Zürchern jeden Versuch der Bürger zur Gegenwehr"
überwältigt haben würden. Sie übersehen also oder wissen noch
nichts von jener Urkunde ihres Herzogs, wornach er selbst unterm
24. Juli 1407 »Vesti, Statt und Burg Raperswil mit lüt
und gut, mit allen Fryheiten und Ehaften umb acht
tusend guldin« der Stadt Zürich überantwortet hatte. Archiv
f. schw. Gesch. 17, 247. Noch mehr beklagen sie die Beeinträch-
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. 7t i
tigung ihres örtlichen Marktrechtes, indem Zürich neue Märkte
in ihrer Nähe errichte und ihnen das Brod abschneide. Gleiches
klagt auch die Stadt Bremgarten (S. 157): In jedem Dorfe er-
richten die Bauern, anstatt ihre Aecjcer zu bauen, einen Markt
für Vieh, Korn, Salz und Eisen, und bringen den unsrigen in
Abgang.
Solche vom Zunftneid der Kleinstädter vorgebrachte Kanne-
giessereien sind dann von Chronisten wie Tschudi (I, 633) dahin
ausgedehnt worden, dass Heinrich und Hermann G. zu Verräthern
am Herzog und an Rapperswil, ja zu Schreckgespenstern gestem-
pelt wurden, die man in der Rapperswiler Mordnacht hat
fortspuken lassen. Ganz anders aber urtheilte ebendiejenige
Bevölkerung, welche aus der Hand der Gessler in die der eid-
genössischen und kantonalen Vögte übergegangen war. Gerade
das Grüninger Amt war gegen diesen Herrschaftswechsel mit so
nachdrücklichen Beschwerden aufgetreten, dass es darüber endlich
zu dem Spruchbriefe kam, welchen das als Schiedsrichter ange-
rufene Bern im Jahre 1441 hierüber erlassen hat; er liegt uns ab-
schriftlich vor in dem »Grüninger- Amt« betitelten Bande einer
dreissigbändigen Urkundensammlung, verwahrt in der Bibliothek
der aargauer historischen Gesellschaft. Seinen Entscheidungen
sind die vorausgegangenen Bemerkungen der Kläger und Beklag-
ten stets beigefügt, und deutlich erweisen hiebei die Kläger, dass
unter österreichischer Verwaltung Stadt und Landschaft Grüningen
zusammen gleiche Freiheit ohne gegenseitige Vorrechte besassen,
dass aber die neue Zürcher Verwaltung den auf dem offnen Lande
wohnhaften Freien directe und indirecte Steuern dictirte und die
Geltung ihrer Rechte nur an den Aufenthalt in der Stadt Grü-
ningen knüpfte. Die Stadt war also bevorrechtet und blieb re-
lativ dadurch frei, dass die Landschaft Freiheiten und Rechte ver-
lor. Laut landschaftlicher Satzung hatte jeder in die dortigen
Dingstätten Gehörende das Recht, Wein frei und unbesteuert aus-
schenken zu dürfen, während der Zürehervogt nun 5 Schillinge
4 Heller Schenksteuer forderte. Als nun Etliche, fährt die Be-
schwerde fort, an der Kirchweihe zu Bertschikon Wein ausge-
schenkt und Einer derselben, Hiesi Bebi, dem Vogte statt der
verlangten Abgabe böse Worte gegeben, habe ihn dieser in's
Schloss abfuhren und ihm da eine gesalzne Suppe anrichten
lassen. Trotz dieser angerufnen Satzung wird im Berner Spruch,
art. XII, das Weinausschenken im Städtlein freigegeben und auf
9 £2 ^I* ^ie Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage,
der Landschaft mit einer Tafemensteuer obigen Betrages belegt;
jenes bleibt mit der Abgabe des Fasnachtshuhnes verschont, die
Landschaft damit belastet. Die Landschaft erbringt den Nach-
weis , dass ihre ^Waffenpflicht nicht über die Landschaftsgrenzen
hinausreiche, dass jeder weiter darüber hinausführende Marsch
auf des Kriegsherrn Kosten zu geschehen habe ; nun aber würden
sie gegen Landrecht gezwungen, der Zürcher auswärtige Feldzüge
mitzumachen, wie z. B. den im Frühjahre 141 1 nach Bellinzona
unternommenen. Als Zürich hierauf diesen Klagepunkt sehr un-
zeitig zu finden meint, da ja das Grüninger Aufgebot schon unter
den Gesslern bis in's Elsass marschiert sei, erwiedem die Kläger
rasch: »So si mit dem gessler reistin, muosten die (Johanniter-)
Herren von Rüti und von Buebikon jnen Wägen darstellen und
si nach notdurft vert'gen, dabi man merk, wie billig jr
clegt sy.«
Ehedem, erklären sie weiter, hatte man von einem Joch
Ochsen eine Zehentgarbe zu entrichten. Kamen alsdann Vogt
und Weibel auf den Ernteacker und erbaten sich ihre Garbe, so
gönnte man ihnen eine solche um Bitte und Liebe, keineswegs
aber in Pflicht, und kamen sie gar nicht, so empfiengen sie auch
nichts. Jetzt hingegen sei es so geworden, dass zwar keiner von
Beiden mehr auf den Acker geht. Jeder aber in die Scheune ge-
laufen kommt, hier drei Garben ungebeten wegnimmt und unter
dem ganzen Stock die grössten sich heraussucht. Ja jedem Klein-
knechte, der nur eine Juchart in Zins zu bauen hat, nehmen sie
ebenso die drei Zinsgarben ab. Arme Leute, welche Bauland
pachten müssen, sind gezwungen; es liegen zu lassen, um die^
Vogtäcker zu pflügen und zu schneiden. Da muss der Vogthanf
zur Rössung in den See geführt, wieder heraus aufs Feld gelegt
und schliesslich in die Scheune gebracht werden, komme es ihnen
wohl oder übel, seien sie bei ihrer eignen Arbeit oder in fremdem
Lohndienste. Reben auf ihren eignen Gütern neu anzulegen, oder
das Ihrige auf einen Markt ihrer Wahl zu fuhren, sei ihnen bei
Leib und Gut verwehrt ; ein ihrem Herkommen keck zuwider lau-
fendes, unter der vorigen Herrschaft unerhört gewesnes Verbot.
So habe auch der Gessler immer sich selbst beholzt und nur
dann das Amt um Holz angerufen, wenn er ein Kind zu erhoffen
oder eines auszusteuern hatte. Jetzt hingegen müssten sie dem
Zürchervogt das Schloss fiir's ganze Jahr mit Holz versorgen.
Nie habe der Gessler ihnen Schätzung auferlegt. Nun aber, seit
I« Familiengeschichte der aaigauer Gessler etc. ^C^
Zürich die Kiburg zum Pfände hat, sollen sie auch an dieser
Pfandschafts-Summe 800 Pfund Heller mitbezahlen.
So lautete noch im Jahre 1441 das freiwillig abgelegte Zeug-
niss der Bauernschaft zu Gunsten beider Gesslef, des Vaters Hein-
rich und des Sohnes Hermann, als diese längst aus dem Amte
waren, es war also ein Testimonium, das sich damals durch Geld,
Bedrohung und sonstige KanzleiknifTe nicht mehr zusammen wei-
beln Hess. Die Grüninger hingegen, die dieses ZeugniSs abgaben,
sollten von nun an durch volle vier Jahrhunderte erfahren, dass
die Republik, welcher sie einverleibt worden waren, ein nur für
die zünftigen städtischen Geschlechter, nicht aber für das Volk
etablirter Freistaat war. Die Lasten aus der österreichischen Vogt-
zeit waren verblieben, hatten sich von den Hintersassen auf den
freien Landsassen ausgedehnt, die Gegenleistungen der Grund-
und Schutzherren aber waren ausgeblieben. Bis zum Umstürze
der Eidgenossenschaft durch die Invasion der Neufranken hatte
das Grüninger Amt in zahllosen Bittschriften die Regierung um
eine menschlichere Verwaltung gebeten, und so beharrlich wurde
dieses Begehren abgelehnt, dass daraus ein eigenes Sprich-
wort im Lande entstand, um damit jede obrigkeitlich ausge-
sprochene Ablehnung überhaupt zu bezeichnen. Der Züricher
J. C. Lavater Hess dasselbe in seinem berühmten Flugblatte vom
21. Wintermonat 1762 drucken, es hiess: Sagt mir nichts
mehr von Grüningenl
Nachdem die in den Gessler'schen Vogteien aufgenommenen
Kundschaften keinerlei Klage gegen den Landvogt ergeben hatten,
musste ein Diener Gesslers der unschuldige Anlass zum Ausbruche
der Feindschaft zwischen dem Herzoge und dessen Vogte werden.
Burkart Schlatter, Bürger von Zürich, in Gesslers Diensten bei
Meran an der Etsch niedergelassen, wird hier auf seinem Eigen-
gute auf herzoglichen Befehl gefangen genommen. Er scheint
bei den damals unsichem Zeitläuften Baarschaft oder Fahrhabe
aus des Herzogs Lande entfernt zu haben, macht sich dadurch
einer unbeabsichtigten Zoll- und Steuer-Unterschlagung gegen den
Landesherm schuldig und ist deshalb nach österreichischer Landes-
satzung Augen- und Zunge verlustig. Die barbarische Strafe wird
wirklich vollzogen. Sogleich nimmt Zürich sich des Misshandelten
an und macht am 3. October 141 2 beim Badener Landvogt Burk-
hart von Mannsberg die Schadloshaltungsklage anhängig. Dies
bleibt aber deshalb erfolglos, weil mittlerweile Hermann Gessler
Roehholz, Teil und Gessler. 23
^üA IL Die Gessler von Brunegg in Geschichte und §age.
sich insgeheim mit dem Herzog wieder verglich, dieser aber schon
drei Jahre darauf um Land und Leute kommt. Wann und auf
welchem Wege der Herzog und sein Vogt sich mit einander ver-
tragen hatten, dies erhellt aus den bisher vorhandenen Urkunden
nicht. Wir wissen nur, dass Schloss Brunegg als herzogliches
Lehen im Jahre 141 3 den G<^slern abgenommen und auf die .
Mellinger Schultheissenfamilie Sägisser übertragen worden war, *)
während es im Jahre 141 5 schon wieder in der Hand der Gess-
ler ist.
Musste nun jene an einem Züricher Stadtbürger vollzogene
Blendungs- und Verstümmelungsstrafe das öffentliche Urtheil nicht
wenig aufregen und sah man den Vogt Hermann, anstatt seines
Dieners sich anzunehmen, alsbald auf des Peinigers Seite stehen,
so lag die Meinung nahe genug, Hermann selbst sei ein Mit-
schuldiger bei dieser Unthat. Was darum der Verdacht der Zeit-
genossen an dem Lebenden nicht thun konnte, das that alsdann
die überlebende Sage mit ihrem Vehmgerichte. Sie machte Her-
mann zum Zeitgenossen und Partisan jenes Vogtes Landenberg,
der den Melchthal blenden Hess, und von Tschudi an bis auf
Joh. V. Müller, ja bis hinein in den Schiller'schen Theaterzettel heisst
nun der Landestyrann einstimmig: Ritter Hermann Gessler
von Brunegg. Unter solcherlei den Gesslern nachtheiligen
Gerüchten bricht liir die Vorlande und deren Lehensadel unver-
muthet eine durchgreifende Umgestaltung an, der Aargau wird
von den Eidgenossen erobert, und damit gehen die Brunegger
der grossen vom Vater überkommenen Besitzthümer und Herr-
schaften für immer verlustig. »Denn es erbt wohl Einer des
Anderen Gut, aber nicht sein Glück.«
*) Dies ergiebt sich aus dem »Lechenbuch der Lobl, Statt Bern«, in wel-
chem folgendes Regest enthalten ist: »1413, Crucis in Maye. Das Hus Brun-
egg mit den Wyngarten, Matten vndt Höltzeren ist Lechen, ist in Junckhcr
RuodolfT Sägissers Händen.« Der Grafschaft Baden Dokumenteh-Buch BB
pars I, 346.
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. icj
4. Die Gessler seit Eroberung des Aargau's.
1415—1513.
I Adel und Städte im Thurgau, Hegau, Kletgau, Aargau und
auf dem Schwarzwalde hatten unterm lO. Januar 1410 gegen
; äussere Angriffe und' örtliche Bewältigung einen Schirm- und
Hilfsverein gegründet, der nach landschaftlichen Friedkreiseri, Con-
traden genannt, eingetheilt und durch Abgeordnete vertreten
war, deren Tagsatzungsbeschlüsse alle jene Kreise gemeinsam
verpflichteten. So hatte auch die Contrade Aargau ihren Bezirks-
! ort zu Baden. Diese Einung war mit dem Willen des Landes-
herm geschlossen, und unter den Adelsnamen, welche der Bundes-
brief als Theilnehmer nennt, stehen auch die Gessler. Zwei
i Jahre hernach bereist der Herzog die Vorlande , verweilt im
breisgauer Freiburg, zu Baden und Zürich, erneut die Lehen
und lässt den unterm 16. Juni 1394 mit den Eidgenossen ab-
geschlossnen zwanzigjährigen Frieden zu einem fünfzigjährigen
erweitern. Der Vertrag wird zwischen dem Landvogt Burk-
hart von Mannsberg, den herzoglichen Städten der Vorlande
und den Eidgenossen besiegelt, vom Herzog bestätigt und am
8. Heum. 141 2 allem Volke bekannt gemacht (Urk. bei Tschudi
I, 662). Nach nicht ganz drei Jahren war dies Alles wieder im
Sande zerronnen. Durch des Herzogs politischen Leichtsinn,
durch die Heftigkeit und Unstetigkeit seiner Leidenschaften schlug
Alles in's Gegentheil»um; Krieg entbrannte, zerstückelte die Vor-
Jande, riss sie theil weise ganz vom Reiche ab, entsetzte den Her-
zog und seinen Lehensadel des Besitzes und drückte eine Viel-
zahl von Städten auf Jahrhunderte zu bedeutungslosen verarmten
Provinzialorten herunter, ohne damit das leibliche oder geistige
Wohl der Landbevölkerung eben so lange auch nur irgendwie zu
verbessern. Dahin brachte es die gegenseitige Feindseligkeit
dreier an Ränkesucht, Habsucht und Sittenlosigkeit sich ganz eben-
bürtiger Männer : König Sigmund, Papst Johann XXIII. und Her-
zog Friedrich IV. Schon vor dem Konstanzer Concil hatten
diese drei Minierer sich kennen und verachten gelernt, und als
sie dann auf dem Concil persönlich aneinander geriethen , flogen
alsbald ihrer Zwei, Herzog und Papst, in die Luft. Die Rolle
der die Fürstensünden büssenden Achiver fiel dabei den Vor-
landen zu. Sigmund, lebenslang ein verachteter, wiederholt mit
23*
^c6 II* I^ic Gessler von Brun^g in Geschichte und Sage.
Absetzung bedrohter Schattenkönig, war eitel, zerstreuungssüch-
tig, verschwenderisch, geschlechtlich ausschweifend, und glich
nach diesen Seiten dem Herzog Friedrich genau, nüt welchem er
vormals, tanzend, trinkend und die Sicherheit des Frauengeschlech-
tes gefährdend, Tirol durchzogen hatte.*)
Aber noch darüber hinaus war der König wortbrüchig ohne
Scham, kannte keinerlei Rechts- und Ehrgefühl, und es behin-
derte seine grenzenlose Eitelkeit nicht, um Gewinn gegen Jeder-
mann servil zu sein, denn um Geld war ihm das ganze Reich feil.
Gegen den Herzog erfüllte ihn die Feindseligkeit und Haus-Eifer-
sucht des Luxemburgers gegenüber den Habsburgern. Friedrich
durfte daher von dem eben beginnenden Konstanzer Concil für
sich nichts Gutes erwarten. Er hatte sich mit drei Bischöfen
gleichzeitig überworfen und trug zur Zeit den doppelten Bann
des Trienter-, welcher Sigmunds Rath war, und des Churer Bi-
schofs, eines unbeugsamen Mannes. Er schloss sich daher dem
Papst Johannes an, der auf dem Concil gleichfalls eine bedeu-
tende Gegnerschaft zu befürchten hatte, darum die Stimmen ein-
flussreicher Fürsten voraus erkaufte und auf der Herreise aus
Italien den Herzog zum »Obersten Feldhauptmann der römischen
Kirche« mit einem Gehalte von 6000 Goldgulden ernannte. Mit
einem grossen Gefolge von Edelleuten und vielen tausend Rossen
quartierte sich Friedrich im Stifte Kreuzlingen, unmittelbar vor
den Konstanzer Thoren, als auf seinem eignen Gebiete ein und
eröffnete seine Opposition gegen den König von hier aus mit der
Weigerung, sich in hiesiger Stadt von ihm »belehnen zu lassen.
♦) Die Zimmer sehe Chronik, Ausg. v. Barack i, 507 ff., sieht den Grund
der Feindschaft Sigmunds und Friedrichs in einer Wüstlingsgeschichte. Als der
aus Italien kommende Kaiser in Innsbruck bei Friedrich zu Gaste war, überwältigte
hier der Herzog während eines Hofballes eine mitgeladne Innsbruckerin an einem
finstern Orte und schob die Schuld auf den Kaiser, dem er an Figur, Haltung
und Bart sehr ähnlich war. Ausgesonnener Weise war die That in eben dem
Augenblicke verübt worden, da Sigmund sich aus dem Tanzsaale zurückgezogen
hatte, und als das Mädchen vor allen Anwesenden in Klagen ausbrach, liess
Friedrich jenen verdächtigen Umstand bei der Kaiserin und den ungarischen
Käthen besonders hervorheben.. Sigmund reiste Tags darauf ab, während ein
Stadtauflauf auszubrechen drohte, und soll dem Mädchen 400 Ducaten geschickt
haben. Uf dem concilio zu Constanz nam Sigmundt ursach, sich
widerumb an ime ze rechen, thet Friderichen in des reiches
acht, practicirt mit den Aidgnossen, die namen den herzogen
das Ergow.
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. ^^y
ein Act, zu dessen Vollzug er doch eben hieher entboten war.
Gestützt auf eine angeblich von König Friedrich I. am 17. Sept.
1 1 56 dem Hause Oesterreich ertheilte Urkunde (sie gehört zu den
sogenannten fünf falschen österreichischen Freiheits-
briefen), verlangte der Herzog, nur auf österreichischem Boden
und in keiner andern Stellung als sitzend zu Pferde seine Reichs-
lehen zu empfangen.*) Der König spottete dieser romantischen
Schrulle, zumal er recht wohl wissen konnte, dass jene angebliche
Kaiserurkunde unter dieselben gehörte, die durch Herzog Rudolf
IV. und dessen Kanzler 1358 — 59 zu dem Zwecke zusammenge-
schmiedet worden waren, die herzoglichen Privilegien auf Un-
kosten des Reiches zu vermehren. Er forderte daher, dass
Friedrich stehend vor dem Throne, wie alle übrigen Reichsfursten,
huldige und Lehen empfange. Als dies am 4. Hornung 141 5 zu
Konstanz also geschah, soll der Herzog bedeckten Hauptes er-
schienen sein und auf die Betitelung: »Graf von Habsburg«, den
König ebenso mit »Graf von Lützelburg« angeredet haben.**)
Dies war indess nur das Geplänkel zu der Katastrophe, die der
Papst zum Ausbruche brachte. Johann, der wegen seines groben
Cynismus eine stehende Spottfigur der deutschen Flugblätter ge-
wesen war, noch bevor die Berechnung seiner Laster an den
Konstanzer Kirchen und Thoren angeschlagen stand, war der
dritte zu zwei gleichzeitigen, schon vom Concil zu Pisa entsetzten
Gegenpäpsten, und man erwartete gegenwärtig seine freiwillige
Abdication in der Voraussetzung, dadurch auch der beiden andern
loszuwerden. Gestützt auf seine Partei und in der Hoffnung, so-
gleich wieder gewählt zu werden, dankte er am i. März aller-
dings ab. Als aber seine Erwartung fehlschlug und seine förm-
liche Entsetzung voraus zu sehen war, sann er auf Flucht, um
durch seine Entfernung die Kirchenversammlung entweder zu
trennen, oder doch ihre Beschlüsse zu vereiteln, indem er die-
•) Im französischen Roman Perceval, einer aus dem gereimten Ritterroman
dieses Namens entstandnen Prosa-Erzählung des 15. Jahrhunderts (einzige Druck-
ausgabe: Paris 1530), soll Held Perceval an König Arthurs Hof den Ritterschlag
empfangen, wogegen der ungehobelte Held darauf besteht, diese Ehre nur zu
Herde annehmen zu wollen und gleich auch noch eine andere eben so freche
Bedingung dazu fügt. Liebrecht-Dunlop, Gesch. der Prosadichtungen, S. 71.
*•) So erzählt Albert von Bonstetten, der Dekan von Einsiedeln, der
im Jahre 1527 seine Historia Domus Austriae am Wiener Hofe einreichte. Obige
Anekdote steht auch bei Marian, Austria Sacra II, Abthl. 4, S. 156.
9c8 n. Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
selben nachträglich annuUirt haben würde. Hiebei war ihm der
Herzog behilflich. Beide entflohen am 20. März über Schaff"-
hausen in's Breisgau, der Papst mit dem Plane, Avignon zu er-
reichen und sich dorten mit Frankreichs Hilfe in päpstlicher
Autorität festzusetzen ; Friedrich in der Absicht, den Papst in den
herzoglichen Städten festhalten und als eine politische Werthsache
gegen Concil und Reich ausnutzen zu können. Die Flüchtlinge
hatten sich schwer getäuscht ; ganz unerwartet zeigte die kaiserliche
Partei Entschiedenheit. Durch Eilboten wurde der Herzog vor den
König citirt und als er zauderte, in Acht und Aberacht erklärt,
die Väter der Kirche Hessen den Bann folgen, seine Unterthanen
wurden ihres geleisteten Eides entbunden. Dies Alles geschah
mit einer keinerlei gerichtliche Frist und Form beachtenden Eile.
Schon am 30. März ergieng Sigmunds Befehl an die Stände des
Reiches zum Kriege. In der Charwoche, 6. und 7. April, rückte
das Executionsheer unter Burggraf Friedrich von Nürnberg durch
das Hegau und Thurgau beiden Rheinufern entlang bis Schaff-
hausen herab und zwang die Städte dieser Bezirke: Radolfszell,
Diessenhofen, Stein am Rhein, Frauenfeld, Winterthur, zum Reiche
zu schwören. Die wehrlosen Orte ergaben sich, aber um aus
dem Unglücke ihres Herrn wenigstens nicht selber Nutzen zu
ziehen, bezahlten sie in ihrer Bürgerredlichkeit dem Könige erst
die verschiednen Pfandsummen aus, um die sie vom Reiche einst
an Oesterreich versetzt worden waren.*) Dies war der erste
Schritt zu dem in diesem Kriege allgemein gewordnen Verfahren,
österreichische Lehen und Landstädte in Lehen, Pfandschaften und
Städte des Reiches umzuwandeln. Doch viele dieser Orte traten
nachmals von dem Reiche, das sie nicht schützte, sondern nur
neuerdings verpfändete und verschacherte, abermals an Oester-
reich zurück; so Radolfszell, Diessenhofen, Neuburg am Rhein,
Breisach. Gänzlich wurde dem Reiche die Huldigung versagt von
den schwäbischen Donaustädten, als von Ehingen, Mundrichingen,
Reutlingen, im Saulgau, zu Wangen, Waldsee u. s. w. ; ebenso
verweigerten den Eidgenossen die Huldigung: Villingen, Walds-
hut, Laufenburg. Eine ähnliche Anhänglichkeit bewies auch der
{
*) So that z. B. SchafFhausen , das sich am 6. April ergab und an seiner
Ix)sungssumme nachmals 275 Steuerjahre lang abzuzahlen hatte. M. Kirchhofer,
Schaff hauser Neujahrsgeschenke No. XIII, S. 6. In-Thum, Der Kt. SchafF-
hausen, S. 5 beziffert die Schaffhauser Lösungssumme auf 30,000 Dukaten.
I. Famüiengescbichte der aargauer Gessler etc. %tQ
•
Aargau. Inzwischen erfolgte die Besitznahme der übrigen herzog-
lichen Provinzen. Sundgau, Elsass und Breisgau wurde theils
durch die dortigen Reichsstädte, theils vom Pfalzgrafen Ludwig
am Rhein (Friedrichs eigner Schwager) genommen; der Schwarz-
wald durch den Landgrafen Eberhard von Nellenbui^ ; Rheinthal,
Vorarlberg und Feldkirch durch die Grafen von Werdenberg,
von Bregenz und Toggenburg; das Etschland durch die Baiem-
herzoge und die dortigen Bischöfe ; die Stammlande durch Herzog
Albrecht und den Grafen von Cilly. Tirol verblieb damals und
später treu bei seinem Herrn. Die Landleute sammt Ritterschaft
dieser Grafschaft erklärten (Bozen, 22. Juni 141 5): Herzog
Friedrich habe sie der ihm geleisteten Pflichten zwar entlassen
und an König Sigmund gewiesen; sie hingegen Alle ohne Aus-
nahme wollten dies nicht thun aus Treue zu ihrem rechten natür-
lichen Herrn, und hätten darum nun des Herzogs Bruder Ernst
(dem Eisernen) auf so lange gehuldigt, bis sie beim Könige wieder
gänzlich in Ehren erledigt sein würden. Hormayr, Gesch. der
Grafsch. Tirol I, Abthl. 2, S. 620 und 624.
Keineswegs erst jetzt und nach den erwähnten Vorgängen
kam den Eidgenossen die Lust, sich bei dem Länderraub mit zu
betheiligen; sondern schon vor jenen Ereignissen und sogar noch
vor der Aechtung des Herzogs hatte das vergrösserungslüsteme
Bern durch eine besondere Gesandtschaft persönlich mit dem
Könige pactiert und ihm für den Fall, dass er in Krieg gegen
Friedrich geriethe, WafTenhilfe förmlich zugesagt.*) Es versprach
ihm 8000 M. zu stellen und binnen acht Tagen vier aargauer
Städte zu überantworten.**) Die Folge wird zeigen, dass diese
vier gemeinten Städte 2k)fingen, Arburg, Aarau und Lenzburg
*) Sigmund schreibt 141 5, 25. März an Bern (das Original liegt im bemer
Staatsarchiv): Als wir dann vormals in unsrer küniglichen person mit den
egenanten von Bern in Uechtland gerett, gefordert vnd an Sy begert hatten, uns
und dem Rieh hilfe czu tund und byczusteen wider Herczog Fridrichen v. ö., ob
wir mit dem selben Herczogen czu kriege komen, und als uns die
von Bern vormals, und ouch cjetzund von newes, czugesagt haben, das Sy vns
denselben von Gestenreich czu kriegen genczlich helfen wollen — Also wollen wir
ouch, das Sy mit uns versorgt sind in solcher masse, als hernach geschriben stet. — -
Hier folgen die weiteren Punctationen. Äbi in Kopps Gesch.-Bl. 2, 105, Beilage I.
Eidgenöss. Absch. I, S. 47, No. 105. — Dr. H. Frey: lieber die Eroberung
des Aargaus ; in den Basler Beiträgen, Bd. IX, 223.
*•) »Kriegsanstalten gegen Herzog Friedrich von Oesterreich.« Von einem
Ungenannten. Aschbach, Gesch. Königs Sigmund, Bd. II, 421.
j5o I^* ^^ Gessler von Bnuegg in Geschichte und Sage.
waren. Zürich, um einen gleichen Zuzug gegen Schaffhausen
angegangen, schwankte und entschuldigte sich gegen die Gesandten
Grafen Friedrich v. Toggenburg und den Bemerboten Anton
Guglan: es sei umsetzt von herzogl. Städten und laufe Gefahr,
>gar gröbliche voii ihnen geschädigt zu werden, wenn es diesel-
ben bei einer weiter gehenden Unternehmung im Rücken lasse.
Die Aussicht auf eine Territorialvergrössenmg half indess rasch
über diesen Skrupel hinweg, Zürich gab seinen Boten volle Ge-
walt mit dem Könige zu unterhandeln, befahl die Geheimhaltung
der bisherigen Zusagen und Hess sofort die Tagsatzung nach
Beggenried ausschreiben, »von der Hilf wegen, so unser Herr der
Küng uns zugemuotet.c Hier scheiterte der Plan vorerst an der
politischen Eifersucht der Länder- gegen die Städtekantone; dass
man aber hier schon um das Bärenfell sich stritt, geht aus dem
um zehn Jahre späteren Berner Schiedssprüche von 1425 hervor,
dessen eines Beweismittel besagt: Auf jenem Tage zu Beggen-
ried hatten die Kantone einander versprochen, den dem Herzog
abzuerobernden Aargau zu gleichen Theilen gemeinschaftlich be-
sitzen zu wollen, Tschudi II, 162. Man war indess damals
schon geschliffen genug, den abweisenden Beschluss hinter dem
Anschein angeborner Biederkeit und Herzenseinfalt zu verbergen,
und berief sich auf den erst vor drei Jahren mit dem Hause
Oesterreich geschlossnen fünfzigjährigen Frieden. Sigmund erwies'
hierauf den Kantonen in zwei Schreiben vom 5. und vom 15. April,
dass und warum es in der Politik keine moralischen Gründe gebe.
Als zum Reiche gehörend, seien cEe Eidgenossen schuldig, dem
Reiche Kriegshilfe zu leisten. Ihr Tractat mit Friedrich sei nur
ein Frieden, keineswegs aber ein Bündniss, da Niemand im
Reiche ein solches eingehen dürfe, wenn es wider den R. König
ist, welchem man, als dem ordentlichen, natürlichen Herrn, vor ^
und nach allen Bündnissen verbunden bleibt. Zudem erweisen
kaiserliches und geistliches Recht, dass, was immer man im Reiche
eingeht, ein jeglicher R. Kaiser, König oder Papst darin ausge-
nommen, ist, seien die Letzteren dabei namentlich berührt oder
nicht mitgenannt. Sonach seien die Eidgenossen zum Kriege
gegen den Herzog verpflichtet und sollen damit den ihm be-
schwomen fiinfrigj ährigen Frieden keineswegs gebrochen haben,
des Ferneren haben sie auch alle von der Herrschaft Oesterreich
pfandweise innehabenden Lande und Schlösser keineswegs dem
I. FamiUengescliicbte der aai^ner Gessler etc. 36 1
Herzog oder dessen Erben zu lösen zu geben , sondern sollen
damit des Kaisers und Reiches gewärtig bleiben.
Noch war ein Bedenken der Selbstsucht übrig. Der fünfzig-
jährige Friede war nicht einseitig mit dem Herzog allein, sondern
mit dem ganzen Hause Habsburg abgeschlossen worden; ein
Krieg gegen den Herzog drohte also einer gegen Oesterreich
zu werden. Gegen diese Gefahr verlangen die Kantone Sicherung.
Der König, so begehrt nun Zürich, möge keine Richtung auf-
nehmen ohne die von Zürich miteinzuschliessen und diese zwar
nur so, dass der fünfzigjährige Friede an ihnen ge-
halten werde. Ihnen und den Luzemem wird dies unter Er-
bietung königlicher Hilfe wirklich zugesagt; Sigmund werde den
Herzog zur Haltung des mit ihnen geschlossenen Friedens zwingen;
aller Ansprüche, die Friedrich an sie zu haben meine, seien sie
ledig und quitt, in den ihm ab zu erobernden Städten und
Schlössern seien sie berechtigt, ihre eignen Amtleute zu setzen
(Segesser RG. I, 288 — 91).
Inzwischen hatte sich in den Kantonen die weitere Meinung
verbreitet, dass ihrer jeder die ohne Beihilfe der übrigen zu
machende Eroberung zu seinem alleinigen Besitz behalten dürfe,
wogegen nur das von ihnen gemeinsam Eroberte unter gemein-
samen Schweizer -Besitz fallen solle. Allein zum Zeichen, dass
diese naive Meinung grundlos und dass der von den Eidgenossen
übernommene Feldzug lediglich ein Reichskrieg sei, liess Sigmund
seinen Rath und Kammermeister Konrad von Weinsberg mit
reisigem Zeug und dem Reichsbanner zu dem an der Limmat und
Reuss sich sammelnden Heerhaufen der Kantone stossen unter
dem speciellen Auftrage, allen eroberten Städten und Schlössern
die Huldigung im Namen des Königs abzunehmen, »denn alle
Eroberungen sollten ewiglich bei dem Reiche verbleiben. €*) Bern
kümmerte sich weder um die Bedenklichkeiten seiner Mitstände,
noch um die schwache Rechtstheorie der kaiserlichen Aechtungs-
briefe, »noch auch um der Pfaffen Fasel in dem Con-
cilio, der die Eidgenossen von ihrem Eidbruche
gegen den Herzog absolvirte,€**) es zog die Mannschaften
der vier Städte des Seelandes an sich, rückte am 18. April 141 5
*) Urk. Sigmunds an Luzern vom 15. April; bei Segesser RG. I, 289.
**) Hans Conr. RoUenbutz von Zürich; hds. Chronik, pag. 90, auf der
aai^uer Kantons-Bibliöthek bezeichnet: MS. Bibl. Nov. 31 fol.
j62 U. . Die Gessler Ton Brunegg in Geschichte und Sage.
in den Aargau ein und nimmt von diesem Tage bis zum 20. April
die vier Städte Zofingen» Arburg, Aarau und Lenzburg gegen
Vertrag ein. Sämmtliche vier Capitulationsurkunden datieren
nemlich von Donnerstag vor St. Georg 141 5 (18. April) bis
Samstag vor St. Georg, sind jedoch lediglich vier von der Bemer
Staatskanzlei vordatierte Documente, mit denen man Berns Erst-
recht auf dieses Gebiet zu erweisen und die Einmischung der
Mitstände abzuschneiden gedachte. Die ganze Berner Invasion
gestaltete sich aus diesem Grunde zu einem unmilitairischen blossen
Eilmarsche, der keine Kriegsehren aufzuweisen hat. Zofingen,
gegen welches bis auf eine Stunde Entfernung (bei Reiden) schon
die Luzerner Truppen vorgedrungen waren, erhielt darum von
den Bernern die Unabhängigkeit seiner Communalverwaltung ge-
währleistet und sämmtliche österreichische Sonderrechte dazu
geschenkt ; Alles, damit man hier nicht mit Belagerung und Unter-
handlung ein paar kostbare Tage versäume. In gleicher Eilfer-
tigkeit versicherte man sich der übrigen Nachbarstädte, Hess fest-
und hochgelegne Adelsburgen, weil sie nicht durch blosse Ueber-
rumpelung zu nehmen waren, unangefochten nebenan liegen,
erreichte die Reusslinie bei Meilingen und Brugg, stiess auf das
hier sammt den Miteidgenossen aufgestellte Reichsheer, sah sich
durch diese Concurrenten ein Ziel gesteckt und trat sofort den
Heimmarsch an. Nicht länger als siebenzehen Tage, schreibt der
Stadtchronist Justinger, habe die ganze Expedition gedauert.
Das flache Land mit den Städten war nun freilich genommen,
nicht aber zugleich der Grundbesitz, der als Erblehen und Pfand
in der Hand des Landadels, der Bürger und herzoglichen Pächter
lag; eben so wenig verfügte man über die Burgen, deren Mann-
schaften vielmehr den neuen Erwerb stündlich bedrohten. Der
so energisch begonnenen Kriegsoperätion hinkt darum eine ganz
triviale Geldoperation nach, und diese ist von so langer Dauer
und geschäftlicher Verwickelung, dass sie hier nur im Allge-
meinen umrissen werden kann. Eben durch sie ist das Schicksal
der Gesslerischen Brunegg mitbestimmt worden.
Zwei Hofbanquiers und Finanzkünstler stehen hier voran,
Hans Schultheiss von Lenzburg und Konrad von Weinsberg.
Letzterer, ein Ritter aus dem Adelsgeschlechte der Burg Weins-
berg bei Heilbronn a/N., ist kaiserlicher Rath, Reichsmünzmeister,
Reichs -Erbkämmerer, Pfandinhaber der Reichssteuern in den
Städten schwäbisch-Hall, Heilbronn, Wimpfen und Ulm, in einem
r
I. Familiengeschichte der aargamer Gessler etc. 3^7
Erstbetrage von 15,000 Pfund Heller und in einem zweiten von
10,000 Gl.; er erhält von seinem Schuldner, dem K. Sigmund,
unter andern Abschlagszahlungen auch den Schniderhof in der
Stadt Baden zu 11 14 Gl. zugewiesen, soll mit den Geldern der
kaiserlichen Schatulle die Kosten des jetzigen Feldzugs bestreiten,
hat das Obercommando und fuhrt die Reichsfahne. Er stand
mit dem Zürcher und Luzemer Aufgebote eben beim Städtchen
Meilingen an der Reuss, als die Bemer Lenzburg besetzten, das
dortige Schloss aber, den ausgedehntesten mittelalterlichen Kriegs-
bau unter den 84 Burgen des Aargau's, nicht zu bewältigen
vermochten. Auf diesem von drei Seiten sturmfreien Bergkegel,
hinter mächtigen Wällen und Zinnen, die dem berner Belage-
rungsgeschütze trotzten, hielt sich mit einer Österreicher Besatzung
der dortige Stadt- und Schlossvogt Hans Schultheiss-Ribin, in
dessen Hand Schultheissenamt, Gerichtsbarkeit, Zoll, Markt- und
Hofstättenzins, Burglehen, Herrschaftsrechte etc., theils als Erb-
eigenthum, theils als Erbpfand lagen. Mit ihm, nicht mit den
Ortsbürgem, die er in seinem Beutel trug, musste unterhandelt
werden. Der Weinsberger, seiner Instruction getreu, Alles durch,
und nichts für die Eidgenossen erobern zu lassen, erbot sich einen
Ausgleich zu versuchen, wurde von den Bemem hiezu bevollmäch-
tigt, erschien mit ihrem Geleite vor dem Schlossthore und fand
Einlass. Sogleich steckte er droben die Reichsfahne aus und Hess
verkünden, die Besatzung ergebe sich weder an Zürich noch an
Bern, sondern behaupte das Schloss zu des Reiches Händen.
Die Bemer zürnten und gaben vor, er habe sie getäuscht, in
Wahrheit aber handelte er nach den von den Eidgenossen selbst
voraus anerkannten kriegsrechtlichen Bestimmungen. Binnen
der ersten drei Wochen schon hatte der Ritter mehr als 6000 Gl.
an die Befestigung der Bollwerke und an den Zeug gewendet,
alsdann errichtete er einen vom Rath zu Bern genehmigten Ver-
trag (11. Mai 141 5), womach Jedermann in der Grafschaft gehal-
ten blieb, dem Hans Schultheiss wie sonst die schuldigen Pflich-
ten und Gefalle zu leisten. Die Bemer beanspruchten zwar hohe
und niedere Gerichtsbarkeit, die hier dem Schultheiss zum Theil
gehörte, sodann den Lenzburger Pfundzoll und Hofstättehzins, die
ihm ganz gehörten. Gegen dieses Begehren erwarb er ein könig-
liches Diplom vom 4. Juli gleichen Jahres und Hess sich nachträg-
lich noch unterm 3. April 141 7 alle seine Lehen und Pfandschaften
bestätigen. So kam es, dass die Tagsatzung auch im Jahre 141 8
564 I^« ^^® Gessler von Bninegg in Geschichte und Sage.
noch unter ihre unerledigten Fragen zu setzen hat: »Wegen des
Schultheissen von Lenzburg heimbringen, wie man ihm antworte,
dass er würbe an den König, damit Er (Schultheiss) mit der Veste
an uns käme.« Eidg. Absch. I, 79.
Wenige Züge aus der reichen Geschichte dieses Greschlechtes
müssen hier genügen. Hans Schultheiss trug die in seiner Fa-
milie erblich gewordene Würde des Lenzburger Schultheissen-
amtes bereits als Geschlechtsnamen. In Wirklichkeit hiess er
Ribin,*) sein Geschlecht stammte aus dem Dorfe Seengen am
Hallwiler-See und war aus ursprünglich bäuerlichen Verhältnissen
zu höfischen in ähnlicher Weise empor gekommen, wie die Gess-
ler. Der berühmteste des Stammes ist jener Diplomate, gestorben
3. Juli 1388, der sich selber urkundlich also betitelt: Johannes
Ribi von Seengen und Blotzheim (im Sundgau), Schultheiss von
Lenzburg, Bischof von Gurk, Brixen und Chur, Staatskanzler der
Herzoge von Oesterreich. Seine fürstlichen Herren waren ihm
nach und nach an Zinsen, Steuern, Darlehen und Soldgeldem die
Summe von 49,900 Gl. schuldig geworden, die theils abbezahlt^
theils in Form fernerer Pfandschaften und Sätze seinen Erben
zugeschlagen und von Herzog Friedrich (Mit der leeren Tasche)
im Jahre 141 2 zu Baden am Pfingstmontag**) dem Hans Schult-
heiss neu verschrieben worden waren. Zu diesen Verschreibüngen
gehörten unter noch manchen anderen folgende Besitzthümer und
Rechte: Erblicher Mitbesitz einzelner Thürme und Sesshäuser
des Schlosses Lenzburg; der Bezug des Pfundzolls***) und Haus-
schillings in der Stadt, Erhebung der Zollgarben auf dem Lande,
vorbestimmte Zinse, Gefälle und Lehen in der Grafschaft Lenz-
burg mit dem Jagd- und Gerichtsrechte im ganzen Grafschaftsbann.
König Sigmund confirmirt im Jahre 141 5 diese Rechte und An-
*) Der Familienname Ribin entsteht aus dem Local- oder Gutsnamen Ribi
(vgl. riben, ripsen = abreiben) , der sowohl auf ein abstürzendes Berggerölle, al$
auch auf eine blosse Oelreibe zu deuten ist. Der Urner Einsiedler Nikolaus
Zweyer, f 1546, hiess det »fromme Ribibruder«, weil er im Bannwalde ob Altorf
unter dem sogenannten Ribistein, dem nachmaligen Bruderstein, wohnte. So liegt
auch in Nidwaiden unweit vom Drachenried zwischen Roren und dem Allweg am
Fusse der Blumalp »Die Ribinen«. Lusser, Gesch. des Kantons Uri (1862)
S. 229, 360.
**) Aargauer Staatsarchiv, »Lade Lenzburg B, Faszikel 3 und 4.«
***) Dies war ein städtischer Marktzoll und wurde von den zum Örtlichen Ver-
brauche bestimmten Waaren bei Kauf und Verkauf erhoben. Die Stadt Luzern
z. B. erhob 1420 je von einem Pfund 4 Heller Zoll. Segesser RG. II, 305.
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. 365
rechte unter besonderer Hervorhebung der von Hans Schultheiss
dem Reiche geleisteten vielfältigen Dienste und bekräftigt solches
noch einmal mit Urkunde aus Konstanz vom 3. April 141 7.
Bei der Uebergabe der Stadt Lenzburg an die Bemer richtet
Konrad von Weinsberg den Thädigungsbrief zwischen dem Ber-
ner Rathe und dem Hans Schultheiss auf. Man kommt überein,
dass dem Letzteren alle zuständigen Rechte über Veste und
Grafschaft verbleiben, und dass alle bisher den Herzogen pflichtig
gewesne Grafschaftsleute dem Genannten dessen Renten, Gilten,
Zinse, Gefälle etc. wie bis anhin zu entrichten haben. Schultheiss
lässt die Urkunde vom König garantiren und zum Ueberflusse
auch vom Rath der Stadt Bremgarten vidimiren. *) Somit scheint
die Sache ausgeglichen. Allein Bern, das seiner Meinung nach
mit der Eroberung des Aargau's in die souveränen Rechte des
Herzogs eintritt, macht hier sämmtliche herzogliche Lehen zu
den seinigen und nimmt dabei die Schultheissischen, also eben
die Mehrzahl jener Grafschaftslehen, so lange in Beschlag, bis
der Lehensträger sich bequemt haben wird, dieselben aus der
Hand des neuen Gebietsherm zu empfangen und diesem zu hul-
digen. Dagegen sträubt er sich mit Grund, weil er wirklicher
Eigenthümer ist und laut neuestem Vertrage Sämmtliches schon
als Reichslehen inne hat. Bern stützt sich auf die miterobernden
Kantone und baut auf des Königs Schwäche; Schultheiss auf
eben dieses Königs widerspruchsvolle Erlasse**) und auf der
Reichsstädte schiedsrichterliches Urtheil. Jedoch seine Sache wird
im Reiche vergessen, wird und bleibt eine eidgenössische und
geht so für ihn verloren. Schon am 28. Januar 1432 beschliesst
die Tagsatzung zu Zürich : »Dem Schultheiss von Lenzburg
wird geantwortet, man wolle ihm nichts geben, denn die
Eidgenossen meinen mit Recht zu besitzen, was sie innehaben.«
Abschiede II, S. 94. Hans, der Vater, stirbt darüber hin, sein
Sohn Wernher setzt den Prozess bis in die folgenden Siebenziger
Jahre fort, verkauft einen Besitztheil von Schloss und Stadt den
Bemern, ladet wegen fortdauernder Rechtsverweigerung die übri-
gen Eidgenossen vor das Rotwiler Hofgericht (15. Mai 1457),
*) Diese, sowie alle Schultheiss' sehen Urkunden, ist abschriftlich enthalten im
Lenzburger Dokumentenbuche, folio I, aargauer Archiv.
**) 1425, 22. März, ^u Totis. König Sigmunds Befehl an die Stadt Lenzburg,
der Herrschaft Oesterreich wieder zu gehorsamen, Womit sie zugleich ihres dem
Reiche geleisteten Eides losgesagt wird, Lichnowsky V, Regesten No. 2293.
366 II* I^ic Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
erwirbt dorten gegen sie die Achtserklärung und verlässt mit den
Seinigen das Land.
In dieser Schicksalsgeschichte der Lenzburger Schultheisse
ist diejenige der Brunegger Gessler voraus enthalten. Beide Ge-
schlechter werden das Opfer de^ Königlichen Finanzspeculation.
Konrad von Weinsberg unternahm in des Königs Solde den
Reichskrieg, um sich dabei für seine dem Könige gewährten
Vorschüsse bezahlt zu machen. Die dem Herzog entrissenen
Länder sollen ihm einstweilen als Faustpfand dienen, aus diesem
Grunde nimmt und schützt er das Schloss und den Schlossvogt
zu Lenzburg. Aber auch die Berner sind ebenso ausschliesslich
in des Königs Solde zu Felde gezogen, auch sie bleiben unbe-
zahlt , dagegen sehen sie die Stunde schon voraus , wo sie das
von ihnen besetzte Reichsland an Zahlungsstatt erhalten werden,
und kümmern sich so lange nicht weiter um die königlichen Ab-
mahnungen. Ihre Berechnung war richtig. Unterm 22. Juli 141 5
verpfändete ihnen Sigmund den occupirten Landestheil um elende
5000 GL, trotzdem dass eben vorher die Eidgenossen mitten in
dem neu geschlossnen Waffenstillstände, am Pfingstsonntag dem
20. Mai die mächtige Veste Stein in der Stadt Baden verräthe-^
risch erstiegen, verbrannt und geschleift hatten. Mit eignen
Augen sah hier Konrad von Weinsberg, wie die plündernden
Schwyzer in's Schlossarchiv eindrangen und von jener Urkunde,
durch welche ihr Land an des Herzogs ersten königlichen Ahn
gekommen war, die Siegel abrissen.*) Das gesammte Archiv
wurde aus den Gewölben heraus geschafft, auf Wagen geladen
und sogleich weiter in's Innere des Landes gebracht.**) Auch
die ganze Landschaft an derLimmat und untern Reuss überliess
nun der König um den Pfandschilling von 4500 Gl. den occu-
pirenden Kantonen: Zürich, Luzern, Schwyz, Unterwaiden, Zug
und Glarus. Der Greldpunkt, ursprünglich schon die alleinige
Quelle des Krieges, war auch dessen Schlusspunkt.
Schloss Brunegg hatte sich bisher den Bernern nicht ergeben
gehabt, sondern war durch den Weinsberger zu des Reiches
Händen eingenommen und mit dessen Mannschaft besetzt worden.
*) Konrad von Weinsl^ergs Zeugnissbrief, an Eidesstatt abgegeben, hat sich
erhalten und steht gedruckt in Chmel's Materialien I, pag. 272, No. CXVI.
**) »Die briefe, so vf der vesti warent, wurden gefürt gen Luzern. c Justinger,
Ausg. V. 18 19, S. 303.
I. FamilieDgeschichte der aaiganer Gessler etc. jJß*j
Pies geht unzweifelhaft aus der Chronik Justingers hervor, welcher
1420 starb und als Bemer Stadtschreiber an der Ausfertigung
der damaligen Verträge amtlich selbst mit zu arbeiten hatte.
Er schreibt S. 227 (Neue Ausg. 1870), an die Belagerung von
Schloss Lenzburg anknüpfend : >In gelicher wise warb der von
Winsperg mit Bruaegge, und uf dieselben sine guten wort hielt
sich die Geslerin, der Brunegg waz, und ouch der Schultheis von
Lentzburg, untz daz bede halb verdurben.c AlsderWeins-
berger es erleben musste, wie der von ihm eben erst zum Reiche
gebrachte Aargau wieder an die Eidgenossen verschleudert wurde ;
wie er selbst in dem von ihnen rings besetzten Lande ein ver-
lorner Posten war; wie die Soldrückstände für seine Besatzungen
in den drei Vesten Lenzburg, Wildegg und Brunegg schon bis
auf 6000 Gl. aufgelaufen waren; wie der König weder diese zu
vergüten, noch die bisher getroffnen Massnahmen consequent
zu unterstützen Miene machte, zog er seine Truppen an sich und
verliess im Spätsommer 141 5 die Schweiz. Für seine schutz-
befohlnen Freunde hier glaubte er vorgesorgt zu haben. Dem
Schultheiss war sein verbrieftes Anrecht auf Schloss und Stadt
Lenzburg am königlichen Hofe und beim Bemer Rath einstweilen
gewährleistet. Den drei Hallwilen, die auf Schloss Wildegg sassen
und von da aus den Bemertruppen die Proviantzüge weg-
gefangen hatten, war durch königliches Decret Friede bei Bern
ausgewirkt; Wildegg und ihre übrigen Schlösser sollten sie den
Bernem in's Reichslehen geben und es von ihnen als Bernerlehen
zurück empfangen. Dieselbe Bedingung traf auch des Gesslers
Schloss Brunegg. Uebergabe und Huldigung erfolgte hier durch
die Mutter Margaretha, einer damals etwa sechzigjährigen Wittwe.*)
Ihre beiden Söhne waren nicht ' mit gegenwärtig. Hermann,
^ der Aeltere, stand als Hofmeister Herzogin Anna's, Gemahlin
j Friedrichs, damals an der Hofhaltung zu Innsbruck. Der jüngere,
Wilhelm, hielt sich in der Stadt Bremgarten auf, wo der dortige
Stadtrath sammt dem Abte von Muri und dem Probste von
Beronmünster ihm behilflich werden sollten, seine in dem Obern
Freiamt liegende Vogtei gegen die Uebergriffe der Luzerner zu
behaupten. Die Brunegg wurde in Berner Lehenschaft genommen.
i *) da Margaretha seit 1375 verheiratet und wahrscheinlich als Zwanzig-
i jährige in die Ehe getreten war; sie erscheint von 141 5 an nur noch bis 13. Nov.
; 1420 in den Urkunden und stirbt also fünfundsechzigjährig.
L
^jSS ^« I^c Gcssler tdh Bnmc^ in Geschichte imd Sage.
als ein Maiinslehen tind ai&der Herrschaft offnes Haus erklärt,
wobei die Mutter das mit der Huldigung verbundene Udelgeld
erlegte, eine stipulierte Geldsumme, die der Landadel alljährlich
für das Recht entrichtete, in der Stadt Bern wohnen und den
städtischen Schutz gemessen zu dürfen. Damit war indess die
Gefahr von dem Schlosse und den übrigen Gesslerischen Besitz-
thümem, soweit dieselben nun unter bemischer Jurisdiction lagen,
keineswegs entfernt. Der Gessler Anrechte an die Schlossherr-
schaft Schenkenberg, ihr Besitz des Amtes auf dem Bözberge,
ob der Stadt Brugg, mussten zu unausbleibHchen Verwicklungen
mit der bemer Verwaltung fuhren, und bei der ersten Gelegen-
heit, da der neue Lehensmann sich nicht gefiigig zeigte, drohte
Bern, ihm, der gegen das Reich und die Eidgenossen Krieg ge-
führt, das Lehen nicht mehr zu erneuen, sondern es als ein ver-
wirktes dem Staatsgute einzuverleiben. Dieses Loos betraf zwar
die Gessler auf Brunegg nicht mehr, sondern deren Gutsnach-
folger. Bruder Wilhelm besass das Schloss noch 143 1, da er
daselbst, wie weiter zu berichten ist, sein Eheweib gefangen hielt,
und trat es erst dann den Segessem von Mellingen, denen er
schon lange verschuldet war, käuflich ab, worauf diese in einen
bittem Prozess mit Bern gerathen, dessen Ende ist, dass sie 1538
der oberherrlichen Quälereien müde, dasJLehen aufgeben, die
Liegenschaften verkaufen und auswandern.
Mutter Margaretha steht mit ihrem Sohne schon seit
I. August 141 5 hilfesuchend vor dem Luzemer Rathe, der ihr
die Aemter Meienberg und Richensee kriegsrechtlich weggenom-
men und bereits mit dem städtischen Landvogte Hans Wiechsler
neu besetzt hatte. Sämmtliche Natural- und Steuerbezüge, welche
der Mutter dabei verloren giengen, stehen im Rechnungsbuche der
luzemer Vogteien verzeichnet und sind daraus in unsre Gessler-
Regesten unter das vorgenannte Jahr gesetzt. Fünf Jahre lang
wird nun die Frau mit Versprechungen hingehalten. Schiedsge-
richte erkennen zu ihrem Vortheile. Abt Jörg Russinger von
Muri, Chorherr Ofenburg von Beronmünster, Schultheiss und
Rath von Bremgarten vertreten und unterstützen sie. Alles aber
bleibt Project, kein zu ihren Gunsten lautender Spruch erwächst
in Rechtskraft. Von der grossen Bedrängniss, in welche sie zur
Zeit geräth, zeugen urkundliche Veräusserungen von Teppichen,
Gefässen und andern Schaustücken des Hausrathes an die Nonnen
in Gnadenthal (4. Juli 1420). Als dann ihre Tochter Kunigunde
i
I. Familiengieschichte der aargauer Gessler etc. ^6q
als Laienschwester im Kloster Königsfelden mit Hinterlassung
einer Rente von acht Goldgulden stirbt, die ihr auf den Gess-
lerischen Zehntenbesitz zu Alikon (bei Meienberg) angewiesen
waren, Alikon aber damals schon im Besitze der Luzemer ist,
so übertragen diese der Wittwe jene acht Gl. als Leibgeding,
pressen ihr dagegen die Urkunden und Rechtstitel über ihre
sonstigen Zehntrechte und Gefalle in den Obern Freiämtem ab,
und damit hat das ganze Entschädigungsgeschäft ein Ende. Um
die Wucherprocente zu erschwingen, welche die Gläubiger des
verstorbnen Vaters fordern, oder uiyi die wachsenden Summen
fiir Tagegelder und Spruchkosten des an alle Instanzen und Räthe
appellirten Prozesses aufzubringen, verkaufen die Brüder Stadt
und Herrschaft Grüningen an Zürich (20. Juni 14 18), und ebenso
ihre Gefalle in fünf rechtsrheinischen Dörfern bei Rheinfelden,
sammt Wohnhäusern und Gärten in dieser Stadt an das Rhein-
feldner Martinusstift (29. und 30. Juni 1427). Als dann die bei
der ersten Eroberung der Obern Freiämter mitbetheiligt gewesnen
sechs Mitstände neben und mit Luzem den gemeinsamen Besitz
dieser Landstriche beanspruchten und durch Berns Schiedsspruch
vom 28. Juli 1425 durchsetzten, lagen nunmehr die dortigen
Gesslerischen Lehen und Gefälle in der Hand eines siebenfachen
Souverains. Luzem hatte bis dahin dem Bruder Wilhelm ein
Minimum von Entschädigung angewiesen gehabt, unter dem krän-
kenden Vorbehalt : dies gelte nur auf so lange, als Petent sich
gegen die Obrigkeit unklagbar verhalten werde, i. Juli 1420.
Sobald er aber mit seinem Begehren vor die Kantone treten
muss, beschliesst die Tagsatzung schon in der erstmaligen Be-
rathung : Wilhelm Gesslers Angelegenheit aus den Verhandlungs-
gegenständen zu streichen, 27. April 1421. Solcherlei Enttäu-
schungen machen den Junker geschmeidig und schlau ; er bequemt
sich, der Rentmeister (»Trägere) Zürichs in den Aemtern Brem-
garten und Muri zu werden, giebt sich darüber den damals ganz
gegenstandslos gewordnen Titel: Twingherr zu Muri und Her-
metswil, und geräth auf die andere Grille, eine Standes- und
Geldheirat zu versuchen. Darüber stürzt er in. eine Reihe schän-
dender Skandale und stirbt in moralischer und finanzieller Zer-
rüttung. Er ehlicht nemlich eine junge Adelige (sie heisst undeut-
lich Anna von Stürfis oder von Stäffis) , die, wie ihre nachmaligen
Stiftungen zeigen (Regest vom Jahre 143 1), einiges Baarvermögen
besass und bei ihrer vornehmen Luzemer Verwandtschaft Aussicht
Rochholz, Teil und Gessler. 24
yjQ II. Die Gessler von Bnine^ in Geschichte und Sage.
auf Erbschaften haben mochte. Wegen dieser Frau hat er seit
1427 an seinem Wohnorte Luzem Verbal- und Real-Injurienhändel
gröblichster Art auszufechten, ja er steht daselbst 1430 einen
Moment sogar wegen Diebshehlerei vor Gericht, da einige Werth-
geschirre, in dortiger Stadt gestohlen, in seinem Wohnhause hinter
Verschluss aufgefunden werden. Er weiss sich hierüber zu ent-
schuldigen und der Rath erklärt sich hiemit zufrieden. Das Jahr
darauf folgt seine Ehescheidung unter überaus schändenden Vor-
gängen. Es ergab sich nemlich die Thatsache, dass er seine
Gemahlin mehrere Wochen lang in einem Kerker auf Brunegg
gefangen gehalten hatte. Erst auf gerichtliches Einschreiten und
ohne dass er seine barbarische That zu motivieren wusste, lieferte
er das Weib ihrem Vetter aus, dem luzemer Schultheissen Ulrich
von Hertenstein. *) Er musste demselben Urfehde schwören, d. h.
eidlich angeloben und urkundlich verbriefen, dass er seines ferneren
Klagerechtes in diesem Handel sich begebe und auf jegliche Rache
wegen erlittener Bussen verzichte. Regest vom 25. September 143 1.
Im Gesslerischen Sagenkreise stellt der Aufsatz »Bertha die Brun-
eggerin« die auffallende Uebereinstimmung dar, welche zwischen
dieser Ehescheidungsgeschichte und der Bninegger Schlosssage
besteht. Wilhelm ist mit Hinterlassung einer Tochter Anna vor
dem 21. Mai 1440 gestorben.
Bruder Hermann befand sich während dieser Ereignisse zu
Meran und Innsbruck am Hofe des Herzogs Friedrich, der sich
inzwischen mit dem Kaiser ausgeglichen hatte. Die förmliche
Wiederaussöhnung mit letzterem war am 8. Mai 141 8 zu Konstanz
auf dem obern Markte im Beisein von 1 500 Berittenen geschehen.
Friedrich wurde in seine vorarlberger, sundgauer, breisgauer und
Schwarzwälder Herrschaften wieder eingesetzt, die grosse Remune-
rationssumme, welche er dem Könige hieflir bezahlen musste, j
betrug ursprünglich 70,000 Gl., von denen auf dringendes Bitten
20,000 nachgelassen wurden. **) Die völlige Aussöhnung mit Her-
*) Er war Schlossherr von Buonas am Zugersee, seit 141 9 Landvogt zu
Rotenburg, seit 1422 ebenso in den Freiämtem. Sein Sohn Kaspar fährte in der
Schlacht zu Murten die Nachhut und wurde deshalb zum Ritter geschlagen.
**) 14. Sept. 1418: Herzog Friedrich nimmt zu Wien 36,000 Gl. auf zur
Abzahlung des Restes der an Sigmund zugesagten Lösungssumme, und meldet
dies am 25. Juli 141 9 an die Stadt Freiburg: »Nu haben wir dem künig 36,000
guidein bezalt vnd allen andern stucken gnug getan, der wir vns verschriben
haben, c Schreiber, Freiburger Urkundenbuch II. i, 294.
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. ^yi
mann Gessler erhellt daraus, dass dieser als herzoglicher Gesandter
seit 1420 im Elsass lebt, um die confiscirten herzoglichen Be-
sitzungen im Sundgau und Breisgau auf friedlichem und auf krie-
gerischem Wege wieder zu gewinnen. Von^nsisheim aus weiss
er den Rath zu Basel und den ihm ursprünglich feindseligen
Basler Bischof auf seine Seite zu ziehen, beide bilden ein Schieds-
gericht und sprechen dem Herzog das Besitzrecht auf die breis-
gauer Herrschaft Badenweiler zu, dem Grafen Konrad von Frei-
burg aber ab. Damit allein war eine Kaufsumme von 28,000 Gl.
i gewonnen. Das Glück lächelte Friedrichen wieder. Er, so lange
als Friedel mit der leeren Tasche gescholten, hatte in den tiroler
Bergwerken reiche Metalladern entdeckt und wusste sie mit
solchem Erfolge auszubeuten, dass man bei seinem Tode sein
Vermögen über zehnmalhunderttausend Dukaten [schätzte. So
allgemein war der Ruf von seinen Baarschaften , dass das Basler
Kirchenconcil ihn um ein Darlehen von 70,000 Dukaten, obschon
vergeblich ersucht hatte. Etwas davon kam dem Diener zu
Statten; er erhielt 1436 die tiroler Veste Forst, nachdem er 1432
vorher als Gesandter in Zürich .erschienen war. Gessler tritt
dorten vor die Tagsatzung und verlangt Namens des Herzogs
die Auslieferung jener Urkunden und Urbare, welche bei der
Eroberung Badens aus dem österreichischen Schlossarchive geraubt
worden waren. Schon mehrfach hatte wegen deren Rückgabe
König Sigmund den Eidgenossen geschrieben gehabt. Nun erhielt
der Gesandte nachfolgende, von allen Kantonen vertretene Ant-
wort : Soweit solcherlei Urkunden jetzt noch vorhanden sind und
keinerlei Rechtsbeziehungen enthalten auf die von den Eidge-
nossen dem Herzoge aberoberten Lande und Leute, wolle man
I sie auf des Königs eingelegte Bitte ausantworten, nachdem zuvor
der Herzog Brief und Siegel darüber gegeben haben werde,
dass er das ihm aberoberte Land von den Eidgenossen nicht mehr
zurück verlange. Eidg. Absch. II, 93.
Allen diesen Planen machte der Tod ein Endie. Herzogin
Anna, Tochter Herzogs Friedrich von Braunschweig, seit 1410
vermählt, starb im Christmonat 1432; ihr folgte der herzogliche
Gemahl am 24. Brachmonat 1439, und Beiden Hermann Gessler am
26. Brachmonat 1440. Die dreizehn ununterbrochnen Dienstjahre,
die er bei der Herzogin zugebracht hatte, lohnte ihm diese auf eine
fromme Weise. Sie stiftete und übertrug das Vermögen der
Bremgartner Pfarrkirche an das Spital dieser Stadt mit der aus-
24*
2 72 II' I^ic Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
drücklichen Beifügung, dass Herr Hermann Gessler diese Gnade
erwirkt habe, und dass daher dessen Andenken, sowie das seines
Vaters, des Ritters Heinrich, alljährlich daselbst am ersten Heu-
monat mit einem gesungenen Amte zu begehen sei.
Hermann war vermählt mit der Freiin Beatrix von Klingen-
berg auf Hohenklingen, gelegen ob Stein a/Rh.»; seine Gemahlin,
eine Tochter Margaretha und die zwei Söhne Georg und Hein-
rich (III.) überlebten ihn.
5. Der Gesslerischen Erben Fehde gegen die Schweiz. 1
1446—1513.
Siebenundzwanzig Jahre waren seit der Eroberung des Aar-
gau's vorüber, als 1442 Friedrich III. von Oesterreich den deutschen
Thron bestieg. Er war der Sohn und Erbe jenes Herzogs Ernst
des Eisernen, welcher gegen die von König Sigmund den Eid-
genossen gemachten Abtretungen- österreichischen Gebietes feier-
lichen Protest erhoben, demselben mit einem Aufgebote von
Tirolertruppen Nachdruck gegeben und den König von weiteren
Willküracten zurückgeschreckt hatte. Diesen zur Schirmung
seiner Hausrechte veröffentlichten, niemals zurückgenommenen
Protest Emsts nahm jetzt König Friedrich neuerdings auf und
drang bei den Eidgenossen auf Wiederherstellung des ehemaligen
durch den fünfzigjährigen Friedensbund garantiert gewesenen Zu-
standes. Schon als die Abgesandten der aargauer Städte zu
Frankfurt a. M. den Neugewählten begrüssten und um Erneue-
rung ihrer Freiheitsbriefe baten , willfahrte er ihnen bereitwillig,
verweigerte hingegen dasselbe Gesuch der eidgenössischen Bot-
schaft unter der abweisenden Erklärung, erst hätten die Kantone
die seinem herzoglichen Vetter entrissnen Lande zurückzustellen.
Nur Uri und Solothurn, welche keinen Theil davon in Besitz
hatten, erhielten Bestätigung ihrer Rechte. Während er hierauf
langsam durch das Breisgau nach Basel und Konstanz herauf-
reiste, wo er eine sich vorstellende Schweizer-Deputation abermals
mit der eben erwähnten Anforderung empfieng, hatte er die aar-
gauer Ritter Wilhelm von Grünenberg und Thüring von Hallwil,
den Aelteren, als Botschafter an die Tagsatzung nach Luzem
i
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. J75
geschickt, um letztere in seinem Namen befragen zu lassen, ob
die Eidgenossen die Städte und Länder Herzog Friedrichs dem
Reiche, oder sich selbst erobert hätten? Wenn dem Reiche, so
seien jene Länder des Reiches, überdies durch Vertrag mit weiland
Herzog Friedrich jetzo des Königs Eigenthum und gehörten ihm
zu; wenn aber sich selber, so sei das während der Dauer des mit
dem Herzog geschlossnen, eidlich beschwornen Friedensbündnisses
geschehen, wobei sie selbst bekennen, dass der Herzog sie niemals
beleidigt und ihnen keinen. Grund zum Friedensbruche gegeben
habe. (Eidg. Abschiede II, 162.) Mit der Wirkung, welche die
königliche Forderung alsbald im Aargau hervorbrachte, erwies es
sich, dass diese Provinz vormals wirklich gerne unter Oesterreich
gestanden und für ihren dermaligen Herrn noch keine Neigung
gefasst hatte. Baden und Bremgarten erklärten sich sofort für
Oesterreich, die übrigen Städte waren zu ähnlichem Zwecke in
Sur-, bei Aarau, zusammengetreten und beriethen über ihre Zu-
kunft. Solche Unbotmässigkeit der Unterthanen hätte das stolze
Bern sonst nicht stillschweigend hingenommen, allein gegenwärtig
der Unterstützung durch die Mitstände nichts weniger als sicher,
musste es gelindere Saiten aufziehen und behalf sich momentan
mit schlauer Geduld. Vorerst machte es jene Burgstädte seines
Seelandes und Oberlandes, die ihm 141 5 militärischen Zuzug ge-
leistet hatten, zu seinen Mitschuldigen und verlangte z. B. »Rath
von der Stadt Thun, die seine Helfer gewesen, die Schlösser im
Aargau zu erobern, da der König jetzt deren Ablösung verlange.«
(Schreiben vom 24. Sept. 1442. Lichnowsky VI, Urkk. Nr. 400.)
Gegen die neu erworbnen Städte hingegen bediente es sich einer
andern Art von Anfrage, einer solchen, die hinter dem Anschein
patriarchaler Gremüthlichkeit ein ganz gewöhnliches Polizeimittel
verbarg. Es forderte nemlich seinen Aargauern eine öffentliche
Erklärung über die Verbindlichkeit ihres ihm geleisteten Huldi-
gungseides ab und machte den Anfang mit diesem in Scene ge-
setzten suff rage universel kluger Weise zu Zofingen. Seitdem
diese Stadt eine herzogliche Münzstätte gewesen, hatte sie A'tn
Handel und Wandel im Oberaargau zu beeinflussen, reichlich
Gelegenheit gehabt, und da Bern bei der Capitulation von 141 5
aus Gründen damaliger Kriegspolitik dem Orte doppelte Vorrechte
vor den übrigen Provinzialstädten eingeräumt hatte; konnte es
jetzt auf eine gehorsamende Bereitwilligkeit wohl voraustechnen.
Am Tage der Abstimmung erschienen hier zusammen die Berner
yj± II* Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
Rathsherren, die Ammänner der Nachbarorte und der von Oester-
reich beauftragte Landadel. Wie man es gehofft hatte, so er-
klärte sich die versammelte Gemeinde für ihre dermaligen Gnä-
digen Herren und Hess zum redenden Wahrzeichen des erfolgten
Plebiscites sogleich einige auf Bretter gemalte bemer Wappen-
bären vor den Stadtthoren aufstellen.*) Allein auf demselben
Wege der gegängelten Volksabstimmung, auf welchem Bern sich
seiner neuen Unterthanen versicherte , Hess nun auch der König
sich in Zürich zuschwören, gewährte, der Stadt ihre Privilegien,
setzte eine Fülle von Versprechungen hinzu und trennte sie so
sammt ihrem Gebiete von der Eidgenossenschaft. Zürich war
damals in seinen Ansprüchen auf den Besitz des erledigten
Toggenburger Landes den Schwyzern und Glarnern unterlegen,
war dabei an Land und Leuten empfindlich geschädigt worden,
glaubte sich von den Mitständen verlassen und suchte auswärts
Hilfe. Bürgermeister Stüssi nahm daher den ehemaligen Gedanken
Rudolf Bruns wieder auf und setzte ihn durch : die Bildung einer
östlichen Eidgenossenschaft in Verbindung mit dem Hause Oester-
reich. Zürich sollte das Haupt einer neuen Eidgenossenschaft
werden, diese aber sich vom Schwarzwald bis in's Vorarlberg er-
strecken, die Bisthümer Konstanz und Chur sammt dem St. Galler-
lande umfassend. Am 19. Sept. 1442 hielt der König seinen
Einzug in die Stadt, vier Tage später schwur sie ihm den Reichs-
eid, trat mit ihm in ein ewiges Bündniss, nahm österreichische
Besatzung ein und steckte die Pfauenfeder auf Aber gleichzeitig
musste sie dem Könige die theuer erkaufte Grafschaft Kiburg
rechts der Glatt wieder abtreten und ihm ebenso auf ihre längst
erworbne Pfandschaft Grüningen noch fernere 2000 Gulden nach-
bezahlen »zu der summ von 8000 Gulden, als uns die von d<
Gässlern versetzt ist«. (Eidg. Absch. II, S. 801). Der Moi
lässt hierauf die Städte Diessenhofen, Winterthur und Ra]
dem Reiche ab- und sich zu seines Hauses Händen zuschwören;
dann bereist er Baden, Königsfelden , Brugg, Solothum, Bern.
Als- er letztere Stadt mit ähnlichen Ansprachen behelligte, stellte
sie seiner Geldforderung eine solche von 10,000 Gulden entgegen
als Ersatz von Kriegskosten, die im Dienste gegen Oesterrdch
*) Diese Bären können nicht gerade imponirend gewesen sein, denn die ganze
Rechnung fiir Malerei und Gerüste lautet auf i Pfund und 2 Pfennig. Histor.
Notiz, von Zofingen (1825) S. 46.
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. 17 c
aufgelaufen, von diesem anerkannt und garantiert, aber noch keines-
wegs bezahlt waren. Diese Summe wurde dann durch Entscheid
des basler Bischofs auf 1500 Gulden herabgemindert. Absch. II,
806. 807. Doch die Eidgenossen blieben der habsburgischen
Cabinetspolitik gegenüber keineswegs verzagt noch unthätig; sie
erklären dem bundesbrüchig gewordenen Zürich den Krieg,
schlagen seine Truppen aus dem Felde, gehen an die
EinSchliessung der Stadt und bereiten ihr die Niederlage
bei St. Jakob an der Sihl. Dies war am 22. Juli 1443 ge-
schehen. Schon am 22. August darauf richtete der König an
Karl VII. von Frankreich die Mahnung, das Armagnaken-
heer unter dem Dauphin in die Schweiz einrücken zu lassen,
bot am 30. alle seine Reichsunterthanen zur Heeresfolge auf und
beorderte seinen Bruder Herzog Albrecht, das Reichspanier wider
die Schweizer zu erheben.*) Es ist allbekannt, wie Sämmtliches
misslang. Das zu Zürichs Entsätze erschienene französische Heer
kam nicht weiter als bis Basel, traf hier an der Birs auf einen
schweizerischen Heerhaufen und fand solchen Widerstand, dass
der Dauphin zwei Monate darauf mit den Sieben Orten Frieden
schloss und heimkehrte. Allerdings setzte nun Oesterreich die
Fehde noch zwei Jahre fort, und seine waghalsige Ritterschaft
machte namentlich die Städte Rapperswil, Baden, Brugg und
Rheinfelden zum Schauplatze von Ueberfallen und Gewaltthätig-
keiten. Doch mit dem Siege, den die Schwyzer und Glarner im
Treffen bei Ragatz erfochten (1446), schwand die Kriegslust, den
König drückten nähere Sorgen, Papst und Basler Concil riethen
zum Frieden, die Reichsstädte vermittelten ihn, das Zürich-öster-
reichische Bündniss wurde durch Schiedsspruch aufgelöst, die Eid-
genossenschaft stand neu geeinigt da.
So weit musste der Verlauf der Begebenheiten in gedrängter
Kürze hier voran gestellt werden, um diejenigen Privatplane und
Familien -Massnahmen richtig würdigen zu können, die von
dem Adel der Vorlande an eben diese Ereignisse geknüpft wurden.
Hält damals der deutsche König eine Restauration seiner in der
Schweiz eingebüssten Machtverhältnisse für möglich und lässt er
es in dieser Zuversicht sogar bis zu drei für ihn verloren gehenden
Schlachten kommen, wie soll man dann seinem hier depossedierten
Adel und darunter dem Gesslerstamme es verdenken, wenn der-
•) Chmel, Regesten No. 1517, 1708, 1709.
^yß 11. Die Gessler von Bruneg^ in Geschiohte und Sage.
selbe an ein gleichzeitiges Wiedererstehen seiner ehemaligen
Schloss- und Vogteiherrschaften nicht nur lebhaft glaubt, sondern
eine staatsrechtliche Frage daraus macht, die er, wo man sie
nicht als solche anerkennt, gleichfalls mit gezognem Schwerte
lösen will. Nach solchem Grund und Gewichte sind gerechter
Massen die ferneren Schicksale der Gresslerfamilie zu beurtheilen,
denen wir uns von hier an ausschliesslich zuwenden.
Ritter Hermanns hinterlassne Kinder sind Georg und Hein-
rich (III.) und die Tochter Margaretha; die von Bruder Wilhelm
hinterlassne Tochter heisst Anna. Margaretha ist an den Frei-
herrn Johann von Fridingen, Anna an den Freiherm Kaspar von
Freiberg verheiratet. Aus beiden Ehen entspringen Söhne, die
das schweizerische Erbe ihrer Oheime und Grosspheime sich
gegenseitig streitig machen. Sie ziehen ihren Prozess vor die Tag-
satzung, finden hier kein Gehör, greifen zur Fehde, erleben deren
Ende nicht mehr und hinterlassen ihre Ansprüche ihren nach
Deutschland ausgewanderten Söhnen. Diese sammt ihren adeligen
Partisanen setzen den Grenzkrieg gegen die Schweiz rauf- und
raublustig fort, verletzen dabei die Rechte Dritter und werden
zuletzt auf die Klage oberdeutscher Handelsstädte durch eine
kleine Executions- Armee zu Paaren getrieben. Ihre Burgen wer-
den zusammengeschossen, sie selbst geächtet. Noch zeitig genug
sagen sich die Gessler von dieser Sippschaft los und fügen sich
dem Gesetze. Dieses aber vermag einem inzwischen selbstherrlich
gewordenen Lande gegenüber verjährte Erbansprüche nicht mehr
geltend zu machen; die Gessler sind und bleiben schweizerisch
depossediert. Wiederum stehen einige ihres Geschlechtes am Hofe
zu Innsbruck, andere amten als Bürgermeister und Rathsherren
in den Städten zu Ulm , Mühlhausen , Basel , St. Gallen und
Ravensburg. Dies der übersichtliche Gang des nun noch zu Be- \
richtenden.
Margaretha Gessler erscheint seit 29. März 141 7 als die
Wittwe des Freiherrn Hans von Fridingen. Ihr Gremahl stammte
aus einem Hegauer Geschlechte, das schon im 12. Jahrhundert
dem Konstanzer Bisthume Bischöfe gegeben hatte, hernach durch
Lehensbesitz auf dem Schwarzwalde und im Thurgau in vielfache
Beziehungen zur Schweiz trat, mit deren bedeutenderen Städten
in Kaufsgeschäften stand, an. Chur Vögte, . an die Bemer-Johanniter-
stifte Commenthure lieferte und u. A. mit der Bemer Patricierfamilie
Ringoltingen verschwägert war. Somit besassen die Fridinger in
^ I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. yj*i
und ausserhalb der Eidgenossenschaft hinreichenden Einfhiss, und
der waghalsige Kampf ihrer Enkel gegen die Schweiz und die
oberdeutschen Städte wird erst hierdurch möglich und begreiflich.
Obigem Hans von Fridingen war das aargauer Schloss Schenken-
berg sammt der angrenzenden Amtei auf dem Bözberge von
Herzog Friedrich IV. als Pfand verschrieben gewesen, aber bei
des Herzogs Aechtung wieder verloren gegangen. Zwei Jahre
nachher übertrug König Sigmund beide Lehen neuerdings auf
Fridingens Wittwe und deren unmündigen Sohn Hans Wilhelm.
Während der Zeit des Lehenswechsels war aber die Bauernsame
jener Juragegend unter bernische Oberhoheit gekommen und
glaubte der wieder erschienenen Gutsherrin gewisse Feudal-
pflichtigkeiten nicht mehr schuldig zu sein. Die sechs Dörfer
Bozen, Villingen, Remigen, Rüfenach, Rynikon und Linn errich-
teten ein Bündniss, stellten Satzungen und einen eigenen Vogt
auf, erklärten den herrschaftlichen für abgesetzt und vertrieben
die zur Herstellung der Ordnung einschreitenden Amtsdiener.
Bern griff zwar bald und mit harten Geldstrafen ein, gleichwohl
hielt die Adelsfrau sich nicht mehr für sicher und verkaufte Schloss
und Amt an Ritter Thüring von Arburg, 19. Jan. 1431. Als
nun ihr Sohn Hans Wilhelm mündig geworden war, meinte er
Anrechte an das Erbe des verstorbenen Wilhelm Gesslers, seiner
Mutter Oheim, zu haben, meldete sich bei der Tagsatzung
darum an (Verena- Abend 1440) und bezeichnete derselben als das
ihm zukommende Eigenthum die in den Oberen Freiämtern ge-
legnen Vogtei- und Pfandschaften zu Muri, Hermetswil, Meienberg,
Alikon und Richensee. Wie wir bereits wissen, standen diese
Gegenden damals schon unter der gemeinsamen Beherrschung
und Verwaltung der Sieben Orte und waren ein mit Wilhelm
Gesslers Tode ohnedies erloschenes Lehen geworden. Nichts
destoweniger kündigte sich in demselben Momente noch ein
zweiter Erbe bei der Tagsatzung an, Hermann, der Grosssohn
eben jenes verstorbenen Wilhelm Gessler's, Sohn der Anna
Gessler, nunmehrigen Wittwe Kaspars von Freiberg. *) Fridingen
protestiert aufs äusserste; weder erkennt er Hermanns Begehren
•) Er stammt aus dem oberschwäbischen Lehensadel und ist sammt seinen
Brüdern Heinrich und Konrad 141 5 mit anwesend auf dem Konstanzer Concil. —
Senkenberg, Selecta Jur. et Hist. II, pag. 28. Ulrich von Reichental, Concil zu
Konstanz (4\.ugsb. 1536) pag. 173 und 202.
^jS U- I^c Gessler von Brun^ig in Geschichte und Sage.
an, noch will er ihm hierüber vor der Tagsatzung Rede stehen,
sondern nur mit dieser allein ist er erbötig über den Erbfall zu
unterhandeln. Die Behörde erwidert ihm, wenn sich die Mit-
erben erst verständigt hätten, werde sie Bescheid geben, in wie
weit ehemalige Gesslerische, nunmehr eidgenössische Besitzthümer
an Landesfremde ausgeantwortet werden könnten. Nachdem hier-
auf Fridingen auf reichsstädtische Schiedsgerichte hingewiesen, die
Tagsatzung aber solche abgelehnt hatte, erklärte und begann er
die Fehde vom Schlosse Hohenkrähen aus, einer Felsenburg im
Hegau, die von nun an der Sitz kühner Abenteurer wird und bis
zu ihrer gänzlichen Zerstörung eine berüchtigte Rolle in der Ge-
schichte der Schweiz und Oberschwabens fortspielt. Der Berner
Schultheiss Thüring von Ringoltingen , dessen Schwester Anna
der Fridingen zur Frau hatte, brachte zwar schon am 12. Dec.
1446 einen Vergleich zu Stande, womach beide Parteien den
Rechtsweg betraten und sich an den Entscheid verweisen Hessen,
den die hiemit beauftragte Stadt Ulm fallen würde. Sobald aber
die Tagsatzung das Ulmer Schiedsgericht als ein bloss »unver-
dingtes«, d. h. als ein solches qualificiert, dessen Entscheid für sie
unverbindlich sein sollte, einigen sich Wilhelm Fridingen und die
Briider Georg und Heinrich Gessler und verfangen zu dritt binnen
vierzehn Tagen entweder den fertigen Tagsatzungsbeschluss über
das Gessler-Erbe , oder Einleitung des Prozesses vor einer unbe-
theiligten und rechtskräftigen Instanz. Letzteres geschieht nun,
beide Theile setzen sich Tagfahrt nach Schaffhausen an, über-
senden sich die begehrten Sicherheits- und Geleitsbriefe, die Zu-
sammenkunft findet statt, die da gewählten Schiedsrichter sind der
Herzog bei Rhein und abermals die Stadt Ulm. Doch diese zwei
machen Miene, die Sache als zwei getrennte Rechtsfragen zu be-
handeln, sie werden darum von beiden Parteien perhorresciert, und
zwar von Seite der Tagsatzung aus einem allerdings wohlmoti-
vierten Grunde. Es war nemlich zu dieser gleichen Zeit die Wittwe
Anna von Freiberg mit folgendem Begehren an die Tagsatzung
gelangt-: Da Anna in der gemeinsamen Erbangelegenheit weder
mit ihren Neffen (Georg und Heinrich Gessler), noch mit ihren
Vettern (Hans Wilhelm von Fridingen) sich zu einigen wisse,
so möge man den ganzen väterlichen, mütterlichen und vaters-
brüderlichen Nachlass (Ritter Hermanns und Wilhelms und deren
beider Ehefrauen) hinter die gewählten Schiedsleute in Verwahrung
geben und dadurch die Petentin vor Verlust sicherh. Frau
r
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. ^yo
Aima's Gesuch wird durch einflussreiche Behörden und Personen
unterstützt: durch etliche deutsche Fürsten, durch den Rath von
Ulm, den Augsburger Bürgermeister Peter von Argun, *) und den
bemer Schultheissen von Ringoltingen. Die Kantone, zur Be-
richtgabe über die Frage eingeladen, welches Recht man der Anna
Freiberg oder dem Fridingen zu bieten gedenke, kamen weder am
17. März 145 1, noch am 9. Juni 1454 zu einem Entscheide, ob-
schon Bern den um diese Zeit ihm übertragnen Schiedsspruch
wegen Fridingens Begehren bereits gefällt hatte. Daher greift
1455 Fridingen abermals zu den Waffen. Das Hegau, an den
Grenzen der Grebiete von Schaff hausen, Zürich und Thurgau
gelegen, ein Besitz der beiden Landgrafen Alwig von Sulz und
Hans von Tengen, stand damals in einem schon lange währen-
den Kampfe gegen die Eidgenossen, war also den Fridingen ein
um so dienlicherer Schauplatz für ihre freibeuterische Rachenahme.
Hier Hessen sie die aus der Schweiz kommenden Kaufleute
»niederwerfen und beschatzenc und wer sich nicht ranzionieren
(loskaufen) konnte, gefangen nach Hohenkrähen abfuhren. Der
Verkehr der Städte Zürich, ScbaffTiausen , Basel und Strassburg
litt durch dieses Abfangen der Handelsgüter beträchtlich, sogar
eine momentane Frucht- und Salzsperre war zu befurchten. In
vier verschiednen Schreiben beklagen sich die Eidgenossen bei
Herzog Albrecht über diese von seinen Vasallen verübten Gewalt-
. thaten und bitten ihn um eine nach Baden zu beschickende Tag-
fahrt. Indess die Unsicherheit der Strassen ist so gross, dass er
daselbst seine Boten nicht anders als 40 Pferde stark einreiten
lassen will, und diese dem Brauche ganz zuwiderlaufende Bedin-
gung wird ihm gestattet. Hierauf werden die beiden Hegauer
Landgrafen durch Einfalle in ihr eignes Grebiet zahm gemacht,
durch einen mit den Fridingen geschlossnen Sondervertrag ebenso
die Hohenkrähener Gefangenen erledigt, die Gessler legen ihre
Forderungen in die Hand Fridingens und die Fehde scheint zu
Ende. Allein nun verbündet letzterer sich mit den Klingen-
bergen, fünf raublustigen Brüdern auf Schloss Hohentwil, Vettern
der Gessler, und versetzt den Krieg auf ein weiteres Jahrzehnt
*) Er war u. A, auch Obmann der vier eidgenössischen Schiedsleute gewesen,
die 1447 <ien zu Recht erwachsnen Spruch thaten, dass Zürich aus seinem;^Sonder-
bündnisse mit Oesterreich zu treten, bei den Eidgenossen zu verbleiben habe und
also wieder schweizerisch werden müsse.
l
jSo II* I^ic Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
an die Ufer des Rheines und des Bodensees. Hier geräth er zwar
mit dem zahlreichen Landadel in Streit und wird von drei mäch-
tigen Gegnern zugleich angegriffen : Von Johann von Werdemberg,
dem Hauptmann des Georgenschildes ; von den benachbarten Mit-
gliedern dieser Rittergesellschaft und von dem hartnäckigen Grafen
Eberhard von Würtemberg. Er zieht Schweizersöldner an sich,
stellt diese dem Einen gegenüber, dem Andern trotzt er auf
Hohentwil, das für eben so uneinnehmbar galt wie Hohenkrähen.
Die Städte Konstanz und Zürich einigen sich mit Herzog Sig-
mund und stiften 1465 Ruhe, gleichwohl bedroht Hans der Fri-
dinger bald darauf Schaffhausen und Neukirch und stellt dennoch
das freche Begehren, dass die Tagsatzung ihm sicheres Geleite
zu seinen Geschäftsreisen in die Schweiz ertheile. Nach der Hand
werden die Plane des Abenteurers nicht zwar beendigt, aber doch
unterbrochen und ihres wirklichen Rechtsgrundes für immer ent-
kleidet.
Als nemlich seit 1471 zwischen der Herrschaft Oesterreich
und der Eidgenossenschaft das Bündniss der sogenannten Ewigen
Richtung auf mehrfachen Tagfahrten versucht worden war, hatte
. Herzog Sigmund durch seine Gesandtschaft ein Verzeichniss aller
seinem Hause durch die Schweizer weggenommenen Landschaften,
Aemter, Städte, Schlösser und Burgställe einreichen und deren
Rückgabe beantragen lassen. Dieser Rotel (abgedruckt in Fontes
Rer. Austriac. II, 390) verlangt, ausser den ehemaligen Herrschafts-
rechten in den Vierwaldstätten und im Bemer Oberlande, die
Ausantwortung des ganzen Aargau*s. Hierbei werden nun folgende
Besitzungen namentlich angeführt : Lentzburg sloss vnd stat, Baden
sloss vnd stat Rottemburg sloss vnd stat, RapperswÜ, Grüningen sloss
vnd stat mitsambt dem ambt. Das ambt zu Mure und das
zu Reichensee. Das frey ambt mit seiner zug^hö-
rung. Brawenegksloss. Diese letztgenannten sind nun eben
diejenigen Kreise und Orte, in denen durch die Gessler theils her-
zogliche, theils Familienrechte ausgeübt worden waren und zwar
so stetig, dass die Orte zuletzt in den Gesslerischen Privatbesitz
übergegangen waren. Der hierüber eben jetzt unterhandelnde
Herzog Sigmund ist der Sohn jenes länderberaubten Friedrich
mit der leeren Tasche. Die jetzt erneute Rückforderung war
begründet in der feierlichen Verwahrung des Herzogs Ernst, wo-
mit dieser zur Schirmung der Rechte seines Hauses gegen die
von seinem Bruder Friedrich gemachten Gebietsabtretungen prote-
\
r
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. 381
stirt hatte. Welche Ironie nun, dass der Sohn Sigmund zwar
denselben Protest erhebt, aber ihn fast in dem gleichen Augen-
blicke wieder zurücknimmt und hierin also des Vaters politisches
Ungeschick förmlich wiederholt. Denn eben in der am 11. Juni
1474 darauf mit den Eidgenossen eingegangenen Richtung wurde
jenes herzogliche Anrecht annullirt, sie war eine Verzichtleistung
des österreichischen Hauses auf alle Länder und Leute, die sich
jetzt in Besitz der Eidgenossen befanden. Der dahin lautende
Friedensartikel besagt nemlich: »daz auch die eitgenozschaft bey
den landen, stetten vnd slossen, so sy in vergangnen zeiten vnd
kriegen in ir gewalt bracht haben, dem haws Österrich zuge-
hörende, des bemelten vnsers Gn. Hn. herczog Sigmunds lebtag
lang, an seiner Gnaden irrung oder yemands von seiner Gnaden
wegen, bleiben sullen ; doch den pfandschaften, so die eytgenossen,
etlich oder sonderpersonen vnder inen, von dem lobl. haws
Österrich innhaben, nach laut der phantbrief, der sy seinen
Gnaden glaublich abschrift geben sullen, an der lösung vnver-
griffenlich vnd an schaden. Desglichen so sol auch sust yede
partey bey seiner ynnhabung bleiben , wie sfy auf heutigem tag,
dato diczs briefs, darinn gewesen ist.«
Hiemit war den Eidgenossen ihre bisherige factische Besitz-
nahme der Gesslerischen Güter erst zur legalen gemacht, und der
darum geführte Prozess der Gesslerischen Erben war ein ver-
lorner.
Allerdings gaben von nun an die Gessler ihre Entschädigungs-
klage auf, nicht aber ebenso die Fridinger ihr Stegreifleben, das
sie mit jener Klage bisher maskirt hatten. Jene verlassen die
Schweiz und siedeln sich in Deutschland an, diese dagegen müssen
schliesslich aus dem Reiche entweichen und werden die frühesten
politischen Flüchtlinge, welche Deutschland an die Schweiz
abgegeben hat. Dieser Hergang soll noch zu Ende erzählt
werden.
Stephan Hauser* ein Bürgerssohn aus Kauf beuem, hatte eines
ihm gegebnen aber wieder zurückgenommenen Eheversprechens
wegen bei weltlichem und geistlichem Gerichte vergeblich Hilfe
gesucht und trat nun sein Klagerecht gegen seine Vaterstadt an
einige berüchtigte Edelleute ab, die bei Benedikt von Ffidingen
auf Hohenkrähen ab- und zuritten; darunter gehörte Thomas
Bauhof und der Trebitzer aus Franken. Sie sagten im Mai 1 5 1 2 der
Stadt Kaufbeuem ab und beschatzten vier dortige Bürger, die
782 ^I« ^^c Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
auf dem Wege zur Frankfurter Messe waren, um 700 Gulden.
Die Raubgesellschaft wuchs auf 150 Knechte an und trieb ihr
Unwesen bis in den Monat September fort, wo die Sache eine
andre Gestalt gewann. Es hatte nemlich Georg Kressling, einer
der nach Hohenkrähen geschleppten Kaufleute, einen Bruder an
des Kaisers Maximilian Hofe, den sogenannten Lorenz von der
Rosen, der des Kaisers Bartscherer war. Dieser trug dem.
Monarchen das Ungemach der Unterthanen vor, worauf der
Schwäbische Bund, zu dessen Bundesorten Kaufbeuem gehörte,
den Auftrag zur Zerstörung des Raubnestes erhielt. Georg von
PVundsberg, der Bundeshauptmann, Hess am 8. Nov. jenes Jahres
den trotzigen Schlossihhabern durch seinen Kammerzwerg den
Absagebrief überbringen, rückte mit 8000 Mann an und begann
am IG. Abends die Beschiessung. Der Kaiser hatte dazu zehn
seiner schwersten Geschütze aus Innsbruck herbei fahren lassen,
darunter den Weckauf, Hurlebauss und Tumtratzel, die Frau
Metze, die Nachtigall und das Kätterlein. Allein die Stückkugeln
prallten von den Felsen ab und ihrer manche musste bis fünfmal
abgeschossen werden. Das Schloss hatte Proviant auf Monate
und galt für unüberwindlich. Jedoch ein glücklicher Schuss zer-
störte die Pfisterei, und dem Benedikt Fridingen begegnete das
Missgeschick, dass er sich beim Laden eines Doppelhakens den
Ladstock durch's Bein schoss. Da ein Wundarzt nicht vorhanden
war und der Fridinger entweder verbunden werden oder sterben
musste, so entschlossen sich die Adeligen zur Flucht.
Ihrer Vierzehn Hessen sich an Seilen über die Mauer hinaus,
kletterten auf einem schmalen Geisenpfade, der rings um den
Berg führte, mit Hilfe ihrer Steigeisen hinunter, erreichten im
Schutze der Nacht und der Wälder Schaffhausen und wendeten
sich geraden Weges nach Zürich. Am folgenden Tage ergab
sich das Schloss und wurde sammt der Nachbarburg Fridingen
niedergebrannt. Kaum sahen sich die Fridingen in Sicherheit, so
eröffneten sie ihren Protest gegen den R. König und den
Schwäbischen Bund und erhoben Schadloshaltungs- Forderungen.
Schlau suchten sie dabei die Stadt Zürich in Mitleidenschaft zu
ziehen, indem sie in ihre Entschädigungsklage diejenige des
Zürcherbürgers Eberlin von Reischach mit aufnahmen, welcher
bei der Einnahme vpn Hohenkrähen Einbusse erlitten hatte. Mit
dieser Beschwerde hat sich die schwäbische Bundesversammlung
schon am 23. Jan. 1513 auf dem Tage zu Augsburg zu befassen
i
I. Familiengeschichte der aargauer Gessler etc. 383
und beschliesst: der Bund leiste den Beschwerdestellem keine
Entschädigung, auf Grund der Handlung, deren sich Hans, Martin
und Benedikt Ernst von Fridingen in Betreff Hohenkrähens
schuldig gemacht haben. Zudem habe Hans von Fridingen als
Feind des Stiftes Konstanz einen Priester von dorten gefangen
gehalten und geschätzt. Martin von Fridingen, der an dem Vor-
fall auf Krähen unschuldig zu sein vermeine, habe bei der Strafe
nicht gesondert werden können, doch wolle man sich gegen ihn
auf das kaiserliche Kammergericht zu Recht erbieten. Zu Gunsten
des Begehrens, das die Stadt Zürich für ihren Bürger Eberlin
Reischach stellt, möge ein Rechtstag entscheiden, auf welchem
die Bundesfürsten, die Prälaten, der Adel und die Städte mit ihren
bereits vorgeschlagnen Schiedsmännern vertreten sein sollen. Die
Eidgenossen sind ersucht, den Stoffel Hauser, den Trebitzer,
Benedikt Ernst von Fridingen und Consorten, die sich zu Zürich
und Basel aufhalten, als des Reiches Aechter und des Bundes
Feinde, nicht bei sich zu dulden ;noch zu begünstigen. Das
Zürcher Schiedsgericht erkannte Eberlins Forderung für begründet,
er wurde mit 800 Gulden entschädigt. Um so weniger geschah
in der Hauptsache. Die Mitglieder des Schwäbischen Bundes
schoben sich gegenseitig die bei der Einnahme des Schlosses auf-
gelaufnen Kriegskosten zu; die Fürsten lehnten ihre Beisteuer
ganz ab, da jener Zug allein der Stadt Kauf heuern zu lieb unter-
nommen worden sei ; ja es war noch nicht einmal das gegen das
Felsennest verschossne Pulver einbezahlt, als 1516 die Bundes-
versammlung erfährt, Krähen werde wieder aufgebaut, und nun
berathen muss, wie man dies verhindern wolle.*) Die in die
Schweiz Geflohnen hatten es hier mittler Weile zu einem diplo-
matischen Skandal gebracht. Johannes Storch, Dr. jur. , der an
der Tagsatzung accreditierte kaiserliche Gesandte, hatte unterm
16. Nov. 15 12 zu Zürich von jener Behörde Sicherheit seiner
Person gefordert, weil deren von Fridingen Verwandte in der
Eidgenossenschaft Drohungen gegen ihn hatten verlauten lassen.
Auf die ihm gegebne amtliche Erklärung, dass er schon kraft der
Vereinigung der Schweiz mit kaiserlicher Majestät hier Ortes ge-
nugsam persönlichen Schutz geniesse, so dass weiteres überflüssig
*) Vorstehender Bericht stützt sich auf folgende Schriften. Klüpfel, Urkk.
zur Gesch. des Schwab. Bundes II, 62 bis 126. — Liliencron, Histor. VolksU. II,
67 bis 80. — O. Schönhuth, Ritterburgen des Höhgau's, Zweites Heft, Kon-
stanz 1833.
284 ^^' ^^^ Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
sei, eröffnet er, dass Hans Benedikt von Fridingen, Stoffel Hauser,
der Trübenzer und andere ihrer Helfer gegenwärtig zu Basel und
in Zürich selbst sich befinden, verlangt, man möge diesen in die
Reichsacht Gefallnen ferneren Aufenthalt nicht gestatten, und legt
ein kaiserliches Schreiben vor, welches diese Forderung bekräftigt.
Die Tagsatzungsboten erklären hierauf erst im folgenden Jahre
(15 13, 4. April, Zürich): da ihnen dem kaiserlichen Schreiben
gegenüber die Instruction mangle, so werde man dasselbe nun an
die Obrigkeiten mit heimnehmen, »die darin förmlicher und ge-
schicklicher zu handeln wüssend.« Zugleich aber soll jeder Bote
seiner Regierung berichten, welche Schmach dem Gesandten
Johann Storch an der letzten zu Luzern gehaltnen Tagsatzung
(15. März und i. April) durch etliche Burger daselbst an-
gethan worden ist, indem sie ihm das Pferd aus dem Stalle ge-
stohlen, und man möge allenthalben Vorkehr treffen, dass solcher-
lei Händel, woraus der Eidgenossenschaft grosse Unehre erwächst,
nicht mehr vorkommen.*)
Der Gesandte Storch erkrankt und verlässt die Schweiz. Die
Angelegenheit Fridingen verschwindet über wichtigeren Staats-
ereignissen für immer aus den Tractanden. Der Gesslerische ,
Erbschaftsprozess , dessen kurze Episode die Fridinger Händel
waren, hatte dagegen zwei grosse Schweizerkriege überdauert:
den Bürgerkrieg , welchen man den Alten Zürichkrieg nennt,
unter König Friedrich III., und den Burgundischen gegen Karl
den Kühnen. Ebenso lange also mangelte es den Gesslem an
Nachhaltigkeit nicht, allein diese musste erfolglos bleiben bei der
Schwäche des Fürstenhauses, dem sie dienten.
♦) Eidg. Abschiede III, Abthl. 2, Seite 683. 702. 703. Der Luzernerchronist
Diebold Schilling schreibt S. 241 über die innem Unruhen in der damaligen
Schweiz: »Es was aber in denselben tagen ein sollich vngemeistert muotwillig volk,
dass sich der Gewalt muost trucken, vnd wie gar ettlich wol ze strafen warend
wirdig gewäsen, so wolt doch keiner erwarten, daz er erstochen würde.«
IL
Die Gessler als schw^eizer Bürger und
Bauern bis heute.
I. Gessler im Aargau, von 1428 bis 1596.
Der Grund, warum der Geschlechtsname Gessler seit dem
sechzehnten Jahrhundert in der inneren Schweiz erlosch und heute
von keinem einzigen dorten eingebomen Geschlechte mehr ge-
führt wird, lag in der allgemeinen Feindseligkeit, mit welcher
hier seit den Kriegen der Länderkantone gegen das Haus Oester-
reich aller habsburgische Adel betrachtet wurde. Der stehende
Ausdruck, mit dem man diese missgünstige Stimmung in den ein-
heimischen G^schichtsquellen selbst bezeichnet findet, heisst »Ver-
hassung des Adels«. Nicht etwa erst Kaiser Maximilian I.
brachte diese Benennung auf, sondern setzte sie bloss frisch in
Umlauf, als er in seinem 1499 erlassnen Reichsmanifeste (datirt
Freiburg im Breisgau, Montag nach Jubilate) den Schweizern zum
Vorwurf macht: »die Verfolgung des teutschen Adels
und die Verhassung der teutschen Nation.«
Die von den Urkantonen ausgegangene und über die nächst
verbündeten Kantone weiter verbreitete Verdächtigung des ein.
heimischen Erbadels zwang diesen theils zur Auswanderung, theils
zur Namensänderung; und so ist es gekommen, dass heut zu
Tage ein schweizerisches Geschlecht des Namens Gressler allein
noch in der erst am 23. Brachmonat 1501 der Eidgenossenschaft
beigetretenen Grenzstadt Basel und in dem kleinen Flecken Zurzach
am Rhein bürgerlich fortbesteht, in der ganzen übrigen Schweiz
aber erloschen ist. Damit man die Erklärung dieser Thatsache
nicht unter die hypothetischen zähle, ist es am besten, eine Reihe
Rochholz, Teil und Gessler. 2$
ßg6 II. Die Gessler von Bninegg in Geschiebte und Sage.
gleicher Thatsachen aus schweizerischen Urkunden in ihren da-
selbst deutlich ausgedrückten Motiven hier anzureihen.
Junker Hartmann von Hünenberg im Zugerlande gab im
Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts seinen Adelsnamen auf und
benannte sich nach seinem Zuger Hofgute Benggen von Brämen,
»damit die Seinigen vom gemeinen Mann, der dem Adel aufsäs-
sig war, nicht auch verhasset und für Ausspäher gehalten würden.«
So besagt die Urkunde vom Jahre 1421, in Zurlaubens Monu-
menta Tugiensia VII, 243 b. Die Familiengeschichte des Zuger-
geschlechtes der Barone von Zurlauben, welche ursprünglich
Gestelenburg geheissen hatten, liefert ein ähnliches Beispiel.
Die Zurlauben stehen im Nekrologium des Lazariterklosters See-
dorf in Uri, unterm 28. April, in Einer Reihe mit dem Henricus
nobilis de Attingenhusen eingeschrieben, wie fofgt: IUI Kai. Mail:
Baltaser von Gestelenburg vs Wallis (hat) sit der flucht vnd ver-
hassung des Adels sich Selbsten genent Laubast old Zurlauben
(Zurlaub., Stemmatogr. Bd. V, S. 16). In demselben Seedorfer
Nekrologium steht unterm 14. Juni eingezeichnet: XVIII. Cal.
Julii: Caspar de Rotenbach et frater Joannes de Rotenbach. Sit
verhassung des Adels werden Sy genemt Zum Bach und sitzend
ze Bare bi Zug. Stemmatographie Bd. 37, pag. 283 b.
Wie wohlfeil unter solchen Verhältnissen der Adelstitel in
der Schweiz werden musste, davon schreibt F. Balthasar in Lu-
zern am 25. August 1761 an Zurlauben in Zug Mehreres und
theilt auch folgendes Beispiel mit, das er in der historischen Hand-
schriftensammlung Rennw. Cysats zu Luzern gefunden hatte:
»Der letzte des Edelgeschlechtes von Utzingen war 1585 ein
grober Paur, der sin adel und wappen einem Wirt in Ury ver-
kaufte.« Zurlaub., Mon. Tug. IV, 305.
So erloschen die Namen der alten und geschichtlichen Adels-
geschlechter. Allein seit den zwei geldgierigen Kaisern Sigmund
und Friedrich III., die in der Regierung auf einander folgten und
beiderseits in andauernden politischen Verhältnissen zur Schweiz
standen, verbreitete sich in diesem Lande der Briefadel. No- '
bilitirt wurde da Jedermann, der die verlangte Geldsumme an die
Reichskanzlei einbezahlte. Von Sigmund berichtet darum die
Klingenberger Chronik, pag. 208: »Er gab allen puren Wappen,
welche es von ihm begehrten, schluog och vil puren ze ritter,
die sich vor keines adels nie angenament.« Der Einsidlener
Dekan Albert von Bonstetten war Friedrichs III. Hofkaplan ge-
2. Die Gessler als schweizer Bürger und Bauern bis heute. ^g?
wesen und erhielt sowohl von diesem Monarchen als auch noch
von dessen Sohn Max I. 170 unterschriebene und besiegelte For-
mulare von Adelsbriefen geschenkt, welche Bonstetten mit jedem
ihm beliebigen Namen ausfüllen und verkaufen durfte. Er gab
das Stück oft um einen Gulden. Da entstand dann jener sonder-
bare Namensadel, über welchen der Solothurner Pfarrer Vit im
fünfzehnten Jahrhundert spottete: »Was ist das für ein Adel zu
Solotuml sie sind nützit denn Hebel und Knebel, Stölli
und Knölli, Ochsenbein, Kisslingstein und Hachen-
hauer.« Glutz-Blothheim , Gesch. d. Eidgenoss. 491. Das Ber-
nische Adelsedict vom 9. April 1783 ertheilte sämmtlichen Stadt-
bürgem die Vollmacht, gegen Erlegung weniger Batzen auf dor-
tiger Staatskanzlei, das adelnde Von ihren Familiennamen vorzu-
setzen. Nur sechzehn Geschlechter machten damals davon Ge-
brauch, die übrigen verblieben vor der Hand noch ungeadelte
Metzger, Kaminfeger und Strumpfwirker; man kennt Friedrichs
des Grossen Ausspruch hierüber: Messieurs de Berne se sont
ddffiis.
Die Gesslerischen Zinsgüter im Obern Freiamte zu Meien-
berg, Au und Wiggwil waren seit 1415 von den Eidgenossen confis-
cirt und zu deren Vogteigütern geschlagen worden. Das im lu-
zemer Staatsarchiv liegende »Rechnungsbuch dess zwings zu Rü-
^^^.^i angefangen 1520, verzeichnet unter den Jahres-Einnahmen
des luzerner Landvogtes solche Gesslerische Güter im dortigen
Dorfe Au: Ow. Item aber Vllj Schilling gond ab gess-
lers guot in dem dorf zwüschen des Wijen (Haus) vnd
dem bach. Ist ein hüs darüff, ist by einem halben
mannwerch. Noch 1534 bezieht der Landvogt diesen Zins
ab gesslers gutt, 1598 wird derselbe von einem Hans Woli-
mann entrichtet, das Gut aber hatte damals keinen Namen mehr.
(Mittheil, durch Archivar Th. v. Liebenau). Ein ähnlicher Fall
ergiebt sich aus dem Freiämter Urbarbuch von 1574, im aargauer
Staatsarchiv, Abthl. Muri, No. 30; 39. In diesem obrigkeitlich
legalisirten Folianten ist in der Abtheilung Wiggwil (dem Gess-
lerischen Heimatsdorfe) von einem Beren-Gut die Rede, das anno
1586 empfangen hat Hans Gi ssler, und sodann dessen Sohns-
sohn Wendel Geissler. Man möchte etwa einwenden, diese
Beiden seien hiemit keineswegs als Leute des Gesslergeschlechtes
gekennzeichnet; allein der neubackene Adel, sagt das Sprichwort,
vergisst wie die Leute heissen ; darum muss man ihm zeigen, dass
25*
^gg II. Die Gessler yon Brunegg in Geschichte und Sage.
er obige Namen wirklich entstellt hat. Es stirbt nemlich, zufolge
unsrer Regestensammlung, 1428 Heinricus Gessler de Meien-
berg, alias Gisler, als Ortspfarrer und Dekan zu luzemisch
Hochdorf, nachdem derselbe 1422 Subprior und Kammerer des
Grotteshauses Rüti gewesen war. Dieselbe Namensentstellung
machte sich auch in der Volkspoesie geltend. »Das Lied von
Wilhelm Teil vnnd dem vogt Geyssler genant. Sing*s jm thon
wie das lied von Pafy.« Basel, o. J., 4 Bl. 8° mit Titelholz-
schnitt — steht verzeichnet in v. d. Hagen's Bücherschatz No. 943,
und darnach in Weller's Annalen I, S. 102, No. 479.
Gessler bestanden einst zu Zofingen und Brugg und leben
heute noch zu Zurzach, wie nachfolgende Regeste zeigen.
15 13. Dem Fähnlein Zofinger Burger, das in fremdem Kriegs-
dienste nach Hochburgund gezogen war, wurde von der Vater-
stadt durch deren Fuhrmann Jörg Gessler ein grosses Reis-
fass mit Anken, Dürrfleisch, Käse und Oel nebst iio Gl. Bar-
schaft nach Dijon nachgeschickt. (S. Gränicher :) Histor. Notizen
V. Zofingen 1825, 105.
1519, 25. Juli. Georg Gessler, von Zofingen, aus der
städtischen Zunft der Ackerleute, ist mit unter den zwölf nament-
lich verzeichneten Wallfahrern, die mit ihrem Schiffe oberhalb
Aarburg versinken und ertrinken. (S. Gränicher:) Chronik d. St.
Zofingen 181 2. II, 145; Histor. Notizen, S. 115.
1537. In der Stadt Brugg Rothem Buche, zubenannt Mit
dem Ringgen, Band 2, beginnend mit dem Jahre 1505, steht pag.
109 eingeschrieben: Dionysius Gessler von Diessenhofen ist
vnser burger worden vff den 12. heuwmanots im 1537 jar, hat
sin mannrecht bracht, den eyd g'than vnd für sin burgrecht geben
12 pfund. — Archiv der St. Brugg.
1596 das Freienämter Nachgericht, das über den abgesetzten
Abt des Klosters Muri, Jakob Meyer von Luzem, und über dessen
Concubine Katharina Strüblin, wegen der von Beiden am Kloster-
gute verübten Unterschlagungen dreimal versammelt gewesen, hat
in den dortigen Wirthshäusern verzehrt: in Ludwig Gesslers
Hause 5 GL 22 Schilling. Klosterarchiv Muri, Documentenbuch
A, pag. 384.
1520, 2. Juni wird zu Thiengen im Kletgau Maiengericht ge-
halten, wobei als Urthelsprecher mit verhandelt Kon rät Gass-
1er von Koblenz, am aargauischen Rheinufer. Mone, Oberrhein.
J
2. Die Gessler als schweizer Bürger und Bauern bis heute. 389
Ztschr. 14, 469; jedoch auf S. 504» steht derselbe verzeichnet als
Konrat Gessler.
161 7, 23. Sept. Stoffel Gessler, ein Maurer, besitzt als
Lehensmann des Verenastiftes zu Zurzach das ausserhalb dieses
Fleckens am Rheinufer gelegne Schlösslein Mandach im Lehen-
zinse. Huber, Die Urkk. des Stiftes Zurzach, S. 68.
1854 erkaufen Ant. und Jos. Gessler, letzterer ein Maurer,
beide als Ortsbürger Zurzachs, vom dortigen Verenastifte ein Stück
Mattland. Huber, ibid. S. 328. Der im Jahre 1873 am Zurzacher
Bezirksgerichte functionirende Amtsweibel, Bürger daselbst, heisst
Gessler und erklärt, sein Geschlecht sei seit der schweizer Kirchen-
reformation aus Zürich hieher eingewandert.
2. Die Gessler zu Basel, von 1378 — 1871.
Die Stadt Basel pflegte in Kriegszeiten denjenigen Fremden,
die ihr als Söldner und Reisige tapfer dienten, mit dem Ge-
schenk des Bürgerrechtes zu lohnen. Auf diesem Wege des Kriegs-
dienstes gelangte daselbst das Geschlecht der Gessler seit dem
vierzehnten Jahrhundert zur Aufnahme unter die erbgesessne Bürger-
schaft. Nachweisbar war dasselbe aus dem Ober-Elsass hieher
gekommen. Die frühesten Angaben hierüber, enthalten in der
Geschichte der Stadt und Landschaft Basel, verfasst von Peter
Ochs, folgen hier der Reihe nach.
1378 1 feria III*^ ante fest S, Johannis Bapt
Sub Domino Johanni Puliant Milite^ magistro civium Basileensium,
wurden zu Burger gemacht und verdienten es diese nachgeschrie-
benen Personen, als man vor die Veste Wildenstein (bei Waiden-
burg in Baselland) wollte gezogen sein. (Es folgt unter 187 Namen) :
»Hanemann Gessler, der Wilde(-mann)wirth, caupo.^ Rothes
Buch, Baslerarchiv; Peter Ochs, Oberzunftmeister 1796, Gesch.
der St. u. Landsch. Basel, IV, 739. Justinger*s Bernerchronik
Ausg. I, S. 73.
1412, feria IV^ post nativitatem Christi, zugen wir us, für
Blauenstein (Schloss im Sundgau), von Manung wegen der hoch-
geb. Fürstin Frau Katharinen von Burgund, Herzogin zu Oester-
reich, zu der wir verbunden waren; und dazu desselben Tages,,
ungebeten und ungemahnet, für die zwo Vestinen Fürstenstein
4qo II. Die Gessler von Brunegg in Geschichte nnd Sage.
und Neuenstein. Und hatten uns in drie Huffen getheilt, mit
denen die Vestinen belagert und in sieben Tagen alle drie ge-
nummen, verbrennt und darnach geschlissen wurden. Der Stadt
Basel Rathsbuch. Unter den 455 Söldnern, welche diesen Feld-
zug gemeinsam mit den Zünften der Stadt Basel niitgemacht und
hier deshalb zu Neubürgem angenommen wurden, steht mit ver-
zeichnet: (N.) Gesseler. Peter Ochs, Geschichte Basels III,
93 und 94.
1442 nach dem Heinrichstage, Basel. HansGesseler zieht
mit dem Aufgebot der Stadt in's Breisgau gegen den Markgrafen
Bernhard von Baden, und wird dafür sammt 317 seiner Kriegs-
gesellen in's Basler Bürgerrecht aufgenommen. Peter Ochs, ibid.
III, 147.
1444. Zum Bürger angenommen Hans G e s s 1 e r von Ruffach.
Bürgerbuch d. St. Basel, Schweighäuser'sche Bchhdlg. 18 19.
15 19. Hans Gessler. — Ochs V, 414.
1521. Franz Gessler von Allschwilen, Bürgerbuch d. St.
Basel, 18 19.
1657. Hans Georg Gessler wird von der Zunft der Gerber
in den Grossen Rath der Stadt gewählt, gelangt 1677 in den
Kleinen Rath und stirbt 22. Aug. 1701. — Leu, Helvet. Lexik.,
Supplement II, 499.
1702 ist des Vorgenannten gleichnamiger Sohn Mitglied des
Grossen Rathes zu Basel. Leu, ibid.
1744. Des Vorhergehenden Sohn Johann Rud. G. kehrt
aus französischen Feldzügen mit Oberstlieutenants -Rang heim.
Leu, ibid.
1798. Samuel Gessler ist einer der 40 Stadtbürger, welche
beim Ausbruch der helvetischen Revolution, von den vereinigten
Landes-Ausschüssen zu Repräsentanten der Nationalversammlung
gewählt, auf dem Rathhause zu Basel zusammen treten. Auf
einen blinden Kriegslärmen hin erbricht hier ein reactionärer
Volkshaufe die Thüren des Rathssaals, ein an der Spitze stehen-
der Hutmacher Gessler entreisst der Wache das Gewehr und be-
droht damit den Präsidenten der Versammlung. Ochs, ibid. tom 8,
pag. 304 u. 307.
Das Adressbuch der Stadt Basel vom Jahre 1862 verzeichnet
26 dortige Bürgerfamilien der Sippschaft Gessler, meistens Ge-
werbsleute, die in den dortigen Localblättern sich zu annonciren
pflegen, wie folgt: E. Gessler empfiehlt seine Bierbrauerei Zum
•
2. Die Gessler als schweizer Bürger und Bauern bis heute. iqi
Dolder ; J. Gessler-Zeller beim Komhaus seine extra-feinen Basler
Leckerli; Karl Gessler in der Steinen -Vorstadt seine echten
Berner Bärenlebkuchen; Flubacher- Gessler im Cafö Helm sein
altes und allein echtes > Bürgermeistern c (Liqueur); Abrah. Rud.
Gessler seinen Glasladen sammt Spiegelrahmen; Ludw. Gessler
seine Mahlmühle zu Baselaugst; Fritz und Moritz Gessler in der
Hutgasse No. 19 ihre Filzhüte; Leonh. Gessler seinfe Buchbinderei.
Seit November 1872 war Rudolf Gessler von Basel zum eidgenös-
sischen Consul zu Santa Fe in den argentinischen Staaten er-
nannt gewesen.
Die Sippschaft führt durchgehends das Adelswappen der
aargauer Linie und wird dasselbe durch den bekannten Basler
Petschirstecher und cames palaünus Samson empfangen haben, wel-
cher jedem Stadtbürger, weil Alle regierungsfähig waren, einen
offnen Wappenhelm gab, oder ihm einen gekrönten Helm in's
Wappen setzte, wenn einer von Standeshäuptem abstammte. Die
Stadt selbst aber führte kein obrigkeitliches Wappenbuch.
P. Ochs, ibid. VI, 514.
3. Gessler im Luzernerlande.
1460 besassen Hensli und Hemman Gressler den Hof Zopfen-
berg bei Oberkirch.
Laut Kundschaft vom Jahre 1471 war zur Zeit des Walds-
huter Krieges Hans Gessler Weibel im luzerner Amte Bero-
münster.
1487. Nachdem die zum Schutze des Bischofs von Sitten
gegen die Herzoge von Mailand über den Gotthafd gezogenen
schweizer Söldner durch den Zwist ihrer Führer Verluste erlitten
hatten und im Eschenthale (Domo d^Ossola) feldflüchtig geworden
waren, lässt der Rath zu Luzern über seine mitbetheiligten Haupt-
leute Kundschaft aufnehmen. Dabei bezeugt Welti Gessler
aus luzemisch Eschenbach : als Hans Mure von Luzern die Knechte
in's Eschenthal führte, sei das Vendly (der Luzerner) aus dem
Felde geflohen.
Diese Kundschaft ist im Luzemer Archiv doppelt vorhanden :
im RathsprotokoU VI, 176 und bei den Acten, Abtheil. »Kriegs-
wesenc, Fase. 114. Ueber das Ende obiger Untersuchung gegen
JQ2 II. Die Gessler von Bnmegg in Geschichte und Sage.
die Hauptleute meldet Diebold Schilling's Luzemer Chronik pag.
102: doch ward inen das demnach in miner heren statt nit ge-
schenkt, sunder wurdend sy am lib vnd eren, aber nit am laben
gestraffet.
1534 bis 1550. Hans Gässler, genannt Rotwiler, seines Ge-
werbes ein Pfister, ist wohnhaft in Luzem.
1548 wunde dem Rathe zu Luzem berichtet, des Heinrich
Gesslers Frau habe zu Zurzach den fiinf katholischen Kantonen
nachgeredet, dieselben hätten sich vom Kaiser bestechen lassen,
sie wird deshalb in peinliche Untersuchung genommen.
1571 lebte zu Omelingen, luzemer Gemeinde Hildisrieden ob
Sempach, Martin Gessler.
1573 war Jak. Gässler Buchfiihrer, d.h. Buchhändler, zu Luzem.
1575, Donnerstag nach Aller Seelen. Ritter Ludw. Pfyffer,
Schultheiss und Pannerherr von Luzem, belehnt Anna Gesslerin,
Wittwe des Valentin Rüttimann selig von Sursee, und deren drei
Söhne mit einem Fischerrechte auf dem Senipacher See. Copien-
buch II, 197, im Staatsarchiv Luzem.
In: den ersten Decennien des 16. Jahrhunderts lebt ein
Gressler zu Sempach, der laut luzemer RathsprotokoU (tom. IX,
280 b und 305 b) als ein streitsüchtiger Mann erscheint.
Vorstehendes sämmtlich ist aus den bezüglichen luzemer
Rathsprotpkollen durch den dortigen Staatsarchivar Th. v. Lie-
benau erhoben und uns brieflich mitgetheilt worden.
4. Gessler im Thurgau.
1386 IG. Jan. Johannes Gässler, Kirchherr zu Nieder-
Helfenschwil (an der Thur ob Bischofszeil gelegen), hat Lehen von
St. Gallen.
Obiges Datum. Johannes Gaessler, de Cella EpiscopaU
(Bischofszell) rector parochiaHs^ 'cansiderans Utes, guerras, exactiones et
ahstractiones injustas ubique terrarum — begiebt sich in den Schutz
Lütolos des Schenken von Landegg.
Beide Urkunden im Stiftsarchiv St. Gallen, mitgetheilt durch
Th. V. Liebenau.
1549, I. Juli, Jahresrechnung in Baden.
Nachdem Heinrich Gässler, genannt Täppel, von Wein-
1
i
2. Die Gessler als schweizer Bürger und Bauern bis heute. ^gj
felden, mit Hans Bomer, dem Müller zu Frauenfeld, vor dem
Stadtgerichte zu Frauenfeld einen langwierigen Rechtsstreit ge-
habt, den Prozess verloren und auch in den Appellationen an die
Eidgenossen unterlegen ; nachdem er dann die Bürger von Frauen-
feld beschimpft, so dass sie ihn vor Landgericht geladen; nach-
dem er hierauf nicht erschienen und deshalb nach Gerichtsbrauch
öffentlich ausgeschrieben worden ist — so hat derselbe nichts-
destoweniger auf gegenwärtiger Jahresrechnung mit dem Begehren
sich eingefunden, ihm das Recht wieder aufzuthun. Es sind des-
halb auch der Müller und die von Frauenfeld vorbeschieden, an-
gehört, und darauf die schon ergangenen Urtheile abermals be-
stätiget worden. Weil aber zu vermuthen ist, dass Gässler von
Ort zu Ort gehen und um Wieder-Eröffnung des Rechtes ansuchen
werde, so wird jedem der hier versammelten Orts-Boten aufge-
tragen, den über diese Sache erstatteten Bericht des Nikolaus
Kloos von Luzem, Landvogts im Thurgau, heimzubringen, damit
man den Petenten desto besser abzuweisen wisse.
Aus dem weitläufigen Berichte von Kloos, erstattet am Mar-
garethatag 1549, geht Folgendes hervor. Täppels Streit war
schon unter den Landvögten Gallati von Glarus und Holzhalb
von Zürich anhängig gewesen. Täppel sei dann aus dem Lande
geflohen und habe vorgegeben, der Streit sei darüber entstanden,
weil er »dem Herrn von Sax ettlich zwyfach Tuggaten entwerte
und an die Kirche zu Weinfelden etwas zu Ungunsten Jak. Lochers
und des Messpriesters angeschlagen habe, was dem Landfrieden
zuwider sei. Es sei 1 547 dem Täppel Geleite auf die Tagsatzung
in Baden ertheilt, weil er aber ausgeblieben, sein Gut verhaftet
worden. Nachdem er über die Frauenfelder Verleumdungen aus-
gestreut, sei er in die Acht gekommen. Auf Bitten seiner Frau
habe man ihm anerboten, nach Recht mit ihm zu verfahren, so-
fern er das Urtheil der Eidgenossen anerkennen wolle, er habe
dies jedoch ausgeschlagen.
Tagsatzungs- Acten im luzerner Staatsarchive, unterm 4. Jan.
1871 mitgetheilt durch Herrn Archivar Th. von Liebenau.
1589 — 90. Aus den Justizsachen der Landgrafschaft Thurgau,
als der VII Orte gemeinsamen Herrschaft.
Jakob Gessler von Weinfelden im Thurgau hat seinen
Handel gegen Hans Häberli um ein streitiges Gut vor die Tag-
satzung zu Baden gezogen und erhält hier gegen Häberli 80 streitig
gewesne Gulden nebst 60 Gulden Schadloshaltung zugesprochen.
394 ^^* ^® Gessler von Bninegg in Geschichte und Sage.
Es wird ihm die vom Landvogt auferlegte Strafe in Gnaden er-
lassen, seine eignen unziemlichen Reden gegen die Regierung von
Zürich liat er zu widerrufen. Eidg. Absch. V. i, S. 1327.
1595. Der Thurgauische Landvogt zeigt an, dass Vogt Kessel-
ring zu Weinfelden umgebracht worden sei, Hauptbetheiligte seien
der Gessler und der jetzt in Uri sich auf haltende Zimmermann,
ibid., S. 1329.
1599, 14. Juli. Statthalter und Rath von Luzern empfehlen
der Tagsatzung »den eersamen, erbaren, sonders lieben, gethrüwen
Haps Jakob Gessler, den Blyzähenmacher von Wynfelden vss
demThurgöw«, der den Rechtstag wegen des (ermordeten) Vogtes
Kesselring von Weinfelden nicht habe besuchen können, weil er
den Glasermeistern von Luzern die zu ihrem Handwerke be-
nöthigten »Bly zähen« (Bleifassungen) habe machen müssen. Sie
bitten deshalb um Ansetzung eines neuen Rechtstages. — Unge-
bundene Abschiede im Staatsarchiv Luzern. Brieflich mitgetheilt
am 27. Dezember 1875 durch Herrn Archivar Th. v. Liebenau.
1610 — 12. Hans Jak. Gessler von Weinfelden klagt vor
der Tagsatzung und erbietet den Beweis, dass Hans Karrer
seine eigne Gevatterin geschwächt, zwei Meineide geschworen, bei
Aufstellung des Zehntens betrogen und gegen fremdes Eigenthum
gefrevelt habe. Der Thurgauer Landvogt wird hierauf von der
Tagsatzung mit Untersuchung und rechtlicher Execution beordert.
Derselbe Gessler ist im Injurienhandel gegen Sebast. AUenbor
landvögtisch verurtheilt worden, appellirt deshalb an die regieren-
den Orte, muss auf deren Entscheid die gegen Landvogt Inder-
bitzi ausgestossenen Schmähreden zwar widerrufen, erhält aber
später 400 Gl. als Schadloshaltung zugesprochen, welche sein
Gegner Allenbor zu zahlen hat.
Im gleichen Jahre 1610 berichtet Landvogt Wirz, Hans Jak.
Gessler von Weinfelden, der zu Luzern aus dem Gefangnisse
entwichen ist , habe letzter Tage auf vier ihm Begegnende das
Gewehr angeschlagen, nur durch schleunige Flucht in die Ge-
büsche seien sie ihm entronnen. Ferner drohe er Allen, die von
obrigkeitswegen in seiner Sache gehandelt haben, den Lohn geben
zu wollen, trage bei Tag und Nacht'ein geladnes Rohr und bren-
nenden Zündstrick mit sich und schweife so im Lande herum.
Auf Verlangen wird dem Landvogt verwilligt , Gesslern in Kon-
stanz, wo derselbe häufig sich aufhalte, gegen einen Revers
-heraus verlangen zu dürfen. Eidg. Absch., 1. c. S. 1332 u. 33.
i
r
2. Die Gessler als schweizer Bürger und Bauern bis heute. 305
1636 bis 1653. Johann Gressler, Pfarrer in thurgauisch Hagen-
wil, stirbt 1656. Kuhn, Thurgovia Sacra II, 71.
5. Gessler im Zugerlande.
Im Nekrologium der Pfarrkirche St. Michael in Zug, Hs. des
sechzehnten Jahrhunderts, steht verzeichnet unterm
X. Kai. Martii: Lienhart Gaesler und Anna Engelhartin
sine Wirtin, haec scripta sunt 1^16. — Zurlauben, Monumenta Tu-
giensta, tom I, pag. 12, Auf der aargauer Kantons-Bibliothek : MS.
Bibl. Zur!. 7, fol.
1515» Schlacht bei Marignano. Das Namensverzeichniss der
aus der Stadt Zug in diesem Treffen Umgekommenen nennt den
Peter Gessler. Stadiin, Gesch. des Kt. Zug IV, 738.
1516. Dis sind Zuogewandte vnd Hindersässen von Egeri,
so zuo Meyland sind vmkommen an des Hl. Creutz der Erhöhung
abend, 1516: Peter gessler. (Er steht hier mit unter andern
^6 nach Namen und Abkunft Verzeichneten). Jahrzeitbuoch zue
Ober-Egerin. Auszug in Zurlaubens Monum. Tug. tom. IV,
pag. 314-
6. Gessler im Züricherlande.
Geschlechter-Buch der Statt Zürich, darinnen ver-
zeichnet alle Geschlechter, die von Ao. im (1111) das Alte und
Neue Statt-Regiment besessen, nebendt meidung jedes Geschlechts
harkommen, zu welcher Zeit sie zu Burgeren angenommen und
in dcis Regiment kommen. Bis auf gegenwürtige Zeit continuiert,
zusammen getragen und gemahlt durch Hans Heinr. Stadler
1694. Aargauer Kant.-Bblth: MS. Bibl. Mur. fol. 65, hält 1303
paginirte und beschriebene Folioblätter. Auf S. 314 ist gemalt
das Wappen der Gessler, und folgende Note dazu gesetzt:
Die Herrschafft Grüningen versetztend die Fürsten von Oester-
rych den Gässlem, Edelleuth. Herr Hermann und Herr Wil-
helm die Gässler, gebrüder, übergabeiid alle ihre Rechtung über
Land, Leuth und Gut obgemeldter Herrschaffl der Statt Zürich
umb 8000 Gl. Rhynisch den 11. July 141 8. Hans Gässler von
396 ^ ^^^ Gessler von Brun^g in Geschichte und Sage.
Nider- Engstringen ward Burger 1440. Heinrich Gässler ward
Zwölfer bei der Safem (Safran -Zunft) auf Johanni 15 17, starb
1532.
1521, 21. Nov. Die Boten der XIII Eidgenössischen Orte sind
nach Italien gesendet, um zwischen den Führern des päpstlich-
kaiserlichen, sowie des königlich französischen Heeres eine Frie-
densunterhandlung anzuknüpfen. Sie berichten aus Como an die
Tagsatzung heim, dass sie den im päpstlichen Heere stehenden
Schweizer Truppen, bei Verlust des Bürgerrechtes und der Oberen
Huld und Gnade, den Rückzug aus dem Mailändischen geboten
haben. Dieses Missive haben den Truppen Hans Gässler und
Funk, beide von Zürich, und ein Trompeter als der Beiden Ge-
leitsmann, unaufgehalten überbracht. Eidgen. Absch. IV, l»^
Seite 135.
1527, IG. Mai. Die Stadt St. Gallen schreibt an Zürich:
Andreas Gessler, Burger von Zürich, habe angezeigt, es gehe
das Gerücht, dass Erzherzog Ferdinand ein Heer rüste, um den
neuen Glauben auszurotten. Die in den letzten Teigen aus Nürn-
berg nach St. Gallen gekommenen Kaufleute und die auswärts
wohnenden Bürger wissen aber von derartigen Gerüchten nichts
zu melden. (Staats -Archiv Zürich.) Eidgen. Absch. IV, la,
Seite 1088.
1531. Die handschriftliche Chronik des Hans Cunrat Rollen-
butz von Zürich, beendigt 25. Februar 1572, ein 1034 Folioseiten
haltender Sammelband (auf der aargauer "Kt.-Bblth. : MS. BibL
Nov. 31 foL), enthält das Namensverzeichniss der 512 Mann,
welche im Treffen bei Kappel auf Zürcherseite umkamen, und
schreibt hiebei, pag. 584, also: »Von Kilchberg vss der gantzen
pfaar, als Rüschlikon, Münchaltorff vnd Wolishofen ist vmbkomen
Junghans gässler.t
Der berühmte Naturforscher Conrad Gesner von Zürich Hess
daselbst bei Froschauer 1574 in fol. erscheinen: Bibliotheca insu-
tuta et coüecta; nachmals in zweiter Ausgabe durch Jos. Simler
und Fries besorgt: Tiguri 1583. In dieser letzteren steht pag.
445: Joannis Gesleri praestanUora contra pestem remedia, ex me-
dicis antiquis excerpta. Sollte dieser medicinische Schriftsteller nicht
derselbe Joh. Gessler sein, den wir 1528 als Kirchherr zu bernisch
Bümplitz kennen lernen?
i
2. Die Gessler als schweizer Bürger und Bauern bis heute. ^gy
7. Gessler in der Stadt St Gallen.
Ulrich Gas s 1er, anno 1400 Bürgermeister der Stadt St. Gal-
len. Haberer, Schweytzerischer Regiments -Ehren -Spiegel. Zug
1706, Th. I, S. 57.
141 3 am St. Johannistag zu Sonnenwenden, als VI rieh
Gössler der ältere Bürgermeister zu St. Gallen war,* übergiebt
Heinrich von Gundelfingen, Stiftsabt daselbst, dem Rathe der
Stadt mittels besiegelter Urkunde die Verwaltung der dortigen
St. Laurenzen-Pfarrei. Johann Stumpff, Gemeiner lobl. Eydgno-
schafFt etc. Chronikwirdiger thaaten beschreybung etc., 1548 bey
Christoffel Froschauer. Fol. II, pag. 30 b. Das hier in Holz-
schnitt beigesetzte Gösslerwappen zeigt einen im getheilten Felde
des Schildes stehenden Adlersfuss und auf dem Helme einen
zweifarbig getheilten Flug. Vergl. Leu, Helvetisches Lexikon
Vni. 164 a.
1432, 7. Sept., Konstanz. Jak. v. Langenhart und Anna
Hartzerin, gen. von Mageisberg, seine Hausfrau, lassen sich an
Johann Gässler, Mitflirweser der Leutepriesterei zu St. Gallen,
in Conrad Höron Haus vor vielen Biederleuten vermählen. Schrif-
ten des Vereins für Geschichte des Bodensees, fünftes Heft, S. 66,
Lindau 1874.
1454. Ulrich Gössler, Burger von St. Gallen, wird zu den
Zwölfen des Kleinen Rathes dortiger Stadt gewählt. Leu, Hel-
vet. Lexik. VIII, 169 b.
1472. Hans Gessler, Burger von St. Gallen, aus der
Zunft der Schmiden daselbst, (in welcher gleichzeitig auch Schwert-
feger, Zinngiesser, Goldschmiede etc. zünftig wären) wird von
dieser zum Zunftmeister und zum Beisitzer des Kleinen Rathes
dortiger Stadt erwählt. Leu, Helvet. Lexik. VIII, 178 a.
1473. Hans Gessler, genannt Krenk, Burger zu St.
X Gallen, aus der Zunft der Schneidern daselbst (in welche Tuch-
i scherer, Kürsner, Färber, Apotheker etc. mitgehören), wird von
dieser zum Zunftmeister und zu einem der zwölf Beisitzer des
Kleinen Rathes der Stadt gewählt. Leu, ibid. VIII, i8oa
und 170 a.
i486, 13. März. Bürgermeister und Rath der Stadt St. Gallen
übersenden durch ihren Mitbürger Virich Gössler von den Re-
n
398 I^« ^^c Gessler von Bnm^g in Geschichte und Sage,
liquien des hl. Gallus dem Erzherzog Sigmund und dessen Ge-
mahlin Katharina. Lichnowsky, Habsb. VIII, Urkk. No. 794,
pag. 608 römisch.
Virich gösslers Hus im brül.
Verzeichniss der Häuser der Stadt St. Gallen um das
Jahr 1470, Hs. im dortigen Stiftsarchiv. — Mittheill. zur vaterländ.
Gesch. von St. Gallen, Neue Folge, i. Heft (1869) S. 188, No. 36.
Im lujemer Staatsarchiv findet sich in der Abtheilung Appen-
zeller-Acten eine datumslose Relation über die Vorgänge in der
Stadt St. Gallen aus den Jahren 1489 — 90. Die Bürgerschaft
hatte dem Abt Virich VIII. sein Kloster zu Rorschach gebrochen
und machte sich hierauf bereit, den zur Execution gegen sie an-
rückenden Eidgenossen Widerstand zu leisten. Zwar ergab sich
die Stadt nach rühmlicher Ausdauer gegen Vertrag, Bürgermeister
Vambühler jedoch war entkommen und hatte Hilfe bei Kaiser
Max I. gesucht. In Bezug auf diese Sachlage, wobei es aller-
dings zu einer kaiserlichen Intervention kam, wird nun in obiger
Relation Folgendes erzählt: Ulrich Gössler sei eines Tages
zu St. Gallen vor dem Kornhaus im Gespräche mit einem Bieder-
mann gestanden und habe gesagt: »Wir wend das leben vnd den
gwalt von den Eidgnossen vnd dem Abt nümen liden, soltint si
den tüffel zum gehilffen nemenl Wir hand hilfi* gnug, so vil
weis ichs sin.«
»Item demnach ist Volrich Gössler hinweg geschickt vnd bi
XII Wochen hinweg gesin. Nun hat er denen von sant Gallen vor
vil erworben hi dem kaiser vnd anderschwa; so er widerkomen
ist, hat ein guter Fründ mit im geredt: als er ein guter sant-
galler sig, Si müssint in grossen sorgen stan, denn die
macht der Eidgnossen sig gros vnd moegent komen vmb alles
daz, daz si hand. Hat er (Gössler) gesprochen: Nützl ich bin
in grossen geschäften gesin mit grosser Werbung, wir findent hilff
vnd trostz gnug, darumb sind manlich vff dem land vnd vner-
schrockenl«
Diese sodann auf Anderes überspringende Relation bemerkt
zum Schlüsse :
Aber ietz ist volrich Gössler vber den Bodensee vs, der
guter masen ir (der St. Galler Bürgerschaft) sachen tribt.
[Mittheil, von Staatsarchivar Th. von Liebenau in Luzem.]
1504 confirmirt der Fürstabt von St. Gallen dem Amli von
Winkelried das Schlossgpit Spisseck sammt Burgstall und Gütern,
2. Die Gessler als schweizer Bürger und Bauern bis heute. iqo
als ein dem Winkelried von dessen Ehefrau Helena Gässler zu-
gebrachtes Adelslehen. (Schloss Spisseck an der Sitter, eine
Stunde von St. Gallen, soll 1466 dem Ulr. Gässler von St. Gallen
durch K. Friedrich III. verliehen worden sein.) Briefl. Mittheil,
von E. F. V. Jenner zu Bern , Mitglied der schweizer, geschichts-
forsch. Gesellsch. f 1875.
8. Gessler in Schaffhausen.
Zum Jahre 1392 findet sich im Steuerbuche der Stadt Schaff-
hausen ein daselbst wohnhaft gewesner »Gässler« eingetragen.
Später ist daselbst und in der Umgegend dieses Geschlecht nicht
mehr vertreten. Briefl. Mittheil, von Director H. W. Härder in
Schaffhausen, f 5. Sept. 1872.
1635. Nach diesem durch eine herrschende Pest bekannten
Jahre waren in dem Städtlein Stein am Rhein mehrere daselbst
sesshaft gewesne Geschlechter gänzlich ausgestorben, darunter
auch dasjenige der von Gessler. Fr. Ziegler, Gesch. der St.
Stein. Schaffhausen 1862, S. 80.
Charlotte von Schiller (»und ihre Freunde. »Stuttg. 1860.
Bd. I, S. 44) meldet von ihrer 1783 gemachten Schweizerreise
aus Schaffhausen: »Man zeigte uns den Anfang des Baues eines
Waisenhauses, es hat seinen Ursprung einem Bürger, G e z 1 e r ge-
nannt, zu danken, er ist Aufseher des Baues.« — Der Genannte
ist der Stadtbauherr und Professor Christoph Jetzier gewesen, der
den dritten Theil seines Capitalvermögens an Stiftung und Bau
eines Schaffhauser Waisenhauses vergabte und dasselbe auch vol-
I lendete, durch den Neid der Mitbürger aber aus seiner Wirksam-
keit verdrängt wurde, f 1791.
9. Gessler im Bernerlande.
141 4. Johannes Gessler, Leutpriester in Huttwil.
J. Nyffeler, Heimatskunde von Huttwil, Bern 1871, 177.
1528. Johann Gessler, Kirchherr in Bümplitz, unterzeich-
net alle Artikel der Berner Reformations-Disputation. M. v. Stür-
1er, Actenstücke z. bern. Reformat.-Gesch. I, 550.
Vor nun einem Menschenalter hat zu Moosseedorf bei München-
400 ^I* ^ic Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage,
buchsee einBauemgeschlechtGessler in einem alten Wohnhause
gelebt, welches daselbst jetzt noch deh Namen Gesslerstock
trägt. Der letzte der Familie war ein umherziehender Pferdearzt
und Kaltschmied gewesen. Briefl. Mittheil, von Ed. Langhans,
Pfarrer in Münchenbu^hsee. Man vgl. Durheim, Bern. Ortschafts-
Lex., und Gatschet, Ortsetymolog. Forsch, i, S. 7.
10. Irrthümlich als Gessler Zubenannte.
1595. Benedikt Gessler, Conventuale zu Disentis in Grau-
bünden, verfasst eine handschriftliche Chronik dieses seines Klo-
sters. Haller, Schweiz. Biblth. III, No. 1272. Egb. v. Mülinen,
Prodromus einer schwz. Historiographie 1874, 28.
1604, 26. Aug. Peter Gessler, Ritter, Landammann und Ge-
sandter des Landes Uri. C. v. Mohr, Denkwürdigkeiten des For-
tunat V. Juvalta. Chur 1848, 21; dasselbe wiederholt in Sprecher's
V. Bernegg Bündnergeschichte, Chur 1856. I, 43.
1670 — 75. Kasp. Roman Gessler von Uri, Theol. Dr., Pfar-
rer in Bussnang. Kuhn, Thurgovia Sacra i, 60.
Unzweifelhaft gehören hier die beiden letztgenannten dem
Urnergeschlechte der Gisler an.
Gessler, ein katholisches, tagwen-berechtigt gewesnes Land-
leutengeschlecht im Glamerlande, nun ausgestorben. (Ohne Zeit-
angabe.) Jahrb. d. histor. Vereins v. Glarus. Bd. i, Heft 8, S. 116.
IIL
Yerzeichniss der in Deutschland ansässigen
Gessler'schen Linien.
I. Die Gessler von Ulm und Augsburg.
1292 — 1871.
(Die hier mit einem * bezeichneten Regeste werden der
brieflichen Mittheilung des Herrn Prof. Dr. Fr. Pressel zu Ulm
auf's angelegentlichste verdankt, welcher dieselben theils in dem
Ulmer Stadtarchive, theils in den Collectaneen des f Würtemb.
Prälaten Joh. Christoph von Schmid aus Ulm erhoben hat.)
* 1292 Amman von Reysenspurg, genannt Gässler.
* 1337 Konrad Rulle der G e s s 1 e r , Conr. und Heinrich seine
Söhne; Johannes, Hartm. und Reinart, Ulrichs des Gesslers
sei. Söhne; Joh. der Gessler, Johannes des Gesslers sei. Sohn;
Sizzo der Gessler.
1344, 7. März, München. Kaiser Ludwig der Baier genehmigt
die Anweisung von 550 Pf Heller, welche sein Sohn seinem
Wirthe Otto dem Bezzerer und Johann dem G e z z e 1 e r , Bürgern
zu Ulm, gegeben hat. — Böhmers Regest. K. Ludwigs, no. 2428.
* 1361 Heinrich der Gessler.
* ^366, 23. April. Hans der Gösseler, der Alte, Burger
zu Ulm, besiegelt daselbst den an das dortige Spital gemachten
Verkauf des Hofes von Obern Bubenshain. Das Siegel hängt. —
no. 109 der Ulmer Archivs-Regesten von Fr. Pressel, in den Ver-
handlungg. des Vereins f. Ulm und Oberschwaben, Drittes Heft,
S. 49. Ulm 1871.
Rochholz, Teil und Gessler. 26
A02 II« Die Gesslcr von Brunegg in Geschichte und Sage.
* 1372, 30. Sept. Agnes von Augsburg, Bürgerin zu Ulm,
vermacht dem dortigen Stadtspital Haus und Hofreiti: ^guae est
Sita iuxta domum Renhardi dicti Gösseler.<L Verhandll. d. Vereins
f. Ulm und Oberschwaben. Drittes Heft, S. 54, no. 135.
* 1374, 4. Sept. Hartmann der Gessler, Ammann zu Ulm,
sitzt zu Gericht daselbst auf dem Kaufhaus und besiegelt mit
eine Urkunde. Das Siegel hängt. — ibid. S. 55, no. 141.
* 1380, 4. April: Ulrich Gessler, Pfarrer zu Ulm. —
ibid, S. 57, no. 152.
* 1394, 27. Okt. Lutz der Gesseler ist Mitsiegler beim
Verkauf eines Hofes zu Stainhain an das Spital der Stadt Ulm. —
ibid. S. 61, no. 178.
1 396 Ulrich Gessler, Fatricius Ulmens. et Canonicus Augusiens,
— Mich. Praun, Beschreib, der adel. und erbar. Geschlechter in
den frey. Reichsstädten. Kempt. 1667, 8°. pag. 63.
* 1399 Hans G. und seine Hausfrau Elisabet die Rötin.
1401 Mont. n. Valentin, Rotenburg a. Nekar. — Hans der
Gessler v. Ulm und Ulr. v. Rot empfangen von Herzog Leopold
V. Oesterr. die Veste Rietheim zu Lehen. — Staatsarchiv Bern.
— Mitthl. durch Th. v. Liebenau, Staatsarchivar zu Luzern.
1404, 4. Sept. Tann. — Hrzg. Friedrich v. Oesterr. belehnt
Luczen Gessler, Burger zu Ulm, mit dem Weiler Betlishausen
und dem Hofe zu Kissendorf, des Gesslers Erbe von seinen
Brüdern Hans und Peter. — Lichnowsky VI, Urkk. pag. XXI,
no. 639 n.
«
* 1406 Lutz G. und seine Tochter Engle.
* 1415 Agathe G., Hausfrau des Christoph von Freiberg.
* 1419 Lutz und Hans G., Gebrüder, Burger zu Ulm. Ihre
Mutter Ursula, in zweiter Ehe mit Konr. Schwingrist, welcher
Burger zu Ulm wird.
* 1419 Ulrich G., Domherr zu Augsburg und Pfarrer zu
Ukn; sein Bruder Lutz G., Burger zu Ulm.
1424 Jost Gessler v. Ulm, Domherr zu Augsburg, Regest.
Boica XIII, 298.
1425, 24. Sept. — 'Bürgermeister, Räthe und Richter von
Ulm, unter denen als sechster Ludw. Gessler angeführt steht,,
bevollmächtigen den Dr. Heinr. Neidhard, das von Papst Martin V.
genehmigte, mit der Abtei Reichenau unterhandelte Abkommen'
zur Erledigung zu bringen, nemlich die Ulmer Pfarrkirche von
i
j
3. Verzeichniss der in Deutschland ansässigen Gessler' sehen Linien. ^03
genannter Abtei zu eximiren. — Verhandll. des histor. Vereines
für Ulm und Oberschwaben 1869, Heft i, Anhang S. 16,
* 1425 Hans G., Sohn des Luz G., verheiratet mit Elisabet
Eberhartin von Halle.
* 1427 Luz, Hans und Jos die Gessler.
* 1438 Heinrich der G., — Hermann G., Ritter.
* 1439 Ulrich der G. von Günzburg. — Luz G. und dessen
Sohn Hans.
* 1441 Hans G., Ammann zu Günzburg.
1447 Leonardus G e s s e 1, J^. C/, Licentiatus, Diaconus et Canonicus
Augustänus. — 1452: Vicarius Officialis zu Augsburg, Probst i'm
Stift Häbach. — 1443: Derselbe ist Canonicus am Stifte Frei-
singen; 1453, IG. September: »Meister Lienhart Gessel, tumherr
vnd obrister schuolmeister zu Augsburg,« urk. Zeuge. (Chmel,
Fmtes rer, Austriac, II, S. 173.) — 1457 resignirt er das Freisinger
Canonicat zu Gunsten des Sebast. v. Ebenheim. — 1460 ist er
Archidiakonus am CoUegiatstift St. Moriz zii Augsburg, vermacht
der Kathedrale daselbst Reliquien aus dem Jungfrauenheere der
hl. Ursula und einen beträchtlichen Baarfond zu seiner Stiftung
zweier jährlich abzuhaltenden Kirchenprozessionen, stirbt 1465.
lieber ihn handeln , nachfolgende Autoren und Werke. Corbinius
Khamm: Hierarchia Augtisiana, pars I, pag. 546 und 570. —
Mathias Lederer: Chronologia Augustano - EcclesiasHca etc, seu
Decanorum et Praepositorum majoris Ecclesiae August. Series, —
Typis Lab hart (1770) fol.
* 1452 Johann G., Bürger zu Ulm, hat den Pfarrsatz zu Bühel.
1458 bis 1472 ist Martha Gessler von Ulm Priorin in Medin-
gen. Jahresbericht des hist. Vereins f. Schwaben-Neuburg 185 1,
pag. 7-
»Anno dni. 1462. Hans Gessler« Grabmal-Inschrift
und Wappenschild im Münster zu Ulm. Der Schildgrund blau,
der Schrägbalken gold, das Hirschgeweih fünfendig und roth, der
dritte Zinken jedoch schwarz. Briefl. Mitthl. v. Herrn Prof.
E. Manch in Ulm.
1462 war Andreas Truchsess, ein Edelmann, der zu Augsburg
im Kriegsdienste der Stadt mit 4 Rossen lag, dem Leonharten
Gessel, Domdechanten zu ULFrau daselbst, in sein Haus gefallen,
hatte die Schlösser erbrochen und da Sackmann gemacht. Der
Rath liess ihn fangen, thürmen und Urfehde schwören. ^Der
techant, dem die schmachheit geschehen ist, ist zwar ein reicher
26*
AO/L n. Die Gesskr von Brunegg in Geschichte und Sage.
pfaff, als reich als ir kainer in der stat, von grossem gold, silber
und guetem gewand und ein voller kocher« (er ist gleichwie ein
mit Pfeilen gespickter Köcher). BurkardZink, Augsburger-Chronik;
C. Hegel, Städtechroniken Bd. V, 268.
1467, 20. Nov. Kaiser Friedrich IV. gestattet dem Hans
Gessler von Ulm in dem Dorfe Bühel ein Gericht als sein Reichs-
lehen zu besetzen. Chmel, Regest, über Friedrich IV., no. 5260.
1474, 12. Aug. Kaiser Friedrich IV. verleiht dem Hans
Gessler das von dessen Vater ererbte Reichslehen: einen Hof
zu Albrechtshofen und die Mühle zu Haslach. Chmel, Regest
1. c. no. 6918.
1487, 28. Sept. K. Friedrich IV. ertaubt, dass vorgenannter
Gessler seiner Ehefrau Felicie auf erwähnte zwei Güter eine Heim-
steuer von 500 Gl. verschreiben möge. Chmel, 1. c. no. 8158.
1490 wurde Hans Gessler zu Augsburg als Schüler des
Ludw. Schonauer vor dem Handwerke der dortigen Malerzunft
losgesagt. Er war mehrere Jahre daselbst thätig, ist aber im
dortigen noch vorhandnen Malerbuche nicht unter den Todten
eingetragen. Nagler, Die Monogrammisten, Band 3, no. 968.
1492, 26. Juni, Linz. Kaiser Friedrich bevollmächtigt den
Johann Gessel, kaiserl. Kammer-Prokuratorfiskal zu Regensburg,
ein Geschäft daselbst zu untersuchen und zu ordnen. Chmel,
Regest, no. 8809. Lichnowsky, Habsb. Bd. 8, Urkk. pag. 707,
no. 181 1. —
1500 ca. Felix Faber, Dominikanermönch zu Ulm, f 1502,
verfasst daselbst den Tractattts de civitate Ulmensi, handelt darin
von der sechsfachen Ständeordnung, nach welcher im 15. Jahrh.
die Ulmer Bürgerschaft gegliedert war, und zählt unter deren
dritten Klasse, welche von Mutter oder Vater her adeliger Ab-
kunft zu sein hatte, das Ulmer Geschlecht der Gessler mit auf.
Verhandll. des Hist. Vereins für Ulm und Oberschwab. 1870,
Heft 2, S. 37.
1522, 29. Okt. Die Familie Gessler hat sich nebst andern
Ulmischen Geschlechtern im Kriege gegen Frankreich durch
treues Festhalten an Kaiser und Reich hervorgethan und erhält
dafür von Kaiser Karl V. eine Adelsconfirmation. Crusius,
Schwab. Chron. II, 283. Praun, adel. Geschlechter in den Reichs-
städten 187 — 192.
3> Verzeichniss der in Deutschland ansässigen Gessler' sehen Liaien. ^05
G essler: Satyrisch- moralisches Allerlei. Ulm 1762, drei
Theile.
Gässler, Taglöhner: Ulmer Adressbuch von 1870. S. 87.
2. Die Gessler in Markdorf und Ravensburg,
1372— 1859.
1372, 15. Sept. Hermann der Gessler von Marchdorf
und Heinz Vitz von Sanwalshofen erkaufen an diesem Orte ge-
meinsam das Benzengut, welches ein theilweises Lehen von Hans
dem Truchsess zu Waldburg ist, um 85 Pfd. Pfenn.; und
1378* 13« Sept. empfängt obiger Herm. Gessler dieses
Benzengut als Werdenbergisches Lehen von Graf Albert zu
Heiligenberg. Pupikofer, Regest, des thurgau. Stiftes Kreuzungen,
no. 233 und 244 im II. Bd. der Regesten der Schweiz. Archive.
1382. Hermann Gesslers Erben vergaben vorgenannten
Hof dem Stifte in Kreuzlingen zum Danke für die Aufnahme
und Pflege, welche hier Hermann G. gefunden. Pupikofer 1. c.
no. 249.
1438 Lutz Gässler, Stadtamann zu Ravensburg, ist Mit-
begründer der dortigen Adelszunft Zum grauen Esel. Eben,
Gesch. v. Ravensb. I, 487. 495.
1483 gründet Dr. Johannes Gässler von Ravensburg, als
gewesner Pfarrer zu St. Jost daselbst, eine Bruderschaft für
sterbende Pilger (Mone, Oberrhein. Ztschr. 12, 34), Er hatte 148 1
an der Universität Tübingen gemeinsam mit Rudolf Engelhard
von Gessler studirt (Crusius, Schwab. Chronik III, 117). In dem
bis zum Jahre 1504 reichenden Nekrologium des bei Ravensburg
gelegnen Prämonstratenser-Klosters Weissenau (genannt Minor
augia, Minderau) steht er als Abt eingezeichnet: Commemoraüo
Joh. Gässler de Rcojcnspurg ^ Abbaus huj\ monasterii, obiit j. April
I4gg, sui regiminis anno 77. (Mone Ztschr. 8, 320.) Als geist-
licher Liederdichter ist er erwähnt in Mone's Latein. Hymnen
3, 527. Ueber ihn handelt nachfolgende Druckschrift, welche
verzeichnet steht in G. Veesenmeyers Miscellaneen (Nürnb. 181 2)
S. 161: »Von sant Vrsulen schifflin. Getruckt zu strass-
burg vff grüneck von meister bartholomeus küstler. In dem iar
M.CCCC.xvij« (d. i. 1517). Hier wird obiger »Johannes
Gössel er, pfarher vnn Doctor zu sant iost zu Raffenspurg,«
^o6 II« pie Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
gerühmt als der die geistliche Bruderschaft, genannt der ster-
benden Menschen, gestiftet hat, dem unerachtet aber in allen
seinen Messen auch der Bruderschaft St. Ursula ernstlich gedacht
und »das Liede vber sant Vrsulen ^schifflin€ gedichtet hat sammt
den musikalischen Noten dazu. Die zwei ersten Strophen lauten:
Ein zyt hört ich vü guter mär
Von einem sch3rfflin sagen,
Wie es mit tugenden also gar
Köstlichen war* beladen.
Zu dem schyfilin gewann ich ein herz,
Ich fand darin vil guter gemerz
In mancher hande Gaden.
Diss schyflflin ist ein bruderschaft,
Zu strassburg ufgestanden.
Hat ein karthuser gut besacht
Mit aller tugenden banden,
Dem höchsten gott zu lob und ehr
Der mutter sin, samt vrsulen beer.
Den 'iunkfrowen allesampte. ^
Von Joh. Gösseler und dessen Lied von sant Vrsulen
schifflin handelt Weller, Repertorium fypographkum, no. Il3.
15x6 bis 1537: Johann Gessler von Ravensburg, verehlicht
mit Elisabeth Elebog. — Wiedemann, Oesterreich. Vierteljahrs-
schrift f. kathol. Theol. 1870, pag. 49.
1517 stiftet Gabriel Gässler an die Ravensb. Pfarrkirche
85 Pfund etc. zu einem ewigen Jahrtag. Eben, 1. c. II, 191.
1676, 29. Aug. ernennt und beglaubigt der Konstanzer
Bischof Franz Johann als Visitatoren des zum KonstanzerrSprengel
gehörenden Secularclerus : Den Suffragan Georg Sigismund, den
Dr. Joh. Christ. Krenkel und Dr. Franz Leop. Gessler. Fünf-
ortischer Geschichtsfreund, Bd. 28, S. 66,
Gessler, der Wirth zur Lochbrücke, einem Vergnügungs-
orte bei Friedrichshafen am Bodensee, wird in der Umgegend
scherzhafter Weise »Herr Landvogt« betitelt. Sein Sohn ist
sesshaft in dem würtemb. Pfrd. Schlier, i'/a St. von Ravensburg.
— Schnars, Der Bodensee 1859. 2, 92.
3. Verzeidmiss der in Deutschland ansissigen Gessler' sehen Linien. ^f
-3. Urkundliche Gessler im übrigen Schwaben.
1362. Laut Urkunde verkauft im obigen Jahre Heinrich von
Tettingen an Rudolf von Honburg, Landcomthur zu BcSimen,
und an Eberhard von Küngsegg, Comthur ;in der Mainau, die
hörigen Leute zu Hedingen, worunter sind »Adelhait Gäss-
1er in und zwai irü kind« Diese Urkunde wird dann durch
Bruder Heinrich von Schletten, Landcomthur von Elsass, Burgund
und Schwaben, am 19. Nov. 1405 dem Abt Friedrich und dessen
Convent von Reichenau vorgelegt und von diesen bestätigt,
Dr, K. H. Frh. Roth von Schreckenstein: Die Insel Mainau
(Karlsruhe 1873), S. 35^— 353 und 371.
1396, 26. Sept. Die Stadt Groningen verschreibt sich dem
Grafen Eberhard v. Würtemb., nimmermehr der würtemb. Herr-
schaft sich zu entfremden. Sämmtliche Stadtbürger sind hiebei
namentlich aufgezählt und darunter : Der Nibelungin Söhne Cuntzlin
Niblung und Haintz Niblung, der Pfister; Haintzlin Gessler,
der Krioll. Chr. Fr. Sattler, Gesch. v. Würtemb. unter den Graven
n, S. 21 (zweite Aufl.).
1401, 4. April. Heinrich von Meckingen, Ritter, urkundet,
dass er mit Herrn Heinrich von Schletten, Landcomthur in Hsass-
Burgund und (iomthur zu Mainau, einen Tausch abgeschlossen
habe wegen seiner Hofstatt zu Ruchahusen gelegen (heute Rohe-
hausen im Amt Konstanz), die gehört hat in das Gut, welches
vor Zeiten Hans Gas s 1er besessen, gegen eine andere Hofstatt
zu Ruchcihusen, die dem Hause Mainau gehörte und auf welcher
Cuntz Zymmermann gesessen war. Roth v. Schreckenstein, Die
Insel Mainau, S. 367.
143 1. Johann Gessler von Tettnang, Lcutpriester in
St. Gallen. Wegelin, Die Pfarrkirche St. Laurenzen in St. Gal-
len, pag. 26.
1450 ca. Margaretha Gessler, Gemahlin des Hans von
Prassberg. Schilling von Cannstadt, Greschlechtsbeschreib. der
Familie von Schilling, pag. 234.
1467, 17. Febr. Villingen. Konrad Stöckli, Scbultheiss zu
Villingen, beurkundet, dass vor ihm an offnem Gerichte da-
selbst Barbara Gessler ihrer Mutter Barb. Rieser, fiir den
Fall, dass die Tochter früher ab sterbe, mit Verwilligung
jj08 n. Die Gessler von Brunegg in Geschichte. und Sage.
des Johanniter Comthurs Wilh. Spät den Leibgedingzins von jähr-
lich 32 GL, welchen sie bei den Johannitern dieser Stadt erkauft
hatte, vermacht habe. Es siegeln der Schultheiss nebst Lorenz
Arnold und Hans Egenheimer, den Vögten beider Frauen,
Dienstag nach Invocavit. Mone, Oberrh. Ztschr. 8, 246.
1500 — 1517. Johann Gesseler, Pfarrer zu Geisslingen.
Panzer meldet in iseinem »Heinrich Bebelc (Augsburg 1802)
S. 28, Bebel habe ein Epitaphium auf Johann Casselius oder
Gesseler, einen ehemaligen Pfarrer zu Geisslingen, im Jahre 1517
verfertigt, als auf ebendenselben, welchen Bebel im Jahre 1504
Johann Kössler nenne; dieses lautet (pag. 73) :
Epitaphium Joannis CasseUi Gyslingensis sacerdotis Anno Dni. MDXVIL
Qui coluii semper praecepia scUubria Chrisü
Presbyter: et ejus vita prohata fuit^
Qui coluit Musas: et docti carminis auctor
ExHtit: hac Vrna Casselius tegitur,
H, Bebeüus faciebat.
Ein an diesen Kössler gerichtqjtes Epigramm findet sich in
Bebeis Oratio ad Regem Maximilianum, 1504; [ibid, 73) und ist
überschrieben: Ad Johannem Kösler Gysiingensem sacerdotem.
In Weyermanns Nachrichten von Gelehrten, Künstlern etc.
aus Ulm (1798) pag. 261 soll Gesslers Tod in's Jahr 1500 ver-
setzt sein.
1560 an St. Johannis Sonnenwende verkauft Wolf Caspar
von Horkheim an Thomas Gessler zu Haunsheim ein Haus
sammt Stallungen, Stadeln, 3 Juchart Acker und ein Tagwerk
Wiesen um 200 Fl. baar und 900 Fl. Schuldbrief; Originalurk. im
Haunsheimer Archiv. Wirtembergisch Franken v. 1870,
Ztschr. Bd. 8. Heft 3, Seite 495.
162 1 — 1655. Ueber diese Jahre fuhrt Georg Gaisser II.
aus Ingoltingen, würtemb. OA. Waldsee, als nachmaliger Abt zu
St- Greorgen im Schwarzwalde (3 St. hinter Villingen), ein Tage-
buch, worin das Schicksal des St. Georgischen Pfarrdorfes Ingol-
tingen und deren Bewohner während des 30jähr. Krieges vielfach
erwähnt ist. Mone hat es im 2. Bd. der Quellensammlung der
Badischen Landesgesch. zum Abdruck gebracht, und nach diesem
sind die hier unten folgenden Paginas notirt. Es ist hier wieder-
holt die Rede vom Klosterboten Johannes Gessler:
3> Verzeichniss der in Deutschland ansässigen Gessler' sehen Linien. aoq
1637, II. Nov. Venit Ingoltingä Gessler, ferens literas ex Ur-
springen a conventu et confessarw etc. Mone, Quellensammlung der
Bajdischen Landesgesch. 2, 342.
1643, 25. Merz. Supervenit Joa, Gessler, notißcans spoUationem
Ulms loci a Geilingensibus militibus factam 21. März. Mone, ibid.
S. 419.
1646, 14. Oct. Interim huc venit Joa, Gessler cum famulo fratris
mei, adducens aliquot pecora, quandoquidem omnia rapinis militum in
partibus illis circa Bihracum essent exposita, ibid. pag. 460.
1654, 10. Sept. Revertitur Joa, Gessler renuncians, magistrum
Urspringensem 2, die Septemb, iter Oenipontanum ingressam cum suo
(Economo et organicine, ibid. pag. 516.
1648 wird in Folge des Westföl. Friedens das Gotteshaus
St. Georgen von Oesterreich an Würtemberg abgetreten. Abt
Georg Gas s er und seine Conventsgeistlichkeit erhält jedoch die
Erlaubniss in der Vorderösterreich. Stadt Villingen zu verbleiben,
wo ihm die Bürgerschaft den Bauplatz zu einem grösseren Gottes-
hause und einem Schülerconvict anweist. Marian, Austria Sacra
I, 290.
1755. Andreas Gessler, Lauingens.f Th, Baccalaur.f Secre-
tarius Capituli RurcUis Blaubeüren, natus 1683, Farochus in Hart-
hausen 7 an, loc. Cath, Filial. in Eggingen, Ehrenstein^
Einsingen, Ermingen et Stafelkingen,
Catcdogus personarum ecclesiasticarum et locorum Diacesis Con-
stantiensis. Ex typograph. Episcop, (Constanz) apud Ant, Labhart
755. 4°. pag. 42.
Josephus Gessler, Horbens,, natus 171g , Parochus inBihl,
Capituli Ruralis Rottenburg ad Niccarum. ibid. pag. 195.
Das Würtemb. Staatshandbuch von 1869 verzeichnet
nachfolgende 23 Beamtete des Namens Gessler:
Gessl.er, würtemb. Minister des Innern, geadelt.
— Dr. Th. von, früher Kanzler der Universität Tübingen, seit
1869 Kultusminister, Bruder des vorigen.*) Th. v. Gessler
und Fricker: Gesch. der Verfass. Würtembergs. Stuttg. 1869.
*) Laut eigenhändigen Schreibens unterm 28. Juli 1870 durch den königlich
würtembergischen Kultusminister Herrn Dr. Th. v. Gessler, Excellenz, stammt
dessen Familie aus Augsburg, und zwar von Jak. Gessler, einem Färber, welcher
dorten am 4. Febr. 1624 sich verehelichte; ein anderer desselben Geschlechtes
AiO ^ n. Die Gessler Ton Brunegg in Geschichte und Sage.
Gessler, Domänendirector.
— Postsecretär. Diese bisher Genannten sämmtl. in Stuttgart,
— Stadtpfarrer in Owen, OA. Klirchheim.
— Schultheiss in Wolpertschwende, OA. Ravensburg.
— » » Hirschlatt, OA. Tettnang.
Gössler, Oberlehrer in Nürtingen.
— Helfer in Brackenheim.
Der gefälligen Mittheil, des Hn. Hugo Bazing, kgl. O. Justiz-
raths in Ulm, sind nachfolgende weitere Nummern aus Würtem-
berg zu verdanken:
I Gässler in Herbrachtingen.
8 „ „ Sontheim an der Brenz.
^ » » Vaihingen an der Enz.
3 Gessler in Horb; ein vierter ist als Seidenfabrikant vor
ca. 20 Jahren von Horb nach Tettnang gezogen. Ein Gressler
von Tettnang erhielt 1867 die goldne Preismedaille bei der inter-
nationalen Hopfenausstellung zu Hagenau. Die Gessler zu Tett-
nang werden hier frühzeitig genannt: 1431 ist Johann Gessler von
Tettnang Leutpriester in St. Gallen. K. Wegelin, Die Pfarrk.
St, Laurenz in St. Gallen, pag. 26.
4. Gessler im Breisgau.
1361— 1865.
1361, 27. Okt. Freiburg im Breisgau.
Die in der Stadt Freiburg neugegründete bürgerliche Gesell-
schaft »Ze dem Govchc (zubenannt nach dem Gukuksbilde des
Eckhauses in dortiger Gauchgasse) erlässt unter obigem Datum
Satzungen über ihren Verein, als dessen sechstes Mitglied unter
37 Mitgesellen genannt ist der from vnd bescheiden Johans
der Gesseler, zugleich Mitbesiegler der Urkunde. Dieser
Verein, welcher gleichzeitig neben der städtischen Adelsgesellschaft
»Zum Ritter« daselbst bestand, hat sich bis zum Jahre 1741 be-
wird daselbst im 15. Jahrhundert als städtischer Baumeister genannt. Im vorigen
Jahrhundert wohnte diese Gesslerische Linie im Hohenlohenschen , sie fährt das
den schweizer Gesslern zuständige Wappen, ohne angeben zu, können, von wel-
cher Zeit an dasselbe bei ihr in Gebrauch gekommen ist.
3. Verzeichniss der in Deutschlaüd ansSssigen Gessler' sehen Linien. ah
hauptet. — Heinr. Schreiber, Gesch. der St. Freiburg i. Breisg.
n, 260. Urkundenbuch I, Abthl. i, S. 483—486.
1384, 30. Mai. Die Gesellschaft zum Gauch in Freiburg,
unter deren Mitgliedern HeinrichGesseler mit aufgezählt ist,
errichtet neue Zunftsatzungen. Schreiber, Urkkb. IL i, S. 37.
1 384, 24. Oct. Laut Uebergabe des Dinghofes zu Hecklingen
(im Bad. A. Kenzingen) durch Grafen Konrad von Tübingen an das
Kloster St. JJlrich auf dem Schwarzwalde, haben unter den Zins-
leuten dieses Hofes »des Gesselers Erben« sechs Viertel Weins
von sechs Mannshauet (circa ein Morgen) Reben , sodann fünf
Schill. Geldes und einen halben Saum Weins von zwei andern
Gutsantheilen daselbst zu entrichten. Mone, Ztschr. 17, S. 328.
1 3^6» 9- Heumonat : Burkard G e s se 1 e r von Breisach, gefallen
auf österreichischer Seite im Treffen bei Sempach. Vgk unter
dem genannten Datum die Gessler-Regesten.
^399* 2. Jänner. Ueber die von dem Bürger J. Sattler zu
Freiburg seinem Bruder Konrad, dem Johanniter-Prior daselbst,
für eine Schuld von 47 M. S. verschriebnen Jahreszinse im Banne
von Schliengen ist mit noch Anderen Zeuge: honorabilis vir Hein-
ricus Gcessler de Friburg, Mone, Oberrhein. Zeitschr. 16, 234.
1493. Hein ricus Geszler von Fryburg im Breisgau ver-
fasst das Werk: »Rhetorik vnd Briefformular Wie man einem
yecklichen, was würden vnd Stands er ist, schryben soll. Usw.,
Hab ich Heinricus geszler von Frybui^, schuler der keyserlichen
rechten, mein erfarenheit, so vss des adels zucht, u. s. w. jn diss
buchlj geformt. 1493, 10. Merz. Strassburg, Johannes Prüss.« [Hain,
Repertorium I. 2, no. 7516.] Der Verf. nennt sich in den Urkk.
seines Formelbuches: Heinr. Gessler v. Friburg, burger zu Co-
stantz; Unser frauwen Schreiber zu Costantz; Legist, fursprech
des grossen Rats strassburg 1485 ; ebenso 1492 fursprech zu
strassburg. Er sagt , er publiciere die seit 30 Jahren am Ober-
rhein, in Schwaben und Elsass gesammelten Erfahrungen. Er
starb 1519 zu Freiburg an der Pest. [Dr. Rod. Stintzing, Handb.
der populär. Lit. des römisch-kanonischen Rechtes in Deutschland,
P*^- 323 — 326.] Eine von ihm als kaiserl. Notar gemachte Ab-
schrift einer vom 26. Juni 1 506 datirenden Urkunde ist abgedruckt
in Mone's Ztschr. 18, S. 474.
1558. Johannes Gessler, gebürtig von Horb, studiert zu
Tübingen Theologie, tritt in den Deutschorden, wird der erste
412 II* I^ic Gessler von Branegg in Geschichte und Sage.
reformirte Pfarrer zu Weil, im Bad. Amt Lörrach. — Joh. Chr.
Sachs, Einleit. in die Gesch. der Markgrafsch. Baden (Carlsruhe
1770) IV, 114. — C. G. Fecht, Die bad. Amtsbezirke Waldshut,
Seckingen u. s. w., S. 434.
1865. C. Gessler, Dekan und Pfr. in Gurtweil, Capitels
Waldshut. — Freiburger Diöcesan- Archiv 1865, Bd. i, pag. XVIIa.
Verzeichniss der Mitglieder des kirchlich-histor. Vereins für die
Erzdiözese Freiburg i. Br., im Jahre 1872, Seite VIII.
Gessler, im Karlsruher Namensbuch vom Jahre 1856, S. 44.
5. Gessler im Elsass.
1271 (1249) — 1761.
1271,6. Juli. Basel. Johannes Marschalch, Schultheiss zu
Sulz (jetz. Cantons - Hauptort im elsass. Depart. Oberrhein) be-
stätigt, dass Jakob von Reginsheim (Rixheim), Sohn Ruodegers
des Reichen {Dwiäs), Bürgers zu Sulz, seine im Friedkreise dieser I
Stadt gelegnen Weinberge, welche 25 Schatz-Reben betragen, der .
St. Leonhardskirche zu Basel um 25 Basl. Pfund und eine Karrate i
Weines verkauft hat. Vier von diesen Schatz-Reben' grenzen an
diejenigen Hedwigen der Gesslerin, adjacent prope Hedewigin dir
Gesselcrin, TrouiUat, Monuments de Vhist de ÜAncien J&v^chi dt
Bäle. II, no. 162. [Schatzreben sind ein Landmass zinspflich-
tiger Rebgüter, mlat.: scaücum, entgegen den mit Spanndiensten
belasteten. Eine Kar rate ist ein Fuder Weines; carrata Ug-
norum, i. e. unum fuder holzis. Urkunde von 1280. Maurer, Dorf-
verfassung I, 234.]
1337* 20. Dez. Konrad von Ilzach, Ritter und Schultheiss zu
Mülhausen, sowie dessen Bruder Fritschmann und Dietrich vom
Huse, sind zu dritt Schiedsmänner im Streite der Stadt Mülhausen
und der Cisterzerabtei Lützel, Basler Bisthums, über Eigenleute, ]
die sie beiderseits zu Luterbach für sich ansprechen; von diesen |
werden der Stadt 2 Familien und 3 Personen zugesprochen, der ;
Abtei drei Personen; unter den letzteren ist genannt Eisin
Ge(n)selerin. TrouiUat, Monum. III, pag. 479.
1372, I. April. Hanebach von Wattwiler, Jakob G es 1er
von Gebwiler sammt Ehefrau, und Peter Lütold von Mülhauseii ;
i
3. Verzeichniss der in Deutschland ansässigen Gessler' sehen Linien. 41 3
sind Eigenthümer des Erbzinses der bei Klein-Lutterbach liegenden
Mühle sammt Feldern und Wiesen, und bestreiten der Abtei
Lützel das gleiche Anrecht, von welcher diese Mühle dem Müller
Wegelin bereits zum Erblehen gegeben ist. Der Basler bischöfl.
Official, als Vertreter der Rechte der Abtei, fordert obige drei
Mithaften auf, der Abtei deren Theil des Mühlen-Erbzinses zu
entrichten, unter Androhung des Kirchenbannes. Trouillat, Monum,
IV, pag. 724.
1372, 27. April. Jeckelin Gesseler, Burger von Geb-
wiler, verkauft seinem Mitbürger Clowelin Schietken zu dessen
Schwester Gerschin Händen einen Jahreszins von 10 Basler Solidi,
angewiesen auf 4 Schatz*) Reben, gelegen im Banne von Sulz,
um den Preis von 9 Basl. Pfund. Siegler: Der Amtmann von
Gebwiler. Trouillaty Monum. IV, pag. 726.
1393, 12. Nov. Gebwiler im Elsass. Wilhein, Edelknecht und
Schultheiss zu Gebwiler, fertigt und siegelt eine Erbverleihung von
Weinbergen, geschehen von Johann von Kecz, demLandcommenthur
des Deutschordens zu Gebwiler, an vier mit Namen aufgeführte
Bürger daselbst. »Hiebi worent in gerichte Peter Gesseler
der underschulthesse, Rutsche Gesseler sin brüoder;« folgen noch
fünf andere Bürger als Zeugen. Archiv Karlsruhe. Mone, Ober-
rhein. Zeitschr. VIII, 187.
1398. Enderlin Gesseler, zum Bürgermeister der Stadt*
Mülhausen erwählt. Leu, Helvet. Lexik. XIII, 358 b.
Das Geschlecht Gesseler ist in Mülhausen vor 1551 aus-
gestorben und zudem auch seine Genealogie beim Brande des
vorderen Rathhauses 1551, 31. Jan., sammt dem Alt. Bürgerbuche
verloren gegangen. Der St. Mülhaus. privilegirtes Bürger-
buch bis 1798, herausgegeben von Nikolaus Ehrsam, Stadt-
•) Das aestimium als Ackermass wurde deutsch mit Schatz übersetzt, von
schätzen. Ein hs. Feldmessbüchlein zu Kolmar von 1596 enthält darüber Fol-
gendes: »I tagwen matten, i juchart reben, i juchart.veldacker soll jedes 9 schätz'
gross sein, i schätz ist i rute breit und 30 raten lang, i juch velts, holz oder
ackerreben soll 6 schätz gross sein , 30 raten lang und 6 breit.« Dieses Acker-
mass, heute noch im Elsass gebräuchlich, erscheint daselbst schon im ii. Jahr-
liundert urkundlich; eine Handschrift des Klosters Rheinau, No. 81, aus dem
II. Jahrhundert, schreibt S. 378 in einer elsass, Schenkung: dederunt undecim
scazza et duo jugera, Mone, Bad. Urgeschichte 2, 52.
^I^, II. Die Gcssler toxi Bmn^g in Geschichte und Sage.
archivar. Gedruckt bei Rissler 1850 (S. 23 und 417). Das Werk
kam nicht in den Buchhandel.
V. J. 1405 — 1555 werden im Summarischen Inventar
des Strasburg, bischöfl. Archivs die von den dortigen Bischöfen
vergabten Lehen und bewilligten Renten verzeichnet; darunter:
Fiefs Gessler etc.; InvesHture (funbün sis ä Griesheim, accordie par
Vevique Erasme ä Frangois Gessler, — L. Spach: Inventaire'
Sommaire des archives dipartementales^ Tom, III, fol. 94. Der mit-
genannte Strassb. Bischof Erasmus von Limburg schrieb 1549^
4. Febr. eine Kirchensynode nach Zabem aus (Schöpflin, Alsat,
Diplom, no. 1471, iom. II, pag. 466) und starb 1568. Marfan
Austria Sacra I, 2. pag. 146. Griesheim, wo Franz Gessler Lehen
tnig, gehörte zum Breisgau: Alsat. Illustr, I, 647.
1434 ca. Dis sint die Güter vnd zinse jn der phlege ze
Sultze jn dem Elsasz. Henni Gaeszler der müUer sol ierlich
(zinsen) vj fs. dn. von zwein schätz reben vnd von einem garten
bi der müli zwüschen den wassern. Das Zinsbuoche miner
gnedigen frovwen ze Küngsvelden, Blatt 106 einer von
Einer Hand beschriebnen , 178 rubrizirte Folioblätter haltenden
Pap.-Hds. aus dem Jahre 1432; auf der aargau. Kt.-Bblth. be-
zeichnet: MS. Bibl. Nov. no. 11, fol.
1463. In dem jor, do man zait von der geburt Christi tusent
fier hundert seschtig vnd dry jor, uff samstag nest noch der heylgen
dry kunigen tag, so ist zuo wissen, dz ich Tenge Geszler
also ein geschwomer meyger desz dinghoffes zuo WilterszdorfT
(lies Wittersdorf), der do gon Emiingen vnd gon Dagestdorff
gehört, bin zuo gericht gesessen ....
zuo wissen ist, das vff samstag nest vor Tengentag, jn dem
LXIII jor, ich Martin Granter, probst des gotzhuss zuo sant
Morand, (bei Altkirch) mit mim meyger Teng Gesseler, der
denn min gesworner meyger ist des dinghoffes zuo Wilterszdorff,
zuo Emiingen vnd zuo Tagstorff
Archiv der Präfectur des Ober-Rheins. Fonds: Prieuri de-
St Morand, ein Band in Papier von 1420 bis 1541, foHo 14 u. 12.
Die genannten Dinghöfe Emiingen, Wittersdorf und Tagsdorf
liegen östlich von Altkirch und gehörten in die Probstei zu St.
Morand. J. Grimm, Weisthümer IV, 31.
1465, März. Altkirch in Elsass.
»Thenige Gessler der Ziegler vnd jetz geschwomer Bott
3. Veneichniss der in Deutschland ansässigen Gessler' sehen Linien. ^it
ZU AltkilchjC vnd Emelin seine ehl. Hausfrau, verkaufen dem
Ehrw. Hn. Granter (Propst des Gotteshauses St. Morand fbei
Altkirch) lO Schill. Pfenn. Stehler Baslermünze ah ihrem Haus,
Hof, Garten, Ziegel-scheuer und -Ofen, gelegen am Dorfe Witters-
dorf. Trouillat V, S. 832.
1477, 7 Cal. Jan., Bologna. Petrus Schott von Strassburg,
Student zu Bologna, dankt dem Gelehrten Herrn Joh. Gesler,
seinem hochgeehrten Freunde, für dessen Brief und die darin mit-
übersendeten Latein. Gedichte Geslers. I^efrt Schottiy Argenünensis
Patricü, Juris utriusque Doctoris, Oratoris ei Poeiae: Lucubraciunculoi,
Strassburg bei Mart. Schott 1498, S. 154.
1489, 26. Apr. Der päpstl. Commissar Raimundus Peirand
übermittelt dem Frauenconvent zu St. Katharinen in Kolmar des
Papstes Innocenz VIII. verliehene Indulgenzen. Unter den dortigen
von der Urk. mit Namen angeführten Klosterfrauen befinden sich
Soror Margaretha G es s 1er in und Soror Barbara Gesslerin.
Trouillat V, S. 634.
1499. In der Bibliothek zu Zwiefalten fand sich das gegen-
ivärtig zu Stuttgart aufbewahrte Buch: Bernardus über florutn,
Paris. Philippus Figoucheius, impensibus communihus eiusdem et Durandi
Gtsleri, almae universitaüs Paris, librariorum, 1499. 4®. — Nau-
mann Serapeum XXI, 28. Abthl: Intelligenzblatt.
Gesslerus (Gesl.), Petrus : Meditatio passionis et resurrectionis
iomini nostri Jesu Christi, elegiaco carmine conscripta, 8^, Argent, 1578^
6. Gessler in Alt- und Neu-Baiern.
1319 — 1866.
13 19, 8. Mai: Werner Gessler, Priester in Fultenbach.
Mm. Boica 33, 416.
1329, 29. Sept. Dillingen: Heinrich Gessler. ibid. 33, 533,
1330, 20. Juni. Peter, genannt Meye, Offula seine Gemahlin
und sein Bruder Dietrich Spijs, Edelknechte, entleihen von der
Lyeba, genannt Flemenzen von Worms, 50 Pfd. Heller und
geben ihr davon als Zins jährlich 10 Malter Korn. Presentibus:
Engilmanno dicto Gesseler, Joh. de Meckinheim, Theoderico de
41 6 n. Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
Haselach, miliHbus; Theoderko Ge sseler et Peiro Gesseler, armu
geris de Lamsheim, Cunrado sculteto, Heinrico dicto Kolhe et Joh, fabro,
hubariis de Wissen, — Mone, Oberrhein. Ztschr. XXI, 192 — 193,
Laut Note 8 daselbst ist obiges Lämbsheim bei Frankenthal 1
■gelegen, Meckenheim und Hassloch bei Neustadt a. d. Hard,!
sämmtlich in der bair. Pfalz.
1360. Hans Gessler. Mon, Bote. 7, 182.
1422 acht Tage nach St. Urban wird zu Lindau am Boden-
see auf dem dortigen Brodplatze, an der Stelle eines dem Ulrich!
Gässler zugehörigen Weingartens, der Bau des städtischen Rath-'
hauses (jetzt ausser Gebrauch gesetzt) begonnen. Anzeiger deSi
German. Museums 1873, no. I, Seite 11, Note.
1
1432. Heinrich Gesler, Kaplan zu Mäsenhauseii bei Frei
sing, beendigt die Abschrift der von Heinr. Hellär (13. Jh.) ge-
reimten, 23,000 Verse haltenden Apokalypse. Karl Roth, Kl.
Beiträge zur Gesch. und Ortsforschung. München, 1850. I, 33.
IX, 194.
161 3. Helena Gessler, Äbtissin der Franziskanerinnen m
Speier. — Remling, Urkundl. Geschichte der rheinbair. Abteieuj
II, 248.
1620. Die Gässler von Klaham gehören dem alt
bairischen Briefadel an. Ihr Wappenbrief stammt jedoch erst
von 1620. Ein P. P. Gässler war 1742 kurfürstl. Kriegskassier;
das Adelsdiplom für Joh. Mich. Gässler, Malteserordens- Amtmann
zu Landshut, ist von 1799.
O. T. von Hefner: Bayerischer Adelicher Antiquarius (1867
II, S. 310.
'
1866 stirbt an seinen im Gefechte bei Kissingen gegen die
Preussen erhaltnen Schusswunden der bairische Soldat Joseph
Gessler, Taglöhnerssohn aus Haslach bei Dinkelsbühl. Ztschn
Daheim 1866, no. 48, Si 712. Hier scheint das Geschlecht au5
Würtemberg und zwar aus dem benachbarten Hohenlohe'schen-
zugewandert zu sein.
J
3. Verzeichniss der in Deutschland ansässigen Gessler'schen Linien. 41^
7. Gessler in Deutsch - Oesterreich.
1318 — 1700.
1334, Vergleich zwischen dem österreichischen Herzoge
Albrecht und dem Bischof von Bamberg, wobei eines G e s s 1 e r s
mitgedacht wird, der in der Gegend von Villach in Kämthen
drei Schupossen besass.
Lünig, Reichsarchiv XVII, 42 — 44.
27. Aug. 1437, Pfannberg. Sigmund Gössler, Pfarrer zu
St Veit am Eigen, bekennt mit Lienhart Harracher, einem Ritter
und herrschaftlichen Pfleger zu Pfannberg, nebst noch sechs
andern namentlich angeführten Zeugen österreichischer Abkunft,
dass der verstorbene Graf Stephan von Montfort-Bregenz die
genannten Zeugen am letztvergangnen Abend von ULFrauen
Schidung vor sich gefordert und seine damaligen österreichischen
Sätze und Pfandschaften: die Stadt Fürstenfeld und die Veste
Neuenburg in Churwalchen, dem österreichischen Herzoge Friedrich
dem Jüngeren, ohne alles Geld ledig gelassen und aufgegeben
habe. Sigmund Gössler druckt sein Petschaft unter die Urkunde.
J. Chmel, Materialien zur österr. Gesch. I, Zweite Paginirung.
Urkundenbuch S. 48, no. XXIX.
1577. Petrus Gesler, Brigantinus, schrieb: Elegia, de fiUo
frodigo Historia, ad . . , Christoph Hos, Dmi, Marquardi Episcopi
AugusUani questorem. Friburg. Brisg, 1^77'
Naumann Serapeum XIX,' 10.
1600. Wolfgang Gessler, Pfarrer in Biedermannsdorf.
Histor. Topographie Oesterreichs II, 145.
12. Nov. 17 . . obiit reverendus pater, presbyter ei manachtis ex
monasterio Altenburgensi (Benedictinerordens in Niederösterreich)
sCarolus Gössler.
Pangerl, Die beid. ältest. Todtenbücher des Benedictinerstiftes
ßt. Lamprecht in Obersteier. Wien, 1869, S. 213.
8. Gessler in Preussen.
1634— 1871.
^eopold von Gessler, 1634 Kaiserlicher General-Major,
schlägt sich zur Wallenstein'schen Partei, wird mit dieser geächtet
R o c h h o 1 z , Teil und Gessler. 27
^l3 II* Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
und entflieht, mit seinen bqiden Söhnen, dem Major Anton und
dem Capitain Konrad Ernst, unter schwedischen Schutz nach
Pommern. Von des letztgenannten Konr. Ernst Gesslers drei
Söhnen stirbt Rittmeister Anton ohne Erben auf seinem Gute
Schwessle in Pommern ; der zweite, Peter Daniel, fällt 40 Jahr
alt, in der Schlacht bei Höchst^dt. Der dritte, Konrad Ernst,
wird churbrandenburgischer Obrist, zieht sich in's Privatleben auf
sein Gut Schwägerau im Kreise Insterburg zurück und hinterlässt
aus seiner Ehe mit Gertrud von Gättenhofen zwei Söhne: '
i) Heinrich Albrecht, poln. General-Quartiermeister.
2) Friedrich Leopold, preuss. Obrist, Chef eines Reiter-
regimentes, Johanniter, Gutsherr auf Schievelbein, Kindschen,
Gessler-Ort, Pelau und Klingenberg. Er ist jener tapfere Reiter-
general Friedrichs des Grossen, der in der Schlacht bei Hohen-
friedberg am 4. Juni 1745 an der Spitze des Baireuthischen Dra-
goner-Regiments 20 österreichische Bataillone in die Flucht schlug
und 6^] Fahnen nahm. Gessler erhielt hierauf die Grafenwürde
und die Zahl 6j in's Wappen.*) Er hinterliess 3 Söhne:
a) Georg Ludw. Konrad,' geb. 1721.
b) Wilh. Leop. August, geb. 1724.
c) Justus Bernhard, geb. 1726.
Nach. Wolbrechts preuss. Adels-Genealogie, 4n Zedlers Uni«
Versallexikon X, 1298. Dazu: Vehse, Gesch. des preuss. Hofes
und Adels III, 249,
Graf Gessler, der Enkel jenes Helden von Hohenfriedberg,
gehörte dem diplomatischen Corps Preussens nach Ausbruch dt
-französischen Krieges an und stand als Gesandter längere Z(
am sächsischen Hofe. Unter den Briefen dieses heisssprudelnden,
gelehrten und freiheitsliebenden Welt- und Lebemannes, welche
E. M. Arndt mitgetheilt hat, finden sich die stärksten Expecto-
rationen über Sachsens damalige undeutsche Politik. Der Gra^
war ein Patron des jungen Dichters Theodor Kömer gewesen.!
Er starb, über siebenzigj ährig, als Junggeselle während deri
Zwanziger Jahre zu Schmiedeberg in Schlesien. j
Vehse, 1. c. V, 243. |
*) Von ihm war in der AUg. Augsb. Ztg., Jahrg. 1863 zu lesen : »Wenn die:
preussischen Trompeter heute zur Parade blasen, so ertönen dieselben Klänge,
mit denen einst General Gessler die Baireuth-Dragoner bei Hausdorf vor dem!
Crossen Fritz vorüber führte.
3» Verzeichniss der in Deutschland ansässigen Gessler' sehen Linien. 419
Die nachfolgenden wenigen Notizen über das heutige Geschlecht
der preussischen Gessler gehören der blossen Zufallslectüre an.
Hermann Gessler aus Preussen, wo seine Brüder ein Fidei-
Conunissgut besassen, war während des letzten russisch-türkischen
Feldzuges als Instructionsofficier in die türkische Armee ein-
getreten, avancirte zum Range eines Bei, garnisonirte zu Damascus,
wo ihn der Wiener Reisende Dr. Frankl kennen lernte und in
seinem Reisebericht (Nach Jerusalem. Leipzig, 1858. i, 345)
erwähnt, und gieng im Jahre 1861 aus Kleinasien zu einem Militär-
commando nach Albanien ab. Allg. Augsb. Ztg. 1861, 14. April.
Ein von Gessler amtete 1859 als preuss. Consul inDamascus
(Augsb. Ztg. 1859, no. 243, pag. 3960); ein gleichnamiger stand
1863 zu Königsberg als Tribunalgerichts-Präsident.
27*
IV.
Konrad Gesslers apokryphe Chronik.
Im Jahre 1470 begegnet in unseren Regesten ein Konrad ,
Gessler, der ein Mönch zu Reichenau und Burger zu Zürich ist,
und in dem man jenen angeblichen gleichnamigen Chronisten zu
suchen haben wird, welchem die schweizerische Geschichtsliteratur
zwei apokryphe Geschichtswerke beigelegt hat. Ausser einer an-
geblichen Schweizerchronik, von welcher sogleich ausführlicher
zu handeln ist, soll er auch ein genealogisches, bis jetzt noch
nicht aufgefundenes Werk verfasst haben : Conradi Gessler chronicon
de cunciis Argoviae nohilibus et civitatibus, I. E. v. Haller, Bblth.
der Schwz. Gesch. IV, No. 161, 371, 435, 713. Auch die Fa-
miliengeschichte der Grafen von Mülinen (Berlin 1844, S. 3)
legt ihm dieses letztere Werk bei und setzt den Autor zugleich
bis in's Jahr 1280 hinauf, indem sie wahrscheinlich durch die An-
gabe des Seedorfer Nekrologiums , das mit dem Jahre 1115 be-
ginnt und einen Konrad Gessler verzeichnet, hiezu sich hat be-")
stimmen lassen. Vgl. unser Regest von 1279, 7. Febf-uar. Die
Grundlosigkeit aller dieser bisherigen Angaben glauben wir nun
im Nachfolgenden sattsam zum Erweise bringen zu können.
Der älteste Autor, welcher ausführlicher der Chronik eines
Schweiz. Gesslers Erwähnung thut, ist Caspar Suter von Horgen
am Zürchersee. Dieser Reisläufer und Reimpoet stand mit 3400
Schweizersöldnern unter französischen Fahnen in Piemont und
nimmt hier theil an der Schlacht bei Carmagnola, 14. April iS44j
in welcher die Franzosen über die Kaiserlichen siegten. Sei
Lied über diese „Bemunder- (Piemonter) Schlacht, so geschehe
4. Koniad Gesslers apokryphe Chronik. a21
ist im IS44 Jahre auf den Ostermontag, vor Carmiolen. Im Thon
des Toll- oder Gennouwer Lieds (Holzschnitt: ein Reitergefecht)
Getruck im Jahr Christi" — hält 39 neunzeilige jambische Reim-
jtrophen, anfangend: »Im Namen der heiligen Dreyfaltigkeit, So
will ich heben an.« In der Schlussstrophe nennt er sich als Ver-
fasser:
Der vnns diss Lied hat gsungen,
von neuwem hat gemacht,
vor frewd hat er gesprungen,
' bald er kam ab der schlacht.
Er ist weit vmb gezogen
in Teutsch- vnd Welschem Land,
kein Trew kan er nit finden,
die Welt ist voller Sünden,
ist Caspar Sutter genannt.*)
Derselbe Caspar Saut er berühmt sich 1549 vor seinem
rcher Grossen Rathe: wie ein Schmachlied des Bösen Eidge-
ssen Lux Lerchers von Nördlingen gegen die Schweizer in
ck ausgegangen, und wie dagegen er demselben von Zeile zu
ile geantwortet und ihm wohl 90 Widerstand gethan.**) Er
rde nachmals Lehrmeister der deutschen Schule in Zug, ver-
ste hier eine Zugerchronik von Gründung der Stadt bis 1580,***)
d schrieb eine grössere Schweizerchronik nebst einem Auszug
aus. Letzterer ist von dessen gegenwärtigem Besitzer, Staats-
chivar Theodor v. Liebenau, im Anzeiger f. Schweiz. Gesch.
65 näher beschrieben worden. Durch eben denselben Forscher
später im luzerner Archiv auch der Brief aufgefunden und
m Verf. dieses gütig mitgetheilt worden, worin Suter iAi Jahre
49 sein Chronikwerk der luzerner Regierung käuflich anbietet.
hannes Stumpf, sagt er da, habe in seiner Chronik zu vielerlei
atsachen ausgelassen; er, Suter, habe dagegen sein neues
erk um mehr als 50 schweizerische Stürme, Schlachten und
eifzüge vervollständigt, habe sämmtliche eidgenössische Ver-
mnisse und Bündnisse, vom ersten Bundesschwure der drei
11 *) .Liliencron, Histor. VolksU. IV, No. 508. Dasselbe Lied findet sich auf
If aargauer Kt.-Biblth. : »Rariora I, 8°, No. 6.«
1 **) Schweiz. Museum, Jahrgang 1795, S. 654.
r **•) Handschrift 40 im Kloster Einsiedeln. Vgl. Archiv d. Reformat.-Gesch.,
lisgabe vom Schweiz, Piusverein III, S. 80.
422 II' I^ie Gtesslef von Brtfnegg in Geschichte und Sage.
Länder an bis auf die gegenwärt^ mit König Heinrich von Frank-
reich geschiossne Einigung, mit aufgenommen und 27 verschiedene
Chroniken dazu benutzt. Bis auf 300 Kronen habe er unter Ar-
muth auf diese Sammlung verwendet^ den i — 100. Bogen davon-,
fertig geschrieben , und sie bereits von Ort zu Ort angetragen/
jetzt wünsche er sie gegen Mühentgelt der luzerner Regierung
zu überantworten. Eine von ihm hier zuerst benützte Quelle sei |
jene alte, erst während des Sempacherkrieges im Schlosse Reusseg |
aufgefundene Chronik, »welche der Her gässler, der dasSchloss
Scharffenstein geschlissen und daraus die Stadt Meienberg mit |
Mauern und Thürmen aufgebaut hat, habe schreiben lassen. Was :
der luzemer Regierung an seiner Arbeit etwa missfalle, z. B. die Er- !
wähnung der Religionssatzungen, oder sein Bericht vom Cappeler |
Religionskriege und von der neuen Bibel (der Zürcher Reformirten),
das Alles möge die Obrigkeit mindern, mehren, anders stellen oder
auch ganz durchthun: damit darin nichts zu der fünf kathol.
Orte ewigem Ehrengedächtnisse Diensames verunwerthet stehe»
In solchem Tone völliger Gewissenlosigkeit schrieb damals ein
Zürcher, wenige Jahre nach seines Landes Kirchenreform und aa,
deren ungestümste Widersacher, so gänzlich waren diese Chronisten
blosse Lohnschreiber und Ohrenmelker, ad demulcendos aures
Nobilium. Da Suters Chronik- Auszug den Gessler zur Quelle der
vaterländischen Geschichtskunde macht, so kann er denselben in
der Rolle des von Teil Erlegten freilich nicht mehr verwerthen^
an der betreffenden Stelle fügt er daher kleinlaut hinzu: „Von
thel und dem grisler^ etlich schribent, er hab gässler
g'heissen, des geschlechtz, so diu vogti Grüningen vnd raperschwil
ing'hept haben, ouch zuo Meienberg schloss vnd stat ing'hept.c
Dass Suter dies sein Opus in Zug abgefasst habe, besagt der In-
dex einer Zuger Stadtchronik (in Zuriaubens Stemmatographie,
Bd. 92, S. 311) ausdrücklich: »ao. 1549, Schulmeister Sutters von ;
da vorhabende Schreibung einer Eidgenöss. Histori.« Eben
daselbst und aus derselben Quelle, deren Suter sich bediente , ist
die Gessler-Chronik selbst entstanden, denn diese, um es j
kurz zu sagen , ist nichts anderes als eine in der Zuger Familie '■
Koli von mehreren Gliedern dieses Geschlechtes vor Mitte des
16. Jahrhunderts begonnene und bis in's 17. Jahrhundert fortge-
führte Zuger Stadtchronik. Ihre Entstehungs- und Ergänzungs-
weise liegt uns pjprsönlich in fünferlei verschiedenartig concipierten
4- Konrad Gesslers apokryphe Chronik. ^ j
Handschriften vor, welche zusammen dem aargauer Staatsarchifve
und der Kantons-Bibliothek angehören, und über ihre Entstehung
keinen Zweifel lassen. Drei davon sind mit der Handschriften-
Sammlung des Baron von Zurlauben aus Zug an die aargauer
Bibliothek gekommen, zwei andere waren Eigenthum der nach
Aarau versetzten Bibliothek des Klosters Muri gewesen. Die
ältere der ersten beiden Handschriften, ein schlecht geschriebener,
stark abgegriffener Folioband, trägt den Namen ihres Verfassers
>Lazarus Koli von Zug« (über ihn nachher) und besagt Bl. 8b
»Herr Cunrat Gässler, Freyherr zuo Meyenberg im Ergöuw, hat
mit siner hand von jm und sonst vil alter gschichten in ein
gross buch gschriben.« Die jüngere, eine höchst sauber gehaltne
Abschrift, i8 doppelt beschriebne Folioblätter stark, ist enthalten
in Zurlaubens Monumenta Helvetico-Tugiensia , toin, JII, i$2 — 168,
läuft bis 2. Februar 1700 und giebt die Schlussnotiz, dass ihre
£inzeichnungen vom Jahre 1682 an entnommen sind der Chronik
s Zuger Statthalters Brandenberg. Die dritte Handschrift liegt •
zu Aarau in dreierlei Exemplaren vor: No. i und 2 sind
igenthiim der dortigen Kantonsbibliothek, bezeichnet MS. Bibl.
ur. No. 61 Fol., und MS. Bibl. Zurl. No. 61 Fol. — No. 3 ist
ine blosse Abschrift, liegt im aargauer Staatsarchiv, enthalten
Documentenbuch R. III des Archivs Muri. Das zweite dieser
ei Exemplare, für unser Thema das massgebende, ist betitelt
Chronik^der Stadt Zug« und hat auf der innem Deckelseite fol-
nde Einzeichnung : »Disses Buch ist geschriben durch mich
anss Khollj, Landtschriber zu Zug, vnd ist angefangen 1587,
t der Mütt Kernen 155 batzen, das Malter Haber 160 batzen.t
Dieses ebenerwähnte Abfassungsjahr steht dann S. 4 in den Ini-
tialbuchstaben des dortigen Capitels noch einmal sorgfältig hinein-
geschrieben. Wir müssen uns mit dem genannten Verfasser einen
jAugenblick bekannt machen, denn schon sein Vater, er selbst
|Uid sein Sohn sind zu dritt Zuger-Chronisten. Die Kolin gelten
b Zug als die älteste Familie und sollen daselbst seit dem Jahre
I387 die Pannerherren- Stelle bekleidet haben. (Leonh. Meister,
Öelvetiens berühmte Männer II, 268.) Der Vater Hans Kolin ist
1536 Vogt zu Gangolfschwil , 1548 Vogt zu Steinhausen, 1569
Pannerherr und des Rathes. Die von ihm zusammengetragene
Kuger Stadtchronik vererbte sich auf seinen gleichnamigen Sohn
flans, den Landschreiber, der 1595 Vogt zu Gangolfschwil war
424 ^^' ^^ Gessler von Bninegg in Geschichte und Sage.
und 1609 in Zug starb*). Wiederum dessen Sohn Johann Jakob
hat aus des Vaters Werk einen Auszug gefertigt und handschrift-
lich hinterlassen: Kurze Beschreibung einer Lobl. Eydgenozsch.
Harkommens etc., sonderlich in Schwiz und Zug 1633 (in 4^.
Zurlauben, Stemmatogr. Bd. 85, S. 129b. Es stimmen nun so-
wohl dieses letztere Werk, als auch dessen sämmtliche Vorläufer
aus der Kolin'schen Sippschaft darin mit der Chronik des Schul-
meisters Suter überein, dass sie das ihrer Compilation vollständig
mangelnde historische Fundament durch die Autorität des Namens
Gessler und durch dessen angebliche Chronik zu ersetzen oder
vielmehr zu decken suchen, daher denn ganz dieselbe Art der
Beweisführung und in dem gleichen Wortlaute bei Suter und bei
den Kolinen. Hans Kolin beginnt mit Zugs Erbauung, »deren'
Jarzahl ich nienen in keinen getruckten Cronisten finde«;
hierauf folgt, »wie der wolgebome, edle, gestrenge Herr Cuonradt
gässler, Freyherr zuo Meyenberg im Ergeuw erzehlen und
• schreiben thuet, der dz Schloss Scharpfenstein bey der alte
veste geschlissen und die Stadt Meyenberg gebauwen und gewiteret,
mit Muren, Schantzgräben und anderen bollwerkhen umbfange
Und nach Vollendung dess Buws hat er gewisssaget, dass ne
lieh dise statt, die letzte im Ergeuw erbuwen, aber zum erst
solte zerstört werden ; welches beschehen ; alss die von Ury, Schwi
Underwalden und andere Eidtgenossen dorthin gezogen, habei
sie diese Stadt zerstört. Diser gemelte Herr hat eine gro
Cronik von alten geschichten, stetten, Schlössern und ande
Sachen lassen beschriben, welches buoch zuo Rüseckh giefunde
worden sampt dem Ursprung der Lobl. Statt Zug.«
Auf eben diese Stelle haben sich mehrere spätere Geschichtsj
werke gestützt und damit der Handschrift eine Art Bedeutu
gegeben. Aus ihr entlehnt die Klingenberger Chronik (Ausg. voi
Anton Henne 1861) eine Reihe von Zuger Rittersagen und pfl
dabei den Gewährsmann zu eitleren (pag. 12): »wie her gäsl
von meyenberg beschreibt«. Noch ausfuhrlicher thut dies d
Luzerner Stadtschreiber Rennw. Cysat. Derselbe war nemlich i60|
in Amtsgeschäften nach Zug gesendet worden, hatte sich dasei
♦) Leu, Helvet. Lexik. Suppl. III, kennt ihn und sein Werk und fügt bei,
die von ihm verfasste Chronik sei eigentlich ein Auszug und Continuation d(
Chronik des Conrad Gessler, mit Beifügung des Gesetzbuches von Stadt un(
Amt Zug von dem Jahre 1566 bis 1591.
4* Koniad Gesslen apokryphe Chronik. a2C
vom 5. bis 10. October aufgehalten und hier Auszüge über die
Ortsgeschichte gemacht ; in seinen auf der Luzemer Burger-Biblioth.
übenden Handschriften (MS. L, pag. 158) hat er das vorhin ge-
gebene , Cit^t der Gesslerchronik folgendennassen ausgesponnen :
>Vss dem Zugerbuch Lazari Kolis. Herr Conrat Gässler, fryherr
vnd gesessen zu Meyenbei^, Ein gelerter, beläsener, wol erfamer
Mann, ouch liebhaber der geschrifften , hatt von eigner Hand vil
historien diser Landen In ein gross buch geschriben, besonders
von der Statt Zug vnd Iren Gschichten , wöllichs harnach vff der
Veste Rüsegk funden worden. Diser H. Gässler war der Herr-
schaft österych Rhat vnd Landvogt Im Ergöw, Hess das Schloss'
Scharpfenstein by der alten Veste zu Meyenberg Erbuwen vnd
erwytteren, ouch mit graben, Muren vnd Thürmen vmfachenc.
— Auch Franz Guillimann aus Romont im Kanton Freiburg, bezieht
sich in zweien seiner Werke auf diese Gesslerchronik: I?e rebus
Helvetiorum {4.^ Friburg 1598) lib. III, caf, VII; \xtA Habshurgica
(40 Mediol. 1605) üb, IV, cap. III (in Thesauro hist. Helvetkae),
Neu wird die Mittheilung sein, dass auch Aegid Tschudi die-
selbe Chronik besass und für den Entwurf seines eignen Werkes
benützte. Unter seinen Sammelschriften, die uns in den fünfziger
Jahren vorgelegen hatten, fand sich nemlich folgende von Tschudi's
Hand geschriebene Notiz: »Uss einer geschrybnen Chronica,
;die myr Lazarus Choli von Zug geliechen (in Parenthese:) 1598«.
I Dieser genannte Lazarus Kolin (I.) war 1585 Pannerherr und
des Rathes in Zug, starb 1605, und hatte einen gleichnamigen
I Bmder Lazarus, zubenannt Nüeri, der ebenfalls Panner- und Raths-
;herr war und 161 2 starb.
Alle diese Spezialitäten entnehmen wir der Genealogie des
Kolin'schen Geschlechtes, welche, vom Jahre 1387 bis 1748 ent-
worfen, sich findet in Zurlaubens Helvet. Stemmatographie Bd. 7,
S. 706 — 711; Bd. 6y, 47b; und in desselben Verf. Turri-Laubiani
Stemmaiis Cartae genealogicae, tom, VI, pag, J75 (letzterer Band ist
auf der aargauer Kt.-Bblthk. bezeichnet : MS. Bibl. Zurl. No. 35).
Zurlauben war seit 1754 mit Maria Elisabeth Kolin verheiratet,
daher sein diesem Geschlechte gewidmeter genealogischer Eifer.
Nachdem hiemit die Frage über Ursprung und Abfassung
dieser sogen. Gessler-Chronik erledigt ist, muss erst ein Blick auf
den Gesammtinhalt und die Tendenz derselben geworfen werden.
Sie erzählt durchweg Sagen; leider aber keine ursprünglichen
Volkssagen, sondern fremdländische Anekdoten, entlehnt aus
/^2ß II- I^ie Gessler von Bninegg: in Geschichte und Sage.
Klosterchroniken und mit widerwärt^er Aufgeblähtheit und Igno-
ranz angewendet auf das winzige Städtlein Zug. Das Thema ist
die ausdauernde Tapferkeit der Zuger Bürgerschaft gegen den
umwohnenden Landadel und verfolgt den überall durchscheinen^
den Zweck, mittels dieser Erzählungen von Fehden und Mord-
nächten den wiederholten Vertragsbruch zu entschuldigen und zu
verschleiern, dessen sich der Ort gegen seine herzoglichen Herren
schuldig gemacht hatte. In Folge dieser Tendenz wird eine :
Reihe allgeniein lautender Tyrannensagen in das kleine Zuger- i
ländlein herein entlehnt und hier nach Oertlichkeit und Burgnamen
accomodirt. Dies gilt besonders den Schlossherren von Hünen-
berg, Wildenberg und Sanct Andreas, über welche der unwissende
oder freche Chronist so berichtet, als ob diese Ritter verschiedene \
Landesdynasten gewesen wären, da sie doch zusammen einem und
demselben Greschlechte der in der zuger Landesgeschichte so ge-
nau gekannten Hünenberge angehören.
Im ursprünglichen Besitze der Edeln von Hünenberg waren
fast alle nachmaligen Unterthanenlande der Stadt Zug gewesen,
und ausserdem noch weite Strecken in dem angrenzenden Zür-
cher-, luzemer und aargauer Gebiete. Ihr Name erscheint voff
1096 bis 1443 in vielen wichtigen Urkunden, wo sie als Zeugent
und Vermittler, als weltliche und geistliche Machthaber auftreten;
derselbe knüpft sich schon an die erste Freiheitsschlacht bei Mor^
garten, da Heinrich von Hünenberg, Kirchherr zu Art, durch den war-
nenden Pfeil dorten die Eidgenossen rettete. Ihre eine Linie, ge*
nannt Storch, war zu Luzern verburgrechtet, ihre andere, genannt
Wolf, zu Zürich. In dieser letzteren Stadt waren schon i35oGotfr;
und Peter Hünenberg des Rathes, 1393 Hartmann Hünenberg Schult-
heiss*), 1434 Heinrich abermals Schultheiss. Siebenzelm diesem
Geschlechtes sind aufgezählt unter den Wohlthätem des Stifte»
Cappel, hier war ihre Familiengruft. Noch liegt hier der Sarkophag'
Gottfrieds von Hünenberg und seiner Gemahlin Margaretha von^Frir
dingen**). Durch die Fridingen aber waren die Hünenr^
berge zugleich auch mit den Gesslern verschwägert
Die verschiedenen Koline und ihr Nachtreter, der Chronü'
Suter, wissen nun eben so verschiedene als sich widersprechende
Zwinghermhistörchen über die Hünen* und Wildenberger zu be-
•) Segesser RG. I, 552 u. 555.
■•) Züricher Antiq. AGttheiU. III, pag. 10.
X
4» Konrad Gesslers apokryphe Chronik. 427
richten. In lüsterner Absicht lauert der Schlossherr öfters auf
das Mädchen des Bauern Ab dem Berge , wenn dieses auf dem
Wege nach dem Zugermarkte am Schlosse vorbei geht. Sie klagt
die Nachstellung dem Vater , dieser legt sich bei der Burg in's
Versteck des Lorze - Tobeis , ertappt den Wüstling, erschlägt ihn
und bringt dessen abgehauenen Schenkel auf der Hellebarde nach
Zug zur Schau getragen. Man kann diese Indianer -Scene schon
fertig abgemalt sehen in des Abtes Silbereisen illustrirter Schweizer-
chronik, handschriftlich auf» der aargauer Bblth. Denselben Burg-
hemi lässt aber Joh. Kolin *) vorerst auf zwei Beinen entkommen
uad erst nachmals in der Fremde abgescbUchtet werden: »Der
Herr uff Wildenburg , da er siner underthanen widerspäristigkeit
gesehen, so durfte er auch dem übrigen Adel nit trauen, dann
dn ieder uff sein schantz schaute ; da rüstet er sich mit hab und
gueth und fuer nachts heimlich uff Rapperschwil. Weil er aber
auch alldort sein Salua Honore Hurery nit liesse, ist er bald
«m lib und laben kommen c. Als Zurlauben alle ihm erreichbaren
Urkunden für seine fünf Foliobände haltenden Monumenta Tugiensia
aufsammelte, hatte er im Jahre 1761 einen Beat Jak. Ant. Hilten-
iperger beauftragt, ihm jene Schlossruinen zu zeichnen [und die
etwa daran noch haftenden Localtraditionen mit einzusenden.
Hiltenspergers getuschte Federzeichnungen sammt beschreibendem
Texte finden sich in tom. I, 61 — 79 genannten Werkes, und da-
selbst steht nun auch jene Geschichte vom amputirten Tyrannen-
«chenkel, der Berichterstatter fügt jedoch aufrichtig bei : »Ich lasse
diese Historie auf sich beruhen, muss aber gestehen, dass ich darüber
gelesen habe, nicht der Schlossherr, sondern einer seiner' Diener
sei der Lüstling gewesen und deshalb vom Bauern erschlagen
worden. Uebrigens haben sich die Herren von Hünenberg auch
von Wildenburg benamsetc
Stadiin, der Verfasser der Geschichte von Zug, trägt Bd. III,
155 (dieser dritte Band erschien erst 1821) die eben erwähnte
Unzuchtsgeschichte mit dem Pathos eines Johannes von Müller
vor. Da er aber schon im ersten Bande seines Werkes (S. 239
bis 253) die Urkunden von I4i4bis 1416 hatte abdrucken lassen,
womach die Edeln von Hünenberg sowohl ihr Schloss Wilden-
*) Jobannis Kolini Excerpta ex Chronicon Gesleriano, nunc de novo
et elegantiori stylo conscripta a Joh. Bern. Meyenberg, Barensi. Abschriftlich in
Ziirlaubens Monumenta Tugiensia VI, 21 ff.
428 II» I^ic Gessler von Branegg in Geschichte und Sage.
bürg, als worauf sie damals »sesshaft« sind, wie auch die dazu
gehörenden Güter an namentlich mitangefuhrte Hünenberger
Bauern um 204 Goldgulden verkaufen und sich zu Bremgarten
und zu Zug einbürgern; so weiss er mit des Wildenburgers Er-
mordung und seines Schlosses Zerstörung nichts mehr anzufangen.
.Er erklärt daher, der Erschlagne sei nicht der Schlossherr selbst,
sondern ein Fremdling in dessen Diensten gewesen, die Burg
aber sei schon vorher im Sempacherkriege gebrochen worden.
Die Gemeinde Hünenberg verburgrechtet sich dann 1416 unter
Vorbehalt ihrer Freiheiten mit der Stadt Zug. Allein schon fünf-
zehn Jahre nachher werden diese Freibauern von den Stadt-Re-
publikanern um ihr gutes Herkommen betrogen und stehen daher
im Zuger Stadtburgerbuche als »die Underdanen von Hünen-
berge verzeichnet. Renaud, Rechtsgesch. von Zug (1847), S. 14.
Lassen wir den Stadtchronisten in seinen Raubrittergeschich-
ten fortfahren. Der Ritter auf Wildenburg pflegt seinen Knecht
nach Zug in die Metzge zu schicken, ohne je für das hier geholte
FleisJch bezahlen zu lassen. Zuletzt fragt der Metzger den wieder-
kommenden Kunden, von welchem Stück er heute begehre, haut
ihm, als dieser abermals aufs Beste deutet, die Hand ab, wirft
sie ihm in den Fleischkorb und spricht: »Gang hin vnd bring
das dinem herm, ich werd jm furhin sines Übermuts nümmen
gehorsam sin.« Vff dis hub sich der herr vnd wolts gerochen
haben, bis er gar vmb sin laben khomen ist. So derzu ge-
schriben: Es sey ein alte sag, man find aber nit grundlichs dar-
umb.*) Allerdings eine alte Sagel Schon Felix Hemmerlin**)
lässt auf dieselbe Weise den Koch des Schlossvogtes von Roten-
burg in der Metzge zu Luzern abgestraft werden und die Scene
unter Rudolf von Habsburg im Jahre 1291 spielen. Man hat hier
jene bekannte, noch von Fr. Rückert • bedichtete Nixensage vof
sich; die fleischkaufende Wasserfräu bezahlt da den Metzger mit
scheinbar blanker Münze, diese verwandelt sich aber nachher in
blosse Fischschuppen. Er haut dafür der Wiederkehrenden die-
Hand ab, allein auf ihr Wehgeschrei eilen die übrigen Nixen ^
herbei und lassen durch eine rasch wachsende Wasserfluth das^
Metizgerhaus mit Allem untergehen.
*) Hans Koly s Chronik, 1587 verfasst. MS. Bibl. Zurl. 61, Blatt lob.
**) Dialogtts de Suitensibus, gedruckt im Thesaur. Hist. Helvet etc. — Tignri
1735. pag. 2.
J
4. Konrad Gesslers apokryphe Chronik. a2Q
Die Edelfrau von PfuUendorf, so erzählt der Stadtchronist
weiter, wohnt auf der Burg*) in der Stadt Zug und ist ein so lecker-
haftes Weib, dass sie den dortigen besten Landwein »Rosssaft«
schilt und nichts anderes mehr essen will, als die Leber der
Trüschen**) aus dem Zugersee. Die verdiente Strafe bleibt nicht
aus. Das adelige Leckermaul stirbt verarmt im Spital zu Zürich,
ihr Schloss bewohnt der Zugerburger Uely Eberhard.
Hier sind zwei Sagen aus dem Zürcher und aus dem Schwaben-
lande in eine zusammen genöthet. Elisabeth von Matzingen, Äb-
tissin des Regula-Felixstiftes in Zürich, soll nach der Erzählung
dortiger Chronisten den Weinberg zur Goldnen Halden am ZoUi-
konerberge in lauter Trüschenlebern' durchgebracht haben. (Zürch :
Antiq.-Mitthll. III, 117.) Die gleichnamige schwäbische Sage steht
in der Chronik des Stiftes Reichenau***): »Es ist ouch die sag,
das ain frow (gräfin) von PfuUendorf die statt PfuUendorf ver-
zert und verton hab an trischenlebren zuo essen.« Gerade diese
Stelle hat Aeg. Tschudi aus Reichenauer Quellen (er nennt sie
Gesta Augiae) in seine handschriftlichen Excerpten eingetragen,
welch letztere in der Engelberger Klosterbibliothek aufbewahrt
werden, und aus diesen hat sie Zurlauben für seine Mon, Tugiensia
ni. 126b. copiert.
Mit einem Sprunge geht hierauf der Chronist aus der
Zuger Ortssage über auf die Unabhängigkeitsgeschichte der
Waldstätte, um dann gleichfalls diejenige der Stadt Zug daran
knüpfen zu können. Unter dem Schutzherrrn Rudolf von Habs-
burg, sagt er, waren die drei Länder in guter Hut, nach ihm
aber sind sie gar streng bevogtet worden. »Da erhueb sich Wil-
helm Thell vnd Emy vss Melchtal sambt dem Stauffacher, die
fiengen an zum Erst die Vogt vertriben.« Wie stabil nun der
Gebrauch gerade dieser Phrase schon damals in der katholischen
Schweiz geworden war und wie ganz zwecklos dieselbe weiter
angewendet wurde, erweist das Jahrzeitbuch der Freienämter-
•) Das Haus Namens Burg lag im 15. Jahrhundert noch ausserhalb der
Mauern Zugs und war das städtische Sesshaus der Freiherren v. Wildenburg ; jetzt
ist es neben St. Oswald gelegen und heisst noch die Burg. MS. Bibl. Zurl.
fol. 23, pag. 14.
*•) Die Aalraupe, gadus Iota, im Mittelalter überaus beliebt.
**•) Diese Chronik, seit 149 1 durch den Reichenauer Stiftskaplan Gallus Oheim
aus vielerlei Quellen und Chroniken zusammen getragen, hat Barak 1866 edirt.
Unser Citat steht da auf S. 127.
430 II« I^>c Gessler von Bninegg in Geschichte und Sage.
Kirche von Vilmergen, welches 1591 geschrieben ist. Dasselbe
enthält auf Fol. 141 unterm 29. September, als am Feste St
Michaels, folgende mit obiger Stelle wörtlich übereinstimmende Ein-
zeichnung: »1291 starb küng Rudolff vnd wurdend die lender vast
hart bevogtet. Da erhub sich der Stauffacher vnd Wilhelm Tel!
mit iren geselschaften vnd vertribend die vögt vnd den gewalt.c
Nachdem den Vögten alles Böse nachgesagt ist , Zug die
seinigen erschlagen und vertrieben hat ; nachdem sodann der adel-
ige Chronist Konrad Gessler dem Städtlein Zug zum Schild-
halter gedient hat, niuss derselbe an jener gefährlichen Stelle, wo
dem Vogte in der Hohlen Gasse ein Ende gemacht wird, freilich
ganz aus dem Spiele bleiben, weil er ja schon in die Urzeit Zugs^
gehört. So wird Gesslers sagenhaftes Ende stillschweigend um-
gangen und es liegt an jener Vogtsgeschichte für Zug auch nichts^
wenn man dasselbe an der Unabhängigkeitsgeschichte der Wald«
Stätte nur noch rechtzeitig mitprofitiren lassen kann. Darum erz
das Schlusskapitel mit schlaugemeintem Nachdruck, wie Zug 135
>genöthigt wird,« dem Bunde der Waldstätte beizutreten. Es i
von letzteren belagert; um nun seinem ursprünglichen He
nicht treulos werden zu müssen, schickt es schleunig einen Bot
gen Königsfelden zu Herzog Albrecht.
Das Ende ist hier abermals die allbekannte Anekdote. Aa
statt der Bürger dringlichen Brief zu lesen, fragt der Herzog sein
Falkner, ob die Sperber heute richtig gefressen haben. »Vff
verbunden sich die Burger recht starkh mit Eidt vnd pflicht zu d
Eidtgnossen, doch ohn entziehung jhrer Fryheiten, wie sie va
dem Adel herbekommen. Die Eidtgnossen Hessen jren zus^
in Zug, damit die Zuger nit überfallen wurdent von dem öd
richer Adel, der noch hin vnd her streipfte.« Diese emöthel
Versicherung heisst mit den Worten der wirklichen Geschichi
also. Die Vierwaldstätte haben das Amt Zug gegen dessen AI
sieht gewaltsam überzogen und darauf von sich aus seit 1371
1389, also achtzehn Jahre lang, hier den Ammann gesetzt*). Wi
müssen, sagt daher ein einheimischer Geschichtsforscher **), zweifeJ
an einer Abordnung von Boten, an ihren Gesprächen mit d
Herzog und an dem Histörchen wegen des Falkners. — G
*) Die bezügliche Urkunde von Mitte März 1371 liegt im luzern. Staatsarchii
Segesser RG. II, 35.
♦♦) Prof. Bonifaz. Staub von Zug, im Geschichtsfreund Bd. 8, 176.
4« .Koniftd Gesslers apokryphe Chronik. ^^I
wohl; allein woher doch diese durch jede Schweizerchronik lau-
fende Frage des Herzogs i;m seine Sperber ? Es stammt zunächst
aus der von den eidgenössischen Vögten in den gemeinen Herr-
schaften erhobnen Abgabe, die das Vogelmahl und die Sper-
bersuppe genannt und unter diesem Namen von Mitte des 15.
bis Ende des achtzehnten Jahrhunderts fortbezogen worden ist .*)
Diese Steuer war aus dem Schutze erwachsen, den der Zwing-
und Grundherr, als alleiniger Inhaber der Hochjagd, durch Ver-
tilgung der Raubthiere der weidenden Heerde der Markgenossen-
schaft angedeihen liess. Und aus dieser Rechtssatzung bildete
nachweisbar das Zuger Histörchen sich heraus, sei's missverständ-
lich, sei's mit absichtlicher Sachverdrehung. So ergiebt sich dies
aus der Öffnung des Hofrechtes von Egeri. Dieses Weisthum, bald
nach 1352 niedergeschrieben, schliesst mit folgender Angabe:
euch hat min her von Oesternch sin rechtung hie gehebt, do
wir sin vogtlüt warent. das stund an vier stuckinen: an zins-
habern, an zinspfennigen, an zinsvischen und an der stür. Vnd
wenn wir die Summ ald die stuck ze .[end] gerichtend, damit sol-
tend wir von im sin vnzit [bis] an den hochen wald: das sind
die sperwer, die sind ouch mins herren. Grimn^, Weisth.
I, 161.
Durch noch mancherlei kolossale Angaben fordert die Chro-
nik unser Erstaunen heraus, wie z. B. dass Cham hundert Jahre
vor Christo zu den Zeiten des Kaisers Wenzeslaus zerstört wor-
den ist; indess hiemit schon genug, um die fernere Nachfrage
nach der Gesslerchronik überflüssig gemacht zu haben. Warum
aber geschah's, dass gerade ein Konrad Gessler von Meienberg zum
Autor dieser Erzählungen gemacht wurde, und dass er sein Werk
gerade auf dem Schlosse Reussegg geschrieben haben sollte?
Hierauf enthält unser vorliegendes Buch schon eine Reihe erschöpfen-
der Antworten, und es genügt, hier nur einige hervor zu heben. Seit
125 1 sind die aargauischen Gessler Bürger im herzoglichen Städt-
*) Anno 1483. Die zu Wallenstadt sollen alljährlich dem Vogte das her-
kömmliche Vogelmahl auf ihren Alpen geben. Eidg. Absch. III. i, 159. —
Die eidgenössische Jahresrechnung von 1645 bestimmt über die Moderation der
Gefälle des Landvogtes in der Grafschaft Baden: Es soll ein Landvogt wegen
des Sperbers mehr nit für jeden Zurzacher Markt verrechnen, als zwei Pfund.
Documentenbuch des Klosterarchivs Muri, Q. I— III, pag. 168. Das hds, Ma-
nuale des Badener Landvogtes Nabholz vom Jahre 1724 bestimmt: »Für die
Sperbersuppen in dem Audienzhaus: 37 Pfund 16 Schilling.
A72 n. Die Gessler von Brunegg in Geschichte nnd Sage.
chen Meienberg, seit 1369 Landvögte daselbst. In dieses Amt
aber gehörte die Herrschaft und Burg Reussegg so gänzlich, dass.
alle ausserhalb des Reussegger Burggrabens verübte Frevel unter
die Gerichtsbarkeit des Meienberger Vogtes fielen und dass dieser
hier ausser der Obergerichtsbarkeit auch das Verfugungsrecht
über die Kriegsmannschaft ausübte. Nach dem Abgange der
Gessler liegen die Gemeinden des Amtes gegen den Reuss^ger
Burgherrn in einem mehrjährigen Streite, welchen' Luzem, als da-
maliger Oberherr des Amtes, dahin entscheidet, dass alle dortige
Mannschaft ausnahmslos unter Meienbergs Panner in's Feld zu.
rücken pflichtig sei. Die Burg kam durch Verkauf von deni
Freien von Reussegg 1429 erstlich an die zwei Luzemer Hans
Iberg und an den Stadtschreiber Melchior Russ, alsdann 1503 aa
die Stadt selbst. (Segesser RG. II, 66 — 68.) Grundes genug
für den seine Chronik feilbietenden Suter, eben dieser Stadt Lu*
zern ein historisches Compliment zu machen zum Besitze diesen
Burg, zu deren Herrlichkeit nun nichts mehr fehlte als die ad
ihr verfasste Gesslerchronik.
r
Staufachers Haus zu Steinen und die heilige
Kümmernisskapelle.
Ich bin Regent im Land an Kaisers Statt,
Ich will nicht, dass der Bauer Häuser baue
Auf seine eigne Hand. Ich werd^ mich unterstehen.
Euch das zu wehren.
Mit obigen Worten erzählt Schiller dem Chronisten Tschudi
öach, der Landvogt Gessler, eines Tages durch das Dorf Steinen
im Bezirke Schwyz reitend, habe hier Wernher Staufachers neu
gebautes Wohnhaus bemerkt und ärgerlichen Tones die Frage
gethan, wessen es sei; worauf Staufacher unverweilt erwiedert
habe: das Haus sei des Kaisers, sowie Sr. Gnaden des Reichs-
vogtes Eigenthum, er selber trage es zu Lehen. Gessler habe
sich indessen mit dieser demüthigen Antwort nicht befriedigt,
sondern im Wegreiten erklärt, ohne seine Erlaubniss sei und
bleibe es den Bauern untersagt, Häuser aufzufuhren. Tschudi,
hierüber weiter berichtend *), bedient sich sofort derjenigen Phrase
von bekümmert sein und seinen Kummer klagen, welche
er in demselben Sachzusammenhange bereits bei seinem chronisti-
schen Vorgänger, dem Schälly von Obwalden, gefunden hatte.
Bei diesem macht sich nemlich Staufacher über Gesslers Rede
grossen kumber, wird von der Hausfrau ausgeforscht und
gebeten, das er jra seit, was sin kumber was, geht auf
*) Erster handschriftlicher Entwurf zur Chronik, abgedruckt im
Archiv für Schweiz. Gesch., Band 19, S. 386 — 392.
Rochholx, Teil und Gessler. 2$
A^A TL Die Gessler von Bnmegg in Geschichte und Sage.
ihren Rath nach Uri und findet daselbst einen, der auch
sollichen Icunber hat, worauf diese Beiden sich zum Fürst
aus Uri gesellen und klagt jekl icher dem andern sin
not und sin kumber.*) Während wir diesem aufiallend oft
gebrauchten Stichworte heut zu Tage nur den allgemeinen BegriiF
eines natürlichen Grames beilegen, hat es hier bei beiden Chro-
nisten den besondem einer erlittnen, in Rechtskraft erwachsnen
Beschlagnahme und Behaftung, weiter aber ist es dann zu jener
sonderbaren Heiligen Kümmerniss personificiert worden, welche
ihre Gläubigen miraculös entkümmert und der drückenden
Behaftung wieder entledigt. Eben darum sind dieser Heiligen
zwei Wallfahrtskapellen zu Bürglen in Uri und zu Steinen in
Schwyz errichtet, als an den Orten, wo Teil und Staufacher ,
wohnten, die zwei durch Gessler Bekümmerten. Muss es schon!
genugsam befremden, hieraus zu ersehen, dass man die Gründung |
des Rütlibundes abhängig gemacht hat von einer Heiligen, gegen I
die sich deren eigne Kirche und unsre Muttersprache gleichmässig |
sträubt, so geht doch die Keckheit, mit welcher Tschudi hier i
seine Gessler - Anekdote vorträgt, noch viel weiter und es bleibt |
geradezu unbegreiflich, dass ihn deshalb nicht schon seine eignen j
Zeitgenossen entweder zurecht gewiesen oder verlacht haben ;
sollen. Sahen sie doch in diesem Märchen keineswegs ein ver-
meintliches Beispiel des über den bäuerlichen Wohlstand aus-
brechenden groben Adelsneides, sondern nichts anderes als die
von ihren einheimischen Satzungen dictierte und von ihren selbst-
gewählten Ammännem correct voUzogne Amtshandlung. Zwei-
mal war Tschudi Landvogt der Altgrafschaft Baden gewesen,
von 1533 bis 35, und von 1549 bis 51; er musste als solcher
das dem Gessler nur einmal in den Mund gelegte Urtheil amts-
gemäss und auf Grund des Landrechtes selber und so oft sprechen^
als der gleiche Fall vor dortigen Grafschaftsgerichten anhängig
war. Dies lässt sich aus gleichzeitigen und aus späteren Erkennt-
nissen der Obrigkeit darthun.
Am 16. Juli 1596 verklagt die aargauer Gemeinde Alikon^
im Kreise Meienberg in den Obern Freiämtern, ihren Mitbürger
Hans Huwiler an der Tagsatzung der Schirmorte zu Frauenfeld,
weil derselbe »seiner vielen Buoben und Meitschinen wegen« ein
neues H'aus ohne Bewilligung der Ortschaft zu bauen begonnen.
*) Chronik des Weissen Buches, Sonderabdruck durch G. v. Wyss, S. 7.
i
r 5. Staufachers Haus zu Steinen und die hl. Kümmernisskapelle. A^t
i
Der Entscheid hiess: Das neue Haus solle als keine »Ehrenhof-
statt«, sondern als ein »unehrliches Haus« gelten, und so es ver-
brenne oder sonst zu Grund gehe, müsste das Holz zu dessen
etwaigem Wiederbau ausserhalb der Gemeifide hergenommen
werden.*) Zwei Zürcher Raths- Entscheidungen von 1586 und
1679 besagen : , »Es sollen künftig ohne höchste und ohnentbär-
liehe Nothwendigkeit keine neue Häuser mehr gehauen werden;
wer aber also eines bauwt, der soll des Gemeindwerks in Holz
und Feld nicht Genoss sin, er bezalle dann der Gemeind hundert
Pfund gelds.« Bluntschli RG. 2, 75. Es beschliessen im Jahre
1606 die Gesandten von Städten und Ländern auf der Jahresrech-
nung zu Baden : »Widerumb werdent wir berichtt, dass by Vch
man sich der alten Hüseren und Hofstetten vilmalen nicht mehr
behelfen, sondern nüwer habent welle; dardurch das Gemeine
Werk übel geschwechet und die Dörfer mit grossem schaden
übersetzt werdent. Deswegen wir aber angesechen und verordnet:
dass furhin kein Dorf oder Gemeind einige nüwe Huss- und Hof-
stett auszutiieilen solle Gewalt haben ohne Vorwissen und
Bewilligung Vnseres Landvogts, welcher dann Solches nit
leichtlich und ohne nothwendige Ursach erlauben
soll.«**) Diese letztere Verfügung blieb dauernd und wurde
darum auch in das Landesurbar der Freiämter von 1634 auf
S. 337 eingetragen. Die Zuger Dorfgemeinde Baar beschliesst
1741: Kein neues Haus, an der Stelle erbaut, wo vorher noch
keins war, darf die Dorfgerechtigkeit mitnutzen, selbst wenn es von
einem Dorfmanne, einem erbgesessnen Ortsbürger, erbaut ist.***)
Sehen wir nun, ob solcherlei Satzungen nicht auch in der Land- *
Schaft Schwyz von jeher bestanden hatten. Diese letztere war
getheilt in die vier Viertel oder Genossenschaften des Fleckens
Schwyz, die sich ennet der Blatten nannten, und in die zwei
Genossenschaften von Steinen und Art, diesseits der Blatte
gelegen. Die Orte Steinen und Art, als Privateigenthum der
Österreicher Herzoge noch im Habsburger Urbar vom Jahre 1309
verzeichnet stehend (Ausg. von Pfeiffer, S. 192), waren erst seit
1319 mit dem Lande Schwyz in staatliche Verbindung getreten,
*) Geschichte von Meienberg. Beigabe zur Zeitung Freischütz, Jahrgang
1867, S. 150.
**) Archiv des Klosters Muri : Dokumentenbuch Q. I — III, S. 269,
') Stadiin, Gesch. des Kt. Zug III, S. 136, 158, 163.
28*
i
A26 ^ ^ic Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
wie die Textstelle ausdrücklich besagt : universiiates de Suize,
de Steina, de Mutedal et de Ariha. Blumer RG. i. 210.
Fr. V. Wyss, Ztschr. f. Schweiz. Recht, Bd. 18, 86. Wo lag nun
daselbst Staufachers Wohnhaus ? Wie wir wissen, in der Gremeinde
Steinen und, wie bei Schälly und Tschudi ausdrücklich mit an-
gegeben steht: dissent der brugg, mithin gerade an der Grenze
zweier hier aneinander stossenden Markgenossenschaften. Die
Gemeindemark war aber im Lande Schwyz ein in Feld, Wald,
Weide und Gewässern unvertheilter, nicht in's Sondereigenthum
übergehender Gesammtbesitz der Genossenschaften, dessen Mit-
nutzniessung den Lehnsleuten und Hintersassen nur bedingt und
zeitweilig gestattet war; so besagt es die Urkunde von 1294 Jbi
des Römschen kvnges Adolfes zitenc, in Kothing's
Schwyzer- Landbuch, S. 265. Die Genossen zusammen regelten
die Art und Weise des Anbaues oder der Brachlegung der Feld- ;
flur, die Ordnung der Almendbenutzung etc. Ueber die Einhal-
tung ihrer Satzungen wachten die Viertels- und Einungsmeister
und deren Haupt, der Ammann. Eine seiner besonderen Amts-
pflichten war, die Gefahr der Schmälerung von der Gemeinde-
marche abzuwenden, welche derselben durch jedes in ihr neu ent-
stehende Sondergut drohte. Sämmtliche Nutzungsberechtigungen
und Gemeindelasten ruhten auf den vollberechtigten Bauernhöfen,
deren Zahl darum eine feststehende und schon seit dem 14. Jahr-
hundert für eine abgeschlossne erklärt worden war. Nicht also
erst ein Landvogt, sondern ein jeder Ammann musste sein Veto
einlegen gegen einen die Zahl der Bauernwohnungen hier ver-
• mehrenden Neubau , auch wenn letzterer von einem Landleuten-
geschlechte unternommen wurde, also von einem solchen, welchem
bereits ein volles Gemeinderecht an Feld-, Wald- und Weide-
nutzung hier zukam. Es kann daher nicht im mindesten auffallen,
dass dasselbe Verbot, welches dem Gessler zugeschrieben wird,
in den Beschlüssen der Landsgemeindei^ , in den Rathsdecreten
der Städte und in den Erlassen der Tagsatzung gleichmässig und
zu allen Zeiten sich wiederfindet, immer und ausdrücklich auf
den Schaden hindeutend, welcher durch Neubauten dem Gemeinde-
werke erwachse. Die Schwyzer-Landsgemeinde kam 1405 sogar
zu dem schreienden Beschlüsse : Die Beisassen aus andern schwy-
zerischen Bezirken sollen im Dorfe Schwyz Häuser nicht einmal
kaufen dürfen. Meyer-Knonau, D. Kt. Schwyz, S. loi.
Bestanden nun derlei gemeindewirthschaftliche Massnahmei
5* Staufachers Haus zu Steinen und die hL Kümmemisskapelle. a^j
im Schwyzerlande schon ursprünglich, waren sie hier vom Volke
selbst ausgegangen und wurden sie von ihm im Laufe der Zeit
i nicht etwa zeit- und sachgemäss beschränkt und gemildert, son-
I dem sogar noch bis zur Grausamkeit verschärft, so lief jene Sage
von Gesslers Verbot gegen Staufachers Hausbau Gefahr, als eine
blosse Ungereimtheit erkannt zu werden, und man musste ihr
darum mit einer kirchlichen Zuthat beispringen. Man gab daher
vor, Staufachers Wohnhaus sei seit dem Jahre 1400 in die Kapelle
zum heiligen Kreuz uitigebaut worden, stellte darin das Bildniss
der heiligen Künunemiss aus und verbreitete amtlich und kirchlich
den Glauben, dies sei das seit Gesslers Zeiten für die Freiheit der
Schwyzer und Umer wunderthätig gewesene Gnadenbild, welches
darum zu bewallfahrten beider Länder fortdauernde Christen- und
Bürgerpflicht rei. Die Kapelle trug im Jahre 1782 folgende
von Zurlauberi kopierte Inschriften.
Hier ist zu sechen wo gebaut Staufach sein Hauss.
1307 ist £ss gewesen
darbei gesler sein Rachgiehr üebte auss. *)
Margarith die getreue
diese andung gschmertzet sehr,
hatte gut befunden
mit Fürst vnd arnold sich z'berathen,
auch andern Freunden mehr.
(Auf der andern Haus-Seite):
Von dahär hat wieder angfangen d'freyheit Leben,
die vnsre vätter durch Tapferkeit bracht zVegen
Vnd auch wir geNiesen solche in der ruh,
Aber achl wie schauet man darzu?
Gott geb seinen fehmeren seegen darzu.
Ueber das Alter und den Zweck der Kümmemisskapelle zu
Steinen giebt es mehrfache, durchweg sich widersprechende An-
gaben. Wir haben dieselben bereits im Sagenkreise von Teil
auf S. 150 bis 134 besprochen. Caspar Lang lässt die Kapelle
sammt dem Gnadenbilde schon 1 307 als zu Staufachers Lebzeiten
*) Zurlauben, Stemmatographie Bd. 64, S. 8 setzt zur Abschrift der zweiten
lind dritten Verszeile eine die Jahreszahl und den Vogtsnamen bessernde Variante:
1308 ist Es gewessen
I
i f
I daGrissler sein Räch geübet Aus.
^^8 II« I^^c Gessler von Brunegg in Geschichte and Sage.
bestehen ; das falsche Urner-Landesdecret setzt ihr Vorhaadenseia
i^uf 1387 an; noch jünger wird sie bei Jos. Thom. Fassbind,*)
dessen Worte wir aniiihren müssen. »Die heilige Kreuz -Capell
an der Landtstrass, in der Kilchhöri Steina. Vnweith uom dorfT
an der Landtstrass gehn Schwiz ist anno 1400 eine Capell zum
andenken jener begegnuss des Herrn Werners von Staufach mit^
dem Reichsvogt gessler erbaut worden. Auf der andern Seith^
*
der gass stuhnd die bürg, so gedachter Werner wider Willen dtf
Vogts hat bauwen lassen und wouon noch starke Rudera, nacK'
zeugnuss alter Leuthen im vorigen Seculo, fenster, thüren^
gewölber, alles von Stein, zu sehen gewesen» jez aber ganz
zerfallen und überwasmet ist. 1684 hat Innozenz XI., Rom.
Papst, diser Capell laut Bulla einen Ablassbrief uerlichen;
1788 ist sie erneueret, 1790 ein neuer altar darein gemacht wor-
den, uon aussenher aber ist sie mit vier gemälden (geschmückt
worden), so die da uerloffne that, den Krieg am Morgarten, die
bürg Schwanau und die beschwörung dess Bunds im Rütlin uor-
stellen, alles auf Unkosten einiger Partikularen. Seith undenk--
liehen Zeit befindt sich da ein hölzenes Kreuz, daran die bild-
nuss der heiligen Jungfrau und Martirin Wilgefordis, oder'
Kümmernuss ins gemein genent, mit einem langen hart hanget,
ganz gleich dero zu Bürglen und zu Einsidlen, deren sich die
Steiner in ihren Kreuzgängen bedienen. Die Steiner tragen gar
grosse andacht zu disser bildnuss und war lange Zeit mitten der
Kirch ob dem Kleineren altar aufgestellt und heisset in ihren alten
Schriften das heilige Bild. Und hat sich einsmals gar wunderlich
zugetragen, dass, als man eines Jahrs die Bittfahrt nach Bürglen
unterlassen, dise bildnuss durch übernatürliche Krafft uon da weg-
kommen und morgendes zu Bürglen in der Kirch gefunden wor-
den, Worauff die Bittfahrt neuerdings und mehrerem Eifer wider
uor genohmen und bis auf heutigen Tag fortg^esetzt wird.€ So
schrieb Fassbind im Jahre 1792.
Den Anlass zur Sage von einer politischen Erinnerungsfahrt
der Bürglener nach Steinen und der Steinaer nach Bürglen könnte
man in den frühzeitigen Beziehungen suchen, in denen das schwy- '
zer Frauenkloster Steinen zum umerischen Bürglen gestanden
hatte. Es urkundet nemlich am 8. Mai 1287 Ritter Rudolf von
*) Geistliche Alterthümer des Landes Schwyz, tom. II, pag. 141 ; Handschrift
der aargauer Kt.-Biblth., bezeichnet: Bibl. Nov. 43 fol«
5« Staufachers Haus zu Steinen und die hl. Kümmemisskapelle. 430
hzermsch Schauensee und vermacht da unter letztwilligen Ver-
iilgungen von seinen Gütern: dien vrowen von Stein a ein
guot, heisset Heldis und lit ze Bürgeion. Gesch.-Freund
11,7$. Es war demnach das Kloster Steinen schon im 13. Jahrh.
gnmdherrlich zu Bürglen in Uri, und ein Zusammenhang Idrchen-
"fienstlicher Feier, gleichzeitig begangen im Schwyzerkloster und
''if dessen Umergute, ist also damals schon erklärlich: die zu
>eiden Ortskapellen gehörenden Dienst- und Zinsleute hatten
virthschaftlichen Anlass und ortskirchliche Pflicht, sich gegenseitig
zu bewallfahrten. Hatten sie sich doch auch unter die gleiche
Kirchenpatronin gestellt, verehrten deren Holzbild, und dieses, wie
die Legende erzählt, machte aus eignem Antriebe die Wanderung
von Steinen nach Bürglen, wenn die Kirchhörigen dies zu thun
unterlassen hatten. Jedoch den richtigen Grund von Allem hat
man gewiss nur in der Legende und dem Heiligenbilde der
Kümmerniss zu suchen, wie aus Nachfolgendem erhellen soll.
Das Kümmemissbild in Steinen ist neben der Kanzel an der
Kirchenmauer aufgestellt, ein vier Fuss hohes bemaltes Schnitz-
)ild, an ein 7 Fuss langes Kreuz geheftet. Es stellt einen leben-
den Frauenkörper vor und trägt ein weissgrünes Hemde, das die
Hüfte gürtet, bis an's Knie reicht, Füsse, Hände und Hals ent-
fclösst lässt. Das Haupt ist gekrönt, das Haar wallt frei über
Nacken und Schulter, Wange und Kinn umgiebt ein mächtiger
Vollbart. Wozu nun dieses bärtige Mädchen Namens Kümmer-
»ss hier in Staufachers ehemaligem Wohnhause ? Sife hat, ist die
Antwort, den in seinem Besitze widerrechtlich Bedrückten und
Behafteten von dieser Gesslerischen Uebergewalt wunderbar er-
ledigt. Eben diese gerichtliche Anfechtung und Wieder-Erledigung
des Eigenthums heisst in der Rechtssprache Bekümmern und
Entkümmern, wie vorhin bei Tschudi und Schälly Kummer,
und dieser sprachliche Grund hat den Anlass gegeben, die Na-
menssage von der heiligen Kümmerniss kirchlich zu produciren
und hier politisch zu localisiren. Was vorerst den Inhalt und
Charakter der Legende betrifft, so stützen sich alle hierüber
nachfolgenden Angaben auf die BoUandisten , bei denen, Bd. 5,
S. 50 bis 70, die Legende unterm* 20. Julius weitschweifig erzählt
jund mit verschiedenen Abbildungen illustrirt ist.
I Die Heilige ist eine Königstöchter; bald eines lusitanischen,
bald niederländischen, schottischen, sorbenwendischen u. s. w.
Heidenfürsten, je nachdem eben die heimatlose Geschichte sich
^j\n II. Die Gessler-von Brandig in Geschichte und Sage.
nach einem Heimatsorte umsehen muss. In Folge ihrer kömg^
liehen Abkunft wird ihr Bild stets gekrönt dargestellt. Bei ihrer
hohen Körperschönheit hat sie sich der Anfechtungen von Seite
des eignen Vaters so sehr zu erwehren, dass dieser darüber er-
grimmt und sie an's Kreuz schlagen lässt. Bereits aber hat der
Himmel ihr Flehen erhört und ihre Wohlgestalt plötzlich durch
einen hängenden Vollbart entstellt , und so trägt sie als ein keu«
sches und tapferes Mannweib eine ganze Reihe von Ehrennamen.
Aus dem kirchlichen Beinamen Virgo fortis und dem welschen
Vierge forte 'Wurde eine belgische und niederdeutsche Wilgt-
fortis, und wiederum eine welsche Dignefiortis.*) Die Bei^
namen Liberata und Lih erft tr i x, französisch Sa in te Livra de,
erhielt sie als die durch Gottes Hilfe aus der Tyrannenwillkür
Erledigte und Erledigende, und hiemit beginnt diejenige politische
Rolle, welche der Heiligen in der Steinaer Kapelle zugedacht
ist.**) Der Name Liberairix verdeutschte sich am Mittelrhein und
in Hessen zum kirchlichen Sünte Hilpe, Sanct Hilf, mit dem
Wallfahrtsbilde auf dem Hilfenberge bei Hessisch Wanfriedt.
Grimm, Deutsche Sag. No, i8i und 329. Gemäss ihrer körper-
lichen Verstaltung wird sie am Main um Aschaffenburg die hLt
Veränderung genannt. Birlinger, Aus Schwaben i, S. 498.
Nun tritt zu dieser Namenszahl noch ein scheinbar neuer, ifli
Wahrheit aber bloss ungeschickt entstellter. Er steht in der altd*
Legende der Pfalzer Handschrift zu Heidelberg (abgedruckt in
Mone's Anzeiger 1838, S. 584) und wiederum in der Chronik vom
Schuttem, Strassburger Diöcese, abgedruckt in Mone's Quellen-
sammlung III, io8a: »Sie haist mit Namen Kymini und wirtf
genant Kymmemuss und liegt in Hollandt in einer kyrchen, ge*
*) Es giebt eine heilige Edigna in Baiern, geschildert in Panzers Bair. Sag.>
2, S. 49; und eine heilige Digna von Aquileja, deren Jungfräulichkeit der Hunnenr;.
könig Attila vergebens bedroht. Zedier, Universallexikon.
**) Das Officium Seguntinum (Siguenga in Spanien) ist vom Jahre 1682 und,
enthält zum 20. Juli nachfolgendes canonisch approbirte Festgebet: O felix li-
berata, a tyrannorum saevitia liberata, o gloriosa Wilgefortis, quae nbique
fortis in certamine reperta es! o patrona admiranda civitatis et dioecesis SeguiH
tinae, fac nos tuis precibus ad gaudia coelestia pervenire. Quaesumus, Domineg
ut quae pro pudicitiae defensione in cruce pependit, ab inimicorum insidiit
sua nos protectione defendat. Acta SS. tom. V, 55. Aus dieser Seguntiner- Li-
berata und der belgischen Wilgefortis zusammen hat der trügerische Pseudo-Dextcr
zu Ende des 16. Jahrhunderts Eine Person gemacht und jener Beider Namen in
einen zusammengesetzt. Acta SS. 1. c. No. 83 u. 86.
5. Staufacheis Haus zu Steinen und die W. Kümmernisskapelle. 441
nant Stonberg.« Gemeint ist mit letzterem Orte die braban-
tische Stadt Steenbergen, woselbst zu Anfang des vorigen
Jahrhunderts ein Dünenstrich Sinte Ontcommers Polder, der
heiligen Ontkommera Meerdamm, genannt worden ist. Diese
Notiz ist auch in der bei den Bollandisten gedruckten Legende
mitenthalten. Da aber zu Steenbergen weder sonst noch jetzt
von einem Wilgefortis- oder Ontkommera -Grabe etwas bekannt
gewesen ist, noch viel weniger, wann oder wohin derlei Reliquien
aus diesem protestantischen Orte versetzt worden wären, so hat
selbst der Bericht erstattende BoUandist sich über die Leicht-
gläubigkeit der Baiern und Schweizer verwundem müssen, welche
gerade dieses holländische Steenberg so nachdrücklich als der
Heiligen Grabstätte bezeichnen. Allein dieser Wirrwarr entspringt
lediglich aus der Entstellung und Missdeutung der Formen, die
das Wort Kummer in den deutschen und welschen Idiomen
angenommen hat. Jener Sinte Ontkommers Polder ist buch-
stäblich ein Meerdamm, der die dortige flache Küste zu ent-
kummern, d. h. des Meerschlammes zu entlasten hat. Das
Wort Kummer stützt sich auf den lateinischen Wortstamm cu-
lulus und drückt in den deutschen und romanischen Idiomen
ursprünglich denselben sinnlichen und sodann den aus ersterem
fclgenden moralischen Begriff aus, auf welchem beiderseits Name
Und Legende der Kümmemiss beruht.
Mittellateinisch ist ^^^^r«j Bauschutt; altfranzösisch dicom-
ires, encombrey neufranzösisch comble; portugiesisch combro,
Damm am-Wasser; ahd.. kumbar^ mhd. kumber und kommer
bezeichnet den Schutt- und Steinhaufen, den lastenden Abraum.
In Justingers Bemerchronik, ed. Studer 196, heisst es bei Erzählung
einer Feuersbrunst zu Bern : Die Bürger aus Freiburg hülfen ze
Beme die stat rumen und den kumber und den herd usfiiren.
h der aargauer Mundart ist kumber der in den Wiesengräben
angeschwemmte Bodenschlamm, der zur neuen Düngung des Grund-
ttückes ausgeschaufelt wird, kummern heisst Schutt wegschaffen.
Vgl. Öffnung von aargauisch Tettingen, in Grimms Weisthümem i,
301. Aus der Uebertragung eines mechanischen Druckes auf einen
moralischen empfieng das Wort kummer in deutschen und altfran-
2ösischen Rechtsquellen den Begriff persönlicher Belästigung und
Behaftung in dem Sinne von Sachen- und Personal- Arrest. Das
Schöffenweisthum zu Martrachdorf in der Altgrafschaft Isenburg
bestimmt: under den selbigen gerichten soll man keinen komern
l
j^jj^n. II* Die Gessler Ton Bnmegg in Geschichte und Sage.
(aussergerichtlich exequieren und in Schuldhaft bringen lassen)^
sondier mit recht vümemen. Grimm Weisth. VI, 740. Eine wal-
lonische Urkunde aus Namur vom 20. April 1439 ^S^ ^^ einem
Erbvertrage zum Schutze der betreffenden Erben bei: ^ue taut
ks dis heritegaiz nesioent de riens enpechiez ne encombrez (: verhin-
dert). Mone, Oberrh. Ztschr. 19, 264. Es beschliesst 1294 »Tri
des Römschen Kvnges Hern Adolfes ziten« die Gemeinde von
Schwyz, dass auf ihrem Schwyzer-Gebiete die Klöster und die
Fremden keine Grundstücke erwerben dürfen, dass aber der Einr
hieimische auch für dasjenige Gnmdeigenthum, welches er aa
Ausleute zu Lehen giebt, mitsteuem müsse, ohne dem Lehens-
manne dafür den Zins aufbürden zu dürfen: ieman, der sinea-
lenman dar vber kvnberren wolte... swer denne in kvm-
berte . . . derselbige büsst, so oft er dies thut, fünf Pfund und
entschädigt zugleich den Lehensmann. Kothing, Schwyzer-Land-
buch, 265. Im ersten Waffenstillstände, den die Waldstätte am
19. Heumonat 1318 mit den Österreicher Herzogen abschliessend
verwahren jene sich gegen jede Belästigung durch Berufung vor
fremde Gerichts-Instanzen: Es ist ouch ger6t vnd gelobt, das diei
vorgenampden Herren, die Herzogen vnd ir' diener, in disemi
selben fride vns nüet bekumeren svnt oder angrifen mit j
deheinen geislichen oder weltlichen gerichteft.
Die Forschung der BoUandisten über die Begründetheit xxxA
geschichtliche Herkunft der Kümmemisslegende äussert sich
schliesslich höchst ungehalten, ja wegwerfend bezüglich des ganzen I
Gegenstandes*), c Linguistische Idioten, . sagt da Wilhelm Cuper
no. 95, pag. 69 — müssen es gewesen sein, die so vielerlei
sprachlich dunkle Eigennamen auf eine einzige Heilige zusammen
gehäuft haben. Aber, fahrt er fort, dass sie nur dies gewesen
wären 1 Dass sie nicht aus priesterlicher Geldgier auch dazu er-
dichtet und solcherlei Gebete an die Heilige ersonnen hätten^
welche weitab von wahrer Demuth liegen und nichts enthalten,
als ein den Volksglauben anstachelndes Vorausversprechen, aia,
werde diese Heilige, wenn man ihr mehr zulaufe und mehr opfere,-
auch mehr erfüllen, als eine Andere, welche weniger voraus zu
versprechen hat.« Erst die beiden deutschen Jesuiten Adam
*) At taedet nos in hoc labyrintho diutius frustra vagari ! . . . An tales Sancti, j
Omnibus historicis et martyrologiis ignoti, qui in quodam Pseudo-chronico tantum* i
modo canonizantur, in ecclesia colendi sint, Sanctae Sedi judicandum reUnquo.
5« Stanfacbeis Hans zu Steinen und die hl. KUmmemisskapelle« >j>jj
Walasser und Peter Canisius, so erzählt Cuper weiter, hätten in
ihrem bis 1599 mehrmals erschienenen Martyrologium die Wilge-
fortis als die heilige Onkummer erklärt oder vermehrt, nachdem
sie. den Wilgefortis- Namen in des Greven 1515 zu Köln er-
schienenem Martyrologium einmal vorgefunden hatten. Und ähn-
lich hätten auch die belgischen Theologen zu Antwerpen und
Loewen bis zum Jahre 1583 verfahren. Erst nach diesen Vor-
arbeiten und aus ihnen sei dann unter Gregor XIII. die Wilgefortis
k das Martyrologium Romanum, gedruckt zu Antwerpen 1586,
eingetragen worden (Acta SS. 1. c, no. 80 u. 82).
Die Steinenkapelle in Schwyz vermag ihre früheste Ur-
kunde erst aus dem Jahre 1684 aufzuweisen; und wenn ihre Er-
bauung auf das angebliche Jahr 1400 zurück datirt wird, so ist
sogar dieses Datum eine blosse Entlehnung aus derjenigen Wand-
schrift, welche, laut den BoUandisten, in der Kümmemisskapelle
zu Neufahm zu lesen ist, einer Dorfkirche bei Freising, also
lautend: »Ihr Leib ruht zu Stein wart im Sand oder Pöringen
k Holland, dort ward er 1404 feierlich erhoben.« Stadler-Ginal,
Heiligen-Lexikon III, 644. Die Steinenkapelle will zwar früherhin
ausschliesslich zum Heiligen ICreuz geweiht gewesen sein ; allein dies
doch nur darum, weil das hier verehrte Bild eben .eine Gekreuzigte
darstellt. Aus demselben Grunde wird auch in der heiligen
Kreuzkirche zu München ein Kümmemissbild verehrt (Stadler-
Ginal l.*c.), und ebenso wurde zu Baar im Zugerlande die Neue
keilige Kreuzkapelle 1642, 28. August, durch den Konstanzer
Weihbischof Franz Carl Joseph zu Ehren der heiligen Wilgefortis
.oder Kümmemiss geweiht. Zurlauben Mon. Tug., Bd. 5, 289.
In diese Zeit des 17. Jahrhunderts fallt für Süddeutschland
und die Schweiz die Ausdehnung der Jesuitencollegien und damit
die weitere Verbreitung des Kümmemisscultus. Ueberall wo
dieser wundersüchtige Orden vorherrschte, treffen wir Kümmer-
oissbilder in den Hauptkirchen und lesen daran das Jahr ihrer
hier geschehenen Aufstellung. Dasjenige in der Leonhards-
kirche zwischen baierisch Dillingen und Steinheim, trägt die In-
schrift* 1674 (Sulzbacher -Kalender 1864, S. 49; 1865, S. 115;
i866). Eines von zweien solcher Bilder in der Stadt Lauingen
zeigt die Jahrzahl 1675. Schöppner, Baier. Sagb. i, S. 427.
Dasjenige in der bischöflichen Kathedralkirche zu Freiburg in
der Schweiz (genannt in den Actis SS. 1. c. pag. 64, no. 72) ge-
hört eben der Zeit an, da hier der Jesuitismus, seines politischen
AAA II* Die Gessler von Bnmegg in Geschichte und Sage.
Uebergewichtes sicher, zu den Kriegswaffen griff und die Refor-
mirten in der ersten Vilmergner- Schlacht 1656 aus dem Felde
schlug. Anderwärts und unter anderen kirchlichen Einflüssen war
damals bereits der öffentliche Spott über so unschickliche Bild-
werke wach, wie deren eines zu Muringen im Schwarzwalde
hieng, »bis zum Nabel nackt, die Cumerana genannt«; und der
katholische Theologe G. Zeämann, der in seinem Newen Wunder-
spiegel (Kempten 1624, S. 163) dies meldet, hält darum diese
ganze Legende »fast einem Märlein gleiche. Der französische
Carmeliter-Provinzial Andreas a S. Nicolaus meldete 1706 brieflich
aus Besangon, viele wackere Katholiken daselbst hätten sich ent-
setzt, als man ihnen das monstruose Bild einer bärtigen Jungfrau
zur kirchlichen Verehrung aufstellte, und dessen Entfernung ver-
langt, damit die weniger kirchlich gesinnte Menge nicht in Hohn-
gelächter ausbreche. Acta SS. 1. c. pag. 64, no. 71. Das
Kümmemissbild im Veitskirchlein oberhalb Telfs in Tirol Hess
der dorten stationirte Franziskaner -Pater verbrennen; dasselbe
Strafgericht ergieng durch den Augsburger Bischof über die
gleichnamigen Bilder, welche sich in der vorhin genannten
Leonhardskirche bei Dillingen sogar mehrfach vorfanden. Hier
hatten baierische Soldaten eine Dirne, deren sie müde waren, so
geschickt durch die Kleider hindurch an die Kapellenthüre an-
genagelt, dass sie über Nacht hängen blieb, bis Leute kamen und
die neue Kümmerniss losmachten. Ja dieser Name galt und gilt
in Tirol von solchen Frauenspersonen, »die Jeder bekommen kann.f
Webers Leipziger lUustr. Ztg. 1874, 21. Nov., S. 404. Endlich |
kam die Reihe auch an die Kümmemisswallfahrten in der Schwdz.
Auf Befehl der helvetischen Regierung wurden sie durch den
bischöflichen Konstanzer Generalvicar J. Thaddäus Müller, Stadt*
pfarrer zu Luzern, kirchlich aufgehoben »als Anlässe zum Aus-
tausche falscher, ruhestörender und unpatriotischer Begriffe.«
Gesch.-Freund 19, 189. Doch nach dem Wiener Frieden er-
schienen die Jesuiten neuerdings im 'Lande, Rom riss die deutschen
Kantone vom Kbnstanzer Bisthum und von Wessenbergs Einflüsse
los, jener Pfarrer Müller erhielt seinen Abschied (Gesch.-Fr;,
28, 176), die Stiftung neuer Bruderschaften und Kreuzwallfahrten
begann abermals. Das Kümmernissbild zu Schönbrunn bei Zug,
das hilfreich bei Geschwüren (Aissen) sich erwies und daher den
Namen »das Aissen-Mannli« trug, erhielt vor einigen Jahrzehnten
sein neues weibliches Kleid (Dr. Hotz, in der Leipziger lUustr.
5. Staufachers Haus zu Steinen und die hl. Kümmemisskapelle. AAt
Ztg. vom 15. April 1876). Im luzemer Pfarrdorfe Ruswil wurde
1828 eine Bruderschaft der heiligen Kumeri errichtet und gleich-
zeitig auch in dessen Filiale Rüediswil ein Heiligenhäuslein dem
heiligen Bischof und Märtyrer Kummerus geweiht. Geschichts-
freund Bd. 26, S. lOi und 147. So ist also die bärtige Jungfrau
hiea- nun völlig masculin gemacht, wie ähnliches schon vorher auch
zu Rankwil in Vorarlberg geschehen war, woselbst das Bild des
Gekreuzigten die Inschrift trägt Sanctvs Kvmernvs. Dass
der Kanton Wallis, dessen Bevölkerung bis auf die Gegenwart
von Jesuiten erzogen wurde, in diesem Cultus nicht zurückblieb,
dies berichteten jüngst die zwei dortigen Priester Ruppen und
Tscheinen in den Wallisersagen 1872, S. 136. Man erfährt hier
Folgendes. Das Kümmemissbild im Beinhause des Pfarrdorfes
Naters, eine Holzstatue mit bärtigem Weibergesichte in gekreuzigter
Stellung, hängt da in vier verschiedenfarbige alte Tuchröcke ge-
kleidetl Unzufrieden mit diesem Übeln Costüm, war. dasselbe
Willens geworden, aus dem Dorfe wegzulaufen, Hess sich aber
durch einen ihm begegnenden Bauern zur Umkehr bereden auf
die Zusage hin, dass man es alle sieben Jahre neu kleide. Diese
armselige Bedingung ist bis jetzt unerfüllt geblieben, wie die vier
schlechten Weiberjüppen beweisen, die es heute noch ungewechselt
trägt.
Inzwischen hat Dr. Hotz von Zürich in der Leipziger lUustr.
Zeitung vom 15. und 22. April 1876 einen Bericht über die
Kümmemissbilder veröffentlicht. Er steht dabei auf der Voraus-
setzung, dieselben seien ursprünglich männlich gedachte, wenn
auch missverstandene Nachbildungen des Salvator Mundi, der dar-
gestellt werde, mit weit geöffneten Armen die Mühseligen ein-
ladend: Kommet Alle zu mirl Diese Prämisse stützt Hotz vor-
nemlich auf ein rohes Steinbild der Kirche zu Ober-Winterthur,
das einen Heiligen gekrönt und gebartet zeigt und mit wagrecht
ausgespannten Armen so in die Mauernische hineingestellt, als
wäre er mit den Händen angenagelt. Diese symbolische Stellung
des All -Erbarmenden sei missverständlich auf diejenige des Ge-
kreuzigten gedeutet worden. Der eine Fuss dieser Oberwinter-
thurer Figur ist beschuht, der andere nackt, der daran gehörende
Schuh liegt am Boden, im Vordergrunde ist die Figur eines
knieenden Mannes angebracht. Hierin wird jener sagenhafte Spiel-
mann erkannt, der seine Bedrängniss dem Gnadenbilde in Tönen
vorspielt und dafür dessen einen goldnen Schuh zum Geschenke
A^Q II. Die Gessler von Bnmegg in Geschichte und Sage.
zugeworfen erhält. Dieser eine schönere Bestandth^il der Le«
gende (bekanntlich durch Justinus Kemer bedichtet im »Geiger
von Gemündc) bleibt fremdartig neben dem anderen stehen, wel*
eher sich bemüht, begreiflich zu machen, wie und warum St.
Kümmerniss zu einem Bart und an das Kreuz gekommen sei.
Den Aufschluss über Letzteres glaubt Hotz im Namen Kymini zu
finden, welcher der heiligen Kümmemiss jedoch nur ein einziges mal
beigelegt wird, derselbe solle nemlich ableiten aus dem schottisch-
irischen Komar, welches aufnehmen und umfassen heisse
und also der Handlung und Geberde eines Salvators entspreche.
Auf dieses vage Gebiet keltischer Etymologieen braucht unsere
schon entwickelte Namensdeutung sich nicht mehr zu begeben.
i
VI.
Zwing-Uri.
Das Uraerdörflein Amsteg an der Gotthardstrasse gehört in
das Pfarrdorf Silinen und hiess daher vor Zeiten auch Ober-
Silinen , sein anderer Name ist Unter-Stege. Hier mündet der
wilde Kerstelenbach in die Reuss, die neben dem Flusse hin-
laufende Strasse ist in den Felsenhügel Flühli selbst gesprengt,
hinter demselben liegt das Dorf mit seinen etlichen dreissig Häu-
sern geborgen. Es ist eingeengt von der Windgelle, dem Bristen-
iind Arniberg und auf der vierten Seite von jenem Felsendamm
Flühli, unmittelbar hinter dem Orte beginnt das Steigen der
Strasse. Eine den Durchpass sichernde Brücke und die dreistün-
dige Entfernung vom Hauptflecken Altorf bestimmte diesen Punkt
I 2um Susthause für die Transitgüter und zum Futterort für die
Saumthiere, dies gab ihm Entstehung und Benennung. In den
wenigen Mauerresten, die ohne Anzeichen ehmaliger Grösse oder
Stärke, bis in die Dreissiger Jahre auf dem Flühli vorhanden ge-
wesen, sah man nicht ohne Grund eine Zollstätte der Meier von
Silinen, welche hier die Gefälle des Zürcher Frauenmünster-Stiftes
einzuziehen hatten. Erst 1481 kaufte sich die Gemeinde von der
Zürcher Grundherrlichkeit los. Bei Unter-Stege war vor 1231 die
Südgrenze des Gebietes Rudolfs des Alten von Habsburg gewesen,
während das übrige Thal von Steg aufwärts in den Händen der
Rapperswiler Grafen sich befand. Es trafen hier also zweierlei
Twinge zusammen, der Umer Twing Unter- und der Ob den
Stegen. Mit diesen einfachen Angaben sind nun aber die Ge-
schichtsromantiker nicht befriedigt, durchaus wollen sie in jenem
spärlichen Gemäuer die Ruinen der Gesslerburg Zwing-Uri sehen,
^8 n. Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
und obwohl weder Urkunden, noch auch nur locale Traditionen
etwas von einem angeblichen Schlosse hier zu berichten wissen,
so ist man bis jetzt noch nicht müde, diesen nackten Fels den
übrigen »Classischen Stellen der Urschweizc beizuzählen, ihn
touristisch zu beschreiben, zu beversen und abzubilden. Woher
diese aufdringliche Wichtig^uerei,? Sie stammt von den Chro-
nisten, die den Namen Twing, ein harmloses Appellativ, zu einem
bedrohlich lautenden Eigennamen aufgebläht haben. Lassen wir
ihre Angaben die Musterung passiren.
Das Obwaldner Weisse Buch erzählt von Gessler noch ganz
einfach: >Nu hat der selb herr ein' Tum angefangen vnder
Steg vf eim bül, den wölt er nemmen Twing Üren.c (Gesch.-
Freund 13, S. 74.) Entweder dieser oder einer gemeinsamen
Quelle nachschreibend, die Sache aber schon überbietend, meldet
hierauf der luzemer Petermann Etterlin: >in sunderheit so hat der
selb herr der Gryssler ein' tum angefangen ze buwen ufF dem
büwel ze Solenturn, den wolt er nennen Zwing Ury vnder
die Stegen.« Der auf diese Beiden folgende Tschudi weiss die
Sache noch genauer. Ihm zufolge errichtet Gessler seinen gegen
urnerischen Landesaufruhr bestimmten Schlossbau 'nicht in dem
geringfügigen, abgelegnen Weiler Untersteg, sondern sachgemäss
beim Hauptflecken Altorf: »Liess also den Winter Stein, Kalch,
Sand und Zimmerholtz uff ein Büchel, der Solathurn genant,
bi Altdorff dem Houptfläcken gelegen [füren]. Und alsbald der
früling anno Domini 1 307 angieng, fieng er an den Buw volfüren.
Und wann man jnne fragt, wie die Vesti hassen wurd, sprach er,
jr Namen wurd sin Zwing Uri vnder die Stägen. Das ver-
dross die Landtlüt und edle Landtsässen jn Uri gar übel und was
jnen diser Buw ein grosser Dom in Augen.« So Tschudi in
seinem ersten Chronik-Entwürfe, handschriftlich auf der Zürcher
Stadt .-Biblth., abgedmckt im Schweiz. Archiv f. Gesch., Bd. 19^
S. 384. Weitschweifiger und mit oratorischem Pmnke erzählt
denselben Umstand Gualtherus*), Rodolphus, Tigurinus: De Helr,
veüae Origine, successu, incremento, gloria, statu praesenti Libri tres.
Ao, Dm. IS38 (abschriftlich in Zurlaubens Stemmatographie, tonu
LXII). Von Abschnitt 19 bis 28 wird hier vom kaiserlichen Landr
vogt gehandelt: tyrannus omnium crudelissimus , cui non Phalariüs
mtperium, non Dionysiorum cUrocitas, non Syllana crudeütaSy non Nero*
*) Schwiegersohn des Reformators Ulr« Zwingli, stirbt ö/jährig in Zürich 158$.
6. Zwing-Uri. j^/^j^
nis crumium imperium comparari poterat, Grislerus nomine^ turrim
Uria isdificare insHtuebat, quam odioso nomine Zwing Urj under
die Stägen nominare voluerat etc. In Joh. Hürlimanns *) hand-
schriftlicher Chronik lautet es S. 20 ^eder anders: iDer Tum
zuo Vrj, genambt Schräcken-die Buren, oder Zwing Vrj
vnder der Stägen, ward gemacht in dem jor 1261, € — In Joh.
Jak. Wagner^s Mercurius Helvtt (Tiguri ijoi) heisst. es pag. 43 :
Rudera arcis Tyranni vulgo Zwing Uri unter die stägen ijoj
primo die anni fuerunt solo aquatiz, — Der gewesene umer Land-
ammann Dr. K. Franz Lusser hat 1862 die Geschichte des Kan-
tons Uri in einem 644 Seiten starken Bande herausgegeben und
erzählt dorten S. 47 mit ungestörter Sicherheit also : »Ritter Her-
mann Gessler von Brunneck aus dem Aargau war von Kaiser
Albrecht als Reichsvogt nach Uri gesendet worden und schlug,
gegen alle frühere Gewohnheit, hier selbst seinen Wohnsitz auf.
Als ihm Frau Kunigunde von Wasserstelz, Aeb.tissin des Frauen-
münsters in Zürich, keine ihrer Umerburgen in Altorf, Bürglen
oder Sillinen einräumte, auch keine adelige Umerfamilie ihm die
flirige abtrat, hielt er sich grösstentheils zu Küssnach in Schwyz
auf und wohnte, wenn er nach Uri kam, hart an Altorf im Hause
deren von Winterberg. Er war gesonnen, hier eine Burg zu
bauen, die er Twing-Uri nennen wollte. Das Wort Twing aber
^etzt schon Eigenthum voraus, daher konnte das Volk
diesen Namen, der auch wie Zwing- Uri lautete, nicht leiden. c
Aus diesen bisherigen Citaten ergiebt sich der uns schon be-
I kannte Umstand, dass die Chronisten, je entfernter sie selbst der
zu berichtenden Begebenheit stehen, eine um so genauere Detail-
kenntniss über dieselbe zur Schau tragen, so dass dann der jüngste
Erzähler die Thatsache erst mit derjenigen charakteristischen Be-
sonderheit abschliesst, mit welcher das Thema, wäre es ursprüng-
lich wahr, schon beim ältesten hättelbeginnen müssen.
Wie nun kommt Vogt Gressler nach Altorf und wie geräth
er da auf die dreierlei Schlossnamen Solatum, Schreckdenbauem
und Zwing-Uri unter die Stegen ? Es geschieht beiderseits durch
blosse Namens-Entlehnung und Namensverdrehung; wie, dies er-
weist sich aus den Urkunden und der einheimischen Rechtsge-
schichte.
*) Er starb 1577 als Chorherr zu Beronmünster ; seine handschriftliche Chro-
nilc ist auf der Zofinger Stadtbibliothek, bezeichnet: P. 51, 40.
Rochholz, Teil und Gessler. 29
1
ACQ II. Die Gessler von Bran^^ in .Geschichte und Sage.
Die herzoglichen Brüder Leopold und Albrecht schulden an
Heinrich den Gezzler, »unsem getreuen lieben Kammermeister« ^
4CXX) Gl. Darlehen, geben dafiir ihm und seinen Erben Stadt und
Feste Grüningen zu Pfand und versetzen ihm dazu neben drei
andern genannten Höfen des Grüninger Amtes den zu Altorf.
Actum 1374, Mittwoch vor Pfingsten, Baden im Aargau (Staats-
archiv Zürich, Abthl. Grüningeramt, Bündel 2, No. 12). Dieser
grosse Hof Altorf, der schon seit 744 an das Kloster St. Gallea
gehört hatte und darnach MöncSialtorf, altorf monachorunty
geheissen war, besäss hohe und niedere Gerichte .über Land und
Leute und hatte die Entstehung der mit der Burg Grüningen ver-
bundnen Amtsherrschaft ursprünglich veranlasst. Mit seinea
Zinsen und Gefällen steht er im Habsburger Urbar verzeichnet.
Auf seine Dingstatt, unter deren Stab 14 namentlich mit aufge-
zählte Orte und Höfe gehörten*), setzte Ritter Heinrich Gressler
seinen Untervogt. Als dann dessen Sohn, Ritter Hermann, nach
langer Fehde am 15. October 1405 sich mit Zürich befriedet, ver-
schreibt er der Stadt erstlich 1000 Gl. auf einige Vesten und
Vogteien des Grüninger Amtes und tritt ihr hernach am 11. und
15. Juli 1408 das ganze Amt käuflich ab (Gessler-Regesten). Diese.
Ritter Gessler nun, welche von 1 374 bis 1408 ununterbrochen die
herzoglich-österreichischen Vögte und Schlossherren zu Altorf im
Zürcherlande gewesen waren, als eben solche in das Umer Altorf 1
zu versetzen, machte den leichtfertigen Chronisten wenig Bedenken. ;
Und da die Gessler an die Vesten und Burgen des Grüninger-
amtes grosse Summen verbaut hatten, deren Betrag einen zwischen
ihnen, den Herzogen und schliesslich der Stadt Zürich oftmals
behandelten Abrechnungspunkt bildete , so konnte man den nach j
Uri versetzten Phantasie-Gessler auch hier zu Altorf und Amst^ \
abermals Zwingburgen erbauen lassen. Nun kam es noch darauf i
an, diesen Neubauten aus der Schreckenszeit auch neue befremd- 1
lieh und grausam lautende Namen zu geben, und eben da ent-
hüllt sich die plumpe Bosheit der Erfindung vollends.
Wie kommt der halblateinische Schlossname Solaturn in
den Mund der alemannischen Bauernschaft zu Amsteg? Er ist
von der Ostgrenze des Umerlandes, aus dem rhäto-romanischen
Sprachgebiete des Ursefenthales und Bündnerlandes, gewaltsam
*) Sie stehen genannt im Grüninger Amtsrecht, pag. 62, MS. BibL Nov., '
fol' 33» auf der aargauer Kt.-Biblth. 1
I
i
6. Zwing- Uri. ac i
hieher versetzt. Ein Ausdorf der Bündner Gemeinde Vals im
Lugnezthale heisst Solodura und hat erst neulich noch von sich
reden gemacht, als am 25. März 1872 Lawinenstürze es ver-
schütteten. Der andere erkeckte Schlossname Schreckden-
bauern gehört unter die schon seit dem dreizehnten Jahrhundert
zahlreich auftretenden poetischen Namenscomposita , welche man
Festungsthürmen, später auch grossen Geschützstücken beizulegen
pflegte; sie setzen den Imperativ voraus und lassen das Sub-
stantiv (im Accusativ) nachfolgen: Störenfried, Scheuchenpflug,
Schreckdenfeind, Schreckdengast. Grimm, Grammat. 2, 962. Eben
solchen Formen abentlehnt, aber kein wirkliches Namenscompo-
situm mehr, sondern eine aller Namensschöpfung zuwiderlaufende
ganze Phrase ist das albern lautende Zwing Uri unter die
[Stegen. Es ist in der feindseligen Absicht erfunden, einen durch
Sprache und Satzung im ganzen Lande giltigen und allverständ-
lichen Begriff durch Wortverdrehung zu verdunkeln. Hierin allein
liegt der Kern der Zwingburgsgeschichte; er soll nun aus seiner
schwachen Hülse herausgeschält werden.
Tschudi wusste zu seiner Zeit noch mit aller Lebhaftigkeit
des Sprachbrauches und der Rechtsübung, dass bei Amsteg von
jeher zwei Zwinge sich schieden; ihrer einer, ob den Stegen,
hatte unter der Gerechtsame der Grafen von Alt-Rapperswil ge-
standen; der andere, unterhalb der Stege, ebenso unter der Aeb-
pssin des Zürcher Frauenmünsters. Aus diesen beiden Land-
schaftsnamen wagte nun der Chronist einen imperativischen Trutz-
^men heraus zu deuteln, der das ganze Urnerland damit be-
oht, dass es kopfüber unter die Stege der Reuss hinab-
worfen, oder gar unter die Stägen des Vogthauses, wo
bil der Hundezwinger ist, hinein gesperrt werden solle; wahr-
fch, ein gar zu armseliger Calembourg über den Namen Zwing,
etzterer leitet ab von althd. twingan, dicht zusammenfügen, und
zieht sich auf den gehegten Umfang eines nach gemeinsamer
tzung bebauten und verwalteten Landbezirkes. Die hier unter
:leichen Rechten wohnende und wirthschaftende Bevölkerung war
ie Mark- und Twinggenossenschaft ; den Umkreis ihres von Dorf-
iöid Hofzaun eingefriedeten Areals sammt den dazu gehörenden
^eld- und Waldstrecken, die durch den Bannzaun von der Nach-
bargemarkung geschieden waren, und die hier geltenden Satzungen
verzeichnete und enthielt der Twingrodel, nach dessen Wortlaute
3er die Civiljustiz und Polizei innerhalb des Bezirkes handhabende
29*
AC2 II« Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
Richter, der entweder von den Twinggenossen gewählte*) oder
von dem Lehensherm gesetzte Twingherr , das für die ganze Ge-
nossame verbindliche, feierlich gebannte Twinggericht, gewöhnlich
zweimal des Jahres, abhielt. Zwing und Bann zusammen begriff
die Handhabung der wirthschaftlichen und polizeilichen Ordnui^
in Dorf und Felde und wurde mittels des CoUectivs Getwing aus-
gedrückt. Grimm Weisth. I. 80, 173. Zeitschr. f. Schweiz. Recht,
Bd. 18, 162. Aus den Genossenschaften der Twinggemeinden
und Kirchgemeinden hat sich alles Gemeindeleben entwickelt. In
der Twinggemeinde gilt die gemeine Mark als Gesammteigenthum
und die persönlich erbliche Genossame; in der Kirchgemeinde
gelten die Kirchspielsgrenzen und der berechtigte Wohnsitz im
Pfarrsprengel. Die Kirchgemeinden erschöpfen Bevölkerung und
Territorium; bei der Twinggemeinde ist letzteres nicht der Fall,
denn sie ist eine sociale Bildung, deren Zweck sich auf geregelte
Nutzung gemeinsamen Gutes beschränkt. Für die Realisirung all-
gemeiner staatlicher Zwecke erscheinen die Kirchgemeinden bloss
als Surrogate der Twinggemeinden. Die patrimoniale Gerichts-
barkeit in den Twingen bedurfte der Executivgewalt der Vogtei
schon in privatrechtlicher Beziehung, das ganze Verhältniss der
Genossame als juridischer Person fiel unter die schützende Ob-,
sorge des Vogtes. Dcis Gleiche war auch bei den Kirchgemeinden
der Fall ; Kirchen und Pfründen werden sogar positiv als vogtbar-
bezeichnet; auch ihre Forderungen wurden in letzter Linie durch;
Vogtsgewalt eingebracht, wenn die ersten Grebote nicht hinreich--
ten und Ungehorsame gehorsam gemacht werden mussten.
Immerhin bot jedoch die Organisation der Twinggemeinde Staat-,
lieber Einwirkung mehr Anhaltspunkte dar, als die der Kirch-;
gemeinde. So urtheilt Segesser in seiner Luzerner Rechtsge-i
schichte (III, Buch 13, 184) über Wesen, Werth und sociale Wir-^
kung der Twing - Genossenschaften. Seitdem man. aber begann,'
die allgemeine Grundgerechtsame in Privatbesitz auszuscheiden,
die Almende zu theilen, liegendes Gremeingut in fahrendes Capi*
tal umzuwandeln, sind aus den Twinggemeinden die allenthalbea
*) Der Dorfrodel von aargauisch Hendschikon vom Jahre 1420, abschriftlich
im Schlossarchiv zu Hallwil, bestimmt in § 6 als eines dieser Gemeinde zaA
stehenden Rechte: »dass sie mögen einen Zwingherren unter denen von HallwiU
nemmen, welchen sie wollen, und ob derselb sie nicht Hesse bleiben bey Ihrea
rechten alten herkommen, so mögend sy einen anderen nemmen.« Ztschr. für
Schweiz. Recht, Bd. 18, S. 10 der Rechtsquellen.
i
6. Zwing-Uri. ^Jj
noch vorhandnen Corporationsgemeinden geworden, heute nicht
mehr politischen Charakters, sondern von rein administrativer
Natur. Und je mehr die Grundherren ihre doppelte Eigenschaft
als Miteigenthümer der Dorfmarke und als Leibherren der hier
auf dem Fronhofe mitansässigen Hofhörigen geltend machten;
oder je mehr die Freien hier in Gerichtsgemeinschaft mit den
Eigen- und Vogtleuten traten, ^desto mehr musste im Laufe der
Zeit Ausgleichung eintreten, die Genossame der hier ansässigen
Fronhofsleute und die der Dorfmarkgemeinder verschmolzen mit
einander (Maurer, Dorfverfassung 2, 194). Der Name Twing,
Sitz einer niedern Gerichtsbarkeit, eingesetzt zu Gunsten des
freien, selbständigen Verfügungsrechtes der Markgenossen über
die Nutzung der Dorfmark, erhielt so allmählich den Sinn einer
von dem Grundherrn ausgehenden gerichtlichen Beschränkung
örtlicher Freiheiten, verbunden mit auferlegten Dienstleistungen,
deren Executor derjenige Vogt oder Meier war, hinter dessen
Obrigkeit man sass. So vermischte sich mit dem Worte Zwing
der Begriff des nicht gewollten Zwanges. In eben dem Zustande
betrifft man nun laut frühesten Geschichtsquellen die einzelnen
Theile des Umerländchens. Schon 857 unter König Otto I. ge-
hören daselbst Bürglen und Silenen (loca Burgüla et Silana) an die
Zürcher Frauenmünster- Abtei , und letztere besass ihre dortigen
»Regula-Leute« als Hörige, y«rtf serviiutis. Gleiches gilt auch
von den Besitzungen daselbst, welche das aargauer Stift Wettingen
in den oberen Landestheilen, in der Gegend von Göschenen und
vom Meyenthal seit 1231 innehatte. Da empfängt mit Ur-
kunde vom 16. Februar 1248 Konrad Niemirschin, der Wettinger
Klostermeier, von den urner Thalleuten und den dortigen Wet-
tinger Zinsleuten gemeinschaftlich, einen Meierhof und einen
Thurm in Schachdorf {turrim cum adjacente curia) zu lebensläng-
lichem Lehen, den Thurm zu dem besonderen Zwecke, ihn in
eine Veste innunicio^L umzubauen als Zufluchtsstätte für sich und
seine Leute auf den Fall, dass unter den Thalbewohnern ein Auf-
stand ausbreche. Die Gemeinde von Uri und die Aebtissin von
Zürich besiegeln die Urkunde*). Von eben diesem Stifte aus
,war aber auch das Urnerkloster Seedorf, genannt in Oberdorf,
zunächst bei Altorf gelegen, mit Nonnen besetzt worden, worauf
dann, der Seedorfer Cronica zufolge, durch einen mythischen
*) Gesch.-Freund IX, 3. — G. v. Wyss, Abtei Zürich, Beilage No. 506.
A^^ II* ^^^ Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
König Balduin dem Kloster alles Land herwärts der Reuss und
bis hinauf an die SchöUenen zum Eigenthum geschenkt und der
Aebtissin das Recht gegeben wurde, ihren Umer Unterthanen »die
Darm vss dem lyb ze hasplen, wie diss in dess gottshuss stift-
büchem alles ordentlich ze sechenc*).
Doch dass man sich durch eine solche Phrase aus der
Schinderknechts - Sprache ja nicht überraschen lasse, so ist die-
selbe nicht früher als 1698 und von keinem Andern geschrieben,
als von dem Geschichtsfälscher Rennwart Cysat, dem bekannten
Luzemer Stadtschreiber, Nährvater der dortigen Jesuiten und Erb-
feinde des reformirten Zürich**). Die vom Zürcher Frauenstifte
schon seit dem neunten Jahrhundert in Uri besessene Grundherr-
lichkeit musste also der Faden werden, auf den man alle erdenk-
lichen Zwingherrngreuel und Gessleriaden zusammen reihte. Seit-
dem war das Wort Twing und alle übrigen damit zusammen-
hängenden Namen bei den hierseitigen Historikern in politischen
Verruf gethan, ohne dass sie bedachten, wohin dieser Namens-
hass sie selbst fuhren musste. Ihre ,eignen ältesten Landleuten-
geschlechter in den Urkantonen wären damit zu lauter Ur- und
Vollbluts-Gesslem ernannt gewesen***). Sogar noch der beson-
nene Conventuale' Ildeph. v. Arx verirrt sich in seiner Sanct
Gallergeschichte i, 486 bis zu der Behauptung: »das Schweizer-
volk pflege mit dem Namen Zwingherm noch heute das höchste
Mass von Unterdrückung, Gewaltthätigkeit und Wollust zu ver-
binden«. Sei dem wirklich also, woher denn hätte alsdann das
Volk eine so sinnlose Gepflogenheit, wenn nicht von seinen Chro-
*) In Jak. Rueff 's Spyl von Wilhelm Teilen (1545) wird dem Samer Land-
vogt das Wort in den Mund gelegt:
Dann s' blut, das sie in dem lychnam tragen,
d* spyss, kost, die lyt in jrem magen,
das ist mins Herren von Oesterrich,
E. Weller, das alte Volkstheater der Schweiz. Frauenfeld 1863, 168.
**) Der Erweis, dass Cysat den Seedorf er Codex mit »vorsätzlicher Ver'-
setzung der Sachen verunstaltete«, wird geliefert durch die von dem
Urner Landammann Peter Gisler 161 6 gemachte Abschrift desselben Codex. Beides
sammt dem von uns hierüber nur reproducirten Urtheile liegt vor in Zurlauben^s
Stemmatographie Bd. 60, S. 143 bis 183, folio.
***) Hans Twingli aus Unterwaiden fällt 1443 im Gefechte am Hirzel (Zur-
lauben, Mon. Tug. tom. 8, 167); dessen Landsmann Rudi Twingli 1444 bei
St. Jakob an der Birs (Tschudi II, 373. 427); der Reformator Ulrich Zwingli
1531 in der Schlacht bei Kappel.
6. Zwing-Uri.
455
nisten, die einmüthig eine schweizerische Urfreiheit voraus-
setzen und darum so bitterlich auf die Zeit der Vogtschaft schel-
ten. »Als wenn die Schweizer ein ander Schicksal als andere
Völker gehabt und Freiheit genossen hätten, ehe Freiheit war!«
J. Conrad Füesslin, Staats- u. Erdbeschreib, d. schwz. Eidgenosz-
schaft (1770) II, 60.
Geschichte ist Geschichte des Verstandes
Und ihr Probierstein ist und bleibt Vernunft.
Dem Unvernünftigen nur giebt^s Geschichten,
Auch tausend Zungen ^machen noch nichts wahr.
Leopold Schefer, Weltpriester S. 62.
I
VII.
Melchthals Blendung.
Die geschichtliche Vorbildlichkeit zur Sage von der durch
den Österreicher Landvogt Landenberg an Vater Melchth^l in
Unterwaiden verübten Pfändung und Blendung ist gegeben in der-
selben Execution, welche Herzog Friedrich IV. von Oesterreich
an seines Landvogtes Hermann Gesslers Diener, dem Burkart
Schlatter von Zürich, im Jahre 141 2 hat vollziehen lassen.
Schälly, der in den Jahren 1445 bis 1480 Landschreiber in Ob-
walden war und daselbst seine Chtonik des Weissen Buches zu-
sammentrug, ist der erste und früheste der Schweizer Annalisten,
welcher die Melchthals-Sage erzählt*), niedergeschrieben hat er
sie also etwa siebenundfiinfzig Jahre nach der von Herzog Friedrich
in Tirol an Burkart Schlatter verübten Grausamkeit. Die Re-
gierungsperiode sowohl dieses Herzogs, zu dessen Ländern die
Grafschaft Tirol gehörte, als auch die seines Sohnes Sigmund,
der gleichfalls den Titel eines Grafen von Tirol trug und mit den
Eidgenossen zwischen 1460 — 70 feindlich und freundlich vielfach
*) Nu was uf Samen einer von Landenberg vogt zu des Richs banden, der
yemam das einer jm Melcbi were, der betti ein' bübscben zugg mit ocbsen. Dt.
für der Her zu und schigt sin knecbt dabin und biess die ocbsen entwetten (aus*
jocben) und imm die bringen und bies dem arm man segen: puren solten den
pflüg zien und er wölti die ocbsen ban. (Melcbtbals Sobn widersetzt sieb, scblägt
dem zugreifenden Vogtsknecbte einen Finger entzwei und fliebt aus dem Lande.)
Der berre scbigt umb sin vatter und bies jnn gan Samen füren uf das bus und
erblant jnn und namm jmm was er bat und tet jmm gross übel. Ausgabe von
G. V. Wyss, S. 6.
7» Melchthäls Blendung. acj
ZU thun hatte, schwebt dem Chronisten Schälly so lebhaft vor,
dass er die Grafen von Tirol zu Zeitgenossen König Ru-
dolfs macht, auf sie nach dessen Tode die Herrschaft in den
Waldstätten übergehen und da die Vögte G.essler und Lan-
denberg einsetzen lässt*). "N^ie er alsdann die Melchthäls-
geschichte einem Einzelfalle der Gesslerischen Familiengeschichte
abentlehnt, diesen Fall aber, ein den Zeitgenossen allbekanntes
Ereigniss, klüglich der richtigen Personennamen entkleidet und
ihn hinter den für Unterwaiden unerweislichen Vogtsnamen Lan-
denberg versteckt, dies wird sich aus der folgenden Darlegung
ergeben. '
Ritter Hermann Gessler, des Herzogs Friedrich IV. Landvogt
in Aargau, Zürichgau, auf dem Schwarzwalde und an der Etsch,
hatte sich mit seinem Fürsten wegen Verwaltungs- und Bürg-
schafts-Angelegenheiten überworfen und war aus der hierauf ge^en
seine Amtsführung verhängten Untersuchung unbescholten hervor-
gegangen. Der hiedurch nicht besser gestimmte Fürst rächt sich
nun, statt an dem damals ihm unerreichbaren Vogte, an dessen
Diener auf eine barbarische Weise. Dies giebt Anlass zu einer
von der Stadt Zürich, dessen Bürger jener misshandelte Diener
ist, anhängig gemachten Klage, welche Jahrzehnte vor einheimischen
und auswärtigen Gerichten schwebt und darüber alle Zeit hat,
sich durch die Eidgenossenschaft zu verbreiten und mit Hermann
Gesslers Namen verschwistert zu werden. Mit Zuschrift vom
3. October 141 2 wendet sich nemlich der Stadtrath von Zürich
Ian Ritter Burkart von Mannsberg, österreichischen Vogt der Graf-
schaft Baden (derselbe, welcher 141 5 Stadt und Schloss Baden
gegen die belagernden Eidgenossen vertheidigt hat),| und kündigt
ihm Tagfahrt zum Austrag eines Prozesses an, wornach Burkart
Schlatter, Bürger von Zürich, Schmerzensgeld und Entschädigung
dafür verlangt, dass ihm, als einem gewesnen Diener des herzog-
lichen Landvogtes Hermann Gessler, auf Herzog Friedrichs Be-
fehl die Augen ausgestochen, die Zunge ausgeschnitten und seine
Besitzthümer im Etschlande confiscirt worden sind. Diese Gewalt-
that, bemerkt dass Zürcher Schreiben, sei an Schlatter des Her-
mann Gesslers wegen verübt worden. Beigefügt muss hier wer-
den , dass Gessler sein damaliges Zerwürfniss mit dem Herzoge
I
*) Geschichts - Freund Bd. 28, 252. Vaucher, im Anzeiger [für Schweiz.
Gesch. 1874, No. 3.
^cg II. Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
unter der Hand wieder geschlichtet und in diesen Frieden auch
seine Anhänger und Diener mit eingeschlossen hatte. Im Ver-
trauen darauf war nun der Diener Schlatter auf sein während der
Fehde Verlassnes Gut an der Etsch zurückgekehrt, hier aber er-
griffen und von dem in seiner Leidenschaft tollen Herzog ver-
stümmelt worden. Die Stadt Zürich verwendete sich jfiir ihren
Mitbürger aufs lebhafteste und an mehrfachen Orten, so am Hofe
zu Innsbruck, hierauf zu Ensisheim bei Frau Anna von Braun-
schweig, Herzog Friedrichs Gemahlin, schliesslich auch bei .Kaiser
Friedrich III. Es wird sogar, weil der Herzog zu entsprechen
zögert, ein von dessen Gemahlin an Zürich gerichtetes Ansuchen
hier gleichfalls abschlägig beschieden und der Herzogin no-
tificirt, dass man die fürstlichen Personen schuldige Artigkeit in
gegenwärtigem Falle vorerst aufzuschieben beschlossen habe. An
den Kaiser nach Aachen endlich wird Bürgermeister Heinrich
Schwend, Schlatters Verwandter, mit einer schriftlichen Instruction
gesendet, in welcher auf des Misshandelten und seiner Erben
Schadloshaltung unter ausfuhrlich dargelegten Gründen bestanden
wird. Nachdem so der Prozess volle 24 Jahre geschwebt hat,
verliert er sich aus den Acten und scheint unerledigt geblieben
zu sein.
Diese Blendungs- und Pfändungsgeschichte, ausgehend vom
Österreicher Herzog, vollzogen an einem eidgenössischen Bürger,
während derselbe im Dienste des in den Vorlanden amtenden
herzoglichen Landvogtes Hermann Gessler steht , findet sich, wie
wir sie soeben erzählten, eingetragen zum Jahre 1414 im Zürcher
Stadtbuche. In die schweizer Jahrbücher dagegen ist sie mit
keiner Sylbe übergegangen, trotzdem dass sie so lange gerichtlich
anhängig gewesen und allgemein bekannt geworden war. Aus
letzterem ist zu schliessen, dass die entsetzliche Strafart, welche
den Schlatter traf, damals noch nicht nach unserer humaneren
Empfindungsweise, sondern nach solchen Rechtsanschauungen er-
wogen worden sein mochte, wie sie im gegebenen Falle in und
ausserhalb der Schweiz altherkömmliche waren*). Es kam da-
mals die Strafe der Blendung besonders gegen Solche in An-
*) Das vom luzeraer Leodegarsstifte geführte ' Aeltere Siegel stellt die
Stiftspatron vollzogene Blendung dar: Ein Henkersknecht des fränkischen Ty\
rannen Ebroin dreht mit einem langen Handbohrer im Auge des Bischofs
degar zimmermännisch herum.
I
7* Melchthals Blendung. ^^g
wöidung, die auf einer unberechtigten oder falschen Kundschaft
ergriffen wurden; ebenso wurde die fraudulose oder sonst ge-
richtlich ungiltige Verschleppung eines Vermögenstheiles der eid-
lichen Ableugnimg gleichgeachtet und mit Verlust der Zunge ge-
büsst. Das Fortbestehen beider Strafarten im Zürcher pein-
lichen Rechte noch am Schlüsse des fünfzehnten Jahrhunderts
ist in Schauberg's Schweiz. Rechtsquellen i, 386 nachgewiesen.
Unserem Specialfalle rückt man aber durch das Stadtrecht von
Baden aus den Jahren 1429 und 1439 noch näher. Hier, wo die
■Gessler damals erst achtzehn Jahre zuvor geamtet hatten, verfugte das
Gesetz: »dem Schuldner, welcher fallige 20 Pfund Stäbler nicht
rechtzeitig bezahlen kann, werden beide Hände abgehauen, wegen
io Pfund die eine ; wer in Auffall gerathend, von seiner Fahrhabe
etwas unterschlägt, verliert die Zunge; wer als Bote Briefe er-
bricht, beide Augen.« Regest, d. St. Baden, im Schweiz. Archiv
No. 260 und 291. Die Anwendung hievon aufSchlatter ist nahe-
liegend. Da nemlich derselbe zur Unzeit des zwischen seinem
Herrn und dem Herzog schwebenden Unfriedens von der Schweiz
aus auf sein Gut an der Etsch bei Meran vorgedrungen ist, um
wahrscheinlich die gefährdete Fahrhabe zu entfernen, so macht er
sich beim Gegner der unberechtigten Spähe und zugleich der
Unterschlagung schuldig und verliert nach österreichischer Landes-
satzung*) Augen und Zunge. Das Criminalverfahren war zur sel-
ben Zeit in unsem Landschaften um nichts gelinder gewesen. Die
Stadt Basel bezahlte im Jahre 1406 ihrem Scharfrichter für die
Execution des Blendens und des Zungeabschneidens nur je fünf
Schilling Lohn, während die Todtengräbertaxe daselbst schon auf
acht Schilling stand**). Auch im Aargau wurde das blosse
Führen falscher Spielwürfel mit Augenausstechen bestraft***),
allein als wegen dieses Vergehens Schultheiss und Rath zu Zo-
fingen 1 399 den Lorenz von Würzburg zur Blendung verurtheilten,
war es gerade die Frau Gesslerin (Ehefrau des Ritters und
Landvogtes Heinrich Gessler), die mit Fürsprache der umwohnen-
*) Die Wiener Stadtverordnung vom 21. Januar i486 verfügt: Wer die Pali-
saden der Stadt überklettert und ergriffen wird, dem soll man die Augen aus-
brechen. Schlager, Wiener Skizzen, Neue Folge III, 230. Aehnliches im Basler
Stadtrechte, vergl. Peter Ochs, Gesch. d. St. u. Landsch. £asel II, 4:08.
**) Peter Ochs, ebenda III, 170 und 203.
***) Dieselbe Strafe und aus dem gleichen Grunde wird am ii« Aug. 1434
zu Konstan2 vollzogen. Konstanzerchronik in Mone's Quellensammlung I, 337 a.
^6o II« I^ic Gessler von Bronegg in Geschichte und Sage«
den Edelfrauen den armen Sünder losbat. (Sam. Gränicher : ) Hist.
Notizen von Zofingen, 1825, S. 20,
So verhalten sich die geschichtlichen Thatsachen in der
Schlatter'schen Blendungsgeschichte zu der Melchthalischen in
der Chronistenerzählung. Jene spielt 1414, diese wird von Stumpf
gerade um ein Jahrhundert früher angesetzt: »vngefarlich vmb
das jar 1314.« Friedrichs, des strafenden Herzogs Name, erlischt
dem Obwaldner Chronisten Schälly, er kennt nur einen allgemei-
nen Grafen von Tirol; aber eben dieses Herzogs Landvögte in
den Vorlanden, die im Thur- und Aargau amtenden Gessler und
Landenberge, nennt er und stempelt sie zu Werkzeugen der fürst-
lichen Grausamkeit. Sein geplantes Verfahren, Vorfälle aus dem
fünfzehnten Jahrhundert in das vierzehnte zurück zu versetzen, ist
in diesem einen Falle aufgedeckt, und wir könnten nun von ihm
scheiden. Da er aber mit dem einen Plagiat zugleich ein zweites
begeht, so soll auch noch dessen Quelle aufgewiesen werden, wir
meinen die dem Melchthal vom Pfluge gepfändeten Ochsen.
Schälly erzählt, der Anlass zu Melchthals Blendung seien
dessen Zugochsen gewesen, Vogt Landenberg habe sie abspannen
und ihm sagen lassen : Die Bauern könnten den Pflug selbst ziehen»
Dieses Dictum steht bekanntlich schon bei Saxo Grammaticus : der-
selbe Dänenkönig Harald, der den Toko zwang, dessen Söhnlein
den Apfel vom Haupte zu schiessen und dafür nachmals unter
dieses Schützen Pfeil fiel, war, sagt Saxo ausdrücklich, in seiner
Tyrannei gegen die Unterthanen so weit gegangen, dass er Men-
schen und Ochsen zusammenspannen Hess. Die Folge davon war 1
die Empörung der Dänen und des Königs Vertreibung. Aber
nicht aus Saxo brauchte Schälly zu entlehnen, denn die Sage>
dass der das Pfluggespann begehrende Dränger von dem Bedräng-
ten erschlagen wird, hatte in unsrer oberdeutschen Literatur schon
seit Anfang des vierzehnten Jahrhunderts öftere Erwähnung gefun-
den. Der Berner Predigermönch Ulrich Boner (urkundlich zwi-
schen den Jahren 1324 — 1349) lässt in seiner Gedichtsammlung
Edelstein den räuberischen Twingherm übermüthig ausrufen:
Hab dir das kalp, la mir diu kuol
wilt du des niht, so var ich zuo
imd nim diu kuo gesampt dem kalpl
Aber in Boners zwei weiteren Erzählungen Von boesen voeg-
ten, und Von offenunge des rechtes, wird dann hervorgehoben.
•j
7* Melchthals Blendung. ^6l
wie der Bauer mit dem Ritter kämpft und ihn tödtet: »den ritter
sluog der akerknecht«. Solcherlei Züge stützen sich auf Pflüger-
und Kombauem-Sagen, sie mussten demnach ihren ursprünglichen
Wohnsitz in dem Fruchtbau treibenden Vorlande gehabt haben,
bevor sie in das Unterwaldner Sennenland hinein entlehnt werden
konnten. Und wirklich berichtet die Sage gerade aus den äusse-
ren Kantonen das Gleichnamige, wie der Burg- und Zwingherr
einem pflügenden Bauern das schöne Ochsengespann abnöthigt,
von diesem aber auf der Stelle mit dem Pflugsech erschlagen und
unter die frische Furche geackert wird. Schon im luzemer Lande
findet sich diese Erzählung an viererlei Orten localisirt; und zwar
gilt sie vom Schlossherm zu Grünenberg bei Wolhausen im Entle-
buch ; vom Schlossherm zu Castelen , der auf einem Acker : In
der Gerechtigkeit, zwischen Wauwil und Ettiswil, erschlagen und
verscharrt liegt — hiebei kommt auch der Nebenzug des Finger-
abschlagens mit vor , wie in der Melchthals-Sage — ; ferner vom
Vogte auf Schloss Wykon, der beim Dorfe Roggliswil im Todten-
acker des Oelfeldes liegt; sodann. vom Burgherrn zu Waldsberg
am nördlichen Fusse des Napfberges im luzernischen Luthern-
thal. Lütolf, Fünfortische Sagen, S. 431. Im Bemerlande kommt
dieselbe Sage zweimal vor; der Zwingherr von Wyler, einem
Burgstal zwischen den Dörfern Wyler und Koppigen, und ein
anderer .Ritter, bei Klein-DietWil sesshaft, im Bezirk Arwangen,
werden da desselben Begehrens willen in die offne Furche hinein
gepflügt. Die ersterwähnte Sage berichtet der Berner Pfarrer E.
Buss in den lUustr. Schweiz. Jugendblättern I, 362 ; die andere
steht ip Otto Henne- Amrhyn's »Deutsche Volkssage« (1874) S. 351.
Sie wiederholt sich sodann in den aargauer Dörfern Botenstein
und Mooslerau, dorten mit dem Bauern von Krähenbühl, hier mit
dem von Ruesserain, und steht verzeichnet in meinen Aargauer
Sagen I, No. 106. in. Achtmal also begegnet dieselbe Sage mit
einheitlichem Charakterzuge im schweizerischen Vorlande in einem
Umkreise von wenigen Meilen ; ihrer jede vermag sich über Burg
und Dorf, über Burgherrn und Bauern örtlich auszuweisen,
während die Melchthalsage in einer dem Pfluggange noch nicht
ausgesetzten Gebirgsgegend spielt und es nicht einmal versteht,
an dem Dränger die verdiente Justiz üben zu lassen. Anstatt
den Landenberg selbst zu züchtigen, schlägt Melchthal dessen
Pfandknechte nur einen Finger entzwei, lässt Pflug, Gespann und
Vater im Stich und entflieht; der Pfandherr aber blendet des
jg2 ^ I^ Gcsler von Unaegg in Gcscbichtc und Sage.
Flüditigen Vater und geht schliesslich straflos aus dem Lande.
Nun erst geräth die Erzählung über ihre eigne Schiefheit in Be-
denldichkeit und versucht einen Ausw^. Für den fireiau^n^^ange-
nen Landvogt muss dessen Untervogt Wolfenschiessen in den
Riss treten. Letzterer hat zwar nicht Ochsen gepfändet und nicht
Bauern geblendet, aber fremde Weiber gekebset. Dafür muss er
dann, freilich nicht mit dem Sech, sondern mit der Axt, nicht
auf dem Acker, sondern in der Badewanne ersdilagen werden,
und zwar, wie der Chronist Pantaleon ausdrücklich schreibt, »wie
ein Ochse im Badec*). Denn Ochsenstehlen, denkt sich der
viehzüchtende Aelpler, das kann kein Bad abwaschen! Was ist
nun verwunderlicher, die kindische Unbeholfenheit solcher Er-
zählungen, oder das kindische Vergnügen, dieselben zur Landes-
geschichte zu stempeln. Doch anstatt hierüber weiter zu sprechen,
genügt es an dem einschlägigen Worte eines schweizerischen Ge-
schichtsforschers**): Restent les baufs, la haignoirCy la mai-
S0n,'le chapeau et la pomme, qui ont fait si longtemps
les dilices du peuple suisse.
*) Heldenbuch, Basel b. Brylingers Eiben 1567. ü, S. 389.
^) Prof. P. Vaucher, im Anzeiger f. Schweiz. Gesch. 1874, 54.
VIII.
Gesslers Hut auf der Stange und Heinz
Vögeli dabei als Wache.
Hs demendent toujours ä ceux gut cherchent ä dissiper une longue
Teur: Que mettr ez-vous ä la place? Ce que nous mettons
la place de la Ugende, c^est l '^histoire, qui, pour Hre inUressante, n *a
>as besoin de meniir,
Hugo Hungerbühler , Etüde critique sur les traditions relatives aux origines
la Confediration Suisse, Geneve i86g, pag, lo^.
Dass Gessler ein österreichischer Landvogt zu Uri gewesen
ii und am Marktplatze zu Altorf seinen Hut auf eine Stange
ibe pflanzen lassen mit dem Befehle, alle Vorübergehenden hätten
lenselben bei Strafe ehrerbietig zu salutifen, dies ist aus den Chro-
ten hinreichend bekannt. Das Obwaldner Weisse Buch, bisher
ie älteste hierüber sprechende Chronik, weiss indess hiebei, an-
itt von einer hohen Stange, nur erst von einem bescheidenen
Jtecken: der lantvogt der gesler stagt ein stecken under die lin-
len ze Ure und leit ein huot uf den stecken und hat daby ein knecht,
id tett ein gebott, wer da für giengi, der solti dem huot nygen,
id wer das nit täti, den solti der knecht leiden. Aegid. Tschudi
>ch (t 1572), welcher in seinem handschriftlichen Nachlasse
tber bekennt, jenes Weisse Buch zugeschickt erhalten und für
len Chroniktext benutzt zu haben (er nennt dasselbe : Thellen-
sschycht Vss alter Chronica von Vnderwalden), schreibt da:
AjS/^, IL Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
»Umb St. Jacobs-Tag Hess der Gessler zu Altorff am Platz bi
den Linden, da mengklich für gon musst, ein Stangen ufFrichten
und ein Hut oben daruff legen und liess gebieten mengklichem im
Land wonhafft, u. s. w.« — Tschudi giebt sich, wie immer, so auch
hier die Miene, Alles nach Datum und Jahr genau bestimmen zu
können. Er schreibt: »Am Sonntag nach Othmari, was der
i8. Wintermonats, gieng Wilh. Teil zu Altorf für den uflfgehenckten
Hut und tett jm kein Reverentz an;« und hier setzt er eben so
zuversichtlich das vorhin erwähnte Factum auf den St. Jacobstag
an, d. h. auf den 25. Juli 1307, also auf einen der grösstenUmer
Festtage, und will uns damit verstehen lassen, dass die Umer
durch Gesslers boshafte, ein hohes Kirchenfest entheiligende
Prahlerei um so mehr gereizt werden mussten, zugleich, dass
man des Chronisten fix datirter Erzählung um so mehr Glauben
schenken könne. Er versichert sogar, den Geheim- Verbündeten
sei des Landvogtes Ermordung unlieb gewesen, weil dieselbe zur
Ausfuhrung ihres Planes verfrüht gekommen sei: »und was Jnen
doch ouch widrig, dassj der Teil nit des Landt- Vogts ungebür-
lichem Gebott mit dem Hut noch dissmals gehorsam gewesen,
biss zu der angestellten Zit Jrs gemeinen Anschlags.«
Woher aber nun jener Hut auf der Stange }
Dieselbe Sage von dem zur zwangsweisen öffentlichen Ver-
ehrung aufgesteckten Vogtshute findet sich im badischen Tauber-
grunde wieder und lautet da folgendermassen:
In einem noch jetzt stehenden Hause der Stadt Königshofen
an der Tauber wohnte einst ein Edelmann, der von seinen Unter-
thanen gleiche Achtungsbezeugungen verlangte, wie der Umer
Landvogt Gessler. Er hatte ausserhalb des Ortes seinen Hut auf!
einen Pfahl gepflanzt und schoss vom Fenster aus Jeden nieder,,
der sich vor dem Hute nicht verneigte. Die darüber empörteai
Bürger stürmten hierauf das Haus, stürzten den Vogt zum Fenster
des Oberstockes hinaus und schlössen sich dem damals ausge*
brochnen Bauernkriege an ^(Universal,- Lexikon vom Grossherzogv
thum Baden. Karlsruhe 1843, S. 675). Als der schweizerischfl
Bauernkrieg seine drei Teilen in's Feld stellte und politischen Zu-
sammenhang suchte mit den ähnlich gesinnten Häuptern der aufe
ständischen Hegauer, Schwarzwälder und Elsässer, da wurde bei
Volke die Tellensage in allgemeinen Umlauf gesetzt, und so i
obige Taubersage selber eingeständig, dass sie zu eben dieser Auf-|
ruhrszeit spiele. Auch sie bietet uns also weder Aufschluss über)
j
8. Gesslers Hut auf der Stange und Heinz Vögcli dabei als Wache. 465
die Gesslersage selbst noch darüber, woher jener auf die Stange
erhöhte sagenhafte Vogtshut seine Entstehung habe.
Wie, wenn nun letzterer kein anderer wäre, als jener härm-'
loseste Bauernhut, der als ein einfaches Rechtssymbol in den
deutschen Dorfoffnungen öfters seine Rolle spielt? Er, auf seinen
Stecken gesetzt, ist im Lehensrechte der Hubbauern das Zeichen
der voUzognen Gutsauflassung gewesen und war ebenso im Weide-
rechte der Hirten das Schutz- und Pfandzeichen. Als solches
war er auch für unsre oberdeutschen Gegenden altgiltig gewesen,
wie aus den von Burkhardt veröffentlichten Basler-Dinghofrodeln
{1866. S. 221, § II und Seite 228, § 21) erhellt. Im Egringer
Hofrechte (jetzt badisches OA. Kandem), aufgezeichnet vor 1392,
ist zum Schutze des weidenden Wucherrindes und des Zuchtebers
dortigen Meierhofes bestimmt: In welen Acker sy komment, so
sei sy Nieman usstriben denn mit einem schwarzen Hut uff
einen Stecken geleit. Aehnliches besagt die Ehhafte von
Inning am Moosrain (jetzt baierisches Landgericht Erding): Ob
»eines umliegenden Dorfes Viehehüter mit einer Heerde, der Ge-
meinde (Mobs-Inning) zu nahe weidet, alsdann soll der Hüter von
Inning seinen Hütstab einstecken und den Hut daran
hängen zum Zeichen, dass der andere Viehehüter mit seinem
Viehe weichen solle. Grimm, Weisth. III, '662. Die Öffnung von
elsassisch Olvisheim stammt vom Jahre 1493 und verfügt über
Lehensgüter, welche »über Jahr und Tag erledigt bleiben würden :
Wenn solche weder von den dortigen Hubbauern, noch von der
Verwandtschaft des gewesnen Lehensgut-Besitzers um Zins und
Kosten übernommen werden wollen und darum wieder an den
Gutsherrn zurückfallen: So soll der Meiger ein stap in den ding-
hof und ein huot daruffür die huober setzen und das Gut
mit der huober urteil in sin's Dinkhofs - Herrn hant und gewalt
, ziehen. Grimm, Weisth. V, 470. Eine verwandte Rolle hatte im
, Jahre 1442 die schwarzeKappe bei Kaufsfertigungen auch zu
St. Gallen zu spielen. Ild. v. Arx, Gesch. 2, 605. Wenn die nord-
deutschen Pferdejungen den Pfingstritt abhalten, so geht das Ziel
nach einer Stange, auf der ein Hut aufgesteckt ist, davon heisst
dieser Wettritt das Hutreiten. Der Pfingstschütze, der beim
Schiessen nach dem hölzernen Vogel das Letzte von der Stange
schiesst , erhält einen geschmückten Hut , den er am Abendtanze
trägt und bis zum nächsten Jahr behält, und bleibt eben so lange
Schützenkönig. Kuhn, Nordd. Sag., S. 381.
Rochholz, Teil und Gessler. 3^
^66 II* I^ie Gessler von Bntnegg in Geschichte und Sage.
Jedenfalls haben die älteren Chronisten, zumal die den Ur-
kantonen angehörenden, diese Bedeutung des aufgesteckten Hutes
aus den Satzungen und Bräuchen ihrer eignen Landschaft wohl-
gekannt; gleichwohl haben sie aus Voreingenommenheit und po-
litischem Dünkel sich nicht geschämt, eine vor diesem Hirtenhute
anbefohlene knechtische Hauptentblössung hinzu zu dichten. Allein
haben denn die auf sie folgenden, um so viel gelehrteren Ge-
schichtschreiber des Landes es ihnen hierin nicht völlig gleich
gethan? Haben nicht auch sie zusammen diesen Hut auf die
Stelzen der Antike und dem römischen Freiheitshute gleichgestellt?
Darum schreibt Joh. Müller, der doch selbstgeständig an keinen
geschichtlichen Teil glaubte*), in der Schweiz. Gesth. (Aufl. i,
S. 599—614) mit krankhaftem Pathos: >Tell, der Freiheit
Freund, verschmähte selbst, ihr Sinnbild, einen Hut, auf will-
kürliches Gebot knechtisch zu grüssen.« Und gleich darauf, da
Müller selbst fühlt, wie hart und unlogisch hier der Freiheits- und
der Knechtschaftshut einander stossen, fährt er ausweichend fort:
»Endlich ist's den damaligen Sitten gar nicht entgegen, dass
Gessler den herzoglichen Hut von Oesterreich zu einem Partei-
zeichen aufgeworfen haben soll«. Müller kann hier unter dem
aufgeworfnen Parteizeichen des Hutes nichts anderes verstanden
haben, als des Gewaltsherren unter diesem Zeichen an's Volk er-
lassene Aufforderung zur Leistung der Heeres- und Gerichtsfolge ;
und J. Grimm, RA. i, 151, stimmte dieser Meinung nachträglich
bei: »Auch des Gesslers aufgesteckter Hut in der Schweizersage
ist Symbol der Obergewalt zu Gericht und Feld.« Für diese
Meinung vermochte Grimm keine andere als die Einzelbestim-
mung aus dem altfriesischen Rechte vorzubringen; allein dass
eben dieselbe Bestimmung und unter demselben Symbol jemals
in den Schweizergauen bestanden habe, hieflir ist durchaus kein
Zeugniss vorhanden, wohl aber steckt heute noch auf den meisten
Dorfbrunnen des Solothurner-, des Bernerlandes und der Urkantone
ein Blechfähnlein an eiserner Stange, zum fortdauernden Er-
*) Müller schreibt nach Beendigung der zweiten Ausgabe von Band i der .
Schweizergeschichte im Jahre 1 785 bezüglich der Frage, ob Teil geschichtlich oder
sagenhaft sei: Ueber die Sache selbst bin ich mit mir selber noch nicht Eins und
mag doch aus mehreren Gründen meine noch überdies nicht >eifen Vermuthun- \
gen dem Publikum nicht vorlegen. Du wirst, glaub ich, die Manier billigen,
wie ich mich daraus gezogen. (Briefe an seinen ältesten Freund in der j
Schweiz. Zürich 1812, S. 160.)
I
8. Gesslers Hut auf der Stange und Heinz Vögeli dabei als Wache. 467
weise, dass hier das Aufgebot an die Kriegsmannschaft mittels
der Fahne geschah, indem man diese unter dem Schwur in den
Brunnen tauchte, nicht eher wieder heimzukehren, als bis der
Feind geschlagen und die Fahne an der Luft abgetrocknet wäre.
Glutz-Blotzheim, Fortsetzung der Schweiz. Gesch., S. 470. Dass
aber der als ein Freiheits- und Herrschafts -Symbol gedeutete
Gesslerhut unter den deutschen Schriftstellern dieselbe Verwirrung,
wie bei Joh. v. Müller und lange vor ihm schon, angestiftet hatte,
dies zeigt uns die Schrift: »Grespräche im Reiche der Todten,
i66ste Entrevue zwischen dem berühmten Schweitzer Wilh. Teil
und dem neapolitanischen Fischer Masaniello etc. Leipzig 1732. 4^1
Hier wird auf S. 427 Teil von Masaniello also befragt: »Merk-
würdig ist es, dass ein Hut denen Helvetiern oder Schweitzern
Anlass gegeben, die Freiheit zu ergreifen, welcher von Alters her
ein Sinnbild der Freiheit gewesen, weil 'man ehmals den
Knechten, die man frei machen und loslassen wollte,
die Haare abnahm und alsdann auf den kahlen Kopf
einen Hut setzte.« Der befragte Teil hütet sich wohl, auf
diese Aeusserung einzugehen und eine Antwort zu geben, weil
dieselbe ihn sammt seinen urner Landsleuten zu beschorenen
Sklaven zu machen droht. Und ebenso hat auch die Bevölkerung
der Waldstätte dem Gesslerhute nie eine andere Deutung beige-
legt, als die grob naturalistische, dass derselbe nichts als ein ge-
meiner Filzhut gewesen sei. Muheim's Teilenlied vom Jahre 1633
legt dem Teil ausdrücklich das verächtliche Wort in den Mund:
Den filtz weit ich nit ehren,
den aufFgesteckten Hut.
Die alten Schulgelehrten freilich, die Klasshelfer, die Chor-
herren und andere sattelfeste Latinisten schrieben ihre thetprischen
Heroiden und Distichen zum Preise jenes Hutes wacker fort, und
darunter zählt auch nachfolgendes herrenlose Epigramm, das uns
in Zurlaubens hds. Helvetischer Stemmatographie , tom. 38. fol.,
pag. 232 begegnet ist:
Qui pressum quondath lusit, Grislere, popeüum
Pileus, Helveiici foederis ansa fuit,*)
*) Eben dein Hut, der des Volkes Verkhechtung zu höhnen bestimmt war,
Grisler! ward das Emblem für den helvetischen Bund.
Dass der Name Grisler beim Volke und den Gelehrten der Schweiz statt
30*
468 !!• I^ic Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
Noch am Schlüsse des vorigen Jahrhunderts wollten die Ur-
kantone nichts von dieser Symbolik wissen, obschon zur Zeit der
Helvetik der Tellenhut mit der Straussenfeder auf Regierungs-
beschluss hin in sämmtlichen Kantonen zum gemeinsamen Landes-
wappen erhoben« worden war. Denn^ als die Waldstätte am
29. April 1798 die Stadt Luzern überfielen, um hier das Helve-
tische Directorium zu sprengen und das alte Regierungsystem
wieder herzustellen, war ihr erstes, zusammen in die dortige
Jesuitenkirche zu gehen und sich eine heilige Messe lesen zu
lassen. Ihr zweites Geschäft galt dem Freiheitsbaume; er wurde
umgehauen, der darauf gepflanzte Hut sammt den Kränzen
höhnend durch die Strassen getragen und dazii das Lied abge-
sungen :
Wilhelm, wo bist du, der Teile ?^
Zschokke, Kampf und Untergang der Waldkantone. Bern und
Zürich i8or, pag. 298.
Zeigen wir nun des Weiteren, auf welche Weise diese schwei-
zerische Hutgeschichte hier zu Lande seit dem sechzehnten Jahr-
hundert im Volksschauspiele dargestellt worden ist. Es dient
uns hiezu: »Ein schönes Spyl zu Ury von Wilh. Thellen etc.
Gedruckt im Jahre Christi MD.CC.XXXX.« Dieser Druck, dem
wir folgen, ist auf der Berner Stadt-Biblth. bezeichnet: Hn. 4°.
Die Editio princeps ist um das Jahr 1 540 durch August Fries in
Zürich veranstaltet worden. (Anzeig. f. Schweiz. Gesch. 1866.
113.) Im Epilog zählt der »vierte Herold« die von den Schwei-
zern gelieferten Schlachten her:
»Wider den hertzog Carle von Burgund,
• Es sey zuo Eligurt und Gransse,
Dessgleichen zuo Murten, auch Nansse.«
Alsdann wird auch der misslungene Winter- Feldzug nach
Mailand erwähnt: »desselben gleichen im Winterzug.«
Hierauf redet der »Beschluss des Herolds« zu seinem umer
Publikum : »von dem durch die Geistlichen zertheilten Reiche, da
sie haben erweckt in unserm alten Bund so grossen Zwytracht in
dem Glauben; seind wir nit ein zerteiltes reich?« Aus diesen
des Namens Gessler gegolten hat und zwar bis Ende des vorigen Jahrhunderts,
ist auf Seite 241 dieses Werkes chronologisch nachgewiesen.
i
8. Gessiers Hut auf der Stange und Heins Vögeli dabei als Wache, ^gg
Stellen ergiebt sich, dass das Stück gegen das Jahr 1525 abge-
fasst ist. Wir lassen hier sogleich das Zwiegespräch nachfolgen,
das der umer Landvogt, der im ganzen Stücke anonym bleibt,
mit seinem Trabanten über die Aufsteckung des Hutes hält.
Do redt der landvogt zuo seinem knecht:
Heintz Voegely, lieber knecht mein,
Ich hab bedacht ein guoten sinn.
Ob ich möcht meine pawren paschgen*)
Und bringen ir gelt in mein kästen.
Darumb so luog, das du zuon zeiten,
So ich aus disem land wirt reiten.
Aufsteckest mein huot in die strass
Under die linden, vnd gebüt auch das:
Welcher baur hingang für den huot
Und dem selben nit ehr^ anthuot
Und sich neigt, als ob ich selbs da wer
In eigner person, on alle g^fer,
Dem selben wil ich nemmen sein laben,
Muoss mir auch all sein guot geben.
So redt Heintz Voegely:
Herr, dises sol doch eylendts bschaehen,
Thuon ich bey meiner trew verjaehen. **)
Der vogt reit hinweg, so steckt der knecht den huot auff etc.
Warum trägt hier in diesem Dialog und so auch im ganzen
Stücke der Landvogt keinen Eigennamen, und warum ist zugleich
sein Kriegsknecht so bestimmt Heinz Vögelin benannt? Wir ant-
worten, weil unter der Figur des Ersteren der gefürchtete bur-
gundische Landvogt Peter Hagenbach, und zugleich dessen Kriegs-
hauptmann Friedrich Vögelin in der Rolle und unter dem
Namen des Kriegsknechtes abgebildet sind. Durch den einen mit
Namen genannten Diener erklärt dessen ungenannt bleibender Herr
sich von selbst mit Namen und Charakter. Um nun anschaulich
machen zu können, dass und wie jener Landvogt Hagenbach wirk-
lich diejenige Persönlichkeit gewesen ist, aus welcher sich Dich-
tung und Sage den typischen Charakter des Landvogts Gessler
zurecht schnitt, wird man uns erst einen kurzen Ausblick in die
*) bastgen, bändigen.
**) behaupten.
A'jQ IL Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
Vorbegebenheiten des burgundisch- schweizerischen Krieges ge-
statten.
Als dem unmündigen Herzog Sigmund von Oesterreich die
Vorfände zum Erbe zugefallen waren: Ober-Elsass, Sundgau,
BreisgaUy Schwarzwald, Hegau und Thurgau, stand er unter Vor-
mundschaft seines herzoglichen Vetters Albrecht IV., welcher
wegen seiner ungehemmten Freigebigkeit den Beinamen Der Ver-
schwender trug. Schon diesem Namen zufolge konnte in der bis-
herigen Missverwaltung der Vorlande keine heilsame Aenderung
eintreten. Die Landesschulden wuchsen, auf ältere Verpfändungen
wurden neue Geldaufnahmen gehäuft, die Gläubiger, dem Adel
und den städtischen Geldwucherem angehörend, hielten sich durch
fortgesetzte Raubzüge und Erpressungen schadlos, und die An-
fälle der Schweizer auf den Schwarzwald wurden gleichzeitig
immer gewaltthätiger. Im Jahre 1458 hatte Sigmund die Re-
gierung zwar angetreten, überliess dieselbe jedoch schon zwei
Jahre hernach, als ihn die Eidgenossen auf demselben Wege um
den Thurgau brachten, auf welchem sein Vater Friedrich schon
den Aargau an sie verloren hatte, abermals an Albrecht, bis zu
dessen am 2. December 1463 erfolgtem Tode. Der schlecht be-
rathene Sigmund setzte nun die in seinem Hause üblich gewor-
dene feindselige Politik gegen die Schweiz fort. Er duldete die
Fehden des hegauer und sundgauer Adels gegen die schweizeri-
schen Grenzorte und unterstützte jene mittels Connivenz seiner
Amtleute, bis darüber 1465 der schweizerische Kriegszug nach
Mülhausen, und 1468 der andere gegen Waldshut ausbrach.
Nachdem der letztere durch Vermittelung beendigt war, sollte
der Herzog 10,000 Gl. Kriegsentschädigung an die Eidgenossen
bezahlen, und der deshalb einberufene Landtag der Vorlande de-
cretirte zur Abtragung dieser Summe bereitwillig eine allgemeine
Umlage. Dieses Abkommen lag jedoch weder dem Herzog noch
dessen Räthen recht. Zur Befriedigung ihrer Rachegelüste gegen'
die Schweiz suchten sie unter dem Vorwande eines Anlehens die
Bundesgenossenschaft Ludwigs XL von Frankreich, und der Herzog
verlobte sich mit des Königs Schwester. Der arglistige König er-
sah hierin ein Mittel zum Verderben eines seiner politischen Ri-
valen und wies darum Sigmund mit dessen Geldbegehren an den
reichen Herzog Karl von Burgund. Hier empfieng Sigmund ein
Darlehen von 80,000 Gl. und verpfändete dafür dem Herzog Ober-
Elsass mit der Grafschaft Pfirt, Sundgau, Breisgau nebst dem
S. Gesslers Hut auf der Stange und Heinz Vögeli dabei als Wache. ^*7\
obem Schwarzwald mit den vier oberrheinischen Waldstätten
Rheinfelden, Seckingen, Laufenburg und Waldshut. In diesem
Vertrage vom 9. Mai 1469 hatte sich in einer besonderen Clausel
der Burgunderherzog zum Kriege gegen die Eidgenossen ver-
pflichtet, wenn Sigmund von ihnen angegriffen würde ; und schon
am 25. Mai darauf verhalf der schwachsinnige deutsche König
Friedrich III. dazu, jenen bloss gedachten Fall zum wirklichen zu
machen. In einem unter dem letztgenannten Datum von Graz
aus erlassnen Edicte erklärte er nemlich den Frieden von Walds-
hut für null und nichtig und Hess am 31. August die kaiserliche
Achtserklärung gegen die Schweizer folgen (Urkk. im Schweiz.
Archiv V, S. 81. ^"j, 89). Inzwischen war bereits Peter von
Hagenbach als burgundischer Landvogt in den neuen Provinzen
erschienen und hatte die Huldigung für seinen Herrn eingenom-
men. So waren nun zwei Plane eingeleitet. Sigmund's Rache-
plan War, der Schweiz einen recht trotzigen Nachbar auf den
Hals zu setzen, und des französischen Königs Absicht war, eben
dadurch den Herzog Karl von Burgund mit den Eidgenossen in
Krieg verwickeln und dann verderben zu können. Beides gieng
rasch in Erfüllung. Das herausfordernde Auftreten des burgun-
dischen Landvogtes Hagenbach gegen die mit den Eidgenossen
verbündeten Städte Mülhausen und Basel führte zuletzt zu seiner
Gefangennahme und Enthauptung ; darüber entbrannte der schwei-
zerisch-burgundische Krieg, in welchem Herzog Karl Sieg und
Leben verlor. Das tragische Ende dieses allmächtigen Mannes,
zugleich seines Vogtes und Waffengenossen schmählicher Tod
durch Henkershand erfüllte und erschütterte das Gemüth der
Zeitgenossen auf's, heftigste. In umfangreichen Annalen, Reim-
chroniken und Kriegsliedem erzählen sie ihr Erstaunen über ein
Weltereigniss , dem ihr politischer Verstand durchaus nicht ge-
wachsen war. Allein weder Karls noch Hagenbachs Persönlich-
keit darf nach diesen Schriften bemessen werden , an denen poli-
tische Tendenzlüge, kirchliche Verketzerungssucht, soldatischer
Parteihass und spiessbürgerliche Kurzsichtigkeit nachweisbar mit-
geschrieben haben. Dennoch stützt sich auf diese mit Sagen und
Märchen überfüllten unlautern Quellen der nachfolgende Bericht
vorsätzlich, eben weil er nicht mit dem geschichtlichen, sondern
mit dem sagenhaft entstellten Charakter Hagenbachs hier zu
thun hat. Denn die Aufgabe ist, an der Hand dieser Chro-
^y2 . ^ I^c Gessler von Branegg in Geschichte und Sage.
niken*) zu zeigen , wie Landvogt Peter Hagenbach und dessen
Kriegshauptmann Vögelin die zwei typischen Figuren gewesen
sind, welche der Sage und Dichtung gedient haben zur Charak-
teristik des umer Landvogtes Gessler und dessen Dieners Vögeli.
Peter von Hagenbach wurde um das Jahr 1420 geboren auf
seinem Familienschlosse im Dorfe Hagenbach, gelegen bei der
oberelsässer Stadt Altkirch. Seine Hinrichtung zu Breisach er-
folgte am 9. Mai 1474. Begraben soll er liegen in der Hagen-
bacher Kirche.**) Er stammt aus einer sundgauer Patrizier-
familie, welche habsburger, pfälzer und burgunder Lehen trug
und daher in den betreffenden Urkunden dieser Landstriche seit
Beginn des 14. Jahrhunderts oftmals, hierauf aber kaum minder
häufig in den basler-, Züricher und aargauer Urkunden genannt
ist. ***) . Erst um Mitte des vorigen Jahrhunderts starb das Ge-
schlecht aus. Es hatte mit den Österreicher Herzogen und deren
Vasallen in vielfachem dienstlichen Verkehr gestanden und sein
Name erscheint da neben dem der aargauischen Gessler früh-
zeitig, f) Während der nachmalige burgundische Landvogt Peter
*) Das hier am meisten benützte Material liegt in zwei sehr ausgedehnten
Werken vor: l) Zusätze der Strassburger Handschrift zur Königshofner Chronik;
abgedruckt in Mone's Quellensanmilung I. — 2) Reimchronik über Peter von
Hagenbach ; Mone, ibid. III.
**) Mone, 1. c, nennt dafür das obere Franziskanerkloster zu Tann , weil da-
selbst schon seit 1395 das Hagenbach' sehe Erbbegräbniss gewesen. Allein das
Lied vom Jahre 1474 (gedruckt in Liliencron's histor. Volksll., Bd. 2, Na 132)
sagt Vers 160 des Bestimmtesten von Hagenbach, da er anfanglich zur Vier-
theilung verurtheilt war:
Da redt er mit ganzer kraft,
Bdan solt doch er'n die ritterschaft,
man solt im das haupt abslagn uf eim schwarzen duch
und solt in schicken gein Hagenbuch
und solt in da begraben.
Also hat man im sin haupt abgeslagn
und hat in des gewert
und hat die ritterschaft geert
und hat in gein Hagenbuch begraben,
das wil ich vor war sagen.
***) 13 13. Die Gebrüder Hagenbach : Ritter Jakob und die Edelknechte Hein-
rich und Hugo verkaufen ihre zu Lepuis (d. i. Puteus) liegenden Güter an die
Abtei Bellelay (im bemischen Jura) und besiegeln unter Zeugschaft vieler nam-
haften Ritter die Urkunde selbst. Trouillat III, pag. 186.
t) ^35^' 8« Sept. Die Gebrüder Heinzmann und Hammann v. Hagenbach
erscheinen mit Ulrich dem Gesseler als Zeugen und Mitsiegler, da Gotfried
8. Gesslers Hut auf der Stange und Heinz Vögeli dabei als Wache. aj^
von Hagenbach noch unter ßerzog Karl als Soldat diente und
gegen die Lütticher bei Brüsthem siegreich focht (28. Oct. 1467),
hatte sein Bruder Stephan am österreichischen Hof- und Land-
gerichte zu Ensisheim als Scheffe gestanden, war bei der 1469
erfolgten Verpfändung der Landschaft Elsass an Burgund be-
sonders geschäftsthätig gewesen und darauf mit dem ganzen dor-
tigen Beamtenstande iil burgundische Dienste getreten. Als Peter
die elsässer Vogtei übernahm, traf er daselbst auf eine grosse
Missstimmung der Bevölkerung. Neben vielerlei landschaftlich
und örtlich verschiedenartigen Motiven wollten doch weder die
Städte noch die Landschaften aus dem deutschen Verbände los-
gerissen und an die welsche Herrschaft hingegeben sein. Schon
die Sprachenfrage war damals, wie die gleichzeitigen Quellen
besonders hervorheben, eine den deutschen Patriotismus der
Provinz aufregende Frage geworden. Ausserdem 'hieng das
Landvolk am Hause Habsburg und nicht minder der Bürger an
der Reichsfreiheit. Die Stadt Breisach, nun der Sitz des neu-
burgundischen Vogtes, war seit 1185 ungefähr 90 Jahre Reichs-
burg, dann 85 Jahre Reichsstadt und 109 Jahre beim Hause Habs-
burg gewesen. Es kam daher bald zu etlichen Aufstandsversuchen,
von denen man freilich nichts Genaueres weiss, als dass sie zu-
sammenhangslos blieben und vom energischen Landvogt einzeln
wieder erdrückt wurden. Darunter ist namentlich zu zählen der
Aufstand des Frickthales und der vier mitverpföndeten ober-
rheinischen Waldstätte ; derselbe hatte schon vor der ersten brei-
sacher Empörung stattgefunden und konnte trotz soldatischer
Grausamkeiten nicht vollständig beendigt werden. Hagenbach sah
sich dabei gezwungen, das Frickthal bis zum Bözberge, als da-
maliger Herrschaftsgrenze des Kantons Bern, militärisch zu be-
setzen, und daher ist die Chronisten- Anekdote entstanden, er habe
in dem dort angrenzenden berner Amte Schenkenberg »heraus-
fordernd« burgundische Fahnen aufstecken lassen. Tillier, Gesch.
Berns II, 197.
Stellen wir nun alle die historischen Thatsachen und die
gleichzeitig in Umlauf gesetzten Gerüchte zusammen, laut
dereri der burgundische Landvogt Peter v. Hagenbach dem an-
geblichen urner Landvogt Gessler verglichen werden konnte.
Graf von Habsburg den vier Österreicher Herzogen Rudolf, Friedrich, Albrecht
und Lüpolt das Schloss Rapperswil sammt den zwei Landschaften der March und
Wegi verkauft. Herrgott, Gen. II, 696.
474 II' I^ic Gcssler von Brunegg in Geschichte und Sage.
Beide fuhren dieselben Titel und bekleiden dieselben Aemter
und Würden.
Herzog Karl giebt dem Hagenbach in amtlichen Zuschriften
die Titel: Chevalier , Messire, Grand Baüly- de vicomti Auxois (d. i.
Ober-Elsass) et de vicomti de Ferrette (d. i. Pfirt) ; er ernennt ihn
nach 1469 zum Hofmeister: maitre d"* hostet, Hagenbachs Siegel
fuhrt als Legende: »Peter von Hagenbach, ritter, lantvogt.c Er
Unterzeichnetsich 1470: Peter von Hagenbach, ritter, Landvogt
vnd Hoffmeister. Urk. in Mone's Oberrhein. Zeitschr. V, 480.
Durch manches Hundert von Urkunden wird nun aber die
Thatsache bestätigt, dass das aargauer Edelgeschlecht der Gess-
1er von Meienberg und Brunegg vom 14, bis zu Ende des fünf-
zehnten Jahrhunderts genau dieselben Aemter und Würden bei
den Österreicher Herzogen bekleidete und schon desshalb von den
Chronisten mit dem Märchen beehrt wurde, der grausame urner
Landvogt sei ein aargauischer Hermann Gessler von Brunegg ge-
wesen. Dazu kommt noch die Zufälligkeit, dass eben jene Herr-
schaft Schenkenberg und jenes Amt Bözberg, wo Peter Hagen-
bach die burgundischen Fahnen angeblich hatte aufpflanzen lassen,
bis 141 5 im wirklichen Besitze der aargauer Gessler gewesen war.
Der sagenhafte Vogt Gessler erbaut die Feste Zwing-Uri
mittels des dabei zum Frondienste gezwungenen Urnervolkes.
Gleiches meldet die Breisacher Reimchronik*) über den dortigen
Vogt Hagenbach : Er Hess ausrufen auf der Kanzel und bei Leib
und Leben gebieten, dass Jedermann zu Breisach und ohne Aus-
nahme auf den Ostermontag (11. April 1474) einen Graben um
die Stadt aufwerfen helfe:
Hagenbach forcht sich und gerieth in grüwen
und hiess die statt büwen
mit bollwergk und mit graben,
wie er's weit haben.
das musten bezalen die armen burger.
(Mone, 1. c. pag. 349 und 359.)
Die Anekdote von dem durch Gesslers Neid bedrohten Wohn-
hause Staufachers in Schwyz findet gleichfalls ihre Parallele in
*) Sie ist gleichzeitig mit Hagenbachs Prozess und Hinrichtung zu Breisach
geschrieben, und ihr Verfasser scheint einer der damaligen Breisacher Rathsherren
zu sein. Mone, Quellensammlung III, 282, Note.
i
8. Gesslers Hut auf der Stange und Heinz Vögeli dabei als Wache. . 475
Hagenbachs Prozesse. Die Reimchronik erzählt S. 375 von dem
Hause zum Sternen in Breisach, vor welchem die Gerichtslaube
war, wo am 9. Mai das Todesurtheil über den Vogt gesprochen
wurde :
— dis war des burgers hüs,
den er hatt getriben üss.
Gessler lässt den Teil binden, um ihn zu Schiffe über
den See nach Küssnach in den Thurm zu bringen. Von Hagen-
bach galt das Gerücht, er habe ein grosses Schiff zu Breisach
auf dem Rheine liegen gehabt, um darin alle Stadtfrauen gefäng-
lich hinweg zu führen (S. 343).
Die Blendungsstrafe, welche der Unterwaldner Landvogt an
dem Vater Anderhalden vollziehen lässt, ist dem Hagenbach
gleichfalls eine geläufige. Denn da der Bfeisacher Stadtschreiber
im RathsprotokoU einmal versäumt, des Landvogts Namen die
übliche Titulatur beizusetzen und Hagenbach diese Stelle liest,
schwört er beim Ritter St. Georg, dem Schreiber die Augen
ausstechen zu lassen:
symmer sant Jörg, ich will dir dm ougen üssstechenl
Mone III, 330.
Ueber Hagenbachs geschlechtliche Ausschweifungen werden
dieselben Klagen vorgebracht, welche gegen den Unterwaldner
Vogt gelten bezüglich Baumgartens Frau zu Altsellen: »Er be-
slief euch manigem biderman sin eliche hüsfrouw, wo ein
hübsche junkfrow was, die nam er ouch und treib sin unkusch-
heit mit ir. Und wan er in ein statt kam, so schickte er zuo
d^i burgersfrauwen , die im allerbast gefielen, und treib mit in
vil bossheit, sie muosten sich ouch bis nackent üssziehen und also
de vor im tanzen.« Zusätze der Strassburger Handschrift zur
Königshofner Chronik. Mone, Quellensammlung I, pag. 278. —
Noch ein ähnlicher und spezieller Fall: Mone III, pag. 335.
Die Breisacher Bürger mussten Maien- Bäume vor's Haus
setzen und der Vogt Hess die Bevölkerung dabei durch beson-
ders. aufgestellte Schildwachen beobachten (ibid. S. 321 und 353):
wer wolt sin fründ sin,
der muost für das hüss sin
ein tannen fest setzen. ^^
^^6 I^* I^ic Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
darby kont Er wol schätzen,
ob im jemandt trüge hass,
das merkt er daby fürbas.
Er hat auch gemacht
in der statt ein schiltwacht,
die muostfen riten umb,
das einer den andern bekum.
Es ist nicht nöthig, eine weitere Zahl solcher Anschuldigun-
gen hier auszuschreiben, da ihnen nachher vom Blutgerichte selbst
kein Werth beigelegt worden ist. Der nächste Anlass zu Hagen-
bachs Sturze war eine alte Rivalität zwischen seinen welschen
und deutschen Truppen, worüber die zwei deutschen Hauptleute
Friedrich Vögelin und Friedrich Kappeier wegen ungleichen Sold-
bezuges schliesslich eine Soldaten-Meuterei anstifteten. Lands-
knechte und Bürger zu Breisach drangen an jenem schon genann-
ten II. April 1474 in Hagenbachs dortige Burg, nahmen ihn ge-
fangen und legten ihn vierfach gefesselt in den Block. Man* be- ;
rief ein Ausnahmsgericht zusammen, das aus Eidgenossen und aus
Bundesmitgliedern der Niederen Vereinigung bestand und das sich
nun anmasste, über den Beamten der gesetzlich bestehenden Re-
gierung in einer empörten burgundischen Stadt nach eignem Gut-
dünken Recht zu sprechen als über einen blossen Privatmann.
In dem angehobnen Prozesse Hess man jene sittenwidrigen Hand--
lungen Hagenbachs gegen Bürgersfrauen und -Töchter, ja angeb-
lich gegen seine eigene Ehefrau, sodann auch gegen Geistliche und j
Nonnen (weshalb ihn die Chronik einen Ketzer nennt) gänzlich:
fallen, weil der Vertheidiger bestritt, dass Gewalt dabei geübt;
worden sei, und machte nur ein einziges Verbrechen geltend. Der*
Fall war dieser. Die Stadt Tann hatte sich des bösen Pfenningsr
wegen 1473 empört. Hagenbach war augenblicklich zu entblösst
von Truppen und musste daher mit dem Aufgebote der Land*
Schaft die feste Stadt blockiren; und auf diesen Umstand gestützt^
konnte er nachher bei seiner gerichtlichen Vertheidigung den Fall<
der Nothwehr allerdings geltend machen, in welchem er sich da-
mals befunden gehabt habe. Mit 4CX) Mann seiner Soldtruppea
nahm er bald darauf die Stadt und Hess auf dortigem Marktplätze]
drei der aufständischen Bürger standrechtlich enthaupten. Das Brei- 1
sacher Blutgericht erkannte deshalb auf absichtliche Tödtung, -also
auf Mord. Hagenbach gab die Tödtung zu, machte aber geltend :
J
8. Gesslers Hut auf der Stange und Heinz Vögeli dabei als .Wache. aj'j
Sie sei seine im Auftrage des Herzogs vollzogene Amtshandlung
gewesen und überdies nach Kriegsbrauch geschehen; die Stadt
sei durch ihre Empörung und als eroberter Ort rechtlos und jeder
ihrer Bürger vogelfrei gewesen, er aber mit seiner geringen Mann-
schaft habe sich in der Nothwehr befunden. Man wollte auf der
Folter ihm ein Geständniss des Amtsmissbrauches abpressen,
jedoch auch hier blieb er standhaft dabei, der Herzog habe ihm
zu jenen Hinrichtungen in Tann den Befehl gegeben gehabt, und
er verlange darum, dass man des Herzogs Kundschaft hierüber
einhole. Dies Begehren wurde ihm abgeschlagen, so erfolgte
denn das Todesurtheil. Alle seine übrigen Vergehen und Hand-
lungen, von ihm ebenfalls als Amtshandlungen hingestellt, wurden
nur deshalb in die Anklage aufgenommen, um zu beweisen, dass
er wiederholter Vergehen und Verbrechen schuldig sei. Er starb
mit männlicher Fassung. Den blauen Sammthut und seine
goldne Halskette, die er auf dem Gange zum Richtplatze trug,
vermachte er zusammen der Hagenbacher Kirche, und mit ihnen
schmückte man jährlich am 9. Mai, als des Ritters Todestage, sein
.dortiges Grabmal. Mone, 1. c, S. 384.
Hagenbachs Verräther waren die beiden Hauptleute seiner
deutschen Landsknechte, Friedrich Kappeier von Mülhausen und
Friedrich Vögelin von Breisach. Sie sollen Beide bestochen ge-
wesen sein. Es ist letzteres schon darum sehr glaublich, weil
beim damaligen Berufssoldaten nicht die schlimme oder gute
Sache, sondern allein der Sold, um den man diente, den Aus-
schlag gab, sodann besonders darum, weil Beide sogleich nach
der Meuterei zum Feinde übergiengen. Kappeier machte auf
Seite der vereinigten Schweizer und des deutschen Bundes schon
im November 1474 den Feldzug nach Hericourt in Hochburgund
mit und wurde später österreichischer Rath. *) Ganz ähnliches
weiss man über Vögelin. Er stammte aus einer Breisacher Adels-
familie und war also keineswegs seines Handwerks ein Schneider,
wofür ihn der Brodneid seines Zeitgenossen, des luzerner Reisläufers
und Chronisten Petermann Etterlin (Chron., S. 191) ausgiebt. Im
Gegentheil, man hatte es ihm, als einem Patrizier, sehr verübelt,
dass er in Hagenbachs Dienste getreten war, und so Hess er sich
vielleicht aus Verdruss hierüber in die Verschwörung ein. Schon
*) 1478, 9. Oct. Friderich Cappeler, Ritter, spricht als österreichischer Rath
im herzoglichen Hofgerichte zu Ensisheim. Mone, Ztschr. Bd. 18, S. 474.
^7g IL Die Gessler von Bnmegg in Geschichte und Sage.
in demselben Jahre 1474 trat er dann in die Dienste Strassburgs
über. Ein Originalbrief von ihm im Strassburger Stadtarchiv,
undatirt und unterzeichnet FrijdleFögile, kommt aus Lothrin-
gen, woder Schreibende zwischen 1475 — y6 im Felde stand, und for-
dert dem Strassburger Rathe weitere Soldgelder ab, damit man
die »Knechtec gutwillig und gehorsam im Felde halte. Mone,
1. c, S. 434. Sein Geschlecht besteht noch fort in elsassisch
Ilzach*) und hat auch Zweige in Konstanz und in Durlach.**)
•) Nile Ehrsam, Der Stadt Mülhausen privilegirtes Bürgerbuch. Mülh. bei
Rissler 1850, S. 357. (Kam nicht in den Buchhandel.)
•*) Mone, 1. c, S. 361,
IX.
Bertha die Bruneggerin.
Bis in's fünfzehnte Jahrhundert hatten die Gessler die Vog-
teien von viererlei Landschaften der Schweiz inne, im Freiamte,
im Eigenamte und Frickthal, sämmtlich des Aargau's, sodann im
Grüninger Amte, des Kantons Zürich; im Aargau, ihrem Geburts-
lande, besassen sie mehrfache Burgen, unter denen die zu Brunegg
heute noch in. Stand und bewohnt ist. Gleichwohl haben weder
jene Landstriche, noch diese Burgen eine die Gessler berührende
Localsage aufzuweisen, ja selbst die »Schweizersagen aus dem
Aargau f (1856), eine 536 Nummern haltende Sammlung, bringen
den Namen Gessler nur einmal und auch da nur unter der aus-
drücklichen Bemerkung zum Vorschein, dass derselbe hier nicht
etwa aus dem Volksgedächtnisse, sondern aus einer bloss gelehr-
ten Voraussetzung herstamme. So grundverschieden erweist sich
schon in diesem Einzelfalle die ungemachte echte Volkssage
gegenüber den in der Schreibstube zusammengestoppelten Chro-
nistenmärchen. Da aber jede Behauptung, die gelten soll, ihre
Probe bestanden haben muss, so mögen hier die zwei einzigen
Sagenreste aus dem Aargau, die man auf die Gessler deuten
könnte, nachfolgen und jene Deutung selber widerlegen.
Am Fusse des Bergschlosses Brunegg liegt das gleichnamige
Dorf. Soll nun anderes Wetter eintreten, so glauben die dortigen
Leute ein anhaltendes Getöse droben auf dem Berge zu ver-
nehmen und bezeichnen dies mit der Redensart, der Burgvogt
reite auf seinem Choli (Rappen) auf die Jagd. Daran knüpfen
sie folgende Erzählung: Als der Burgvogt einst im strengsten
Winter mit seiner Kuppel Hunde und einem Tross Knappen auf
480 II* I^ic Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage.
dem Treibjagen war und vor Kälte zu erstarren begann, traf er
einen armen Holzhacker, erschlug ihn und wärmte in dessen auf-
geschnittnem Leibe seine frierenden Füsse. Von dem Augenblicke
an brach ein grässlicher Schneesturm los, der sie alle zusammen
verweht und begraben haben muss, denn ihrer keiner ist mehr in's
Schloss zurückgekommen. Diejenige Stelle, wo der arme Bauer
starb, kennt man noch; denn bis dorthin sprengt der jagende
Reiter, dort hört man sein weidmännisches Hop-hop! verhallen.
Belesene Leute nennen ihn Gessler und meinen, es sei derselbe,
der den Teil zwang, aufs eigne Kind zu schiessen. Schweizer-
sagen aus dem Aargau i, No. 151.
Diese Erzählung berührt keinen Gessler, sondern gehört zu
denen vom Wilden Jäger, welche im Aargau einen besonderen
Sagenkreis bilden und ihren einzelnen Schauplatz auch auf der
Brunegg haben. Das Schloss bildet das östliche Ende des buchen-
bewaldeten Kestenberges , am westlichen Ende steht das andere
Bergschloss Wildegg. »Zwischen inne, so lautet hier die wei-
tere Erzählung beim Volke — hat ein gespenstischer Jäger
seine Weidbahn, den man den Wildhans von Wildegg
nennt. Er hängt seine Hunde an die Bäume, um sie mit Rie-
men zu hauen oder Hungers sterben zu lassen, so oft sie die
Fährte verloren haben. Dann hört man ihr Gewinsel bis in's
Dorf Birr herab.« (Aargauer Sagen, ibid. No. 57.) Daraus er-
hellt, dass der ganze Grat des langgestreckten Kestenberges vom
östlichen bis zum westlichen Ende die Weidbahn des Wilden
Jägers ist und dass dieser, nach den beiden entgegengesetzten
Schlössern, hier der Burgvogt von Brunegg (ohne Eigennamen),
dorten der Wildhans von Wildegg genannt wird. Doch auf der
Brunegg mischt sich noch eine andere, überall wiederholte Rechts-
sage mit ein. Dieselbe Anklage, welche den Brunegger treffen
soll, ist bekanntlich im französischen Convent in jener denkwür-
digen Nacht vom 4. August 1789 gegen einen adeligen Gutsherrn
aus der Provence erhoben worden, als hätte derselbe auf der
Winterjagd seine frierenden Füsse im aufgeschnittnen Leibe eines
seiner Jagdtreiber gewärmt. Der französische Jurist Bouthor
(Coutumes locales du baillage d^Amiens, iSS4, detix vol)
hat aus nordfranzösischen Weisthümern den Beweis von der Un- j
Wahrheit solcher feudalen Rechtssitten für die romanischen Länder '
geführt, und für die germanischen hat aus noch weiter reichenden !
Untersuchungen unsrer deutschen Rechtsalterthümer Jakob Grimm !
9* Bertha die Bruneggerin. x8l
dasselbe Ergebniss herg^tellt: das alte Recht, blutig in seinem
Buchstaben und milde in seiner Anwendung, hat zu solcherlei
Sagen häufig Anlass gegeben, nirgend aber liegen Beweise vor,
dass solche Justiz wirklich geübt worden wäre. Gleichwohl er-
zählen eben dasselbe in der Schweiz a) die Watländersage vom
Burgherrn Brandis auf La Moli^re (Anton Henne, Schweizerblätter
^833, 231); b) die Seedorfer Chronik zu Uri von der Zürcher-
äbtissin Anastasia von Hohenklingen ; c) Ruoffs Teilenspiel legt
es dem Samer Landvogt als Drohung in den Mund, wie dies be-
reits voraus angeführt steht in Abschnitt VI, Zwing- Uri. Was
also die Erzählung vom Brunegger Burgvogt enthält, das ist erst- '
lieh eine Substanz aus den Naturmythen über die Wilde Jagd:
Sturm- und Gewitterphänomene , die unter dem Bilde eines mit
Weidmannsruf, Hömerschall und Hundegebell durch die Lüfte
jagenden . winterlichen Sturmgottes sich dem Gehöre abschildern;
und dazu tritt sodann noch eine Rechtsmythe. Die Naturmythe
will als solche niemals historisch aufgefasst sein ; die Rechtsmythe
ist von solchem Alter, dass sie kaum an die historische Zeit
heranreicht, um so weniger also die geschichtlichen Gessler mit-
berühren kann. Ohne all6 Beziehung aber, sei's zur Geschichte
der Gessler, sei's zur Sage, steht die Erzählung yom Brunegger
Schlossfräulein da, die wir erstmalig im Taschenbuch der
aargauer historischen Gesellschaft von 1860 mitgetheilt haben.
Damit gehen wir zu dem anderen der zwei in Frage stehenden
Sagenreste über.
Es ist bereits auf Seite 370 vorliegenden Werkes erzählt,
wie Junker Wilhelm Gessler 143 1 seine Gemahlin Anna mehrere
Wochen in einem Kerker auf Brunegg heimlich gefangen gehal-
ten hatte und darüber vor dem Gerichte zu Luzern peinlich be-
straft worden war. Dieser Fall ist erst im Jahre 1871 in den
Urkunden des luzerner Archives entdeckt worden, er tritt mit un-
serm Buche zum erstenmale in die Oeffentlichkeit und war vorher
auch nicht einmal in Andeutungen oder Muthmassungen irgendwie
historisch angeregt gewesen. Uns selbst war er also gleichfalls noch
unbekannt, als uns vor nun vierzig Jahren nachfolgende Erzählung
zukam, die auf der Brunegg spielt und einigermassen an den
Gesslerischen Eheskandal erinnert. Kaspar Ha'chler von Lenz-
burg war seit dem Jahre 1837 Schlosswächter auf Brunegg ge-
wesen und wurde da wegen seines Vorrathes an Schnurren, Volks-
liedern und Einfällen yon den Leuten, die das Schloss besuchten,
Roch holz, Teil und Gessler. 3'
482 II' I^ie Gessler von Bnmegg in Geschichte und Sage.
gerne angehört. Sonderbares wusste er vom »Schlossfräulein«
zu berichten. Wenn ich da, sagte er, manchmal des Abends für
mich allein auf der Ofenbank sitze, so lässt sich an der Stuben-
wand gegenüber eine schöngestaltete Frauenhand sehen in sol-
cher Bewegung, als wollte sie in aufgespannte Saiten greifen.
Und dies beabsichtigt sie auch, denn sogleich dann hört man leise,
ferne Töne, ein- und mehrstimmig, liederähnlich. Dies ist jenes
unglückliche Fräulein, das hier aus unbekannten Gründen ver-
schmachten musste. Wir haben den Ort ihres Todes entdeckt,
als unser Herr (damaliger Schlossbesitzer war der 1847 verstor-
bene Obrist Hünerwadel von Lenzburg) ein paar Gemächer im
Thurme herstellen liess. Damals pflegten nemlich Vögel in
grosser Anzahl in einer Mauerlücke zu bauen, der man bei der
Steilheit des Felsens ausserhalb nicht wohl beikommen konnte.
Als man darum von innen her aufbrach, stiess man auf ein Ge-
wölbe von der Grösse, dass ein Mensch eben darin sitzen kann,
ähnlich den Einmauerungszellen in Klöstern. Es war jedoch
ausser dem von den nistenden Vögeln angehäuften Schutte durch-
aus leer. So weit der erzählende Schlosswächter. Einige vor-
urtheilslose Leute, denen er seine Wahrnehmung anvertraut hatte,
waren eines Abends bei ihm zusammen • getroffen, um das angeb-
liche Saitenspiel mitzuhören. Es liess sich allerdings auch jetzt
ein zu- und abnehmendes Geräusche, ein unsicheres Schwirren
und Tönen vernehmen, das aus der Höhe des Thurmes her gegen
die Pächterwohnung zu kommen schien. Dies war aber auch
Alles, von einem durch Frauenhand geschlagnen Saitenspiel er-
hielt man keine entfernte Vorstellung. Man einigte sich zuletzt
in der Annahme, dass die stets bewegte Bergluft auf dieser von
allen Seiten freien, windbestrichnen Felsenhöhe sich in den Oeff-
nungen des damals noch leeren Thurmgebäudes fange und unter
dem Balkenwerk des Satteldaches irgend eine Resonanz finden
müsse. Die ausgespannte Frauenhand betrachtete man als eine
unfreiwillige Zuthat aus der Ideenassociation des liederkundigen,
einsam lauschenden Wächters. Diese Muthmassung wird durch
die ganz moderne Geschichte eines Festungsgefangnen nahezu be-
stätigt. Auch in seiner Kasematte ertönten des Nachts un-
erklärbare Geigentöne , der Aberglaube schob sie auf das Violin-
spiel eines Unglücklichen, der hier gefangen gesessen und sich
entleibt hatte. Bei näherer Untersuchung bemerkte man in dem
Rauchfange des Ofens jener Kasematte sechs Eisenstäbe ,über
g. Bertha die Bruneggerin. 483
die Oeffnung genietet, die das Entweichen unmöglich machten,
hingegen wenn der Wind in den Kamin hinabblies, den Dienst
einer Aeolsharfe versahen. Weiter nach oben verengt sich jener
Kamin immer mehr, und obschon ihn auch dorten ähnliche Stäbe
wiederholt durchgittem, tönen sie nicht, weil ihnen hier die nöthige
Resonanz mangelt.
Wo eine alte Burg ist, dahin pflegt die Romantik ein Burg-
verliess und darein einen um treuer Liebe willen Gefangnen zu
versetzen. Dies ist die Entstehungsgeschichte von Bertha der
Bruneggerin. Jn Schillers Personenverzeichniss zum Wilh. Teil
ist sie genannt als eine reiche Erbin, deren Güter in den Wald-
stätten liegen. Dorten sind die Rudenze wohnhaft (ein seit dem
.14. Jahrhundert beurkundetes unterwaldner Landleutengeschlecht),
einen derselben liebt sie, bekehrt den jungen Edelmann zu ihren
republikanischen Sympathien und wird darüber vom Landvogt
^ssler in heimlichem Gewahrsam des Samer Schlosses gehalten,
ijedoch die Vogtsburg wird vom Volke erstürmt und angezündet,
Bertha aber noch rechtzeitig aufgefunden und durch Melchthal
(«nd Rudenz gerettet:
— . — — — Als wir das Schloss,
Vom Feind geleert, nun« freudig angezündet,
Da stürzt der Diethelm, Gesslers Bub, hervor
Und ruft, dass die Bruneggerin verbrenne,
Hier heimlich eingeschlossen auf des Vogts Geheiss.
Wir trugen sie selbander aus den Flamgien.
Vielleicht dass aus Schillers Bertha erst Hächlers Burgfräulein
entstanden ist, alsdann wäre aus der Wesenlosigkeit jener auch
die Schattenhaftigkeit dieser genugsam erklärt.
31*
.
Die Mordnacht zu Rapperswil 1385.
Mordnächte heissen in der deutschen Städtegeschichte jene
zahlreichen örtlichen Parteikämpfe, in denen die untere Klasse der
Bürgerschaft mit den Handwerks-Innungen, oder diese mit dea
rath^fähigen Geschlechtem um die Herrschaft ringen und wob«
die Schwächeren auf eine unverhoffte, zuweilen an's Wunderbare
grenzende Weise über den Stärkeren Meister werden. Hiemit ist
alsdann der Streit noch keineswegs beendigt. Denn die unter-i
liegenden Geschlechter verbünden sich mit dem auswärtigen Adeü
und Klerus, zetteln im Innern Verschwörungen an und unter»;
nehmen, auf Beides gestützt, einen wohlberechneten bewaffnetenj
Ueberfall. Allein das Complot wird rechtzeitig entdeckt, der
Handstreich blutig zurückgewiesen, die dreifache Liga der Kleri-
kalen, Feudalen und Stadtaristokraten ist gesprengt. In dem be-
freiten Orte beginnt das Umwerfen der erblichen Rathsstühle, die
Einführung eines ausgedehnteren Wahlrechtes, das Emporkommen;
des dritten Standes, die Bürgerschaft lässt diesen Tag des Er-i
folges als den Beginn ihrer neuzeitlichen Geschichte in den städti-
schen Annalen verzeichnen. Dies in Kürze der Umriss aller det
Bürgertumulte, die man Mordnächte nennt. Da sie gleichzeitig^
die Communal - Satzungen umgestalten, so sind sie in Wahrheit
der Anfang unsrer erneuten Gemeindeordnungen und Verfassungs-|
revisionen, und insoferne liegt in ihnen für die Rechtsgeschichtd
des deutschen Städtewesens ein lehrreiches Material. Ein wenigeif
dankbarer Stoff sind sie für die Spezialhistorie , die doch ihren
Wissenstrieb hier am ehesten zu befriedigen wünscht; denn die
bezüglichen Urkunden sind häufig verloren, und der verworrene
lo. Die Mordnacht zu Rapperswil 1385. aS^
Bericht der Ortschronisten pflegt über einer Unmasse von Neben-
dingen gerade die Hauptpunkte unerledigt zu lassen : Anlass, Zeit
und Verlauf des Ereignisses, Namen und Motive der dabei be-
theiligten Personen. Freilich kann auch das Gegentheil hievon
stattfinden; der einzelne Chronist lässt sich wirklich auf jenes
Wie und Wann ein, jedoch mit so aufdringlicher Allwissenheit
des Kleinsten und Gemeinsten, während er nicht einmal die ört-
lich wirksam gewesnen Motive kennt, sondern sie anderswoher er-
borgen muss, und unter so grellen historischen Unmöglichkeiten,
dass min erst der begründete Verdacht entsteht, sein Jahrbuch sei
ein Sagenbuch, hier liege gar nichts Historisches vor, Alles sei
entweder blosse Entlehnung, oder nur der historische Niederschlag
einer Mythe, ein geschichtlich verkörperter Ortsaberglaube. Hält
man diese Wahrnehmung fest , so kommt dieselbe vorerst dem
Charakter der einzelnen Chronisten zu gut ; denn alsdann erscheinen
die Letzteren doch nicht alle als die gegen die Wahrheit gewissen-
los sündigenden Parteischriftsteller, sondern als die unter der noch
fortwirkenden Triebkraft der Sage stehenden, zwischen Tradition
'und Geschichte noch nicht unterscheidenden Gemüther. Und von
eben dieser Seite aus lässt sich ihren Erzählungen über die Mord-
nächte nun ein Resultat abgewinnen, das zwar nicht mehr der
Specialgeschichte, wohl aber der Sagenkunde anheim fällt. Dies
soll im Nachfolgenden sich erklären.
Man wird in der chronikalen Beschreibung der Mordnächte stets
'2weien fix wiederkehrenden Hauptpunkten begegnen von solcher
IAehnlichkeit unter einander, als ob hier die Annalisten sich gegen-
seitig copirt hätten. Erstlich dient ihnen die gleiche Gattung von
Märchen oder Ortsanekdote zum Mittelpunkte der Hauptbegebenheit ;
'zweitens berichten sie, zur Bewahrheitung dieses Märchens, von der
Stiftung eines zum Gedächtnisse jener Begebenheit örtlich einge-
setzten bürgerlich-kirchlichen Doppelfestes. Man gestatte hierüber
ein Beispiel. Da hat ein Betteljunge den Anschlag der gegen
die Stadt Verbündeten mitbelauscht, wird von ihnen ertappt und
muss beschwören, das Geheimniss keinem Sterblichen zu ver-
rathen.» Darauf wieder losgelassen, beichtet er es sogleich dem
Ofen auf der Bürgerzunftstube (oder dem Feuerherd, Kesselhaken,
Tischmesser, Trinkglase, der Thürsch welle). Damit ist des Fein-
des »Losungswort« entdeckt, alle Anwesenden vernehmen's, man
eilt in die Waffen , ein gleichzeitig losbrechendes Kirchenwunder
setzt die Angreifer in Schrecken und Verblendung, der Ueber-
^86 n. Die Gessler von Brunegg in Geschichte und Sage,
fall wird abgeschlagen, die Mitverschwomen unter der Bürger-
schaft und dem Ortsklerus werden verbannt oder hingerichtet, die
befreite Stadt stiftet kirchliche und weltliche Spendfeste, verzeich-
net sie im Raths- und Kirchenbuche und erweist von nun an aus
dieser Quelle die geschichtliche Unbestreitbarkeit des Vorfalles.
Dies das Schema, nach welchem der Bericht über die Mordnächte
durchschnittlich gefasst ist. Es wiederholt sich dasselbe jedoch
so oft, so weithin und schon so lange, dass hier die sonst mög-
liche Annahme blosser Uebertragung und Entlehnung nicht mehr
zureicht, vielmehr muss auf eine den oberdeutschen Volksstäm-
men gemeinsam gewesene Stammsage zurück geschlossen werden.
Den Sinn einer Sage schöpft man aus ihren Symbolen, denjenigen
der vorliegenden also aus diesen und aus den damit verknüpften
Festbräuchen. Hier führt nun schon das Miteinander eines kirch-
lichen und weltlichen , eines gottesdienstlich und militärisch zu-
gleich begangenen Festtages auf jene frühe Epoche zurück, da
die natürliche Einheit der Kirch- und der^ Civilgemeinde noch
nicht aufgehoben, dem Bürgerverstande noch nicht zur Unbegreif-
lichkeit gemacht gewesen war. Zugleich muss es nicht wenig
auffallen, dass dieser örtliche Festtag in den jetzt politisch ge-
trennten Landschaften und [Orten auf die gleiche Jahreszeit, oft
sogar auf einen und denselben Kalendertag fällt, und dass die so
bunten Förmlichkeiten der Begehungsweise aller Orten ebenfalls
sich gleichen oder doch ehedem geglichen haben. Diese theils j
reckenhaften, theils altbäurischen Masken, die unter Fackelschein
und Trommelschlag den Ort durchziehen und ein räthselhaft lau-
tendes Losungswort erschallen lassen ; das stereotype Scheingefecht
zwischen den Geharnischten und der Metzgerzunft, oder zwischen
den Pelzigen und den Grünen, den Russigen und den Weissen;
alsdann die gewaltsame Befreiung der in der Strohburg gefangen
gehaltenen Königin oder Gräfin, worauf das Räuberschloss in
Brand gesteckt und die eroberte Beute auf der Stelle vertheilt
und verschmaust wird : Dies und Anderes ist die gemilderte
Wiederholung eines alten Naturfestes mit seinen Wald-Illumina-
tionen, Höhenfeuern, Waffentänzen und Opferschmäusen.^ Der
heidnische. Frühlingsgott ist dabei nur ganz äusserlich in den
Christenkedender herüber gerückt. Wiederum hat Jener seinen
winterlichen Gegner bekämpft und erlegt (den der Bettelbube
hinter dem Ofen verrathen hat), nun zieht der Sieger beim Leuch-
ten der Scheiterhaufen und Fackeln in die abermals befreite Land-
10. Die Mordnacht zu Rapperswil 1385. aS7
schafl ein. Das dem Kampfe der beiden Jahresgewalten zu-
schauende Volk giebt den Chorus ab, bricht zum Preise des
Ueberwinders in Mordiorufe aus und nennt in der Aus-
drucksweise seines nach Nächten zählenden Kalenders diesen
Sieg über den winterlichen Zwingherrn übereinstimmend Mord-
nacht. In der Benennung der Festfiguren hingegen wechselt der
Volksmund vielfach, je nachdem die politischen Schicksale der
Landschaften verschiedenartige gewesen sind. Bis nach Ober-
deutschland herauf heisst der bekämpfte Erbfeind der Türke,
Hussite, Schwede. Specieller benennt ihn die Schweiz nach den
mehrfachen Eroberem und Feudalherren, welche das Land be-
droht haben. Im Emmenthal und Entlebuch ist es der Gugler
(unter Ingueram de Coucy 1375); in üchtländisch Freiburg, in Neu-
chatel und Yverdun ist's der Burgunder (unter Karl dem Kühnen) ;
im aargauer Frickthale ist*s der Schwede (unter Bernhard von
Weimar 1638); in Luzem und Wallenstatt heisst er der Oester-
reicher (unter den herzoglichen Leopolden); in Rapperswil der
Landvogt Gessler, in Rheinfelden der Bürgermeister Gast, beide
gleichfalls aus der vorder-österreichischen Herrschaftsperiode. Dass
die eben genannten Persönlichkeiten einst auch als typische
Charaktermasken beim Feste mit vertreten waren; dass diese
Masken dabei feierlich bekämpft, verbrannt, ertränkt, prozes-
sualisch hingerichtet wurden, worauf die Wende im bürgerlichen
Jahre eintrat, die Stubenarbeit schloss und die Feldarbeit wieder
begann, Dies und Anderes muss weiterer Ausfuhrung an anderem
Orte vorbehalten bleiben. Hier genügt die anerkannte Thatsache,
dass auch diese ständigen Festmasken ursprünglich dem allgemei-
nen Naturmythus angehört hatten, dass sie bei dessen Erblassen
unter historisch entlehnten Namen in die Ortsgeschichte herüber
versetzt und derselben nothdürftig angepasst wurden. Geschicht-
liches war also ursprünglich nicht an ihnen. »Denn die volks-
mässigen Ansichten der Sage von menschlichen Dingen — äussert
übereinstimmend Mone (Gesch. des Heidenth. 2, 302), haben in
der Geschichte nur ihren Haltungspunkt und ihre Einkleidung,
nicht aber ihren Ursprung und Wesen. Aller Ursprung der Sage
ist religiös. Ohne Einsicht in diesen Satz ist eine Einsicht in die
Sage selbst unmöglich.« Oder um eben dasselbe mit einem der
kühnsten Worte Schillers auszudrücken:
Was sich nie und nirgends hat begeben.
Das allein veraltet nie
^gg n. Die Gessler von Bnin^g in Geschichte and Sage.
Jetzt erst wendet sich unsere Darstellung derjenigen Sagen-
gattung zu, welche ihre wesentliche Geltung in der politischen
Geschichte suchen hat wollen; und es ist nun zu zeigen, wie
darüber die echte Sage zerstört, die politische Geschichte gründ-
lich mitverfälscht und die betreffende Bevölkerung zugleich um
eben jenes Bürgerfest gebracht wird, welches der ungemachte
Begleiter des unerdichteten Volksglaubens gewesen ist. Hiemit
betreten wir das engere Gebiet der Ortsgeschichte und müssen
also für unsem speziellen Zweck weiter ausholen.
Die beiden Nachbarstädte Zürich und Rapperswil waren zwei
Rivalen, die sich während des vierzehnten Jahrhunderts in langen
Fehden bekämpften. Erst hatte Graf Hans von Habsburg-Laufen-
burg, Herr zu Rapperswil und in der March, am 24. Februar
1350 einen Ueberfall Zürichs versucht, den man daselbst die
Mordnacht nennt, und war dabei unterlegen ; alsdann rächte Zürich
sich mit einem Kriegszuge gegen Rapperswil, wobei Alt-Rappers-
wil verbrannt, ja später sogar gänzlich zerstört wurde. Aus die-
ser grausamen Gewaltthat entsprang hierauf der Krieg Zürichs
mit dem Hause Habsburg-Oesterreich, dem Stammverwandten und
Lehensherrn der Rapperswiler Grafen. Er endigte nach zwei-
maliger Belagerung Zürichs unter Herzog Albrecht II. (dem Lah-
men) mit einem Vergleiche, bei welchem jedoch die innem Ur-
sachen der gegenseitigen Ortszwistigkeiten keineswegs gehoben
wurden. Zürich glaubte seinen Handel beeinträchtigt durch die
Zollrechte und Marktprivilegien der herzoglichen Stadt, das an-
grenzende Glamerland erhob seinerseits dieselben Beschwerden,
beide waren nach Gebietsausdehnung am Zürchersee lüstern, und
so einigten sie sich in dem geheimen Plane, Rapperswil durch
einen Handstreich einzunehmen. Zur Ausfuhrung war der nächste
Rapperswiler Jahrmarkt festgesetzt, der auf den Thomastag fiel.
Hier traten die Zürcher in beträchtlicher Anzahl als Marktleute auf,
eine andere Abtheilung lag zu Schiffe im Versteck des Sees und
sollte sich in der folgenden Nacht der Ringmauer nähern, und
die Glamer hatten sich nach den Dörfern Hürden und Pfaffikon
vorgeschlichen, um dann bei der verabredeten Besetzung des
städtischen Wasserthores schnell bei der Hand zu sein. Allein
im Momente der Ausführung missrieth Alles. Denn Ritter Hein-
rich Gessler, zu dieser Zeit Herzog Leopolds Landvogt im Amte
Grüningen, eilte von seinem Grüninger Burgsitze der bedrohten
Stadt rechtzeitig zu Hilfe und vereitelte die Ueberrumpelimg. Die
lo. Die Mordnacht zu Rapperswil 1385. 480
Bürgerschaft ordnete darauf eine jährliche Kreuzfahrt und Spende
an, »darum, dass die Feinde auf St. Thomastag 1385 die Stadt
umsonst wollten überfallen han«*), der Herzog beklagte sich
über solche gegefti Gott und Ehre laufende Rechtsverletzung vor
der ganzen Welt und rief alle Edeln, die ihm aus irgend einer
Rücksicht Dienste zu thun verpflichtet waren, auf, ihm diese Un-
that rächen zu helfen. Jedoch auch die beiden mitschuldigen
Obrigkeiten zu Zürich und Glarus wälzten die Verantwortlichkeit
von sich ab und abermals blieb der Austrag des Streites ver-
schoben.
Dies der Sachverhalt. Wie aber hat die gerettete Stadt den-
selben nachmals dargestellt, als sie aus österreichischem Besitze
in eidgenössischen übergegangen war? Sie klagt zu zweien ver-
schiednen Malen ihren Landvogt und Erretter Gessler einer im
Complotte mit den Zürichern gegen sie und den Herzog verübten
Verrätherei an, sie macht ihn sogar zum Anstifter der Rappers-
wiler Mordnacht.
Betrachten wir den einen Fall. Bei Gelegenheit einer Erneuerung
aller herzoglichen Lehen und Sätze in den Städten und Herrschaften
der österreichischen Vorlande war im Jahre 141 1 der Ritter Burkh.
von Mannsberg als Herzog Friedrichs Kammermeister beauftragt
worden, besondere Anfragen an die Aemter zu stellen und deren
Antworten einzuberichten darüber, wie sich der letztgewesene
herzogliche Vogt in seiner Amtsführung verhalten habe. Dabei
beschwert nun die Stadt Rapperswil sich, dass ihr das Marktrecht
durch Zürich beeinträchtigt und dadurch eine Haupterwerbsquelle
abgeschnitten werde ; dass sie nun pfandweise in der Zürcher
Hand gegeben und selbst ihre bis dahin herzoglich gewesene Um-
gebung nun zu Feindseligkeiten gegen den Ort gestimmt sei;
dass namentlich der Landvogt Gessler hiebei ein falsches Spiel
getrieben habe. Letzteres wird hierauf durch folgende Angaben
erhärtet: »Als der Gessler mit unser Herrschaft kriegt, do schri-
ben wir gen Zürich, dasz Sy den Gessler wlstind (anweisen soll-
ten), daz er uns sicher seiti, nach des Fridbriefs Sag, untz'an ein
Recht (bis zum rechtlichen Austrag des Handels). Da verschri-
ben Sy uns, Sy weiten ir Best's darum tun und gabent uns
Antwurt, da wir nicht an hattent (eine nichtssagende Antwort).
♦) »Jahrzeitbuch, S. 123. Chronik in der Stifts-Biblth. zu
St. Gallen, No. 645.« J. v. Arx, Gesch. von St. Gall. II, 86. 87.
V
490 ^'! ^^ Gessler von Bniii^:g in Ckschichte und Sage.
Und do wir uns nit wisstent vor Jon ze hueten, so zöchet uns
der Gessler hinuss (verlockte uns in's Feld) und nament (die
Zürcher) uns unser Vieh vor der Statt, und also stiessent uns die
von Zürich ein Hut (legten uns einen Hinterhalt) und weiten
zwischen uns und die Statt sin komen und uns lib und gut ent-
wert han, an absagen (mitten im beschwomen Frieden). Item, als
der Gessler die Vesti Rapreschwil inn hat, do ward er Burger
(ze) Zürich, daz wir es nit wissten, und hat die Vesti heim-
lich besetzet. Do hatten die von Zürich heimlich den iren
gebotten, daz sy zesamen zugind, und weltin Wir und die, so
unser Herschaft zu uns schickt, die Vesti [die Zürcher Besatzung
im Schlosse des Ortes] han genomen oder genötet, so söltint Sy
mit ganzer macht uns überfallen han, etc.c (Archiv f. Schweiz.
Gesch., Bd. 6, 153.) Der Grund dieser Beschwerden lag nicht
etwa in dem angeschuldigten Landvogte, sondern in dem herzog-
lichen Herrn selbst; denn seit 24. Juli 1407 hatte Herzog Friedrich
Veste, Burg und Stadt Rapperswil auf zehn Jahre um 8000 Gl.
an Zürich versetzt (Lichnowsky V, Regesten No. 914 und 919)
und zwar durch die Hand seines Vogtes Gressler, dem er diese
Summe längst schuldig geworden war. Dass nun Gessler darauf-
hin auf die folgenden achtzehn Jahre sich in Zürich verburgrech-
tete und dadurch sein ausgelegtes Kapital hinter dem Rechts-
schutze jener Stadt sicherte, darin glaubten die guten Rappers-
wiler einen Abfall von des Herzogs Sache zu sehen und legten
Gesslem als dem Zürcher Neubürger das zur Last, was sie von
den eroberungssüchtigen Zürchem zu erdulden hatten.*) Diesel-
ben Vorwürfe, welche hier dem Ritter Hermann Gessler, dem
Sohne, galten, waren indess schon 25 Jahre früher zu Rapperswil
dem dortigen Vogte Heinrich Gessler, dem Vater, gemacht
•) Der Einbürgerungsvertrag Hermann Gesslers mit der Stadt. Zürich ist vom
17. August 1406, liegt im Züricher Staatsarchiv (Abthl. Grüningen, Bündel 3»
No. 22) und ist ausdrücklich geschlossen auf Grundlage des bereits geltenden
Friedens: »so min herschaft von Oesterrich vnd die von Zürich
letz' mit enandern hant oder noch fürbas mit enander machtin.«
Trotzdem erlaubt sich Tschudi i, 633 folgende Verdächtigung: Diss i4o6ten
Jares ward Herr Hermann Gessler, Ritter, Vogt ze Rapperswyl, so der Herrschaft
Oesterrich Rat vnd Diener was, Burgere ze Zürich, hinderrucks derselben Herr-
schaft, wann er sprach, die Herrschaft solt Im gross Gut gelten vnd gab Im nützit,
als ouch war was. Diser Gessler hat die Herrschaft Grüningen inne, mit dero
Er sin Burger-Recht gen Zürich uifnam.
lO» Die Mordnacht zu Rapperswil 1385. ^qi
und dorten gleichfalls geglaubt worden. Wir müssen daher auch
diesen früheren Fall vorlegen.
Die Rapperswiler Chronik, geschrieben vor dem Jahre 1443,
nun gedruckt in Band VI der Zürcher Antiquar. Mittheill., ver-
wechselt den Hermann Gessler mit dem Heinrich, den Sohn
mit dem Vater (ein auch bei Tschudi stehender Irrthum), und be-
zeichnet letzteren als einen im Einverständnisse mit den Schwei-
zern handelnden elenden Verräther seines Herzogs und des her-
zoglichen Ortes. Die Chronik erzählt dies a. a. O., S. 235 also:
Auf St. Thomasabend 1385 hatten die Züricher mehrere mit
Harnischen und Streitäxten gefüllte Fässer heimlich nach Rappers- .
wil hinein schaffen lassen, indess ihre Mannschaft in Schiffen
hinter der Insel Ufnau im See verborgen lag, des verabredeten
Signals gewärtig, welches vom Schlosse her zum Losbruch ge-
geben werden sollte. Inzwischen aber waren die Herren von
Landenberg, zwanzig Rosse stark, zufällig in die Stadt eingeritten
und hatten den Rath zusammen berufen lassen, um ihm ein Rechts-
anliegen vorzutragen. Als nun die etlichen mit eingeschlichnen
Feinde den Klang der Rathsglocke zur Unzeit erschallen hörten,
hielten sie das Geheimniss für entdeckt [und machten sich so
schnell aus dem Orte wieder hinaus, dass auch diesem die
drohende Gefahr gänzlich verborgen geblieben sein würde, wenn
nicht spielende Kinder an jene Fässer gerathen wären und durch
die Spundlöcher die ,darin verpackten Waffen entdeckt hätten.
Zum Gedächtnisse an diese glücklich abgewendete »Mordnacht«
stiftete sodann die Bürgerschaft eine jährliche Kornspende, ver-
bunden mit einem kirchlichen Bittgang. Und da der Landvogt
(Heinrich) Gessler hierauf befürchten musste, als Mitschuldiger
verrathen zu werden, so legte er bald darnach abermals Bewaff-
nete in's Versteck des Sees, welche auf das gegebene Zeichen
anrücken, durch einen geheimen Schlossgang eingelassen werden
und sich der Stadt bemächtigen sollten. Allein während er hier
gerade abwesend und zu Grüningen war, meldete seine eigne
Frau, »denn sie war fromm und guten Geschlechtes«, dem Rathe
den Mordanschlag, und so verblieb der Ort wiederum den
Herzogen.
Die Gunst des Zufalls will es ater, dass das alte Jahrzeit-
buch der Kirche Rapperswil, das noch vor jener Chronik datirt,
auf uns gekommen ist; in demselben steht nun das gerade Gegen-
AQ2 ^^* ^^^ Gessler von Branegg in Geschichte «nd Sagcfe
theil. Rickenmann*) hat daraus folgenden (nur irrig unter das
Jahr 1386 angesetzten) Eintrag mitgetheilt : »Es ist ze wüssen,
dass die Ret und die Burger diser statt hand gesetzt zu ewiger
Ordnung VI viertel kernen, dass man die jerlich von gemeiner
statt geben sol armen lüten zu einer spend uf sant Thomas tag,
und sol man uf denselben tag ein Creuzgang han. Das istuf-
gesetzt von des mordes wegen, als die Eidgnossen
die statt mortlich woltend überfallen han an sant
Thomas tag, 20. Decembris.« Die Eidgenossen selbst also
sind die Unternehmer des Attentats, allein nun fragt es sich erst,
ob nicht etwa ihr damaliger Miteidgenosse Gessler den Frevel
mitunterstützt habe. Letzteres behauptet die Rapperswiler Chronik,
das Jahrzeitbuch lässt sich auf keine Widerlegung ein; wie soll
man hier zur Wahrheit gelangen ? Dies war schon Jahrhunderte
vor uns in der gleichen Angelegenheit die Frage für einen unbe-
fangenen deutschen Geschichtsforscher gewesen , er hat sie nicht
etwa umgangen oder mit einer Phrase dahingestellt sein lassen,
sondern trotz damals noch unzulänglicher Mittel im Drange des
Wahrheitseifers wirklich gelöst. Dies ist der treffliche Gerardus
de Roo, Archivar Erzherzog Ferdinands zu Innsbruck, f 1590.
In seinen Annalen hat er das widerspruchsvolle Märchengewebe
der Chronisten durchschaut und folgendermassen darüber sich
ausgesprochen**) : »Es wird aus meiner Darstellung der schweizeri-
schen Begebenheiten zu ersehen sein, dass ich, frei von politischer
Leidenschaftlichkeit, dieselben so aufrichtig und redlich erzähle,
als ob Alles von einem Schweizer selbst geschrieben wäre. Mein
Stil steht aller Heuchelei so ferne, dass hier keiner einzelnen
Person anders Erwähnung geschieht, als in so weit ihre Hand-
lungen mit den allgemeinen Begebenheiten zusammenhängen. Da
man aber heutigen Tags die Schweizerchronik von Stumpf allent-
halben liest und breitdrischt, worin die angeblich von Oesterreich
verübten Handstreiche so weitläufig erzählt stehen, so will ich be-
züglich der vorliegenden sogenannten Rapperswiler Mordnacht
hier eine weit ältere, bisher noch nicht benützte schweizerische
*) Regesten der Stadt Rapperswil, No. 33, in Bd. I von Mohrs Regesten der
Schweiz. Archive. •
**) Annales Rerum belli domique ab Austriacis Habsburgicae Gentis Principibus
a Rudolphe I. usq. ad Carolum V, gestarum etc. Oeniponti, 1592. Vergleiche
die Epistola dedicatoria und im Texte S. 129.
10. Die Mordnacht zu Rapperswil 1385. aq^
Quelle anfuhren und alsdann den geneigten Leser entscheiden
lassen, ob in Anstiftung solcher, sonst den Oesterreichern allein
zugeschriebnen Gewaltthätigkeiten die Schweizer etwa sich gespart
haben.« Roo theilt hierauf das letzt erwähnte Unternehmen
Zürichs gegen Rapperswil so mit, wie er es bei seinem Gewährs-
mann findet, dieser aber ist kein anderer als der Zürcher Schult-
heiss selbst, Ritter Eberhard Mülner, dessen schweizer Jahrbuch
von 1 336 bis 1 386 reicht und von der Zürch. Antiq. Gesellschaft
seit 1844 herausgegeben worden ist. Schultheiss Mülner erzählt,
wie Zürich und Glarus sich verbünden, 1385 von Pfäffikon aus
die Ueberrumpelung Rapperswils versuchen und wie dann Jedes der
Beiden, so gut es kann, schleunig wieder abzieht, weil von Grü-
ningen her »Heinrich« Gessler dem Städtlein zu Hilfe kommt^
»der des herzogen raut was (Principis Consiliarius).^
Und eben diese Rettung durch den Landvogt ist es,
fährt Schultheiss Mülner fort, welche zu Rapperswil mit
einem allgemeinen Gottesdienste und mit Brod- und
Weinspenden seither jährlich gefeiert wird.
Damit hat sich jene Rappers wiler Stadtchronik um das einzige
Verdienst gebracht, das sie haben konnte, um den Ruf der Ehr-
lichkeit. Damit hat auch die schweizerische Stadt Rappers-
wil, nachdem sie sich durch einen Landvogt Gessler von den Eid-
genossen befreit sehen musste und die dem Landvogt zugescho-
bene Mordnacht nicht länger aufrecht halten konnte, sich veran-
lasst gefühlt, ihr altbürgerliches Triumphfest bescheidentlich in
eine Stille Messe , und die frühere allgemeine Brod- und Wein-
spende in eine Spitalstiftung umzuwandeln. Jährlich am letzten
Fasnachts-Donnerstag wird hier Backwerk unter die Klinder aus-
geworfen. Leu, Helvet. Lexikon, Supplement V, 24. Ja damit
könnte es den Leser unsrer Abhandlung sogar bedünken, als ob
diese letztere selbst hier in ein ähnliches Schicksal gerathe, da sie
nach so weit ausgreifenden Vorbereitungen auch nur dieses nega-
tive winzige Ende erreicht.
Um so besser, wenn dieser Gedanke nun sich aufnöthigt,
denn gerade hierin läge die richtige Wirkung, welche der Vor-
trag zu machen beabsichtigt. Ein geschichtlicher Einzelfall dient
ihm dazu, nachfolgende Sätze zur allgemeinen Erkenntniss zu
bringen. Die Sage steht vor der Geschichte, ihre Gestalten und
Geschichten sind nicht Abbilder der Historie, sondern Sinnbilder
494 II- I^ic Gessler von Bnin^g in Geschichte und Sage.
des Naturlebens, göttlich verehrte, religiös gefeierte Symbole. So
oft man der Sage das Historische beimengt, stösst sie es als
etwas Profanes, als einen falschen Ueberfluss wieder aus. Dies
ist und bleibt der Grund, warum die Rapperswiler Chronistön-
fabel antiquirt ist, und warum ebenso alle übrigen Versuche der
Schweizerchronisten, die historischen Gessler mit der Tellensage
zu verschwistem, misslungen sind.
Pierer'sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.
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